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Kapitel 1



Der sanfte, beruhigende Gesang der Vögel verbreiteten sich, wie jeden Tag an dem es schönes Wetter war, in dem gemütlichen, schattigen, Wald in North Dayldram, eine Großstadt, nicht weit entfernt vom Forkier River.
Etwas störte die Ruhe im Wald und das sanfte Gezwitscher der Vögel wurde unterbrochen. Die Tiere, die in ihren Nestern und Bauten saßen oder auf dem trockenen, kühlen Boden herumhuschten, von Ast zu Ast hüpften, oder in den Wipfeln der Bäume entspannten, horchten auf, als eine Truppe mit Jugendlichen, angeführt von zwei Erwachsenen über den Waldboden stapften, durch die Bäume hindurch, an den kleinen Bächlein entlang.
Sie lachten, redeten und schwatzten lautstark vor sich hin, ohne jegliche Rücksicht auf die Tiere und dessen Umfeld zu nehmen. Nur einer lief stumm vor sich hin.
Ein Junge, ungefähr 1,68m groß, schulterlange, dunkelbraune Haare, hellblaue Augen und mit traurigem Gesicht. Er trug ein lilanes T-shirt, auf dem ein gezeichneter Koala zu sehen war, der jedoch ziemlich verrückt aussah. Dazu hatte er eine weite Caprihose an, die in einem sanften Beige perfekt zum Waldboden passte. Seine Schuhe waren schwarz-weiß und mit einem neongrünen Schnürsenkel am linken und einem neongelben Schnürsenkel am rechten Schuh zu gebunden.
Außerdem trug er Ohrstecker und einen Lippenpiercing an der Unterlippe auf der linken Seite. Die Truppe der Jugendlichen, denen er hinterher trottete, waren zwischen 16 und 19 Jahre alt. Der Junge mit dem lilanen T-shirt und dem deprimierten Gesichtsausdruck sah zwar aus wie 15, war aber einer der Ältesten. Er würde in drei Monaten 20 werden.
„He, seht mal, der Käfer sieht genau so dumm und depressiv aus wie Andrew!“, lachte einer der Jungs.
Okay, auf dem Papier sind sie zwischen 17 und 19.
Andrew, das war der Junge mit dem lilanen T-shirt. Er gab keinen Mucks von sich und lief einfach still den anderen hinterher. Sich zu wehren hätte es ohnehin nicht gebracht, denn dann würden sie einfach weiter machen. Obwohl… Das taten sie auch so schon.
Stumm lief er also weiter, bis die Klasse endlich, noch immer lachend, schwatzend und albernd, am Grillplatz auf einer großen Lichtung an kam. Es gab einen kleinen Fußballplatz, Bänke und Tische aus massivem Holz und eine große Feuerstelle, an der man super grillen konnte. Andrew wusste eigentlich gar nicht so recht was er hier sollte, schließlich mochte ihn keiner aus der Klasse und er war Vegetarier, warum dann also mit zu einem Grillausflug gehen?
*Stimmt, Anwesenheitspflicht*, erinnerte er sich selbst und suchte sich einen Platz, abseits der Anderen. Andrew war schon immer ziemlich unbeliebt gewesen und hielt sich deswegen stets zurück, sagte kaum ein Wort, war Still, Zurückgezogen und wehren tat er sich erst recht nicht.
Er blieb unter einem großen Baum im Schatten stehen, denn da er eine recht helle Haut hatte, vertrug er keine Sonne. Außerdem hatte er heute Morgen vergessen, sich einzucremen. Mit monotonem Gesichtsausdruck nahm er die Umhängetasche von seiner Schulter und öffnete sie. Eine große Flasche mit Mineralwasser, ein zusammenschiebbares Grillwerkzeug, eine Tupperdose mit Gemüse, ein eingepacktes Brötchen mit Butteraufstrich, ein Block und ein Stift mit Radiergummi. Das war alles was man in seiner Tasche finden konnte. Sein Handy, den MP3 Player und den Geldbeutel hatte er bewusst daheim gelassen, denn sie hätten ganz bestimmt seine Tasche durchwühlt, die Sachen geklaut oder versteckt. Das hatten sie mit seinen letzten drei Handys auch gemacht, die er dummerweise gut sichtbar in seiner Schultasche hatte liegen lassen.
Er nahm das ausziehbare Teil zum Grillen und spießte ein paar Sachen von dem Gemüse drauf. *Ob das Zeug gegrillt schmeckt?*, fragte er sich in Gedanken.
Andrew sah sich um. Die meisten Jungs spielten erst mal eine Runde Fußball, die Mädchen sahen ihnen dabei zu, oder redeten untereinander.
Sein Blick blieb aber nicht lange an den, wirklich hübschen Mädchen hängen, sondern wanderte wieder zu den Jungs…
Ein richtiger Augenschmaus. Aber wenn sie doch nur halb so nett wären wie sie gut aussahen! *Ja, das wär’ toll…*, seufzte Andrew in sich hinein. Er betrachtete die Jungs noch eine Weile und ging dann zur Feuerstelle, die von der Lehrerin gerade zum Brennen gebracht worden war.
Die Anderen mochten Andrew nicht, so viel ist schon klar. Aber warum nicht? Nun, das alles hatte damit begonnen, dass Andrew ständig der Liebling aller Lehrer war. Er war aufmerksam, machte keine Faxen, konzentrierte sich auf den Unterricht, machte alle Hausaufgaben perfekt und schrieb fast nur gute Noten, trotz dass er beinahe den ganzen Nachmittag am Laptop saß.
Ja, das war der erste Grund. Der zweite Grund, war ein viel schwerwiegender. Andrew hatte in der siebten Klasse sein Outing.
Er hatte schon viel früher gemerkt, dass er Männer, beziehungsweise Jungs, einfach viel anziehender und attraktiver fand als Frauen, mit denen er ohnehin nicht viel anfangen konnte. Also hatte er sich ein Herz gefasst und es allen gesagt. Seitdem, hassen sie ihn.
Am Anfang der Realschule war Andrew noch ein sehr heiteres, aufgewecktes und fröhliches Kind gewesen. Doch seitdem das Ganze mit dem Mobbing anfing, ihn jeder beschimpfte und keiner mehr mit ihm befreundet sein wollte, ob nun, weil sie ihn nicht mochten, oder weil sie nicht wollten, dass man sie dann auch mobbte, wurde er immer zurückgezogener und erzählte kaum noch von der Schule.
Wenn er mit blauen Flecken nach Hause kam, erzählte er seinen Eltern und seiner großen Schwester, dass er die Treppe hinunter gefallen wäre, auf dem Schulhof gestolpert sei oder mal wieder beim Sport von den Bällen getroffen worden sei. Andrew war von Grund auf, schon ein sehr tollpatschiger Mensch, deswegen glaubten sie ihm.
Nur seine große Schwester hakte immer zwei Mal nach. Sie hörte ihn oft in seinem Zimmer weinen, doch wenn sie zu ihm gehen wollte um ihn zu trösten, hatte er die Zimmertüre abgeschlossen und sich auf dem Bett zusammengerollt.
Irgendwann begann er dann schließlich, im Internet zu surfen. Er war absolut begeistert davon, dass man im Internet und den Communitys so schnell neue Bekanntschaften schließen konnte. Leider hatte er nur gute Freunde gefunden, die sehr weit on ihm entfernt wohnten, so schrieben sie also nur übers Internet oder telefonierten auch manchmal, was allerdings nur selten vor kam, da er am Telefon einfach viel ruhiger war.
Klar gab es auch im Internet Menschen, die ihn nicht mochten, weil er offen zugab, schwul zu sein, doch die konnte er dann einfach auf die Ignorier-Liste setzen und sie nervten ihn nicht mehr.
Wenn das im echten Leben doch auch nur so ginge!
„Na Andrew, möchtest du keine Wurst essen?“, fragte die freundliche Lehrerin und lächelte Andrew mit ihrem freundlichen Lächeln an. Andrew schüttelte nur den Kopf.
Die Lehrerin hieß Mrs. Key und war die Klassenlehrerin der zwölf a. Sie unterrichtete Englisch, Mathe und Kunst. Sie war freundlich, lustig, aber auch streng und ehrgeizig. Sie lief meistens auf hohen Schuhen umher, hatte langes, braunes Haar und große, braune Rehaugen. Eigentlich viel zu hübsch für eine Lehrerin.
„Ach, ja. Ganz vergessen, du isst ja nur vegetarisch“, lachte sie leise, doch es war ein eher peinlich berührtes Lachen. Sie mochte es nicht, dass sie ständig Dinge vergas. Naja, egal.
Andrew hielt sein Essen über das Feuer und wartete ein bisschen.
Der Junge, der den Käfer entdeckt hatte, stand nun neben ihm und grinste ihn hämisch an. Auch er hielt etwas ins Feuer, was aber ganz nach einem Steak aussah. Andrews Magen drehte sich um. *Igitt…* An dem rohen Fleisch tropfte sogar noch etwas Blut hinunter. Andrew wandte den Blick ab, denn was er am allerwenigsten leiden konnte, war Blut und dessen Geruch.
„Na, magst wohl kein Fleisch, Schätzchen“, lachte der Junge. Er war der best aussehende und talentierteste der ganzen Klasse, wenn nicht schon der ganzen Schule. Er hatte fast jede Woche eine andere Freundin. Die Armen Mädchen fielen doch immer wieder auf ihn herein…
Er hatte etwas kürzere Haare als Andrew, die blond, beige und dunkelbraun gefärbt waren und ihm perfekt schräg ins Gesicht hingen. Seine Augen waren Karamell golden und seine Wangenknochen hoben sich ganz leicht hervor. Ja, er war ein Model.
Andrew hatte ihn schon in etlichen Zeitschriften und Werbespots gesehen. Wäre er nicht so ein unglaubliches Arschloch, dann würde Andrew sich wahrscheinlich sofort in ihn verlieben. Marvin hieß er. Er hatte Muskeln und einen leichten Sixpack-ansatz. Andrew mochte keine Muskelprotze, aber bei Marvin waren sie perfekt aufeinander abgestimmt und passten super zu seinem Kleidungsstiel und seinem leicht gebräunten Teint. Er trug eine weiße Caprihose, ein schwarzes T-shirt und Flip-flops.
Marvin sah Andrew in die Augen und ließ seinen Charme spielen, sodass Andrew einen Moment nicht aufpasste. Wupps, landete sein Mittagessen in der Kohle. Marvin lachte ihn aus und Andrew sah ein wenig traurig zu dem Gemüse, welches nun in Asche lag. „…“, wieder sagte er nichts, sondern zog sich einfach wieder zu seiner Tasche zurück. Mit knurrendem Magen setzte er sich auf den frisch gemähten Rasen und zog das Butterbrötchen heraus. *Na, wenigstens etwas.*
Er beobachtete Marvin eine Weile, der sich immer noch grinsend darüber freute, dass Andrew mal wieder den kürzeren gezogen hatte.
Ein wenig frustriert schluckte er den Rest des Brötchens und legte sich dann auf das Gras. Er legte die Hände hinter den Kopf und atmete lange aus und betrachtete die kleinen Wölkchen am Himmel, die mit Hilfe der sanften Sommerbrise, die durch den Wald zog, vorbei flogen. Wie gerne wäre er doch auch eine dieser Wolken gewesen. Dann wäre er frei und könnte sich vom Wind tragen lassen, einfach unbesorgt und über allen Köpfen hinweg. Dann könnten sie ihn nicht mehr fertig machen und piesaken, ihn verhauen oder Treppen hinunter schubsen. Denn dann wäre er viel zu weit weg, als dass sie ihn hätten mit ihren Stimmen und Händen und Füßen erreichen können.
*Dann wäre ich frei*
Er suchte nach Bildern in den Wolken. Zum Glück hatte er eine ausgeprägte Fantasie, was solche Dinge anging. Im Internet schrieb er nicht nur mit anderen Leuten was er so tat und wie es ihm ging.
Da gab es noch ein anderes Hobby, was ihn dazu brachte, so viel Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen.
Rollenspiele.
In Rollenspielen konnte er endlich sein was er wollte. Groß, stark, mutig, beliebt und vor allem, glücklich. Glücklich vergeben. Anfangs bestanden die Geschichten, die er mit einer Freundin aus dem Internet schrieb, meist nur aus kennen lernen der Charaktere, die sie vorher erfunden und mit Worten beschrieben hatten. Name, Alter, Größe, Aussehen, Besonderheiten, Charakter und Vergangenheit.
Meist waren es zwei Jungs die sich kennen lernten, sich anfreundeten, viel miteinander erlebten und dann manchmal früh, manchmal aber auch schon später, zusammen kamen. Es war immer aufregend und oft ging es ihm sogar sehr nahe.
Denn manchmal spielte er nicht irgendeinen Charakter, sondern einen, der ihm selbst ähnelte. Dann war es erst recht schlimm und oft brachte es ihn sogar zum Weinen, denn er saß dann dort und schrieb die herzzerreißendsten Geschichten des Universums und ihm wurde auf einmal klar, dass es ihm doch im Grunde genommen genau so beschissen ging. Nur, dass es im Leben kein Happy End gibt.
Oder doch?

