Ein Rumpeln ließ mich aufschrecken. Ich kletterte aus meinem improvisierten Bett aus grauen Laken und Metallplanken. Prüfend ließ ich meinen Blick durch den kleinen Schlitz der gläsernen Kuppel eines ehemaligen Towers, den einige überlebende Geschundene zu ihrem kleinen Reich ernannt hatten, schweifen. Alles schien soweit ruhig. Die dunklen, grauen Wolken verhingen verstört den blutroten Himmel, überall aus dem unfruchtbaren Boden ragten die metallenen Überreste vergangener Zivilisationen. Wo man nur hinblickte, nichts außer Sand, Stein und Trümmer. Der dicke gelbe Nebel hatte sich wie jeden Tag wie eine schwere nicht ablegbare Hülle über uns und das vertrocknete, ausgedörrte Land gelegt und selbst der auffrischende Wind vermochte ihn nicht durch die kaum bewachsene Ebene zu treiben. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich eine dunkle Rauchsäule gen Himmel streben. Die Sonne, die grell lodernd fast das gesamte verbliebene Grün der Erde versengt hatte, erhob sich in vollstem Glanz und vollkommener Schönheit in die unendlichen Weiten. Ich kniff meine Augen zusammen. In dieser Richtung lag die Unterkunft des Professors. Meine Beine trugen mich über die Trümmer hinweg in Richtung des alten Mannes. Was hatte er nun schon wieder getan?
Hustend und keuchend kam er aus seiner Behausung gekrochen. Er schien unverletzt und klopfte sich einfach nur den gröbsten Dreck aus den Klamotten. „Was ist passiert? Hast du dich verletzt?" Der alte Mann lächelte mich kurz an und schüttelte den Kopf. Sofort sprang er auf und begann die Steintrümmer vor seiner Bleibe zu stapeln, um ein wenig Stabilität zu erreichen. Seine vier Arme leisteten dabei eine ungeheure, schnelle Arbeit. Dann humpelte er zurück in seinen staubigen Lebensraum und präsentierte mir stolz eine längliche Kapsel, in die sich mit Mühe und Not ein einzelner Mann hätte hineinlegen können. „Dies, junger Freund ist eine Zeitmaschine. Damit können wir in die Vergangenheit reisen und diese bösen Männer fertigmachen!" Ein fürchterliches Lachen entsprang seiner Kehle. Obwohl er zu den Upper Corps gehörte, hatte er sich so viele Male für die Geschundenen eingesetzt und war letztendlich selbst zu einem von ihnen geworden. „Ich muss sie nur noch ein wenig überarbeiten, aber dann geht’s los!" Wieder entfuhr ihm eine Menge Gelache und traurig lächelnd klopfte ich ihm auf die Schulter.
Es war an der Zeit mir eine Kleinigkeit zu Essen zu besorgen. Ich strich durch die Ödnis und fand ein wenig Gras und verdorrte Früchte. Mit dem vorrätigen Wasser konnte ich mir daraus eine Suppe für den Tag machen. Die Boots aus Eisen waren hart und schwer und die aufkommende Hitze des Tages ließen meine Füße glühen. Mit der Machete aus Stahl arbeitete ich mich durch von den Betondecken hängenden Kabeln und blickte mich nach nützlichen Dingen um. Ab und an fand man Alltagsgestände der Vergangenheit wie Spiegel oder Radios. Doch in dieser Zeit hatte weder Schönheit oder Eitelkeit noch Nachrichten von der Geburt eines Eisbärenbabys jegliche Bedeutung. Keiner von den Under Corps konnte sich schöner oder attraktiver schimpfen. Denn jeder von uns litt an körperlichen sowie seelischen Schäden und Veränderungen. Und Nachrichten brauchte keiner zu hören, denn jeder wusste was in unserer Welt passierte. Es war Krieg und das würde sich nie ändern.
Die gräuliche, teilweise zerrissene Hose klebte an meinen Beinen. Und auch der sandige Staub umhüllte meine braun gebrannte Haut wie eine zweite. Der am Himmel prankende Stern, den wir hoheitlich Sonne nannten, ließ gnadenlos sein Feuer auf die am Ende stehende Erde prallen. Mein linker Arm, der aus Aluminium gefertigt war, ließ metallerne Geräusche von sich, als ich von einer Erhöhung auf die unterste Ebene sprang. Hier war alles schattig und feucht. Eines der wenigen Orte, die noch das grüne Leben zuließen. Mit der rechten Hand strich ich mir durch das Gesicht, dann durch das pechschwarze Haar, das mir schweißnass über die Augen fiel. Der ledrige Handschuh knarrte unter den schnellen Bewegungen und sorgfältig strich ich über die Fliegerbrille und den weißen Schal. Beides eher ungeeignete Dinge für das Leben in dieser Hölle der Hitze, dennoch konnte ich die einzigen Erinnerungen an meinen Vater nicht aufgeben.
