Cover

Vorwort




„Das Vermächtnis“ ist eine Harry Potter Fanfiction in Tom Riddles’ Zeit. Da nicht viel über diese Zeit bekannt ist und man auch nicht viel über Toms siebtes Schuljahr weiß, habe ich Großteil der Figuren erfunden und die Handlung entspringt vollkommen meiner Fantasie.
Ich habe mich einfach mal gefragt, wie Riddle wohl in seinen jungen Jahren war, bevor er seine Seele vollkommen zerstört hat und das Folgende ist dabei heraus gekommen...

P.S.: Mir ist vollkommen bewusst, dass J.K. Rowling niemals Liebe oder dergleichen für Riddle in Betracht gezogen hat J

Viel Spaß beim Lesen!

Shigeko

Prolog




Alice durchquert den Slytherin-Gemeinschaftsraum und steigt die Treppe zu ihrem Schlafsaal hoch. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie ihren Kater zusammengerollt auf ihrem Bett vorfindet. Es ist der dritte September 2023, ihr letztes und siebtes Schuljahr hier in Hogwarts. Vorsichtig geht sie auf ihren Kater zu, um sich neben ihn zu setzten, als ihr Blick auf einen gelblichen Umschlag auf ihrem Kopfkissen fällt. Mit geschwungener Schrift steht ihr Name auf der Rückseite <Alice>.
Ein ihr unbekanntes Siegel ist auf der Vorderseite in das Wachs gedrückt und doch scheint es ihr vertraut.
Vorsichtig öffnet sie den schweren Umschlag und ein Buch, ein schwarzes Buch, nicht groß, nicht klein, nicht dick und nicht dünn mit dem selben Wappen in Silber auf den Lederumschlag gedruckt, fällt heraus. Verwundert schlägt sie es auf und beginnt zu lesen:


Meine über alles geliebte Alice,
wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich schon lange tot sein.

Ich habe Dich nicht freiwillig alleine gelassen und in das Muggelwaisenhaus gegeben, mein Kind.. Im Gegenteil Du warst der Sonnenschein in meinem Leben, ein Teil von mir und ich hätte alles Erdenkliche für dich getan, aber diese Wahl wurde mir leider genommen.

Auch deinem Vater wurde diese Möglichkeit genommen, er hätte gut für dich gesorgt und dir viel beigebracht, auch wenn alle sagen, dass er nicht fähig zu lieben wäre. Vielleicht stimmt es, doch hätte es nichts an der Tatsache geändert, dass Du durch seine Hilfe sicher schon in jungen Jahren einer der mächtigsten Hexen geworden wärst. Sicher fragst Du dich jetzt wie ich darauf komme, aber die Lösung ist einfacher als du denkst.

Dein Vater ist Tom Vorlost Riddle, besser bekannt als Lord Voldemort.

Meine Alice, ich bin weder verrückt, noch habe ich seine Brutalität und seine Einstellung gut geheißen. Trotzdem habe ich ihn geliebt, mehr als ich jemals jemanden anderen hätte lieben können. Trotz allem, was passiert ist, war er die Liebe meines Lebens. Du fragst dich jetzt sicher, warum Du den Brief erst jetzt erhältst, in deinem letzten Schuljahr.
Und wieder gibt es eine einfache Lösung dafür, ich wollte nicht, dass Du von deinem Vater erfährst, ehe du alt genug bist zu verstehen und vielleicht daraus zu lernen. Sicherlich fragst Du dich auch, warum mir die Möglichkeit genommen wurde, dich groß zu ziehen.

Wie schon erwähnt, habe ich dich nicht absichtlich alleine gelassen. Eigentlich wollte ich gut für dich sorgen.
Du bist jetzt vier Monate alt, meine Tochter und liegst schlafend in einer Wiege neben mir.
Du bist so ein süßes Kind und jetzt schon hübsch wie ein Engel, wie dein Vater.
Das Ministerium wird mich sicher bald finden und ich will dich vorher in Sicherheit wissen, mein Schatz. Darum bringe ich dich noch heute Nacht in das Waisenhaus in dem auch dein Vater groß geworden ist, wie Du den Brief bekommen wirst, wenn du alt genug bist, dass lass mal meine Sorge sein.

Der Zauberminister weiß nicht, dass es dich gibt und so soll es auch bleiben. Sicher kommt bei dir jetzt die Frage auf, was das Ministerium von mir will.
Der Grund warum sie mich verfolgen, ist der Inhalt des Briefes, besser gesagt der Geschichte, die ich dir erzähle.

Der Minister Kingsley Shacklebolt hat angeordnet, alle die dem Lord nahe standen nach Askaban zu bringen und sie dort sich selbst zu überlassen.
Mit anderen Worten: Sie werden mich dem Tod überlassen, aber Sorge Dich nicht. Ich bereue weder die Zeit, die ich gemeinsam mit deinem Vater verbracht habe, noch, dass ich ein Kind von ihm geboren habe. Das Einzige, was ich bereue ist, dass ich dich nicht länger beschützten kann.

Liebe Alice, ich möchte dir die Geschichte von mir und deinem Vater erzählen, damit du ihn kennen lernst, wie ich ihn kannte und du nicht nur das über ihn weißt, was in den neuen Geschichtsbüchern steht.

Das, was du jetzt sehen wirst, sind Tagebüchereinträge meines siebten Schuljahres, du müsstest jetzt ungefähr im gleichen Alter sein...
Ich hoffe und bete, dass du mich verstehen wirst und mich nicht hasst.

Seh es dir an, immerhin sind wir ein Teil von dir.


Alice blättert auf die nächste Seite und verschwindet in der Erinnerung ihrer Mutter. Es scheint wie ein Tagebuch aufgebaut zu sein und doch ist es eher eine Geschichte aus der Sicht ihrer Mutter...

29.April1998

„Miss Capulet, ihr Übungspartner für heute ist Mr. Longbottom.“ Amycus Carrows schneidende Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, in denen ich ganz wo anders war.

Der Verteidigungs- gegen- die –dunklen- Künste Unterricht ähnelt eher einem Folterkurs für Einsteiger als einem Verteidigungsunterricht.

Amycus Carrow ist seit Anfang des siebten Schuljahres unser Lehrer in diesem Fach. Ein Todesserkollege von unserem sehr geehrten Schulleiter Professor Snape. Sein Hang mit dem Crucatius- Fluch zu strafen, wenn ein Schüler nicht genauso agiert, wie er es wünscht, ist überall bekannt und gefürchtet.

Ich selbst habe auch schon öfters die Ehre gehabt mich unter Schmerzen auf dem Boden zu wälzen, da ich mich öfters geweigert habe einen meiner Mitschüler als Versuchsopfer meiner Folterkünste zu missbrauchen.

Amycus ist kaltherzig und gnadenlos. Er macht beim Foltern keinen Unterschied, ob er gerade einen Erstklässler oder einen Siebtklässler, wie mich, mit dem Folterfluch traktiert.

„Worauf warten sie, Miss? Benötigen sie eine extra Einladung?“ Bösartig lächelnd hebt er seinen Zauberstab und richtet ihn drohend auf mich. Schwer schluckend stehe ich auf und stelle mich in Duellierposition Neville gegenüber, der mir ein aufmunterndes Lächeln schenkt.

Neville ist mein bester Freund und immer für mich da, wenn Amycus oder seine Schwester Alecto mich mal wieder gefoltert haben. Seit der ersten Klasse unternehmen wir so gut wie alles zusammen. Es hat mich nie gestört, dass er stottert und mobbelig ist. Er hat sein Herz am rechten Fleck und in diesen harten Zeiten ist er es, der jedem Mut macht und den besonders hartnäckigen Rebellen ein Versteck besorgt hat.

Wer hätte gedacht, dass der Raum der Wünsche eines Tages der Zufluchtsort verängstigter Schüler wird? Ich ganz bestimmt nicht!

„Ich hoffe sie erinnern sich an den Fluch der letzten Stunde und wie er angewendet wird oder soll ich es Ihnen noch einmal demonstrieren?“ Hektisch nicke ich und richte meinen Zauberstab mit leicht zittriger Hand auf Neville.

Als Amycus mitbekommen hat, dass wir so gut mit einander befreundet sind, hat er uns zu seinem privaten Vergnügen zu Übungspartnern gemacht.

 Und heute wenden wir einen Fluch an, der dem Opfer das Gefühl verleiht gevierteilt zu werden.

Heftig schluckend wirke ich den Zauber unausgesprochen. Ja, unausgesprochene Zauber werden inzwischen in fast jedem Fach erwartet. Klar, man muss sich ein wenig mehr konzentrieren, aber im Großen und Ganzen macht es das Leben als Zauberer einfacher.

Schreiend bricht Neville zusammen, alle viere von sich gestreckt. Als die Schreie zu einem herzzerreißenden Wimmern abklinken, löse ich den Zauber und stürze schnell zu ihm, um mich zu entschuldigen.

Wie ich es hasse meinen Freunden weh zu tun. Wie ich mich selbst dafür hasse inzwischen zu feige zu sein, lieber selbst die Schmerzen auszuhalten, als zu gehorchen. Anfang des Schuljahres war das noch anders, aber jetzt...

Aber gut, wenn ich wegen Arbeitverweigerung von der Schule fliege, helfe ich auch keinem weiter und meine UTZs würden auch in weite Ferne rücken. Selbstsüchtig, ich weiß, aber irgendwo muss auch für eine Gryffindor Schluss mit dem Edelmut sein, man selbst ist sich ja immer noch am Nächsten. Klinge ich jetzt kaltherzig? Gewiss! Seamus hat mir dieses Jahr schon mehrfach gesagt, dass ich in Slytherin besser aufgehoben wäre mit dieser Einstellung. Wofür ich ihn insgeheim Recht gebe. Ich frage mich sowieso, was ich in Gryffindor verloren habe, aber mir liegt die Reinheit des Blutes einfach nicht am Herzen und wer weiß? Vielleicht finde ich meinen Mut noch, den der Sprechende Hut dazu verleitet hat mich nach Gryffindor zu stecken. Oder ich war ihm einfach zu warmherzig für Slytherin...

Und mein letztes Schuljahr ist eindeutig das schlimmste, das ich je hatte. Der Gedanke in wenigen Wochen die Prüfungen abzulegen und damit fertig zu sein, mit meiner schulischen Laufbahn, versetzt mich jedes Mal aufs Neue in Erleichterung und lässt mich Mitgefühl für die Schüler, die noch länger hier, unter der Obhut der Todesser, bleiben müssen, empfinden.

„Oh, Neville! Es tut mir leid, ich habe nicht daran gedacht... Ich. Oh Merlin! Nicht ohnmächtig werden, hörst du? Du musst dich noch an mir für die Schmerzen rächen“, jammere ich kläglich und rüttele ich an den Schultern.

„Du weißt, ich bin nicht rachsüchtig“, krächzt Neville und stemmt sich mit meiner Hilfe hoch.

„Worauf warten sie? Auf Mr. Longbottom, ich will sehen, ob sie ein weniger fähiger sind als ihre Freundin.“ Hasserfüllt blicke ich Amycus an.

Sobald ich mit der Schule fertig bin und ihm mal auf der Straße begegne, wende ich alle hier gelernten Flüche einmal an ihm an. Genauso gnadenlos wie er. Und mit seiner Schwester verfahre ich genauso!

 

Meine schmerzenden Glieder reibend verlasse ich nach Beendigung der Stunde das Klassenzimmer und mache mich leise vor mich hinfluchend auf den Weg zum Mittagessen.

Danach darf ich mich eine Stunde mit Alecto Carrow rumschlagen, bevor ich zu Alte Runen gehen kann. Das Fach lag mir schon immer, meine ZAG Prüfung legte ich mit Hermine zusammen als einzige mit O ab.

Hermine... Anfang des Schuljahres kam sie nicht wieder, was mich einerseits erleichtert hat, da sie muggelstämmig ist und andererseits hat sie mir vor allem in den ersten Wochen gefehlt, obwohl ich nicht gut mit ihr befreundet bin. Im Gegenteil, häufig nervte sie mich.

Harry und Ron sind auch nicht wieder gekommen, sie sind zu dritt die Horkruxe von Du-weißt-schon-wem jagen gegangen, wie Dumbledore es Harry vor seinem Tod aufgetragen hat.

Harry hatte mich gefragt, ob ich mitkommen will, aber ich habe mir vorgenommen dem Dunklem Lord in Hogwarts den Krieg zu erklären und mit Neville zusammen hat es bis jetzt ganz gut geklappt.

Stöhnend setzte ich mich neben Ginny an den Tisch. Sie ist mir die liebste von den Weasleys.

In der Großen Halle herrscht bedrückende Stille. Keiner sagt mehr als nötig. Ständig huschen ängstliche Blicke zu dem Lehrertisch. Nur die Slytherins sind arrogant und hochnäsig wie immer. Allen voran dieses Muttersöhnchen von Malfoy.

 

Man hört nur das Schaben der Federn auf dem Pergament während der Alten Runen Stunde. Angestrengt grübele ich über den Text nach und überlege, warum das Wort Erdbeeren mitten in einer Erzählung über Foltermethoden auftaucht.

Das macht doch überhaupt keinen Sinn! Frustriert lege ich die Feder hin und ziehe die Runen näher an mich heran. Vielleicht habe ich mich einfach nur verlesen.

Ein Pochen an der Tür lässt alle ihre Tätigkeit unterbrechen und aufsehen.

„Herein“, kommandiert Professor Babbling mit monotoner Stimme. Früher war sie eine fröhliche hilfsbereite Hexe, aber sie hat sich mit dem Rest der Schule verändert. Ihr Unterricht ist eintöniger und weicht kein wenig mehr von den Vorgaben des Lehrplans ab. Ihr Unterricht ist einfach leblos geworden.

„Miss Claire Capulet soll zum Direktor k- kommen...“ Der Erstklässler, welcher die Nachricht überbracht hat, senkt rotangelaufen den Kopf und huscht lautlos wieder davon.

Ein Hufflepuff, wie ich an der Farbe des Umhanges erkenne. Die haben es nach den Gryffindors am Schlimmsten erwischt mit Snape als Direktor. Er behandelt sie wie Nichtwürdige, nur, weil ihre Qualitäten nicht in der Zauberei liegen, sondern ganz wo anders. Und zwar im Herzen, in der Menschlichkeit und davon scheint Snape noch nie etwas gehört zu haben ...

„Worauf wartest du?“ Meine Sitznachbarin stößt mir unsanft ihren Ellenbogen in die Rippen. „Wenn du nicht pünktlich bist, wirst du am Ende noch Nachsitzen müssen!“

Seufzend erhebe ich mich und packe hektisch meine Sachen ein. Wo sie recht hat, hat sie recht.

Professor Babbling beobachtet mein Tun mit geschürzten Lippen. „Miss Capulet, Sie werden die Übersetzung zusätzlich zu den Hausaufgaben bis zur nächsten Stunde fertig stellen. Haben Sie mich verstanden?“ Ergeben nicke ich und ziehe die Tür hinter mir zu.

Schnellen Schrittes eile ich den Gang entlang. Wie um alles in der Welt soll ich in das Schulleiterbüro kommen? Ob die Statue mich vorbeilässt, wenn ich mein Anliegen vortrage?

Als ich um die Ecke biege und der Eingang zum Schulleiterturm in Sicht kommt, straffe ich die Schultern und mäßige mein Tempo.

Du hast nichts angestellt, Claire! Schon seit Wochen nicht mehr, er kann dir gar nichts vorwerfen!, ermutige ich mich selbst im Stillen und beobachte verwundert, dass der Wächter der Tür sie kommentarlos für mich freigibt und wie sich die Treppe manifestiert.

Oben angekommen, klopfe ich zögerlich mit meinen Fingerknöcheln gegen die massive Holztür und warte auf das „Herein“ der Fledermaus.

„Miss Capulet“, erklingt seine schnarrende Stimme und sein stechender Blick fixiert mich. „Schön, dass Sie es auch noch geschafft haben zu kommen. Setzen Sie sich. Wir müssen etwas mit Ihnen besprechen.“

„Wir, Sir?“ Lautlos stelle ich meine Tasche neben meinem Stuhl ab und setzte mich steif auf den Stuhl.

„Ja, wir. Professor Dumbledore und ich.“

Eine heiße Flamme des Zorns durchschießt meinen Körper. Dass der Mörder und Verräter von sich und dem Opfer in der Wirform spricht, macht mich aggressiv.

Professor Dumbledore hatte ihm vertraut! Und dann tötet Snape ihn einfach, obwohl er ihn um Hilfe angefleht hat!

Ja, Harry hat mir alles erzählt, was auf dem Turm vorgefallen ist. Ich hatte derweilen mit Ginny gegen Bellatrix Lestranges und andere Todesser gekämpft und vergeblich versucht Draco Malfoy von der Flucht abzuhalten.

Dieser feige Hund und Möchtegernmörder ist dieses Jahr wieder an die Schule gekommen. Wie auch immer sein Todesser Vater es hinbekommen hat, die Erlaubnis von Du- weißt- schon – wem zu erhalten.

Wir haben die Todesser also nicht nur in dem Lehrerkollegium, sondern auch unter uns Schülern.

Kein Wunder, dass das Misstrauen in dieser Schule überhand nimmt und man sich nicht einmal mehr traut frei zu denken. Dabei sollte der Kopf ein sicherer Ort für jeden Menschen sein.

„Sehen Sie mich nicht so an, Miss. Ich weiß, was Sie denken auch ohne in ihrem Kopf herum zuwühlen.“ „Sie würden eh nichts finden, Professor. Ich beherrsche Okklumentik“, grinse ich ihn herausfordernd an.

„Sehr gut, dass bestätigt meine Wahl Sie als Ausführerin des Auftrages genommen zu haben. Habe ich dir nicht gesagt, dass Sie fähiger ist, als wir dachten, Albus?“, wendet sich Snape an das einzige wache Portrait, indem unser alter schrulliger Schulleiter sitzt. Merlin, wie ich seine Rede dieses Jahr vermisst habe! Und das nächtliche in ihn hineinlaufen, wenn ich mal wieder unerlaubt den Gryffindorturm zu unchristlicher Zeit verlassen hatte. Nie wieder wird er mir mit einem Augenzwinkern Zitronenbonbons anbieten...

Die so gut verdrängte Trauer kommt bei seinem lächelnden Anblick wieder heraus und Erinnerungen werden wieder wach. Nachdem meine Eltern im dritten Schuljahr an einem missglückten Zaubertränkeexperiment gestorben sind, hat er so was wie die Vaterrolle für mich übernommen. Immer wenn ich einen Rat benötigte, bin ich zu ihm gekommen und er hat sich auch um Harry immer gekümmert...

„Miss Capulet. Wissen Sie von Dumbledores Auftrag an Harry Potter?“ Snapes kalte Stimme holt mich aus der Trauer zurück, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Auch wenn er nicht weiß, dass er mir damit geholfen hat.

„Nein... nein, er hat mir nichts erzählt. Ich weiß nur, dass er einen hat...“ „Gut, dann gebe ich ihnen eine Kurzfassung. Der dunkle Lord hat schon in seiner Schulzeit begonnen Horkruxe zu erstellen, dass sind...“ „Ich weiß, was Horkruxe sind, könnten Sie bitte die Geschichte weiter erzählen?“ „Gut, Potter, Weasley und Granger sind auf der Suche nach seinen Horkruxen. Sieben an der Zahl. Albus und ich sind uns allerdings sicher, dass er mindestens einen in Hogwarts versteckt hat. Immerhin betrachtete er es als sein erstes und einziges Zuhause. Und es ist nun an Ihnen heraus zufinden, wo er diesen Horkrux versteckt hat.“

„Moment, Moment. Ich glaube, ich habe mich verhört. Sie sind ein Todesser, ein Anhänger des Lords und haben in seinem Auftrag Professor Dumbledore umgebracht. Sie können mir nicht weiß machen wollen, dass sie die Vernichtung von Voldemort, ja ich nenne ihn bei Namen, das Schloss ist sicher, wollen und das alles mit ihrem Mordopfer ausgeklügelt haben! Für wie zurückgeblieben halten Sie mich, Professor? Glauben Sie ernsthaft, dass ich Ihnen das abkaufe? Am Ende suchen Sie nur einen Grund mich dem Lord auszuliefern, da ich mich offiziell gegen ihn stelle, um einen Unruhestifter weniger an ihrer vermaledeiten, Entschuldigung, Lehranstalt zu haben!“

„Unterstellen Sie mir NICHT, ein Mörder zu sein!“ „Aber Sie sind einer!“ Erregt springe ich auf und beuge mich über den Schreibtisch, soweit es mir möglich ist.

„Nein, bin ich nicht Miss Capulet und ich bin auch kein treuer Anhänger des Dunklen Lords. Ich habe seit siebzehn Jahren als Spion für Dumbledore gearbeitet und dass ich ihn umgebracht habe, war geplant. Er wäre bald an einem Fluch gestorben, durch seine eigene Dummheit, und dadurch, dass ich ihn umgebracht habe, hat er seinen Todesweg selbstgewählt. Mr. Malfoy ist ein schlechtes Gewissen erspart  und ich habe meine Loyalität dem Dunklen Lord bewiesen. Ich habe Dumbledore nie verraten und jetzt planen wir den Sturz des Lords.“ Eindringlich sieht er mich an und ich setze mich wieder hin. Irgendwie kann ich nicht anders, als ihm zu glauben. Es klingt glaubwürdig und ich hatte sowieso schon den Verdacht, dass die schwarze Hand ein eingeschlossener Fluch war. Außerdem war Dumbledore bei unserem letzten Treffen vor seinem Tod besonders liebevoll und herzlich. An sich hätte ich Verdacht schöpfen können, aber welcher nicht paranoide Zauberer erwartet hinter jeder merkwürdigen Regung ein baldiges Ableben?

„Mein Kind“, ertönt Albus Stimme aus dem Gemälde und seine gütigen Augen blicken liebevoll auf mich herab. „Was Severus sagt stimmt und wir benötigen dich für die Ausführung unseres Plans.“

Seufzend lehne ich mich zurück.

„Gut und wie soll ich an den Horkrux herankommen? Wenn ich durch ganz Hogwarts streife und alles absuche, dauert das erstens Jahre und zweitens würden die Carrows am Ende Verdacht schöpfen.“ Ein höhnisches Grinsen ziert meine Lippen. „Sofern die beiden etwas im Kopf haben, was ich zeitweise bezweifle.“

„Nun, ich werde Sie mit Hilfe eines Zeitumkehrers in das Jahr 1944 bringen. 1.September 1944 um genau zu sein. An diesem Tag beginnt Tom Riddles siebtes und letztes Schuljahr. Sie sind also ungefähr im gleichen Alter mit ihren 18 Jahren. Dort werden Sie mit einem gefälschten Zeugnis einer amerikanischen Zaubererschule zum Direktor, Professor Amando Dippet, gehen, sich in ein Haus einteilen lassen und am Unterricht so lange teilnehmen, bis Sie das Vertrauen von Tom Riddle gewonnen haben und wissen, wo er den Horkrux versteckt hat.  Dann kommen Sie wieder mit Hilfe des Zeitumkehrers hierher zurück, wenn Sie den gleichen Tag für ihre Rückreise wählen, den Sie für ihre Abreise verwendet haben, merkt niemand ihr Verschwinden. Verstanden und einverstanden?“

Mein Blick wandert von Snape zu Dumbledore und zurück. Eine tiefe Gewissheit meinen Teil an Voldemorts Sturz beitragen zu wollen und jetzt die Möglichkeit eröffnet bekommen zuhaben, macht sich in mir breit.

„Ja, ich habe verstanden. Ich werde in die Vergangenheit reisen, mich mit Tom Riddle anfreunden und aus ihm herauskriegen, wo er vorhat einen Horkrux in Hogwarts zu verstecken. Oder hat er den Horkrux längst versteckt?“ „Nein, er hat zu diesem Zeitpunkt erst einen Horkrux erschaffen. Er tötete seinen Vater und dessen Familie.“ Wissend nicke ich. Harry hat mir den kompletten Lebenslauf von Voldemort erzählt, den er durch die Erinnerungen Anderer mitbekommen hat. An sich, könnte ich eine Biographie über ihn verfassen.

„Gut und wann soll ich abreisen? Und was unterscheidet Hogwarts von heute mit dem Hogwarts von damals?“, erkundige ich mich neugierig.

„Morgen brechen Sie auf, umso schneller, desto besser. Die Schulkleidung hat sich geringfügig verändert, wir haben schon ein authentisches Exemplar für Sie besorgt.“ Professor Snape legt mir einen Stapel Schulröcke und Blusen auf den Schreibtisch. „Generell war die Kleidung anders. Ich hoffe sie haben nicht nur Blümschenkleider und gerüschte Blusen und T-Shirts, sondern auch lange Nachthemden mit ähnlich mädchenhaften Aufdrücken“, sagt Professor Snape in sarkastischer Tonlage. An sich müsste ich sauer sein, dass er so von meinem Kleidungsstil spricht, aber ich stehe darüber.

„Na dann, Professor. Dann gehe ich jetzt zum Gryffindorturm zurück und packe meinen Koffer und lege mir einen Plan zurecht. Ich werde das schon hinbekommen, also ich meine, das Nichtauffallen und ich werde wirklich alles geben. Machen Sie sich keine Sorgen und bis morgen Nachmittag, Sir“, lächle ich betont munter, schnappe mir meine Tasche und rausche aufgeregt davon.

Bei Merlin! Ich soll mich mit dem Dunklen Lord anfreunden! Laut Harry ist das ein Ding der Unmöglichkeit, er hatte damals schon Anhänger, aber keine Freunde ... Wie stelle ich das bloß an?

30.April 1998




Mein magisch vergrößerter Koffer schwebt neben mir her als ich auf dem Weg zu Professor Snape. Der ganze Schultag ist an mir vorbei geglitten und jede Beleidigung und Anmaßung der Carrowgeschwister ist an mir abgeprallt.
Meine Zimmergenossinnen haben mir misstrauisch beim Packen zu gesehen, vor allem, als sie gesehen hatten, dass ich meinen Kuschelhasen eingepackt habe.
Jetzt laufe ich nervös auf einer Haarsträhne herum kauend zum Schulleiterbüro.
Ein ganzes Jahr in einem anderen Jahrzehnt mit vollkommen anderer Einstellung! Von Emanzipation haben die scheinbar noch nie etwas gehört! Wie will ich da nicht auffallen? Wie will ich dort Freunde finden?
Außer Riddle versteht sich. Ich habe noch keinen genauen Plan, wie ich seine Freundschaft gewinne, da ich nicht weiß, wie er damals getickt hat, aber sobald ich einigermaßen durchblicke, werde ich den Auftrag in Angriff nehmen. Leider bleibt mir weniger als ein Jahr um sein Vertrauen zu gewinnen...