Kapitel 2



Seit knapp einer Stunde lag Andrew auf dem Gras, die Hände hinter dem Kopf und mit der Zeit waren ihm die Augen zu gefallen. Er bekam nie viel schlaf, weswegen er bei jeder Gelegenheit, bei der er nicht am Laptop saß oder in der Schule aufpassen musste, einfach einschlief.
Er träumte von seiner großen Schwester, die ihn einmal mit blutigen, aufgerissenen Händen und Prellungen am Oberschenkel und am Bauch, daheim in der Tür auffing.
Andrew hatte damals erst zwei Wochen davor preis gegeben, dass er Homosexuell war und damit wollten sie ihm die „Krankheit“ wahrscheinlich austreiben…
Er war nach Hause gehumpelt um dann schließlich in Annabelles Armen zusammen zu brechen. Was er ihr damals erzählt hatte, war der größte Fehler den er je begangen hatte. Er hatte ihr nämlich erzählt, Marvin und er hätten sich zerstritten und gerauft.
Daraufhin zeigte Annabelle Marvins Eltern an und seine Freundschaft zwischen Marvin und Andrew war zu nichte gemacht worden. Nur wegen einer dummen, gelogenen Ausrede!
Ja, Andrew und Marvin waren einst die allerbesten Freunde. Sie kannten sich seit dem Kindergarten. Obwohl Marvin ein Jahr jünger war, war er immer größer als Andrew und deshalb sein Beschützer. Er hätte ihn niemals geschlagen, denn er kann andere so mit Worten quälen, dass sie sich am liebsten selbst verletzen würden.
Marvin war immer ein super Freund, er hatte Andrew verteidigt, wenn dieser völlig aufgelöst da saß und einfach nicht mehr weiter konnte.
Jetzt aber, nur wegen einer dummen Ausrede, war Marvin derjenige, der Andrew beleidigt, piesakt und ihn zum Weinen bringt.
Er bringt ihn also zum Weinen… Aber gesehen hatte er dies noch nie. Andrew konnte immer vorher abhauen, bevor er anfing zu Weinen.
Denn das war das schlimmste. Schwäche zeigen…
Auch wenn er meist ziemlich schwach war. Er verkroch sich dann lieber in seiner Onlinewelt und schrieb mit seiner Freundin Geschichten.
Man könnte sagen, sein ganzes Leben spielt sich nur noch im Internet ab, der Rest, der ganze, unbedeutende Rest, flimmert im Hintergrund und wird nur dann ab und zu scharf, wenn er wieder von Fäusten und Schuhen getroffen wird, oder den Steinstufen der Schule zu nahe kommt.
„Was’n Schuss!“, rief einer der Jungs und Andrew öffnete langsam die Augen. „ouch…“, er rieb sich den Oberschenkel und setzte sich auf. Nach solchen Träumen hatte er immer Schmerzen…
Er sah zu den Jungs herüber und betrachtete sie. Die meisten spielten nun ohne Oberteil, da das einfach zu warm und zu anstrengend war. Andrew schluckte schwer und biss sich auf die Lippe. *Verdammt…Warum müssen wir auch so ne gutaussehende Klasse haben…*, fluchte er leise in sich hinein.
*Naja… bald haben die mich los. Dann geh ich studieren…Hoffentlich sind die dort nicht so intolerant. * Er griff nach seiner Tasche und zog die Wasserflasche heraus. Langsam, den Blick wieder auf die Fußballspielenden Jungs heftend, öffnete er die Flasche und trank ein paar Schluck, um später nicht von der Hitze umzukippen. Er packte die Flasche wieder weg und stand auf. *Ob ich den Bach finde?* Mit einem letzten traurigen Blick in Richtung Fußballspiel, verzog er sich so unbemerkt wie nur möglich in den Wald.
Leise vor sich hinsummend lief er zwischen den hohen, Schatten spendenden Bäumen hindurch und sah sich nach einem Bach um. Da er aber weit und breit keinen Bach sehen konnte, blieb er irgendwann stehen und schloss die Augen. Er konzentrierte sich auf seine Ohren.
Tatsächlich konnte er in der Stille des lebhaften Waldes, das Plätschern eines kleinen Bächleins ausfindig machen. Er drehte sich einmal im Kreis und blieb dann in der Richtung stehen, aus der das Plätschern kam.
Langsam bewegte er wieder seine Füße und öffnete die Augen, ließ seine Ohren aber noch immer nach dem Bach suchen.
*Na endlich* Zufrieden, dass er den Bach aus eigener Kraft gefunden hatte, setzte er sich an sein Ufer. Er war in Kies gelegt und schlängelte sich durch den schattigen, kühlen Wald. Andrew zog seine Schuhe und die Socken aus und legte die Füße ins Wasser.
Er ließ sich wieder auf den Rücken fallen, schloss die Augen erneut und lauschte nun dem Bach, den Vögeln und dem Rascheln, das die kleinen Tierchen verursachten, wenn sie durch die Büsche und Gräser huschten. Hier war es so friedlich…
Das kühle Wasser an den Füßen tat gut und er konnte endlich mal richtig entspannen. Er bemerkte nicht, dass er einschlief. Er bemerkte auch nicht wie lange er schlief, oder dass es nach einer Stunde zu regnen begann…
Die Klasse hatte begonnen nach ihm zu suchen und man konnte ihre Rufe durch den ganzen Wald hören. Andrew jedoch, schlief einfach weiter.
„Andrew! Verdammt… Da bist du ja!“, eine ihm nur zu bekannte stimme näherte sich. Jemand kniete sich neben ihn und strich ihm die nassen Haare aus der Stirn. „Du bist ja ganz durchgefroren…“, die Stimme klang besorgt und jemand nahm Andrew auf die Arme. Aber wer war das nur?
„Du hast echt das Talent dich in Schwierigkeiten zu begeben…“, seufzte der Junge, es war eindeutlich eine männliche stimme, der ihn auf die Arme genommen hatte. Andrew jedoch, bekam von all dem nichts mit.
Er spürte nur, wie er leicht auf und ab schaukelte, da er zurück zu den Anderen getragen wurde.

Langsam öffnete er die Augen. Seine Sicht war noch vollkommen vernebelt und er wusste nicht was los war. Sein Kopf dröhnte und in ihm befand sich eine sehr unangenehme Hitze. Schwer atmend starrte er an die Decke seines Zimmers. Langsam klarte sich seine Sicht und er konnte das Poster entdecken, dass er einst über seinem Bett aufgehängt hatte. *Was ist passiert?*, er hatte völlig vergessen was eigentlich vorgefallen war. Er drehte den Kopf leicht zur Seite und sah sich in seinem Zimmer um.
Es war nicht sonderlich groß, ein ganz normales Jugendzimmer. Links von ihm, an der Wand, an dem sein riesiges Bett stand, befand sich ein großes Regal mit unendlich vielen CDs und daneben die Tür zum Flur. An der Wand, die daran angrenzte, stand eine Stehlampe und ein großer Eckschreibtisch auf dem einige Stapel Papier, Ordner und sonstiges Zeug lag. In der Mitte des Schreibtisches war sein ein und alles. Ein sehr teurer, grasgrüner Laptop, angeschlossen an zwei Leistungsstarke Boxen, einen zweiten, viel größeren Bildschirm und ein Grafiktablett. Davor stand der gemütlichste Bürostuhl der Welt, in einem flauschigen Rot.
An der Wand gegenüber von ihm, prangte eine moderne Musikanlage mit MP3 Anschluss und ebenfalls zwei großen Boxen. Daneben stand eine große Kommode, die in einem sanften, milchigen Gelb gestrichen war. Darüber hing ein riesiger Spiegel. Auf der Kommode waren allerlei Zeug; Haarbürsten, Cremes, Duschgel, Haarwachs, Haarspray und sogar mehrere Hände voll mit Schminkzeugs. An den Ecken des Spiegels hingen Ketten und in einer kleinen Truhe waren seine Piercings, Ohrringe und anderer Schmuck verstaut. Seine Schwester nannte diese Ecke, den Traum eines jeden Mädchens.
Andrews Vater hatte so seine Probleme damit, dass Andrew sich schminkte, denn er hatte zwar nichts dagegen, dass sein Sohn schwul war, aber das mit dem Schminken fand er zu übertrieben.
An der Wand mit dem Schminkparadies, war die vierte und letzte Wand zu sehen. Hier stand eine Staffelei und auf einem kleinen Tisch waren hunderte Farbtuben zu sehen, die kreuz und quer darauf herum lagen. Daneben stand Andrews Bett in der Ecke des Zimmers.
*Ich bin daheim…?* hinter ihm schien durch ein riesiges, lang gezogenes Fenster die Sonne ins Zimmer. Das konnte nur bedeuten, dass es Morgen war, denn sein Zimmer wurde von dieser Seite nur morgens beleuchtet. Er hob den pochenden Kopf, ließ ihn aber sofort wieder ins Kissen fallen. Ihm war richtig schlecht und alles drehte sich ein bisschen.
Die Farben des Zimmers verliefen immer wieder ineinander und verfestigten sich dann wieder, was seiner Übelkeit jedoch nicht sehr half.
Ihm war immer noch unerträglich heiß und er spürte, wie der Schweiß ihm über die Stirn lief. Er wollte nach seiner Mum rufen, doch als er den Mund öffnete, bekam er kein einziges Wort heraus. Sein Hals brannte und juckte wie verrückt.
Irgendwann gab er es auf und wollte sich wieder aufsetzen, doch genau in diesem Moment ging die Türe zu seinem Zimmer langsam auf. Ein Kopf mit blond-braunen Haaren schob sich durch den Türschlitz und Marvins Modelgesicht lugte zu Andrew hinüber, der zitternd und schwitzend in seinem Bett lag. „…?!“, Andrew hätte am liebsten geschriehen er solle sich sofort vom Acker machen und nicht in sein Zimmer kommen, doch wieder bekam er keinen Ton raus. „huhu…“, Marvin öffnete die Tür noch ein Stück und schob sich dann ganz ins Zimmer herein. „…wie geht’s dir denn so?“, er ging langsam auf Andrews Bett zu und ging daneben in die Hocke. Andrew sah ihn verwirrt und wütend zugleich an. *Scheiße geht’s mir, sieht man das denn nicht?!*, schrie er ihn in Gedanken an. Marvins Blick war merkwürdig… als würde er sich schuldig fühlen… Aber… Schuldig weswegen?
Andrew mochte diesen Blick nicht…
„Willst wohl nicht mit mir reden…“, seufzte er leise. *Verdammt was spielt der hier?? Warum ist er auf einmal so nett? Und warum in Gottes Namen legt er wert darauf, wie es mir geht oder dass ich mit ihm rede?*, Andrew verstand die Welt nicht mehr.
Marvin hob die Hand und Andrew drehte den Kopf weg. „He, ich tu dir doch nix!“ *Jaja, sagst du jetzt, und dann willst du mich erwürgen oder sonst was! Arschloch!* Andrew kniff die Augen zusammen, den Kopf noch immer von Marvin weg gedreht.
Als er spürte, wie Marvin ihm ein paar Haarsträhnen, die völlig am falschen Platz lagen, aus dem Gesicht strich, lief er rot an und sein Herz begann zu rasen. *Geh weg…bitte…ich will nicht…*
Andrew hatte Angst davor, sich in jemanden zu verlieben, erst recht in Marvin. Er drehte sich auf den Bauch und vergrub den Kopf im Kissen. „hm..“, er konnte hören wie Marvin seufzend aufstand und etwas auf seinen Nachttisch legte. „Ich hoffe du redest mit mir, ich bring dir heute Nachmittag die Hausaufgaben…“
Klack.
Die Tür war zu, Marvin war gegangen und Andrew begann leise zu schluchzen. *Was will er von mir? Mir Hoffnungen machen und sie dann zerstören?!* Er fühlte sich hintergangen, verarscht, im Regen stehen gelassen.
*Scheiß Gefühle verdammt…*

