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Samstagmorgen

Die Tür zu meinem Zimmer wird mit solchem Schwung aufgestoßen, dass die Bücher im Regal daneben bedenklich ins Schwanken geraten. Kurz darauf höre ich auch schon eilige Schritte und etwas springt auf mein Bett und macht es sich auf meinen Rücken gemütlich. Ich muss mir ein schmerzhaftes Ächzen verkneifen. Wenn ich mich schlafen stelle, habe ich vielleicht eine Chance. So winzig klein sie auch ist, sie ist da. Ich muss nur die Augen geschlossen halten und mucksmäuschenstill bleiben.

„Sandro? Schläfst du noch?“ Ein warmer Hauch streift mein Ohr und schlanke Finger gleiten hauchzart über meine Haut. Von meinen Nacken herüber zu meinen Schultern. Ich mag seine Finger, ebenso wie diese federleichten Berührungen. Nur mühsam kann ich mir ein genießerisches Brummen verkneifen.

„Sandro.“ Er säuselt meinen Namen und streicht sanft über meine Schultern. „Aufwachen!“ Die Finger greifen beherzt zu und rüttelten mich kräftig durch.

Diese kleine Ratte!
„Kai!“ Ich versuche ihn von mir herunter zu schütteln. Ohne Erfolg. Das Einzige was ich erreiche ist, dass sein helles Lachen durch den Raum hallt. So gut, wie er sich festklammern kann, sollte er sich vielleicht mal Gedanken über eine Karriere beim Rodeo machen.
„Okay, okay. Ich bin wach. Was willst du?“ Ich geb auf und lass mich zurück auf das Laken fallen. Es ist Samstagmorgen und die Nacht war lang, oder kurz, je nachdem wie man es sieht. Darf man da nicht mal in aller Ruhe ausschlafen, ohne von seinem Mittbewohner tyrannisiert zu werden? Steht das nicht irgendwo im Grundgesetzbuch unter Paragraph xyz?

Kai sitzt nun ganz still auf mir und streicht wieder so verführerisch leicht über meine Nacken. Auch ohne ihn anzusehen, weiß ich ganz genau, dass er jetzt grinst wie ein Honigkuchenpferd. Er liebt es, wenn er bekommt was er will. Die Frage ist nur, was zum Geier er so früh am Tag von mir will.

„Da du ja schon wach bist ...“ Kai verlagert sein Gewicht und beugt sich zu mir herunter. Sein Atem streift meinen Nacken und er verteilt leichte Küsse auf der Haut. „… könntest du doch mit mir in die Küche kommen und mir bei einem kleinen Problem helfen.“

Seine Zähne bearbeiten meine Haut und mir fallen schlagartig einige Probleme ein, bei denen ich Kai nur allzu gerne helfen würde. Doch bezweifele ich stark, dass ihn solch ein Problem plagt. Soweit ich weiß, ist er in dieser Beziehung voll und ganz ausgelastet. Leider.

„Geh runter von mir und ich überlege es mir.“ Seine Zähne machen mich langsam wahnsinnig.

„Ich geh erst runter, wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du gleich in die Küche kommst.“ Er beißt etwas fest in meinem Nacken und ich bin kurz davor ihn zu schnappen, unter mich zubringen und hemmungslos über ihn herzufallen.

„Ich verspreche es.“

„Toll!“ Quietscht er erfreut, spring vom Bett und ist nur Sekunden später aus meinem Zimmer verschwunden.

Soviel zu einem gemütlichen Samstagmorgen im Bett. Während ich mich aus meinem warmen Bettchen quäle und in meine Jeans schlüpfe, nehme ich mir fest vor ab heute meine Tür abzuschließen, wenn ich am nächsten Morgen ausschlafen möchte. Aber vielleicht sieht Kai das dann als Provokation und tobt dann so lange vor meiner Tür, bis ich sie dann doch aufschließe.
Kopfschütteln greife ich nach meinem Shirt und zieh es mir über. Womit habe ich nur so einen Mitbewohner verdient?

Diese Frage schießt mir abermals durch den Kopf, als ich die Küche betrete. Ich kann nicht verhindern, dass sich ein leichtes Schmunzeln auf meine Lippen schleicht.
Kai hat das Radio laut aufgedreht, sich eine Schürze umgebunden und zerstückelt Gemüse mit einem riesigen Messer, während er mit der Hüfte im Takt zur Musik wippt. Wie schafft er das nur, ohne sich dabei die Finger abzuhacken? Wohl eine genetische Sache. Immerhin war sein Vater Japaner und die können ja bekanntlich mit großen, scharfen Messer besonders gut umgehen. Mir wird es weiterhin ein Rätsel bleiben. Ebenso wie die Tatsache, dass unsere recht große Küche wie ein Schlachtfeld aussieht. Überall stehen kleine Schüsseln, liegen Schalen von irgendwelchem Gemüse herum und auf dem Herd brodelt es in einigen Töpfen. Also, wenn er mich zur nachtschlafenden Zeit aus dem Bett geschleift hat, damit ich hier aufräume, hat er sich aber geschnitten.
„Hier bin ich. Wie kann ich unserer Köchin zu Diensten sein?“

„Sandro!“ Mit einem strahlenden Lächeln kommt er auf mich zu und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Das ist so lieb von dir, dass du extra für mich aufgestanden bist.“

Als ob ich eine Wahl gehabt hätte. Spätestens zehn Minuten später wäre er doch wieder in mein Zimmer gestürmt und um seine Weckaktion gnadenlos fortzusetzen. Kai kann bei solchen Sachen sehr einfallsreich und vor allem sehr penetrant sein.