„Da sind Sie ja endlich“, begrüßt mich Professor Snape als ich sein Büro betrete. „Haben Sie alles, was Sie mitnehmen wollen? Kleidung? Bücher? Kosmetikartikel?“, Kurz nicke ich und stelle mich verkrampft und steif ihm gegenüber.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Claire. Wenn er etwas ahnt, bevor Sie den Auftrag abgeschlossen haben, können Sie jeder Zeit zurückkommen. Albus und ich haben uns gedacht, dass es gut wäre, wenn Sie das komplette Schuljahr dort machen, also das Sie auch bleiben, wenn Sie es von ihm erfahren haben, damit er sich sicher fühlt. Das hier ist ihr gefälschtes Abschlusszeugnis der <Eagle- Akademie>, Sie haben die Schule gewechselt, da Sie Abstand wollten von dem Ort, der Sie an ihre verstorbenen Eltern erinnert hat und Sie jetzt endlich alt genug sind, um das selbst zu entscheiden. Sie belegen die Fächer Verteidigung gegen die dunklen Künste, Zaubertränke, Verwandlung, Zauberkunst, Astronomie, Alte Runen und Arithmantik.“ „Arithmantik? Das habe ich doch vorletztes Jahr abgewählt!“ „Ja, aber wir haben uns größte Mühe gegeben und ihren Stundenplan seinem anzupassen und er hat das Fach nun mal belegt und ich hoffe sehr für Sie, dass noch etwas hängen geblieben ist“, höhnt er und drückt wir die Papiere in die Hand. „Passen Sie gut auf sich auf, wir zählen auf Sie. Ich hoffe ihnen ist bewusst, wie viel von ihrem Erfolg abhängt?“ Apathisch nicke ich und schlucke schwer. Ein Jahr, ein komplettes Schuljahr in einer anderen Zeit. Merlin, wird das fürchterlich!
Gestern hatte ich mir stundenlang Mut zugeredet bis ich endlich in einen unruhigen Schlaf verfallen bin und Neville habe ich noch einmal ganz fest umarmt, bevor ich meinen Koffer holen gegangen bin.
Wenigstens von ihm konnte ich Abschied nehmen, auch wenn er nie herausfinden wird, dass es für mich einer war.
„Ihr Zeitumkehrer ist eingestellt. Sie müssen ihn sich nur noch umhängen. Wenn Sie zurück wollen, nehmen Sie einfach den selben Umkehrer und drehen ihn“, er reicht mir einem kleinen gefalteten Zettel. „Auf diesem Zettel steht wie oft, verlieren Sie ihn nicht, er ist ihr Schlüssel nach Hause“, trichtert er mir noch ein. Dann hänge ich den Umkehrer lächelnd um und fühle wie ein Sog mich mit ihn die Vergangenheit nimmt...

1.September 1944




Sonntag


... Und dort ruckartig absetzt. Ich stehe vor der Tür des Direktorzimmers und klopfe zaghaft an. Scheinbar ist der Raum geschützt, da ich nicht einfach dort hinein gesprungen bin, wie ich eigentlich gedacht hatte.
„Herein“, fordert mich eine dünne männliche Stimme auf. Gemessenen Schrittes betrete ich das Turmzimmer, welches sich nur geringfügig von dem aus meiner Zeit unterscheidet. Fawkes fehlte, einige Gerätschaften und ebenfalls das Portrait des Mannes, der mich gerade verwundert mustert.
„Guten Tag, Professor Dippet. Ich heiße Claire Capulet und bin die neue Schülerin, die Ihnen angekündigt wurde“, lächle ich ihn gespielt schüchtern an und reiche ihm meine Papiere.
„Tut mir leid, Miss. Sie wurden uns keineswegs angekündigt“ „Bitte? Aber, es steht seit letzten Jahr fest, dass ich hierher wechseln werde. Mein ehemaliger Direktor versprach mir, mich anzumelden. Heißt das, ich kann nicht am Unterricht teilnehmen?“
„Oh, doch, doch. Wie ich sehe, sind Sie eine hervorragende Hexe, auch wenn ich noch nie von dieser Schule gehört habe. Ausgezeichnete Noten, aber Sie haben keinen Unterricht in Haushaltsführung bekommen?“ „Was ist Haushaltsführung?“ „Dort lernen Sie mit Magie zu kochen, waschen, spülen und der gleichen. Alles, was eine Hexe können muss für ihr weiteres Leben“, lächelt er mich an. Irgendwie erinnert er mich an einen altersschwachen Opa....
„Ich habe noch nie Unterricht in diesem Fach erhalten, Professor. Ist das ein weiteres Hindernis für meinen Schulabschluss in Hogwarts?“ „Nein, nicht doch. Ich gehe davon aus, dass eine gescheite Hexe wie Sie, solche Dinge im Handumdrehen lernen. Sie können hier bedenkenlos zur Schule gehen, auch wenn es etwas plötzlich kommt, wie Sie merken. Sie sind früher da, als die anderen Schüler. Sie müssen wissen, das in London der Hogwartsexpress die Schüler abholt und hier abliefert. Nun gut, da Sie schon einmal hier sind, kann der Sprechende Hut auch gleich entscheiden, wo Sie hingehören“, ächzend erhebt er sich und mir fällt ein, dass ich ja gar nichts von dem Hut wissen kann.
„Sprechender Hut, Sir?“ „Ja, Sie werden ihn aufsetzen und er wird entscheiden in welches Haus Sie kommen. Es gibt Hufflepuff. Dort kommen alle hin, die ein gutes Herz haben. Gryffindor für die Mutigen, Ravenclaw steht für Intelligenz und Slytherin für List und Tücke, aber keine Sorge, dort findet man auch wahre Freunde. Der Hut entscheidet, in welches dieser Häuser Sie gehören. Ihr Haus ist ihr Familienersatz in Hogwarts. Dort schlafen, lernen und leben Sie. Keine Sorge, der Hut hat sich noch nie geirrt.“ „Da bin ich aber beruhigt“, lächle ich ihn wieder warmherzig an und lasse mir den noch nicht ganz so hässlichen Hut reichen, um ihn aufzusetzen.
„Schau an, schau an. Ein kluges Köpfchen haben Sie da, Miss und an List mangelt es ihnen ebenso wenig, wie an Mut. Hmmmm, interessant, interessant. Was meinen Sie, Miss?“ „Gryffindor“, flüstere ich zaghaft. Das Haus war schon in den letzten Jahren mein Zuhause gewesen und außerdem ist Professor Dumbledore der Hauslehrer. Jaaa, ich habe mich über alle Umstände, die in diesem Jahr herrschten informiert.
„Gut, dann soll das so sein. GRYFFINDOR!“
Strahlend nehme ich den Hut vom Kopf und lege ihn vor mich auf den Schreibtisch.
„Eine Gryffindor also, So, so. Machen Sie ihrem Haus Ehre, Miss. Ihr Hauslehrer, Professor Dumbledore, der übrigens auch der Lehrer für Verwandlung ist, wird Sie jeden Augenblick abholen“, ermutigend lächelt er mich an.
Schweigend sehe ich mich noch ein wenig im Raum um, bis es an der Tür klopft und der junge Dumbledore eintritt.
Meine Augen weiten sich und meine Atmung stoppt. Mit kastanienbraunem Haar und Bart steht der zukünftige Schulleiter in der Tür und lächelt mich genauso weise an, wie vierzig Jahre später. Ob er weiß, dass einer seiner jetzigen Schüler sich eines Tages nichts mehr wünscht, als seinen Tod?
Nein, natürlich nicht!, beantworte ich mir selbst meine Frage. Woher sollte er es auch wissen? Er kann höchstens eine Ahnung haben, immerhin reden wir von Dumbledore.
„Sie haben mich rufen lassen, Amando?“ „Ja, Albus. Das hier ist Claire Capulet, ihre neue Schülerin in Gryffindor. Sie kommt aus Amerika und belegt hier ihr letztes Jahr. Ich bitte dich darum, Sie zu ihrem Turm zu begleiten, Albus.“ „Selbstverständlich Amando. Folgen Sie mir Miss Capulet.“

Im Gemeinschaftsraum angekommen, drehe ich mich um meine eigene Achse, es sieht aus wie zu meiner Schulzeit. Fast identisch! Nur die Sessel wirken neuer und sind anders arrangiert.
„Ich Schlafsaal ist hier die Treppe herauf, Miss. Ihr Name steht schon an der Tür. Haben Sie noch fragen?“ „Nein, nein danke. Ich möchte mich einfach überraschen lassen und erst einmal auspacken. Oh, oder doch! Muss ich in Haushaltsführung einen Abschluss machen oder langt es, wenn ich das Fach belegt habe?“ „Ein Abschluss ist zu meinem Bedauern von Nöten, Miss Capulet.“ „Nennen Sie mich bitte Claire. Ich bin erst achtzehn“, lächle ich ihn an und trage meinen Koffer die Wendeltreppe hinauf.
Im Zimmer angekommen beziehe ich das hinterste Bett, das ist auch in meiner Zeit mein Bett gewesen. Mit einem Zauberstabschlenker räumt sich mein Koffer selbst aus und meine Sachen selbst ein.
Neugierig betrete ich das Bad. Hoffentlich gibt es hier warme Duschen!
Hippogreifenmist! Es gibt keine! Dabei habe ich gehofft, dass wir Zauberer dem Muggeln voraus sind, die in den 50er Jahren angefangen haben Duschen in ihre Bäder einzubauen. Tja, zu früh gefreut! Hinten in der Ecke steht eine Badewanne mit anmutigen Löwenfüßen aus Messing. Das Wasser fließt aus verschieden farbigen Hähnen. Sind wir in der Clownsschule oder was?
Seufzend verstaue ich meinen Kulturbeutel im obersten Fach, da ich mit meinen 173 Zentimetern nicht unbedingt klein bin, vor allem für diese Zeit. Ich habe irgendwann mal gelesen, dass die Menschheit innerhalb der letzten Jahrzehnte durchschnittlich größer geworden ist.
Wie den auch sei, wenigstens einen Spiegel haben wir, der anscheinend richtig gut ist. Meine kupferroten, taillenlangen Locken leuchten mit feurig entgegen und glänzen mit meinen blau – grau melierten Augen um die Wette.
Schnell richte ich mein beigefarbenes Top wieder und trage ein wenig rosa Lipgloss auf. So, jetzt bin ich problemlos ansehbar, allerdings muss ich bis heute Abend meine Schuluniform anziehen. Mal sehen, ob ich den Rock nicht eigenständig verkürze...

Kritisch betrachte ich mich im Spiegel. Der schwarze Faltenrock ist knielang, die Bluse eher wie ein Hemd geschnitten und der Blazer unförmig. Ich fühle mich absolut unwohl in diese Kleiderkombination, da muss dringend etwas gemacht werden. In meiner Freizeit renne ich zwar gerne ich Schlabberhosen und dicken Pullis oder viel zu weiten Shirts herum, aber nicht während des Unterrichtes. Irgendwie brauche ich dort etwas, was mir ein Businessgefühl verleiht, damit ich mich besser konzentrieren kann und am einfachsten und besten geht das nun mal mit Kleidung.
Ein paar einfache Flüche beheben das Problem innerhalb von Sekunden. Ein Blick auf die Uhr meines Vaters, die ich vererbt bekommen hatte und jetzt aus den Ungründen meines Schrankes gefischt habe, da sie in dieses Jahrzehnt passt, zeigt mir, dass die Schüler sich jetzt wohl in den Kutschen oder auf den Booten befinden. An sich könnte ich jetzt schon nach unten gehen, aber dann würde ich auffallen wie ein buntes Schaf.
Gut und was mache ich jetzt bis zum Abendessen und der Häuserverteilung? Ob es den Raum der Wünsche schon gibt?

Wenig später stehe ich glücklich vor der soeben erschienenen Tür im siebten Stock. Es gibt ihn! Fantastisch! Aber an sich auch kein Wunder, wahrscheinlich wurde er schon bei der Gründung mit eingebaut. Da hätte ich auch früher darauf kommen können. Aber egal, jetzt habe ich immer einen Rückzugsrot, wenn mir alles zu viel wert.
Erneut schaue ich auf meine alte Taschenuhr. Oh! Die Schüler müssten inzwischen da sein! Klasse, der erste Tag und ich bin schon zu spät.
Eilig mache ich mich auf den Weg in die Große Halle und überspringe zielsicher die Trickzauberstufen. So sehr hat sich Hogwarts also nicht in den letzten fünfzig Jahren verändert.
Als ich die Halle betrete, sitzen alle Schüler schon an ihren Tischen und ein armer Erstklässler sitzt auf dem Hocker mit den Sprechenden Hut auf dem Kopf. Armer Kerl, ich kann mich noch ganz genau an mein erstes Jahr erinnern.
Mit einem Wink meines Zauberstabes schlägt die Hälfte der Flügeltür, die ich geöffnet hatte, hinter mir ins Schloss. Ein grimmiger Mann steht daneben und sieht so aus, als würde er mich am liebsten kopfüber an die Decke hängen. Ist das etwa Filchs Vorgänger? Wenn ja, dann scheint das Grimmigsein zu dem Beruf gehören.
Ob sie besser bezahlt werden, wenn sie den Schülern Angst einjagen?
Mit einem leichten Schmunzeln husche ich an das hinterste Ende des Gryffindortisches und setze mich
Neben einen recht gutaussehenden, blonden Jungen.
„Hallo, ich bin Claire, Claire Capulet, die Neue und du bist?“ Lächelnd strecke ich dem Jungen meine rechte Hand entgegen, die er mit einem festen Händedruck ergreift.
„Benjamin Turpin, angenehm“, lächelt er mich charmant an und ich fühle mich augenblicklich wohl im meinem „neuen“ Haus. Ein guter Anfang ist immer etwas schönes.
„Von wo kommst du und in welchem Jahrgang bist du?“, erkundigt er sich und mustert mich von oben bis unten. Aha. Diese Angewohnheit gibt es bei Männern scheinbar nicht erst ab den 90er Jahren. Kokett lächelnd schüttele ich meine roten Locken.
„Ich komme aus Amerika und gehe in die Siebte. Du?“ „Ich gehe auch in die Siebte. Willkommen in meiner Klasse. Hey, ich stell dir mal ein paar anderen vor. Also, der Junge hier neben mir ist mein bester Freund John Robins und das ist seine Freundin Chantal Duval“, ein hübsches Mädchen lächelt mich grüßend von der gegenüberliegenden Tischseite aus an. Ihr Freund nickt mir grinsend zu. „Hallo, ihr beiden ich bin Claire“, stelle ich mich mit einem schüchternen Lächeln zu. Ein sehr hübsches Mädchen streckt ihre Hand nach mir aus. „Tag, ich bin Tina Wood, auch in deinem Jahrgang“, fest schüttelt sie meine Hand. „Und das hier ist mein Zwillingsbruder Simon“, ein nicht minder hübscher Junge blinzelt mir charmant zu. Eindeutig ein Sunnyboy. Interessant.
„Sehr erfreut eure Bekanntschaft zumachen. Ich bin Claire.“ „Ich weiß“, winkt das direkte Mädchen mit dem braunen Bob ab. „Wir haben das schon mitbekommen, als du dich Benjamin vorgestellt hast“, grinst sie mich frech an.
Mit einem guten Gefühl in der Magengegend wende ich mich der Häuserverteilung zu. Die Leute sind mir eindeutig sympathisch, das Jahr kann gar nicht mehr schlecht werden!

Später im Schlafsaal stelle ich fest, dass ich mit Tina und Chantal in einem Zimmer bin, außerdem ist noch ein schüchternes Mädchen mit krausen, blonden Locken namens Jessica Smithers mit im Bunde. Im Großem und Ganzen bin ich ziemlich zufrieden mit meinem ersten Tag in der Vergangenheit und mehr als glücklich so gut in meinem Haus angekommen zu sein. Die drei Mädels und die drei Jungs sind mir auf Anhieb sympathisch.
Voller Vorfreude auf den nächsten Tag und ohne einen Gedanken an meinen unheimlichen und schweren Auftrag zu verschwenden schlafe ich ein.

2.September 1944

 

Euphorisch schwinge ich meine Beine über die Bettkante, nur um sie schnell wieder zurück zu ziehen. Merlin, ist es kalt! Noch nie etwas von heizen gehört?

Leise vor mich hinfluchend tapste ich in das Badezimmer und putze mir mit kaltem Wasser die Zähne. Hier werde ich eindeutig nicht morgens baden gehen! Bis das Wasser im Boiler warm ist, kann ich wahrscheinlich auch Stunden warten, obwohl, ich bin ja eine Hexe, warum zaubere ich es nicht einfach warm?

Über meine eigene Dummheit den Kopf schüttelnd spucke ich ins Waschbecken und betreibe jetzt mit warmem Wasser, Zauberstab sei Dank, meine Katzenwäsche. Meine Locken zwinge ich in einen Dutt, den ich mit einer schwarzen Schleife fixiere und meine Augen betone ich dezent mit Wimpertusche wie jeden Morgen.

Beim Hinausgehen werfe ich noch einen Blick auf meine schlafenden Zimmergenossinnen, ja ich weiß. Es ist an sich viel zu früh, die Uhrzeit ist fast unchristlich, aber was soll man machen? Ich stehe immer früh auf und bis jetzt hat sich das noch nie als Nachteil geäußert, ganz im Gegenteil. Vor Prüfungen konnte ich dann noch einmal in Frieden lernen. Und genau das ist auch jetzt mein Ziel. So wie ich Slughorn einschätze, macht er Jahr für Jahr den gleichen Unterricht und ich habe alle meine Unterlagen aus den 90ern mitgenommen, mit anderen Worten bereite ich mich auf nicht unbedingt faire Art und Weise auf den Unterricht vor. Zu meiner Verteidigung muss allerdings gesagt werden, dass Snape mir nahezu eingetrichtert hat gut in der Schule zu sein.

Vorsichtig stelle ich meine Schultasche aus Leder auf den Boden neben einen Tisch in der verlassenen Bibliothek. Nicht einmal eine Bibliothekarin ist anwesend und keine Kerze brennt in den Leuchtern an der Wand.

Gemächlich schlendere ich durch die dunklen Reihen. Ich liebe die Stimmung der einsamen Bibliothek. Umgeben von Büchern, voller Wissen und Erlebten. Alte Regale, die schon so viele Jahre in der Zaubererschule stehen. Der einzigartige Geruch. Die hohen Fenstern, die mittags auf der Südseite schräges Licht einfallen lassen. Die Tische an denen schon so viele Zauberer und Hexen mit rauchenden Köpfen saßen oder sich wunderten, warum manche Probleme mit dem Verständnis haben.

Sachte streiche ich über einen vergoldeten Buchrücken. Kein Titel gibt Aufschluss über den Inhalt. Wenn die Bibliothekarin anwesend wäre, würde ich es ausleihen. Schade, dass ich jetzt keine Zeit zum Schmökern habe.

Ein wenig wehmütig betrachte ich meine Aufzeichnungen von Slughorns erster Stunde, das Datum in der Ecke würde hier ziemlich viel aufsehen erregen wie auf jedem anderen Blatt auch. Ich muss aufpassen, dass niemandem diese Unterlagen in die Hand fallen, sonst kriege ich ein Problem und fliege auf. Dann wäre wegen meiner Leichsinnigkeit der Auftrag gelaufen.

Das könnte ich mir niemals verzeihen und Neville wäre sicher auch enttäuscht.

Ach Neville, was würde ich dafür geben dich jetzt bei mir zu haben. Zur Unterstützung und um einfach das Gefühl zu haben zuhause zu sein.

Ach Neville ...

Ich habe mich nicht getraut Fotos mit zunehmen, da diese alle farbig sind und es noch keine farbigen Aufzeichnungen in meiner momentanen Zeit gibt. Es wäre viel zu riskant gewesen...

Eine Träne tropft auf das Pergament und verwischt die Tinte. Erschrocken fasse ich mir an die Wange. Merkwürdig ich habe gar nicht mitbekommen, dass ich angefangen habe zu weinen...

Oh wie ich sie alle doch vermisse! Wenn der Auftrag nicht so wichtig wäre würde ich sofort umkehren!

Tiefdurchatmend versuche ich mich zu beruhigen als ich ein Geräusch an der Türe wahrnehme. Doxydreck! Ich will nicht, dass mich jemand weinend sieht. Hektisch wische ich mir die Tränen von den Wangen und lasse die Tränen vom Pergament verschwinden indem ich es mit meinen Stab aus Eiche und Veelahaar anstupse.

Hektisch rolle ich das Pergament zusammen und stopfe es in ein Seitenfach meiner Umhängetasche und stehe auf.

Welcher Mensch, mit Ausnahme von mir, steht freiwillig so früh auf und kommt in die Bibliothek?

Auf leisen Sohlen schleiche ich Richtung Eingang, wenn es irgendjemand Irres ist, mache ich mich schnell aus dem Staub. Ja, dank den Carrows habe ich eine leichte Paranoia entwickelt, wenn ich ein Geräusch höre. Viel zu oft sind sie unerwartet um eine Ecke geschossen gekommen, um jemanden bei etwas Verbotenem zu erwischen. Nachdem sie mich einmal dabei angetroffen hatten, wie ich Malfoy mit dem Zauberstab bedroht hatte und ihre Bestrafung schmerzhafter war, als jemals zuvor, bin ich bei jedem Geräusch zusammen gezuckt. Bis zu dem Zeitpunkt, wo ich angefangen habe meine Körperreaktionen zu kontrollieren. Danach habe ich nie wieder gezuckt, nicht einmal mit der Wimper. Allerdings reagiere ich auf unerwartete Geräusche immer noch allergisch...

Ruckartig bleibe ich stehen, als ein großer, schwarzhaariger Junge in den Gang einbiegt durch den ich gerade laufe.

Meine Güte sieht der gut aus! Schlank, groß, dunkelbraune Augen, hohe Wangenknochen, blass, rosane Lippen und adrett. An seinem Umhang steckt das Schulsprecheremblem und mit einem Schlag wird mir klar, wen ich da vor mir habe.

Tom Riddle.

Der Grund, warum ich hier bin und wegen Heimweh heulend in der Bibliothek sitze. Bei dem Aussehen ist es kein Wunder, dass sich so viele von ihm haben einlullen lassen...

Aber er ist das Böse!, rufe ich mir schnell in Erinnerung und schüttele leicht den Kopf um wieder klarer denken zu können. Ich darf ihn nicht attraktiv finden! Ich bin zu seiner Vernichtung hier. Er ist abscheulich. Zumindest sein Inneres...

„Wer bist du?“, durchdringt seine leise, weiche Stimme mein Bewusstsein und holt mich in das Hier und Jetzt zurück. Sie klingt dominant, kalt und doch wunderschön und fesselnd...

Schwer schluckend versuche ich den Kloß in meinem Hals zu verdrängen. „Ich-“, krächze ich, bevor ich mich noch einmal räuspere um meine Stimmbänder frei zu kriegen. „Ich bin Claire“, lächele ich zaghaft. Toller Einstieg! Wie ein schüchternes Hühnchen stehe ich vor diesem extrem attraktiv- , ich meine, extrem bösartigen Zauberer. „Und wer bist du?“, schiebe ich die Frage zögerlich hinterher. „Tom Riddle. Wer bist du?“ „Habe ich doch gerade eben gesagt. Ich bin Claire.“ Verwundert runzele ich die Stirn. Hört er einem denn gar nicht zu? „Das meine ich nicht, Mädchen!“, raunzt er mich an ohne das Seidenweiche in seiner Stimme zu verlieren. „Ich habe dich hier noch nie gesehen und ich kenne jeden Schüler. Also, wer bist du?“, wiederholt er seine Frage.

„Ich bin, Riddle, wie schon erwähnt, Claire Capulet, 18 Jahre alt und komme aus Amerika. Noch Fragen?“, lächle ich ihn süßlich an. Der soll sich bloß nicht einbilden, dass ich ein verschrecktes Reh bin. Auch, wenn ich mich so verhalte. Peinlicherweise. „Ja. Was machst du um diese Uhrzeit hier, Capulet?“ „Ich wollte Lesen doch dann habe ich dich getroffen. Und was machst du hier... Riddle?“, frage ich mit herausfordernd verschränkten Armen vor der Brust. „Das geht dich nichts an Mädchen und lass mich jetzt in Frieden“, befiehlt er noch mit ausdruckslosem Gesicht, bevor er auf den Absatz kehrt macht und die Bibliothek wieder verlässt.

Oh – mein – Gott! Das ist also Tom Vorlost Riddle. Der Junge mit dem ich mich anfreunden soll, um an sein Geheimnis zu kommen. Na super! Das wird mehr als kompliziert, das wird die größte Herausforderung meines Lebens, da bin ich mir absolut sicher. Wobei habe ich da nur eingelassen?

Bei nichts einfachen auf jeden Fall ...

Und so viel zum ersten Eindruck!

 

„Claire! Wo hast du denn gesteckt?“, brüllt mir Tina entgegen, als sie mich am anderem Ende des Gryffindortischs ausmacht. Lächelnd bewege ich mich auf meine neuen Bekannten zu.

„Ich war in der Bibliothek und habe mich auf den heutigen Tag vorbereitet.“ „So früh?“ Ungläubig blinzelt sie mich an. „Na hör mal, inzwischen haben wir halb neun, was heißt da früh?“ „Ich stehe immer um acht auf und du warst schon weg, samt Schultasche und dein Bett war perfekt gemacht. Also, wann bist du aufgestanden?“ „Um sechs“, seufze ich und nehme mir ein Brötchen. Toast scheint es hier nicht zu geben.

„Ist das normal?“, mischt sich Benjamin in unser Gespräch ein. „Ja“, gebe ich kurz angebunden zur Antwort. „Daran werdet ihr euch noch gewöhnen“, zwinkere ich fröhlich und lächle Simon belustigt an. „Simon, du hast Ei in deinem Mundwinkel hängen. Bist du dir dem bewusst?“, schmunzele ich und beobachte den hübschen Jungen dabei, wie er hektisch nach einer Servierte greift und sein Gesicht säubert.

Lächelnd beiße ich von meinem Honigbrötchen ab und wende meinen Blick dem Lehrertisch zu.

Ein merkwürdiger Anblick.

In der Mitte sitzt der magere Dippet und nicht Snape. Neben Dippet sitzt der junge Dumbledore und ... Slughorn! Unglaublich, wie anders er aussieht, aber was habe ich erwartet? Das ein Zauberer nicht altert? Wohl kaum. Immer noch irritiert schüttele ich den Kopf und stelle zu meinem Bedauern fest, dass ich ansonsten keinem Lehrer einen Namen zu ordnen kann. Wäre auch zu schön gewesen...