Gegen Mittag brachte ihm seine Schwester das Mittagessen und half ihm, sich aufzusetzen. „Na mein Großer, wie geht’s dir?“, fragte sie lächelnd. Die hatte langes, blondes Haar, ein unglaublich bezauberndes Lächeln, grüne Augen und eine sehr, sehr weibliche Figur. Vielleicht war er ja deswegen schwul. Früher hatte sie ihn immer mit ihren zwei Argumenten beinahe erstickt…
„…“, Andrew bekam noch immer keinen Ton heraus. *Mir geht’s verdammt beschissen…*, mittlerweile konnte er ganz gut zuordnen, was er alles für Krankheiten in sich stecken hatte.
Erst mal hatte er Fieber, dann dazu noch eine kräftige Krippe und wahrscheinlich eine starke Entzündung im Hals. Magenbeschwerden kamen auch noch dazu, aber das gehörte ja meistens zur Grippe. Oder nicht?
Was allerdings sein Herz betraf, das ununterbrochen raste, dafür hatte er keine Begründung.
Mit einem heißen Teller Suppe, einem Tee und Zwieback startete er sein Mittagessen.
Annabelle blieb die ganze Zeit bei ihm und redete auf ihn ein, was er jedoch dankend abgelehnt hätte. Er hatte lieber seine Ruhe und das ständige geplapper über Annis neuen Freund und was sie alles schon gemacht und getrieben haben ging ihm allmählich auf den Keks. *erzähl mir doch lieber was mit MIR passiert ist!!!*, schrie er in Gedanken.
Mit genervtem Blick beendete er seine Mahlzeit und starrte auf den leeren Teller vor sich. Dann fiel ihm etwas ein. Er griff nach seinem Handy, das er gestern vor dem Ausflug auf den Nachttisch gelegt hatte und schrieb eine sms. Annis Handy klingelte. „huch?“, sie wurde bei einem ellenlangen Vortrag unterbrochen, bei dem es darum ging, wie wichtig es doch sei, beim Sex Kondome zu benutzen, selbst wenn man schwul war.
Andrew hingen diese Vorträge schon zum Hals raus, denn er wusste selbst dass das wichtig war und außerdem bekam er diesen Vortrag von seiner Mutter jedes Wochenende, wenn er in irgendwelche Clubs ging.
Andrew war nicht der Typ für one-night-stands. Er wollte eine Beziehung und am liebsten eine, die nicht nur aus Sex bestand. Er wollte einfach jemandem, dem er sein Herz schenken konnte, jemand der es auch wirklich gut aufbewahrte… Jemand der ihn einfach mal in den Arm nahm wenn er am Boden war, jemand der ihm half, wieder auf zu stehen.
Er wollte jemanden, der ihn verstand…
Klar hatte er schon den ein oder anderen Freund, aber es stellte sich meistens heraus, dass die einfach alle nichts in der Birne hatten und nur aufs Ficken aus waren. Seine Beziehungen hielten, leider Gottes, nicht länger als zwei Wochen.
Letztendlich hatte er es ganz aufgegeben nach dem Richtigen zu suchen…
Annabelle lachte leise und steckte ihr Handy weg. „Du willst also wissen was passiert ist?“, fragte sie grinsend. *JA VERDAMMT!*
„Na also, du warst ja auf diesem Ausflug da… Und dann bist du anscheinend weggelaufen. Und später, als alle das bemerkt hatten, haben sie dich gesucht. Du lagst völlig durchgefroren an einem Bach. Und dank des Regens liegst du jetzt mit Grippe und Halsentzündung im Bettchen“, kicherte sie.
Was war denn daran so lustig?
Ihr hämisches Grinsen verhieß nichts Gutes. „Bist du eigentlich noch mit Marvin befreundet?“, fragte sie schmunzelnd und hob eine Augenbraue. Andrew schüttelte den Kopf und seine Miene verfinsterte sich. „Ach? Nicht? Er war echt unglaublich süß, er hat sich richtig um dich gekümmert!“, kicherte Anni.
Andrew hob eine Augenbraue und sah sie ungläubig an. *Was hat sie bitte dieses Mal geraucht?*, fragte er sich selbst.
„Glaubst du mir nicht?“, fragte sie grinsend und schüttelte den Kopf. Sie stand auf, nahm das Tablett und ging zur Türe. „Sag mir bescheid wenn du sein Geschenk geöffnet hast“, trällerte sie und ging. *Geschenk?* Andrews Blick wanderte zu seinem Nachttisch, auf dem ein kleines, rundes Ding lag, das in Geschenkpapier eingepackt war. „…?“ Er griff langsam danach und sah sich das Geschenk von allen Seiten her an. *Eine Zeitbombe vielleicht? Oder wenn ich den Decken auf mach? Vielleicht kommt mir ja irgendwas entgegen. Ne Faust? Was hat er denn vor?*, trotz des großen Misstrauens, war seine Neugierde noch größer und schließlich zog er die blaue Schleife von dem rosanen Papier ab. *Die Farbe gefällt mir…* Er löste vorsichtig das Geschenkpapier ab und legte es zur Seite. Nun hatte er eine silberne, glitzernde, runde Dose in der Hand. *Was will er damit bezwecken?*
Ganz, ganz langsam und vorsichtig nahm er den Deckel vom Unterteil und starrte erst mal auf Watte. *Sehr witzig, wirklich…*
Er hob die Watte ein stück an, nahm sie aber noch nicht weg. *Vielleicht eine Stinkbombe? Damit ich auch ja nicht zur schule komme…* Er schloss die Augen und nahm schlielich auch die Watte weg. Er wartete. Doch nichts passierte. Kein Gestank, keine Explosion, keine Faust, die ihn ins Gesicht traf. Langsam öffnete er ein Auge einen Spalt breit und schielte zu dem Döschen hinab. Sein Herz machte einen Hüpfer, als er eine silberne Kette darin vorfand. Er nahm sie vorsichtig heraus, noch immer in der Angst, irgendwas würde ihm gleich ins Gesicht hüpfen.
Er betrachtete die Kette von allen Seiten und legte dann den Anhänger, der daran befestigt war, auf seine offene Hand. Es war ein Sternchen. Genau wie das, was er auf der Hüfte tätowiert hatte. Irgendwas war darin eingraviert, aber ohne seine Brille konnte er das nicht lesen. Er beugte sich ein Stück über den Bettrand und zog eine der Schubladen seines Nachttisches auf. Er nahm seine schlichte Lesebrille heraus und setzte sich auf. Nun war das ganze schon ein wenig schärfer. *….Gute Besserung…* Andrew schluckte schwer und setzte sofort die Brille wieder ab, denn ihm kamen die Tränen. *Verdammt, Marvin, was willst du denn von mir?! Sol ich vor dir auf die Knie fallen oder was??* er warf die kleine Schachtel, in der die Kette war durchs Zimmer und rollte sich leise schluchzend auf dem Bett zusammen. Die kette hielt er fest in der Hand, und drückte seine, darum geschlossene Faust, an sein Herz. *Jeder, wirklich jeder will mir das Leben schwer machen!*