„Ich hab da ein kleines Problem mit den Tomaten.“ Er wuselt zur Arbeitsfläche, schnappt sich dort zwei Konservendosen und den Dosenöffner. Ich ahne schon, was jetzt kommt.

„Ich hab’s versucht, ehrlich. Aber ich bekomm sie einfach nicht auf“, mault er, hält mir die Dosen hin und schiebt einen kleinen Schmollmund.

Nur mühsam kann ich mir das Lachen verkneifen. Aber gegen das breite Grinsen kann ich echt nichts tun. Vor allem weil Kais niedlicher Schmollmund dadurch noch süßer wird. Er sieht einfach zum Anbeißen aus, wenn er schmollt.

„Das ist nicht witzig.“ Die Dosen und der Öffner werden mir in die Hand gedrückt. „Was kann ich denn dafür, dass ich das nicht kann? Es ist wie verhext!“

„Verhext?“ Immer noch grinsend schieb ich die Sachen auf dem Tisch etwas zur Seite und stelle die Dose ab. Ich setzte den Öffner an der leicht malträtierten Dose an und schwupps, sie ist offen. Auch die Gegenwehr der zweiten Dose ist nicht der Rede wert. „Ist doch ganz einfach.“ Ich lege den dreckigen Öffner in die Spüle.

„Ja, für dich vielleicht“, grummelt Kai und schnappt sich die Dosen. „Ich glaube, der Öffner, die Konservendosen und ich sind einfach nicht kompatibel.“

„Na, dafür hast du ja mich.“ Grinse ich und beobachte ihn dabei, wie er die Tomaten in einen der Töpfe auf dem Herd kippt. „Was wird das eigentlich, wenn es fertig ist?“ Neugierig linse ich in einen Topf.

„Ein romantisches Abendessen für zwei.“ Säuselt Kai mit einem verliebten Lächeln und verbirgt den Inhalt des Topfes unter einem Deckel. Wieder wuselt er durch die Küche und kommt dann mit einer großen, dampfenden Tasse auf mich zu.
Kaffee? Bitte lass es Kaffee sein!

„Danke, Sandro.“ Er drückt mir die Tasse in die Hand und einen leichten Kuss auf die Wange. „So und jetzt raus mit dir!“ Mit den Händen wedelnd treibt er mich aus der Küche. Er hasste es, wenn er beim Kochen beobachtete wird. Warum auch immer.
Ich wage nur noch einen kurzen Blick zurück. „Wann kommt dein Stephan denn?“ Stephan ist Franzose, Geschäftsmann, neun Jahre älter als Kai und sehr besitzergreifend. Ich kann ihn auf den Tod nicht ausstehen. Irgendetwas stimmt mit dem Kerl nicht. Ich weiß auch nicht was, aber es ist so. Kai will davon natürlich nichts wissen. Er schwebt auf Wolke sieben und faucht jeden an, der was gegen seinen Stephan sagt. Ich hatte es einmal gewagt und wurde danach drei Tage lang ignoriert. Kein schönes Gefühl. Daher halt ich mich Stephan bezüglich lieber zurück.

„In …“ Kai schielt zur Küchenuhr und zuckt dann erschrocken zusammen. „Oh Gott, nur noch zwei Stunden!“ Panisch fängt er an, das Schlachtfeld zu beseitigen.

„Okay. Dann bin ich spätestens in eineinhalb Stunden verschwunden.“ Ich nippe an meiner Tasse. Es ist Kaffee! „Ist es in Ordnung, wenn ich so um zehn kurz heimkomme? Nur schnell ins Zimmer huschen, umziehen und schon bin ich wieder weg.“ Ich will mir den Abend bestimmt nicht damit versauen, dass ich Stephans dämliche Visage sehen und mir seine Sprüche anhören muss. Soll er doch glauben, dass die Welt nur auf so einen tollen Gockel wie ihn gewartet hat, ich tu es bestimmt nicht.

Kai lächelt mich an, nickt und widmet sich eilig wieder seinem Kochchaos.

Ich trolle mich zurück in mein Reich, kuschel mich in mein noch warmes Bettchen und genieße die erste Tasse Kaffee des Tages in vollen Zügen. Schlafen ist zwar nicht mehr drin, aber ein bisschen Dösen wird wohl noch erlaubt sein.




Samstagabend

Die Zigarette austretend, schaue ich auf die Zeitanzeige meines Handys. Kurz vor halb zehn. Ich bin eine halbe Stunde zu früh. Ob Kai wütend wird, wenn ich jetzt schon hochkomme? Wenn ich ihn und seinem geliebten Stephan störe, dann bestimmt. Ich werde es wohl drauf ankommen lassen müssen, denn der leichte Nieselregen wird mir allmählich zu unangenehm.
Ich fische den Haustürschlüssel aus der Tasche, schließe auf und husche in die trockene Wärme. Okay, so richtig warm ist das Treppenhaus nun auch nicht, aber besser als auf der Straße ist es allemal. Meine Haare kleben mir an der Stirn und meine Jacke war auch schon mal trockener. Falls Kai anfängt, zu toben kann ich mein frühzeitiges Erscheinen ja damit erklären, dass ich mir keine Lungenentzündung einfangen wollte. Vielleicht komme ich damit sogar durch. Wir werden es sehen.

