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Chapter 1: Middleschool

 

Gelangweiligt hockte ich an meinem Tisch und beobachtete Nana, wie sie mit ihren Freundinnen redete, als wäre alles wie immer. Ihre braungetönten Haare waren noch mehr gelockt als sonst, das Volumen in ihren Wimpern hatte sich seit letztes Mal verdoppelt und die Lippen glänzten intensiv vom roten Lipgloss. Der gekürzte Rock bedeckte knapp ihre blassen Schenkel und der Ausschnitt, der durch das rote Band unterstützt wurde, war noch aufdringlicher als gewöhnlich. Sie lachte ihr falsches Lachen und warf die im Parfüm getränkten Haare zurück als einer der Sempais an der Tür vorbeikam. Sie war eine Heuchlerin, Schlange, Illusion. Aber schöne Brüste hatte sie. Mein Blick fixierte sie, als sie sich umdrehte und meine Augen bemerkte. Ich hob die Hand zum Gruß, sie hingegen streckte mir die Zunge entgegen. Verständlich, wenn man bedachte, dass ich gestern vor dem nächsten Schritt mit ihr Schluss gemacht hatte. Aber mir war einfach nicht mehr danach gewesen, als sie strahlend gesagt hatte, dass sie die Allererste in ihrem Freundeskreis sein würde, die eine richtige Frau werden würde. Blöde Kuh.

 

Ich kramte meinen Gameboy raus und ließ Pikachu gegen Bisasam antreten. Pikachu war nicht selbstsüchtig, er kämpfte für mich. Ich kratzte mich kurz am Hals. So was war doch total unnötig. Wir waren 2.Stufe der Mittelschule, keinen Grund ein Wettrennen daraus zu machen. Ich blickte hoch. Allmählich fanden sich die anderen Schüler ein. Fröhlich bewarfen sie sich mit Papierkugeln. Mittelschulspäße halt. Als einer der Kugeln mich an der Hand traf, stieg ich in das Kugelfeuer ein. „Hört mal auf damit! Das ist total kindisch.“ Jetzt schalteten sich die ach so erwachsenen Mädchen ein. Schüchtern hörten einige der Kerle auf, ich blinzelte nur kurz und machte weiter. „Takato, du bist manchmal echt ein Kind! Gerade du solltest doch mal coolere und heißere Sachen machen!“ Wieder kam das brüstequetschende Monster daher. Obwohl sie mir gerade noch die Zunge rausgestreckt hatte, hatte Nana scheinbar noch nicht ganz aufgegeben. Naja, sie wusste halt, dass sie theoretisch noch eine Chance bei mir hatte. Eigentlich verstand ich mich mit allen Leuten ganz gut. Die Lehrer sahen meine guten Noten, obwohl ich mich nicht sonderlich anstrengte, die Jungs fanden mich cool, weil ich immer jeden Quatsch mitmachte und die Mädchen mochten mich, weil ich heiß, hübsch und süß war. Und reich. Oder besser meine Eltern waren reich. Und sie wussten auch, dass ich eigentlich keinem Mädchen richtig abgeneigt war, solange sie sich pflegte. Und gute Brüste hatte. Ja, Brüste waren gut. Im Augenwinkel sah ich, wie sich einer meiner Kumpel zu mir runter beugte und seine Augen grinsend wegen dieser Schreckschraube verdrehte. Er hatte schöne Schlüsselbeine und ein wenig an Brustmuskulatur zugelegt. Muskeln waren gut. „Vielleicht hast du recht, Nana…“ Ich stand auf und blieb neben ihr stehen. Mein Gesicht wanderte dicht an ihres heran. Sie errötete augenblicklich. „Aber nicht mit dir! >:]“ Damit klopfte ich ihr nochmal zum Abschied auf die schönen Brüste und ging auf den Flur. Irgendwo musste doch noch ein Automat sein…

 

Schlürfend machte ich mich auf die Suche, klatschte die Leute ab, die an mir vorbeikamen und winkte Mädchen zu, die mir hinterher kicherten. Da war ja einer. Ein paar Münzen eingeworfen und ich bekam das wonach sich mein Schlund sehnte. Eine schöne, pinkfarbene Safttüte. Erdbeere! Ich drückte die Tüte gegen meinen Bauch und schlürfte glücklich lächelnd zurück. Ein breiter Rücken war mir plötzlich im Weg. Mein Kopf krachte hinein, verwirrt strich ich mir die Haare aus dem Gesicht. Und blinzelte in seine Augen. Grimmig  blickte er auf mich herab. Er hatte die gleiche Zornesfalte wie mein Nii-chan. Die dunklen Augen fixierten mich intensiv. Seine schwarzen Haare glänzten, an den Seiten waren sie kurz, vorne hingen sie ihm stachelig in die Augen. Sein Kreuz war für einen Mittelschüler schon sehr breit, muskulös. Lag vielleicht daran, dass er täglich Kendo trainierte. Und ich wegen ihm. Sein Name war Kotetsu Yohai. Eigentlich kannten wir uns gar nicht. Waren uns nur ein paar Male auf dem Flur begegnet, wo er mit seinen Kumpanen die kleineren Schüler zum Spaß triezte. Trotzdem mochten ihn die anderen. Obwohl er so ein Schrank war. Im Widerspruch zu seinem rüpelhaften Äußeren hatte er nämlich etwas sehr Charismatisches an sich. Er konnte die Leute um sich herum mit seinem Selbstbewusstsein anzuziehen. Oder auszuziehen, wie er es gerade lieber hatte. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Und er nicht von mir. Er hob die Hand und streckte sie langsam nach mir aus. Von ihm ging eine dunkle Aura aus. Vielleicht hatte ich jetzt doch eine Grenze überschritten. Vielleicht war sein Image doch nicht nur bloße Fassade. Ich krampfte meine Augen zusammen und hoffte, dass es schnell vorbei sein würde. Und das er keine allzu großen Narben hinterlassen würde, schließlich war mein Gesicht mein Kapital. Mehr hatte ich ja im Grunde nicht. Das Geld, wonach sich diese gierigen Geier streckten, gehörte meinen Eltern und mittlerweile auch meinem großen Bruder, der kurz nachdem er sein Studium beendet hatte, eine Firma gegründet hatte, die reichlich erfolgreich geworden war. Meine Charakterzüge stießen bei einigen auf Verachtung, bei anderen auf willkommenes Empfangen. Aber wirklich eng war ich mit niemanden. Nur die gute, nicht verletzende Einsamkeit tröstete mich über diese Distanz hinweg. Was blieb da noch übrig bis auf mein Face. Und man sagte, dass ich ein gutes hatte. Das ich aussah wie eine japanische Puppe. In männlich natürlich.

