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Leseprobe von Jack Parry!


Der Mythos, der Jack Parry bis heute umgibt, fand seinen Ursprung im Jahr 1950. In diesem Jahr lernte ich ihn kennen und danach war nichts mehr so, wie es einmal war. Die Stadt Poortown durfte für kurze Zeit im Rampenlicht stehen und war sehr stolz auf ihren berühmtesten Sohn.

Vielen ist diese Stadt noch heute ein Begriff, obwohl fast niemand mehr weiß wo sie wirklich liegt. Eine Freundin hat mir vor ein paar Jahren mal erzählt, manche Reisebüros würden Touren nach Poortown anbieten. Ob diese Reisen wirklich in meine frühere Heimatstadt gehen, bezweifle ich sehr stark. Poortown ist heutzutage unscheinbarer, als je zuvor.

Frühere Einwohner sind entweder längst tot, oder aus der Stadt geflüchtet. Haben den Sprung ins Überleben geschafft. Ihr Hab und Gut geschnappt und das einzig Richtige gemacht. Dieser trostlosen Stadt ein für alle Mal den Rücken gekehrt.

Auch mein Leben nahm eine unvorhergesehene Wende, als Jack Parry in mein Leben trat. Wir litten zusammen und kämpften um unser nacktes Überleben. Kämpften um ein Leben, dass das Kämpfen eigentlich gar nicht wert war, aber es war nun mal das Einzige, dass wir besaßen. Noch heute frag ich mich, wenn ich meine nun so alte Gestalt betrachte, warum wir das Alles auf uns nahmen. War es das wert? Was haben wir uns dadurch versprochen? Was dachten wir uns dabei? Haben wir überhaupt gedacht? Oder waren wir einfach nur so naiv, wie es Kinder ohne Zukunftsperspektive nun mal sind.

Was auch immer damals durch Jacks und meinen Kopf ging, was uns in dieser Zeit zum ständigen weiterkämpfen brachte und am Leben hielt, daran werde ich mich hoffentlich allmählich wieder erinnern. Ich hoffe es, denn meine Erinnerungen sind alles was mir blieb. Sie sind mein größter Schatz, aber leider auch so vergänglich, wie es alle wertvollen Dinge nun mal sind. Meine Erinnerungen an diese Zeit und vor allem an die Tage, die alles ins Rollen brachten, sind aber noch so klar, als wäre es gerade erst passiert.

Ich lag am Jahreswechsel zu Hause in meinem alten, kaputten Bett, das schon längst in sich zusammengefallen war und auf dem Fußboden lag. Ich versuchte keinem Menschen Zutritt zu meinem zwar noch jungen, aber dennoch bereits sehr verbrauchten und unerträglichen Leben zu gewähren.

Auf den Straßen Poortowns war wie jedes Jahr um diese Zeit die Hölle los. Obwohl die Einwohner selbst zum Großteil arme Schlucker waren, fanden viele dennoch in dieser speziellen Nacht für kurze Zeit ihren Lebensmut wieder und ließen das Lichterschauspiel auf sich wirken. Ein Lichterschauspiel, das diesen Menschen nur gewährt war, da der Himmel vor ihren Augen nicht versperrt werden konnte. Den Anblick dort hinauf konnte ihnen noch niemand verbieten und dieses Privileg bedeutete diesen Menschen die Welt. Sie liebten es hinauf in den pechschwarzen Himmel zu blicken, der von Raketen und verschiedenstem Feuerwerk plötzlich zerrissen wurde und ihre Straßen für kurze Zeit hell erleuchtete.

Die verzweifelten von Hunger und Elend gezeichneten Gesichter von Vätern und Müttern, die sich aufgeregt mit ihrem Nachwuchs auf die Straßen stellten, wurden für einige Augenblicke von kindlichem Lachen durchzogen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und für kurze Zeit wurden sie von ihrem unerträglichen Hunger und Durst abgelenkt. Väter hoben ihre Winzlinge auf ihre Schultern und lachten, wenn diese vergnügt hin und her hüpften. Ich beobachtete sie jedes Jahr. Sah wie sie aus den Häusern strömten oder aus ihren Verstecken krochen. Beobachtete wie sie, während sie in den Himmel hinauf starrten, über noch bemitleidenswerte Menschen stolperten, die zusammengekauert auf den Straßen lagen. Ich sah die verzweifelten Augen und ausgelaugten Gesichter derer, denen bereits die Kraft zum aufstehen fehlte. Augen, die man bekam, wenn man in das Elend Poortowns hineingeboren wurde und nun auch seine eigenen Kinder, deren Augen bald mit der gleichen Verzweiflung gezeichnet sein würden, dort aufwachsen sah. Gesichter, die man bekam, wenn man jahrelang auf den Straßen schlief ohne Aussicht auf ein warmes Zuhause, oder wenn man ununterbrochen in den Fabriken schuften musste, ohne auch nur im Entferntesten an einen freien Tag denken zu können. Ich konnte die tägliche Furcht und Verzweiflung der Menschen deutlich spüren und auch sehen. Dafür brauchte ich mich noch nicht einmal aus dem Fenster lehnen. Die Angst war unübersehbar. Manchmal beschlich mich sogar das total verrückte Gefühl, dass die Angst der Menschen von draußen jeden Moment auf mein Fensterbrett springen und mich dann ebenfalls befallen würde. In diesem Fall warf ich das Fenster immer ganz schnell zu.