Ein Kugelblitz und ein lautes Knallen alarmierten meine vor sich hin dünstenden Sinne und geschwind sprang ich über alles hinweg, was mir im Weg war. Die Siedlung der Geschundenen lag in vollkommener Panik und geordnetem Chaos vor mir. Die Cyborgs schossen mit Lasern und anderem High Tech Geschossen um sich, während ihre Herren hinter ihnen oder gewaltigen Bazookas Schutz suchten. „Na, wen haben wir denn da? Unseren Vogelmann Falcon. Wie geht’s dir und deinem Arm denn so?" Grinsend lehnte sich Gregory gegen seine Monsterbazooka. Er war der Grund gewesen, weshalb ich meinen Arm verloren hatte. Ein kleines Mädchen mit schuppiger Haut und drei Augen war sein Ziel gewesen. Sie kam unverletzt davon, ich nicht. Gregory war ein typischer Upper Corp. Er war selbstsüchtig und selbstverliebt. Er war der reiche Enkel eines ehemaligen Regierungschefs. Und er hasste alle Geschundenen. Sie waren für ihn keine Menschen. Sie waren Monster. Jeder von uns sollte daran glauben. An das Ende. Knurrend hob ich meinen eisernen Arm. Durch ihn hatte ich meinen Arm verloren, aber durch ihn hatte ich auch eine mächtige Waffe gewonnen.
Professor Fourarm hatte der Oberfläche meines Armes hitzeabsorbierende Substanzen beigefügt, die es mir ermöglichten mit dem teuflischen Flammenmeer der Himmelsscheibe eine zerstörerische Feuerbrunst auf meine Feinde zu richten. Heute würde ich den Upper Corp mit ihren Cyborgs aus der Siedlung der Under Corps vertreiben. Die Hitze in meinem Arm stieg ins Unermessliche und schreiend feuerte ich ab. Angsterfüllt verbarg er sich hinter seinem Bodyborg, der ihn zunächst von der Feuersäule abschirmte, aber dann unter den gewaltigen Temperaturen zusammenschmolz und nur eine silbrige Pfütze hinterließ. Augenblicklich ging ein Regen von Lasern auf mich nieder und getroffen sank ich zu Boden. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich stellte mich auf meine Beine und hob erneut den Arm. Die Sonne stand hoch am Firmament und schenkte mir ihre übermächtigen Kräfte. Ein Wirbelsturm aus Feuer entstand als ich herumwirbelte und die teuren Spielzeuge der reichen Pinkel niederbrannte. Kreischend nahmen sie zunächst reiß aus.
Keuchend setzte ich mich auf einen Trümmerhaufen. Der Arm war noch nicht ganz ausgereift, weshalb sein Einsatz extrem kräftezerrend war. Die Bewohner der Siedlung lugten aus ihren Verstecken. Viele unserer Krieger waren nicht mehr geblieben. Zu groß war die Zerstörungswut der neumodischen Gerätschaften, die die Upper Corps entwickelten. Ihre Technologie machte es ihnen möglich Erze und andere benötigte Materialien zu züchten. In riesigen Glasgefäßen setzten sie einfache Bruchstücke oder Fragmente ihres Zuchtmaterials auf einen Chemikalienteppich und binnen zwei bis drei Tagen war ein mächtiger Brocken herangewachsen.
Sie hatten zudem auch Grünkuppeln, die es ihnen ermöglichten im vollsten Genuss und Wohlstand zu leben. Also bessere Ausrüstung sowie fittere Kämpfer.