 

Mein Sempai schnipste mir einmal hart gegen die Stirn und ging dann an mir vorbei. „Wir sehen uns beim Training.“ Verwirrt öffnete ich die Augen und drehte mich zu ihm um. Seine Schulterblätter glitten aneinander vorbei, wie bei einem Löwen, der sich an seine Beute heranschlich. Ich ballte meine Hand zu einer Faust, vergaß aber dass ich noch die Safttüte festhielt, weshalb sie sich mit einem Ploppen öffnete. Die pürierte Erdbeere rann zu Boden und schmollend betrachtete ich das pinke Gemisch. Schniefend schnappte ich nach dem Hemd eines älteren Schülers und fragte nach einem Taschentuch, während ich auf den Boden zeigte. Er hob die Augenbraue und kramte in seinen Taschen, fand aber nichts. Sofort rannte er in eine Toilette und kam mit einer Rolle Klopapier wieder. Ohne das ich mich noch weiter bewegen musste, wischte er alles auf und bot mir an eine neue Safttüte zu kaufen. Strike! Ich machte ein Peacezeichen in eine imaginäre Hidden Camera.

 

Schließlich stapfte ich zurück in das Klassenzimmer, der Lehrer huschte hinter mir hinein. Er war ein kleiner, moppeliger Mann, der wie mir schien ein wenig Angst vor Teenagern hatte. Schon zu Beginn der Stunde schwamm er in seinem eigenen Schweiß. Ein wenig erbärmlich, aber auch mitleiderregend. Wenn einer der Schüler etwas lauter wurde, duckte er sich hinter dem Lehrerpult, wagte kaum etwas zu erwidern. Aufgaben bekamen wir eher weniger. Komischer Kauz. Aber irgendwie niedlich. Als einer der Jungs plötzlich begann laut zu lachen, war der Lehrer ganz hinter dem Pult verschwunden und gab uns für den Rest der Stunde frei. Also wanderte ich mit meinem Bento und einem frischen Safttütchen durch die Schulflure und suchte mir ein gutes Plätzchen um zu frühstücken. Meine Freunde winkten mir zu und wiesen in Richtung Mensa. Allerdings wussten sie, dass ich so gut wie nie in die Mensa ging. Viel zu laut und stickig. Und Kotetsu-sempai aß auch nie dort. Ich nahm bei einem offenen Fenster Platz. Von hier aus konnte man gut auf den Sportplatz gucken. Oder spannen, wie man das auch immer bezeichnen mochte. Dort waren die aus dem 3.Jahrgang. Anstatt Safttüten zu trinken und gedämpften Reis zu essen, spielten sie um diese Uhrzeit Fußball oder Basketball. Heute war mal wieder der orangefarbene Ball dran. Ich erspähte ihn, wie er gerade seinem Gegner den Ball mopste. Gewand dribbelte er nach vorne, dann ein rascher Blick zur Seite und schon hatte er an einen Kumpel abgegeben. Er war unglaublich schnell, strotzte nur so vor Energie. In meinen Ohren klang sein Keuchen wieder. Es jagte mir den Rücken hinunter. Im Kendotraining hatten wir uns einige, seltene Male gegenüber gestanden. Die dunklen Augen hatten mich dabei nicht losgelassen. Ich konnte förmlich die von ihm abgestrahlte Hitze spüren, den Geruch seines Schweißes einatmen. Es schauderte mich. Die Rufe des 3.Jahrgangs waren laut und deutlich und drangen bis zu mir auf. Schließlich hörten sie auf zu spielen. Der Pausengong war ertönt. Kotetsu-sempais Team hatte gewonnen. Insgeheim freute ich mich für ihn. Er grinste und boxte seinen Kumpanen in die Seite. Von einem seiner Hiebe würde ich auch gerne mal treffen lassen… Plötzlich hob er den Kopf und sah in meine Richtung. Ich duckte mich. War doch sicherlich komisch, wenn man sah wie ein safttütentrinkender, pikachufanatischer Blödkopp einem schmachtend beim Schwitzen zusah. Einige Augenblicke wartete ich bis mein Kopf wieder hervorlugte. Er stand da immer noch, den Blick zum Fenster gerichtet. Als er mich nochmal sah, hob er die Hand und ging zu seinen Freunden.

 

Irgendwie wurde ich nicht wirklich aus ihm schlau. Lag vielleicht daran, dass ich manchmal aus mir selbst nicht wirklich schlau wurde. Ich trottete unmotiviert zurück in das Klassenzimmer und schloss mich den Gesprächen der Jungs an, die darüber debattierten, was die Mädchen von heute so toll an Free!, Haikyuu! oder Kuroko no Basket fanden. Gähnend legte ich den Kopf auf den Tisch. Irgendwie hatte ich keinen Bock mehr auf den Unterricht. Ich wollte jetzt zum Training. Ein paar schwitzende Kerle, die mindestens einen Kopf größer waren als ich, beim Kendo verkloppen. Und dann nach Hause gehen, wo mein kleiner supermarioheulender Shiba Inu NinTendo auf mich wartete. Augenblicklich musste ich anfangen zu lächeln. Mein großer Bruder war einfach der Beste. Er hatte gewusst, dass ich mir schon immer einen Hund gewünscht hatte. Und dann hatte er mir einen wunderhübschen, zuckersüßen, talentierten NinTendo zum Geburtstag geschenkt. Ein Kribbeln ging durch meinen Körper. Ich erinnerte mich gerne daran zurück. Sogar an Yuki-chan. Takagi’s neuen Boyfriend, der mich nicht sonderlich begeistert angeschaut hatte, als wir uns zum ersten Mal getroffen hatten. Wahrscheinlich weil wir an dem Tag eigentlich fast das gleiche angehabt hatten. Aber sonst fand er mich bestimmt genauso süß wie ich Yuki-chan niedlich fand. Und hübsch. Ich wünschte mir, dass Takagi’s Boyfriend mich Takoyaki-chan nannte. So um unsere enge Verbundenheit auszudrücken, die so eng war, dass man einen Freund nach seinen Lieblingsessen benennen könnte. Obwohl ich gehört hatte, dass er lieber Würste mit Mayo aß… Und eng höhöhöhö… Schwiegerbrudi! Schwiegerbrudi wäre auch ein toller Kosename. Ich kuschelte mich zufrieden lächelnd in meine Arme, die ich unter meinen Kopf geschoben hatte. „Sach mal, ist alles Takato bei dir?“ Ein paar der Jungs standen neben meinem Tisch und beäugten mich misstrauisch. „Joa, warum sollte bei diesem Panda hier nicht alles Takato sein?“ Dabei zog ich an meinen Wangen und quetschte mein Gesicht zu einer Grimasse. Die anderen lachten. „Na, du hast gerade so ein gruseliges Pedo-Face gehabt.“ Ich boxte dem Blödmann in die Seite. Was sollte man auch auf so einen Shit antworten?