Ich schaute mir in dieser Nacht nicht das Feuerwerk an. Weigerte mich vehement, da es mir von Jahr zu Jahr immer lächerlicher vorkam, mich an einem Feuerwerk zu erfreuen, bei dem mir jedes Mal bewusster wurde, das dies von Leuten kam denen es viel besser ging als mir.

Ich wäre wohl nie in der Lage gewesen meine eigene Botschaft in den Himmel hinauf zu schießen. Hätte niemals meinen Gruß Richtung Himmel schicken können. Niemals ..., dieses Wort schoss mir damals ständig durch den Kopf. Ich hasste es abgrundtief, aber dennoch baute ich so viel darauf. Baute es in fast jeden Satz ein oder murmelte es einfach nur lustlos vor mich hin. Ich empfand es als selbstverständlich, dass ich dadurch für Alles entschuldigt war. Ich werde niemals, ich kann niemals ...

Niemals würde sich irgendetwas in meinem Leben zum Guten verändern.
Ich war gerade erst fünfzehn geworden, aber dennoch schon total verbittert und glaubte nicht mehr an viel. Meine Wünsche und vor allem mein Glaube, falls ich je an etwas geglaubt hatte, gab es schon lange nicht mehr. Ich war jung und empfand damals einfach so. Menschen, die niemals in dieser Situation steckten, werden die Gefühle, die ich damals empfand, nicht verstehen können. Aber ich führte dieses Leben und dachte als Teenager bereits mein Leben vollends gelebt zu haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es viel weiter schaffen würde.

Poortown war für die meisten Menschen hier eine gnadenlose Endstation. Wenn hier jemand freiwillig herzog, musste er sehr verzweifelt und nicht fähig sein, seinem eigenen Leben schneller ein Ende zu setzen. In Poortown ging der Kampf mit dem Tod sehr langsam von statten. Aber Kämpfe wurden ausgetragen. Jeden Tag wurden neue Partien gestartet und jeden Tag verloren Viele diese. An diesem speziellen Tag kreisten meine Gedanken immer wieder um Städte, die mir bekannt waren und um dort zu Leben, ich wohl alles getan hätte. Sie schienen so nah, aber dennoch so fern.

Die Menschen, die ich beneidete, kamen aus der Fabrikstadt Molan Tune, die früher ein Teil Poortowns war. Aus Hegon, in der sich sowohl Reiche, als auch Arme tummelten und die nur die Mischmasch Stadt genannt wurde und vor allem aus Evister Grey, der Stadt der Reichen.

Poortown und Evister Grey waren durch die Evister Schlucht getrennt, die den reißenden Evister Damm in sich barg. Vor der Schlucht wimmelte es stets von Einwohnern Poortowns. Entweder um gleich auf der Stelle Selbstmord zu begehen, oder um sich fest vorzunehmen den Sprung rüber nach Evister Grey zu schaffen, um dann kreischend hinab zu stürzen. Jeden Tag versuchten einige Mutige oder Wahnsinnige, hing davon ab wie man es sehen wollte, den Sprung über die Schlucht, aber ich weiß von Niemandem, der Anlauf genommen und statt gefallen geflogen ist.

Ich ging oft mit meinem Bruder Brian zur Schlucht und so kannte ich den Weg dort hin recht gut. Während wir uns an die Klippe setzten und den armen Teufeln beim Fallen zusahen, behauptete Brian, dass er irgendwann auch springen würde. Er würde es wagen und er würde es als Erster und Einziger überhaupt schaffen! Er würde den tiefen Abgrund bezwingen und einfach darüber schweben. Einfach so. Heutzutage würde man bei so einer Äußerung wohl denken, dass der Gute bereits zu viel Schnee in seinem Leben gesehen hat, aber wir hatten noch nie etwas von Drogen gehört, geschweige konnten wir uns daran erinnern, je wirklichen Schnee gesehen zu haben.


Mehr über Jack Parry findest du hier: www.austrian-writer.at


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.10.2011

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