Als ich vor unserer Wohnungstür angekommen bin, lausche ich erst einmal. Nichts zu hören. Vielleicht sind die Beiden ja auch ausgegangen.
Dieser Verdacht verstärkt sich, als ich unsere Wohnung betrete und alles dunkel ist. Noch immer ist nicht zu hören, was mich ausschließen lässt, dass die beiden gerade in Kais Zimmer zugange sind. Eine Vorstellung, die mir den Magen umdreht. Ich will gar nicht daran denken, was dieser Kerl schon alles mit Kai angestellt hat. Mir wird schlecht.
Um mich von den Übelkeit erregenden Gedanken abzulenken, entledige ich mich meiner Jacke und Schuhe und marschiere in die Küche, um mir ein kühles Blondes zu genehmigen. Doch kaum, dass ich in den Raum trete, zische ich schmerzhaft auf und humpel zum Lichtschalter herüber. Irgendetwas Fieses hat sich gerade durch meine Socke gebohrt und steckt jetzt in meiner Fußsohle.
Den Lichtschalter endlich erreicht, haue ich drauf und die Küche erstrahlt im hellen Licht der Neonröhre. Ich humpele zu dem nah stehenden Stuhl, lass mich darauf fallen und inspiziere meinen Fuß genauer. Es ist nicht so schlimm, wie es sich im ersten Augenblick angefühlt hat. Eine kleine Glasscherbe steckt im Socken und hat meine Fußsohle nur leicht angeritzt. Es blutet kaum.
Ich drehe den kleinen gläsernen Übeltäter zwischen meinen Fingern hin und her. Hat Kai in seiner grenzenlosen Nervosität etwa ein Glas fallen lassen?
Neugierig schaue ich mich in der Küche um und … erstarre. Was zur Hölle ist hier passiert?
Das Geschirr, mit dem Kai so liebe voll den Tisch gedeckt hatte, liegt in Scherben auf dem ganzen Küchenboden verteilt. Daher auch der Glassplitter. An der Wand neben der Küchentür prangt ein riesiger Klecks aus Gemüse, Soße und was weiß ich, was Kai noch alles in den Auflauf getan hat. Etwas weiter links ist ein weiterer Fleck, diesmal in Grün und Rot. Der Salat. Den Nachtisch finde ich an der Wand auf der anderen Seite der Tür.

Alarmiert springe ich auf und stürme in Kais Zimmer. Das Bett ist zerwühlt, aber leer und der Geruch von Sex liegt in der Luft. Mein Magen krampft sich zusammen. Sie haben wirklich … Scheiße! Schnell schließe ich die Tür wieder.
„Kai?“ Ich stürme in mein Zimmer. Schwachsinn. Warum sollte er sich hier verkriechen?
Auch die Zimmer von Joschka und Moritz sind leer. Er muss hier doch irgendwo sein. Das weiß ich genau, denn ich bin eben über seine Schuhe gestolpert. Sie sind uralt, aber gut gepflegt. Sie haben seinem Vater gehört. Ohne die verlässt er nie das Haus.
Auch Bad und Wohnzimmer sind verlassen. Bleibt nur noch unsere geräumige Dachterrasse. „Kai?“ Ich trete ins Freie. Es nieselt immer noch und ohne Jacke ist es hier draußen schweinekalt. Kein Wunder, es ist ja auch kurz vor Weihnachten. Eigentlich sollten um diese Jahreszeit dicke Flocken vom Himmel tänzel. Aber, Pustekuchen. Es hat 8 Grad über null und es herrscht das schönste Herbstwetter.
Ich versuche mir ein bisschen Wärme zu erhalten in dem ich mir die Arme fest um den Oberkörper schlingen und suche weiter. Es ist das erste Mal, dass ich unsere Dachterrasse für ihre gigantischen Ausmaße verfluche. Klar, für verschwenderische Grillpartys ist sie genial. Überall stehen Kübel mit Büschen herum und trotzdem ist massig Platz zum Tanzen und Spaßhaben. Aber für Versteckspiele, noch dazu im Dunkel ist sie denkbar ungeeignet.
Da! Ich hab was gehört. Den Atem anhaltend, lausche ich gespannt und höre es erneut. Ein Geräusch, das mich aufatmen lässt, auch wenn sich gleichzeitig meine Brust schmerzlich zusammenzieht. Mit leisen Schritten folge ich ihm und komme an die niedrige Bank am Kirschbaum. Sie ist kreisförmig und in ihrer Mitte steht ein großer Kübel, in dem ein Kirschbaum gepflanzt wurde. Ein Spaß unserer Freunde und es wurde Kais Lieblingsplatz.
Ich bin ein Idiot. Warum habe ich hier nicht zuerst nachgesehen? Viel kann ich nicht erkennen. Aber das, was ich sehe, lässt sich mein Herz schmerzhaft zusammenziehen.

