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Kriegerherz


Rot. Warm floss das Blut. Ich schmeckte das Eisen an meinem Gaumen. Meine Hände waren verschmiert. Der Schweiß klebte an meiner Stirn. Unangenehm schlich sich das unaufhaltsame Gefühl der Scham in meine Gedanken ein, wanderte allmählich meinen ganzen Körper entlang. Ich blickte zu Boden, kniete mich neben das angeschlagene Holzschwert. Gnadenlos brannten die Tränen in meinen Augen, drängten sich wie flammende Bäche mein Gesicht hinunter. Ich spürte wie die Kraft mich allmählich verließ, als ich meine Blessuren berührte. Im Schrei einer Krähe verloren die Sonnenstrahlen langsam an Intensität, das Rotglühen des Himmelssterns wurde blasser und die Wärme versank im fruchtbaren Erdreich. Das Training zum Samurai war härter als ich gedacht hatte, schien härter noch als die ländliche Arbeit, die ich in meiner alten Heimat gewohnt war. Ein Zittern ging durch meinen Körper, als sich leichtfüßige Schritte näherten. Ich hob meinen Kopf, blinzelte in das Rot der untergehenden Sonne. Zierliche Gestalt, kostbare Gewänder und blütenweiße Haut erhoben sich vor mir. Zwei Diener standen geschlossen hinter ihm, schirmten ihn von der Außenwelt ab. „Was ist denn mit dir passiert?“ Neugierig beugte sich der junge Fürstensohn zu mir hinunter. Als ich seinen Blick bemerkte, warf ich mich sogleich zu Boden, war ich mir doch durchaus bewusst, dass ein einfacher Bürgerlicher wie ich niemals in das Antlitz des Shogunssohns blicken durfte. Ansonsten drohte mir eine hohe Strafe, wenn nicht sogar die höchste. Fragend drehte sich der junge Prinz um und wies mit seinen feingliedrigen Finger auf mich: „Was ist das rote da in seinem Gesicht?“ Einer der Diener ging auf die Knie und flüsterte, ohne direkten Augenkontakt mit dem Prinzen zu haben, ihm etwas ins zarte Ohr. Der Ausdruck in seinem Gesicht veränderte sich schlagartig und hastig tapste der Junge von adeliger Herkunft auf mich zu. Als seine golden verzierten Schuhe vor mir zum Stehen kamen, rief er: „Steh auf und zeig mir dein Gesicht nochmals.“ Ich presste mich weiterhin an den erkaltenden Boden während die letzten Schwalben ihre Kreise hoch oben über unseren Köpfen zogen. „Es tut mir leid, eure Hoheit! Doch es ist mir nicht gestattet mich vor euch zu erheben, noch in euer Antlitz zu blicken!“ Bevor ich jedoch weiter reden konnte, spürte ich eine warme Berührung an meinem Arm voller Blessuren und kleiner Verletzungen. Der junge Prinz zog mich hoch, sodass ich auf meinen geschundenen Knien vor ihm hockte und ihm mein Gesicht, ohne ihm auch in geringster Weise in die Augen zu schauen, präsentierte. Entschlossen legte er die eine Hand unter mein Kinn, während er die andere Hand unter seinem langen Gewand versteckte. Den Ärmel hob er anschließend vor meine Stirn und wischte das Blut, das aus einer kleinen Platzwunde oberhalb des Haaransatzes sickerte, ab. Das reich verzierte Seidengewand von himmelblauer Farbe, färbte sich in meinem unwürdigen Blut und panisch versuchten die Diener ihren Prinzen von weiteren Säuberungsaktionen abzubringen. Hartnäckig pochte er darauf mir auch weiterhin zu helfen bis die Diener ihm von dem anstehenden Abendmahl mit seinen Eltern berichteten, sodass er sich zögernd zum Gehen wandte. Noch immer auf den Knien hockend blickte ich meinen Retter hinterher, als er sich wieder umdrehte und zurück gelaufen kam. „Hier, nimm das und wisch das Blut von deiner Nase weg.“ Vorsichtig legte er mir ein besticktes Taschentuch in die Hand und lächelte mich zuversichtlich an. Auch die letzten Sonnenstrahlen waren nun erloschen und nur das Schwarz der Nacht legte seine tröstende Hand auf meine Schulter als ich mir die goldene Butterblume ansah.