Ein erneuter Blick zum Lehrertisch zeigt mir, dass Dumbledore sich auf unsere Gruppe zu bewegt mit einem Stapel Stundenpläne in der Hand. Mit einem freundlichen Lächeln drückt er jedem von uns den richtigen in die Hand.

 

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Zeiten

Verwandlung

Zauberkunst

Zaubertränke

Alte Runen

Arithmantik

9:00- 10:35

Zaubertränke

Alte Runen

 

Verwandlung

VgddK

10:40- 12:15

                                                    Mittagspause                                                        12:20- 12:50

VgddK

Hhf

Zauberkunst

VgddK

Zaubertränke

12:50- 14:25

Hhf

Verwandlung

Arithmantik

Astronomie

Alte Runen

14:30- 15:15

 

Hhf = Haushaltsführung

VgddK = Verteidigung gegen die dunklen Künste

Anmerkung: Weitere Astronomiestunden werden autonom mit dem Lehrer abgesprochen

 

 

„Hat jemand von euch einen ähnlichen Stundenplan und jetzt mit mir Verwandlung?“ „Wir haben jetzt alle mit dir Verwandlung“, murmelt Benjamin nach einem Blick auf die Stundenpläne seiner Freunde. „Danach haben wir alle Zaubertränke und nach der Mittagspause gemeinsam Verteidigung gegen die dunklen Künste, danach trennen sich unsere Wege. Die Mädels haben mit dir zusammen Haushaltsführung, Simon Kräuterkunde und John und ich haben frei“, vergleicht er unsere Pläne weiter. „Klingt doch ganz gut“, lächelt Jessica und wirkt selbst jetzt in Kreis ihrer Freunde schüchtern.

„Finde ich auch!“, strahlt Tina. „Dann können wir dich hier im Schloss erst einmal in Frieden einführen, damit du dich nicht verläufst.“ „Auf geht’s“, ächzt daraufhin John und greift nach Chantals Hand, auf die er einen kurzen Kuss drückt und sie dabei intensiv ansieht.

Mir fällt Jessicas eifersüchtiger Blick auf und wie dieser dann zu Simon huscht, was sie rot anlaufen lässt. Mein Grinsen verstecke ich, indem ich mich umdrehe. Sehr interessant. Ob sie weiß, wie leicht sie zu durchschauen ist?

„Ich will nicht zu spät zu meiner ersten Stunde an der neuen Schule kommen. Also, wer zeigt mir den Weg? Und zwar jetzt“, wende ich mich an meine neunen Bekanntschaften.

„Ich“, meldet sich Benjamin lächelnd und läuft mit mir los.

 

„Da wären wir.“ Sein Dauerlächeln verbreitet sich noch ein wenig mehr, als er mit einer großzügigen Bewegung mich auf die Tür hinweist.

„Danke, Ben. Ich darf dich doch so nennen?“, lächle ich zurück. Sein Grinsen ist einfach ansteckend!

 „Sicher, immerhin sind wir Freunde“, antwortet er. Freunde? Er betrachtet mich jetzt schon als Freundin? Das geht bei ihm ja schnell! Ein wenig naiv der Süße, nicht wahr?

 

Die Stunde Verwandlung bei Professor Dumbledore ging vorbei, wie im Flug. Ich sitze hinten außen neben Ben.

Professor Dumbledore unterrichtet komplett anders als Professor McGonogall, nicht schlechter und nicht besser. Bei beiden Lehrern versteht man auf Anhieb, was sie von einem wollen und da ich den Stoff vor gar nicht all zu langer Zeit schon einmal hatte, fiel es mir kein wenig schwer die Tasse in eine Schildkröte zu verwandeln.

Allerdings legt Professor Dumbledore mehr wert auf ungesprochene Zauber, als Professor McGonagall, aber da ich Professor Snape in Verteidigung gegen die dunklen Künste in der sechsten Klasse hatte, bin ich in ihnen gut ausgebildet.

Die ganze Doppelstunde über habe ich versucht Riddle im Auge zu behalten ohne aufzufallen. Leider hat sich das als schwieriger herausgestellt, als gedacht. Er sitzt zwischen zwei Jungen in der ersten Reihe, die scheinbar seine Freunde sind. Zumindest kamen sie zusammen und gingen ebenso, als geschlossene Gruppe. Kein einziges Mal sieht man ihn lächeln, er ist komplett auf seine Arbeit konzentriert und führt alles fehlerlos aus. Er wirkt auf mich, bis jetzt, wie ein gewöhnlicher Schüler, der sich durch Fleiß und Können auszeichnet und nicht wie der zukünftige Lord Voldemort.

Es wundert mich bis jetzt kein wenig, dass er jeden um den Finger wickeln konnte und von Slughorn Hilfe bei den Horkruxen erhielt. Er wirkt harmlos, wissbegierig,... aber böse?

Selbst auf mich macht er einen guten Eindruck, was nicht nur von seinem Äußeren herrührt, obwohl ich weiß, was aus dem jungen Riddle werden wird. Leider habe ich ihn im Unterricht mehr schlecht als recht beobachten können, was daran liegt, dass zu viele Menschen zwischen uns sitzen, aber es hat mir geholfen ein erstes Bild von ihm zu machen.

Im Moment warte ich mit meinen neuen Freunden in den Kerkern auf Professor Slughorn. Tom steht keine zehn Schritte von mir entfernt und hört schweigend den beiden Jungen von vorhin zu.

„Sagt mal“, unterbreche ich Tinas Redefluss. „Wer sind die beiden Jungs bei unserem Schulsprecher?“ „Die?“, schnaubt Tina abfällig. „Das sind Abraxas Malfoy und Antonin Dolohov. Seine <Freunde>, wenn du es so willst. Meiner Meinung nach sammelt er sich einfach eine Horde bösartiger Schwachköpfe um sich herum, die ihn anhimmeln.“ „Wer gehört noch zu seinen... Anhängern?“, erkundige ich mich gespielt beiläufig. Trotzdem wirft mir Chantal einen merkwürdigen Blick zu, ehe die antwortet. „Nur Slytherins. Mulciber, Rosier, Lestrange, Nott, Avery, Rookwood und noch einige Blacks, die sind allerdings nicht in unserem Jahrgang.“ „Mhm“, mache ich daraufhin nur und wende mich wieder ab, bevor Riddle meine forschenden Blicke bemerken kann. „Diese liebenswürdigen Zeitgenossen wirst du noch kennen lernen bei den Fächern, die du gewählt hast. Aber warum interessiert dich das überhaupt?“ John legt liebevoll einen Arm um die Schultern seiner Freundin und wartet auf meine Antwort. Gerade, als ich den Mund öffne, um ihnen eine einigermaßen plausible Erklärung aufzutischen, kommt der pummelige Slughorn den Gang entlang geschlichen und scheucht uns wie eine Hühnerherde vor sich her in den Klassenraum.

Der Zaubertränkekurs besteht aus zehn Schülern. Eindeutig weniger Teilnehmer des UTZkurses, als in Verwandlung.

Dadurch hat jeder Schüler so viel Platz, dass jeder einen Arbeitstisch komplett für sich alleine beanspruchen kann und trotzdem nur die erste Reihe bemannt ist. Tom hat seinen Kessel drei Plätze weiter aufgebaut zwischen Malfoy, der übrigens die typischen weißblonden Haare hat und Dolohov.

„So, meine Lieben, euer letztes Schuljahr ist angebrochen und wir haben ein neues Gesicht in unserer Reihe. Claire Capulet. Freut mich sehr, dass sie sich dazu entschlossen haben meinen Kurs zu besuchen. Ich habe bisher nur gutes von ihnen gehört. Ich bin ja mal gespannt, wie sie sich in meinem Kurs anstellen. Aber das können sie mir gleich demonstrieren. Seite 52 bitte, der Gregor – Zaubertrank. Vielleicht werden wir ihn am Ende der Stunde an einigen Schülern ausprobieren?“, kichert er vergnügt und lässt sich auf seinen Stuhl fallen. Mühsam unterdrücke ich ein leichtes Schmunzeln. Mit genau diesem Zaubertrank hat er letztes Jahr auch begonnen und darum habe ich auch diesen heute Morgen wiederholt, bis Riddle mich unterbrochen hat.

Ich habe es in meiner Zeit schon in den Slug – Club geschafft und hier erst recht!

 

„Bitte eine kleine Probe des Trankes abgeben, Herrschaften! Ich bin ja mal sehr gespannt, wie viel aus ihrem letzten Schuljahr hängen geblieben ist“, neugierig läuft er die Reihe entlang und beugt sich freudig lächelnd über meinen Trank. „Ah, Miss Capulet! Hervorragend! Man hat mir schon gesagt, dass sie sehr begnadet sein sollen. Kommen sie doch nach der Stunde einen Moment zu mir, ja?“ „Selbstverständlich, Professor“, lächle ich zurück und gebe mir große Mühe verlegen aus zu sehen, als ich ihm meine Probe in die Hand drücke.

Auch bei Tom bricht er in Verzückung aus und ich schüttele belustigt den Kopf über den alten Tränkemeister. Er hat sich kein wenig verändert. Wirklich nicht im Geringsten.

Anstelle mit den Anderen nach oben zu gehen, warte ich geduldig darauf, dass Slughorn mich anspricht. Gelangweilt trete ich von einem Fuß auf den Anderen.

„Ich fass mich kurz, Miss. Immerhin wollen sie sicherlich zum Mittagessen“, zwinkert er mir verschmilzt zu. „Ich würde sie gerne auf einem privaten Dinner von mir wiedersehen. Wissen Sie, ich lade nur die besten Schüler zu diesen Treffen in meinen Räumen ein, die Schüler, bei denen ich mir sicher bin, dass sie es weit bringen werden. Und bei ihnen bin ich mir jetzt schon sicher, dass sie eine herausragende Hexe werden. Was meinen Sie? Nehmen Sie meine Einladung an?“

„Ich fühle mich geehrt, Professor und freue mich außerordentlich über diese Einladung.“

„Gut, dann gebe ich ihnen Bescheid, wann das nächste Treffen ist, sobald ich das entschieden habe. Sie können jetzt Essen gehen. Auf Wiedersehen, Miss.“

„Auf Wiedersehen, Professor“, verabschiede ich mich und verlasse so schnell wie möglich den Klassenraum ohne zu rennen. Soweit ich weiß, ist Tom Riddle und einige seiner Freunde auch im Slug - Club. Theodore Notts Vater zum Beispiel.

Hoffentlich bin ich dort nicht ausschließlich von zukünftigen Todessern umgeben.

 

„Hey Leute. Slughorn hat mich zu seinen Treffen eingeladen. Begleitet mich einer von euch dahin oder bin ich lauter Fremden ausgesetzt?“, begrüße ich meine neuen Freunde, als ich mich neben ihnen auf der Bank in der Großen Halle fallen lasse.

„Ich werde auch da sein“, antwortet Simon auf meine Frage und schiebt sich ein Stückchen Kartoffel in den Mund. „Sehr schön. Ich dachte schon, ich muss mich alleine da durchquälen.“ Entnervt verziehe ich mein Gesicht und tue mir Essen auf.

„Keine Sorge, ich bin bei dir und es gibt wirklich schlimmeres“, versucht mich Simon zu beruhigen und schenkt mir ein charmantes Lächeln. Wenn mir nicht Jessicas gequältes Gesicht aufgefallen wäre, hätte ich kokett zurück gelächelt, aber man muss sich nicht von Anfang an Feinde machen, vor allem nicht in den eigenen Reihen und was will ich mit einem Typ in der falschen Zeit?

 

Galatea Merrythough, die Verteidigung gegen die dunklen Künste Lehrerin, ist eine strenge Frau, welche keinen einzigen Patzer übersieht und jeden Schüler gnadenlos darauf aufmerksam macht.

Die ganze Stunde über habe ich das Gefühl von ihrem Blick durchbohrt und bis auf die letzte Faser meines Seins untersucht zu werden. Dieser Kurs hat wieder mehr Schüler, als der von Professor Slughorn, aber weniger als der Verwandlungskurs.

„Das ist ihr letztes Schuljahr in Hogwarts. Nutzen sie es gut und verschwenden sie ihre Zeit nicht mit nutzlosen Dingen.“ Ihr forschender Blick gleitet noch einmal durch die Reihen, um sich der Aufmerksamkeit von uns sicher sein zu können, bevor sie uns mit einem Nicken entlässt.

Nutzlose Dinge? Was hat sie denn damit gemeint? Nachdenklich folge ich meinen neuen Freundinnen zum Haushaltsführungskurs. Nichts auf der Welt ist nutzlos. Jede Kleinigkeit hat ihren Platz in der Welt, also was meinte sie mit nutzlos?

Alle Slytherin- und Gryffindor- Schülerinnen der siebten Klasse stehen in Grüppchen verteilt vor dem Klassenzimmer von Sue Pucey, der Haushaltsführungslehrerin.

Schweigend geselle ich mich zu meinen Freundinnen und beobachte die Mädchen.

Gleich, ob Slytherin oder Gryffindor, alle Mädchen kichern durch die Gegend und reden wild durcheinander.

Sie erinnern mich sehr an meine Klassenkameradinnen. Eine schmerzhafte Welle des Heimwehs überrollt mich. Heftig blinzend vertreibe ich die aufkommenden Tränen. Oh Neville! Was würde ich jetzt dafür geben bei dir zu sein?

Traurig senke ich den Blick und versuche die Fassung wieder zu gewinnen.

Du bist auf Mission, Capulet! Der Erfolg deiner Mission könnte der Schlüssel zum Sieg über den Dunklen Lord sein. Reiß dich zusammen!, ermahne ich mich selbst und schleiche hinter den anderen her in den Klassenraum.

Leise setzte ich mich neben Tina an einen Tisch und betrachte zweifelnd die Herde, um uns herum. Das kann ja was werden.

„Guten Tag Schülerinnen aus Gryffindor und Slytherin. Wir haben dieses Jahr ein neues Gesicht in unserer Mitte. Claire Capulet aus Amerika. Miss Capulet, der Direktor hat erwähnt, dass sie noch nie Haushaltskunde hatten, ist das korrekt?“ „Ja“, antworte ich mit starrem Blick. Snape hat mich nicht einmal vorgewarnt, dieser räudige Köter!

„Dann werden sie viel nachzuholen haben. Ohne die geringsten Grundlagen sieht es schlecht für sie aus einen UTZ in diesem Fach zu schaffen und welcher Mann will schon eine Frau, die nicht den Haushalt führen kann?“ Die Stimme der Lehrerin klingt wie das boshafte Säuseln eines Vampirs, der sein Opfer einzulullen versucht. „Der, der genug Verstand hat, um festzustellen, dass das hier.“ Ich mache eine ausholende Handbewegung. „ nicht alles in der Welt ist, was zählt“, knurre ich genervt.

Leise und affektiert lacht Professor Pucey auf. „Gut, wenn sie das so sehen, Miss“, lächelt sie zuckersüß. „Heute backen wir einem Apfelkuchen. Geht in Gruppen zusammen und gebt euch Mühe. Wie ihr wisst verschenke ich Noten nicht. Das Rezept findet ihr in eurem Buch.“ Immer noch süß lächelnd setzt sie sich hinter ihren Pult.

„Tut mir leid, Tina. Ich habe so etwas wirklich noch nicht gemacht.“ „Kein Problem, ich bin auch hundsmiserabel“, kichert sie und geht auf einen freien Herd zu mit dem Buch in der Hand. Heute Abend werde ich noch eine Eule in die Winkelgasse schicken um mir die fehlenden Bücher zu besorgen. Merlin sei Dank habe ich einiges an Geld mit in dieses Jahrzehnt mitgenommen. Ohne wäre ich jetzt ziemlich aufgeschmissen.

 

„Also, so schlecht ist es für den Anfang doch gar nicht gelaufen“, necke ich Tina und schüttele meinen Kopf, sodass das Mehl nur so aus meinen Haaren herausfliegt. Sie hat versucht Eier zutrennen und gleichzeitig das Mehl hinzuzugeben und ist kläglich gescheitert. Die Mehltüte ist an Stelle der Eier aufgerissen und hat ihren Inhalt quer über den Tisch und uns verteilt. Ich würde Stunden brauchen, bis ich das Mehl aus den Haaren und aus der Lunge draußen hätte, wenn ich keine Hexe wäre. Den Umhang habe ich schon gereinigt, aber diese Schweinerei war der Blick von Pucey meiner Meinung nach wert. Diese Lehrerin ist eindeutig vom Umbridgeverschnitt  und ich kann sie jetzt schon nicht leiden. Dieses falsche Lächeln und diesen Aufstand, den sie um ihr Fach macht. Glaubt sie ernsthaft, dass der Mann der mich liebt, nicht nehmen wird, weil ich lieber ohne Magie backe?

Merkwürdige alte Schrulle.

„Wenn ich ehrlich bin, habe ich schon größere Schweinereinen veranstaltet“, nuschelt sie grinsend und wischt sich Mehl von den Wangen.

„Das glaube ich dir auf Anhieb“, kichere ich. „Wir sind eindeutig ein gutes Team.“ „Ein Chaotenteam, so wie ich euch einschätze!“, ruft Simon plötzlich hinter uns und legt seiner Schwester einen Arm um die Schultern. „Was hast du diesmal angestellt, Schwesterherz?“, grinst er und wuschelt ihr durch die weiß bestaubten Haare. „Habt ihr eine Mehlschlacht veranstaltet?“ „So ähnlich“, lache ich.

„Habe ich mir schon gedacht. Es ist ein Wunder, wenn Tina mal nichts in Haushaltsführung zerstört“, grinst er und drückt seiner Schwester einen Kuss auf die Stirn.

„Sei doch still“, beschwert diese sich und boxt ihm leicht in die Seite.

„Ich verabschiede mich hier von euch beiden. Ich muss noch eine Eule wegschicken“, winke ich ihnen fröhlich zu und laufe zur Bibliothek.

 

Abends liege ich mit vollem Magen in Bett und wälze mich hin und her. Den ersten Schultag habe ich relativ gut überstanden. Ich bin dabei neue Freunde zu finden und fühle mich relativ wohl, bis jetzt.

Mein erster Kontakt mit Riddle ist zwar komplett anders verlaufen, als ich gedacht habe, aber gut. Ich wäre nicht ich, wenn ich nicht selbst das zum Besseren wenden kann. Das einzig Irritierende ist er selbst.

Ich habe ihn mir ganz anders vorgestellt. Boshafter im Auftreten. Offensichtlich rassistisch, wie Malfoy. Nicht so kühl, beherrscht und zurückhaltend.

Er beherrscht die Kunst des Manipulierens und Verstellen jetzt schon perfekt. Ich weiß einfach nicht, was ich mit ihm anfangen soll, aber das werde ich die nächsten Wochen wohl herausfinden.

Mit meinen Gedanken bei Tom Riddle falle ich in einen unruhigen Traum, indem Riddle meine neuen Freunde zu Tode foltert und dabei seine Gestalt ändert. Am Ende sieht er aus wie der Lord Voldemort den ich kenne, bei dem es einem leicht fällt ihn zu hassen und zu fürchten. Nicht wie bei dem schweigsamen, attraktiven, jungen Mann, den ich heute kennengelernt habe.

Dieser Lord Voldemort aus meiner Erinnerung foltert allerdings nicht mehr Tina und den Rest, sondern Neville mit einem grauenhaften Lachen, das einem Schauer den Rücken runter jagt.

3.September 1944




Gerädert wache ich am nächsten Morgen auf. Schläfrig tapste ich in das angrenzende Badezimmer, wo ich mich fertig mache.
Das ganze Schloss scheint noch friedlich zu schlafen. Es scheint einen letzten tiefen Atemzug zu holen, ehe der Schulalltag die Gänge belebt und die Ruhe und den Frieden, der momentan im Schloss herrscht, vertreibt.
Andächtig wandele ich durch die kalten Gänge und genieße die Einsamkeit und die Stille. Der gestrige Tag hat mich mit Eindrücken überschüttet. Die neuen Lehrer, die neuen Mitschüler, die andere Zeit und vor allem Riddle...
Ich hasse es einen Menschen nicht durchschauen, einschätzen zu können. Ich weiß nicht wie ich auf ihn zu gehen soll, wie ich seine Interesse wecken kann... Er bereitet mir Kopfzerbrechen. Wenn es nicht so wichtig wäre mich mit ihm anzufreunden, würde ich ihn komplett in Ruhe lassen, aber nein! Er ist der Grund warum ich hier bin und macht dann noch seinem Namen alle Ehre. Rätsel beschreibt ihn besser, als jedes andere Wort es tun könnte.
Seufzend lasse ich mich auf eine Fensterbank sinken und hole meine Zauberkunst und Alte Runen Unterlagen heraus.
Beide Fächer habe ich heute zum erstem Mal und will auf jeden Fall einen guten Eindruck hinterlassen und die Lehrer beeindrucken. Außerdem besteht die Hoffnung, dass Riddle auf mich aufmerksam wird, wenn ich ihm Konkurrenz mache. Immerhin ist er ungeschlagener Schulbester und so wie Harry ihn mir beschrieben hat arrogant und ehrgeizig. Eine Konkurrentin ist sicher ein Problem mit dem er sich befassen wird. Wenn alles glatt läuft, also so wie ich es mir vorstelle, kann ich ihm dann den Vorschlag machen, dass wir zusammen lernen. Irgendwie werden ich schon an ihn herankommen!
Nicht nur er ist zielstrebig und listig! Wenn ich nicht wüsste, wie gut er ist und was er alles leistet, würde ich fast sagen, dass er in mir jemand ebenbürtigen gefunden hat, aber das wäre anmaßend und Selbstüberschätzung im höchsten Maße.
Mit einem weiteren tiefen Seufzer schlage ich meine Unterlagen auf und beginne zu wiederholen.

Der Zauberkunst und Ravenclawhauslehrer Ian Crook wuselt die ganze Stunde über von Schüler zu Schüler und begutachtet die auszuführenden Zauber kritisch. Wir wiederholen den Kitzelfluch Rictusembra, zumindest für mich ist es eine Wiederholung und Professor Crook befreit Tina von meinem ihr auferlegten Fluch nach fünf Minuten des ungehaltenen Lachens.
„Sehr gut, Miss Capulet! Fünf Punkte für Gryffindor. In ihrer Gegenwart muss man sich wohl vor plötzlichen Lachanfällen hüten, nicht wahr?“, zwinkert er mir freundlich zu. „Nicht doch, Professor. Ich vermeide es so gut, wie möglich Mitschüler oder Lehrer zu verhexen“, gebe ich lachend zurück.
„Wenn das so ist“, lacht auch er und geht weiter um John zu beobachten, wie er Benjamin mit dem Zauber belegt.
„Rictusembra“, ruft Tina und trifft mich mitten auf der Brust. Kichernd gehe ich in die Knie und versuche mein Lachen zu unterdrücken. Ich habe das Gefühl, am ganzen Körper gekitzelt zu werden. Schallend lachend lasse ich mich auf den Boden fallen und kann die Tränen, die mein Gesicht entlang laufen nicht zurückhalten. „Gnade, Tina! Gnade“, jappe ich angestrengt. „Sag bitte, bitte“, grinst Tina diabolisch.
„Oh bitte, bitte! Ich flehe dich an“, kichere ich und rolle mich zusammen nur um mich im nächsten Moment wieder zu strecken. Grinsend nimmt sieden Fluch von mir. „Jetzt, wo du weißt, wie sich das anfühlt, hoffe ich, dass du mich das nächste Mal nicht so lange leiden lässt.“ „Versprochen“, keuche ich und schnappe mir den Bauch haltend nach Luft.
Bei Merlin, so herzhaft habe ich seit fast einem Jahr nicht mehr gelacht.

Alleine mache ich mich auf den Weg zu Alte Runen. Ben, John, Tina, Simon, Chantal und Jessica haben Pflege magischer Geschöpfe bei Silvanus Kesselbrand.
Vor dem Klassenraum steht kein einziger Gryffindor. Lediglich eine Ravenclaw, sie sich mit einem Hufflepuffmädchen unterhält.
Ein paar Schritte weiter steht Tom Riddle mit Malfoy, Dolohow, Rookwood und Mulciber.
Alle drehen ihre Köpfe zu mir um, als ich zaghaft näher komme. Die vielen Blicke haben eine einschüchternde Wirkung auf mich. Mit großen Augen sehe ich in die Runde. Die Gesichter der beiden Mädchen wirken offen und freundlich, die Hufflepuff ein wenig schüchtern, die Ravenclaw dafür ein wenig selbstbewusster.
Ganz anders sind da die Blicke der Slytherins. Malfoy und Riddle scheinen sich einen Wettkampf darin zu liefern, wer ausdrucksloser wirkt, was Riddle gewinnt. In Malfoys Blick liegt noch eine Spur Arroganz.
Rookwoods Blick ist ziemlich anzüglich, genauso, wie der von Mulciber, abgeekelt verziehe ich das Gesicht kurz. Hoffentlich halten die beiden sich fern von mir, sonst schiebe ich eine Krise und Panikattacken sind nichts was ich im Moment gebrauchen kann.
Dolohows langes, fahles Gesicht hingegen wirkt, abschätzig und einfach nur verzerrt. Was für Saftgurken! Wenn ich nicht schon mitbekommen hätte zu was diese jungen Männer fähig sind, würde ich mich sicherlich über sie lustig machen, so aber schüchtern mich ihre Blicke nur ungemein ein. Einer ist brutaler und gefährlicher als der Andere. Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken runter. Wie will ich denn bei diesen Widerlingen an Riddle rankommen? Hätte Snape mich nicht warnen können, wer seine Schulfreunde sind? Lauter gefürchtete Todesser, die in Askaban saßen außer Malfoy. Der ist kurz vorher an Drackenpocken gestorben, die gleiche Krankheit, die Rookwoods Gesicht entstellt hat.
Gerade als ich mich an die Wand lehnen will, öffnet Professor Widdlemitch die Tür zu Klassenraum und wir Schüler betreten den hellen Raum hinter dem alten Lehrer.
Die beiden Schülerinnen lächelten mich freundlich an, als ich als letzte den Raum betrete und mich zu den anderen vor in die erste Reihe setze. Zwischen den beiden Mädchen haben sie mir einen Platz gelassen. „Setzt dich zu uns!“ Fordert mich das asiatisch aussehende Mädchen aus Ravenclaw auf. Mit einem dankbaren Lächeln stelle ich meine Tasche ab und setzte mich hin. „Ich bin Nogh Anh Chan, kurz Anna aus Ravenclaw. Du bist sicherlich die neue Gryffindor über die alle reden?“ „Man redet über mich?“ Gebe ich schüchtern zurück und senke den Kopf. Reden ist gar nicht gut, auffallen ist gar nicht gut! Umso weniger sich um einem scheren, desto einfacher ist es keinen Ärger zu bekommen. „Ja, du heißt Claire Capulet, nicht wahr?“ Wieder nicke ich schüchtern. „Das Mädchen auf der anderen Seite von dir ist Dorothe Bones, einfach Doro.“ „Freut mich deine Bekanntschaft zumachen“, lächle ich das unauffällige Mädchen an. Die hat schlammgrüne Augen und braunes, glattes Haar. Das typische Mauerblümchen, die typische Hufflepuff.
Leider bleibt uns nicht mehr Zeit zum Reden, da Professor Widdlemitch den Unterricht eröffnet und wir uns voll und ganz auf unsere Übersetzungen konzentrieren müssen.