Kai liegt auf der Bank, das Gesicht von mir abgewandt und er hat eindeutig zu wenig an. Unter der dicken Winterjacke, die ihn nur spärlich bedeckt, hat er nichts an. Auch seine Beine sind unbekleidet. Der holt sich doch den Tod, wenn er hier noch länger rumliegt.
„Kai?“ Ich setzte mich neben ihn und berühre ihn leicht an der Schulter. Gott, seine Haut ist eiskalt. Er zuckt leicht und rollt sich dann etwas enger zusammen. Was ist hier nur los? „Kai?“ Ich streiche nun vorsichtig über die ausgekühlte Haut. „Was hältst du davon, wenn wir zwei jetzt reingehen und du erzählst mir, was passiert ist, hm?“ Da! Wieder dieses Geräusch. Ein leises Schluchzen. Scheiße, was hat dieser Franzonenarsch nur mit ihm gemacht? Also wenn der Kai wehgetan hat, dann hat sein letztes Stündlein geschlagen. So war ich hier sitze, ich werde ihm seine dreckige Haut bei lebendigem Leib von den Knochen ziehen! Schön langsam und in dünnen Streifen!
Apropos hier sitzen, Kai muss endlich ins Warme. Da er sich aber wenig gesprächig zeigt und scheinbar auch nicht vorhat mit mir rein zugehen, bleibt es wohl an mir ihn zurück in die Wohnung zu bringen. Also stehe ich auf und schiebe meine Arme unter ihn. Abermals zuckt er zusammen, wehrt sich aber nicht, als ich ihn hochhieve. Was bin ich froh, dass er so schlank gebaut und etwas kleiner als ich ist. Bei Joschka und Moritz hätte ich keine Chance.
Ich rucke ihn etwas zu Recht und bring uns endlich ins Warme.


Während ich mit Besen und Lappen versuche das Chaos in der Küche einigermaßen zu beseitigen, steht Kai im Bad unter der Dusche. Auch wenn ich ihn dazu überreden musste. Er wollte doch allen Ernstes so wie er war, also total ausgekühlt und fast nackt, einfach auf der Couch liegen bleiben. Manchmal ist er echt ein Idiot.
Wie auch immer, jetzt steht er jedenfalls unter der Dusche, wärmt sich auf und ich bin in der Küche am Rumwerkeln. Der Boden und der Tisch sind recht fix sauber, aber was ich mit den drei großen Flecken an der Wand machen soll, weiß ich echt nicht. Ich glaube, da hilf nur noch neue Tapete. Na ja, wäre sowieso mal wieder fällig gewesen.
Als ich meine Putzutensilien zurück in den Schrank räume, höre ich die Badezimmertür und kurz darauf schlurfende Schritte Richtung Wohnzimmer. Ich schließe den Schrank, eile zurück in die Küche und schnappe mit Kais Lieblingstasse und die Thermokanne.
Kai steht im Wohnzimmer vor der Couch und hat wieder nur seine Pants an. Verdammt, will der etwa eine Lungenentzündung bekommen? Ich stelle die Tasse und die Kanne auf den Beistelltisch, greife die Wolldecke vom Sessel, wickel Kai darin ein und drücke ihn auf die Couch. Auch jetzt wehrt es sich nicht und hat noch immer kein Ton gesagt. Und als ich ihm die Tasse hinhalte, dauert es einige Augenblicke, bis er seine Hände aus der Wolldecke befreit und mir die Tasse abnimmt. Seine Finger zittern leicht und er schließt sie fester um die Tasse. Ich weiß nicht, ob es wegen der Wärme ist, oder weil er das Zittern unterdrücken möchte. Es gibt tausende von Fragen, die mir auf der Zunge brennen, aber ich halte mich zurück. Kai wird reden, wenn er es für richtig hält. Also setze ich mich einfach nur neben ihn und warte ab.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stellt er die Tasse auf den Tisch und lässt sich so zur Seite fallen, dass sein Kopf auf meinen Beinen landet.
Überrascht schaue ich auf den schwarzen Haarschopf herunter, lasse mich aber nicht lange bitten und fahre mit den Fingern durch sein Haar. Es kommt zwar selten vor, aber Kai kann wirklich sehr verschmust sein. Es verwirrt mich nur etwas, dass er ausgerechnet jetzt Streicheleinheiten fordert.

Ich lasse noch einige Minuten verstreichen, aber auch meine Geduld ist irgendwann einmal zu Ende. „Magst du mir nicht endlich mal erzählen, warum du stundenlang in der Küche rumbrutzelst und dann alles an die Wand klatschst?“
Ein leises Glucksen ist zu hören, dann einige Sekunden Stille, dicht gefolgt von einem Seufzer. „Du hattest Recht.“
„Womit?“ Ich streiche ihm weiterhin durch Haar.
„Mit …“ Er schluckt hörbar. „… mit dem was du über Stephan gesagt hast.“
„Hm?“
„Er ist ein Arsch!“ Ruckartig setzt sich Kai auf. „Ich bin so ein Idiot!“ Er springt von der Couch, wickelt sich die Decke einigermaßen um den Leib und tigert durchs Zimmer. „Warum hab ich nicht auf dich gehört? Du hast mich doch gewarnt und ich hab nix Besseres zu tun, als dich anzuschreien, weiter mit dieser dämlichen rosaroten Brille durch die Gegend zu hüpfen und mit ihm in die Kiste zu springen.“

Ich schließ kurz die Augen und atme tief durch. Er hat also wirklich mit diesem Kerl geschlafen. Scheiße! Bis eben hatte ich noch die Hoffnung gehabt, dass sie lediglich gefummelt haben. Allerhöchstens Blowjobs.