„Hakuma, bring mir mal die Schwerter dort drüben und hilf mir sie zu schleifen.“ Die besagten Schwerter lagen auf einem Haufen übereinander im Schatten eines mageren Baumes, dessen Krone schon lange Abschied von dieser Welt genommen hatte. Die schwarzen Scheiden und die kunstvoll verzierten Griffe brachten abertausende Samurai zum Schwärmen, doch nur die ehrenvollen Samurai Edos hatten das Privileg diese Kunstwerke der Schmiedekunst an ihren Hüften zu tragen. Der Schrei einer Krähe lockte mich augenblicklich in die verborgene Welt meiner Erinnerungen während ich die Last von 50 Katana auf meinen Schultern zu Juurobi trug. Der mit dem Alter erblasste bärtige Mann mit dem kleinen Bauch war unter meinen Kameraden für das Polieren und Schleifen der schönen Klingen zuständig, war jedoch auch im Umgang mit den Waffen bewandert. Es waren seit dem kleinen Vorfall mit dem Shogunssohn schon 10 Jahre vergangen. Ich gehörte seit dem zu den zahlreichen Samurai, die direkt unter dem Befehl des Shoguns am Hofe Edos standen. Doch seit es keine größeren Konflikte gab, war bisher alles friedlich und ziemlich ereignislos. Allerdings wurde dennoch jeden Tag Körper wie Geist für den möglichen Ernstfall gestählt. Juurobi erzählte mir bei der Arbeit an den scharfen Klingen, dass am heutigen Tag neue, jüngere Rekruten an den Hof kommen würden. Es würden frische Talente hier einfallen, jedoch würden wiederum loyale Veteranen wie er selbst ihr Dienstende feiern. Ich sah ihn schweigend an, dachte an all das zurück, was er mir in den vergangenen Jahren über das Kriegertum vermittelt hatte. Er war in den letzten Jahren wie ein Vater für mich gewesen. Hatte mich versorgt, mit mir in den Kasernen gelebt und mir die Philosophie des Hofes und des Lebens beigebracht. Nun war ich dank ihm zum Mann und weitaus wichtiger noch zum Samurai geworden. Ich hatte mich vom einfachen Bauerssohn zum anerkannten Krieger entwickelt. Ich war vom Verstoßenen, der auf sich allein gestellt, völlig einsam und abgeschottet von der Außenwelt in der vor ihm sich erstreckenden Dunkelheit seinen erleuchteten Pfad zu finden hatte, zum Mitglied jener geworden, die ihr eigenes Leben unter dem Dienst ihres eigenen Herrn stellten.

„Hakuma, hör mir zu, mein Junge. Ich habe dich die vergangenen Jahre über stets begleitet, dich vor aufkommenden Gefahren geschützt und dich gelehrt, was es zu lehren galt. Allerdings hat dein Pfad des Samurai noch lange nicht den Grad der Vollendung erreicht, die einen wahren Schwertkrieger ausmacht. Führe dir immer vor Augen, dass dir noch immer der letzte Schliff zur Vollendung deiner Fähigkeiten fehlt. Dein Selbst kann mit einer in der heiligen Himmelsscheibe leuchtenden Klinge, deren Schärfegrad noch nicht genügt, um die Feinde unseres Shoguns vernichtend zu schlagen, verglichen werden. Gehe deinen Bushido, deinen Weg des Kriegers und erreiche die letzte Stufe, die dir zum wahren Bushi noch fehlt. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt, die unter dem Himmel von Amaterasu und Tsukiyomi existiert.“
Ich dankte ihm, indem ich mich tief verneigte. Die Katana lagen vollkommen perfekt in seinem Schoß und mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete die Werke der Schmiedekunst. In diesem Moment öffneten sich die schweren Holztore und die Männer, die bislang verschiedensten Aufgaben wie die Rüstungen polieren oder die Reittiere versorgen, nachgegangen waren, bildeten murmelnd eine Gasse, sodass die Neulinge durch das Tor in den Hof gelangen konnten.