Kapitel 3


Andrew lag noch eine ganze Weile lang stumm weinend in seinem Bett, was ihm momentan auch lieber war. Er hatte absolut keine Lust darauf, von seiner Schwester ausgequetscht zu werden, denn sie würde ohnehin früher oder später herausfinden was in Andrew gerade vorging. Es war schrecklich. Diese Ungewissheit, warum Marvin sich plötzlich so verhielt, er war so freundlich zu ihm und hatte ihm sogar diese verdammt schöne Kette mitgebracht. Ob er das mit dem Sterntattoo wusste?
Was wusste er überhaupt schon alles über Andrew?
Und was in Gottes Namen hatte er vor?
Viel zu viele Fragen, auf die es keinerlei Antwort gab… Noch nicht.
Gegen halb zwölf öffnete sich die Tür und Andrews große Schwester Annabelle kam wieder ins Zimmer. Andrew hatte sich unter seiner Decke zusammengerollt und wollte nichts mehr von der Welt und was in ihr vorging wissen. Etwas Schweres wurde auf dem Nachttisch abgestellt und Annie setzte sich an Andrews Bettkante. „Hey mein Großer“, kicherte sie, doch Andrew regte sich nicht. „Was ist los?“, ihre Stimme wurde plötzlich besorgt. Andrew schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander, um nicht laut zu schluchzen.
„Hey…sag mal…weinst du?“, so vorsichtig war Annabelles Stimme schon lang nicht mehr gewesen. Wieder schüttelte Andrew den Kopf.
Annie seufzte traurig und strich Andrew über den Kopf. „Naja…Wenn ich irgendwas für dich tun kann, sag bescheid.“, murmelte sie leise und erhob sich. Andrew deutete zielgenau hinter sich, auf seinen grasgrünen Laptop. „oh je du Suchtbolzen…Na gut.“, widerwillig nahm sie den geschlossenen Laptop vom Netzkabel und legte ihn neben Andrew. „Leg dich nicht drauf“, seufzte sie und ging dann.
Andrew hob den Kopf, setzte sich auf und nahm den Laptop auf den Schoß. Er strich mit einer Hand über die Oberfläche und öffnete ihn dann. Als er ihn hochfuhr, fiel ihm etwas ein.
*Verdammt. Ich hab Layla nicht bescheid gesagt dass ich gestern nicht mehr online war!...Aber wie hätte ich ihr es auch sagen können? Ich war doch k.o.! Oder?*
Er sah auf die Uhrzeit und fuhr mit der Maus darüber. *Ja, ich war einen ganzen Tag nicht online.* Das war neuer Rekord. Selbst wenn er nicht an den Laptop konnte, ging er mindestens ein Mal am Tag ins Internet. Und wenn auch dafür sein Handy herhalten muss.
Andrew seufzte leise und starrte einige Augenblicke wie gebannt auf das Hintergrundbild. Darauf war Andrews Lieblingssänger zu sehen. Adam Lambert, der selbst schwul war. Er hatte ihn schon immer bewundert… Er ging so leicht damit um! Aber klar, Promis die schwul sind, das ist ja supertoll. Aber normale Menschen die ebenfalls schwul sind, denen muss man die „Krankheit“ austreiben, nicht wahr?
Es war eines der bekanntesten Bilder, die es von Adam Lambert gab, nämlich das, bei dem er vor dem Spiegel stand und sich schminkte. Mit einem ganz leisen Seufzer öffnete Andrew den Internetbrowser. Als Startseite hatte er natürlich die Community eingestellt, bei der er seine Rollenspiele schrieb. Er wurde automatisch eingeloggt und sah ein wenig enttäuscht auf die Anzahl der Nachrichten, Emails, Fotokommentare, Gästebucheinträge, Blogkommentare oder Freundesanfragen. Nachrichten hatte er eine, wahrscheinlich von Layla. Emails hatte er keine und abgesehen von einem Blogkommentar hatte er auch sonst nichts bekommen. *Schade*, seufzte er in Gedanken.
Er klickte auf die neue Nachricht und las sie sich durch. War ja klar, sie fragte, was los war und warum Andrew nicht auf dem Handy erreichbar war. Andrew konnte sich gut vorstellen dass sie ein wenig enttäuscht war, dass er sich nicht gemeldet hatte.
Er schrieb ihr was passiert war. Und fügte hinzu, dass er die nächsten Tage wohl nicht telefonieren könnte. Er schickte die Nachricht ab und fuhr dann mit der Maus über die angezeigten Kommentare seines Blogs.
Er klickte darauf und las sich den Kommentar durch. Der Blogeintrag bestand lediglich aus vier Wörtern, die er mit der größten Schriftgröße geschrieben hatte, die es gab. „Ja, ich bin schwul“, stand dort. Tausende Kommentare gab es dazu. Gute, wie Schlechte und vollkommen Neutrale. Dieser war eindeutig ein schlechter Kommentar. Andrew löschte ihn, genervt von so viel Inakzeptanz und Intoleranz und warf den Typen, der das geschrieben hatte, in die Ignorier-Liste.
Zufrieden sah er schließlich auf die Ereignis-Spalte und sah das vertraute Bild. Von zehn Ereignissen hießen neun etwa folgendes: „ Little-L – 17 – Gestern 15:37 Uhr- Antwort auf Clan-Forenbeitrag“
Das mit dem „Clan-Forenbeitrag“, war als Link gekennzeichnet und führte Andrew zu Laylas Antwort. Er öffnete die Seite und sah sich an, was sie geschrieben hatte. Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht und er schrieb zurück.
In dem Rollenspiel, das sie gerade spielten, ging es um zwei Jungs. Einer, der offen schwul war und ständig von irgendwelchen Typen in die Mangel genommen wurde, dazu noch ab und zu Drogen nahm und einen Herzfehler hatte. Man brauchte ja schließlich reichlich Stoff für eine Interessante Story. Dieser Charakter, gehörte Andrew. Laylas Charakter, war eine Moralapostel, die magische Kräfte hatte und ständig von irgendwelchen magischen Viechern angegriffen wurde.
Es war also ganz lustig.
Zufrieden mit seiner Antwort, suchte er noch kurz nach einem passenden Bild, musste aber enttäuscht fest stellen, dass es kein passendes gab. Also schickte er den Beitrag einfach so ab und starrte dann auf den Bildschirm.
*Mal sehen was mein Devi Account so macht.*
Er öffnete einen neuen Tab und musste nur auf das >D< seiner Tastatur drücken, schon tauchte in der Leise der Link für deviantart.com auf. Er loggte sich ein und lächelte wieder, als er die vielen Kommentare sah. Er war wirklich ein sehr guter Zeichner, meistens zeichnete er Boys Love, manchmal aber auch Yaoi. Den Leuten auf Deviantart gefiel Andrews Kunst und er freute sich immer über Kommentare.
Als er sich dann schließlich auch den allerletzten Kommentar durchgelesen und beantwortet hatte, lehnte er sich seufzend zurück. Er drehte den Kopf nach links und entdeckte ein Tablett auf seinem Nachttisch. Darauf stand sein Lieblingsessen. Warme Kaiserscharren mit viel Puderzucker.
Er hätte ja jetzt gerne „Danke“ durch die Wohnung geschriehen, doch leider bekam er noch immer kein Ton heraus.
Also legte er den Laptop neben sich aufs Bett und krallte sich das Tablett. Das leckere Mittagessen war schnell verschlungen und mit vollem Magen schob er as Tablett wieder auf den Nachttisch. Er linste zu seinem Laptop und nahm ihn wieder auf den Schoß. Seufzend klickte er wieder auf die Community und seine Miene wurde misstrauisch.
>Freundesanfragen: 1<
Er klickte auf die >1< und gelangte zu den Freundesanfragen, um sich die Begründung durch zu lesen. >Hey schnucki, nimm doch mal an bitte, bin neu hier und suche nette Kontakte zum schreiben. Hab auch deine Bilder in DA gesehen. Die sind echt super! LG EyesOfSadow<
Stand darin geschrieben. Andrew wusste nicht recht was er machen sollte. Er hielt es für das Beste, sich erst mal das Profil von EyesOfShadow anzusehen.
*18…männlich…schlank…Einfühlsam…super Tröster…bla,bla…Mein Wunschpartner? …oh…* Andrew hatte sich die Kontaktanzeige durchgelesen und schmunzelte leicht. Als wäre sie auf ihn zugeschnitten. *Ob er mich kennt? Oder ist das nur Zufall?* Schulterzuckend huschte er wieder zu den Freundesanfragen und nahm an.
*Schade…Nicht online.*, seufzte er in Gedanken. Er sah sich noch eine Weile lang das Profil des komischen, aber jetzt schon sympathischen Typen an, konnte aber kein einziges Bild von ihm finden. Andrew beschloss, was er eigentlich nie als erstes tat, ihm eine Nachricht zu schreiben.
>Hey du. Du suchst also nen Freund, der dich so akzeptiert wie du bist? Dann würde ich doch gerne wissen, was an dir so Inakzeptabel sein sollte? Stell doch auch mal ein Bild rein, damit ich weiß wer mich da angeflirtet hat ;) Kapitel 4


Am nächsten Tag erwachte Andrew im Krankenhaus. Er starrte mit weit geöffneten Augen an das sterile Weiß über sich und versuchte das Ganz erst einmal zu realisieren. Es dauerte eine Weile bis er begriff, was wirklich passiert war. Er hob den Kopf leicht an und ließ seinen müden Blick durch das langweilige Zimmer schweifen. Er seufzte leise, denn er war völlig alleine im Zimmer und außer einer Stubenfliege, die immer wieder gegen das geschlossene Fenster flog, hatte er keinerlei Besucher. *…* Er trommelte mit den Fingerkuppen auf der Bettdecke und schloss die Augen wieder. Halt mal. Etwas hatte das triste grau-weiß gemischt des Zimmers gestört.
Er öffnete die Augen wieder und lugte neben sich. Auf einem Tisch stand ein großer Blumenstrauß mit pinken Rosen. Andrew lächelte ein wenig kläglich.
Erst jetzt spürte er wir schlecht er sich eigentlich fühlte und das Gefühl, alleine im Regen zu stehen, vergrößerte sich. Er fühlte sich schrecklich einsam und schwach.

Andrew wusste nicht wie viel Uhr es war, ob es Morgen, Mittag oder Abend war, oder ob er überhaupt wach war. Er konnte den Verlauf der Zeit nicht richtig einschätzen und starrte die ganze Zeit über die pinken Rosen an. *Das muss teuer gewesen sein…Wer sie mir wohl geschenkt hat?* Er sah zu dem kleinen Tischchen und öffnete eine Schublade. Super, sein Handy!
Er nahm es heraus und schrieb eine lange SMS an Layla, dass er im Krankenhaus lag und hoffentlich bald wieder zurück nach Hause durfte. Kurz darauf antwortete sie etwa folgendes: >>Das ist ja echt schrecklich. Ich hätte das nicht die ganze Nacht durchgehalten, ich glaube ich wäre sofort zusammen geklappt. Schade dass du nicht online kommen kannst. Ich wünsch dir guuute Besserung! Werd bitte, bitte ganz schnell wieder gesund, ich mach mir sorgen. Hdl. Layla<<
Seufzend legte er das Handy wieder weg und sah zu dem Straus. Er war wirklich komplett ratlos, von wem der sein könnte.

