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Das Tagebuch der Maru Psychobabble.

Day 1

>>Liebes Tagebuch,
hier spreche ich mal wieder zu dir…nach über 2 Jahren, schreib ich dir wieder etwas.<< Seufzen. >>Vor kurzem bin ich umgezogen. Hierhin. Es ist schön hier. Wirklich schön. Viel schöner als der Ort von dem ich gekommen bin. Dieser grausame, verfluchte Ort der mir viele Tränen der Verzweiflung und Trauer geraubt hat. Der mich beinahe in den Wahnsinn getrieben hat…der Ort, der Schuld an meinen Ängsten ist. Aber mein neues zu hause ist auch ein Neuanfang. Das habe ich auch schon heute bemerkt.
Weißt du, es war ein sonniger Tag. Aber wieso schreib ich dir das? Das weißt du ja eigentlich selbst. Du weißt alles.
Jedenfalls…ich war draußen auf unserem neuen Balkon und habe ihn angesehen. Diesen Baum vor meinen Fenster. Er ist…wunderschön. Und seit kurzem blüht er. Meine Oma meinte, es sei ein Kastanienbaum. Leider kenn ich mich nicht mit Bäumen aus, doch die roten, fast rosafarbenen Blüten erwärmen mein armes, zerissenes Herz.<< Ich lege den Kopf in den Nacken und atme tief durch bevor ich weiterschreibe. >>Jedenfalls habe ich einen älteren Mann dort unten vor dem Baum stehen sehen. Ich weiß nicht wieso…aber plötzlich hatte ich das Gefühl, ich müsste runter zu ihm. Wie du dir denken kannst, hab ich das auch getan. Ich verließ mein Zimmer und ging die Treppe hinunter, am Innenhof vorbei und auf die große Wiese vor meinem Zimmerfenster. Und tatsächlich stand der Mann noch immer da. Gerade als ich mich gefragt habe, was ich eigentlich hier mache und mich umdrehen wollte, vernahm ich die warme und klare Stimme des Mannes. ‚Hallo, kleine Lady.’, hatte er gesagt. „…Hallo…“ hatte ich mit meiner leisen, zitternden Stimme geantwortet. Ja, leise ist sie…und noch immer zittert sie von all der Trauer und den Schmerz den ich durchmachen musste. ‚Das ist ein schöner Baum, nicht wahr?’ Das Lächeln des Mannes gefiel mir…es war ehrlich. „Ja. Sehr schön. Ich mag diesen Baum.“ ‚Oh, ich auch.’ „Aha?“ ‚Ja…mit diesem Baum habe ich meine erste Liebe getroffen.’ Nun war ich doch interessiert. Gab es tatsächlich noch Jemanden der wusste, was mich bedrückte? Und dann fiel mir dieser tätowierte Punkt in seinem Gesicht auf. „…Ein Knasttattoo?“ fragte ich. ‚Ja.’ Ich setzte mich ins grüne Gras zwischen den Löwenzahn und die grünen, langen Grashalme. Hm…ich schreibe diesen Eintrag ja wie eine Geschichte. Komisch…na ja, was solls. Zurück zum Thema…
Gebannt wartete ich auf die Geschichte die mich nun erwarten würde…
‚Ich war ungefähr in deinem Alter…’ „Wie alt schätzen sie mich denn?“ ‚Du siehst zwar noch sehr jung aus, aber ich schätze dich an die 17.’ Erstaunlich wie er das erraten konnte… „Richtig…“ ‚Ich hab meine erste Liebe hier getroffen. An diesem Baum. Es war auch so ein schöner Tag wie heute und der Baum blühte.’ Ich lauschte ihm. Seine Stimme war angenehm und wie heilender Balsam für mein schmerzendes Herz. ‚…sie und ich trafen uns öfter hier, lernten uns kennen und lieben. Und ich stellte schnell fest, dass sie meine Große Liebe war.’ Ein kurzes Lächeln hatte er mir geschenkt. ‚Wir wollten sogar heiraten. Es war fast wie in einem Märchen. Aber wie in jedem Märchen musste auch bei uns etwas Geschehen.’ Sein Blick wirkte nun traurig und riss mich aus den schweifenden Gedanken hoch. ‚…Eines Abends wollte sie zu einer Freundin. Und als ich sie am nächsten Tag wiedertreffen wollte…’ er hielt inne. ‚Man hatte sie vergewaltigt.’ Ich schluckte. ‚Natürlich kam es zu einem Prozess und wir hofften, dass Schwein würde sitzen. Aber dann hatte man ihn freigesprochen.’ Langsam nahm seine Stimme ein anderes Gefühl an. Hass. ‚Ich kam damit nicht klar. Ich wollte ihn dafür bezahlen lassen, was er meiner großen Liebe angetan hat. Und das hat er.’ Unsere Blicke trafen sich wieder. ‚Ich habe ihm den Schädel eingeschlagen.’ Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter. ‚5 Jahre saß ich dafür und die waren es mir völlig wert.’ „…Und ihre…Liebe?“ ‚Wir sind zusammengeblieben. Die ganze Zeit über. Als ich aus dem Gefängnis zurückkehrte, lebten wir noch eine Weile zusammen.’ „Und dann war Schluss?“ ‚Ja. Unfreiwillig. Auch wenn sie die Vergewaltigung nie wirklich verkraftet hatte, stand sie zu mir und ich zu ihr. Doch während meiner Zeit im Gefängnis ist sie an Krebs erkrankt.’ Dieser…arme Mann. ‚…und zwei Jahre später ist sie gestorben.’ Und nun setzte er wieder sein Lächeln auf. ‚Dieser Dreckskerl von damals sitzt seitdem im Rollstuhl und ist auf Pflege angewiesen. Er hat das Leben meiner großen Liebe zerstört und dafür habe ich seines zerstört. Und ich bereue es nicht.’ Ich wusste nicht, wie mir geschah, bis ich plötzlich merkte, dass mir Tränen die Wangen hinunterkullerten. So stark war seine Liebe gewesen? ‚Kleine, nach ihrem Tod habe ich noch viele weitere Frauen kennengelernt und mit einer bin ich heute verheiratet und habe 2 Kinder. Doch niemals hab ich wieder eine Frau so sehr geliebt wie sie.’ „Das tut mir…so leid.“ Keuchte ich aus. Doch er schüttelte nur den Kopf. ‚Das muss es nicht.’ Als er ein weiteres Mal den Baum anblickte, kam dieses warme Lächeln auf seine Lippen zurück. ‚…Ich möchte dir diesen Baum schenken.’, hatte er mir dann gesagt. „Wie?“ ‚Dieser Baum…er gehört nun dir. Vielleicht hast du ja mehr Glück mit der Liebe, als ich?’ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. So schenkte ich ihm mein erstes ehrliches Lächeln seit Monaten und nickte. „Vielen dank…danke schön.“ ‚Nicht dafür.’ „Werde ich sie wiedersehen?“ ‚Vielleicht.’ Wir verabschiedeten uns und ich ging zurück in unsere neue Wohnung.
Tja, dann habe ich mich hierher gesetzt und dir diese Geschichte hineingeschrieben, Tagebuch. Ich weiß nicht ob ich über die Geschichte des Mannes weinen soll, oder mich freuen soll, dass ich nun einen eigenen „Liebesbaum“ besitze. Jedenfalls freue ich mich ihn bald wieder zu sehen. Ich werde mich glaube ich noch richtig bedanken.
Das wars für heute, liebes Tagebuch.
Ich schreibe dir wieder, wenn es etwas neues gibt.<<