„Und kaum hat der Arsch mich durch, macht er Schluss und verpisst sich auf nimmer wiedersehn.“ Kai ist fertig mit herumtoben und lässt sich in den Sessel fallen. „Fuck.“ Er verzieht das Gesicht und setzt sich vorsichtig zurecht.
Alarmiert spring ich auf und eile zum Sessel herüber. „Was hat er mit dir gemacht?“
„Nichts.“ Er weicht meinem Blick aus.
„Kai! Ich seh doch, dass du Schmerzen hast, also lüg mich nicht an!“ Na toll, jetzt brüll ich ihn auch noch an. Ich balle meine Hände zu Fäusten, atme tief durch und zwinge mich zur Ruhe. Vor dem Sessel geh ich in die Knie und streiche sanft über seine Beine. „Entschuldigung, ich wollte dich nicht anschreien.“
„Schon gut.“ Er schenkt mir ein schiefes Lächeln.
„Wie schlimm ist es? Blutest du?“
„Nein.“ Er schüttelt leicht den Kopf. „Ich bin nur ziemlich wund. Die nächsten Tage müsst ihr leider ohne mich joggen.“
„Hat er …“ Ich schlucke. „Hat er dich gezwungen?“ Wenn der Arsch ihn vergewaltigt hat, bringe ich ihn um. Wirklich! Aber vorher kastriere ich ihn!
„Nein.“
Gott, mir fällt ein tonnenschwerer Stein vom Herzen. „Aber vorsichtig war er auch nicht“, knurre ich leise.
„Mensch Sandro, er hat mich nicht dazu gezwungen, klar? Weder hat er mir ein Messer an der Kehle gehalten, noch hat er mich mit einer Knarre bedroht. Ich wollte es, wenn auch nicht ganz so intensiv wie es letzten Endes geworden ist.“ Jetzt ist er es, der mir durchs Haar wuschelt. „Ich werde es überleben.“
„Trotzdem ist er ein Arsch!“
„Ja, das ist er. Aber das ist ja jetzt vorbei.“ Seufzend fährt er sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich würde jetzt gerne schlafen gehen.“
„Okay.“ Ich hieve mich hoch, damit auch er aufstehen kann. Was er auch gleich tut. Noch immer in die Wolldecke gewickelt schlurft er in den Flur.
„Kai?“
„Hm?“ Er bleibt stehen, dreht sich aber nicht zu mir um.
„Wenn irgendwas ist, oder du irgendwas brauchst. Du kannst jederzeit zu mir kommen, okay?“
Er nickt, schaut dann doch noch mal zurück und lächelt leicht. „Danke, Sandro.“ Und schon ist er in seinem Zimmer verschwunden.


Auch ich hab mich in mein Bett verzogen, doch an Schlaf ist nicht zu denken. Unruhig wälze ich mich von einer Seite auf die andere. Das geht jetzt schon seit über einer Stunde so. Mit einem frustrierten Knurren schleudere ich die Bettdecke von mir und schwinge mich aus dem Bett. Es hat ja doch keinen Zweck. Dann kann ich mir ebenso gut einen Kaffee machen und in der Küche weiter grübeln. Vielleicht fällt mir doch eine andere Lösung für die Flecken ein, als die ganze Küche neu zu tapezieren. Ist ja eine Heidenarbeit und so geschickt bin ich Umgang mit Kleister und Pinsel auch nicht gerade.
Ich mach meine Zimmertür auf und bin schon daran in den Flur zu treten, als ich zusammenzucke. „Kai!“ Gott, muss der mich so erschrecken? Doch bin ich scheinbar nicht der Einzige, der sich hier erschreckt hat, denn Kai schaut mich mit großen Augen an, ehe er zu Boden sieht und anfängt den Stoff seines Schlafshirts mit den Fingern zu bearbeiten. „Tschuldigung.“
„Schon gut. Ich hab nur nicht damit gerechnet, dass du vor meiner Tür herumlungerst.“ Er sieht so verloren aus, wie er da in seinem übergroßen Shirt steht. Am liebsten würde ich ihn jetzt in den Arm nehmen und ganz fest an mich drücken.
„Ich … du hast doch gesagt, dass ich … also wenn …“, nuschelt er leise, „Ach, vergiss es. War eine blöde Idee. Gute Nacht.“ Schon dreht er sich um und marschiert in sein Zimmer.
„Kai?“ Soweit lass ich ihn erst gar nicht kommen. Ich halte ihn am Arm fest und er gibt seinen Fluchtversuch sofort auf. „Ich hab dir doch gesagt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst und das war auch so gemeint.“ Ich trete dichter an ihn um umarme ihn von hinten. „Also, was kann ich für dich tun?“
Er seufzt und lässt sich etwas gegen meine Brust sinken. „Kann ich bei dir schlafen?“
„Bei mir?“ Irgendwie fehlt mir momentan der Durchblick. Kann ja schon mal passieren, schließlich ist es mitten in der Nacht und da läuft mein Hirn nicht auf Hochtouren.
„Ich … kann das nicht. Mein Zimmer und vor allem das Bett … ich … “
„Schon gut.“ Ich drücke ihn etwas fester an mich. An seiner Stelle wollte ich auch nicht in dem Bett schlafen in dem dieser Arsch … Arg, ich will echt nicht daran denken. Es geht jetzt nicht um den Kerl, sondern um Kai. Um den Kai der hier, wie ein Häufchen Elend in meinem Armen hängt und endlich ins Bett gehört.