Der Wind frischte urplötzlich unnatürlich stark auf, verfärbte Blätter wirbelten mit den jungen Rekruten herein als mein Blick an einem besonders jungen hängen blieb. Er war im Vergleich zu seinen Kameraden von eher schmächtiger Gestalt, war dennoch durchtrainiert und wohl proportioniert. Seine Beine waren lang und sehnig, schienen flink und kräftig. Oberkörper, Taille und Hüfte sprachen von unbeschreiblicher Beweglichkeit und außerordentlicher Körperbeherrschung. Sein Gang war stolz und aufrecht. Die Hände waren schlank, ideal für kniffligere Fingerfertigkeiten wie der Umgang mit dem Yumi, dem Bogen. Er hatte sein pechschwarzes Haar streng zurückgekämmt und in einem hohen Zopf zusammengebunden. Augen wie hochloderndes Feuer zierten das markante, unglaublich harte Gesicht trotz seines Alters. Er hatte einen leidenschaftlichen, starken Ausdruck in den Augen, allerdings war da etwas in seinem Blick, was mich störte. Der Neuling schien sich gut mit seinen Kollegen zu verstehen als er mit der Truppe zum Koordinator geführt wurde. Während meine Arbeit weiterging, wurden die jungen Rekruten an ihre bald alltäglichen Tätigkeiten herangeführt.

Der Himmel war blau, keine Wolke schirmte ihn vom Strahlen der Sonne oder vom fleißigen Treiben auf irdischen Boden ab. Die jungen Vögel entdeckten das Glück des Fliegens zum ersten Mal als eine Brise sie verspielt auf ihren Schwingen mit sich trug. Die Sonne schritt immer weiter voran, das Training mit dem Schwert begann. Mittlerweile hatte ich mich seit damals zu einem fähigen Schwertkämpfer entwickelt, Kenjutsu, also den Schwertkampf, beherrschte ich dank meines Lehrmeisters allerdings genauso gut wie Jiujutsu, den waffenlosen Kampf, und Kyujutsu, den Kampf mit Pfeil und Bogen. Den Samurai, die schon einen längeren Zeitraum unter Shogun Yukinosuke gedient hatten, war es heute gestattet der nachfolgenden Generation beim Paarkampf zuzuschauen. Ich legte meinen Fokus auf den Jungen namens Hanzo. Er hatte etwas an sich, das mich beunruhigte und ich musste dahinter kommen was das war. Seine Kampftechnik war neuartig, er setzte seinen Körper flink und bedacht ein. Ab und an duckte er sich vor Attacken weg und griff die untere Hälfte seines Gegners an. Die Angriffe waren schnell und effektiv. Wenn es in Gefechten darum ging seinen Gegner so schnell wie es nur irgend möglich war, dann würde er eine gute Partie sein. Die älteren Samurai klopften ihm anerkennend auf die Schulter, sprachen ihm große Hoffnungen für seine militärische Zukunft aus. Ich zögerte allerdings, hielt mich im Hintergrund.

Als das Licht bereits vom Horizont verschwunden war und der Mond wie eine schillernde silberfarbene Scheibe dort oben stand, begannen die Trinkfeiern der Veteranen. Dort saßen die Samurai zu hunderten zusammen, Generationen um Generationen, Alte, Mittlere und Junge. Alle waren dabei. Wir feierten ausgelassen und genossen den seltenen Sake, der zu Massen floss. Der Shogun hatte für heute eine Ausnahme gemacht, die Männer freute es.
Es war schon reichlich spät, selbst die Zikaden waren verstummt, und nur ab und zu huschte ein leuchtendes Augenpaar an dem feiernden Pack vorbei. Einige jüngere Krieger waren bereits ausgetreten oder nicht mehr bei Bewusstsein, andere wiederum tranken fleißig und durstig mit. Hanzo stand irgendwann auf, beklagte sich über Übelkeit und wankte alleine in die Dunkelheit hinein. Sein perfektes Verschwinden in das schwarze Kleid der Nacht machte mich ein wenig stutzig, ich folgte ihm. Obgleich er mehrere Stunden mitgefeiert hatte und genügend Reiswein in seinem Blute sich befand, waren seine Schritte sicher und verfolgten ein bestimmtes Ziel. Während er immer weiter in die Schatten hineinging, umfasste ich mit der linken Hand den Griff meines Katana, machte mich für mögliche Übergriffe bereit. Ohne hallende, verratende Geräusche zu verursachen, gelangte Hanzo als wäre er imstande zu fliegen, zum Schlosseingang. Einige Samurai standen vor dem Eingang, ließen ihren Blick durch das undurchdringbare Schwarz der Nacht gleiten. Gewandt kletterte Hanzo an den beiden Männern vorbei, ohne, dass sie ihn bemerkten. Mir war es aufgrund meines Rangs und meiner Dienstzeit möglich selbst zu dieser späten Stunde in das Schloss hineinzugelangen. Im wechselnden Spiel des Schattens und den tanzenden Fackeln verfolgte ich die flinken, fliegenden Schritte des Shinobi no mono, konnte ihn allerdings an Schnelligkeit nicht übertreffen, weshalb ich mich möglichst unauffällig hinter ihm aufhielt. Die Hindernisse wie Fallen bestehend aus Nachtigallböden oder Samurai, die Wache in den dunklen Fluren des Schlosses standen, bewältigte er mit Leichtigkeit und bodenlosem Schneid.