Nach der Stunde eile ich zu meinen Freunden in die Große Halle zum Mittagessen, von wo aus wir Mädchen uns erneut der Aufgabe des richtigen Backens einer Torte widmen. Professor Pucey ist eindeutig nicht gut auf mich zu sprechen und eine fürchterliche Schreckschraube. Mit ihrer grellen Stimme würde sie jeden Hippogreifen scheu machen.
Allerdings haben Tina und ich es diesmal geschafft, die Torte richtig vorzubereiten, dafür ist uns der Teig im Ofen verbrannt, was wir erst gemerkt haben, als Rauchschwaden aus eben diesem gequollen sind.
Pucey hat uns dafür zehn Hauspunkte abgezogen. Meiner Meinung nach ungerechterweise. Ich meine, was können wir dafür, dass wir nicht wissen, wann der Teig fertig ist und raus muss?
Dennoch habe ich mich nicht beschwert. Es langt ja schon, dass über mich getratscht wird, weil ich neu bin, da brauche ich es nicht auch noch, dass ich als unfähige Köchin in Verruf gerate, die sich aufmüpfig den Lehrern gegen über benimmt. In dieser Zeit sind die Hexen noch nicht mit den Zauberern gleich gestellt und ganz andere Werte sind von Belang und ich will auf keinen Fall wegen merkwürdigem Benehmen auffallen.

Wieder einmal schweigend laufe ich neben meinen Freundinnen her zu Verwandlung. Professor Dumbledore erwartet uns schon und beginnt augenblicklich mit dem Unterricht als sich die Tür schließt, noch bevor sich eine von uns auf ihren Platz niederlässt.

„Unfassbar! Es ist erst der zweite Schultag und ich habe das Gefühl jetzt schon in Hausaufgaben zu ertrinken“, stöhnt Tina gut vernehmbar auch noch zwei Tische vor uns in der Bibliothek. Insgeheim muss ich ihr recht geben, überlasse das allerdings lieber Ben, der nicht weniger laut in ihr Gejammer mit einstimmt. Ich setze mich allerdings lieber sofort an die Hausaufgaben, um vor den anderen fertig zu werden, die noch nicht einmal komplett schon komplett hier sind.
Außerdem habe ich mich dazu entschieden Tagebuch zuführen über meine Zeit hier. Aber so, dass man das Gefühl hat in den Erinnerungen zustecken, als lese man ein Buch und nicht nur von den Problemen eines achtzehnjährigen Teenagermädchens. Vielleicht hilft mir das ja meine Erlebnisse zu strukturieren und ich kann jeder Zeit nachsehen, was mir alles passiert ist und ob mir etwas merkwürdiges auffällt im nachhinein.
Die Alte Runen Hausaufgabe erinnert mich merkwürdigerweise an Luna und an ein Gespräch, welches wir vor einigen Jahren mit einander geführt hatten. Sie behauptete, dass man die Texte falsch herum lesen muss um hinter ihre wahre Bedeutung zu kommen.
Obwohl ich ihr nicht geglaubt habe, probierte ich es aus. Das Ergebnis war so lustig und verwirrend, dass ich mich dazu entschlossen habe mich mit Luna anzufreunden, schon allein aus dem Grund, weil sie die lustigsten Geschichten erzählt. Inzwischen gehört sie zu meinen engsten Freundinnen und ihre schrullige, verrückte Art ist mir total ans Herz gewachsen.

Das nächste Mal als ich hochsehe, geht die Sonne schon unter und fast alle um uns herum haben die Bibliothek verlassen. Erschöpft packe ich meine Sachen zusammen und verabschiede mich von den Anderen. Bis zum Abendessen will ich meine Erlebnisse bis zum heutigen Tag festhalten, ehe ich etwas vergesse, was am Ende von Bedeutung sein könnte.

„Wie gefällt es dir bis jetzt bei uns?“ Wendet sich Chantal beim Abendessen an mich. Schnell schlucke ich mein Stück Kartoffel runter. „Ganz gut. Das Schloss ist wahnsinnig schön und geheimnisvoll und die Lehrer sind auch nicht schlecht. Nur Haushaltsführung liegt mir nicht“, antworte ich mit einem frechen Grinsen. Chantal und Jessica beginnen zu kichern, zu gut erinnern sie sich noch an die Stunde von heute Nachmittag. „Na ja, irgendwann kriegst du schon den Dreh raus. Ich kann dir ja meine alten Schulbücher leihen, damit du einen Teil des Stoffes aufholen kannst“, bietet mir Chantal an. Dankend nehme ich das Angebot an. Es ist schon ein wenig peinlich nicht einmal eine Teig anrühren zu können, dabei kriegt das jede Hufflepuff hin! Nichts gegen Hufflepuffs versteht sich, aber alle wissen nur zu gut, dass sie nichts können außer nett sein und nicht einmal das hatte Zacharias Smith hinbekommen...
„Lasst uns hoch gehe und noch ein wenig vor dem Kamin sitzen, bevor wir uns schlafen legen, ja?“ Schlägt John vor.
Einstimmig bejahen wir den Vorschlag und reden bis tief in die Nacht hinein über die verschiedensten Dinge.

5.September 1944

Donnerstag

„Miss Capulet, würden sie bitte ihre Übersetzung vorlesen?“ „Selbstverständlich.“ Ich sitze auf meinem Platz zwischen Anna und Doro in Alte Runen. Professor Widdlemitch kontrolliert gerade die Übersetzungen von der heutigen Stunde und hat mich herausgesucht, um den Text zum Vergleichen den anderen vorzulesen. Wahrscheinlich um mein Wissen auf die Probe zustellen, immerhin bin ich die Neue. Ich räuspere mich noch einmal kurz und beginne mit meinem Text. Er handelt von irgendeinem Muggelkönig namens Cesar, der scheinbar den halben Kontinent mit seiner Armee eingenommen hat.

„In Ordnung, Miss. Schreibt noch die Hausaufgaben von der Tafel ab und ihr könnt gehen. Wir sehen uns morgen Nachmittag wieder“, beendet Professor Widdlemitch die Stunde und verlässt den Raum.

Gemeinsam mit den anderen packe ich mein Unterrichtsmaterial ein. Die Stunde ist an mir vorbeigeflogen wie ein Drache auf der Jagd. In Alte Runen geht es mir immer so. Sobald ich einen Text habe und mit der Übersetzung anfange, verliere ich jedes Zeitgefühl und versinke vollkommen in der Erzählung. Viele können mit dem Fach nichts anfangen, finden es langweilig, sinnlos, gar unbrauchbar. Kaum einer erkennt die Schönheit der Runen, versteht die Freude, wenn man einen Text übersetzt und ein Stück der Weltgeschichte kennen lernt. Es ist eine unerkannte Kunst, ein Bereich für sich, der selten verstanden wird. Eine Lebensphilosophie.

Völlig in Gedanken versunken laufe ich wenige Schritte vor den Slytherins her zum Verwandlungsunterricht, wo ich wieder auf meine Freunde stoße, die gerade Pflege magischer Geschöpfe hatten bei Professor Kesselbrand.

„Hallöchen“, flöte ich gut gelaunt und setze mich auf meinen Platz. „Wie war Pflege magischer Geschöpfe?“ „Spannend, wie immer“, gibt Ben mit einem sarkastischen Unterton zurück. „Ben, sei nicht so abwertend. Jedes Fach hat irgendeinen Sinn und wenn du dir mehr Mühe geben würdest, würde es dir sicherlich Spaß machen“, versuche ich ihm einzureden, allerdings schnaubt er nur abfällig und wendet sich der Tafel zu, von der wir die Anwendung und Funktion eines Zaubers abschrieben sollen. Desinteressiert wende ich mich der Aufgabe zu. Wenn ich vorher gewusst hätte, wie langweilig mir dabei ist,  schon gelernte Zauber „neu zu lernen“, hätte ich mich niemals auf diesen Auftrag eingelassen... Oder doch. Um den Dunklen Lord und seine Todesser von ihrem hohen Hippogreif zustoßen, hätte ich alles in Kauf genommen. HABE ich alles in Kauf genommen. Ich meine, ich bin durch die Zeit gereist um mich mit Voldemort anzufreunden. Wenn das nicht lebensmüde ist, weiß ich auch nicht weiter.

Mit halbem Ohr lausche ich Dumbledores Worten. Den Rest meiner Aufmerksamkeit schenke ich Riddles Rücken. Warum zur Hölle ist er so kalt? Er macht es einem echt nicht leicht, sich mit ihm anzufreunden. Ganz im Gegenteil, es wäre leichter einem Drachen das Feuerspeien abzugewöhnen und ihm zum Haustier umzufunktionieren, zumindest wirkt mein Unternehmen im Moment so unmachbar auf mich. Seufzend stütze ich meinem Kopf auf meine Hände und gebe mir alle Mühe nicht weg zunicken.

 

Nachdem Mittagessen laufe ich zum Arithmantikunterricht, dem ich ängstlich entgegen sehe, wenn ich ehrlich bin. Als ich gestern in meiner Freistunde den Stoff aus der Fünften wiederholt habe und dann in mein Schulbuch für die siebte Klasse gesehen habe, das an diesem Morgen mit dem für Haushaltsführung ankam, ist mir angst und bange geworden. Ich habe rein gar nichts verstanden. Selbst die Sachen aus der Fünften sind mir schwergefallen. Schwer schluckend biege ich um die Ecke. Ich habe noch nie gerne versagt. Und noch weniger gerne blamiere ich mich.

Vor der Tür stehen Riddle, Mulciber, Nott, Malfoy und… Anna! Merlin sei Dank! Ich dachte schon ich müsste alleine mit den Slytherins die mutmaßliche Horrorstunde überstehen. Wenn ich lieber bin, hätte ich lieber ein Zimmer von Doxys befreit. Das ich Riddle alleine aushalten soll, langt ja schon…

„Hallo, Anna. Ich wusste gar nicht, dass du Arithmantik hast“, begrüße ich die kleine Asiatin fröhlich lächelnd, als ich bei ihr ankomme. „Ich wusste auch nicht, dass du Arithmantik hast. Freut mich allerdings. Endlich bin ich nicht mehr das einzige Mädchen in der Truppe“, gibt sie ebenso lächelnd zurück.

„Nein, jetzt hast du die Jungs nicht mehr für dich alleine“, gebe ich leise lachend zurück. Anna läuft rot an. „Claire, so etwas sagt man nicht“, flüstert sie und sieht sich nach allen Seiten um. Jetzt ist es an mir rot anzulaufen, nicht, weil es mir peinlich ist, sondern, weil ich vergessen habe, dass man in dieser Zeit nicht offen über sexuelle Dinge spricht. Großer Fauxpas.

Immer noch rot im Gesicht betrete ich den Klassenraum und erkenne mit Entsetzen, dass der einzige, freie Platz neben Riddle ist. An sich nicht schlecht, so habe ich endlich eine Möglichkeit gefunden ihn anzusprechen, ohne ihn im Gang abpassen zu müssen. Das einzige Problem könnte sein streberhaftes Auftreten darstellen. Wie, um alles in der Welt, soll ich ihn davon überzeugen, dass es mehr Spaß macht ein paar Wörter mit mir zu wechseln, als irgendwelche Dinge, mit Tabellen, die ich nicht einmal verstehe, zu berechnen?!

Was tut Snape mir da nur an? Habe ich ihn früher so sehr geärgert, dass er mich auf die Art und Weise bestraft? Hätte er nicht jemand anderen nehmen können? Einer meiner engen Freunde zum Beispiel? Neville, Seamus, Anthony oder Hannah? Die sind alle viel mutiger, als ich! Na ja, alle außer Hannah, die ist dafür so nett wie keine andere. Aber nein! Ich sitze hier fest und schlage mich mit zukünftigen Todessern, Voldemort persönlich und veralteten Gepflogenheiten  herum.

Wutschnaubend packe ich meine Tabellen aus und lege sie griffbereit neben mich. Das wird ein Desaster! Und ich kann auch niemanden bitten mir zu helfen, da ich ja angeblich so gut in der Schule bin. Langt es nicht, dass ich in Haushaltsführung durchfallen werde? Wenigstens mache ich meine UTZs noch einmal in meiner Zeit. Ohne Haushaltsführung und ohne Arithmantik! 

„Sie sind also, Miss Capulet. Ich bin Professor Katarina Smith. Freut mich sehr, Sie in meinem Kurs begrüßen zu dürfen“, die junge Lehrerin grinst mich über ihrem Pult hinweg an. „Und wie ich sehe, haben sie sich genau richtig platziert! Wenn sie etwas nicht wissen oder noch nicht an ihrer Schule durchgenommen haben, wenden sie sich ruhig an unser Schulsprecherpärchen!“

Schulsprecherpärchen? Irritiert sehe ich zu Anna und zum ersten Mal registriere ich das Abzeichen an ihrem Umhang. Warum ist es mir nicht vorher aufgefallen? Immer noch irritiert sehe ich wieder nach vorne. Anna ist also die Schulsprecherin. Sehr gut. Mit anderen Worten: Ich habe durch eine Freundschaft mit ihr, die Möglichkeit in die Schulsprecherräume zu gelangen, wo nur sie mit Riddle ist und so wie ich sie bis jetzt einschätze, wird sie sich nicht daran stören, wenn ich mich mit ihm unterhalten werde. Es wäre nur von Nachteil, wenn sie auf ihn steht und eifersüchtig wird, sobald ich mich mit ihm anfreunde. Dabei ist sie so hübsch, sie müsste ihm wahrscheinlich nicht nachrennen. Welcher Junge sagt schon nein, wenn ein hübsches Mädchen sich mit ihm das Bad teilt?

Und wer sagt, dass Riddle ein gewöhnlicher Junge ist?  schalle ich mich selbst.  Ihn zu unterschätzen ist ein großer Fehler! Denk daran, was er noch tun wird! Denk an deinen Auftrag! Du bist nicht zu deinem Vergnügen hier!

Letzteres macht die Arithmantikstunde mir mehr als deutlich. Jede Rechnung ist falsch. Wenn Anna mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, hätte ich nicht nur falsch gerechnet, sondern auch die falsche Tabelle verwendet. Wenn das so weitergeht in den nächsten Stunden grenzt es an ein Wunder, wenn Professor Smith nicht merkt, dass ich die komplette sechste Klasse über kein Arithmantik hatte und davor alles andere als gut war? Wieso hat keiner meiner Freunde Arithmantik? Bei denen würde es leichtfallen, obwohl ich sie erst ein paar Tage kenne, mein Nichtkönnen zu zugeben und Hilfe anzunehmen. Aber nein, sie haben allesamt Pflege magischer Geschöpfe.  Mir fehlt Kräuterkunde mit meiner Hannah!

Angestrengt versuche ich zu verstehen, was Professor Smith von mir will. Das ist jetzt schon die dritte Feder, die ich innerhalb dieser Stunde kaputtgekaut habe und ich habe bald nur noch Federn mit besonderen Funktionen und die liegen obendrein noch in meinem Koffer.

Gefrustet fahre ich mir über das Gesicht. Vor Verzweiflung würde ich am liebsten in Tränen ausbrechen und irgendetwas kaputtschlagen. Aber nein, ich sitze im Unterricht und darf meine Gefühle nicht ausleben.

„Reparo“, zische ich genervt auf und repariere alle meine Fendern erst einmal, diesen simplen Zauber bekomme ich wenigstens noch hin. Schon mal ein Anfang, jetzt kann ich von vorne mit meinem Zerstörungsakt beginnen.

Als ich den Blick der Lehrerin auf mir wahrnehme, lasse ich meine Haare wie einen Schleier nach vorne fallen, damit sie keinen Blich auf mein Pergament erhaschen kann. Langt ja schon, dass sie bei der Hausaufgabenkontrolle mir eine „T“ eintragen wird. Echt super, dass macht meine Tarnung nur unglaubwürdiger. Ich habe doch sowieso schon das Gefühl, dass jeder merkt, dass ich eine Zeitreisende bin, da verringert dieses Wissen meine Paranoia nicht unbedingt.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigt sich Anna. „Sicher“, knurre ich zurück und schenke ihr einen kurzen Seitenblick nur um ihren besorgten Blick zu sehen. „Ich kann dir helfen, wenn du möchtest“, bietet sie mir an. „Nein, danke“, lehne ich bestimmt ab. Toll! Jetzt muss sich Miss Schulsprecherin auch noch aufführen und anfangen, wie die Granger, die ich nicht sonderlich mag, um das mal anzumerken. Harry ist schon in Ordnung mit ihm habe ich auch Zeit verbracht, wenn er mal welche hatte. Ron ist ein wenig einfältig, aber ganz nett. Hermines Besserwisserei hingegen treibt mich allein bei dem Gedanken daran in den Wahnsinn!

Aber Anna kann ja nichts für meine Vorschädigung und ich könnte ihre Freundschaft noch gebrauchen. „Ich muss das alleine hinbekommen, Anna. Sonst wird das nie etwas. Nimm es mir nicht böse, ja?“ Gespielt flehend sehe ich sie an. Hoffentlich schluckt die Kleine den Köder.

„Schon in Ordnung“, lächelt sie freundlich. „Wenn du doch Hilfe brauchst, kannst du jeder Zeit zu mir kommen, wenn du willst.“ „Danke!“, antworte ich mit einem kleinen Anflug schlechtem Gewissen.

Ohne weiter auf die anderen zu achten, wende ich mich wieder den Tabellen zu. Doch diesmal in stiller Resignation.

 

„Was ist Capulet, ich weiß du hast jetzt Astronomie, lauf das kleine Stückchen mit uns“, schlägt mir Mulciber mit einem schleimigen Lächeln vor. Allerdings entgeht mir nicht die Drohung in seinen Worten oder in seinem Blick. „Nein, danke für das Angebot. Ich finde den Weg alleine“, versuche ich ihn höflich abzuweisen, ohne meine aufkeimende Angst zu zeigen. „Ich akzeptiere kein nein, Süße“, säuselt er. „Du begleitest uns doch gerne, nicht wahr?“, lächelt er hinterlistig und dreht sich eine Strähne meines Haares um seinen Finger. Hilfesuchend sehe ich mich um doch die Professorin ist schon nicht mehr anwesend. Auch Anna scheint den Raum schon verlassen zu haben. Habe ich so lange beim Zusammenpacken gebraucht?

„Komm schon, Kleines.“ Sein widerliches Gesicht kommt mir immer näher, panisch versuche ich meinen Ekel zu unterdrücken und weiche soweit es geht zurück. „Lass mich in Frieden“, zische ich ihn an und schlage auf seine Hand, damit er mein Haar loslässt. „Du schlägst zu? Das gefällt mir.“

Er macht mit einem anzüglichen Grinsen einen Schritt auf mich zu. In dem Moment, wo er nach mir greift, drückt ihm jemand die Spitze eines Zauberstabs an den Hals. „Lass sie gehen. Wir haben besseres zu tun, als unsere Zeit mit ihr zu verschwenden“, sagt Riddle monoton mit ausdruckslosem Gesicht. „Wie du meinst“, zieht sich Mulciber zurück und verlässt zusammen mit Malfoy und Nott das Klassenzimmer, nachdem Tom sie rausgeschickt hat.

„Danke“, murmele ich und greife nach meiner Tasche, die mir runter gefallen ist. Riddle erwidert gar nichts, er betrachtet mich noch einen kurzen Moment und verschwindet kommentarlos. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Noch ein wenig geschockt folge ich ihm zu Astronomie. „Riddle, warte!“, rufe ich ihm nach, als ich einen Fetzen seines Umhanges noch an der Ecke flattern sehe und beginne zu rennen.

Hektisch stürze ich um die Ecke und krache voll in ihn hinein. Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass er stehen bleibt. Zwei Schritte rückwärts stolpernd falle ich hin.

„Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst, Mädchen“, raunzt mich Riddle an und streckt mir eine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Wenigstens weiß er, was sich gehört. „Danke, Riddle“, ächze ich und sehe nervös zu ihm auf. Mein Mund ist staubtrocken, meine Knie zittern und mein Gehirn ist wie leer gefegt, als mein Blick in seine Augen eintaucht.

Ich habe das Gefühl, er blickt mir bis auf den Grund meiner Seele mit all meinen Ängsten, dunklen und hellen Seiten. Sein intensiver Blick fesselt mich, macht mich reaktionsunfähig. Macht er das absichtlich?

Schwer schluckend versuche ich den Kloß in meinem Hals los zu werden.

„Komm, wir müssen zu Astronomie“, wendet er sich abrupt von mir ab und macht sich zügig auf den Weg. Nach einigen Schrecksekunden folge ich ihm und husche noch gerade rechtzeitig in den Klassenraum von Professor Goldstein, bevor sich die Tür selbst schließt. Hektisch fahre ich mir mit einer Hand durch meine offenen Haare. Dass ich sie mir dabei zerzause kümmert mich im Moment nicht im Geringsten.

Riddles Hilfe gegen Mulciber und das er auf mich gewartet hat, bringt mich innerlich zum Jubeln. Ich bin erst ein paar Tage auf der Schule, aber trotzdem hat er mich wahrgenommen und mir geholfen. Ich gebe ihm jetzt noch ein paar Tage Zeit und dann wage ich den nächsten Schritt. Vielleicht treffe ich ihn auch per Zufall morgens wieder in der Bibliothek...

6.September 1944

 

Die wolkenverhangende Decke von Hogwarts Großer Halle verbreitet eine düstere Stimmung beim Frühstück. Es sind viel weniger lustige, fröhliche, lachende Stimmen zu vernehmen als gewöhnlich. Das Wetter drückt die Stimmung. Keiner ist bereit den Sommer gehen zulassen, um den Herbst Einzug nehmen zulassen. Jeder würde lieber am See sitzen und im Wasser plantschen, als im Regen zu den Gewächshäusern zustapfen und sich die Schuhe durchweichen zu lassen.

Träge stochere ich in meinem Rührei herum.

John und Chantal unterhalten sich leise. Tina meckert an ihrem Bruder rum und Jessica schenkt ihm immer wieder mitleidige Blicke, ohne das er es realisiert.

Desinteressiert schiebe ich mir ein Stück Ei in den Mund und kaue darauf herum. Ich sollte wenigstens ein wenig was gegessen haben, ehe ich zu Arithmantik gehe und mich den Blicken der Slytherins aussetze. So unerschütterlich ich mich ihnen gegenüber auch geben möchte, so sehr fürchte ich ihre Rücksichtslosigkeit und Mulciber ist der Letzte, dem ich allein im Dunkeln begegnen möchte.

„Du solltest auch los, Claire“, reißt mich die Stimme von Tina aus den Gedanken. Nickend erhebe ich mich von meinem Platz und mache mich mit einem kurzen Blick auf den Slytherintisch, nur um festzustellen, dass Riddle und seine Kumpanen schon weg sind, auf den Weg in eine Stunde der Qual, auch Arithmantikunterricht genannt.

 

Zögernd lege ich meine Hausaufgaben auf dem Pult ab. Sie zu machen war furchtbar. Eine Tortur. Wie üblich bin ich früh aufgestanden und habe mich still in die Bibliothek begeben, um den Tag vorzubereiten. So auch die Hausaufgaben zu machen. Die ganze Zeit über habe ich auf Professor Snape geflucht und ihm die Drachenpocken an den Hals gewünscht.

So sehr ich mich auch angestrengt habe, ich kam einfach nicht hinter die richtigen Werte. Die Tabellen sehen für mich alle gleich aus! Wie soll ich bloß diese Farce aufrechterhalten? Die vorbildlichen Musterschülerin ohne Probleme?

Meine Feder kratzt über das Pergament im Einklang mit den anderen. Nur, dass bei meinen Mitschülern sicherlich etwas Sinnvolles herauskommt...

 

Stöhnend reibe ich mir die Schläfen als das erlösende Ende der Stunde angekündigt wird. Anna sammelt währenddessen ihre Tabellen ein und sortiert sie in einer mir undurchschaubaren Reihenfolge. Die sehen doch alle gleich aus! Wie können die anderen damit etwas anfangen?

So ein Eulendreck, ich bin einfach unbegabt, was diesen Nonsens anbelangt. Wenn ich in meiner Zeit zurück bin, mache ich aus Snape Flubberwurmfutter! Hagrid wird sich sicherlich darüber freuen.

„Was hast du jetzt Claire?“, erkundigt sich Anna mit einem fröhlichen Lächeln bei mir. „Verteidigung gegen die dunklen Künste“, antworte ich nach einem Blick auf meinen Stundenplan.

„Viel Spaß, meine Liebe“, grinst sie, schultert ihre Tasche und verlässt das Klassenzimmer. Mit einem Schlag wird mir klar, dass ich mal wieder mit meinen geliebten Slytherins alleine bin und dass ich nicht immer davon ausgehen kann, dass Riddle mir aus der Patsche hilft. Seine letzte Hilfestellung war wahrscheinlich seine gute Tat für die Woche. Immerhin ist er ein Slytherin und somit nicht besser als die anderen. Außerdem ist er der zukünftige Lord Voldemort, demzufolge ist er noch schlimmer, beziehungsweise grausamer... und gerissener.

Letzteres macht mir ein wenig Hoffnung. Er wird wohl intelligent genug sein, um zu wissen, dass es seiner Wenigkeit nicht unbedingt gut tut, wenn seine Freunde eine Schulkameradin vergewaltigen und er dabei nur zu gesehen hat oder davon wusste, ohne etwas unternommen zu haben.

„Die kleine Gryffindor ganz alleine... Hast du denn keine Freunde, die es länger als nötig in deiner Gegenwart aushalten?“ Mulcibers höhnisch süße Stimme dringt in mein Ohr, sofort versteifen meine Muskeln sich und meine Sinne scheinen sich zu verschärfen. Die Berührung seiner Fingerspitzen an meinem Kinn, als er meinen Kopf so anhebt, dass ich sein anzügliches Grinsen ansehen muss, brennt wie Säure auf meiner Haut. Bemüht wütend funkele ich ihn an. Bloß keine Schwäche zeigen, Claire!, rede ich mir gut zu.

„Aber mach’ dir keinen Kopf, Süße. Ich nehme mich deiner gerne an. Ein kleinwenig Spaß kann nicht schaden, habe ich nicht recht, meine Teure?“, haucht er mir entgegen. Ruckartig befreie ich meinen Kopf von seiner Berührung.