Als die Menschen des Under Corp mich dort hocken sahen, kamen sie angelaufen und begutachteten mich nach Verletzungen. Sofort hoben sie mich in die Höhe und brachten mich zu einem der letzten verbliebenen Ärzte. Die Wunden wurden gestillt und die Tochter des Arztes kuschelte sich an mich, um mich von den Schmerzen abzulenken. Ein liebes Kind. „Onkel, wie heißt du?" Ich lächelte sie an. „Ich heiße Falcon, Kleines." Sie sah mich mit schräg angelegten Köpfchen an. Ein schlaues Mädchen. Sie erinnerte mich an das Mädchen, das ich damals gerettet hatte. „Das ist aber ein komischer Name, Onkel. Was bedeutet er?" Wieder huschte ein Lächeln über mein Gesicht. „Es ist der Name eines stolzen, starken Tiers. Mein Vater gab ihn mir." Als sie abermals den Mund öffnete, um mich mit weiteren Fragen zu löchern, kam ihr alter Herr herein und scheuchte sie davon. Er entschuldigte sich für seine unverschämte Tochter und ließ mir einige Zeit um mich auszuruhen. Doch soweit kam es nicht. Schnell waren die Upper Corps zurückgekehrt, um sich für ihre Schmach gegen einen einzelnen Mutanten, wie sie uns abschätzig nannten, verloren zu haben, zu revanchieren.
Ich versuchte mich aufzusetzen. Meine Wunden schmerzten und lange würden die Stiche nicht halten. Mein linker Arm klackerte. Er saß locker, aber ich hatte keine Zeit mehr um einen Abstecher zum Professor zu machen. Die Menschen brauchten meine Hilfe. Ohne mich würden sie nicht überleben. Ich konnte sie jetzt nicht einfach im Stich lassen. War ich doch einer der Krieger, die im Moment imstande waren zu stehen und für sie zu kämpfen.
Die Sprösslinge der ehemaligen Regentschaft der Erde hatten ihr neues Spielzeug mitgebracht. Zierliche und blasse Frauen, die nur durch ihre langen, welligen Haare bedeckt waren. Es war offensichtlich die neueste Version eines Cyborgs. Nicht nur zerstörungswütig, sondern auch noch hübsch anzusehen, war scheinbar der Wunsch der jungen Männer gewesen. Die Frage war nur, worin nun das Update lag. Alles schmerzte. Meine Haut war ein brennendes Feld, das sich immer weiter ins Innere, sprich in meinen Körper, fraß. Das Atmen fiel mir schwer. Heute waren die Schwefelfelder besonders aktiv. Ich hatte mich vom neulichen Überfall noch nicht erholt. Doch ich hatte keine andere Wahl. Die anderen konnten sich nicht verteidigen. Ich war einer der wenigen, die körperlich weniger eingeschränkt war. Wir mussten diesen Bastarden beweisen, was es hieß ein echter Mensch zu sein. Es hieß zu leben, ganz egal, wie schwer es einem die äußeren Umstände machten. Aufgeben war keine Wahl. Kämpfen, überleben und hoffen. Hoffen auf eine bessere Zukunft, ganz egal, wie lange es dauerte.
Gregory hatte sich wieder einmal hinter seinem Metallkörper versteckt und lachte mich aus der Ferne aus. Es hatte bisher keine Situation gegeben, in der er mich dermaßen lädiert gesehen hatte. Gleichgültig. Sollte er doch lachen. Wir würden uns niemals ergeben. Auch wenn es hieß zu sterben und doch keiner hoffnungsvolleren, besseren Zukunft mehr entgegen zu leben.
„Hallo nochmal, Vogelmann. Ich wollte mich nur nochmal bei dir bedanken, dass du uns mit solch einer Feuersbrunst angegriffen hast, denn das hat mir die Augen geöffnet!" Ein schrilles Pfeifen ging durch die Reihen. Die Cyborginen hoben ihre Arme und streckten mir ihre Handflächen entgegen. Schwarze Auspuffe dekorierten ihre Innenhandflächen und langsam begann ich zu verstehen, was er meinte. Mit schreckgeweiteten Augen drehte ich mich zur Siedlung und schrie lauthals: „Lauft weg! Gleich gibt es hier ein gewaltiges Inferno!!!" Entsetzt schauten die Köpfe der Geschunenen aus den Verstecken. Als sie verstanden, was wirklich los war, rannten sie in panischer Angst in Richtung innere Siedlung. Die Feuerhände der weiblichen Kampfmaschinen begannen sich glühend heiß zu erhitzen. Alle waren auf mich gerichtet. Ich lachte. Dass ein einzelner Mann den mächtigsten Männern der Welt ein derartiger Dorn im Auge sein konnte, war höchst amüsant. Die Hände der Metalldamen spuckten plötzlich riesige Feuerbälle aus und kamen in rasender Geschwindigkeit auf mich zu. Mit einem gewaltigen Sprung in die Höhe wich ich ihnen aus und sah unter mir den schmelzenden Erdboden stöhnend verdampfen. Ächzend landete ich auf meinen Beinen und verspürte ein starkes Ziehen in der rechten Wade. Ich blickte zu den Gegnern, die aber ironischer Weise von den Cyborginen, die dem plötzlich ausgetretenem Druck der Feuerbälle nicht standgehalten hatten, umgeworfen worden waren. Wie die Kakerlaken lagen sie auf dem Rücken und wälzten sich im Staub der sterbenden Welt. Das war meine Chance. Ich rannte im Eiltempo über die Trümmer und verletzte einige von ihnen am Bein, sodass sie selbst wenn sie jetzt versuchten zu fliehen, es nicht mehr schaffen würden durch das tödliche Meer aus Sand und Stein zu entkommen. Gregory gelang es wieder auf die Beine zu kommen und half auch seinem Cyborg wieder hochzukommen, indem er seinen Fuß unter ihren Körper schob und zutrat.