Kurzerhand drehe ich mich mit ihm um und schiebe ihn vor mir her in meine Zimmer und bin froh, dass ich die Gardinen nicht zu gezogen habe. So kann ich uns einigermaßen unfallfrei durch den Raum manövrieren. Vorm Bett bleiben wir stehen. „Magst du lieber an der Wand schlafen oder auf der anderen Seite?“ Ich lasse ihn los und hebe ihm die Bettdecke einladend hoch.
„Egal.“ Er lässt sich nicht lange bitte und huscht in mein Bett.
„Wenn ich dir zu dicht auf die Pelle rücke oder zu schnarchen anfange, dann schups du mich einfach vom Bett, okay?“ Mit etwas Anstand zu ihm leg ich mich hin und decke uns beide zu.
„Mach ich.“ Ein leichtes Grinsen schwingt in seiner Stimme mit.
„Gut. Gute Nacht, Kai.“ Tze, als ob ich schlafen könnte, wenn er in meinem Bett liegt.
„Gute Nacht.“ Das Kopfkissen wird etwas zu Recht gerückt. Dann ist es still und ich schließe die Augen, in der Hoffnung zumindest etwas Schlaf zu finden.
„Sandro?“ Kommt es leise von der Wand.
„Hm?“ Es kommt Bewegung in die Bettdecke. Kai dreht sich zu mir um und kuschelt sich doch tatsächlich an mich. Das war´s, diese Nacht werde ich definitiv kein Auge mehr zumachen.
„Ist das okay?“ Fragt er leise nach, während er seinen Kopf auf meiner Schulter zu Recht legt.
„Ja.“ Und wie okay das ist! Gott, ich würde ihn am liebsten über mich ziehen und um den Verstand küssen. Doch stattdessen begnüge ich mich damit, dass ich ihm mit der Hand über den Rücken streichel. Auch schön.
„Sandro?“
„Hm?“
„Warum gerade ich eigentlich immer an solche Arschlöcher?“
„Gute Frage.“ Was soll ich denn bitte darauf antworten?
„Er … wollte nur mit mir ins Bett und ist dann weg.“ Er klingt betrübt. „Er war doch die zwei Wochen so nett zu mir und dann das. Alles nur für einen Fick.“
„Jedes Ding wird mit mehr Genuss erjagt als genossen.“ Warum ich gerade jetzt an den dämlichen Spruch von unserem Zitat-Kalender, der auf der Toilette aufgehängt wurde, denken muss, weiß ich nicht, aber er passt. Leider.
„Hm.“
„Sorry, ist mir so raus gerutscht.“
„Hm. Stimmt ja irgendwie.“ Er seufzt tief. „Aber, das muss doch irgendeinen Grund haben. Warum bekommen es alle anderen hin glücklich zu sein und ich greif mir immer so Kerle wie Stephan.“
„Ich bin auch alleine, Kai. Es gibt viele, die genauso einsam sind wie wir beide. Nicht jeder findet sein Glück.“
„Warum eigentlich?“ Er richtet sich auf, stütz seinen Kopf mit der Hand ab und schaut mich an. „Ich meine, du bist doch toll! Ich versteh nicht, warum du keinen Freund hast.“
„Ich bin toll?“ Grinsend wuschele ich ihm durchs Haar. „Anscheinend bin ich aber nicht toll genug.“ Meine Hand wandert in seinen Nacken und streicht dort über die weiche Haut.
„Doch, du bist der Hammer! Die müssen doch alle blind sein, dass sie sich nicht auf dich stürzen.“
„Vielleicht möchte ich aber nicht, dass sich alle auf mich stürzen, sondern nur ein ganz Bestimmter.“ Ich halt es nicht mehr aus, ziehe ihn zu mir herunter und küsse ihn. Nur leicht. Einfach nur Lippen auf Lippen mit ganz wenig Druck. Ich will mich gerade von ihm trenne, als ich spüre, wie Kai den Kuss erwidert. Gott, ich könnte sterben! Hier, auf der Stelle! Sofort!
Vorsichtig bringe ich meine Zunge ins Spiel, streiche sanft über Kais Lippen und schlüpfe kurz darauf zwischen ihnen hindurch. Erst zögerlich, dann etwas mutiger steigt er in den Kuss ein. Es ist ein sanfter Kuss. Ich will ja nicht über ihn herfallen. Gott, er schmeckt so gut. Nur mit Mühe kann ich mich wieder von ihm trennen. Aber es muss sein. Mein Herz bollert schon jetzt wie verrückt in meiner Brust und ich befürchte, noch so ein Kuss und es macht endgültig schlapp. Todesursache: Herzinfarkt beim ersten Kuss.
Zu meiner Schande scheint Kai es bemerkt zu haben. Kunststück. Er hat sich auf meiner Brust abgestützt, als ich ihn zu mir runter gezogen habe. Überrascht schaut er erst seine Hand und dann mich an. Aber ich werde jetzt nicht über meine Gefühle reden. Heute ist schon genug passiert, und wenn ich nicht doch noch ein bisschen Schlaf bekomme, bin ich morgen unausstehlich.
Also schüttele ich auf Kais fragenden Blick nur leicht den Kopf, hauch ihm noch einen leichten Kuss auf die Lippen und lege mich wieder richtig hin. „Gute Nacht, Kai.“
„Gute Nacht.“ Kommt es leise von ihm und er legt seinen Kopf wieder zurück an meine Schulter. Wieder streichel ich ihm sanft über den Rücken und merke mit der Zeit, dass er eingeschlafen ist. Bei mir dauert es noch gefühlte fünf Stunden, bis sich endlich die Müdigkeit über mich legt und ich weg döse.