„Verzieh dich Mulciber. Hier bist an der falschen Adresse! Ich würde lieber Hippogreifenpenise essen, als deinen Schwanz zu lutschen!“, fahre ich ihn wütend an und für den Bruchteil einer Sekunde verzerrt sich sein Gesicht zu einer wütenden Maske, bevor er wieder falsch lächelt.

„Ich werde dir schon noch zeigen, was gut für dich ist und was nicht“, schleudert er mir entgegen und verlässt den Klassenraum gefolgt von seinen Freunden. Malfoy besitzt wenigstens den Anstand mich nicht anzurempeln wie die anderen Schlangen. Na ja, vielleicht will er mich auch einfach nicht berühren.

Riddle schwarze Augen nehmen mich in Beschlag als ich aufblicke. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er den Raum nicht verlassen hat. Wie zwei Dolche spießt sein Blick mich auf und durchdringt mich bis ins Innerste.

Unfähig den Blick abzuwenden oder mich zu bewegen, starre ich ihn einfach weiter an. Wie ein Kaninchen die Schlange, bevor sie es bei lebendigen Leib verschlingt.

„Du bist sehr vulgär, Gryffindor. Gib auf deine Zunge Acht, ehe sie dich ins Verderben stürzt“, sagt er mit tonloser Stimme und unbewegtem Gesicht, ehe er an mir vorbei geht.

Verwirrt blicke ich ihm nach. Ins Verderben stürzen?

 

Immer noch verwirrt und nachdenklich begebe ich mich in den nächsten Klassenraum. Krachend schlägt hinter mir die alte Holztür ins eiserne Schloss. Die Köpfe meiner Klassenkameraden wenden sich mir unisono zu. Schüchtern lächele ich in die Runde und murmele eine Entschuldigung in meinen nicht vorhandenen Bart. „Schon in Ordnung, Miss. Setzen Sie sich einfach auf ihren Platz, damit ich mit den Unterricht beginnen kann.“ Kaum hat Professor Merrythough ihre Bitte an mich gerichtet, wendet sie der Klasse wieder den Rücken zu, um ihre Anschrift an der Tafel zu beenden.

Gehorsam lasse ich mich auf meinen Platz sinken und suche alles Benötigte für die Stunde heraus. Wenigstens in diesem Fach kann ich punkten und will mein Können unter Beweis stellen.

Währenddem ich die Notiz von der Tafel abschreibe, schweift mein Blick immer wieder zu Riddle.

Was hat der damit gemeint? Nur, weil ich nicht nett zu Mulciber war? Weil er meine Wortwahl für vulgär hält? Was damit zusammen hängen könnte, dass sie es in diesem Jahrzehnt wirklich ist.

Seufzend setzte ich den Punkt und lege die Feder neben mich. Rätsel, nichts als Rätsel. Der Junge ist ein einziges Rätsel! Er macht seinem Namen wirklich alle Ehre...

 

Der Rest der Unterrichtstunden zieht ereignislos an mir vorbei. Ich habe noch ein paar Mal versucht, Toms Blick einzufangen – vergeblich. Sogar in Alte Runen hat er mich missachtet. Ich frage mich, ob er so ignorant ist oder ob er sich nach außen hin nur so gibt.

Ich scheine Luft für ihn zu sein. Nicht einmal Luft, noch viel geringer, immerhin braucht er die Luft zum Überleben, mich nicht.

Das ist doch zum Mäuse melken!

Beim Hausaufgabenmachen in der Bibliothek sitze ich nur zwei Tische von ihm entfernt mit Tina und Jessica, aber er hat mich nicht mal eines Blickes gewürdigt, als ich an seinem Tisch vorbei bin, um mein Buch über die richtige Anwendung von Zweihornhorn zu holen.

Frustrierend, eindeutig frustrierend. Der einzige Lichtblick, der mir bleibt, ist, dass das Schuljahr erst vor einer Woche begonnen hat und für diese kurze Zeit und sein ablehnendes Verhalten seiner Mitmenschen gegenüber, bin ich verhältnismäßig doch vorangekommen...

7.Semptember 1944




Samstag

Mein erstes Wochenende in meiner neuen Zeit. Und das einzige worin es sich von meiner Zeit unterscheidet, sind die Schlossbewohner. Super. Gelernt wird in den Fünfzigern genauso wie in den Neunzigern. Mit anderen Worten, das Wochenende ist nicht weiter erwähnenswert. Ich bin Tom kein einziges Mal begegnet, weder in den Gängen noch in der Bibliothek. Nur bei den Mahlzeiten konnte ich einen kurzen Blick auf ihn erhaschen.

9. September 1944




Montag


Neue Woche, neues Glück. Gähnend sitze ich beim Frühstück und lasse die Stimmen meiner Freunde an mir vorbei rauschen.
Chantal und John streiten über das nächste Quidditchtraining, dass an ihrem Jahrestag stattfinden soll.
Immerhin sei er der Kapitän und könne die Termine so legen, dass es nicht so einem wichtigen Tag in die Quere kommt, ganz egal, wie sehr er Quidditch mag.
Wenn ihr mich fragt, hat er vergessen, dass sie ihren zweiten Jahrestag haben. Für ihn ist es ein Tag wie jeder Andere. Männer verstehen eh nie, was einem daran liegt.
Tina währenddessen redet auf Simon ein, der notgedrungen zuhört oder zumindest so tut. Regelmäßiges Nicken als Antwort scheint ihr jeden Fall zu langen. Jessica sitzt schweigend neben mir und wirft Simon verstohlene Blicke zu.
Nimmt er sie überhaupt war? Hat er sie schon mal gesehen? Wirklich Gesehen und nicht nur angeblickt? Hat er ihre schmale Nase, ihren Kussmund ihre grauen Augen registriert? Wie sich die Sonne in ihren krausen, blonden Locken fängt?
Wahrscheinlich nicht. Ihre Zurückhaltung und stumme Bewunderung lässt sie neben der temperamentvollen Tina verblassen. Wie ein Veilchen neben einer Rose.
Dabei macht wahre Schönheit nicht das Protzige aus. Wahre Schönheit kommt von innen und das Veilchen ist so zart, so lieblich im Duft, dass es bei der Rose in all ihrer Pracht mithält.
Warum erkennt Simon das nur nicht?
Na gut, Liebe kann man nicht erzwingen. Sie ist wie eine Naturgewalt. Sie kommt, wenn ihr danach ist, ohne Ankündigung und kann zerstörend sein wie ein Tornado. Zerschlagend wie ein Gewitter oder freudeschenkend wie ein Sonnenstrahl nach langen Wintermonaten.

„Hast du die Zaubertränke Hausaufgaben?“ Wendet sich Tina auf dem Weg zu Verwandlung an mich. „Ja, habe ich heute morgen noch schnell gemacht“, beziehungsweise: Ich habe sie heute Morgen durch einen Kopierzauber von meinem schon mal abgegebenen Pergament mit der Note auf ein Neues transferiert.
Es kann ja nicht schaden mit einem „O“ in Zaubertränke einzusteigen. Wenn man im Slug –Klub ist, hat man ungemeine Vorteile. Vor allem Riddle ist auch Mitglied. Das ist doch etwas Gutes. Snape wäre stolz auf mich, wenn ich auch in dieser Zeit eine von Slughorns Lieblingen werde.

Die Zaubertränkestunde rauschte, eilte, floh an mir vorbei wie der Hogwartsexpress auf Hochtouren.
Rauschte, weil ich mit meinen Gedanken überall nur nicht bei meinem Trank war, immerhin hatte ich ihn schon einmal gebraut und er ist noch simpel aufgebaut.
Eilte, weil interessante Fächer mit denen man klarkommt (man denke an Arithmantik) immer schnell vorübergehen und
Floh, da Chantal zehn Minuten vor Unterrichtsschluss ihren Kessel in die Luft jagte und wir wie eine Herde Hühner aus dem Klassenzimmer gescheucht wurden. Dabei lässt Slughorn immer zwei seiner Schüler nach der Stunde sauber machen. Eigentlich ist Chantal keine schlechte Schülerin, aber ihr Streit mit John nahm sie doch mehr mit, als sie zugibt.
Merlin sei Dank ist auch ihm das aufgefallen und redet im Moment noch einmal mit ihr, bevor sie Mittagessen gehen.

„Findest du auch, dass Chantal übertreibt? Was ist an einem Jahrestag schon so wichtig?“ Schnaubt Tina neben mir abfällig.
„Ich kann sie schon verstehen. Ich würde zumindest wollen, dass mein Freund weiß, wann wir Jahrestag haben. Das ist viel Zeit und in einem Jahr kann man viel erleben“, gebe ich zur Antwort.
„Finde ich nicht. Jeder Tag ist wie der Andere.“ „Himmel Tina. Wir unterhalten uns dann noch einmal darüber, wenn du den Mann deiner Träume kennen lernst und er diesen Tag vergisst“, seufze ich und wie aufs Stichwort läuft Riddle vorbei. Mit einem augenbrauenwackelnden Mulciber. Widerling!

Es ist die siebte Schulstunde für heute. Haushaltsführung, mein zweitliebstes Fach an der Schule, gleich hinter Arithmantik.
Kann man sich etwas schöneres vorstellen, als mit Mehl bestaubt und mit Zucker berieselt zu werden, während der Backofen einem um die Ohren fliegt?
Wahrscheinlich nicht. Oder doch.
Mulcibers Anmachsprüche nach Arithmantik sind die wahren Höhepunkte der Woche.
„So, wir werden es doch hinkriegen einen einfachen Biskuitkuchen zu backen“, ereifert sich Tina und schlägt ihr Kochbuch auf.
„Wir brauchen Eier, Zucker, Vanillezucker, Mehl und Wasser... Wasser? Macht man nicht normalerweise Milch in Kuchen?“ „Ist doch egal“, gebe ich schulterzuckend zurück. „Lass und einfach machen, was da steht, der Autor wird schon gewusst haben, was er von uns will. Und ich weiß, dass ich nicht durchfallen will.“ „So siehst du aus. Dann mal auf Claire. Such schon mal die Sachen zusammen und hol zwei Schüsseln raus. Wir müssen laut Anweisung die Eier trennen...“
Und genau da beginnt das Desaster heute. Beim Eiertrennen. Jede Schülerin, wirklich Jede, hat es geschafft die Eier unfallfrei zu trennen und das Eiweiß mit dem Zucker steif zuschlagen. Wir allerdings nicht. Erst fallen mir die Eierschalen mit ins Eigelb und dann schlägt Tina so schnell das Eiweiß (Ich hatte ihr gesagt, sie soll nicht so wild mit ihrem Zauberstab rumfuchteln!), dass es durch die Gegend fliegt. Die weißlichen Flecken auf meinem Rock sehen aus wie festgezauberte Schneeflocken.
Jessica hat das Ganze kichernd beobachtet. Wenigstens sie konnten wir damit erheitern. Ich habe wirklich Mitleid mit ihr, auch wenn ich nicht weiß, wie lange sie schon unglücklich in John verliebt ist.
Niemand sollte unglücklich verliebt sein. Das Gefühl ist grausam. Es geht so tief, dass die Wörter, die versuchen es zu greifen, dem Mund fliehen wie Zeit dem Verstand.
Man fühlt sich zerteilt, zerrissen, zerstört. Verlassen, einsam und irgendwie ist man auf sich und den Anderen wütend.
In manchen Momenten fühlt man sich aber auch restlos glücklich und genau diese Momenten geben einem die Kraft das ganze durchzustehen ohne zu verzweifeln. Doch für wie lange?
Es gibt sicher viele Dinge die schlimmer sind, aber nicht im Leben einer Heranwachsenden, die sich selbst noch kennen und verstehen lernen muss.
Viele Frauen verstehen sich ein Leben lang nicht und wundern sich, wie ihre besten Freundinnen es können. Aber dafür hat man sie, um zu zuhören und zugehört zu bekommen, um zu verstehen und zum verstanden werden.
Freundschaft sollte über alles gehen, auch über die Verliebtheit, denn Freundschaft tilgt dort die Tränen, wo Liebe die auslösenden Wunden schlägt.
Und genau solch eine Freundin möchte Jessica in diesem Jahr werden und sein, auch wenn sie dann ohne nicht auskommen muss.
Ich kann ja schlecht hier bleiben und alles wofür ich und meine Freunde kämpfen wegwerfen. Aber solange möchte ich ihr eine gute Freundin sein.
So gern ich Tina auch habe, aber sie ist alles andere als gefühlvoll. Eher ein Elefant im Porzellanladen.
Super für Späße, Streiche und um sich mit Jemanden über Irgendwas oder Jemanden auf zuregen, aber nicht für Trauer und Nachdenklichkeit. Ich glaube, für solche Dinge <missbraucht> sie ihren Bruder. Immerhin stehen sie sich näher, als jedem anderen.

Es ist kurz vor elf, demnach kurz vor Ausgangssperre. Ich bin die Letzte in der Bibliothek auf der Suche nach einem Buch, dass mir in Arithmantik helfen kann. So gut wie jede Hausaufgabe ist erledigt nur diese steht noch aus. Unglaublich wie ein einzelnes Fach einen schlauchen kann nur, weil man es nicht versteht.
Dabei kann es doch gar nicht so schwer sein! Einfach ein paar Tabellen zu Rate ziehen und die Aufgaben lösen. Ganz simpel. In der Theorie. Die Praxis artet ganz anders aus.
Da kann ich nicht einmal die einzelnen Tabellen auseinander halten und habe auch schon mein erstes T bekommen. Ich hatte heute zwar kein Arithmantik, aber ich schiebe die Hausaufgaben schon das ganze Wochenende vor mir her. Sie erst gar nicht zu machen, ist auch keine Hilfe.
Vielleicht sollte ich doch Annes Angebot annehmen und sie um Hilfe fragen? Auch, wenn es peinlich ist. Es ist immer noch besser als vollkommen zu versagen und das UTZ nicht zu bestehen.
Hektisch werfe ich noch einen Blick auf meine Uhr.
Mist! In zwei Minuten beginnt die Ausgangssperre! Eilig verlasse ich die Bibliothek, nur noch schnell meine Tasche holend und renne zum Gryffindorturm.

Als ich dann in meinem Bett liege und die zugezogenen Vorhänge anstarre, komme ich zu dem Entschluss einfach vor dem Frühstück in die Bücherei zugehen um noch einmal nach einem hilfreichen Buch zu sehen, anstelle vorzulernen in den Fächern, die ich verstehe.

10. September 1944




Dienstag

Müde quäle ich mich aus meinem Bett. Es ist halb sechs. Eine schier unmenschliche Zeit, selbst für meine Verhältnisse.

Müde binde ich meine Haare zu einem Zopf und schminke meine Wimpern mit Mascara, bevor ich mir die Zähne putze und 24h- Lipgloss auftrage.

Fertig für einen langen, anstrengenden, nervenaufreibenden Schultag.

 

Das Klackern meiner harten Schuhsohle hallt in den dunklen, kalten Gängen wieder. Niemand begegnet mir auf dem Weg in die Bibliothek. Kein Lehrer, nicht der filchähnliche Hausmeister Pringle, kein Geist.

Der blutige Baron ist hier genauso furchteinflößend wie in meiner Zeit. Generell hat sich das Schloss nicht nennenswert verändert. Weder die Gänge, noch die Klassenräume. Nur einige Lehrer sind vertauscht und das Essen ist einheimischer.

Generell bin ich mir nicht sicher, ob Dinge wie Pommes und Burger schon erfunden sind. Wenn nicht, schreibe ich die Weltgeschichte um und klaue die Idee. Vielleicht zumindest.

Allerdings wäre das gemein und Snape wäre sauer. Nein, nicht sauer, nur Zitronen sind sauer. Er wäre wütend. Fuchsteufelswild.

 

Seufzend betrete ich die Bibliothek. Die Bibliothekarin ist noch nicht hier. Eine sehr nette, ältere Dame, nicht wie Pince.

Meine Finger gleiten die Buchrücken entlang wie in der Hoffnung die Lösung, das rettende Buch erspüren zu können.

Vergeblich. Allein der Gedanke ist absurd. Gut, dann arbeite ich eben jedes Buch in dieser Abteilung durch. Es kann doch nicht sein, dass die Bibliothek keine Lösung für mein Problem hat. Sie hat mich noch nie enttäuscht.

Was auch damit zusammen hängen könnte, dass ich sie so gut wie nie aufsuche. Okay, ich habe sie jeden Tag aufgesucht. Oft auch an den Wochenenden, doch nie, wenn auch andere Schüler sich hier aufgehalten haben.

Ich möchte die Bücherei schon immer lieber einsam. Nur ich und die Bücher, wenn die Sonne aufgeht und man die Staubkörner in den Strahlen, welche durch die Fenster brechen, tanzen sehen kann.

Jeden Morgen bin ich vor den anderen aufgestanden und bin hier her gekommen. Aber nur morgens, ansonsten habe ich mich immer in einem leerstehenden Klassenraum verschanzt. Oft bis zur Ausgangssperre. Das hat sich erst dieses Jahr geändert. Jetzt bin ich mit Neville meistens im Raum der Wünsche. War, meine ich.

Neville war schon immer mein einziger richtiger Freund. Wie ein Bruder, ein großer Bruder im letzten Jahr, ein Kleiner, in all den Jahren zuvor.

Seit der dritten Klasse sind wir befreundet, vorher war ich einsam, allein, abgeschottet, zu schüchtern um mich jemand zu nähern, doch das hat sich geändert. Durch eine Begebenheit mit der ich niemals gerechnet habe.

Harry Potter hat mir den Stoß in die richtige Richtung gegeben.

Ich bin Anfang des dritten Schuljahrs in ihn hineingelaufen und er hat mich gefragt, on ich mich auf dem Weg in unseren Gemeinschaftsraum verlaufen hätte, die Sperrstunde der Erstklässler sei längst angebrochen.

Stotternd berichtete ich ihm, dass er mit mir in einer Klasse ist.

Ich wusste, dass ich unsichtbar bin, aber trotzdem tut es weh diese Erkenntnis bewiesen zu sehen. Selbst Malfoy übersieht mich und der ärgert eigentlich jeden Gryffindor. Glück im Unglück nenne ich das. Meine Unsichtbarkeit hat mich vor Schikane und einem elendigen Frettchen bewahrt.

Zurück zu Harry. Nachdem er sich entschuldigt hat, teilte er mir unverblümt mit, dass ich aus meiner selbstverschuldeten Unsichtbarkeit rauskommen soll und seitdem sind wir so etwas wie Freunde, er hat mir sogar von seinem Auftrag erzählt und mich gebeten ein Auge auf Ginny zu haben, dabei haben wir nie großartig etwas miteinander zu tun gehabt. Klar, die DA, aber selbst die Mitglieder schienen mich nur zum Teil realisiert zu haben. Ich  bin auch erst nach den Weihnachtsferien Mitglied geworden. Und dort, in dieser Selbstverteidigungsgruppe freundete ich mich mit Neville an.

Zwei einsame Seelen, ein Problem: Die Unsichtbarkeit, obwohl diese mich schlimmer traf als ihn. Flitwick brauchte Wochen um sich meinen Namen zu behalten, dabei bin ich schon immer eine gute Schülerin gewesen. Mit Granger eine der Besten.

Nie kam ich aus meinem Nichtssein wirklich heraus, bis die Carrows mich <ins Herz geschlossen> haben. Danach kannten mich irgendwie alle, auch, weil ich erbittert Wiederstand leiste.

Es kann ja nicht angehen, dass die Todesser und Voldemort den Kampf gewinnen.

Und deshalb bin ich hier. Ich muss mich mit Riddle anfreunden und sein Vertrauen gewinnen. Umso schneller, desto besser. Allerdings habe ich mir das ganze Unterfangen leichter vorgestellt.

So ähnlich wie bei meinen neunen Freunden. Aber Pustekuchen. An Riddle heranzukommen ist genauso kompliziert wie mit einem Drachenweibchen Freundschaft zuschließen, nachdem du ihre Eier zerstört hast.

Vielleicht sogar schwerer, immerhin zeigt der Drache Emotionen, nicht wie Riddle. Ein Gesichtsausdruck wie eine Maske. Undurchschaubar.

Kopfschüttelnd wende ich mich meiner eigentlichen Aufgabe wieder zu. Ein hilfreiches Buch finden.

 

Fruchtlos mache ich mich nach meiner Suche auf in die Große Halle zum Frühstücken. Ich habe noch eine halbe Stunde, bis der Unterricht beginnt. Nicht mehr, nicht weniger. Aber das langt mir voll und ganz, mehr als ein Brötchen esse ich eh nicht.

Nach Zauberkunst und Alte Runen gibt es sowieso schon wieder Mittagsessen.

 

Gelangweilt rolle ich meine Feder auf dem Pult hin und her. Ravenclaws Hauslehrer Ian Crook, unser Zauberkunstlehrer, referiert seit einer geschlagenen halben Stunde über die richtige Schwingung des Zauberstabs bei dem neuen Fluch.

Ohne zu bemerken, dass die halbe Klasse ihm schon lange nicht mehr zuhört. Hält er uns für blöd? Oder ist er inzwischen so verkalkt, dass er nicht mehr weiß, dass er das erst vor wenigen Minuten schon einmal gesagt hat? Nur Riddle sieht ihn ausdruckslos an und scheint sich zu konzentrieren. Aber auf was? Will er und wirklich glauben machen, dass er es noch nicht begriffen hat? Oder bezweckt er etwas anderes damit? Aber, wenn was?

Lang-wei-lig! Echt jetzt.

Was ist hier los? Normalerweise ist Crook taff und weiß genau, was er möchte. Er ist gewiss nicht umsonst der Hauslehrer von Ravenclaw.

Allerdings muss ich bedenken, dass ich ihn noch nicht lange kenne. Vielleicht hat diesen Wiederholungszwang öfters?

Stirnrunzelnd wende ich mich an Tina. „Sag mal, zeigt er des Öfteren dieses Verhalten?“ „Nein, eigentlich nie. Er geht mir gewaltig auf die Nerven, wenn er so weiter macht, schläft Tina noch ein“, kichert sie hinter vorgehaltener Hand.

Automatisch gleitet mein Blick zurück zu Riddle. Er starrt den Professor immer noch an. Meine Legimentikversuche prallen unbemerkt an ihm ab. Er muss so starke Okklumentikschilde haben, dass er das alles unterbewusst steuert. Aber auch das bestärkt mich in meiner Vermutung. In meiner Vermutung, dass er den Professor kontrolliert.

Aber warum tut er das? Aus Spaß oder um seine Kräfte zu erproben?

Unsicher beginne ich auf meiner Wange zukauen. Jeder Tag hier zeigt mir, dass es keine leichte Mission ist, die ich zu erfüllen gedenke. Alles andere als einfach sogar.

 

Kurz vor Ende der Stunde beginnen alle ungeduldig einzupacken. Die Stunde hat sich nicht verändert. Das einzige was mich nach einiger Zeit irritiert hat, ist dass Riddle die Stirn für einen unbedachten Moment in Falten gelegt hat. Irgendwas muss ihn verärgert haben. Hatte der Professor für einen Moment gegen Riddles Führung angekämpft? Oder lief es einfach nicht wie geplant?

Eins muss ich ihm lassen. Er hat mich beeindruckt. Diese ungewollte Demonstration seiner Macht hat mich zutiefst beeindruckt.

Und eingeschüchtert, sowie zur Vorsicht gemahnt. Ich muss mir langsam echt etwas einfallen lassen, wie ich an ihn herankomme.

Und das wird alles andere als einfach, er lebt in seiner eigenen Welt und das Einzige, was ihn zu interessieren scheint, ist sich zu verbessern.

Er ist mächtig, mächtiger, als jeder andere Zauberer in unserem Alter, der mir je begegnet ist.

Seine Willensstärke und Kraft faszinieren mich ungemein. Und eben diese Faszination stößt mich ab. Ich bin hier um an seiner Vernichtung mitzuwirken und nicht um ihn zu bewundern.

Von mir selbst angeekelt verziehe ich das Gesicht, woraufhin Jessica mich besorgt ansieht. Beruhigend lächele ich sie an und lege meine Überlegungen auf Eis, bis der Schultag vorbei ist und ich mir eine stille Ecke suchen kann, wo nichts und niemand mich beim Pläneschmieden stört.

13. September 1944




Freitag


Die Schulwoche naht ihrem Ende. Ich sitze in der letzten Stunde für diesen Tag und gebe mir alle größte Mühe Professor Widdlemitch zu zuhören. Was gar nicht so einfach ist, wenn man den Stoff schon hatte. Trotzdem muss ich als gute Schülerin dastehen, damit er sich im Notfall positiv für mich ausspricht.
Um halb vier habe ich eine Besprechung mit Professor Smith wegen meiner konstant schlechten Leistung in Arithmantik. Allein der Gedanke daran bereitet mir Magenschmerzen. Womit habe ich das nur verdient?
Okay, ich habe es verdient. Wenn ich zurück bin, mache ich Snape zur Schnecke. Ich hasse es, wenn Lehrer auf mich aufmerksam werden, besonders im negativen Sinne und eine Unterredung auf Grund meiner nicht vorhandenen Leistung kann nicht als positiv gewertet werden, oder?
Nein, eindeutig nicht. Daran ist nur Snape Schuld! Warum hat er mich auch in dieses bescheuerte Fach geschickt? Wenn ich ein Fach unterschiedlich mit Riddle gehabt hätte, würde das auch nicht weiterstören. Reden tut er ja sowieso nicht mit mir.
Seit meiner Beobachtung in Zauberkunst suche ich verzweifelt nach einem Grund mit ihm Kontakt aufzunehmen. Vergeblich.
Nicht einmal seine tollen Freunde haben mir einen Grund gegeben ihn anzusprechen und einfach so auf ihn zugehen traue ich mich nicht. Dafür bin ich zu schüchtern, dafür saß ich zulange in meiner eigenen Welt.
Hier so viele Freunde zuhaben ist schon merkwürdig für mich. Auch, wenn es sich nicht schlecht anfühlt endlich dazu zugehören. Endlich ein Teil der Gesellschaft zu sein und das nicht erst nach ewig langem Mauerblümchendasein. Hier weiß niemand davon, dass ich früher eine absolute Einzelgängerin war. Die Einsamkeit war meine beste Freundin und das Schloss mein Zuhörer. Merlin sei Dank haben die Wände in Hogwarts keine Ohren.
Leise seufzend reibe ich meine Schläfen.
Manchmal wünsche ich mir mein Unsichtbarsein zurück. So auch in Moment wie diesen, wo Tina mich mit ihren fragenden Blicken durchbohrt.
Kopfschüttelnd gebe ich ihr zu verstehen, dass nicht weiter ist.
Oh Himmel! Ich denke in letzter Zeit eindeutig zu oft nach. Das ich tatenlos bleiben muss, macht mich ganz hibbelig. Innerlich zumindest.
Wenn sich nicht bald etwas tut, zumindest eine Klitzekleingigkeit, kriege ich einen Anfall, noch unbekannter Art, der sich gewaschen hat.
Wahrscheinlich lasse ich den wieder an einer armen Wand des Schlosses aus. Wie all die Jahre zuvor auch.