Unerwartet blieb er vor einer Schiebetür stehen, legte eine Hand auf das edle Holz und begann vorsichtig die Tür aufzuschieben. Seine Füße ließen ihn, wie eine Königslibelle über eine klare, opalisierende Wasseroberfläche schnellt, über die anmutig gefertigten Tatamimatten gleiten. Blitzartig war mir bewusst in welchem Schlafgemach wir uns befanden. In meinem Körper begann eine Welle von unglaublicher Kraft und ich spürte das kochende Blut in meinen Adern brodeln. Sämtliche Muskeln spannten sich an, mein Blick verfinsterte sich und ich zog die glänzende Klinge, die bis vor einigen Sekunden an meiner Hüfte gebaumelt hatte. Bestialische, fast schon dämonische Energien durchflossen mich und ließen mich nur auf den Neuling vor mich fokussieren. Ein Kunai blitzte im finsteren Zimmer auf und mit voller Geschwindigkeit war Hanzo im Begriff zuzustechen als mein Schwert seinen Körper bereits durchstoßen hatte. Der Ninja blickte auf die Klinge, die soeben seine Eingeweide zerrissen hatte, fasste sich an die starkblutende Wunde am Bauch und sank dann ohnmächtig zu Boden. Völlig schockiert saß der junge Prinz am Boden, neben seinem Futon, das Gesicht voll mit dem Blut desjenigen, der nur wenige Sekunden zuvor ein Attentat auf ihn verüben wollte und nur knapp zwei Meter neben ihm tot mit meinem Schwert im Rücken am Boden lag. Ich kniete mich vor ihn, fragte ihn sanft: „Mein Prinz, seid Ihr verletzt?“ Der Schock saß tief und so vernahm ich bloß das zitternde Keuchen des Shogunssohn. Die Dunkelheit hüllte uns in ihrem schwarzen Seidentuch ein und wir hockten noch einige Sekunden nebeneinander. Ich bemerkte, das rote Schimmern in seinem schönen Gesicht und holte aus meiner Rüstung etwas hervor. „Hier, mein Prinz, nehmt dies und wischt damit das Blut, das Eurer unwürdig ist, von eurer Nase ab.“ Ich verbeugte mich und streckte ihm das Seidentuch, das ich vor 10 Jahren von ihm erhalten hatte, entgegen. Augenblicklich wurde sein Atem wieder ruhiger und dankend nahm er es entgegen.

Schlagartig vernahm ich einen Zug an meinem linken Ohr und drehte mich ruckartig um. Dort stand der Attentäter wieder aufrecht, grinste mich bösartig an. „Ich war unvorsichtig, aber ich werde dennoch einen von euch mitnehmen!“ Mit seinem Kunai attackierte er zuerst meine Augen, zielte dann auf meine Brust. Da mein Schwert noch immer in seinem Körper steckte, hatte ich meinen Prinzen und mich selbst ohne Waffe zu verteidigen. Seine Schläge fing ich ohne weiteres ab, das Wurfmesser jedoch tauchte immer wieder in meinem toten Winkel auf. Schließlich gelang es ihm rechts in meine Brust zu stechen, doch mit gekonntem Griff brach ich sein Genick. Er strauchelte getroffen und ging dann endlich zu Boden. Sofort ergriff ich mein Katana und trennte sein Haupt von seinem Körper. Er sollte nicht noch einmal die Gelegenheit zu haben, meinen Prinzen anzugreifen. „Ihr seid verletzt, Hakuma!“ Der Fürstensohn Shuusei stützte mich als ich blutend wankte. Meine Hand vor der Brust verbeugte ich mich und rief gequält: „Verzeiht mir, dass ich in Eure Privatgemächer eindringen musste! Ich werde schleunigst dafür sorgen, dass das da entfernt wird und Ihr Euch wieder Eurer Nachtruhe zuwenden könnt!“ Hustend stolperte ich aus dem Schlafgemach und rief die Wachen, die sofort alles beseitigten. Ich ging, um meine Wunden versorgen zu lassen.