Sylvester

Wir stehen alle auf der Dachterrasse, in dicke Winterkleidung gehüllt, und halten unsere Sektgläser bereit. Nur noch wenige Sekunden, dann das alte Jahr ist vorbei. Ein Sektkorken knallt und Joschka flucht unfein, als ihm der Inhalt der Flasche freudig entgegen sprudelt. Chrisi, seine Freundin, steht mit Kai in sicherer Entfernung und beide lachen sich schlapp. Was Joschkas Gefluche nur noch lauter werden lässt. Moritz, der Retter in der Not, greif nun beherzt ein und befreit Joschka von der bösen schaumspeienden Flasche und verteilt den übrig gebliebenen Sekt auf unsere Gläser. Wobei Sonjas Glas wesentlich mehr abbekommt als unsere. Was Kai natürlich nicht so einfach hinnehmen will und Moritz an blökt, dass er ungerecht sei.
Hach, alles im allem also ein wunderschöner Silvesterabend im Kreise der Lieben. Ein Abend mit reichlich Alkohol, leckerem Essen und abgedrehten Gesellschaftsspielen. Und nun stehen wir hier, schauen auf die Lichter der Stadt und fangen an den Countdown mit zu zählen. Kai hüpft aufgeregt von einem Bein aufs andere.

Seit jeder Nacht, also der Nacht in der er in meinem Bett geschlafen hat und ich ihn geküsst habe, ist nichts mehr geschehen. Weder habe ich ihm nicht meine unsterbliche Liebe geschworen, noch hat er mich mehr auf den Kuss und mein Herzrasen angesprochen. Was vielleicht auch daran gelegen haben könnte, dass wir von Joschkas lautem Fluchen geweckt worden sind. Leider war unser werter Mitbewohner früher als geplant nach Hause gekommen und wollte sich scheinbar in der Küche gerade Frühstück machen. Nun ja, den Flüchen nach zu urteilen, waren ihm der Schwund in Geschirrschrank und die drei großen Flecken an der Wand nicht entgangen.
Das war vielleicht ein Theater. Wie kann man sich nur so aufregen. Zumindest hatte er sich wieder einigermaßen eingekriegt, als wir ihm versprachen neue Tapete zu besorgen und die Küche zu renovieren.
Aber wie gesagt, seit dem gab es keine neuen Küsse oder sonst irgendetwas in der Art. Ich will Kai auch nicht bedrängen. Immerhin hat er noch immer an der Sache mit diesem Arsch Stephan zu knabbern.