Nervös von einem Fuß auf den anderen tretend stehe ich vor Katarina Smith’ Bürotür und warte darauf, dass sie mich zu sich hinein zitiert.
„Herein“, ertönt auch in eben diesen Moment Professor Smith Stimme. Noch einmal tief durchatmend drücke ich die Klinke der Tür herab, stoße diese auf und betrete mit leicht gesenktem Blick den Raum.
„Setzt dich doch!“ Fordert sie mich auf. Das Geräusch des zurückgezogenen Stuhls ist ziemlich unangenehm. Und mir in dem Moment peinlich.
Verdammt! Ich verfalle wieder in alte Verhaltensmuster. Jedes Geräusch, welches Aufmerksamkeit erregt hat, habe ich vermieden. Es hätte ja jemanden dazu bewegen können sauer auf mich zu sein, weil ich so einen Lärmmache.
Darum bin ich auch unter anderem so früh in die Bibliothek. Niemand konnte sich über das Geräusch von umgeblätterten Seiten beschweren oder eben dieses Stuhlgeräusch.
„Miss Capulet“, beginnt die Professorin in einem wirklich netten Tonfall. „ Sie wissen, warum Sie hier sind?“
„Ja, Miss“, nuschele ich und finde die Maserung ihres Holztisches plötzlich unglaublich spannend.
„Das ist immer hin ein Anfang. Können Sie mir vielleicht erklären, warum ihre Leistung in Arithmantik im Vergleich zu anderen Fächern so schlecht ist? Beziehungsweise, warum ihre Leistung im Allgemeinen miserabel ist? In jedem anderen Fach bringen Sie nahezu Bestleistung. Ich habe gehört in manchen Fächern machen Sie dem Schulsprecher Konkurrenz.“
„Kann sein, Professor“, murmele ich und senke meinen Kopf noch ein Stückchen mehr.
„Miss Capulet das ist keine Antwort auf meine Frage.“
„Welche?“
„Wissen Sie, warum Sie so... schlecht in meinem Fach sind?“
Zögernd nicke ich. Die Ausrede habe ich mir schon auf dem Weg hier her ausgedacht.
„Also?“ Seufzt Professor Smith.
„Wir waren an meiner alten Schule noch nicht so weit. Ich versuche momentan in jeder freien Minute das Verpasste aufzuholen, aber es übersteigt das Pensum an Energie, welches mir zu Verfügung steht. Ich schaffe das einfach nicht so schnell.“
„Miss Capulet, Sie müssen allerdings besser werden. Und das so schnell wie möglich. Immerhin machen Sie einen Abschluss darin und eine schlechte Leistung bringt Sie nicht weit im Leben. Wo möchten Sie einmal arbeiten? Im Ministerium? Oder liegt Ihnen der Beruf der Verkäuferin? Oder möchten Sie einfach heiraten und zu Hause bleiben wie die meisten Mädchen?“
„Ich weiß es noch nicht, Professor“, antworte ich wahrheitsgemäß. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich den Krieg gegen Voldemort überlebe.
„Nun, dann sollten Sie sich langsam Gedanken darüber machen. Im wenigen Monaten machen Sie ihren Abschluss. Hatten Sie in ihrem fünften Schuljahr keine Berufsberatung?“
Spöttisch erinnere ich mich an das Gespräch mit Professor McGonogall und Umbridge im Hintergrund. Ein Desaster. Noch nie in meinem Leben habe ich gestottert, doch in diesem Gespräch bekam ich keinen vernünftigen Satz zustande.
Am Ende hat Umbridge zu mir gesagt, dass ich am besten heirate und mich als brave Ehefrau im Haus verkriechen soll.
Sogar jetzt in meiner Erinnerung fühle ich die Wut, die sich in diesem Moment meiner bemächtigt hatte wieder, als wäre es erst gestern gewesen.
Dumme alte Schachtel!
„Ich hatte eine Art Berufsberatung, Professor. Allerdings sind meine Lehrerin und ich auf keinen Nenner gekommen. Aus diesem Grund habe ich so unterschiedliche UTZ – Fächer gewählt, damit ich am Ende ein großes Spektrum an Berufsauswahl habe.“
„Nun, das ist allerdings ein intelligenter Schritt gewesen. Leider bringt Ihnen das in Arithmantik nichts. Ich kann Ihnen keine bessere Note geben, als ihre Leistung hergibt. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass wir das Problem in den Griff kriegen. Vielleicht fällt mir ja eine Lösung ein. Bis dahin üben Sie fleißig weiter.“
„Mache ich, Professor.“
„Sie können gehen. Auf Wiedersehen“, lächelt Professor Smith zum Abschied zu.
„Auf Wiedersehen“, gebe ich zurück und verlasse ihr Büro. Es hätte schlimmer laufen können.
Außerdem bin ich mal gespannt, was sie sich einfallen lassen will. Ich bin ein absolut hoffnungsloser Fall.

„Und wie lief das Gespräch?“ Ruft mir Tina vom Sofa aus zu. Sie und meine anderen Freunde haben sich die Plätze vor dem Kamin gekrallt und scheinen sich bis zu meiner Ankunft unterhalten zu haben.
„Eigentlich ganz gut. Ich habe mit Schlimmeren gerechnet. Sie sagt, dass ich besser werden muss, was mir selbst klar war und ist. Außerdem sucht sie nach einer Lösung auf die ich sehr gespannt bin“, schnaube ich und lasse mich neben Benjamin auf der Lehne seines Sessels nieder.
„Das klingt doch vielversprechend“, lächelt Chantal aufmunternd.
„Ja, schon. Aber ich hasse es zu versagen“, seufze ich und lasse meinen Kopf in den Nacken sinken. „Das ist doch kein versagen. Du bringst in einem Fach keine hervorragende Leistung. Im Moment zumindest, wenn du noch länger so früh aufstehst, hast du sicher bald das Wissen der anderen nachgeholt“, grinst Jessica schüchtern.
„Hoffen wir es doch und jetzt einmal Thema wechseln, bitte. Ich möchte ohne Depressionen schlafen gehen“, fordere ich die Anderen auf und klatsche aufbauend in die Hände, bevor ich Benjamin durch die Haare wuschele. Er quittiert diese Geste in dem er mich auf seinen Schoß zieht und durchkitzelt. Das in dieser Zeit! Wo selbst ein langer Blick als unanständig gilt! Vor so vielen Leuten!
Entweder ich habe schlechten Einfluss oder Benjamin gibt nichts auf die Meinung anderer.

16. September 1944




Montag


Leise stehe ich auf und ziehe mich an. Draußen vor dem Fenster lehnt die Dunkelheit am Glas wie ein Monster, das um Einlass bittet.
Froh auf der anderen Seite zu sein, hänge ich mir meinen Umhang über die Schuluniform und verschwinde in das angrenzende Badezimmer um meine Morgentoilette zu betreiben.
Zum Abschluss flechte ich meine kupferroten Wellen noch in einen französischen Zopf und tusche mir die Wimpern.
So, das ist mehr als genug für den Tag.
Die Flure zum vierten Stock liegen einsam da, als ich mich auf leisen Sohlen in die Bücherei begebe.
Trotz der teilweise drückenden Stille liebe ich diese Tageszeit einfach. Die Morgendämmerung weckt in mir jedes Mal das Gefühl, dass ein neuer Tag geboren wird, der sich entfaltet, bis es sich abends ins Grab begibt. Nur um am nächsten Tag wiedergeboren zu werden.
Ich liebe diese Tageszeit einfach.

Meine Feder kratzt über das Pergament. Seit knapp einer Stunde lerne ich Arithmantik. Ich versuche die schon gelernten Dinge wieder in mir wach zurufen und mich an die Worte von Professor Vector zu erinnern.
Mit mehr Erfolg, als ich gedacht habe. Nachdem ich innerlich zur Ruhe gekommen bin und mich entspannt an die Aufgabe des Verstehen gemacht habe, fühlte ich mich in die Zeit zurück versetzt, in der ich mit diesem grausam langweiligem Fach begonnen habe.
Ich sitze wieder auf meinem Platz links neben dem Fenster vor dieser nervigen Besserwisserin Granger.
Malfoy sitzt zwei Reihen hinter mir und realisiert mich gar nicht.
Dritte Klasse. Der Anfang meiner Arithmantikstunden. Damals habe ich das Fach noch nicht verabscheut, ich gab mir große Mühe zu verstehen und alles richtig zumachen. Das erste Jahr kam ich auch mit ohne all zu große beschwerden.
In der vierten Klasse verließ mich dann die Lust daran und somit schränkten sich meine Bemühungen erheblich ein.
Mein ZAG bestand ich mit einem M (mies). Mit anderen Worten ich bin durch die ZAG - Prüfung gefallen. Mich störte es nicht weiter. Diese neue arrogante Kuh aus Beauxbâteau setzte sich auf meinen Platz in Arithmantik und meine vorherige Vermutung, dass man auf dem Platz einfach nicht gesehen wird wurde widerlegt.
Sie war immer unter den Besten, verstand sich mit Granger, drängte sich in die Clique um Harry Potter und war zusätzlich mit einigen Slytherins befreundet. Was hundertprozentig an ihrem Todesser Vater und Bruder lag.
Nicht zu vergessen ihr angeblich bester Freund Blaise. Bester Freund – pah! Das ich nicht lache. Sie hat ihm im Bett einfach weit genug befriedigt, dass er sich auch in seiner Freizeit mit ihr beschäftigt und sie mit in den Gemeinschaftsraum der Schlagen mitgenommen hat, um sie sich zu halten.
Sie hat mich nie wahrgenommen – bis zum siebten Schuljahr. Dumme Hexe!
Beruhigend atme ich mehrmals tief durch und werfe einen Blick auf meine Uhr. Zeit zum Frühstück.

Mit meiner Tasche in der Hand betrete ich die Große Halle und steuere auf meine Freunde zu.
Ich kann es kaum fassen, dass sie mich von Anfang an aufgenommen habe und mich behandeln, als wäre ich seit Jahren hier und eine von ihnen.
„Wir dachten schon, dass du das Frühstück verpasst“, grinst mich Chantal fröhlich an.
„Niemals“, gebe ich gespielt entrüstet zurück.
„Wir wollte Ben schon losschicken, um dich zuholen“, meint Simon zwischen zwei Bissen in sein Marmeladenbrötchen.
„Das hat sich ja jetzt erledigt“, gebe ich zurück und quetsche mich auf die Bank zwischen Tina und einem mir unbekannten Mädchen.
Ich fange an die Zeit hier richtig zu genießen. Es ist wie ein Schüleraustausch in eine andere Welt.
Andere Werte, Probleme und noch kein Voldemort.
Ich würde es als ungemein friedlich betrachten, wenn da nicht mein Auftrag wäre.
Wie eine düstere Wolke schwebt der Gedanke an ihn über mir. Versagen kommt nicht in Frage, doch wie ich zu Erfolg kommen will, weiß ich immer noch nicht.
Aber Snape hätte mich nicht auf diese Mission geschickt, wenn er nicht an meine Fähigkeiten glauben würde und der Gedanke, dass Voldemort gewinnen könnte, nur, weil ich versagt habe, stärkt mein Zielbewusstsein.
Ich bin jetzt hier und es gibt keinen Weg zurück, bis ich mein Ziel errecht habe.

17. September 1944


Dienstag

Erschrocken blicke ich auf. War da gerade ein Geräusch oder habe ich mit das Klopfen harter Schuhsohlen auf abgetretenem Holzboden nur eingebildet? Noch einem Moment der vollkommenen Stille, zucke ich mit den Schultern wie um mich selbst von der Einbildung zu überzeugen und widme mich wieder meinen Hausaufgaben für die nächsten Stunden.

Ich bin jedes Mal aufs Neue froh, dass ich die Themen schon im Unterricht hatte und das hier viele Stunden des Lernens ersetzten, da Stoffwiederholungen sehr hilfreich sind.

Klack, Klack.

Dieses Mal ist das Geräusch direkt hinter mir und es ist auch keine Einbildung.

Ein dunkler, düsterer Schatten fällt auf mich und meine Unterlagen und lassen einen markanten Männerkörper erahnen.

Welcher Junge verliert sich um die Uhrzeit in die Bibliothek? Langsam drehe ich mich um, nur damit mich dunkelbraune Augen aufspießen können und nicht mehr loslassen.

Riddle! Damit hätte ich rechnen können, immerhin ist er sehr fleißig und gut in der Schule. Wahrscheinlich weiß er stille Morgenstunden genauso zu schätzen wie ich es tue.

„Capulet, du verbringst wahrlich jeden Morgen in der Bibliothek“, stellt er ausdruckslos in den Raum.

„Gute Auffassungsgabe, Riddle. So langsam beginne ich zu verstehen, warum du Jahrgangsbester bist. Scheinbar kannst doch mehr als dich einzuschleimen wie deine Hausgenossen“, gebe ich mit einem hochmütigen Lächeln zurück. Innerlich zittere ich. Das ist gewagt, sehr gewagt.

Riddle herauszufordern ist so intelligent wie in das Nest einer Hydra einzudringen.

Mit anderen Worten: Es ist sehr... riskant.

„Übertreib es nicht, Capulet. Du weißt nicht, was das mit sich bringen kann“, gibt er immer noch kühl zurück.

Abfällig schnaube ich durch die Nase und wende mich wieder meinen Hausaufgaben zu.

„Du hast keinen amerikanischen Akzent“, spricht er mich wieder an.

„Ich ging dort auch lediglich zur Schule“, antworte ich langsam.

„Warum hast du gewechselt?“ „Du bist auch überhaupt nicht neugierig, oder Riddle?“, spotte ich nervös.

Zu viele Fragen sind schlecht, sehr schlecht.

Lautlos setzt er sich auf den Stuhl mir gegenüber. „Ich bin der Schulsprecher, Capulet und du neu hier. Ich habe mich für dich zu interessieren, bist du dich eingelebt hast.“ “Dann kann ich dich beruhigen, Riddle“, schnaube ich ohne aufzublicken. „Ich habe mich bereits eingelebt und finde mich problemlos zurecht. Danke für die Interesse.“

„Dann ist ja gut, Capulet.“

Er sitzt mir noch ein paar Minuten gegenüber und scheint mich zu beobachten oder auf eine Reaktion irgendeiner Art zu warten, doch dann erhebt er sich geschmeidig und verlässt mein Sichtfeld.

 

Langsam laufen Tina, Chantal, Jessica und ich zum Haushaltsführungsunterricht. Heute ist das korrekte magische Reinigen von Fenstern das Thema. Als würde ein einfacher Ratzeputz nicht genügen. Nein, sogar dafür hat sich die Zaubererwelt etwas einfallen lassen, um uns das Leben schwer zu machen.

Allerdings sind meine Gedanken immer noch bei meinem  letzten Treffen mit Riddle heute Morgen.

Eigentlich wäre das die perfekte Gelegenheit gewesen einer Freundschaft einen Schritt näher zukommen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ihn meine Antworten in verärgert oder beeindruckt haben, doch ich hoffe eindeutig auf Letzteres, obwohl man auch Verärgerung positiv deuten kann. Immerhin empfindet er dann etwas für mich.

Mit einem Menschen zu kommunizieren, der etwas für einen empfindet, egal welcher Art des Gefühls, ist einfacher, als mit Jemanden zu reden, der nicht von einem Wissen will.

 

Wild gestikulierend versucht Tina, das uns zugeteilte Fenster zu reinigen doch nichts passiert.

Ihre Bewegungen werden immer aggressiver, sodass ich schon zurückgewichen bin um nicht getroffen zu werden. Auf ein blaues Auge kann ich dankend verzichten.

„Verdammt“, flucht sie, holt noch einmal weit aus und plötzlich sehe ich nur noch klirrende Glasscherben durch den Klassenraum fliegen.

Erschrocken halte ich mir die Hände vor mein Gesicht, um es zu schützen.

Vereinzelt schreien Klassenkameradinnen auf und schnelle Schritte kommen auf uns zu.

„Miss Wood“, faucht Professor Pucey die blutende Schülerin an. „Sie sind eine Katastrophe! Man sollte Ihnen den Zauberstab verbieten. Gehen Sie und Miss Capulet jetzt in den Krankenflügel und lasen sie sich verarzten, bevor Narben zurück bleiben“, quetscht sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich räume derweil auf. Das wird allerdings noch ein Nachspiel haben, merken Sie sich das.“

Ergeben nickend schiebe ich Tina vor mir heraus aus dem Klassenzimmer heraus. Viele Blicke folgen uns voller Schadenfreude, nur Jessicas Augen drücken tiefstes Mitgefühl auch. Auch Chantal schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.

Wenigstens habe ich keine Schnitte im Gesicht wie Tina.

Kaum fällt die Tür hinter uns ins Schloss, fängt Tina an zulachen. „Hast du ihr Gesicht gesehen“, kichert sie ungehalten.

„Ja, habe ich“, gebe ich schmunzelnd zurück. „Zum Totlachen“, quietscht sie und macht gekannt die Drohung unserer Lehrerin nach, sodass auch ich zu lachen anfange. Gleichzeitig ziehe ich sie weiter den Gang entlang. „Auf, wir wollen doch so schnell wie möglich wieder hübsch sein“, grinse ich sie an.

 

Pünktlich zum Verwandlungsunterricht entlässt uns die Krankenschwester kopfschüttelnd. Ich glaube, sie hat genauso wenig Verständnis wie Professor Pucey für unser Uninteresse in dem Fach.

Mir kann es wirklich egal sein, doch Tina lebt in dieser Zeit, dieser Gesellschaft und wird ihr nicht entfliehen können, wie ich es tun werde.

Der junge Professor Dumbledore wartet schon mit einem gütigen Lächeln auf den Lippen. Scheinbar ist er mit diesem Gesichtsausdruck auf die Welt gekommen.

 

Nachdem Abendessen mache ich mich auf den Weg zu Astronomie. Nur zwei weitere Mädchen, Jane Wonder, eine Zicke, die ihres gleichen sucht und Jennifer Mercur ihre beste Freundin, aus Gryffindor belegen das Fach, der Rest besteht aus Slytherins, unter anderem Riddle mit seinem engsten Gefolge.

Alleine sitze ich im theoretischen Teil des Faches in der vorletzten Reihe. Ich habe es nicht anders gewollt. Die beiden Mädchen sind die Sorte Mensch, denen ich aus den Weg gehe und was hat eine Gryffindor schon bei den Slytherins zu suchen?

Bekanntlich nichts.

Bekanntlich...

Und genau in dem Moment fange ich Riddles forschenden Blick ein.

10. Oktober 1944




Donnerstag

„Miss Capulet? Können Sie bitte noch einen Moment bleiben?“ „Sicherlich, Professor Smith“, lächele ich die Lehrerin an.

„Sie erinnern sich an unsere Unterhaltung?“

„Gewiss, Professor.“ „Ich habe bereits bemerkt, dass sie ein wenig besser geworden sind, aber es reicht noch nicht für einen UTZ.“ „Ich gebe mein Bestes, Professor“, versichere ich ihr nervös. Wenn sie mich aus dem Kurs wirft, habe ich ein Problem. Es ist das einzige Fach, indem ich direkt neben Riddle sitze.

„Das langt leider nicht, aber ich habe endlich eine Lösung gefunden. Mr Riddle hat sich bereiterklärt ihnen nach dem Unterricht Nachhilfe zugeben. Ist das nicht großartig?“, strahlt mich die Professorin an. „Ja, sicherlich, Vielen Dank für ihre Bemühung“, murmele ich gedankenversunken. Nachhilfe bei Riddle? “Einen Termin müssen sie selbst mit ihm ausmachen, aber das sollten sie hinkriegen, nicht wahr?“  „Sicherlich.“ Höflich nickend verabschiede ich mich von der Professorin und mache mich auf den Weg zu Astronomie.

Nachhilfe bei Riddle. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Einerseits ist das die Gelegenheit ihm näher zukommen und eine Freundschaft zu entwickeln. Wir würden Zeit mit einander verbringen, wenn auch zwangsläufig, und wir werden über Arithmantik reden, aber das ist eine ausbaubare Grundlage. Ich weiß nur noch nicht genau wie ich das anstellen werde. Er ist keine einfache Person, aber das wusste ich ja auch vorher schon.

Andererseits könnte er seine Hilfe als Vorwand benutzen, um mehr über mich heraus zufinden und ich müsste mir doch noch eine Ausrede einfallen lassen, warum ich die Schule gewechselt habe. Als Gegenleistung so zusagen.

Aber wie es kommen wird, werde ich merken, wenn es soweit ist. Jetzt muss ihn erst einmal um einen Termin bitten.

Das werde ich allerdings erst nach Astronomie in Angriff nehmen. Vorher werde ich mich mit den verschiedenen Sternenbildern von vergangenen Jahren befassen.

 

„Riddle!“, rufe ich ihm hektisch hinterher, meine Tasche noch nicht richtig verschlossen. Er läuft mit seinen merkwürdigen Freunden – Anhängern, was weiß ich, nach unten und ich stolpere ihm hinterher.

Malfoy ist der Erste, der stehen bleibt und sich mir zuwendet. Wie immer ist seine Miene kalt und ausdruckslos.

Sein Sohn und sein Enkel sehen ihm sehr ähnlich.

Die Familie Malfoy muss sehr dominante Gene haben. Wenn Draco Malfoys Sohn oder Tochter auch blond werden, esse ich einen Besen.

„Capulet“, reißt mich Riddles Stimme aus meinen Gedanken. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht sich zu mir umzudrehen, als er mich anspricht.

„Hast du einen Augenblick für mich?“ „Ich wüsste nicht weshalb ich mir Zeit für dich nehmen sollte. Auch wenn es nur eine Minute wäre.“  „Weil es deine Pflicht als Schulsprecher ist?“ Wut steigt langsam in mir auf. Er ist ziemlich unhöflich, aber was erwarte ich auch vom zukünftigen Dunklen Lord? „Geht zum Gemeinschaftsraum“, befiehlt Riddle seinen Freunden und wandte sich nun doch zu mir um.

Zeitgleich mit seinen Freunden setze ich mich in Bewegung. Allerdings laufe ich auf ihn zu und nicht von ihm weg wie die anderen.

„Es geht um Arithmantik“, erkläre ich ihm mein Anliegen.

„Ach ja. Deine Nachhilfe.“ Spöttisch verzieht er die Lippen.

„Genau die. Danke für... das Angebot.“ Ich verziehe ebenfalls spöttisch den Mund. „Ich wollte dich nur fragen, wann du Zeit für mich hättest?“

„Morgen früh, sechs Uhr in der Bibliothek.“ Mit diesen Worten dreht er sich grußlos um und geht.

Verdammt, warum muss er sogar von hinten so unverschämt gut aussehen? Das ist doch nicht mehr normal!

 

„Da bist du ja endlich!“, begrüßt mich Tina grinsend im Gemeinschaftsraum.

„Tut mir leid. Ich musste noch schnell etwas erledigen.“

„Hat zufälligerweise etwas mit dem überaus attraktiven Schulsprecher zu tun?“, fragt sie mit einem belustigten, neugierigen Grinsen.

„Wie kommst du darauf?“, frage ich alarmiert nach. Wie kommt sie darauf? Hat sie etwas gemerkt? Aber wie? Und warum heute? Hab ich irgendetwas Verdächtiges getan?

„Nun, Jane kam vor ein paar Minuten rein und hat mich gefragt, was du mit dem Schulsprecher zuschaffen haben würdest. Sie sah euch auf dem Gang vor Astronomie reden.“ Jane. Das zickigste Mädchen im Jahrgang und leider mit mir in Astronomie. Sie scheint Riddle attraktiv zu finden wie so viele andere auch. Was absolut verständlich ist, keine Frage, aber sie ist alles andere als diskret.

Außerdem hat sie kein Recht eifersüchtig zu sein. Er gehört ihr nicht. Und noch weniger sollte sie meine neugewonnenen Freunde damit behelligen.

„Was hast du ihr geantwortet?“, frage ich sie währenddem ich mich in den Sessel neben sie fallen lasse.

„Ich sagte, dass es sie nichts anginge, was du mit dem Schulsprecher zu tun hättest.“

„Danke, Tina“, lächele ich sie an.

„Keine Ursache, aber mich würde es auch interessieren, was du von ihm wolltest.“ Bedeutungsvoll zieht sie eine Augenbraue hoch, was mich zum Grinsen bringt.

„Nichts Privates“, gebe ich unverbindlich zurück und stehe auf, um meine Astronomiehausaufgaben zuholen. Ich erledige sie besser früher, als später und da ich morgen früh einen mehr oder weniger erfreulichen Termin habe, werde ich sie heute erledigen müssen.

 

Einsam setzte ich mich hinter an einen Tisch, halb im Schatten um ungestört meine Hausaufgaben zu machen und meinen Eintrag im Tagebuch für heute zumachen.

Endlich komme ich meinem Ziel einen Schritt näher.

11. Oktober 1944




Freitag

Noch leicht müde wühle ich mich aus dem Bett und tapse in das angrenzende Badezimmer.
Vor Aufregung habe ich kaum die Augen schließen können. Das ist in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.
Weder, dass ich nicht einschlafen konnte, noch, dass ich morgens müde beim aufstehen bin.
Es ist halb sechs, als das magischerwärmte Wasser um meinen Körper spielt. Am liebsten würde ich mich nicht mehr aus der Wann bewegen, doch ich will pünktlich sein und zumindest einigermaßen gut aussehen.
Meine noch feuchten kupferroten Haare zwänge ich in einen strengen Dutt auf meinem Hinterkopf zusammen, meine blau – grau melierten Augen betone ich mit einem Hauch Mascara aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze und hellblauen Steckern in den Ohren.
Ich habe eindeutig das Beste aus mir herausgeholt ohne aufgetakelt zu wirken. Neben den meisten Mädchen hier, gehe ich zwar immer noch unter, aber nicht die meisten Mädchen treffen jetzt den Schulsprecher, sondern ich.
Ach, wenn es nur zum Lernen ist.
Frohen Mutes mache ich mich auf den Weg in die Bibliothek. Es wäre doch gelacht, wenn ich Arithmantik nicht verstehen sollte.