 

Irgendwann hatte ich den Unterricht dann auch mit Super Mario Skizzen und Grimassen hinter dem Rücken des Lehrers schneiden hinter mich gebracht. Schlaftrunken bewegte ich mich in Richtung der Sporthallen, wo der Kendo-Club, aber auch andere Sportclubs sich zu dieser späten Stunde noch trafen, um gemeinsam zu trainieren. Ich rasch in meinen indigo-farbenen Hakama und betrat den Dojo, wo die anderen teilweise schon versammelt waren. Schnell stellte ich mich zu ihnen. Der Teamkapitän erklärte uns kurz den Trainingsablauf, dann begannen wir. Ich kniete mich in Seiza-Haltung auf den Boden. Die beiden Schenkel ca. 2 Faustlängen voneinander entfernt. Das Shinai zu meiner linken Seite. „Mokuso!“ Die Sitzmeditation begann. Die linke Hand in die rechte eingebettet, die beiden Daumen zu einem Kreis verbindend. Die Augen halb geöffnet, gerader Hals, tiefes Einatmen durch die Nase, tiefes Ausatmen durch den Mund. Die Luft sollte in Richtung Bauch gepresst werden und mindestens 3 Sekunden dort verbleiben. „Yame!“ Die Sitzmeditation wurde durch den Kapitän beendet. Ich legte meine beiden Hände in meinen Schoß, jeweils auf einen Schenkel verteilt. Erst berührte die linke Hand den Boden, dann die rechte, die zusammen mit der ersten Hand im Daumenbereich ein Dreieck bildete. Dann verbeugte ich mich, ohne die Hüfte aufwärts zu bewegen. Der Hintern musste auf den Fersen bleiben. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln meine Kameraden, die sich noch immer verbeugten. Dann hoben wir gleichzeitig die rechte Hand vom Boden, legten sie auf den rechten Schenkel und dann folgte die linke Hand. Der Sensei erhielt eine Verbeugung, dann der Kapitän und schließlich noch einmal die Kameraden. Schließlich rief der Kapitän, dass wir anfangen konnten und wir riefen während wir uns ein letztes Mal verbeugten, dass wir beginnen wollten. Ich griff mit der linken Hand nach meinem Schwert und erhob mich endlich.

 

Ich versuchte mich auf meinen Gegner zu fokussieren, obwohl Kotetsu-sempai direkt neben mir stand und seine Hiebe auf sein Gegenüber regnen ließ. Gerade Körperhaltung, gespannte Muskulatur, straffe Schultern, frontaler Blick. Wir standen alle in einer Reihe nebeneinander. Alle parallel zum Gegenpart. Hinter der Vergitterung meiner Maske konnte ich die Gesichter nicht genau erkennen. Ich machte einen Schritt nach vorne. Und hob die Arme, gestreckt, das Schwert im 110° Winkel zum Handgelenk. Ich versuchte mich zu konzentrieren, ohne dabei den Blick auf Kotetsu-sempai zu verlieren. Nur sein Oberkörper bewegte sich kraftvoll und doch zielgerichtet. Seine Ausführungen sprachen vom harten Training und vom Sinn nach Perfektionismus. Ich wollte wie er sein. Stark und majestätisch wie ein bengalischer Tiger. Sein fieses Grinsen versprühte dermaßen viel Charisma und Selbstsicherheit, dass ich mir sicher war, dass er wenn er denn wollte, jeden manipulieren konnte. Ganz egal, ob man ihn mochte oder nicht. So gefährlich anziehend war sein Lachen. Man wollte so nah wie möglich ran, jede Distanz überbrückend. Darum beneidete ich ihn irgendwie. Keiner meiner Freunde gab sich großartig Mühe in meinen inneren Kreis einzudringen. Obwohl ich das irgendwie auch erleichternd empfand. Dann wurde mir wenigstens nicht zu viel Verantwortung übertragen. Wie verwirrend und widersprüchlich meine Gedanken manchmal waren. Ich schüttelte meinen Kopf, drehte mich kurz zur Seite. Mein Gegner traf meine Stirn. Langsam sank ich zu Boden, als die Kraft aus meinen Beinen schwand. Und prompt lag ich da, in meinem dunkelblauen Hakama, in voller Kendomontur, d.h. in der Rüstung, dem Bogu, mit der Maske auf dem Kopf, pathetisch auf das Parkett gesunken wegen eines Schlages auf den Kopf, der meine Stirn aufgrund der Ausrüstung eigentlich gar nicht hätte erreichen können. Beschämt schloss ich die Augen und bat den Himmel inständig, dass sie mich einfach liegen lassen würden. „Ich bringe ihn ins Krankenzimmer.“, brummte eine dumpfe, tiefe Stimme neben mir. Augenblicklich fühlte ich wie zwei entzückend starke Arme, die mich mit Leichtigkeit in die Höhe hoben. Verwirrt öffnete ich leicht die Augen. Kotetsu. Er schaute nur gerade aus. Sein warmer Atem strich sanft meine Schulter entlang. Die Augenlider wurden schwer und seufzend lehnte ich meinen Kopf an seine Brust. Wie warm er war. Sein Geruch strömte auf mich ein. Ich wünschte, dass der Korridor Richtung Krankenzimmer ewig lang wäre. Mir war so, als ob sich eine unwirkliche Stille über unsere Schule gelegt hatte. Nur mein Herzschlag klang in meinen Ohren wieder. Er zog mich höher an ihn heran und mein Gesicht schwebte knapp über seinem Hals. Ein Arm umgriff meine Taille. Mit der freien Hand öffnete er die Schiebetür und trat ein, nachdem er einmal ein Hallo in den leeren Raum gerufen hatte. Vorsichtig legte er mich auf das Krankenbett ab, zog die Gardinen zu und öffnete den Raumteiler. Dann ging er zum Waschbecken und befeuchtete ein Handtuch, mit dem er zurückkam. Ich öffnete die Augen, als mir Wassertropfen ins Gesicht tropften. „Du bist wieder wach. Alles klar?“ Ich erhob mich und hielt mir den Kopf. Merkwürdig schummrig fühlte sich mein Kopf an, obwohl ich alles klar mitbekommen hatte. Kotetsu-sempai setzte sich auf die Kante des Bettes und drückte mir das kühle Handtuch in die Hand. „Hast einen ordentlichen Schlag auf den Kopf bekommen. Ruh dich jetzt aus, wir gehen gleich zurück zum Dojo, wo wir deine Sachen holen. Dann bring ich dich nach Hause. Ist ja nicht mehr hell und bei deinem halbbetäubten Zustand gehen wir lieber kein Risiko ein.“ Schallend fing er an zu lachen. So viel hatte er noch nie mit mir geredet. Ich mochte den Klang seiner Stimme. So rau und tief, aber erfüllt von Freundlichkeit und Offenheit. Kein Wunder, dass er so viele Freunde hatte. Ich meine, ich hatte auch nicht wenige, aber ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass sie wirklich enge Freunde waren, mit denen ich eine Safttüte teilen würde. „Danke, Sempai…“ Scheu lächelte ich ihm zu. Ich wusste nicht, ob ich ihm ins Gesicht schauen konnte. Ich wollte nicht, dass er die Gefühle, die ich für ihn hatte, in meinen Augen sich reflektieren sah. Ich faltete die Hände und kniff mir in den Daumen. „Ich meine: Danke, dass du dich so um mich kümmerst. Mich hierher getragen hast und mich gleich nach Hause bringen willst…“ Kurz schaute ich auf. Er bewegte sich in meine Richtung. Unsere Köpfe waren nur noch einen Gameboy voneinander entfernt. Erschrocken öffnete ich meine sonst so müde dreinblickenden Schlitzaugen. Dann schloss ich sie wieder, als seine warmen Lippen meinen begegneten. Ein Feuer verbreitete sich sofort in meinem gesamten Körper, setzte alles in ein lichterlohes Flammenmeer. Es war nicht mein erster Kuss. Fühlte sich aber irgendwie so an. Diese kantigen Gesichtszüge, die verworrenen Haare, die ihm über die Augen fielen, die Augenbrauen, die sich konzentriert zusammenzogen. Es brannte sich in mein Gedächtnis. Ich hielt den Atem an. Sollte ich ihn umarmen? Meine Hände zuckten. Aber er löste den Kuss bereits. Kurz leckte er sich über den glänzenden Mund. Und grinste mir nur wortlos zu. Charisma nannte man sein Gift.