„Drei … zwei … eins … PROST NEUJAHR!“
Die Sektgläser klirren aneinander und über der Stadt erstrahlen die ersten Raketen. Wir fallen uns gegenseitig in die Arme und wünschen uns einen guten Start in das neue Jahr.
Einige Zeit schauen wir uns noch das Lichterspektakel an, dann verziehen uns aber doch lieber wieder ins warme Wohnzimmer. Von da kann man die Raketen auch noch sehr gut sehen, ohne sich dabei was abzufrieren.
Joschka lässt sich in den Sessel fallen und zieht Chrisi auf seinen Schoß. Moritz und Sonja haben es sich auf dem Zweiersofa gemütlich gemacht und Kai lümmelt neben mir auch der großen Couch herum.
„So, und was sind eure guten Vorsätze für das neue Jahr?“ Chrisi schaut neugierig in die Runde.
Sonja fängt an etwas herum zu drucksen, und als Moritz ihr dann in die Seite kneift, platz es aus ihr heraus. „Ich werde heiraten!“ Sie strahlt wie die Sonne.
„Wen?“ Kommt es grinsend von Joschka und schon hat er Chrisis Ellenbogen in den Rippen. „Was denn? Man wird doch noch fragen dürfen.“ Grummelig reibt er sich die Seite.
„Das trifft sich ja gut, Schatz. Dasselbe habe ich auch vor.“ Moritz geht auf Joschkas Stichelei gar nicht erst ein, sondern küsst seine Verlobte. Diese kichert laut in den Kuss.
„Und was hast du dir vorgenommen, Chrisi?“ Es ist an mir zu fragen, da Sonja gerade mit etwas Zungenakrobatik beschäftigt ist. Jedoch unterbricht sie diese und schaut ihre Freundin neugierig an.
„Hm.“ Etwas zweifelt schaut Chrisi zu Joschka herunter. „Ich überlege mir gerade, ob es nicht Zeit für einen neuen Freund wird.“
„Wag dich ja nicht!“ Joschka schnappt sie sich, steht auf, wirf sich die zierliche Frau einfach über die Schulter und marschiert Richtung seines Zimmers davon.
Lachend sehen wir ihnen nach.
„So, nun zu Sandro. Was planst du?“ Nun sieht Sonja mich neugierig an.
„Hm, so genau weiß ich das nicht.“ Okay, eine lahme Ausrede, aber die Wahrheit bring ich einfach nicht über die Lippen. Zu peinlich. Zu gefühlsduselig.
„Ach komm schon, du musst doch irgendwelche Pläne haben. Jeder macht sich Gedanken über das neue Jahr.“ Sie lässt meine Ausrede nicht gelten.
„Hm … es wäre schön, wenn ich nicht immer alleine aufwachen würde.“ Das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Scheiß Alkohol.
„Dann solltest du deine One-Night-Stands vielleicht bitten zum Frühstück zu bleiben.“ Scherzt Moritz und lacht.
Ich stimme in das Lachen mit ein. Was soll ich ihm auch sonst sagen? Das ich mir von Herzen wünsche jeden Morgen neben Kai aufzuwachen? Ich mach mich hier doch nicht noch mehr zum Deppen vom Dienst.
„Moritz!“ Sonja schlägt ihrem Freund auf die Brust. „Sei nicht immer so gemein. Ich glaube Sandro meinte einen festen Freund und nicht nur etwas für ein paar Stunden.“
„Oh.“ Moritz zieht die Augenbrauen hoch. „Also bist du jetzt auch auf der Suche nach der großen Liebe wie unser Kai?“
„Moritz!“ Tadelt Sonja ihn erneut und lächelt uns entschuldigend an.
„Was denn? Ist doch so. Kai nimmt sich doch jedes Jahr zu Silvester vor, endlich die Liebe seines Lebens zu finden.“ Moritz leer sein Sektglas.
„Dieses Jahr nicht.“ Kommt es von Kai und wir alle sehen ihn an. Ist ja auch kein Wunder. Er hat die ganze Zeit noch kein Wort gesagt.
„Nein?“ Nicht nur Moritz sieht ihn überrascht an.
Meine Kehle schnürt sich leicht zu. Hat Kai es etwa aufgegeben die große Liebe zu finden? Doch Kai grinst nur, zuckt mit den Schultern und nippt an seinem Glas. Na toll. Aus dem bekommen wir jetzt nichts mehr raus. Das sehen anscheinend auch Sonja und Moritz so. Oder sie haben sich noch etwas anderes fürs neue Jahr vorgenommen. Auf jeden Fall verabschieden sie sich kurz darauf von uns und verziehen sich in Moritz Zimmer.
Kai und ich bleiben alleine im Wohnzimmer zurück.
Ich nippe an meinem Glas und verziehe das Gesicht. Wie kann man nur so eine Brause mögen? Ein Bier wäre mir lieber. Ich stelle das Glas lieber auf dem Tisch ab und schiebe es ganz weit weg. Nicht, dass ich versehentlich noch mal dran nippe.
Schwer falle ich gegen die Rückenpolter der Couch und schaue zur Decke hoch. Kai sitzt noch immer still neben mir. Ich frage mich, ob es echt aufgehört hat, nach der Liebe zu suchen. Ob er es leid ist immer nur enttäuscht zu werden. „Kai?“
„Hm?“
„Hast du wirklich aufgegeben?“ Innerlich bin ich total angespannt. Was, wenn er jetzt ja sagt? Ich glaube dann roll ich mit heulen auf dem Teppich zusammen.
„Was aufgegeben?“ Er dreht sich zu mir. Ein Bein auf der Couch und den Arm lässig auf der Rückenlehne.
„Na, das mit der großen Liebe und so. Suchst du sie wirklich nicht mehr?“ Das Atmen fällt mir schwer.
„Nein.“
Scheiße! Ich schließe die Augen, atme tief durch und versuche gegen den Drang mich heulen auf den Boden zuwerfen anzukämpfen. Aber nicht nur ich tu mir leid. Es tut mir auch leid für ihn, dass er nicht mehr daran glaubt. Ich wünsche ihm wirklich von ganzen Herzen, dass er endlich den Mann fürs Leben findet. Dass er mich nicht will, dass kann ich ja verstehen. Wenns auch weh tut. Aber Kai ist doch so ein lieber Kerl und hat es verdient endlich sein Glück zu finden. Warum sieht das nur keiner?
„Ich…“ Kai stellt sein Glas ebenfalls auf den Tisch ab. „… ich werde etwas anderes ausprobieren und hoffe, dass er klappt.“
„Hm?“
Er bewegt sich und schon habe ich ihn auf meinen Schoß sitzen.
„Was?“ Verwirrt schau ich ihn an. Was hat das denn jetzt zu bedeuten?
„Sandro?“ Mein Name klingt so schön aus seinem Mund. Doch dann kommt sein Gesicht ganz dicht an meines heran.
„Hm?“ Viel zu dicht!
„Darf ich dich küssen?“ Ich spüre seinen Atem an meinen Lippen.
Gott, wie soll ich da denn noch einen klaren Gedanken fassen? Geschweige denn etwas einigermaßen Verständliches von mir geben. Also nicke ich und stehe erneut kurz vor einem Herzinfarkt, als er mich küsst. Meine Arme legen sich wie von selbst um ihn und ziehen dichter an mich. Doch da löst er den Kuss auch schon wieder auf. Gemeinheit! Es wäre doch so ein schöner Tod gewesen.
Satt seine Lippen erneut auf meine zu legen, lehnt er sich mit der Stirn an meine und schaut mich an. „Frohes neues Jahr, Sandro.“
Gott, wie er mich gerade anlächelt! So …, mein Herzschlag kommt gefährlich ins Stolpern, … verliebt? Er … in mich? Gibt er mir gerade wirklich eine Chance? Das ist … Oh Gott, ich muss ihn küssen. Sofort!
Er lacht leicht in den Kuss, doch es stört mich nicht im Geringsten. Wenn das Jahr so weiter geht, wie es anfängt, dann wird es das grandioseste Jahr, was die Welt jemals gesehen hat.

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Texte: Text und Charaktere - Shikijo
Bildmaterialien: Shikijo
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2012

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