„Du bist schon da, sehr schön.“
„Guten Morgen“, erwidere ich Lächelnd und lasse mich von seinem rüden Ton nicht aus der Bahn werfen.
„Wir beginnen mit Grundlegenden. Du bist grottenschlecht in Arithmantik, das kannst du nicht bestreiten. Also, bis wohin verstehst du denn noch etwas?“ Schnarrt er und setzt sich geräuschlos neben mich.
„Ich habe mir eure Unterlagen der letzten Jahre angesehen. Bis Ende eurer fünften Klasse komme ich problemlos mit. Den Anfang der sechsten verstehe ich auch noch, aber ab der Silbermanntabelle steige ich aus.“
„Es ist also eine minimale Grundlage vorhanden. Fantastisch!“ Wie schafft er es, dass die Worte aus seinem Mund wie messerscharfe Beleidigungen klingen?
„Finde ich auch“, schnaube ich trotzig und schlage besagte Tabelle auf. „Und wenn du so begabt bist, wie alle annehmen, sollte es dir keine weiteren Probleme bereiten mir zu helfen.“
„Wenn du nicht ganz blöd bist, wirst du bis zum Frühstück die Tabelle verstanden haben.“
„Nicht ganz blöd?“ Lache ich ungläubig auf. „Ich habe in allen anderen Fächern bis jetzt Bestleistung gebracht!“
„Dem bin ich mir bewusst“, meint er kurzangebunden und runzelt die Stirn, als könne er nicht glauben, dass ich wirklich so gut bin.
„Dann lass und endlich anfangen!“

Er hat sein Versprechen gehalten. Noch vor den Frühstück habe ich die Tabelle verstanden. Wenn man einen guten Lehrer hat, kann man alles bewerkstelligen.
„Du siehst heute so zufrieden aus? Was ist denn los? Legt es an deinem Nachhilfelehrer?“ Erkundigt sich Tina grinsend.
„Nachhilfe? DU nimmst Nachhilfe? Vor dem Frühstück?“ Benjamin sieht mich an, als sähe er zum ersten Mal einen Thestral.
„Bei wem denn?“ Mischt sich Chantal zwischen zwei Bissen ein. John hat seinen Arm um sie gelegt und drückt ihren pummeligen Körper an sich.
Sie sind wirklich ein süßes Pärchen. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit. Oder gerade dadurch.
Ihre schwarzen schulterlangen Locken bilden einen perfekten Kontrast zu ihren grünen Augen. Sie ist ein paar Zentimeter kleiner als ich, pummelig und hat breite Hüften.
Das absolute Gegenteil von ihrem Freund, der ein wenig großer als ich ist, aber nicht ganz die 1, 80 erreicht.
Er ist durch das Quidditch spielen durchtrainiert, schlaksig und von schmaler Statur.
Außerdem hat er hellbraune Augen und Haare.
Tina hat mir erzählt wie die beiden sich näher kennen gelernt haben.
Chantal wurde von Slytherinmädchen wegen ihres Aussehens gehänselt und da sie sehr schüchtern ist, wehrte sie sich nicht.
John hat die ganze Farce beobachtet und ist dazwischen gegangen. Der beliebte Kapitän der Gryffindors verteidigte das gedemütigte Mädchen.
Als Einziger.
Niemand anderes hat den Mut aufgebracht, die Unscheinbare in Schutz zu nehmen, als sie sich selbst nicht mehr schützen konnte.
Laut ihm selbst waren es die unglaublich grünen Augen, die ihn in ihren Bann geschlagen haben.
Stück für Stück haben sie sich besser kennen gelernt und in das Herz des jeweils anderen eingeschlichen.
Seitdem sind sie ein Pärchen und Chantal ist nicht mehr ganz so schüchtern. Denn John Robins liebt sie wie sie ist.
Sogar mit dem Milchbart, den sie sich gerade von der Oberlippe abwischt.
„Ich muss jetzt zu Arithmantik“, versuche ich mich davon zumachen. Niemanden geht es etwas an, dass ich Nachhilfe in Arithmantik brauche.
„Nicht so schnell, Fräulein“, bremst mich Simon. „Ich glaube wir alle würden gerne wissen, worin und bei wem du Nachhilfe nimmst.“
„Arithmantik“, gebe ich mich geschlagen. „Mir fehlen Unterrichtseinheiten. Fast ein ganzes Jahr und das macht sich in meiner Leistung bemerkbar. Etwas, dass ich nicht zulassen kann.“
„Und bei wem?“ Wiederholt Chantal ihre Frage.
„Tom Riddle.“
„Bei den Slytherin? Unserem Schulsprecher? Claire, der Junge ist kälter als Eis!“
„Jetzt, werde nicht theatralisch, Simon. Ich nehme Nachhilfe bei ihm. Da kann es mir egal sein, wie er von seiner Persönlichkeit her ist.“ Könnte es mir wirklich. Doch, ich muss mich mit ihm anfreunden, ob ich will oder nicht. Es ist mein Beitrag zur Rettung der Welt wie wir sie kennen.
„Ich muss jetzt wirklich los“, durchbreche ich die verwunderungsschwangere Stille und verlasse die Große Halle.
Der Hall meiner Schritte vermischt sich mit denen die neben, vor, hinter mir die Gänge Hogwarts durchschreiten. Der kalte Steinboden erzählt durch seine Glätte, seine leicht erhöhten Außenkanten von tausenden Schuhpaaren, die hier schon entlanggelaufen sind. Kinder, Männer, Frauen. Zauberer, Hexen, an die sich niemand erinnert.
Zauberer, Hexen, die Geschichte geschrieben, Dinge erfunden, Leben verändert haben.
Sie alle hatten etwas gemeinsam. Ihre Jugend in Hogwarts.
Das Leben in Hogwarts.
Das Heranreifen in Hogwarts.
Der Prozess des Erwachsenwerdens, hier in Hogwarts.
Das haben die Zauberer vor uns, nach uns und mit und gemein.
Auch Lord Voldemort war ein Schüler in Hogwarts und ich bin mitten unter Jenen, die ihn in seiner Schulzeit kannten. Die niemals mit dem Monster gerechnet hätten, das aus dem attraktiven Schulsprecher geworden ist.
Er wirkt so... normal. Auf eine paradoxe Weise wirkt er wie jeder andere Schüler auch. Vor ihm gab es besonders begabte Hexen und Zauberer und nach ihm wird es sie auch geben.
Doch er hat es gewagt die Tabugrenzen der Schwarzen Magie zu brechen.
Er ist weiter gegangen. Weiter als irgendjemand vor ihm. Nicht einmal Salazar Slytherin hat sich selbst verstümmelt, um ewig zu leben.
Sein schwarzglänzender Schopf ragt aus der Menge heraus, als ich mich den Arithmantiklehrzimmer nähere.
„Hallo“, begrüße ich meine wartenden Klassenkameraden und stelle mich leichtlächelnd neben Anna.
„Guten Morgen! Hast du gut geschlafen?“ Erkundigt sich Anna.
„Bestens, danke der Nachfrage und du?“
„Ich kann mich nicht beklagen“, lächelt sie, während die Tür aufschwingt und Professor Smith uns hereinbittet.
Geräuschvoll ziehe ich den Stuhl nach hinten und lasse mich darauf plumpsen. Die erste Unterrichtsstunde nach meiner ersten Nachhilfestunde. Und ich werde sehr wahrscheinlich nicht mehr verstehen, als vorher. Nur, weil altes Wissen wieder präsent in meinem Kopf ist und ich eine weitere Tabelle verstanden habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ich mit diesem fortgeschrittenen Niveau zurechtkomme.
Kommentarlos breite ich meine Unterlagen vor mir aus und lege meine Hausaufgaben auf das Lehrerpult. Eigentlich hätte ich sie mit Riddle noch einmal durchsprechen können. Dann hätte ich mit wahrscheinlich nicht das nächste M eingehandelt.
„In Kapitel acht findet ihr einige Anwendungsbeispiele der Arithmantik auf das Verhalten von Wüstenfeldmäusen. In der heutigen Stunde werdet ihr mit der Auswertung beginnen, was ihr nicht schafft, wird eure Hausaufgabe sein. Zusätzlich zu der, die ich im Laufe der Stunde an die Tafel schreiben werde. Gutes Gelingen!“ Teilt uns Professor Smith mit und zieht sich die zuoberst liegende Hausaufgabe zur Korrektur heran.
Schwer schluckend, schlage ich das Buch auf und fühle mich wie erschlagen von den vielen Zahlen, Daten und Ereignissen.
An sich könnte ich die Stunde gleich verlassen. Am Ende von ihr wird nicht viel mehr auf meinem Pergament stehen, als jetzt.
Obwohl, ich könnte zumindest das Datum in die Ecke schreiben und meinen Namen. Das wäre immerhin ein Anfang.
Eine halbe Stunde später, blicke ich immer noch beinahe panisch auf die Unterlagen und drehe meine Feder hektisch zwischen meinen Fingern. Durch diese nervöse Geste haben sich ein paar Tintenkleckse zu dem Datum und meinem Namen gesellt.
Es wirkt beinahe künstlerisch. Schade, dass Kunst kein in Hogwarts unterrichtetes Fach ist. Das wäre sicher viel geeigneter für mich, als Haushaltsführung. Merlin, sei Dank, habe ich das Fach nur einmal die Woche.
Verzweifelt fasse ich mir an den Kopf und male mir unabsichtlich eine Strich über die Wange. Neben mir zieht sich Anna ein neues Blatt Pergament vor die Nase. Das Erste ist randvoll mit Wissen gefüllt. Wie kann man nur so viel in ein paar Zahlen erkennen?
Eine Strähne hat sich aus meinem Dutt durch das viele an den Kopf fassen gelöst, sodass auf ihr herumkauen kann.
Wenigstens nerve ich die Anderen mit meinem Gezappel nicht.
„Lass dir helfen“, reißt mich Riddles Stimme aus den Gedanken.
„Bitte?“ Frage ich perplex und spucke meine Strähne aus. Er hebt seinen Zauberstab und entfernt kommentarlos die Tintenflecken von meinem Blatt und den Strich von meiner Wange.
Er bietet mir von sich aus an mir zu helfen? Ist er krank? Leide ich unter Wahnvorstellungen? Aber, es ist nicht das erste Mal, dass er mir hilft. Hat er mir nicht schon vor seinen widerlichen Freunden verteidigt?
„Ich sagte, dass du dir helfen lassen sollst. Du nervst mich mit deinem hibbeligen Gezappel.“
Ah, daher weht der Wind. Der werte Herr fühlt sich durch mich gestört.
„Ich kann versuchen still zusitzen“, schlage ich ihm als Alternative vor.
„Ich sagte, dass du dir helfen lassen sollst! Ist dir dieser einfache Befehl zu schwer zu befolgen?“
„Gewiss nicht zu schwer, aber ich befolge grundsätzlich Befehle nur ungern. Irgendetwas in mir wehrt sich dagegen“, grinse ich ihn belustigt an.
„Das ist dein Gryffindorstolz“, flüstert er ganz ernst.
„Kann gut sein“, stimme ich ihm schulterzuckend zu. Er seufzt.
„Bitte, lass dir helfen.“
„Gerne“, nehme ich sein Angebot an. Scheinbar akzeptiert er Grenzen, wenn man sie ihm klar genug aufzeigt. Oder er hat einfach genug davon mit mir im Unterricht zu diskutieren und wertvolle Momente des Lernens zu verschwenden.
Er beugt sich ein Stückchen weiter zu mir rüber und erklärt mir flüsternd die ersten Schritte und warum man die Tabelle von hinten nach vorne liest und nicht andersherum wie ich es zuerst versucht habe.
Das ganze Verfahren klingt aus seinem Mund so logisch und simpel. Als wäre es nicht die schwierigste Wissenschaft, die Hogwarts unterrichtet.
Seine Geduld und Konzentration sind bewundernswert.

Als es zum Stundenende klingelt, habe ich wirklich etwas von den verstanden, was ich da mache.
Arithmantik kann wirklich spannend sein, sobald man etwas versteht.
Allerdings sind mir auch meine fatalen Lücken nur zu genau aufgefallen.
„Riddle?“
„Morgen Elf Uhr Bibliothek. Sei pünktlich.“
Überrascht halte ich in der Bewegung inne und als ich aufsehe, um mich zu bedanken sind er und seine Begleiter schon verschwunden.
Nur Anna und die Professorin sind noch da.
„Sehen wir uns nachher in Alte Runen?“ Erkundigt sich Anna, als hätte sie nichts von Riddles und meiner Unterhaltung mitbekommen.
„Selbstverständlich“, lächele ich sie an.
„Was läuft zwischen dir und Riddle?“ Stellt sie die nächste Frage. Warum muss sie ihre Meinung immer kundtun? Schweigend und schüchtern wäre sie mir zeitweise lieber.
„Er hilft mir in Arithmantik“, erzähle ich ihr wahrheitsgemäß.
„Riddle bietet niemanden von sich aus seine Hilfe an.“
„Ich habe ihn auch darum gebeten mir Nachhilfe zugeben“, berichtige ich ihre Annahme. Ich werde es wohl nicht geheim halten können. Fantastisch. Bald weiß die ganze Schule, dass ich in Arithmantik versage.
„Gerade eben. Er hat dir seine Hilfe angeboten. Du hast ihn nicht darum gebeten.“
„Ich habe ihn mit meinem Benehmen genervt.“
„Dann hätte er dich darum gebeten, dich zu benehmen wie es sich für eine UTZ – Schülerin gehört, die obendrein schon volljährig ist.“ Anna schüttelt den Kopf. „Normalerweise verstehe ich Menschen schnell, doch ihr beiden seit mir ein Rätsel. Ihr seid voller Geheimnisse und das du Dinge verbirgst, hat sicherlich auch er bemerkt. Ich bitte dich, pass auf dich auf.“
„Ich habe keine Geheimnisse!“ Streite ich ihre Vermutung ab. Wenn ich gewusst hätte, dass sie Menschen so schnell durchschaut, wäre ich mehr auf Abstand gegangen.
„Gut, dann hast du eben keine Geheimnisse. Aber Riddle ist gefährlich“ Und ganz gewiss nicht hilfsbereit. Ich will einfach, dass du auf dich aufpasst, ja?“
Inzwischen sind wir an der Treppen angekommen, an der sich unsere Wege spätestes trennen.
„Ich werde auf mich aufpassen“, verspreche ich ihr ganz gerührt von so viel Ehrlichkeit und offener Zuneigung.
„Gut“; sie schenkt mir ein scheues Lächeln. „Bis nachher.“
„Ja, bis dann.“

In jeder anderen Stunde, die ich heute mit Tom Riddle habe, missachtet er mich. Keinen Blick scheine ich ihm wert zu sein.
Er ist wieder der stille, introvertierte Schulsprecher, den jedermann kennt.
Mir soll es recht sein. Ich muss erst einmal über Annas’ Worte nachdenken und mir klar darüber werden, was die versteckte Botschaft dahinter ist.
Selbst, als ich in Alte Runen wieder neben ihr sitze, kreisen meine Gedanken noch um die rätselhafte Arithmantikstunde.
Meine Konzentration ist so schwach, dass ich sogar die Hausaugaben auf Morgen vertagen muss. Ein Umstand der mir Sorgen bereitet.
Diese permanente Gedankenfokussierung auf Riddle kann beim besten Willen nicht gesund sein.

12. Oktober 1944




Samstag

Seit knapp drei Stunden sitze ich in der Bibliothek und bearbeite meine gestern liegengelassenen Hausaufgaben.
In wenigen Minuten wird Riddle kommen und mit mir weiter an meinen Arithmantikproblem arbeiten.
„Du musstest dich an dieses Fenster setzen, nicht wahr?“
Erschrocken hebe ich meinen Blick. Sofort kreuzen seine dunkelbraunen Augen, die meinen. Wie immer ist er in schwarz gekleidet, adrett, wie meine Mutter seinen Stil genannt hätte.
„Wie kommst du darauf?“ Gebe ich zurück.
„Du sitzt immer an diesem Fenster.“
„Stimmt“, gebe ich ihm lächelnd zurück und streiche meine Haare hinter die Ohren. „Können wir anfangen?“
„Sobald du deine Unterlagen auf dem Tisch liegen hast.“
„Betrachte sie als ausgebreitet“, beeile ich mich zusagen und beuge mich nach unten, um sie aus meiner Tasche zu nehmen.
Ich trage zum ersten Mal seitdem ich hier auf die Schule gehe Freizeitkleidung. Dem Charme der Fünfzigerjahrekleider konnte ich einfach nicht wiederstehen.
Mein dunkelblaues Kleid ist mit weißen Pünktchen übersäht und das Band in meinen Haaren passt perfekt dazu.
Das Outfit ist schlicht und einfach süß. Nicht so freizügig und billig wie die meisten Mädchen aus meiner Zeit gekleidet sind.
„Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben und dann befassen wir uns mit den Hausaufgaben. Ohne meine Hilfe wirst du wieder einmal versagen.“
„Den letzten Teil habe ich leider überhört“, schnaube ich nonchalant und suche meine Nachhilfenotizen aus den Arithmantikordner.
„Wiederhole, was ich zu der Silbermannsche’ Tabelle gesagt habe.“
„Die Tabelle basiert auf Numerologie. Wenn man die Zahlen Lebensdaten zuordnet, kann man Dinge über eine Person herausfinden.“
„Und?“
„Und was?“
„Was ist Numerologie?“
„Es ist die mystische Lehre von der Bedeutung bestimmter Zahlen. Die könne in verschiedenen Ländern wandeln. Das alte Griechenland, deutet zum Beispiel manche Zahlen anders als die Römer oder Kelten. Was an den unterschiedlich stehenden Sternenbildern liegt.“
„Das Prinzip gilt im ganzen Fachgebiet Arithmantik und genau da setzen wir jetzt an. Du hast sicherlich schon von Agrippa gehört, nicht wahr?“ Sei gelangweilte Stimme, streift wie ein eisiger Windhauch min Ohr.
Als ich die Gänsehaus auf meinen Armen bemerke, bereue ich es, ein ärmelloses Kleid zutragen. Die Schuluniform wäre jetzt praktischer.
„Agrippa war ein Zauberer.“
Er verdreht arrogant die Augen und verschränkt die Arme vor der muskulösen Brust.
„Na gut“, seufze ich. „Cornelius Agrippa ist ein Zauberer aus dem späten Mittelalter. Die Muggel haben ihn wegen Alchemie, Kirchenkritik und Gegner der Hexenprozesse verfolgt. Deshalb ist er duch Europa gewandert. Sein Buch De Occulta Philosophia veröffentlichte er 1533. Kurz darauf starb er“, leiere ich die mir bekannten Fakten herunter. Merlin sei Dank gibt es die Schokofroschsammelkarten. Geschichte der Zauberei konnte ich noch nie leiden.
Ob Professor Binns auch in dieser Zeit schon ein Geist ist?
„Und eben mit diesem Buch beschäftigen wir uns heute. Geh’ und hole es!“
„Bitte?“
„Ich werde den Befehl nicht umformulieren. Geh’ und hole es!“
„Dominanter Hippogreif“, murmele ich beim aufstehen und missachte seine hochgezogenen Augenbrauen.
Gemächlichen Schrittes mache ich mich auf den Weg in die richtige Abteilung. Nur zu gut weiß ich, dass er diese Verzögerung erkennen wird und es ihn bis aufs Blut reizt zu warten.
Einen zukünftigen Lord Voldemort lässt man nicht warten.
Aber genau da liegt der Haken. MAN. Ich bin Frau. Und eine selbstbewusste Frau lässt Mann immer warten.

„Da bin ich wieder“, flöte ich gut gelaunt mit dem verstaubten Buch in der Hand. Er blickt mich nichts sagend an. Allein seine Mundwinkel sind spöttisch gehoben.
„Was ist?“ Erkundige ich mich mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
„Treibe dein Spielchen nicht zu weiß, Capulet. Sonst kannst du dir einen anderen Nachhilfelehrer suchen. Wie wäre es mit Mulciber? Er würde sich sicherlich freuen mehr Zeit mit dir verbringen zu können. Er stand schon immer auf zierliche Mädchen und wenn sie dann noch außergewöhnliche Merkmale haben“, er greift nach einer Strähne meines Haares. „Dann sind sie ihm gerade recht für seine Sammlung. Da stört es ihn auch nicht, dass dein Busen eher von durchschnittlicher Größe ist.“
Sein folgendes Lächeln kann man bestenfalls als kalt und berechnend bezeichnen. Die nächstnahste Bezeichnung wäre diabolisch. Was auch zu dem boshaften Glitzern in seinen Augen passen würde.
Kurz entgleisten mir meiner Gesichtszüge, doch das triumphfahle Aufflackern in seinen Augen, hilft mir wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Das Kinn trotzig hervorreckend, funkele ich ihn wütend an.
„Das drohen kannst du dir sparen! Wir wissen beide, dass ich niemals Nachhilfe von ihm in Anspruch nehmen würde“, zische ich ihn so gefährlich wie möglich an.
Unbewusst habe ich mich ihm entgegen über den Tisch gelehnt und er kommt mir auch näher.
„Ich kann aufmüpfige kleine Mädchen nicht leiden“, haucht er beinahe tonlos, was ihn noch bedrohlicher wirken lässt, als seine Ausstrahlung.
„Merlin sei Dank bin ich nicht klein“; teile ich ihm mit und wende mich dem Buch zu.
„Beginnen wir von vorne?“
„Ja“, antwortet er so emotionslos, als hätte die Diskussion nicht stattgefunden und seine Drohung war Einbildung meinerseits.

„Ich kann nicht mehr“; stöhne ich frustriert und raufe mir die Haare. „Wir haben schon das Mittagessen ausfallen lassen. Können wir bitte eine kurze Pause machen? Mein Kopf fühlt sich überlastet!“
„Nicht dein Kopf, sonder du fühlst dich überlastet“; verbessert er mich und lehnt sich in seinen Stuhl zurück.
„Aber du kannst gerne eine Pause einlegen“, teilt er mir mit einem arroganten Lächeln mit.
„Gut, dann lass uns in die Küche gehen!“ Schlage ich vor und sortiere die Unterlagen auf dem Tisch.
„Uns?“
„Ja, du und ich. Auch eine Schlange braucht hin und wieder etwas zu essen“, erkläre ich ihm meinen Vorschlag, als wäre er ein kleines Kind.
Blitzschnell hat er seinen Zauberstab gezogen und mir an die Kehle gedrückt. „Sprich nie wieder so mit mir, verstanden?“ Zischt er bedrohlich.
„Das war doch nur ein Scherz“, quetsche ich röchelnd hervor. Tiefere Atemzüge verbietet der Druck auf meinen Kehlkopf. Es tut weh. Tränen steigen mir langsam in die Augen und ich versuche die hektisch weg zublinzeln. Er soll nicht sehen, wie sehr es schmerzt.
„Ein schlechter Scherz“, spottet er und nimmt den Zauberstab wieder weg. „Nicht, dass die Kleine noch weint.“
Sein boshaftes Grinsen soll mich heute bis in den Schlaf verfolgen.
„Lass uns essen gehen“, wiederhole ich meinen Vorschlag und unterdrücke ein Frösteln. Jetzt, wo ich merke wie herrisch er schon, als Teenanger war, wundert es mich nicht mehr im Geringsten, warum alle Welt macht, was er sagt und sich nicht traut ihm zu widersprechen.
Er setzt seinen Willen mit allen Mitteln durch.

In der Küche angekommen habe ich mich von dem Schock erholt und der Schmerz beim Schlucken ist ebenfalls auf ein Minimum gesunken.
Die Hauselfen wuseln geschäftig um uns herum und bringen Tee, Scones und Marmeladenbrötchen.
„Noch irgendwelche Wünsche, Miss, Mister?“ Fiept ein kleiner Hauself hilfsbereit.
„Für mich nicht danke“, lächle ich ihn an und schenke den Tee in die beiden Tassen.
„Für mich auch nichts“, lehnt Riddle ab ohne den Elfen anzusehen. Der kleine Kerl macht sich mit einer Verbeugung wieder an seine eigentliche Arbeit. Riddle und ich sitzen in einer Ecke der Küche, wo das geschäftige Treiben nicht vorhanden ist, sodass man das Gefühl hat hinter einer Glaswand zusitzen und die Elfen aus Distanz zu beobachten.
„Du könntest ein wenig höflicher sein“, lächele ich ihn an und nehme meine Tasse an meinen Mund, um zu pusten.
„Es sind Hauselfen.“
„Lebewesen genau, du hättest ihn zumindest ansehen können“; tadele ich ihn, damit rechnend gleich wieder seinen Zauberstab an der Kehle zu haben. Doch die Drohgebärde bleibt aus. Erstaunt sieht er mich an.
„Das war ein er?“
„Ich glaube schon“, schmunzele ich und wage den ersten Schluck Früchtetee.
Er reagiert darauf nicht, sondern nimmt sich eine Brötchenhälfte und beißt hinein. Über meinen Tassenrand hinweg beobachte ich ihn.
„Bist du eigentlich ein Reinblut?“ Fragt er in die zwischen uns entstandene Stille hinein.
„Du weißt schon, dass ich eine Gryffindor bin und wenig wert auf das Blut lege?“
Er sieht mich einfach an und macht keine Anstalten darauf einzugehen.
„Ja, bin ich“, seufze ich und greife nach einem Scone. „Ich liebe diese Dinger!“
„Man spricht nicht mit vollem Mund“, tadelt er.
„Sie sind so schön süß“, seufze ich und nehme den nächsten Bissen.
Er geht wieder nicht darauf ein und schweigend beenden wir unser Mahl.
Auch der Rückweg in die Bibliothek erfolgt schweigend. Erst an unserem Tisch bricht er die Stille und referiert ausführlich über die Arbeit von Agrippa und ihre Auswirkung auf unser Verständnis von Arithmantik heute.

„Ihr habt ziemlich lange gelernt“, begrüßt mich Tina am Gryffindortisch zum Abendessen.
„So fühle ich mich auch“, stöhne ich auf und lasse mich auf meinen Platz fallen.
„Wann trefft ihr euch wieder?“
„Mittwoch in den beiden Freistunden“, seufze ich und verziehe das Gesicht zu einer Grimasse. Mir wäre vor dem Unterricht lieber gewesen.
„Hilft es dir wenigstens?“
„Sicher, Tina, sicher“, stöhne ich erschöpft und nehme mir von den Bratkartoffeln.
„Dann stell’ dich nicht so an! Dir sind deine UTZs doch wichtig und man muss Prioritäten setzten“, belehrt sie mich.
„Ich weiß“, stimme ich ihr zu kraftlos, um ihr mein Problem genauer darzulegen, zu.

16. Oktober 1944


Mittwoch

 Leise vor mich hinsummend sitze ich in der Bibliothek und bearbeite Hausaufgaben. Es sieht kurz nach sieben in der früh und die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich ihren Weg über die schwarzen Baumwipfel des Waldes.