Die Vögel sangen bereits ihr schönstes Lied, als ich meine Augen öffnete. Ich hatte mir ein Quartier im Krankenflügel des Hofes eingerichtet und wurde notdürftig versorgt. Abermals strahlten die Farben des Himmels im sattesten Ton, die ein Mensch je zu Gesicht bekommen hatte. Das Rufen der arbeitenden Männer regte mich dazu an hinaus zu sehen und das alltägliche Treiben außerhalb meiner eigenen Aufgaben zu sehen. Hier und da wurde Getreide, Reis, Geflügel und Gemüse herbeigeschafft. Köche liefen umher, unterwiesen ihre Lehrlinge in der Kunst die richtigen Zutaten auszuwählen. Priester wanderten in den Hof hinein und baten für Gebete und andere religiöse Zeremonien um kleine Nahrungsspenden. Frische Luft umspielte mein schwarzes Haar und der Ruf der Krähe leitete mich abermals in alte Sentimentalität.

„Ihr seht besser aus, als ich annahm.“ Prinz Shuusei stand mit seinen zwei Begleitern vor meinem Krankenbett und lächelte milde. Ich warf mich sogleich zu Boden und begrüßte ihn. „Steht auf, Hakuma. Ein verwundeter Held sollte seine Genesung durch unnötiges Verbeugung behindern.“ „Dieses Zollen meines Respektes Euch gegenüber ist keineswegs unnötig, eure Hoheit!“ Sein Arm berührte kurz meinen Oberarm und zog mich sanft auf die Knie. Erneut fühlte ich mich in meine Vergangenheit zurück versetzt, allerdings war ich nun ein 29-jähriger Mann während Shuusei Ouji kurz vor seinem 20.Lebensjahr stand. „Ich danke Euch für die schnelle Hilfe. Ohne Euch verweilte ich nun unter den Toten.“ Ein Nicken folgte und die Dienerschaft tat es ihrem Prinzen gleich. „Ich möchte Euch für Euer Handeln entlohnen. Sagt mir, welche Schätze Ihr aus der Schatzkammer verlangt und ich werde es Euch persönlich aushändigen.“ Ich schüttelte tonlos den Kopf. „Ich verdiene Eure Schätze nicht, werter Prinz. Es war meine Pflicht Euch zu schützen und das dies mir gelungen ist, ist mir Belohnung genug.“ Er beugte sich vor und schaute mir direkt ins Gesicht. Doch bevor ich meinen unwürdigen, unreinen Blick von ihm abwenden konnte, sagte er entschlossen: „Euch ist ab diesem Tag gestattet mir in die Augen zu schauen.“ Sanft schenkte er mir ein Lachen und leise dankte ich ihm dafür. „Außerdem werdet Ihr mich bis zu Eurer vollkommenen Genesung jeden Tag sehen. Wie lange glaubt Ihr, braucht Ihr um Euch von dieser Wunde zu erholen.“ Mit diesen Worten fasste er mir an die Brust und tastete meinen frischen Verband ab. „Ich werde schätzungsweise 3 Tage benötigen. Der Shinobi hat nicht sehr tief getroffen.“ Er nickte. Dann wandte er sich zum Gehen. Doch bevor er ging, wandte er sich nochmals zu mir um und sagte: „Ich danke Euch, mein tapferer Samurai.“