Sie war nichts als ein Werkzeug für ihn. Dieser Arroganz und diese Selbstverständlichkeit in seinem Gesicht war einfach ekelhaft. Für ihn war kein Leben außer sein eigenes wertvoll. Seine Macht machte ihn unantastbar, so glaubte er. Vielleicht dachte er, dass er ein König, ein Gott war. Keiner konnte ihm was antun. Aber ich würde ihm vom Gegenteil überzeugen. Er grinste mich unverschämt an. Noch war der Kampf nicht gelaufen. Wieder ließ er ein Pfeifen ertönen und seine Kampfmaschine rannte in einem höllischen Tempo auf mich zu. Ich sah im Lichte der Mittagssonne etwas Silbernes aufblitzen. Es waren offensichtlich Klingen, die aus ihren Armen ragten und die die Aufgabe hatten mich wie ein vergammeltes Stück Fleisch zu durchbohren und zu durchlöchern. Mit blitzschnellen Bewegungen sausten die Klingen an meinem Kopf und an meinem Körper vorbei. Keuchend versuchte ich auszuweichen, aber kein menschliches Auge hätten diesen Armen folgen können. Ich wurde getroffen. Zwei Schneiden rissen mir die Seiten auf, eine streifte meinen rechten Unterschenkel und vier verpassten mir schöne Schnittwunden im Gesicht. Die offenen Wunden brannten. Ich hielt mir die größten mit den Händen zu. Das Blut sickerte unvermindert aus meinem Bauch und allmählich spürte ich wie mein Verstand allmählich an Kontrolle verlor. Aus der Ferne vernahm ich ein Lachen. Gregory brüllte zu mir herüber: „Ich weiß nicht ob du sowas kennst, primitiver Vogelmann. Aber die Klingen sind im Gift vom Nachtschatten getränkt worden. Gleich wirst du tot sein!" Sein hämisches Lachen kroch langsam in meine Knochen und die Kraft verabschiedete sich allmählich. „Haha! Ich bin der mächtigste Jäger! Ich habe alle Kriegermutanten fertig gemacht! Sie sind alle tot! Muhahahahahahahaha!" Eine gewaltige Hitze brannte in meinem Innern und lodernd kämpfte sie sich nach außen. Ich fühlte wie der Zorn in meinem Blut brodelte. Er hatte sich selbst als Jäger bezeichnet. Waren wir Geschundenen denn so vollkommen anders als er und seine Sippschaft? Hatten wir nicht wie jedes Lebewesen auch das Recht zu leben? Waren wir nicht genauso wie er: Menschen? Die Kraft kämpfte sich zurück in alle Muskeln meines Körpers. Die gestärkten Beine ermöglichten es mir mich wieder in eine gerade und kampflustige Körperhaltung aufzurichten. So einfach würde er mit seinem Spott nicht kommen. Ich würde ihn nicht mehr entkommen lassen.