Nach hunderten Jahren des Wartens, so kam es Andrew vor, öffnete sch endlich die Türe. Eine Schwester kam herein, sie hatte blondes Haar, welches zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden war, blaue Augen und einen durchschnittlichen Vorbau. Andrew sah sie fragend an und sie kam lächelnd auf ihn zu. Sie schob etwas vor sich her und blieb neben ihm stehen. „Na, wie geht’s dir?“, fragte sie schmunzelnd und hob Andrews Arm an, sodass dieser nun auf der Bettdecke lag. Andrews Blick glich einem Fragezeichen. Die Schwester lächelte immer noch. „Weißt du noch was passiert ist?“, hakte sie nach. Andrew schüttelte leicht den Kopf. „Okay. Also laut deiner Eltern, die dich hier her gebracht hatten, musstest du dich während der Nacht im Minutentakt übergeben, das heißt du hast so zu sagen deinen Magen ausgekratzt. Deswegen kann es sein, dass du dich schwindelig fühlst, du Kopfschmerzen bekommst, oder dir schwarz vor Augen wird. Das hier“, sie hob eine Spritze in die Höhe, „Wird dir helfen, damit das nicht eintritt und die Übelkeit nachlässt. In Ordnung?“, sie hatte eine bezaubernde, beruhigende Stimme und ihr lächeln war ansteckend. Doch Andrew hätte am liebsten geheult, er wollte nach Hause und eine Spritze wollte er erst recht nicht. Aber zu aller erst wollte er dieses widerliche Gefühl los werden, das er in sich trug. Also nickte er wieder leicht.
„Sobald du wieder bei Kräften bist, also in etwa morgen oder übermorgen, darfst du nach Hause gehen“, meinte sie mit einem Engelslächeln. Fast so schön wie das von Marvin…
Verdammt noch mal, er wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen!
Andrew zuckte leicht zusammen, als die Nadel durch seine bleiche Haut stach. Die Schwester verabreichte ihm das Mittel und zog die Spritze langsam wieder heraus. „So“, meinte sie fröhlich lächelnd. „Schon vorbei“ *Bin ich ein kleines Kind oder was…*
Sie klebte ein buntes Pflaster auf seinen Arm und Andrews Miene verfinsterte sich. *Anscheinend bin ich das wirklich*, stöhnte er in Gedanken. Die Krankenschwester öffnete die Fenster und ließ etwas Luft rein. Die Sonne schien Andrew ins Gesicht, doch das machte ihm nichts aus. „Du bist nicht sehr gesprächig, oder?“, fragte sie vorsichtig und in höchst freundlichem Ton. Andrew drehte sich auf die Seite, in Richtung Fenster und Blumenstrauß. Er schüttelte den Kopf. Nun ging sie zu den Blumen und betrachtete sie lächelnd. „Willst du wissen von wem die sind?“, fragte sie grinsend. Andrew nickte. „Dann sag etwas. Ich würde gerne mal deine Stimme hören“, sie schenkte ihm ein wunderschönes schmunzeln. Andrew dacht nach. Er hatte seit drei Tagen nun kein Wort mehr geredet… Seitdem er bei diesem komischen Grillausflug war. Konnte er überhaupt noch reden? Würde seine Stimme das zulassen, sich preiszugeben? Andrew seufzte leise. Er hatte eigentlich eine recht tiefe Stimme. „Ja“, brummte er leise. Die Krankenschwester war sichtlich erstaunt. „Deine Stimme passt gut zu dir“, meinte sie, wieder mit dem Engelslächeln auf dem Gesicht. „Danke…“, murmelte Andrew leise. Es fühlte sich komisch an. Er hatte noch nie gerne geredet. Es war einfach komisch. Er war eher ein schweigender Mensch.
Andrew sah die Krankenschwester erwartungsvoll an. „Von wem sind die?“, fragte er schließlich, denn die Schwester hatte anscheinend den Faden verloren. „Ach, ja, richtig.“, erinnerte sie sich mit einem verlegenen Lächeln. „Ein Junge, recht groß, mit blond-braunen Haaren hat die vorbei gebracht“, sagte sie und kicherte leise. Wahrscheinlich wegen Andrews Gesichtsausdruck. „…oh…“, war das einzigste was er heraus bekam. Er spürte, wie er leicht rot wurde und wie die plötzliche Hitze seinen Körper übernahm. Sein Herz begann zu rasen. Er sagte nichts mehr, sondern drehte sich auf die andere Seite und vergrub sein Gesicht im Kissen. *Marvin…*
„Oh, verzeih mir, aber ich muss dann mal zu meinem nächsten Patienten. Ruh dich aus, damit du schnell wieder fit bist“, mit einem leichten grinsen auf den Lippen verschwand sie und Andrew blieb erst mal so liegen.
Seine Gedanken fuhren wild Achterbahn und er konnte sich kaum an einem einzigen fest halten, denn dieser wurde ständig von neuen Gedanken zurück gedrängt.
Auch nach knapp einer Stunde hatte er sich kaum beruhigt. Das Herzklopfen wollte bei dem Gedanken an Marvin einfach nicht aufhören. *Warum? Warum nur?!*
Andrew lag mit pochendem Kopf und pochendem Herzen da und wartete. Auf was, wusste er jedoch nicht so genau. Er wartete einfach ab. Vielleicht kam Marvin ihn ja besuchen?
Vielleicht wollte er ja wirklich wieder mit ihm befreundet sein?
Stunden zogen durch den sterilen Raum, die sich anfühlten wie Jahre. Die Zeit schien still zu stehen. Andrew bemerkte nur wie die Zeit verging, als er den Kopf hob und es im Zimmer schon dunkel war.
Nein. Marvin war nicht gekommen. Er hatte Andrew einfach alleine gelassen. Aber er hatte eigentlich nichts anderes erwartetet. Er hatte es gewusst….! Aber er hatte gehofft…
Gehofft, dass Marvin ihn doch besuchte, ihm sein Lächeln schenkte und mit ihm umging, als wären sie wieder die besten Freunde.
Für Andrew fühlte sich das an, als hätte man ihm mit einer glühenden Nadel ins Herz gestochen. Eigentlich, dachte er, hatte er sich an dieses Gefühl gewöhnt. Aber im Bezug auf Marvin?
Es fühlte sich um so vieles schlimmer an.
Mit einem gehauchten, weinerlichen: „aua…“, schlief er schließlich ein.

Der nächste Tag ging fast noch langsamer als der vorherige. Wieder kam Marvin nicht. Nur seine große Schwester Annabelle kam für eine halbe Stunde zu besuch und zauberte Andrew ein breites Lächeln aufs Gesicht, indem sie ihm seinen Laptop mitbrachte. Natürlich hatte sie auch an den Internet-stick gedacht. Von da ab, verging die Zeit wie im Flug und Andrew schrieb mit Layla, tratschte mit anderen über den neuesten Promiklatsch von Promiflash.com und suchte im Internet nach Bildern. Doch er spürte, dass er auf etwas wartete. Gegen halb sieben am Abend, ging Layla für eine Weile offline, da ihr Freund mal wieder meckerte. Andrew wollte gerade den Laptop zu klappen, da erschien eine neue Nachricht auf dem Bildschirm.
EyesOfShadow!
*Na endlich. War er denn so lange nicht online?* Er las sich die Antwort durch und begann zu schmunzeln.
>Ja, in der Tat. Ich bin auf Partnersuche. Aber nicht eine von diesen Fickpartnern, die man jeden Tag am besten gleich dreimal durchnimmt. Das ist echt widerlich und hat nichts mit Liebe zu tun. Was an mir inakzeptabel sein sollte, weiß ich auch nicht so recht, aber manche Kerle finden da eben was. Vielleicht bist du ja anders? Und das mit dem Bild… Ich bin nicht sehr fotogen ;)<
Andrew schrieb sofort eine Antwort.
>Du hast recht, diese Fickbeziehungen gehen mir auch auf den Zeiger. Ich gehe eigentlich nicht so aufs Äußere, aber wenn es das wirklich auf diesem beschissenen Fleck namens Erde geben sollte, dass es einen Typen mit super Charakter und super Aussehen gäbe, dann würde ich natürlich nicht nein sagen, du verstehst mich, stimmts?^^<
Andrew atmete tief durch. Herzklopfen. Schon wieder…
>Dann hab ich diesen Jemand ja schon gefunden<
Kam es sofort zurück. Was? Meinte er etwa Andrew? Andrew schüttelte den Kopf.
>So toll bin ich nicht.<
Gab er stur zurück. Er schnaubte leise und griff nach einer Wasserflasche, die neben ihm auf dem Tisch mit den Rosen stand. *Oh man, Marvin…* Er schüttelte erneut den Kopf, trank etwas auf der Flasche und stellte sie wieder weg, als auch schon die Antwort von dem interessanten Unbekannten kam.
>Na, das wird ich schon noch heraus finden. Wie heißt du denn, Schnuki?<
*Der will wirklich mit mir flirten* Andrew konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
>Andrew. Aber nenn mich doch Andy. Und du?<
Auf das Schnuki wollte er jetzt nicht weiter eingehen.
>Leonard. Aber nenn mich doch Leo. =) Wann malst du mal wieder ein neues Bild?<
Andrew legte den Kopf leicht schief. Momentan war er ein wenig unmotiviert.
>Weiß ich noch nicht. Mal schauen. Hast du denn eine Idee, was ich malen könnte, Leo?<
Hakte er nach. *Leo der Löwe geht in die offensive.*, dachte er sich lachend und da kam ihm auch schon eine Idee.
>Mal doch nen Typen der auf dem Boden sitzt und so halb über nem Löwen oder nem Tieger drüber hängt.<
Andrews Kinnlade klappte hinunter. *Kann der meine Gedanken lesen?* Das Ganze wurde ihm ein wenig unheimlich.
>Super Idee!<
Schrieb er mit zittrigen Fingern zurück. Sein Herz schlug noch schneller.
>Sag mir bescheid wenn du noch eine brauchst :D Ich steh dir gern zur Verfügung.<
Andrew hob eine Augenbraue. *aha…*
>Auch als Modell?<
Er war sichtlich auf die Antwort gespannt.
>Nein, nicht dass ich nachher über dich herfalle, süßer.<
Andrew zog die Augenbrauen zusammen und machte eine Grimasse.
>Wie war das mit ’Fickbeziehungen sind scheiße’? -.- <
Andrew seufzte. Das war ja mal wieder so was von klar. Erst einen auf Liebe machen und dann nur ins Bett wollen.
Scheiß Kerle.
>Nein, so war das nicht gemeint >_< tut mir leid wenn das so rüber kam! Ich find dich einfach nur unglaublich niedlich, du siehst gar nicht aus wie 19. Eher wie 16! Und so ein knuffiges Kerlchen würde ich nur zu gerne mal richtig Knuddeln.<
Andrew errötete. *Ich sehe also aus wie 16? Also bist du ein Pädo oder was?* Die Frage ließ er lieber bleiben.
>Dann komm doch zu mir und knuddel mich. Ich fühl mich gerade so einsam… Krankenhäuser sind scheiße.<
Andrew seufzte leise und seine Miene trübte sich wieder. Ja, im Regen stehen gelassen zu werden, ist ein mieses Gefühl.
>Du bist im Krankenhaus? Oh, was hast du denn gemacht? Und warum fühlst dich denn so einsam?<
Fragte Leo.
>Naja…Also ich hab mich gestern Nacht leer gekotzt und bin dann wahrscheinlich zusammen geklappt. Und dann ist da noch mein alter Kumpel, der plötzlich wieder so unglaublich freundlich zu mir ist… Ich weiß ehrlich gesagt nicht ob mir das gefallen soll oder nicht. Nachher werde ich nur wieder enttäuscht. Aber ist ja auch egal, ich will dich nicht mit meinen Problemen nerven.<
Andrew spürte wieder diesen stechenden Schmerz in seinem Herzen. Er legte sich eine Hand auf die Brust und atmet langsam aus. Seine Augen brannten.
Diesmal dauerte es etwas länger, bis Leos Antwort kam. Dafür war sie recht lang.
>Das ist überhaupt nicht egal. Wenn es dir dreckig geht, dann kannst du immer mit mir reden, ich helfe gern und ich möchte nicht, dass Menschen die ich mag, so traurig sind. Du musst einfach ein bisschen positiver denken. Klar, wenn man öfters verletzt wird, gerade in unserer Lage, dann geht das mit dem positiv denken oft einfach nicht mehr. Aber du musst es wenigstens versuchen. Cheer up. Sieh nach vorn und versuche die Vergangenheit ruhen zu lassen. Ich sage jetzt nicht, dass du sie vergessen sollst, aber klammer dich einfach nicht daran. Versuch das Beste aus dem zu machen, was man dir zur Verfügung stellt. Okay?<
Andrew las sich den Text ein zweites, ein drittes und vielleicht sogar ein viertes Mal durch. So genau wusste er das nicht.
Seine Antwort war knapp.
>Okay. Danke.<
Mehr konnte er im Moment nicht in Worte fassen. Noch nie hatte jemand so sehr an ihn geglaubt. Eine wohltuende Wärme schlich sich in seinen Körper und er fühlte sich gleich viel besser. Er atmete tief durch und spürte, wie sein Herz wieder schneller schlug. Es war ein schönes Gefühl, als würde er von jemandem in den Arm genommen.
>Hey, nichts zu Danken. Ruh dich einfach ein bisschen aus, damit du bald wieder fit bist, okay? <
Kam es von Leo.
Andrew lächelte, während er ihm antwortete.
>Alles klar. Und nochmal viiieeelen Dank <3 du bist echt ein toller Mensch. Ich sollte mich wirklich ausruhen, ich bin total müde. Hoffentlich schreiben wir uns morgen wieder? Hab dich lieb. Bis dann Kapitel 5