 

Danach sprachen wir gar nicht mehr miteinander. Als wir in den Dojo zurückkehrten, waren die anderen besorgt, fragten mich, wie es mir ging. Murmelnd gab ich ihnen eine Antwort, die ihnen die Verantwortung von den Schultern nahm. Derjenige, der mir die Beule verpasst hatte, fragte ebenfalls. Ich sagte ihm das, was er hören wollte. Das Training für mich war für den Tag beendet. Schließlich verabschiedeten wir uns von den anderen, zogen uns um und gingen nebeneinander hinaus, aus dem Schulgebäude. Unangenehm war seine Gesellschaft nicht. Ich wollte schon immer mal mit ihm nach Hause gehen. Aber irgendwie wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Und er scheinbar auch nicht. Verunsichert schaute ich ihn von der Seite an. Vielleicht war das ja auch nicht ernst gemeint gewesen. Vielleicht wollte er nur mal testen, wie es war einen Kerl zu küssen. Obwohl er doch irgendwie glücklich ausgesehen hatte. Wahrscheinlich hatte ich sogar das gleiche dumme Grinsen gehabt. „Wow, hätte nicht gedacht, dass es so awkward wird…“ Er lachte wie eine Hyäne. „Und ich hätte nicht gedacht, dass du so schüchtern bist, Sempai.“ Ich sah ihn nicht an, als ich das sagte. Sah aber aus den Augenwinkeln, dass er mich erstaunt anschaute. Er gab mir eine Faust gegen die Schulter. „Wusste nicht, dass du so frech bist.“ Wieder lachte er. Da war er wieder der Charismatiker. Den Weg zurück zu der Villa meiner Eltern erzählte er mir witzige Memorien, machte Scherze und alberte auf den Straßen herum. Er war ein angenehmer Zeitgenosse, es machte Spaß mit ihm abzuhängen. Er war anders als alle Freunde bisher. Das mochte ich irgendwie.

 

Seufzend lag ich schließlich auf meinem Bett und starrte an die Decke. Das war das erste Mal gewesen, dass ich mich wirklich mit ihm unterhalten hatte. Eigentlich sollte mich das ja freuen, aber beim Blick auf den Kalender, war ich wieder auf den Boden der Tatsachen gekommen. Bald war das Halbjahr zu Ende. Das hieß, dass ich 3. Jahr der Mittelschule sein würde. Und Kotetsu-Sempai 1. Jahr der Highschool. Ich hatte nie wirklich Zeit mit ihm verbracht und wie gesagt, auch nie wirklich mit ihm geredet. Aber ihn nicht jeden Tag vom Fenster aus auf den Pausenhof oder beim Training zu betrachten und zu sehen, war schon komisch. Es machte mich ein bisschen traurig. Ich rollte mich auf die Seite und umarmte mein Tintenfischkissen, das wie eine Fleischwurst geformt war.