Als er sah, dass ich wieder stand, stockte sein Lachen, sein Dauergrinsen brach jedoch nicht ab. Ich biss mir auf die Lippen. Die Wärme aus meinem Körper verschwand, meine Sicht wurde schlechter, dennoch verlosch das Feuer der Energie in meinem Innern nicht. Nicht bevor ich meine Aufgabe beendet hatte. Ich hob den linken Arm. Das Feuer hatte sich wie ein wilder Drache bereits um ihn gelegt und war bereit jederzeit zuzuschlagen. Ich ließ Gregory keine Zeit sich vorzubereiten und ließ sofort einen Feuerstrahl auf ihn los. Sein Schrei verhallte in der gähnenden Leere der Verwüstung, doch sein Cyborg sprang dazwischen. Der Kopf wurde weggeschleudert und blitzende Funken trieben aus dem metallernen Körper. Aber mein Feuerstrahl war stark genug gewesen und hatte auch sein eigenes Ziel erreicht. Sich in den Flammen krümmend schrie der Regentensohn seiner Kampfmaschine einen letzten Befehl zu: „Mach ihn KALT, C-089!" Die kopflose Cyborgine kam wieder in der gewaltigen Geschwindigkeit auf mich zu und schlang ihre Beine um meinen Körper. Dann richtete sie ihre Handflächen auf mich. Ich war in ihrem Visier und konnte nicht mehr entkommen. Der Regen aus Feuer senkte sich über mich und Hitze bohrte seinen Weg wie eine Lanze aus Feuer und Metall durch meine Haut. Völlig kraftlos sank ich zu Boden und verschwand in der Dunkelheit.
Eine Hand strich über meine Stirn und verwirrt öffnete ich die Augen. Der Professor und der Arzt blickten mich besorgt an. „Du bist mir vielleicht ein Teufelskerl, Falcon! Du hast es geschafft, obwohl du so viel abbekommen hast!" Ich setzte mich auf, doch der Arzt schüttelte den Kopf. „Du musst dich noch ausruhen. Sonst öffnen sich deine Wunden. Außerdem muss sich deine Haut regenerieren. Das Feuer und die darin enthaltenen Mikroandroiden haben gewaltige Arbeit geleistet." Ich sah meine Haut an und erschrak. Überall nur Brandblasen und verbrannte Haut. Die beiden verließen den Raum und rieten mir noch einige weitere Tage zu schlafen. Doch der traurige Blick in den Augen der beiden Männer sagte mir, dass mein Körper sich nie wieder vollkommen erholen würde. Abwesend lag ich in dem weißen Laken und fühlte wie die Kraft einfach nicht zurückkehren wollte. Ich hob meine Hand und betrachtete sie. Sie zitterte und war eiskalt. Überall an meinem Körper hatte ich Verbände und darunterliegende genähte Wunden. Alles Zeugnis meines Kampfgeistes. Ich hatte meine Freunde, meine Familie beschützt. Fürs erste. Der Krieg jedoch war nicht ausgefochten. In unserer Siedlung gab es keine Männer mehr, die stark genug waren um gegen die Upper Corps zu kämpfen. Die Frauen hatten sich um die Kranken und Kinder zu sorgen. Außerdem musste sich um Nahrung und Wasser gekümmert werden. Es war aussichtslos. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis der Upper Corp beschloss dem Under Corp vollkommen den Gar auszumachen und so als einziger Menschenstamm die Welt zu regieren. Ich war ihnen allen doch nur eine Last- jetzt wo ich nicht mehr für ihren Schutz sorgen konnte, sondern selbst Schutz benötigte. Die Nacht brach herein und legte sich wie ein kalter, kahler Schleier um meine Schultern. Hustend erhob ich mich. Das Blut hatte sich also schon bis in meine Mundhöhle gekämpft. Wahrscheinlich kannte keiner der Geschundenen ein Gegenmittel für das Gift.
Meine entkräfteten Beine kämpften gegen die Gravitation an, als ich mich aufrichtete, um die Verbände abzunehmen. Sie waren nicht mehr von Nöten. Ich wollte nur noch einmal scheinbar unverletzbar, unbesiegbar durch die Siedlung gehen und mich von allen verabschieden. Doch ehe ich aus der Tür des Unterschlupfes des Professors trat, bemerkte ich einen Schimmer aus dem Augenwinkel. Ich drehte mich langsam in die Richtung des verführerischen Lichts. Es war die Zeitmaschine, die der Professor inzwischen wieder repariert hatte. Ich schlang meinen halbverkohlten Schal um den Hals und setzte die geschmolzene Fliegerbrille auf. Dann zog ich mich mit letzter Kraft in die Kuppel. Die Monitore und die ganzen Knöpfe verwirrten mich. Ich tippte einfach die Zahl 2012 ein und legte ein paar Hebel und Schalter um. Plötzlich blendete das Licht der Maschine grell auf und ein Zischen verschloss die Kapsel. Ein Rauschen ging durch die Zeitmaschine und ein aufkommender Sog riss an mir. Blitzende Lichter überall. Ich vernahm meine eigenen Schmerzensschreie aus einer unüberwindbaren Ferne und fühlte mich wie aus meinem Körper geschleudert. Dennoch konnte ich jede aufreißende Wunde deutlich aufschreien hören und das Blut gnadenlos aus ihnen sickern sehen.