Der nächste Tag begann damit, dass Andrew zum ersten Mal wieder aufstehen durfte um in das kleine Badezimmer zu gehen und sich zu waschen. Die Dusche hier war wirklich nicht sehr schön und das Wasser war viel zu kalt. Er beeilte sich so gut er konnte und stand dann eine Weile lang vor dem Spiegel. Annabelle war so freundlich gewesen ihm ein paar seiner Schminksachen einzupacken, was sein Dad niemals getan hätte. Er wusch sich das Gesicht mit einem Peeling, cremte sich ein, zog mit seinem Eyeliner einen dünnen Lidstrich und tuschte sich mit seinem neuen Mascara die Wimpern. Zufrieden mit dem Ergebnis packte er die Sachen wieder zusammen und ging, nur etwas wackelig auf den Beinen, zurück ins Zimmer. Immer wieder strich er sich die Haare glatt, denn leider hatte Annabelle Andrews Glätteisen daheim vergessen und nun lockten sich seine Haare. Er hatte es schon mit föhnen probiert, doch wellig waren sie trotzdem noch. Er schlappte zum Fenster und öffnete es. Draußen war schönes Wetter und die Vögelchen zwitscherten auf einem riesigen Baum, der in der Mitte des Krankenhausgartens war. Es war mehr ein kleiner Park. Andrew stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und sein Kinn in die Hände. „hm…“, seufzte er leise und beobachtete die Blätter der Bäume, die sich mit einem beruhigenden Rascheln im Wind wiegten. Hier war es so friedlich und doch wusste er, dass hier Menschen waren, denen es tausendmal schlimmer ging als ihm.
Er atmete tief die frische Luft ein und genoss die warme Sonne auf seinem bleichen Gesicht. Es war noch immer Sommer, doch so langsam färbten sich die grünen Blätter der Birken und Lärchen in ein zartes Gelb und Rot…
Es wurde endlich ein wenig kühler und die ersten Kastanien begannen sich von ihren Bäumen zu verabschieden.
Andrew bemerkte gar nicht wie die Zeit verging und dass sich irgendwann langsam die Türe öffnete. Jemand trat hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulte. Andrew zuckte zusammen und drehte sich um. Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht, als er den grinsenden Marvin sah. „Na löckchen, alles klar?“, fragte er und blieb neben ihm stehen. Andrew nickte leicht und sah wieder nach draußen. „Mensch ich hab dich schon ewig nicht mehr mit lockigen Haaren gesehen… Seit du sie mal vor drei Jahren oder wann das war schwarz gefärbt hast. Du kleiner Emo“, lachte er und zupfte an Andrews Haaren. *Lass das…* Andrew drehte den Kopf weg und spürte wieder, wie sein Herz schneller zu schlagen begann.
„Hast heute schon was gegessen?“, fragte Marvin mit sanfter, verführerischer Stimme und dem Lächeln auf dem Gesicht, dass jedes Mädchenherz zum Schmelzen brachte… Und Andrews Herz ebenfalls…
Er sah ihm in die glitzernden Augen und schüttelte den Kopf. Marvins Grinsen wurde noch breiter. „Dann lass uns unten was essen gehen, ich verhungere!“ *Will er mir etwa irgendwas in den Kaffee mischen??* Ein wenig misstrauisch, aber vollkommen verfallen, folgte er Marvin. Andrew trug ein weites, schwarzes T-shirt mit dem Namen einer Band darauf und eine alte Jogginghose in grau. Marvin, wie immer top gestylt, trug seine Lieblings Bermudashorts in einem coolen Karo-look. Dazu trug er ein blaues T-shirt mit einem knallig bunten Aufdruck und eine Surferkette.
Andrew konnte seinen Blick einfach nicht von ihm lassen, das fiel ihm ja in der Schule schon so schwer und jetzt wo er nach etlichen Jahren wieder mit ihm alleine war, hielt er das kaum aus. *Ich will jetzt endlich wissen was er vor hat…Aber dazu…Muss ich mit ihm reden.* Er schluckte schwer und atmete tief ein.
„…Wieso…bist du eigentlich plötzlich so nett zu mir?“, fragte er vorsichtig und seine Stimme klang noch ein wenig unstabil. Marvin blieb stehen und sah ihn verwundert und erfreut zugleich an. „Hey, du redest ja wieder mit mir!“ rief er begeistert. „Krieg ich ne Antwort?“, hakte Andrew ein wenig leise nach.
Er war es schlicht und einfach nicht gewohnt zu reden. Marvin lächelte ihn wieder mit diesem Schmelze-lächeln an.
„Lass uns erst mal was zu essen holen, dann fällt das Reden schon leichter.“ Er nahm ihn am Handgelenk und zog ihn hinter sich her. Andrew starrte mit weit geöffneten Augen auf Marvins Hand und sein Herz schlug ihm bis in den Hals. *Spiel nicht mit mir…*
Er konnte sich nur schwer auf das Laufen konzentrieren und stolperte bei der Treppe beinahe.
Dann passierte es doch noch. Andrew verfehlte die vorletzte Treppenstufe und stolperte auf Marvin. „hupps! Vorsichtig, Kleiner!“, lachte dieser und hielt ihn in den Armen. Andrew blieb das Herz stehen und er sah wie ein aufgeschrecktes Reh zu Marvin hoch, der ihn freundlich anlächelte. „T-tschuldigung!“, stammelte er, als er seine Sprache und den Boden unter seinen Füßen wieder fand. „Schon okay du Zwerg“, lachte Marvin und wuschelte ihm durch die Haare. Andrew war rot angelaufen und ließ den Kopf hängen, sodass ihm die Haare ins Gesicht fielen. „Na komm, wir sind gleich da.“ Marvin lief voraus und Andrew trottete ihm mit wild schlagendem Herzen und durcheinander fliegenden Gedanken hinterher. *Mein Herz…*
Marvin bog sofort zum Buffet ab und schnappte sich einen ganzen Teller voll mit allem möglichen Zeugs. Andrew nahm sich nur einen Apfel und eine Flasche Wasser. Die Beiden Jungs setzten sich an einen der Tische und Marvin betrachtete mit amüsiertem Blick Andrews Mahlzeit. „Bisschen wenig oder?“, fragte er grinsend und begann dann seinen Haufen ab zu arbeiten.
Andrew sagte nichts. Ihm war der Appetit gründlich vergangen. Er nippte an seinem Wasser und biss von dem Apfel ab.
„Also“, murmelte Marvin mit vollem Mund, „Ich möchte…“, er schluckte und sah Andrew so gut es ging in die Augen. „Ich möchte wieder mit dir befreundet sein… So wie früher. Dass wir unsere Geheimnisse teilen und uns gegenseitig helfen. Ich seh ständig wie du von den Anderen und verdammt noch mal leider auch von mir immer wieder fertig gemacht wirst. Ich will das nicht mehr machen und ich will auch nicht dass die Anderen das machen! Ich will dich wieder lachen sehen und dich sprechen hören. Du bist so verdammt still geworden. Und um Gottes willen mit ist scheiß egal ob du jetzt schwul bist oder nicht. Das Ganze tut mir leid.“ Er schüttelte den Kopf.
Wieder blieb Andrews Herz beinahe stehen. Er sah Marvin an und sagte erst einmal gar nichts. Er musste das jetzt verdauen. Meinte er es wirklich so ernst wie er es sagte?
Seine Augen hatten einen ehrlichen Ausdruck und auch seine Stimme beteuerte seine Absichten, aber war es wirklich das, was Marvin wollte? Wieder mit ihm befreundet sein und ihm helfen? Andrew wollte unbedingt dass er es ernst meinte… Marvin fehlte ihm als Kumpel und überhaupt, es fehlte einfach etwas in seinem Leben. Einen Freund mit dem er reden konnte…
Er starrte auf seinen Apfel und blieb noch immer stumm.
„Nun? Sind wir wieder Freunde?“, fragte Marvin vorsichtig. Andrew schloss die Augen und über seine Wange lief eine Träne. „…okay.“, hauchte er mit gebrochener Stimme. Marvin lächelte glücklich und stand auf. „Na komm, lass dich drücken…“, flüsterte er, wieder mit dieser verdammt zarten Stimme und Andrew konnte einfach nicht anders, als sich von Marvin in den Arm nehmen zu lassen. Er hatte schwer mit den Tränen zu kämpfen, die in ihm aufstiegen und das Ganze einfach nicht wahr haben wollten. *Bitte… bitte brich mir nicht das Herz…*, flehte er in Gedanken und klammerte sich beinahe schon an Marvin.
„…Haben dir die Rosen gefallen?“, fragte Marvin leise. Andrew nickte nur und wollte ihn nie wieder los lassen. Rosen hin oder her. Er spürte dieses Gefühl…Dieses Gefühl, welches er niemals für Marvin empfinden wollte…
Er musste es sich einfach eingestehen. Dieses Gefühl war schon immer da gewesen, er hatte es nur immer verdrängt. Aber jetzt, als Marvin wieder bei ihm war und mit ihm befreundet sein wollte, jetzt war es stärker als je zuvor.
Er hätte am liebsten geweint und geschriehen als Marvin ihn wieder los ließ und sich setzte, um weiter zu essen. Andrew hatte sich schon längst an dem Apfelstück verschluckt, dass er vorhin noch im Mund hatte. Er trank etwas von dem Wasser und starrte dann wieder seinen Apfel an. Er spürte, wie ihm langsam schwindelig wurde, denn sein Herz raste und raste und wollte einfach nicht aufhören. *Bitte brich mir nicht das Herz…* bettelte er wieder mit stummen Worten und hoffte von ganzem Herzen, mit seiner ganzen Seele und seiner ganzen Liebe, dass Marvin es wirklich ernst meinte. Er hatte ihrer Freundschaft eine zweite Chance gegeben.

Den restlichen Tag über, brachte Marvin Andrew immer mehr zum Reden und sogar manchmal zum Lachen. Andrew hatte sich noch nie zuvor so willkommen und wohl gefühlt. Endlich hatte er wieder jemanden, mit dem er reden konnte. Umso schlimmer war es, als Marvin wieder nach Hause musste und Andrew alleine ließ. Die Einsamkeit fühlte sich nun viel bedrückender an, als sie es zuvor schon getan hatte.
Er surfte wieder im Internet und schrieb mit Layla, aber irgendwie wollte es bei ihm heute nicht so ganz. Ständig raste sein Herz, ständig vertippte er sich oder schrieb die falschen Namen und ständig drehten sich seine Gedanken nur um eines…
Marvin.
Leo kam an diesem Tag nicht mehr online, was Andrew noch trauriger machte, denn er wollte ihm unbedingt vom heutigen Tag erzählen. Gegen halb elf legte er sich dann hin und versuchte zu schlafen, doch er bekam kein Auge zu.
Die Nacht war ewig lang und sein Herz wollte nicht aufhören schneller zu schlagen, wenn er an Marvin dachte… Er konnte die ganze Nacht über nicht schlafen und seine Augen fielen erst gegen vier Uhr morgens zu.