 

Nachdem wir mehr miteinander geredet hatten, änderte sich im Schulalltag eigentlich nicht viel. Gelegentlich blieb er auf dem Schulgang stehen und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf. Manchmal redeten wir noch ein bisschen in den Pausen beim Training. Und ab und zu gingen wir ein Stück zusammen nach Hause. Ich mochte diese Zeit. War schön. Nicht zu aufdringlich, aber auch nicht zu befremdlich. Aber mit jedem Tag, der verstrich, wurde ich wehmütiger. Die Highschool schloss sich an unsere Mittelschule an, aber es würde anders werden. Unsere Trainings würden getrennt sein. Er würde wahrscheinlich länger bleiben, dass wir auch nicht einander abholen könnten und von der Mittelschule aus konnte ich auch nicht auf den Pausenhof der Älteren linsen. Ich würde wieder einsam werden.

 

3. Jahr der Mittelschule. Gähnend reckte ich mich. Scheinbar wollte mich Tante Einsamkeit wohl nicht besuchen. Unsere Sempai-Kohai Beziehung hatte sich immer mehr gebessert und ich hatte das Gefühl, dass wir durch diese räumliche Trennung auch mehr in der Freizeit machen würden. Das gefiel mir. In meinem Kopf reckte ich einen blauweißen Daumen in Richtung imaginärer Kamera. Vielleicht sollte ich das neue Schuljahr mit einer Partie Super Mario einläuten. Der kleine, dickliche Italiener hüpfte nach meiner Pfeife. Begeistert rief ich: „Mach mehr von deinen Spagaten! Mehr!“ Es sah einfach mega aus, wenn Mario in Gymnastikmanier über die Abgründe glitt. „Auf eure Plätze, Schüler!“ Sensei kam in den Raum gestampft. Hinter ihm wanderte wie ein Roboter ein hellhäutiger Junge hinein. Er hatte bronzefarbenes Haar, braune Rehaugen und ein unsicheres Lächeln. Drucksend stellte er sich vor. „Hallohoo… Ich.. äh… bin Scott Masaru. Ich bin Halbengländer und werde ab heute mit euch zur Schule gehen. Freut mich euch kennenzulernen! Ich hoffe, wir können Freunde werden!“ Ätzend. Da war ja jemand sehr stolz darauf ausländische Wurzeln zu haben. Und dann noch diese gespielte Unsicherheit, um die Sympathie der anderen zu erhaschen. Er tat so, als ob er nur stockendes Japanisch sprechen konnte. Voll übertrieben. Ich lehnte mich zurück, hob eine Hand an mein Kinn und sah nach draußen. „Scott-kun, du kannst dir jetzt einen freien Platz aussuchen. Du brauchst hier nicht vorne am Pult stehen bleiben.“ Der Lehrer war auch schon genervt von ihm. Nicht alle konnten direkt von allen Menschen gemocht werden. „Äh, ja. Natürlich!“ Neben Nana war noch ein Platz frei. Sich reckend und streckend präsentierte sie ihre wirklich schönen Brüste so offen, dass ich am liebsten aufgestanden wäre und nochmal kräftig hineingebissen hätte. Die sahen mit jedem Tag besser aus, obwohl man das von der Trägerin nicht hätte behaupten können. Er schaute sich suchend um und nahm dann mich ins Visier. Rechts von mir war noch ein Tisch unbesetzt. Aber er würde doch wohl nicht so dumm sein und ein derart verlockendes Tittenangebot abschlagen. Ein Glitzern kam in seinen Augen auf. Wahrscheinlich spürte er jetzt seine Chance. Schien so, als ob meine Ex Ausländer heiß fand. Zwei Schritte und ich fühlte eine warme Präsenz neben mir. Blinzelnd schaute ich auf und guckte ihm direkt in die braunen Augen. „Hi~ Ich bin Masaru. Lass uns gute Freunde werden, ja?“ Wollte er, dass ich mich auch vorstellte? Ignorierend wandte ich mich dem Unterricht zu und schrieb mit, ohne auf seine traurigen Rehaugen zu achten.

 

In einer Pause schlenderte ich wieder auf den Flur, um mir noch eine Safttüte zu holen. Safttütenhersteller sollten die Welt regieren. Ihr süßlicher Nektar konnte bestimmt Kriege beenden. Ich warf ein paar Münzen in den Automaten und wartete einige Sekunden. Hinter mir keuchte jemand. Ich drehte leicht den Kopf und schaute, wer da hinter mir her gelaufen war, wie ein irrer Stalker. „Hallo nochmal… Ich… ähh… hatte vergessen dich nach deinem Namen zu fragen… Also…?“ Mein Blick wanderte von oben nach unten. Was stand er da so krumm, die Knie aneinandergedrückt, als ob er ein dringendes Geschäft erledigen musste. „Wer zum Henker bist du? Verschwinde!“ Genervt wischte ich mit meiner Hand in seine Richtung. „Ähhhh?? Aber ich bin doch der Neue! Der jetzt neben dir sitzt!“ Ich zuckte mit den Schultern. „Erinner mich nicht! Und jetzt hau ab!“ Wieder machte ich eine scheuchende Bewegung. „Wir wollten doch ganz dicke Freunde werden!“ Er machte ein Schmollmund, aus dem heulende Geräusche kamen. „Sowas habe ich niemals gesagt!“ Ich drehte mich von ihm weg und stapfte davon. Quengelnd trippelte er hinter mir her und versuchte mich die ganze Pause daran zu erinnern, wer er war und dass er wirklich gerne mit mir befreundet sein würde. Es nervte.

 

Er versuchte die Distanz zwischen uns zu überbrücken und das nervte mich.  

Chapter 2: Pain in the neck

 

Zwei Wochen waren seit dem Ankommen des neuen Schülers vergangen. Und er nervte mich immer noch. Gott in meinem Gameboy, konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Was hatte er davon einem Jungen hinterher zu laufen, der sowieso nicht mit ihm befreundet sein wollte? Ich brauchte nicht mehr „Freunde“. Aber nein, jedes Mal, wenn ich während der 5 Minuten Pause vom Automaten zurück kam, eine Safttüte im Gepäck, stand er da. Aufgeregt wie ein auf K.O.-Tropfen laufender Terrier. Mittlerweile hatte er leider herausgefunden wie mein Name war, was er bei jeder Situation unter Beweis stellte. Was ich allerdings schlimmer fand, war seine englische, oder vielmehr nicht japanische Art kackendreist den Vornamen zu benutzen. Was zum schillernden Pikachu gab ihm das Recht mich einfach Takato-chan zu nennen? Wir waren noch nicht mal annähernd so eng (eng, hurhur), dass ich ihm überhaupt erlauben würde mich mit „Kurasawa-dono“ anzusprechen!