Meine Augen suchten schmerzerfüllt den Horizont ab, als ich mit endloser Geschwindigkeit die Zeiten an mir vorbeirasen sah. Dann der Tag an dem sich das Schicksal der Menschheit entschieden hatte. Es war der 21.Dezember 2012. Der Weltuntergang. Die Apokalypse. Aber nicht in dem Sinne einer Naturkatastrophe oder eines Meteoriteneinschlags. Nein. Die Menschheit hatte sich an diesem Tag selber gerichtet. Der 3.Weltkrieg brach aus. Die Nationen waren mit der Zeit nach und nach bankrott gegangen und versuchten sich gegenseitig mit blutiger Gewalt das Geld aus den Taschen zu ziehen. Die Regenten und Reichen, die sich zu schade gewesen waren, um den Bedürftigen etwas von ihrem Wohlstand abzugeben und die, die in ihrer Not zu den Waffen gegriffen hatten. Es war die ultimative Schlacht der Völker. Millionen Tote binnen weniger Stunden. Das Zeitalter des Hightechs hatte seinen blutigen Höhepunkt erreicht. Doch anstatt Frieden zu stiften, verschanzte sich die obere Schicht feige in ihren Katakomben und zündete Atombomben, die der Erde das Gesicht nahmen und mit diesem verging das Leben der Weltbevölkerung. Seit diesem Tag existierten Under und Upper Corps.
Als ich dachte, dass mein Körper gleich in zwei blutigen Teilen auseinandergeschleudert werden würde, war die aufgetretene Kraft plötzlich verschwunden.
Dann plötzlich ein übermächtiger Knall. Die Sonne über mir. Schreie und umherlaufende Schatten. Eine lebende, leuchtende Metropole, die tausende, gesunde Menschen beherbergte. Fröhliches Treiben in den sauberen Straßen, scheinbare Gleichberechtigung in Wohlstand und Würde. Mitreißende Musik, die die Atmosphäre und die Stimmung erheiterte und lachende Kinder, die glücklich der Zukunft und ihrer Träume entgegenlebten.
Keuchend erinnerte ich mich. Mein Vater.
-„Falcon, möchtest du wissen, warum Papi dich Falcon genannt hat? Ja? Na, Falcon ist ein starker und männlicher Name. Papi ist sich sicher, dass du später mal ein ganz großer, starker Mann wirst. Aber das ist nicht der einzige Grund. Als Papi noch geflogen ist, hat er einmal zum ersten und zum letzten Mal in seinem Leben einen Vogel gesehen. Du weißt nicht, was ein Vogel ist? Ein Vogel ist ein Tier, das die Lüfte und den Himmel beherrscht. Es ist vollkommen frei und kann fliegen, wohin es will. Und weißt du was? Das war ein Falke. Ein Falcon. Ein starker, majestätischer und wunderschöner Falke."-
„Oh mein Gott! Dieser arme Mann! Man muss ihm helfen!Seht euch seine Haut an! Alles voller Verbrennungen und Blut! Bei dem Aufprall mit dem Auto muss er mit so gewaltiger Wucht aufgeschlagen sein, dass ihm schon die Rippen aus dem Rücken ragen!" Die Stimme einer Frau. Mein Lachen. Ich war ein Mutant. In der Zukunft. Meine Mutation bestand darin, dass ich zu viele Knochen hatte, weshalb sie hinten herrauswuchsen. So sah ich schon immer aus. Doch mein Vater hatte mich geliebt. Das war ebenfalls ein Grund gewesen, weshalb er mich Falcon genannt hatte. Die Knochen in meinem Rücken sahen aus wie die Flügel eines Vogels. Federlos.
Ich blickte stumm zum Himmel. Blau. Weiße Wolken, frische Luft. Eine Brise erhob sich und wirbelte grüne Blätter mit. Und plötzlich sah ich ihn: Majestätisch, stark und wunderschön gen Sonne fliegend. Ein Falke.
Wie ein Gott glitt er auf dem Wind dahin und schien auf mich herabzublicken. Mein Kopf war leer.
Nur in meinem Herzen spürte ich den einzigen Wunsch: Wie ein Falke die Freiheit des Lebens in den Schwingen der Kraft halten zu können.
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Tag der Veröffentlichung: 29.01.2012
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Widmung:
Für meine Zwillingsschwester