Kapitel 6


Andrew wurde am Tag darauf vom Arzt geweckt. Er machte in paar Untersuchungen und entschied dann, dass Andrew heute gehen dürfe. Andrew war heilfroh dass er endlich nach Hause und wieder am Unterricht teilnehmen konnte. Auch wenn er sich nicht sonderlich auf seine Mitschüler freute.
Er hoffte immer noch, dass Marvin die Sache mit der Freundschaft ernst meinte und auch durchzog.
Gegen Nachmittag kam Annabelle und holte ihn mit dem roten Van ab. Die Fahrt über dachte Andrew an den nächsten Tag, an den Unterricht und vor allem an Marvin. Wie sonst auch, sprach er kein Wort und sah nur zum Fenster heraus. Annabelle war gerade wieder dabei ihm zu erzählen was sie die letzte Nacht so alles mit ihrem Freund gemacht hat, was ihr anscheinend Spaß machte, denn sie wollte nicht aufhören zu erzählen, bis sie daheim angelangt waren. Andrew riss die Tür auf, schnappte seine Sachen und eilte zur Haustüre, die von seiner Mum geöffnet wurde. „Hallo Schatz!“, sie nahm ihn lächelnd in den Arm. Andrew drückte sich von ihr weg und lief ein wenig gefrustet in sein Zimmer.
*Na klar, daheim spielt sie heile Welt aber ins Krankenhaus kommen um mich zu besuchen, das geht nicht. Tolle Mutter *, knurrte er in sich hinein und schlug die Türe hinter sich zu.
Er warf seine Tasche auf sein Bett und baute dann den Laptop wieder an seinem altn Platz auf. Er fuhr in hoch und wartete einen Augenblick, bis er den Internetbrowser öffnete und sich automatisch in der Community eingeloggt hatte. Er antwortete auf Laylas Beiträge im Forum und suchte dann nach Leon auf seiner Buddy-Liste. Er war online!
Natürlich schrieb er ihn sofort an, sie begrüßten sich kurz und dann erzählte Andrew ihm alles was passiert war und natürlich die Sache mit Marvin.
>>…Ich muss ständig an ihn denken und wenn ich ihn sehe dann rast mein Herz wie verrückt…<<
Schrieb er gerade, auf die Frage von Leon, ob er denn in Marvin verliebt sei.
>>Also doch verknallt ;) <<
Andrew seufzte leise, strich sich über die Brust und schloss die Augen für einen Augenblick. *Ja…*
>>Ja… ich glaube schon… aber ich will nicht dass er mich nur verarscht…<<
Ungeduldig wartete er auf die Antwort.
>>Ich denke nicht dass er dich verarscht, du sagtest doch selbst, dass er einen sehr ehrlichen Ausdruck in seinen Augen gehabt hatte. Also wieso sollte er dich verarschen? Versuch ihm doch einfach zu vertrauen ;) <<
Andrew dachte nach. Leo hatte recht…
>>Gut, ich wird’s versuchen… Wenn mein Herz nicht vorher kollabiert, hehe. Das rast nämlich gerade schon wieder wie verrückt…ich könnt’ heulen<<
Er legte sich eine Hand aufs Herz.
>>Hey, wer weiß, vielleicht hat er sich ja auch in dich verguckt =) <<
Antwortete Leo.
Andrew schüttelte den Kopf. Das konnte doch gar nicht sein, wieso sollte sich der Schulschwarm, ein erfolgreiches Model, ausgerechnet in einen schwulen, kleinen Typen verlieben? Nein. Unmöglich.
>>Niemals, der ist hundert Prozent hetero! Hallo? Der schnappt sich jedes Weib das er kriegen kann! <<
Genau, so war es nämlich.
>>Vielleicht hat’s ja nicht mehr mit den Mädels geklappt und er versucht’s jetzt mit einem Jungen? Und weil du vielleicht der einzigste Schwule aus eurer Schule bist, der das zugegeben hat, und ihr ohnehin mal die besten Freunde wart, möchte er es mit dir versuchen?<<
Andrew rieb sich die Schläfen. Kannte er sich wirklich so gut mit heteros aus?
>> Ich glaub das trotzdem nicht. Mich kann man nicht lieben, das hat er mir sogar schon mal an den Kopf geworfen<<
Diesmal kam die Antwort sehr schnell
>> Nein, das stimmt nicht <<
Andrew hob beide Augenbrauen. Was wollte Leo ihm damit sagen?
>> Wieso? <<
Hakte er nach…
>> Später. Muss gehen. Bye. <<
Andrew seufzte laut. *Och man! Geht der einfach offline…* Er öffnete Leos Profil und machte ein trauriges Gesicht. *Und schon ist er weg…*
Er stieß einen leisen Seufzer aus und legte den Kopf in den Nacken, hob ihn jedoch sofort wieder an, als es an der Fensterscheibe klopfte. „huch?“
Andrew stand auf und sah zum Fenster. Er begann zu Lächeln.
Er öffnete das Fenster und sah Marvin in die Augen. War er gerannt? Marvin atmete schwer und musste erst mal Luft holen, bevor er etwas sagte.
„Hey!“, lachte er außer Atem. Andrew lächelte ihn an. „Hey…“, murmelte er leise und ein warmes Gefühl schlich sich in seinen Körper. „Sorry, hatte gerade Fußballtraining, konnte nicht früher kommen“, er strich sich die Haare aus der Stirn, was aussah, als würde er einen Werbespot drehen. „Oh…kay. Magst nicht…vielleicht rein kommen?“, fragte Andrew leise. Er sprach immer mit gedämpfter Stimme, denn eigentlich sprach er ja überhaupt nicht.
„Ne du“, meinte Marvin grinsend. „Lass uns doch in den Park gehen, es ist so schönes Wetter!“
Andrew überlegte und sah an sich hinunter. Er musste sich erst mal umziehen und seine Haare glätten. „…Okay, aber ich brauch noch kurz…“, sagte er mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Komm doch so lang rein“
Marvin nickte und kletterte durchs Fenster, blieb aber auf dem Fenstersims sitzen. Andrew suchte in seinem Schrank nach etwas Passendes zum Anziehen für den Park und verschwand dann kurz ins Badezimmer. Umgezogen kam er wieder zurück und stellte sich vor seinen Spiegel. Er steckte das Glätteisen in die Steckdose an der Wand und schaltete es ein. Es brauchte eine knappe Minute um heiß zu werden. Andrew glättete sich die Haare, während er Marvin dabei beobachtete, wie dieser sein Zimmer erkundete. Er sah sich die Zeichnungen an, die kreuz und quer über den Schreibtisch verteilt waren und schmunzelte immer wieder. „Die sind schön“, er deutete auf die Yaoi Zeichnungen. „Du findest sie schön?“, fragte Andrew verwirrt und ließ das Glätteisen sinken. Er sah ein wenig verwirrt von den Blättern auf dem Schreibtisch zu Marvin. „Ja, die sind wirklich toll gezeichnet. Hast du die alle gemacht?“, mit fasziniertem Blick nahm er ein paar davon in die Hand und betrachtete sie genauer. „Ja“, murmelte Andrew knapp und glättete dann weiter seine lockigen Haare. *Er mag die Bilder, obwohl da nur schwule drauf sind??*
Andrew war ziemlich verwirrt und, zack, hatte er sich am Glätteisen verbrannt. „autsch!“, rief er plötzlich und ließ das Glätteisen fallen. „Merde!“, fluchte er und schüttelte seine Hand. Er hatte direkt mit dem Zeigefinger auf das heiße Eisen gefasst. Seine Haut wurde rot und brannte wie verrückt. „huh? Hey, hast dich verbrannt?“ Marvin kam zu ihm und legte erst mal das Glätteisen wieder auf die Kommode. „Lass mal sehen“ Er nahm Andrews Hand und betrachtete den roten Finger und lachte leise. „Na, so schlimm ists ja nicht.“ Er strich kurz darüber und Andrew zuckte zusammen. „Bist du so schmerzempfindlich?“, fragte Marvin vorsichtig. Andrew hätte eigentlich gedacht, er würde ihn auslachen, aber er klang eher besorgt. Andrew nickte.
„Oh…na dann“, er küsste Andrews Finger und ließ dann seine Hand wieder los. „Wollen wir doch, dass das schnell nicht mehr weh tut“, meinte er grinsend und ging wieder zum Fenster. Andrew starrte auf seinen Finger. Er spürte wie er rot anlief und drehte Marvin schnell wieder den Rücken zu. Er glättete noch sein Pony und steckte dann das Glätteisen aus. „…gehen wir…“, murmelte er leise und ging zur Tür. Marvin folgte ihm, mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Ohne sich zu verabschieden, ging er und Marvin schloss die Türe hinter ihnen. „Na hopp, da lang!“, immer noch grinsend griff er nach Andrews Hand und zog ihn mit sich.
Andrew lief abermals rot an und starrte auf seine und Marvins Hand. Er ließ sich einfach von ihm ziehen, bis sie am Park angelangt waren.
Marvin ließ ihn jedoch nicht los, was Andrew ein wenig verunsicherte. Wenn Leo doch recht gehabt hatte?
Sein Herz schlug viel zu schnell. Er sah Marvin fragend an. Kein Mensch war hier. Was wollten sie denn ganz alleine im Park? Nur rumlaufen und nichts tun? Oder wollte er einfach nur reden?
„Hast du eigentlich einen Freund?“, fragte Marvin plötzlich. Andrews Miene trübte sich. „Nein…“ Marvin musterte seinen Blick. „Aber du bist auf der Suche?“, fragte er vorsichtig.
*Nein. Ich habe ihn schon längst gefunden. Er muss nur noch mich finden…* „Ja.“
Marvin lief ein bisschen und Andrew ging neben ihm her, noch immer Hand in Hand. Andrew wollte am liebsten nie wieder los lassen.
Marvin musterte ihn schon wieder, was Andrew nervös machte und das leichte rot, wurde etwas dunkler. Es sah aus dem Augenwinkel wie Marvin zu lächeln begann.
Sie waren nun an dem Badesee angekommen und blieben stehen. Andrew starrte auf den Boden, doch Marvin sah zu ihm hinunter.
„Dir gefällt das, hm?“ Er strich ihm mit dem Daumen über den Handrücken und Andrews Herz blieb beinahe stehen. Er musste sich beherrschen, nicht vollkommen die Fassung zu verlieren. „Gib’s doch zu…“, hauchte Marvin ihm plötzlich ins Ohr. Wieder hatte er diese unglaublich verführerische Stimme und Andrew spürte Marvins Atem auf seiner Haut. Seine Nackenhaare stellten sich auf und ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Er gab sich geschlagen und nickte leicht.
„…und das…?“, fragte Marvin flüsternd und Andrews Augen weiteten sich, als er spürte, wie Marvin ihm mit den Fingerkuppen über den Arm strich. Man konnte sein Herz fast schon trommeln hören, so stark schlug es gegen seinen Brustkorb und das rot wurde immer dunkler.
Andrew bekam kaum Luft, alles in seinem Körper spielte verrückt, sein Bauch schmerzte, sein Herz raste, sein Gesicht war so rot wie eine Tomate und seine Beine drohten nach zu geben. *spiel nicht mit mir…* ging es ihm wieder durch den Kopf und er schloss seine Augen.
Marvin schmunzelte noch immer und strich ihm abermals sanft über den Arm.
„Deine Reaktion ist echt niedlich…“, gab er ganz leise zu. Andrews Augen weiteten sich wieder. „…was…?“, hauchte er mit hitziger stimme.
„Du hast mich schon verstanden…Andy…“
Andy…so hatte er ihn schon Ewigkeiten nicht mehr genannt. Andrew war kurz davor, zusammen zu brechen.
Er spürte dieses Verlangen ihn zu küssen, doch er traute sich einfach nicht.
Ihm blieb die Luft im Hals stecken, als er Marvins Fingerkuppen unter seinem Kinn spürte. Er hob Andrews Kopf leicht an und sah ihm in die glasigen Augen.
„hm…Dich hat’s ganz schön erwischt, was?“, fragte er mit bedauernder Stimme. Andrew wusste nicht was er meinte. Er sah ihn mit fragendem, beinahe flehendem Blick an.
Marvin kam ihm immer näher und Andrew spürte warmen Atem auf seinem Gesicht. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten, hielt Marvin inne. Andrew sah ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an.
Er spürte schon, wie sein Herz nach Marvin schrie…
„Tut mir leid.“
Andrew wurde alleine stehen gelassen. Marvin drehte sich um und lief in schnellen Schritten davon. Andrew sah ihm nach und nahm schon gar nicht mehr wahr, wie er auf einmal in sich zusammen klappte. Er schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf und alles wurde schwarz.