 

„Takato-chan! Wo gehst du hin? Der Unterricht ist doch schon vorbei und wenn mir der Plan richtig erklärt wurde, dann ist der Haupteingang doch da?“ Eilig hechelnd kam er hinter mir her, ich versperrte ihm mit meiner Sporttasche den Weg. Sollte er doch versuchen neben mir herzulaufen. Hinter mir her huschend, versuchte er mit nickenden Tanzbewegungen auszumachen, wohin ich gerade ging. Er wirkte eher wie ein liebestoller Inder, der sich aus einem Bollywood-Streifen hierher verlaufen hatte. Ich verdrehte die Augen, blendete seine nervige Stimme aus. Eigentlich würde ich ihn mit aller Kraft versuchen loszuwerden, die Schule war schließlich groß genug. Heute hatte ich allerdings nicht wirklich Bock durch das halbe Gelände zu rennen, nur um selbst nach dem Weg fragen zu müssen. Außerdem musste ich zum Training.

 

Die Trainingshalle war geräumig und befand sich in einem guten Zustand trotz der regelmäßigen Nutzung. Es gab genug Sponsoren, die sich um das Wohlergehen der Schulsportmannschaften kümmerten. Meine Eltern gehörten leider auch dazu. Während der Terrier aufgeregt an die Wände gelehnt auf und ab rutschte, schlurfte ich zu den Umkleiden. Wenigstens hier hatte man seine Ruhe, auch wenn die anderen mich wegen meines eher knochigen Körpers immer noch beglupschten als wäre ich ein Karpador, das Fliegen konnte. Als ich fertig war, stellte ich mich vor den Eingang der Halle, wo noch immer der Neue sich hin und her wiegte. „Hast du noch nie `ne Sporthalle gesehen, oder was ist mit dir?“ Er schüttelte ganz heftig den Kopf und legte seine Finger ineinander als wäre er ein kleines Schulmädchen. „Nein, ich meine, ich hab noch nie eine Kendo-Sporthalle gesehen… Und ich finde es megacool, dass du Kendo machst!!“ Den letzten Satz brüllte er sich mit voller Inbrunst aus der Seele, hielt sein Fäustchen vor die Hühnerbrust. Meine Teammitglieder schauten uns an, ich sagte nichts, drehte mich um, verbeugte mich bevor ich in die Halle trat. „Eh, eh!“ Schmollend streckte er seine Hand aus. „Takato-chääääääännn...! Ich… darf ich auch mit rein?“ Ohne was darauf zu antworten, trat ich zu meinen Clubmitgliedern und lächelte sie an. „Also ich bin bereit…“ Die anderen zeigten mit ihren Fingern auf das rotzende Übel an der Tür, schauten mich fragend an. „Wer ist das, Kurasawa-san?“ Der Kapitän hob eine Braue, während Sensei zum Terrier ging und dummerweise fragte, ob er nicht seine Schuhe ausziehen und reinkommen wollte. Schließlich wäre er ja ein potentielles Clubmitglied, obwohl er bereits im 3.Jahr der Mittelschule war. Da die Mitglieder eines Clubs automatisch in den Club der darauffolgenden Highschool aufgenommen wurden, war das kein Problem. Also für ihn nicht. Für mich schon.

 

So wenig Erfahrung wie er hatte und so nervig wie er war, ging er natürlich sofort auf das Angebot ein, zog ein wenig übereilt seine Schuhe aus, die er dann aber peinlich berührt sorgfältig nebeneinander stellte, und hüpfte zu uns in die Halle. Da ich von beiden Seiten von meinen Kameraden umstellt war, konnte er sich glücklicherweise nicht neben mich stellen. Der übliche Ablauf wurde durchlaufen, wir verbeugten uns vor einander, zollten dem Gegenüber den Respekt. Der Neuling verfolgte alles mit leichter Schnappatmung und gerötetem Gesicht, während er mich weiterhin ansah. Ich ignorierte ihn und begann mit einem leichten Aufwärmtraining. Sensei sowie Kaptän waren bemüht dem Engländer einen Crashkurs zu geben, erklärten ihm so gut wie es ging. Was allerdings auf einen luftgefüllten Schädel zu treffen schien. Man konnte förmlich die Fragezeichen über dem geöffneten Mund sehen. Und ich stand natürlich da und wirkte so, als ob ich, Takato-chän, gaaaaanz eng mit dem Ding da war. Seufzend schloss ich die Augen und gab mich weiter meinen Schlägen hin.

 

„Okay, dann lasst uns doch kurz verschnaufen, während wir Scott-san einem kleinen Test unterziehen, ob er auch wirklich verstanden hat, was wir ihm gerade erzählt haben!“ Der Teamkaptän schien mir schon ein wenig S zu sein. War schon ein wenig moe, wenn man das so sagen durfte. Mundgeruch war aber nicht so meins. Erschrocken wirbelte der Angesprochene herum und zeigte auf sich selbst. „Iiiich? Ähhhh? Aber wieso?“ Der andere lachte. „Na, wolltest du nicht eventuell dem Club beitreten, um mehr mit „Takato-chäääään“ zu machen?“ Bloss nicht. „Hehehhee… ähhh, ok, dann versuch ichs mal!“ Er nahm irgendeine Position ein, winkelte die Knie, umgriff das Holzschwert mit beiden Händen ein wenig zu tief. Es fiel ihm fast aus der Hand, als er nochmal nachtrat um seinen Stand zu festigen. Hinter der Maske war sein Gesichtsausdruck nicht gut auszumachen, aber so wie ich das sah war sein Zittern auch in der Gesichtsmuskulatur zu erkennen. Wahrscheinlich hatte er gerade einen Augenspasmus, als er einen Schritt auf den Kaptän zu trat und sein Schwert nach unten sausen ließ. Was es auch tat, allerdings über seinen Kopf. Gekrümmt hielt er sich diesen, ich glaubte ein Schluchzen zu hören. Gröllendes Gelächter, die anderen Kerle hatten noch nie gesehen, wie einem Kämpfer das Schwert aus den Händen geglitten war. Der Engländer lachte mit. Nervig.