Sein Lächeln und der Ausdruck in seinen Augen waren nicht mehr aus meinem Kopf zu löschen. Ich wusste nicht warum, doch meine Gedanken drehten sich fast den ganzen Tag um ihn. Prinz Shuusei besuchte mich jedoch nicht nur morgens, sondern auch nochmals vor der Nachtruhe. Daher war es mir noch schwieriger ihn aus meinem Kopf zu streichen. Wir unterhielten uns über viele Sachen und mir wurde schnell bewusst, was für ein intelligenter junger Mann der Prinz war. Ich war mir nun noch sicherer, dass er als Nachfolger des noch herrschenden Shogun würdig sein würde. Seine Haut war noch immer blütenweiß und eben wie Marmorstein. Ich schweifte während der Gespräche immer wieder ab, betrachtete ungewollt seine ganze Statur. Er hatte unglaublich lange Wimpern, die seine scharfsinnigen Augen wie ein kunstvoll verzierter Rahmen einschlossen. Seine Nase war gerade, ohne jegliche Unterbrechungen oder Krümmungen und seine Lippen rot wie das Feuer von Rubinen. Sein langer, schöner Hals wies auf die schmächtigen Schultern hin, die es dennoch verstanden, ein Schwert zu führen. „… Meine Mutter war es auch, die mir beibrachte, dass die Butterblume für die Kindlichkeit steht. Daher liebte sie es Butterblumen auf meine Tücher zu sticken. Wie ist Eure Mutter, Hakuma?“ Ich schaute scheu weg. Dieses Thema war mir schon immer unangenehm gewesen. „Meine Mutter war eine Frau, die immer hart für ihre Kinder arbeitete. Allerdings kam selbst sie irgendwann mit der Vielzahl ihrer Nachkommen nicht mehr zurecht, sodass sie mich fortschickte Samurai zu werden. Ich habe seit meinem Eintritt an den Hof keinen Kontakt mehr zu ihr. Weder zu ihr noch zu meinem Vater.“ Er schaute mich an, berührte mit seinen Fingerspitzen meine Hand und sprach anschließend: „Für jede Mutter ist so ein Abschied unglaublich schwer. Ich bin mir sicher, dass sie Euch niemals hatte hergeben wollen, aber da sie keinen anderen Ausweg sah, musste sie ihren ältesten Sohn wegschicken. Sie muss großes Vertrauen in Euch gehabt haben, sonst hätte sie es niemals zu gelassen, dass Ihr verhungert.“ Seine Worte rührten mich, dieses Mitleid selbst den Domin, zur Landbevölkerung, zu der ich einst gehörte, zukommen zu lassen, war wohl einzigartig in Japan. Seine Art Menschen entgegen zu kommen, selbst wenn es vollkommen fremde und scheinbar unwürdige Bürgerliche waren, machte ihn in meinen Augen zu einem Heiligen. „Ich danke Euch, Ouji-sama.“

Jedes Mal wenn er mich in meinem Krankenzimmer besuchte, freute ich mich und auch ihm war die Freude mich zu sehen, anzusehen. Am dritten Tag schlüpfte er ohne Begleitung hinein und setzte sich zu mir ins Bett. Er wollte mehr über meine Person wissen und ich erzählte ihm gerne mehr über mich. Ich gab ihm Werte über die Philosophie der Samurai preis und erklärte ihm, warum es uns Loyalität gegenüber unseres Herrn so wichtig war. „Aber ist es nicht weit ehrenvoller auch diejenigen in Schutz zu nehmen, unter denen Ihr nicht dient, aber die dennoch von feindlichen Kriegern angefallen werden?“ Ich schaute ihn stumm an, dachte über seine Antwort nach. Bevor ich jedoch antworten konnte, wurde Shuusei Ouji von seinen Diener aufgegriffen und zu einer seiner zahlreichen Unterrichtsstunden gebracht. Meine Gedanken schwirrten wie abertausender Vögel in meinem Kopf umher, suchten vergebens ein Ziel.