Day 2

>>Liebes Tagebuch,
als ob mein Herz nicht schon genug gelitten hätte. Heute kam ich euphorisch zurück von der Schule und habe mich gefreut ihn vielleicht wiederzusehen, den alten Mann. Seit unserem ersten Treffen vor 3 Tagen hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Jetzt weiß ich auch, wieso.
Schon als ich unten unser Haus betrat, habe ich bemerkt, dass irgendwas nicht stimmt. Und dann sah ich es: Ein Aushang am schwarzen Brett. „In Gedenken an einen guten Ehemann und Vater.“ Stand dort.
Hatte er mir deshalb seinen Baum geschenkt? Weil er wusste, dass er bald sterben würde? Warum ist die Welt nur so grausam und unfair?<< Tränen tropfen auf das dünne Papier, welches sich sicher bald wellen wird. >>Einerseits ist mein Herz traurig. Aber andererseits denke ich, dass es doch ganz gut ist. Vielleicht ist er ja jetzt wieder mit seiner großen Liebe vereint? Ich glaube zwar nicht an Gott. Doch denke ich, dass ein Leben nach dem Tod möglich ist…und Liebe kann unsterblich sein.
Ich wünsche mir wirklich…dass er wieder mit ihr vereint ist.<< Plötzlich lasse ich mein Tagebuch fallen und stehe auf, verlasse die Wohnung und gehe auf die Wiese, stelle mich genau vor den Baum und blicke hoch. Heute ist es nicht so schön. Die Sonne schaut nur manchmal hinter den Wolken hervor und es ist windig. Ich knie mich nieder und pflücke die erste Pusteblume dieser Wiese. Was hatte mal eine gute Freundin meiner Mutter gesagt? Mit Pusteblumen kann man sich was wünschen? Zaghaft schließe ich die Augen und öffne den Mund. Was soll ich mir nur wünschen? Und dann fällt es mir ein. ~Ich wünsche mir, dass es meiner besten Freundin bald wieder besser geht und sowohl sie als auch ich beide bald unsere große Liebe finden.~ mit einem sanften Hauchen meinerseits fliegen die ersten Pollen davon, tanzen im Wind und verschwinden im grünen Gras. Dann stehe ich auf und blicke den Baum wieder an. „…Auch wenn es zu spät kommt. Danke noch mal.“ Flüstere ich und lege meine Lippen auf den Baum bevor ich ihn wieder verlasse und zurück in unsere Wohnung gehe um mein Tagebuch aufzuschlagen. >>Liebes Tagebuch, diese Geschichte sollte mein kleines Geheimnis sein, doch ich finde, die ganze Welt sollte davon wissen. Und vielleicht verstehen die Menschen dann auch, was man alles im Leben verlieren und zerstören kann.<< Ich schließe mein Tagebuch und schließe die Augen. Ich bin…traurig. Wirklich traurig. Doch durch mein Versprechen an meine beste Freundin darf ich nicht weinen. So lasse ich die zwei Tränen die meine Wangen hinunterlaufen einfach sein und blicke aus dem Fenster zu meinem Baum. Ob ich jemanden davon erzählen soll? Oder ob meine Freunde merken, dass mich etwas bedrückt? Wir werden es sehen.