 

Das hieß also, dass er kein Teil des Clubs werden würde. Pokemongott zum Gruße, war ja schon schlimm genug, dass ich mit ihm in dieselbe Klasse musste. Nachdem ich mich nach dem Training wieder umgezogen hatte, stapfte ich aus den Räumlichkeiten heraus und atmete die die klare Nachtluft ein. Der Spätsommer war erfrischend, der Sternenhimmel deutlich zu erkennen. Wie ich es liebte den Zikarden und Grillen zuzuhören. „Ah, Takato-chan. Da bist du ja, ich dachte schon, dass es einen Hinterausgang gibt.“ Nix mit zuhören, jetzt hieß es wieder auf stumm stellen, an Terriergeschrei war nichts Ästhetisches zu hören. „Lass uns zusammen nach Hause gehen, ok?“ Er grinste mich frech an, während er neben mir ging. So geschafft wie ich war, konnte ich ihm mit einem kurzen Sprint garantiert nicht abschütteln. Ein Versuch war es trotzdem wert. Ich rannte los, immer geradeaus, dort hinter den Bäumen war der Ausgang. „Ehhhh?? Takato-chan? Wo willst du hin? Warte auf mich!!!“ Die Schritte hinter mir wurden unnötig laut und panisch. Und sie kamen näher. Nur noch ein bisschen, gleich wäre ich aus dem Ausgang raus und um die Ecke und dann- Meine Füße bremsten automatisch ab und auch der Terrier kam neben mir zum stehen. „Takato-chan? Was ist los?“ Er wollte sich gerade zu mir vorbeugen, als er eine Gestalt vor uns bemerkte. Den Kopf hebend, blinzelte er in die Dunkelheit. Eine Laterne, die still vor sich hin flackerte, beleuchtete die Straße vor uns.

 

„Sempai… Bist du hier um mich abzuholen?“ Ich guckte ihn erfreut an. Was`n Jackpot! Wenn der Neue diesen Schrank von Sempai sah, dann würde er mich bestimmt nicht mehr nerven! Und ich würde mit Sempai nach Hause gehen… Er nickte und durchwuschelte meine Haare. „Mein Training ist heute ausgefallen, weil der Trainer sich erkältet hat.“ Nickend hörte ich seine Worte und freute mich einfach, dass ich ihn sehen konnte. Mit dem dunklen, sternenbesetzten Hintergrund wirkte er noch männlicher als er eh schon war. Ich liebte einfach die Kurve, die seinen Nacken mit den breiten Schultern verband. „Lass uns gehen, Takato.“ Freudig trat ich neben ihn, er legte seinen Arm um mich und wir gingen davon. Einen einsamen Terrier in der Dunkelheit stehen lassend.

Chapter 3: Question

 

Es war merkwürdig ruhig und entspannt am nächsten Morgen, als ich in das Klassenzimmer kam. Mein Sitznachbar saß bereits dort, unterhielt sich mit einigen Mitschülern. Als er mich sah, nickte er mir nur kurz zu und setzte sein Gespräch fort. Ich runzelte die Stirn. War ja nicht so, als ob es mir nicht Recht war in Ruhe gelassen zu werden, aber irgendwas stimmte doch nicht. Juckte mich nicht. Schlendernd begab ich mich zu meinem Sitzplatz, wurde aber von Nana aufgehalten. „Heeeyyy, Takato. Ich wollte mal kurz mit dir reden.“ Sie verschränkte die Arme vor ihrem Bauch und präsentierte mir ihre Glocken, die wohlgeformt in der engen Schuluniform lagen. Das Mädel wusste sehr wohl, wie sehr ich ihre Möpse mochte. Deswegen starrte ich auch ohne es groß zu verstecken in ihren Ausschnitt. Möge sie doch reden. „Wollen wir es nicht nochmal versuchen? Ich vermisse dich und du vermisst mich doch auch, oder?“ Langsam trat sie näher und streckte ihre Beine gegen meine, während sie ihr Kreuz hohl machte, um mit ihrer Brust meine zu berühren. Mein Kopf war noch immer nach unten gerichtet, der süßliche Geruch, der von ihr ausging stieg mir in die Nase. Ich blinzelte sie kurz an, glotzte wieder auf ihre Titten, tauchte mein Gesicht hinein, hob den Kopf wieder, drückte sie zur Seite und sagte einfach nur: „Nö.“

 

Verdattert stand sie da, blickte hektisch umher und rannte zu ihren Freundinnen. Die versuchten sie von den Blicken der anderen abzuschirmen, waren doch alle bei ihrer Aufforderung hellhörig geworden. Die Jungs fingen an zu grölen und gaben mir massig High Fives. Der Hellhaarige guckte mich verknittert an. Was war los? Stand der auf die olle Trine? Die konnte er meinetwegen ruhig haben. Ich ignorierte ihn und klappte meinen Gameboy advanced auf. Es gab mittlerweile Geräte, die mit 3D Technik arbeiteten, aber ich war doch noch ein Anhänger der älteren Handhelden. Leise vor mich hin summend angelte ich nach Fischen, fuhr Autorennen oder saugte Monster wie ein Staubsauger ein. Wenn mein Leben ein Videospiel wäre, dann wäre ich ein Takoyaki, das alle Monster weghaute und bei jedem Levelaufstieg größer werden würde. Und dann am Ende wäre ich der Tintenfischbällchen-König, der seine Soße überall auf der Welt verteilte. Ich lachte bei der Idee auf. Das sollte ich mir später unbedingt notieren und anfangen zu programmieren.

 

Der Unterricht war nicht sonderlich spannend, gähnend legte ich meinen Kopf auf die verschränkten Arme. Ich drehte den Kopf und sah direkt in die Terrieraugen neben mir. Was zum Henker wollte der von mir? Genervt streckte ich ihm die Zunge raus und drehte mich wieder zur Fensterseite. Junge, hatte der seine Stimme verloren, oder was war los?