Langsam öffnete er die Augen und lag wieder in seinem Zimmer. Was war passiert? Sein Kopf schmerzte und auch in seinem Herzen, spürte er einen stechenden Schmerz. Als hätte man ein Teil davon heraus gerissen.
Langsam setzte er sich auf und sah sich um. Hier war es so friedlich, so still, so…traurig.
Wie auf einer Beerdigung.
Aber wo waren die Särge und die trauernden Gäste?
Nein, Andrew befand sich doch in seinem Zimmer. Er stieg langsam aus dem Bett und sah sich um.
War nicht eben noch Marvin bei ihm gewesen?
Hatten sie nicht eben noch Hand in Hand, ganz dicht nebeneinander gestanden und sich beinahe geküsst?
Und dann?
Dann war alles schwarz geworden, nicht wahr?
Und jetzt?
Andrew setzte sich auf seinen Stuhl am Schreibtisch und begann zu weinen. Erst war er ganz leise und gab keinen Mucks von sich, während ihm die Tränen über die Wangen rollten und glänzende, nasse Spuren hinterließen.
Doch irgendwann begann er zu schluchzen, legte den Kopf auf die Arme und schluchzte noch lauter.
So saß er eine ganze Weile lang da.
Irgendwann beruhigte er sich und hob mit monotonem Gesichtsausdruck den Kopf, doch immer wieder kamen ihm die Tränen und er konnte einfach nicht anders, als sich in seiner kleinen, perfekten, Internetwelt zu verstecken. Er sah, noch immer schluchzend, auf seine Buddy-Liste, doch kein Schwein war da.
Mehrere Stunden saß er vor seinem Laptop und beschloss, die nächsten Tage einfach nicht in die Schule zu gehen. Er sehnte sich nach Marvin und seiner Nähe, mehr als er es jeh zuvor tat, doch er wusste, dass wenn er in die Schule gehen würde und nicht mehr so nah bei Marvin war, sondern wie immer von Abseits zusehen musste, würde es ihm das Herz vollkommen brechen. Also blieb er daheim und verschanzte sich in seinem kleinen, grünen Zimmer.


Kapitel 7



Tag für Tag saß Andrew auf seinem Bett, den Laptop neben ihm, oder auf seinem Schoß. Er schrieb eine Geschichte, zeichnete, sah sich Bilder an, spielte Videospiele oder Chattete mit irgendwelchen Leuten.
Doch das Alles hatte nicht die Kraft ihn von seinem schmerzenden Herzen abzulenken. Nachts lag er im Bett und dachte an Marvin oder an Leo.
Seit dem Tag, an dem sie sich beinahe geküsst hatten, waren nun fast zwei Wochen vergangen. Marvin hatte er seither nicht mehr wieder gesehen und auch Leo war nicht mehr online gewesen.
Das Bild mit dem Typen, der halb über einem Löwen hing, hatte er schon längst fertig gemalt und hochgeladen.
Im Internet war alles wie immer. Dieselben Menschen, dieselben Arschlöcher, dieselben Probleme und sie selben Lösungen. Doch hier, in diesem gemütlichen Zimmer, indem sich Andrew vor der Welt versteckte, war alles anders. Er lächelte kaum mehr, vom Lachen ganz zu schweigen. Er war noch deprimierter als zuvor und selbst seine Eltern begannen sich sorgen zu machen.
Andrew sah auf den Kalender.
Morgen müsse er in die Schule gehen, doch das tat er nur, um eine sehr wichtige Arbeit zu schreiben. Die letzte Arbeit des Schuljahres.
Die letzte Arbeit, bevor er endlich studieren gehen konnte.
Weg von diesem Zimmer, weg von dieser Stadt.
Weg von Marvin.
Doch letzteres bereitete ihm Schmerz. Er wollte Marvin noch ein Mal sehen… Noch ein Mal mit ihm sprechen. Ihm ein letztes Mal in die wunderschönen Augen blicken…
>Es tut weh an ihn zu denken<
Schrieb er Layla.
>Das ist ganz normal wenn man Liebeskummer hat, Andy. Mach dir nicht so viele Gedanken, das wird schon. <
Kam von ihr als Antwort.
>Ich denke nicht. Er hasst mich jetzt bestimmt, weil er genau weiß dass ich ihn liebe. Er kommt ja nicht mal mehr zu Besuch! Er will mich nicht mehr sehen. Bestimmt lachen die sich jetzt den Arsch über mich ab. <
Wieder kamen ihm die Tränen. Oder auch nicht, denn es gab nichts mehr, as er hätte ausweinen können. Er aß schon seit einigen Tagen nichts mehr, da er es einfach nicht hinunter bekam. Und wenn er nachts weinend in seinem Bett lag, dann konnte er nicht schlafen. Seine Wangen waren leicht eingefallen und seine Augen hatten dicke Schatten unter ihnen. Sollte das nun Ewigkeiten so weiter gehen?
>Andy, mach dir doch nicht so viele Gedanken. Er ist es nicht wert!<
War er es wirklich nicht wert?
>Für mich ist er alles wert. Ich liebe ihn, ich habe ihn schon immer geliebt, ich war mir dessen nur noch nie so sicher wie jetzt! Letztes Kapitel
Drei Jahre später



Mehr oder weniger Aufmerksam war der Blick fast aller Studenten nach vorne gerichtet. Immer wieder huschten ihre Blicke zur großen Uhr, die über der aufgeklappten Tafel hing und leise vor sich hin tickte. Andrew kannte dieses Ticken schon seit längerer Zeit.
Tick-tack-tick-tack-tick-tack…
Stumm schob er seinen Ordner, den Notizblock und die Stifte zurück in seine Tasche und schon klingelte es zum Unterrichtsende.
Ein erleichtertes Seufzen zog sich durch den Raum und mit viel Geraschel und Gerede wurden auch die anderen Tische leer geräumt. Andrew nahm seine Brille ab, die er zum Lesen der Tafel benötigte und steckte auch diese in seine Tasche. Mit gesenktem Blick band er sich die langen, schwarzen Haare zu einem Zopf zusammen und legte sich dann die Tasche über die Schulter.
Seine Wangen waren leicht eingefallen und seine Bewegungen schienen ein wenig eingerostet. Er hatte in den letzten Jahren kaum richtig gegessen und nur für sein Studium gelernt. Bald würde er fertig sein und für danach hatte er sich schon etwas Neues gesucht.
Es war ein einziges Trauerspiel, wenn man ihn so beobachtete…
Langsam schlurfte er den Gang entlang, auf dem Weg zur Cafeteria. Er hatte sich dafür entschieden, heute mal wieder etwas zu essen, da ihn Magenschmerzen und Müdigkeit plagten.
Er nahm sich ein Tablett und ließ den Blick schweifen. So viele Fremde. Jedes Semester aufs Neue.
Auch heute waren wieder neue Studenten angekommen. Sie saßen in Gruppen an den Tischen der Cafeteria und redeten munter miteinander. Sie lachten und aßen und Andrew wandte den Blick wieder ab. Er hatte hier keine Freunde. Genau wie in der Schule mochte ihn hier kaum jemand.
Er nahm sich seufzend ein belegtes Brötchen und schlappte zu einem leeren Tisch. Es dauerte eine komplette halbe Stunde, bis er das Brötchen hinuntergewürgt hatte.
Nach weiteren 45 Minuten erhob er sich dann, räumte das Tablett und den Teller weg und verließ die Cafeteria.
Auf dem Weg durch die große Universität, in Richtung der Wohnhäuser, kam er sich unangenehm beobachtet vor.
Er konnte Schritte hören, doch als er sich umdrehte, war da niemand, der ihm folgte.
Er atmete tief durch und lief weiter. Wieder blieb er stehen und drehte sich um, doch abermals, war dort keine Menschenseele zu erkennen. „…jetzt leide ich schon unter Verfolgungswahn…“, murmelte er ein wenig makaber zu sich selbst und wandte sich dann wieder um, zum Gehen.
Das Außengelände der Uni war wirklich atemberaubend. Eine richtige Parkanlage mit Tafeln, an denen Kleinanzeigen für Jobs, vermisste Haustiere, Ferienangebote, Lerngruppenzettel und andere Informationszettel hingen. Viele Wiesen zum entspannen und Lernen, große, schattenspendende Bäume, gemütliche Parkbänke und sogar ein großer Brunnen waren über das riesige Gelände verteilt.
Wunderschön.
Selbst an diesem verregneten Tag…
Andrew zog sich die Kapuze seines Hoodies über den Kopf und drückte seine Tasche etwas enger an sich.
Die Wolken hingen trübe und schwer über dem Himmel und schickten ihren Regenguss auf die Stadt und die Umgebung hinunter. Es war ein trauriges Spiel und der Wind peitschte, sodass sich das Wasser im Gesicht eisig und schmerzhaft anfühlte.
Es war wie an diesem einen Tag. Andrew dachte oft daran zurück.
Er hasste sich dafür, was er getan hatte. Wäre er doch geblieben! Aber nein, er war hals über Kopf aus der Schule gestürmt, ohne ihm, dem Einen, dem wichtigsten Menschen in seinem Leben, noch ein Mal in diese bezaubernd schönen, fesselnden Augen zu blicken und ihm geradeheraus zu sagen, dass er ihn über alles liebte.
Nein, er war…geflüchtet.
Er wollte flüchten, vor dem Schmerz und dem Leid, doch er war gerade zu mitten hinein gelaufen.
Drei lange Jahre hatte er nun keinen Kontakt mehr zu ihm…
Mittlerweile studierte Andrew, Musik, das war das Einzigste, an dem er sich hatte festhalten können. Er hatte sich die Haare bis knapp unter die Brust wachsen lassen und komplett in Schwarz gefärbt. Zum Lesen brauchte er eine Brille. Er aß nichts oder kaum etwas und verbrachte jeden Tag damit, zu lernen und zu schlafen. Er hatte keine Freunde gefunden, wie er es am Anfang erhofft hatte. Im Internet schrieb er nur noch selten und das Zeichnen hatte er aufgegeben. Er war nur noch der Schatten seiner Selbst, zugedroschen mit Wissen über Musik und guten Noten.
Er fühlte sich so einsam, dass er manchmal seine Stimme hörte oder ihn vor sich sah. Dann wusste er nicht, ob er weinen oder doch lieber lachen sollte. Meistens jedoch, weinte er, vor allem dann, wenn er wieder verschwand.
Und auch an diesem verregneten Tag, sah er ihn wieder. Er saß auf einer Bank, dort, wo der Regen nicht heran kam. Andrew blieb stehen und blickte zu ihm. Er spürte, wie sich die Regentropfen auf seinem Gesicht mit seinen Tränen vermischte. „…Hör endlich auf damit…“, hauchte er mit zitternder Stimme. Er wandte den Blick ab und lief schneller. „…Lass mich endlich zufrieden!“, platzte es etwas lauter aus ihm hervor. Schluchzend wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und blieb stehen, um sich noch ein Mal nach ihm um zu drehen.
„..“, langsam und mit zitterndem Atem entwich ihm die Luft aus den Lungen. Er war fort.
Ein leises Gefühl beschlich ihn und lief ihm eiskalt den Rücken hinunter, als er seine Stimme hörte.
„…Ich liebe dich, Andrew…Hast du mich schon vergessen?...“, flüsterte sie, so sanft und warm, wie eine liebliche Umarmung und ein stechendes Gefühl zugleich.
Aber etwas stimmte nicht.
„…W-warum…?“ , stammelte Andrew leise und traute sich beinahe nicht, den Blick nach Hinten zu wenden.
„…Ich liebe dich, Andrew…“, wiederholte seine Stimme und Andrew wollte aufschreien, als ihm plötzlich eine Hand, ganz sanft über die Wange streichelte, doch nichts passierte. Er war wie fest gefroren und nichts wollte im Moment mehr so funktionieren wie es sollte. Sein Herz machte einen deutlich spürbaren Aussetzer.
„…!“, Andrews Beine gaben nach und er sackte beinahe zusammen, hätten ihn nicht zwei starke Arme aufgefangen.
„Ich liebe dich…hörst du?“

Ende




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Tag der Veröffentlichung: 14.07.2010

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