Day 3

>>Liebes Tagebuch,
heute war es wie sonst. Zumindest fast.
Wie jede Nacht wurde ich von Alpträumen geplagt und habe schlecht geschlafen. Als dann heute Morgen mein Wecker klingelte, habe ich ihn einfach ausgemacht und mir gedacht, dass fünf Minuten wohl okay sein können. Hm. Ja. Fünf Minuten. Dann wurde ich doch erst um halb Acht wach. Super…ich brauch doch sowieso fast 20 Minuten bis zur Schule. Dementsprechend kam ich zu spät. Aber das kenne ich ja schon. Jedenfalls…damit nicht genug…heute hat mich wieder keiner gefragt, wie es mir geht. Nichtmal meine beste Freundin. Ich weiß ja, dass es ihr selbst nicht gut geht…aber muss sich denn alles nur um sie drehen? SIE, die große tolle Prinzessin? Ist sie denn echt nur mit mir befreundet, weil ich kein verdammter Ja-sager bin?<< Wuttränen trüben meinen Blick. >>Bedeute ich ihr denn wirklich so wenig? Und wenn ja, warum ist sie dann so sauer, wenn ich mich mit Anderen unterhalte oder treffe? Hab ich „Eigentum“ auf der Stirn stehen? Bin ich etwa ihr gottverdammtes Eigentum, welches nur da ist, um ihr ab und zu eine andere Meinung als ihre zu zeigen? Verflucht!<< und schon wieder ein Blatt, dass sich durch meine Tränen wellen wird. >>Sind vier kleine Worte zu viel verlangt? „Wie geht es dir?“? Ist es zu viel verlangt, mir zu wünschen, dass sie mich auch lieb hat und sich fragt, wie es mir geht? Verdammt…<< Für einen kurzen Moment höre ich auf zu schreiben und wische mir die Tränen weg. >>Anderes Thema…meine Mama befürchtet, dass ich Essstörungen kriege, da ich weiterhin abnehme, obwohl ich wieder viel mehr esse. Ich weiß doch selbst nicht, woran das liegen könnte. Ich würde mir niemals den Finger in den Hals stecken…aber sie hat schon irgendwie recht…es ist mein Wunsch noch schlanker zu werden. Ich habe fast 14 Kilo abgenommen und fühle mich immer noch zu dick. Vielleicht merkt mein Körper das und verbrennt das ganze Fett sofort? Wer weiß…
Jedenfalls ist heute nicht viel mehr passiert. Ich fühle mich nur mal wieder ziemlich missverstanden und…ich weiß nicht. Einfach irgendwie einsam. Aber das ist normal und dieses Gefühl bin ich schon gewöhnt.<< Ich drehe die Musik lauter. Es ist Superchi(k) mit Courage. >>Morgen ist der letzte Schultag…dann haben wir Donnerstag und Freitag frei. Hoffentlich bessert sich meine Stimmung bis dahin.<< und gerade als ich den Stift weglege, erhalte ich die SMS, die mich dazu zwingt, weiterzuschreiben.
>>Liebes Tagebuch, jetzt schreibt SIE mir, dass sie mir nichtmal in Mathe helfen kann. Super. Sie hat ihre letzte Arbeit verhauen und fragt mich allen ernstes, ob ich weiß, wie sie sich jetzt fühlt. Klar, weiß ich das. Ich bin hirntot in Mathe! Aber mal wieder interessiert sie sich nicht dafür, wie es mir geht. Jetzt soll ich sie wahrscheinlich wieder trösten…eigentlich würde ich sagen, sie soll sich an ihre dummen „Ja-sager“ wenden. Die können sie auch trösten, dafür braucht sie mich nicht. Aber was wäre ich für eine Freundin wenn ich mich so mies verhalte…?<< ich seufze. >>Gut, dann werde ich mich jetzt mal um sie kümmern…ich schreibe dann, wenn sich etwas neues ergibt.<< und dann lege ich das Tagebuch weg um mich an den PC zu setzen und versuchen mich um sie zu kümmern. Doch mal wieder klappt es nicht und es endet damit, dass wir uns fast wieder streiten. >>Liebes Tagebuch, es gab fast wieder einen streit...<< fang ich ein weiteres mal an zu schreiben. >>Sie hat mich ENDLICH gefragt, wie es mir geht. Aber erst nachdem sie gelesen hat, was ich höre und wie ich mein Profil aufgebaut habe. Das ist schon traurig...ich dachte, sie würde es auch so merken. Jedenfalls, bin ich nicht sicher, ob ich es ihr sagen soll...<< ich tippe mir mit dem Füller auf die Unterlippe. >>Vielleicht sieht sie es ja als lächerlich an...und dann streiten wir wirklich wieder. Ich will aber keinen Streit mehr.<< ein leises Seufzen. >>Zudem bedrückt mich auch noch das ständige Gezanke mit meiner Mutter...sie gibt mir für fast alles die Schuld. Das ist doch echt nicht mehr fair. Eigentlich hatte ich gehofft, dass dieser Umzug ein Neuanfang wäre...doch stattdessen ist es schlimmer als vorher.<< ich schließe die Augen. >>Ich denke, ich werde jetzt duschen gehen und dann geh ich gleich mal schlafen. Ich bin total müde...hoffentlich erwarten mich diese Nacht keine Alpträume.<< Für heute schließe ich mein Tagebuch endgültig, drücke es kurz an mich und schließe die Augen. Wenigstens habe ich ETWAS in meinem Leben...eine winzige Kleinigkeit und einen Hoffnungsschimmer. Kurz drücke ich meinem Tagebuch einen Kuss auf und lege es weg. "Gute Nacht." flüstere ich und verlasse den Raum.

Fortsetzung folgt.

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Tag der Veröffentlichung: 10.05.2010

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