 

In der Pause stand ich auf, um mir meine übliche Safttüte zu besorgen. Vielleicht hatte  ich ja Glück und heute würde der Automat mir Ananas geben. Ich war bestimmt der einzige, der in dem Alter noch Safttüten schlürfte, aber naja, so war immer für Vorrat gesorgt. Schnell eine Münze in den Schlitz gesteckt und ein Stoßgebet ausgerufen, schnappte ich mir die Safttüte, die aus der Klappe gepurzelt kam. Menno, nur Apfel. Den Mund verziehend drehte ich mich um und öffnete die Kappe, um einen Schluck zu nehmen, als der englische Trottel vor mir stand. Meine Hand reagierte automatisch und quetschte den Inhalt der Safttüte nach oben, der zufällig auf seinem Schuh landete. Pffft- Was`n Glück ich auch manchmal hatte. Aber das mal außen vor… Was zum Henker folgte er mir auf Schritt und Tritt? War er jetzt zum Stalker mutiert? „Was willst`n du schon wieder? Hab ich dir nicht schon gesagt, dass ich keinen Bock hab, mich mit dir anzufreunden?“ Seine Mundwinkel zogen sich nach unten und traurig schüttelte er den Kopf. „Takato-chan… Können wir nach der Schule reden?“ Ich hob eine Braue. „Wenns nicht anders geht.“ Da war es wieder: Sein Strahlen, als hätte sein Herrchen ihm grad ein Leckerli hingeworfen. Ich zuckte nur mit den Schultern und ging an ihm vorbei, zurück ins Klassenzimmer, wo ich mit den anderen Typen auf dem Boden  rangelte.

 

Heute hatte ich kein Clubtraining, dreimal in der Woche reichte ehrlich gesagt auch aus… Vor allem, wenn Kotetsu-sempai nicht dabei war. Fröhlich pfeifend stapfte ich im Klassenraum auf und ab. Der Blödkopf von Neuling hatte bestimmt nicht bedacht, dass ich heute Klassendienst hatte. Obwohl wir einen Hausmeister und Reinigungskräfte hatten, war es die Pflicht einer Klasse sich um den eigenen Klassenraum zu kümmern. Der Rest, Flur, Toiletten, Lehrerzimmer und Sporthalle wurden von den anderen gemacht. Fand ich aber nicht schlimm, ich fand es sogar ganz witzig alleine in dieser riesigen Schule, wenns schon dunkel draußen war, zu putzen. Zuerst fegte ich einmal durch, wirbelte mit meinem Besen umher und tat so, als ob die Melodie von „Die Schöne und das Biest“ im Hintergrund laufen würde, während ich ein kleines Tänzchen wagte. Schade, eigentlich, dass ich mich nur um diesen Raum kümmern sollte, wäre doch viel interessanter, wenn ich die 7 Mythen der Schule live zu Gesicht bekommen würde. Ich wollte schon immer ein sich bewegendes Anatomiemodell oder einen sich selbst spielenden Flügel sehen. Aber jetzt war es erst mal wichtig die Pulte zu polieren. Und dann war noch die Tafel dran.

 

„Puuuh, das war gut. Aber jetzt geht’s hier raus, ist ja schon ein bisschen langweilig, wenn ich nur putzen muss und nichts anderes passiert.“ Ich streckte mich kurz und packte meine Tasche. „Muss ja nichts gruseliges sein… Kann ja auch ein einsamer Lehrer sein, der sich an einem Shota vergreifen will…“ Ich wartete einige Augenblicke, guckte mich um. Kein Monster, das mich fressen wollte, kein Mädchengeist, die mich in die Unterwelt ziehen wollte und kein Pädophiler, dem ich ins Gesicht treten konnte. Langweilig. Seufzend ging ich zum Ausgang, zog mir meine Schuhe an und stapfte schließlich nach draußen.

 

„Takato-chan.“ Ich zuckte zusammen, als ich meine Namen hörte. War der Geist jetzt doch gekommen? Vorsichtig linste ich zur Seite, sah aber nur einen blöden Köter, der scheinbar die ganze Zeit auf mich gewartet hatte. „Bist du doof oder was? Was wäre, wenn ich schon nach Hause gegangen wäre?“ Kurz zuckte er mit den Schultern, trat einen Schritt näher an mich heran und sah mir direkt in die Augen. Huh, was war los? Wollte er mir jetzt was Unanständiges sagen? Ich reckte meinen Hals soweit ich konnte nach hinten. Seinen Hundeatem musste man ja nicht unbedingt einatmen. „Ich wollte dich etwas fragen…“ Er machte wieder eine von diesen nervigen Kunstpausen. War das hier ein Shojomanga oder was? „Was?“ Konnte er nicht ein bisschen hinne machen? Schließlich hatte ich noch was vor. „Bist du schwul…? Schließlich hast du Nana-chan abblitzen lassen… Und… dieser Typ von gestern…“ Entsetzt schaute ich ihn an. Wie konnte er es wagen mich so etwas zu fragen? Wutschnaubend packte ich ihn am Kragen und schüttelte ihn hin und her. „Das geht dich ja sowas von nichts an!!“ Ich ließ ihn los, machte auf den Absatz kehrt und rannte in Richtung Ausgang. Kotetsu-sempai musste doch hier irgendwo sein!

 

Wie eine Marmorstatue stand er da, am Eingangstor und tippte grad in sein Smartphone, als er mich anrennen sah. Ich packte mir sein Hemd und vergrub mein Gesicht darin. Was war das denn für eine Frage gewesen? Hatte ihn doch nicht zu interessieren! „Hey, alles ok bei dir?“ Ich schüttelte den Kopf und blickte zu ihm hoch. Er war ein wenig irritiert und schaute kurz weg, bevor er sich wieder zu mir wandte und mir den Kopf durchwuschelte. „Wenn du keinen Bock hast, dann kann ich dich auch einfach nach Hause bringen…“ Ich schüttelte wieder den Kopf. „Ich will unbedingt hin! Lass uns gehen! Weißt du wie lange ich schon auf ein Date mit dir wollte??“ Schmunzelnd packte er mich an meiner Jacke und grummelte: „Dann musst du aber loslassen, sonst kann ich nicht laufen.“ „Eehh? Wieso, wenn ich das mache, schon!“ Lachend schlang ich meine Arme um ihn und klammerte mich mit meinen Beinen an ihm fest. Weil ich aber nicht sonderlich stark war, begann ich augenblicklich an hinunter zu rutschen und berührte dann am Ende den Boden mit meinem Hintern. Schallend lachte er mich aus und drückte meinen Kopf nach unten, während er aus meinem Griff hinaustrat und mich am Arm wieder hochzog. Dann machte er wieder auf ernst. „Jetzt hör aber mal auf mit dem Kinderkack, sonst geh ich nirgendwo mit dir hin.“ Woran ich mich dann aber auch hielt, schließlich wollte ich unbedingt auf ein Date mit ihm.

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Tag der Veröffentlichung: 12.02.2016

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