Der Morgen war noch nicht angebrochen, die Sonne ruhte noch friedlich und die Nacht hatte noch ihr schwarzes Haar über das Himmelszelt gespannt, als ich hinausgegangen war und mein Training wieder aufnahm. Ich führte die täglichen Schwertübungen aus, keuchte, ignorierte die Schmerzen in meiner Brust. Ich musste schnell wieder meine volle Energie erreichen, denn drei Tage Erholung hatte meiner Leistungsfähigkeit sicherlich nicht gut getan. Der Schweiß rann brennend meine Stirn herunter, die Augen blinzelten angestrengt in Richtung imaginären Feind, der mir gegenüber stand. Meine Angriffsschreie hallten durch die Morgendämmerung, die Schläge zischten durch die kalte Luft. Immer weiter bohrte sich der Schmerz in meinen Körper hinein, mein Kopf dröhnte. Die Beine zitterten unter den schweren Bewegungen, meine Arme verkrampften sich während ich mit dem Schwert umherwirbelte. „Hakuma!“ Ich drehte mich keuchend um und blickte dem Prinzen ins Gesicht. „Warum trainiert Ihr, obwohl Euer Körper noch nicht bereit dazu ist?“ Klagend sah er mich an, in seinem Blick lag jetzt tiefe Strenge. „Es tut mir leid Eure Hoheit, aber ich kann nicht länger in meinem Bett liegen und Eure Pflege genießen. Ich muss meinen Körper auf weitere Angriffe oder Kriege vorbereiten. Bitte habt Verständnis!“ Er sah mich fragend an und murmelte beinahe traurig: „Aber warum tust du dir das an? Die Zeit des Friedens ist doch in Edo hereingebrochen!“ Mein Blick wurde ernst und ich stellte mich gerade vor ihn: „Mein Prinz, ich liebe Euch und ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn Euch jemals wieder derartig Schreckliches wiederfahren würde. Ich, als einfacher Samurai, habe möglicherweise nicht die Mittel dazu, aber dennoch werde ich alles daran setzen Euch persönlich mit meinem Leben zu schützen.“ Hastig entfernten sich Schritte von uns, als ich mir in Gedanken sagte: „Nun ist es vorbei.“


Die Sonne lag tief über dem Schloss, war in ein sattes Gold getaucht. Überall um mich herum saßen Samurai, Diener, Köche, Lehrlinge, Dienstmädchen, die mich neugierig anblickten. Hinter mir stand Juurobi mit seinem Schwert, vor mir der Shogun auf einem Podest und neben ihm sein Sohn, Shuusei Ouji. „Sprich deine letzten Worte, Samurai!“ Der Shogun hob die mächtige Hand und sofort wurden die Neugierigen still. „Ich bin Hakuma, Samurai des Hofes Edo. Es ist wahr. Ich liebe den Prinzen Shuusei. Ich liebe alles an ihm. Seine Gestalt, seine Stimme und vor allem sein Wesen. Ich bin mir bewusst, dass meine Liebe eine verbotene ist. Ich bin nur ein einfacher Bürgerlicher und außerdem noch ein Mann und ich hatte nie auf die Liebe des Prinzen gehofft. Dennoch ist zu sagen, dass es mir eine Ehre war, den Prinzen vor dem Attentäter zu schützen. Es war meine Pflicht dies zu tun, gleichzeitig jedoch hätte ich mein Leben für seines gegeben. Es ist nicht bloße Loyalität von der ich hier spreche. Es ist wahre Liebe. Und der Mann, den ich liebe, ist der großartigste Mensch, den ich jemals kennen lernen durfte. Schon damals als er mir zum ersten Mal seine Zuneigung zu einfachen Menschen offenbarte, wusste ich, dass er besonders war. Seine Ziele sind edel, seine Ziele sind herzensgut. Und wenn ich die Möglichkeit hätte noch einmal zu leben, dann würde ich mir wünschen unter ihm zu dienen und diejenigen zu schützen, die wahrlich Schutz benötigen. Das ist die Ehre, die ich mir als Samurai wünsche.“ Ich hob mein Schwert und drehte die Klinge zu mir. Die Menschen um mich herum waren alles Fremde, die schaulustig auf das Seppuku eines Bushi warteten. Ich wusste, dass diese Art von Selbsthinrichtung üblicherweise in einem abgedunkelten Raum mit einer geringerenZuschauerzahl stattfand. Dieses öffentliche Bauchaufschneiden war sicherlich nicht mehr ehrenvoll, aber ich hatte meine Ehre nicht mehr herzustellen. Ich liebte Shuusei und wusste, dass dies kein Fehler war.


Als ich meine geliebte Klinge in meinen Leib stieß, erblickte ich dich, wie deine Tränen deine Wangen in ein trauriges Netz legten, und fragte mich unwillkürlich, ob du mich genauso geliebt hast wie ich dich, Shuusei…




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Tag der Veröffentlichung: 06.09.2012

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Für TsubasaTenshi

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