Sie brechen sich facettenreich auf der Oberfläche des Sees und tauchen den Himmel in ein Meer aus Farben. Hellgelb, rosa, orange. Alle Varianten dieser Farben sind vertreten.

Eine Symphonie der Natur.

Kein Künstler könnte solche Schönheit auf einer Leinwand  festhalten. Allein die schwärze des Waldes ist schattiert und hinter jedem Winkeln bekommt man das beklemmende Gefühl, dass es düsterer nicht mehr erscheinen kann.

Der Kontrast zum Himmel ist so wunderschön, dass ein kleines Lächeln in meinem Gesicht erscheint.

Der Nebel tanzt in kleinen Schwaden über den Raureifbedeckten Boden.

Der Herbst hat Einzug gehalten. Unvergleichlich schön.

Glücklich seufzend wende ich meinen Blick von der hinreißenden Aussicht ab. Den Lehrern ist es egal, warum ich die Hausaufgaben nicht gemacht habe, wenn ich sie nicht abliefere. Da kann der Sonnenaufgang noch so prächtig gewesen sein.

Meine Feder kratzt in einem stetigen Rhythmus über das Papier.

Es scheint perfekt. Der Augenblick scheint perfekt. Die Hausaufgaben sind einfach zu erledigen, die Sonne scheint und die Stille de Raumes wird nur durch mich gestört.

Aber der Schein trügt. Nicht alles ist perfekt.

In mir hat diese Vollkommenheit noch keinen Einzug gehalten.

Tom Riddle spukt wie gewöhnlich durch meinen Verstand und inzwischen auch durch mein Herz.

Seine Art, mag sie noch so kalt und arrogant sein, hat mich auf eine weise berührt, wie es noch kein Junge vor ihm geschafft hat.

Ich weiß nicht, was es ist, doch ich freue mich ungemein auf unsere gemeinsame Zeit nachher. Auch, wenn der Schatten der Missachtung der letzten Tage wie ein schwarzer Schleier meine Stimmung drückt.

 

Bein Frühstück erhalte ich meine erste Eule von Professor Slughorn. Am Freitagabend veranstaltet er sein erstes Treffen für diesen Monat und ich bin herzlich willkommen.

„Wie ich sehe hast du auch eine Einladung erhalten“, schmunzelt Simon und wirft einen Blick auf mein Schreiben.

„Sieht ganz so aus“, lächele ich verschmilzt und stecke den Brief wieder in den Umschlag. „Am Ende des Zaubertränkeunterrichtes können wir ihm dann zusagen.“

„Machen wir“, stimmt er mir zu und widmet sich wieder seinem Gespräch mit Simon und John über irgendeine Quidditchmannschaft, die es in kaum fünfzig Jahren nicht mehr gibt.

 

„Wie der eine sehr gute Arbeit, Miss Capulet!“ „Danke Professor, Slughorn.“

„Haben Sie meine Einladung erhalten?“ „Ja, Professor. Ich werde ihr sehr gerne nachkommen.“

„Sehr erfreulich, Miss. Dann sehen wir uns Freitag im Unterricht wieder, Miss.“

„Bis dann, Professor“, verabschiede ich mich und verlasse mit Simon den Raum. „Was tragen die Mädchen für gewöhnlich bei diesen Treffen?“

„Normale Freizeitkleidung. Nur zum Weihnachtsessen werden Festtagskleider angelegt.“

„dann ist ja gut. Beim nächsten Hogsmeadewochenende muss ich mir wohl ein Kleid kaufen gehen.“ Er lacht. „Die Mädels, meine Schwester allen voran, werde dich sicherlich beraten.“

„Na, dass hoffe ich doch“, schmunzele ich und verabschiede ich von ihm. Tom Riddle hat schon vor mir den Raum verlassen und ich weiß nur zu gut, dass er ungemütlich werden kann, wenn man ihn warten lässt.

 

„Da bin ich“, flöte ich zur Begrüßung uns setze mich ihm gegenüber.

„Du bist zu spät“, stellt er sachlich fest mit einem Blick auf seine Taschenuhr.

„Tut mir leid, dass war keine Absicht.“

„Das will ich auch hoffen.“

„Schicker Ring“, versuche ich das Thema zu wechseln. Ich weiß, dass er ein Horkrux ist, allerdings nicht der, den ich suche. Dieser ist bereits von Professor Dumbledore zerstört worden. Der Fluch, der auf dem Schmuckstück liegt, hat ihn das Leben gekostet. Schade, dass so ein Prachtstück zerstört werden musste. Alter Familienschmuck sollte nicht so behandelt werden.

Er hat Geschichte und viele Leben mitbekommen. Wenn er eine Stimme hätte, könnte er sicherlich viele Geschichten erzählen. Auch, wenn die Geschichten wahrscheinlich grausam, voller Blut, Tod und Folter wären.

„Fangen wir an“, übergeht er mein Kommentar, doch ich lasse nicht locker.

„Ist er ein Erbstück?“

„Heute befassen wir uns mit Bridget Wenlock. Was kannst du mir über sie sagen?“

„An irgendetwas erinnert mich das Zeichen auf deinem Ring, doch ich komme nicht darauf. Weißt du, woher ich es kennen könnte?“

„Bridget Wenlock lebte im 13. Jahrhundert. Sie war die erste Hexe, welche die magische Zahl Sieben untersucht hat. Was fällt dir zu dieser Zahl ein?“

„Ich habe über das Zeichen schon mal etwas gelesen... Ich hab’s! Das steht doch für die drei Heiligtümer des Todes, nicht wahr? Der Elderstab, der Ring, der Verstorbene wiederholt und der Unsichtbarkeitsumhang.“

„Du kennst die Geschichte?“

„Meine Mutter hat mir das Märchen als Kind vorgelesen. Jede Hexe kennt das Märchen.“

„Glaubst du daran?“, erkundigt er sich mit einer Spur Interesse in der Stimme.

„Ja, dass tue ich. Was war deine Frage noch einmal?“, wechsel nun ich das Thema. Ich muss daran glauben. Immerhin hat Harry den Umhang, Tom trägt den Ring und der Elderstab befindet sich sicherlich auch irgendwo.

„Du hast Recht, der Ring ist ein Erbstück. Mein Onkel war so freundlich und hat ihn mir überlassen.“ Klar hat er das. Du hast ihn verhext, den Ring an dich genommen, deinen Vater und seine Familie getötet, aus dem Ring einen Horkrux gemacht und den Mord deinem Onkel angehängt.

Freundlich lächele ich ihn an. „Ich glaube, deine Frage betraf die Zahl sieben  nach Wenlock. Die Zahl bildet die Grundlage der Heptomologie. Heptomologie ist ein Grenzbereich zwischen Hellseherei und Numerologie.“

Darum willst du auch sieben Horkruxe erschaffen, Tom., denke ich mir insgeheim.

„Die Zahl hat generell eine besondere Bedeutung in der magischen Welt. Die Woche hat sieben Tage, Hogwarts hat sieben Schuljahre und -“

„Das langt“, unterbricht er mich mit schneidender Stimme. Ruhiger fügt er hinzu. „Grundkenntnisse sind wohl gegeben. Erfreulich. Das Thema haben wir letztes Jahr um diese Zeit behandelt. Ich habe dir meine Unterlagen mitgebracht mit deren Hilfe ich dir die verschiedenen Bedeutungen erklären werde. Du darfst mitschreiben.“ Eilig krame ich meine Feder heraus und setzte mich aufrecht hin.

„Die Zahl sieben hat in der magischen Welt eine lange Geschichte...“

Bis zum Mittagessen füllt er meinen Kopf mit Wissen über die Zahl. Es ist bemerkenswert. Egal, was er sagt, ich vergesse es nicht. Seine klare, tiefe Stimme brennt sich förmlich in mir ein.

Er hat etwas magisches an sich. Er scheint aus Magie zu bestehen.

Er bleibt immer ruhig und sachlich, gleich wie oft ich ihm Fragen stelle, wenn ich etwas nicht auf Anhieb verstanden habe.

Die Magie, die ihn zu umgeben scheint, zieht mich an. Wie ein Magnet. Kein Wunder, dass er ein so mächtiger Zauberer wird, er ist die Verkörperung von der Magie, die wir andere versuchen zu lernen. Er beherrscht sie.

Sie scheint für ihn geschaffen worden zu sein.

Es ist faszinierend und ich bin gespannt, was ich in nächster Zeit noch alles über ihn herausfinde. Meine Arithmantikschwäche ist das Beste, was mir passieren konnte.

 

„Hallöchen“, begrüßt mich Tina, als ich mich ihr gegenüber neben Jessica auf die Bank setzte. „Da bist du ja! Ich habe mich schon gefragt, ob Riddle dich schon wieder vom Essen abhält und ich dir etwas mitbringen soll.“

„Danke, aber wie du siehst, ist das heute nicht nötig“, lache ich. „Unter der Woche hält mich niemand vom Mittagessen fern. Zumindest nicht ohne wirklich gutem Grund und Arithmantik ist eindeutig nicht gut genug.“

„Solange er dir etwas beibringt“, meint Chantal und isst ein Stück Hühnchen.

„Wie schon erwähnt, dass tut er“, lächele ich bei der Erinnerung an seine forschenden Blicke, wenn er sich nicht sicher ist, ob ich verstanden habe, was er gerade zu mir gesagt hat.

„Beeil dich, sonst kannst du nichts mehr essen, ehe wir zu Zauberkunst müssen.“

„Ja, Mama“, kichere ich und schiebe mir demonstrativ ein paar Nudeln in den Mund.

18. Oktober 1944


Freitag

Heute findet mein erstes Slughorntreffen statt. Ich bin wirklich gespannt, wer alles da sein wird und wie es ablaufen wird.

Ab es am Ende auch so vorzügliches Eis zum Speisen geben wird?

Das Eis war eindeutig immer das Beste am ganzen Treffen. Niemand konnte dem wiederstehen, nicht einmal Hermine, auch wenn sie ab und an einen Anstandsrest hinterlassen hat.

Die Hauselfen übertrafen sich jedes Mal aufs Neue mit dem Nachtisch. Eis ist eindeutig eine Sünde. Eine kalte Sünde.

Wie Tom.

Gestern habe ich mich nicht mit ihm zum Lernen getroffen, dafür habe ich viel Zeit mit meinen Freunden verbracht. Wie haben Schach gespielt und Türme aus Karten gebastelt, die explodieren, sobald man zu lange braucht oder in umwirft.

Es ähnelt sehr dem Spiel <Snape explodiert>.

Wir hatten ziemlich viel Spaß. Vor allem hat es mich gefreut, als Simon Jessica ein Kompliment über ihre neue Haarschleife gemacht hat. Aber das helle Blau hat wirklich gut zu ihren krausen, blonden Locken gepasst.

Sie ist ganz rosa angelaufen und hat sich schüchtern bedankt.

Ihr war das eindeutig peinlich, doch er ist darauf nicht weiter eingegangen. Er lächelte sie einfach an und widmete sich wieder dem Schachspiel, das er gerade mit Benjamin bestritt.

Es war wirklich ein schöner, sorgenfreier Nachmittag.

 

Ich trage ein sonnengelbes Kleid und weiße Ballerinas, als ich die Treppe zum Gemeinschaftsraum herabschreite. Simon wartet schon auf mich. Wir haben beschlossen gemeinsam hinzugehen. Immerhin sind wir die einzigen Gryffindors, die dieser Ehre zuteil werden. So fern man es als Ehre betrachten möchte.

„Versuchst du den Sommer zurück zuholen“, strahlt mich Tina an und betrachtet mich ausführlich.

„Vielleicht“, kichere ich und laufe zum Portrait. „Viel Spaß“, wünscht uns Chantal.

„Sicherlich“, meine ich und ziehe einen undamenhaften Flunsch.

 

„Wie gestalten sich die Slugtreffen für gewöhnlich?“

„Sie sind nicht sonderlich spannend, Claire. Außer uns beiden werden noch eine handvoll Ravenclaw anwesend sein und mehr als genug Slytherins. Unter anderem der Schulsprecher und sein Gefolge. Die Schulsprecherin Catherine Deuce eine Ravenclaw kommt auch regelmäßig. Sie ist sehr unterkühlt. Ich habe sie noch nie lächeln sehen, Nein, halt, ich habe sie schon lächeln sehen, aber es absolut falsch. Nicht wie bei Jessica, nicht so-“ Er unterbricht sich und läuft puderrot an.

„Ich vermute mal, dass du in sie verliebt bist“, stelle ich mit sachlichem Ton fest.

„Sie ist süß, auf ihre Art und Weise“, murmelt er peinlich betroffen.

„Warum sagst du es ihr nicht?“

„Weil ich nicht weiß wie“, ruft er frustriert aus.

„Wo ist Simon?“

„Bitte?“

„Der Simon, den ich kennen gelernt habe, ist selbstbewusst, charmant und mutig. Neben mir muss sein Doppelgänger laufen.“

„Du verstehst das nicht“, seufzt er traurig.

„Stimmt, dass tue ich nicht“, sage ich während des Türöffnens und betrete Slughorns’ Büro.

„Ah Miss Capulet und Mister Wood, wie erfreulich, dass sie es pünktlich zu meinem Abendessen geschafft haben.“

„Es wäre eine Schande ihr Abendessen zu verpassen, Professor“, strahle ich ihn an und fürchte demnächst einen Wangenkrampf zu erleiden.

Slughorn gluckst vergnügt. „Ich habe ihnen einen Platz zwischen dem Schulsprecher und ihrem Freund freigehalten. Wissen Sie, ich will mich erst einmal ausführlich mit Ihnen unterhalten.“

„Es wird mir ein Vergnügen sein“, strahle ich ihn weiter hin an, nur um hinter seinem Rücke die Augen zu verdrehen, was Simon zum Grinsen bringt.

Bestimmt schiebt Simon mich weiter in den Raum hinein und zieht mir meinen Stuhl zurück.

„Danke.“

„Gern geschehen“, meint er und setzt sich neben mich.

„Gefällt es Ihnen auf Hogwarts?“, spricht mich der Professor an.

„Ja, sehr gut. Der Unterricht ist kompetent gestaltet und meine Mitschüler sind zum größten Teil sehr höflich“, schleime ich schamlos. Ich bin ja nicht umsonst mit Granger und Graves in eine Klasse gegangen. Dumme Zimtzicken.

Slughorn gluckst wieder belustigt. Riddle scheint eher befremdet, dass wir über ihn hinwegsprechen. Oder er fühlt sich von meinen Worten angeekelt. Kann ich ihm nicht persönlich nehmen, wenn ich ehrlich bin.

Die Unterhaltung plätschert in eben diesem Stil noch ein wenig vor sich hin, bis der Salat als Vorspeise erscheint. Dann widmet der Professor seine ganze Aufmerksamkeit dem Gericht.

Einleichtes Schweigen hat sich über die Abendgesellschaft ausgebreitet, nur Unterbrochen von dem Klappern des Besteckes auf den Tellern und das Klirren der Gläser, wenn sie zurück auf den Tisch gestellt werden.

Alle haben ausgezeichnete Tischmanieren. So ein Geschlinge wie es Ron Weasley an den Tag legt, gibt es hier nicht.

Bis zum Hauptgang hat sich die Stimmung einigermaßen gelockert. Vereinzelt unterhalten sich die Schüler und auch ich diskutiere mit Simon über Quidditch. Das erste Turnier des Jahres steht kurz bevor und ich bin gespannt, ob der eigentliche Kampf zu dieser Zeit schon zwischen Slytherin und Gryffindor stattfindet.

Allerdings kenne ich mich weder mit Quidditchteams aus, noch habe ich jemals Quidditch im Wandel der Zeit gelesen. So kommt es, dass ich wenig zu dem Gespräch beitragen kann und es eher einem Monolog Simons gleichkommt. Zumindest bis der Ravenclaw auf der anderen Seite von ihm sich mit in das Gespräch einklingt.

„Wie ich merke, kennst du dich nicht sonderlich gut mit Quidditch aus“, erklingt eine tiefe, melodische Stimme zu meiner Linken.

„Zu meinem Leidwesen nicht. Es ist ein sehr beliebtes Thema im Gryffindorgemeinschaftsraum und durch mein Unwissen bin ich oft im vornherein nicht in die Unterhaltung meiner Hausgenossen integriert.“

„Dich sollten andere Dinge beschäftigen, als die Ignoranz deiner Mithausgenossen.“

„Da hast du wohl Recht“, seufze ich. „Ich nutze die Zeit auch meistens zum Lernen oder um etwas zu lesen.“

„Deinen Arithmantikkünsten kam das nie zu Gunsten“, spottet er herablassend.

„Jeder hat seine Schwächen“, protestiere ich halbherzig.

„Ich nicht!“, streitet er ab.

„Doch, du auch. Wenn du sie noch nicht kennst, dann wirst du sie noch finden. Aber man kann an seinen Schwächen arbeiten. Und weißt du was? So mancher könnte deine Arroganz als Schwäche betrachten!“

„Ich bin nicht arrogant. Ich weiß nur, was ich wert bin“, erklärt er sich.

„Man kann es sich auch leicht machen“, seufze ich und nehme einen Löffel Gemüsesuppe zu mir.

Ich kenne seine Schwächen. Unterschätzung von anderen und Verachtung der Macht der Liebe.

Doch, wenn ich ihm das sage, kann ich gleich vergessen, dass ich eine Chance auf sein Vertrauen habe.

 

Beim Nachtisch nehme ich das Gespräch wieder auf. „Wann treffen wir uns wieder?“

„Mittwoch. Gleiche Uhrzeit, gleicher Ort. Versuch schon einmal die Hausaufgaben zu bearbeiten, ich spreche sie dann mit dir durch, soweit du gekommen bist.“

„Warum nicht früher?“ Leichte Enttäuschung macht sich breit.

„Ich habe Schulsprecherpflichten zu erledigen, außerdem möchte ich ein wenig Zeit zum Lernen nutzen und mit meinen... Freunden verbringen.“ Aha. Er zögert auch, wenn es darum geht seinen Begleitern eine Bedeutung zu zuschreiben. Wahrscheinlich will er nicht den Begriff Todesser mir gegenüber verwenden, damit ich keine Fragen stelle.

Noch klebt nur das Blut seiner Familie an seinen Händen. Er hat noch keine Macht. Niemand weiß davon. Er hat noch nicht einmal seinen Abschluss, bestehend aus Ohnegleichen. Noch fürchtet niemand seinen Namen, noch ist sein Geburtsname in Verwendung.

Noch fürchtet niemand die Todesser.

Eigentlich lebe ich nicht einmal. Das hier ist alles so verdreht.

Ich kenne ihn nur, als entstelltes Monster, mächtig, bösartig, folternd und gefürchtet.

Aber der Junge, neben welchen ich gerade sitze. Der Junge, der mir in Arithmantik hilft. Der Junge, der sich Stück für Stück tiefer in mein Herz gräbt.

Diesen Jungen kann ich nicht mit Lord Voldemort vereinbaren. Obwohl die Grundsteine bereits gelegt sind.

Er ist so ruhig und überlegt. Stets hilfsbereit und höflich anderen gegenüber.

Selbstverständlich ist er manipulierend, berechnend und selbstbewusst. Ja. Gar lieblos, kalt und rassistisch, kann man ihn jetzt schon nennen.

Aber es fällt Menschen leicht einem hübschen Gesicht solche Makel nach zusehen. Vor allem, wenn sie nicht offen zur Schau gestellt werden.

Sein Können ist eher beeindruckend als beängstigend.

Niemand hier kann sich vorstellen, dass Zauberer und Hexen beim Klang seines flüsternd ausgesprochenen Namen zusammenzucken werden, wimmern werden.

Er ist ein beliebter Musterschüler und von den Lehrern geachtet. Manch Mädchen verehrt ihn und würde ihn ohne mit der Wimper zuzucken in ihr Bett lassen.

Es fällt mir schwer ihn als Bösen zu betrachten.

Nein, es fällt mir nicht schwer. Ich kann es schlichtweg nicht.

Spätestens, wenn ich ihn sehe oder mit ihm spreche, seiner weichen, samtigen Stimme lausche, ist es um mich geschehen.

Er ist dann für mich ein Mitschüler, hochintelligent und scharfsinnig vor dem ich mich in Acht nehmen muss, damit ich mich nicht verbrenne. Nein, nicht verbrenne. Er ist eiskalt.

Damit ich nicht erfriere und in tausend Stücke springe.

Es ist zum verrückt werden. Manchmal verliere ich sogar meinen Auftrag aus den Augen. Wenn ich so weiter mache, werde ich Scheitern und die Welt wird wegen mir zu dem Schrecklichsten Ort, den man sich vorstellen kann.

Bei Merlins Unterhose, ich muss mich echt zusammen reißen.

So toll ist Tom Riddle nun doch nicht.

„Noch etwas Torte, Claire?“, bietet er mir höflich an und legt das Stück schon auf meinen Teller, ehe ich wiedersprechen kann.

„Ja, gerne“, murmele ich trotzdem überrumpelt.

Lächelnd sehe ich auf in seine dunklen Augen. Ein Fehler wie sich herausstellt.

Ich versinke in ihnen wie ein Stein in einem tiefen See, dessen Grund man nicht erkennen kann. Einem See über den man fantasieren kann. Einem See, dem man unglaubliche Wunder andichten kann.

Nur das die Wunder in diesem See von dunkler, böser Natur sind.

Aber dennoch Wunder und faszinierend.

Was macht er bloß mit mir? , schießt es mir verzweifelt durch den Kopf.

Er unterbricht den Blickkontakt und isst einfach weiter.

Als würde ich keine Spuren in ihm hinterlassen.

Doch, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als Spuren in ihm zu hinterlassen. Ihn zu verändern und auf eine andere Art die Welt zu retten.

Durch Liebe.

Und letztendlich wird es auch so kommen. Doch, es wird nicht seine und meine Liebe sein.

Sondern, die vieler Menschen für einander.

Denn er kann nicht lieben. Er will nicht lieben. Er glaubt nicht an die Existenz von Liebe.

Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und es hat schon so mancher das Lieben gelernt.

23. Oktober 1944


Mittwoch

Die letzten Tage habe ich in einem gleichbleibenden Rhythmus verbracht. Am Wochenende habe ich ein wenig gelernt, Hausaufgaben gemacht, gelesen und Zeit mit meinen Freunden verbracht. Besonders mit Tina hatte ich viel Spaß.

Den Montag und Dienstag ging ich zuerst in den Unterricht, dann machte ich Hausaufgaben und dann redete ich ein wenig mit meinen Freunden.

Trotz dem vielen Spaß, den ich mit ihnen hatte und meinem selbstauferlegten taffen Zeitplan habe ich an diesem Wochenende Neville, Ginny und einige Andere aus dem Raum der Wünsche sehr vermisst.

Ginnys Lachen und ungebrochenen Glauben in Harry, Ron und Hermine.

Nevilles uneingeschränkte Freundschaft und Unterstützung. Die Tatsache, dass es nichts auf der Welt gibt, worüber ich nicht mit ihm hätte reden können.

Seine liebevolle Art und innere Kraft die Folter zu überstehen und keinen Schmerz zuzeigen, um jüngeren Schülern Mut zumachen, haben mir immer Kraft gegeben.

Kraft, es selbst durchzustehen. Den Glauben nicht zu verlieren. Den Glauben, an eine heile Welt.

An eine Welt ohne Voldemort.

Eine Welt ohne Diskriminierung und Folter.

Die Gedanken an ihn und all die Anderen haben mir meine Aufgabe wieder bewusst gemacht. Die Dringlichkeit mit der ich erfolgreich sein muss.

Vielleicht hat auch der Umstand dazu beigetragen, dass ich ihn am Wochenende gar nicht sah. Außerdem habe ich nicht mit ihm gesprochen und ihn während des Unterrichtes so gut wie möglich ignoriert.

Immerhin tat er das auch.

Bis auf gestern früh, da begrüßte er mich mit einem kleinen Kopfnicken und hielt Mulciber davon ab mich zu belästigen.

Wenigstens habe ich mit der Zeit gelernt, dass es noch ein paar andere Mädchen gibt, denen Mulciber zu nahe tritt. Bei diesen schreitet der Schulsprecher allerdings nicht ein.

Eine Tatsache über die ich längere Zeit nachgedacht habe. Ich war Sonntagabend sogar soweit mit dem Gedanken zu spielen Tina zufragen, was sie davon hält. Ob ich dem eine Bedeutung beimessen sollte, selbst wenn diese noch so gering wäre.

Es wäre ein Schritt meinem Ziel näher.

Einem Ziel, das ich wieder in Angriff genommen habe.

Doch, diese Argumentation wäre lediglich der Versuch mich selbst zu belügen.

Ich wünsche mir, dass das eine Bedeutung hat.

Ich will, dass ich die Einzige bin, die Tom in Schutz nimmt.

Es sind nicht ausschließlich egoistische Gründe. Selbstverständlich liegt mir das Wohl meiner Freunde, deren Familien, meiner Familie am Herzen.

Die Existenz einer Welt, in der jeder, der sein kann, der er sein will. Ohne Einschränkungen. Absolute Meinungsfreiheit, keine Folter, sobald man diese vertritt.

Ich kämpfe für Menschen, die ich kenne, für Menschen die ich noch nie gesehen habe und Menschen, die mir am Herzen liegen.

Ich kämpfe für eine freie Welt.

Der eigene Vorteil davon ist nicht mein einziger Handlungsgrund. Vielleicht überlebe ich den Krieg nicht.

Vielleicht überleben meine Freunde den Krieg nicht.

Und ganz sicher werden viele mir unbekannte das Leben lassen. Mehr, als es bereits getan haben.

Das Abschlachten von Muggeln und Muggelstämmigen wird erst dann ein Ende finden, wenn Lord Voldemort und seine Anhänger ein Ende gefunden haben.

Den Tod, Azkaban oder den Kuss des Dementors. Es ist mir gleich.

Dem Übel muss ein Ende gesetzt werden, auch wenn ich dafür das Vertrauen eines Menschen missbrauche, der mir inzwischen mehr bedeutet, als gut für mich ist.

Ich bin keine zwei Monate hier und habe erst wenige Stunden mit Tom Riddle verbracht, aber meine Faszination für ihn ist beinahe greifbar.

Ich bin mir nicht sicher, ob man es als Verliebtheit bezeichnen kann, ich weigere mich es als das zu betrachten, aber es sind auf jeden Fall freundschaftliche Gefühle.

Meine Schritte hallen gespenstisch durch die verlassenen Gänge Hogwarts.

Die Fackeln, welche aufleuchten, sobald ich in die Nähe komme, werfen flackernde Schatten an die Wände und scheinen diese zu beleben.

Schwarze Geister, die von Feuerschein umhüllt an den Wänden tanzen.

Geistwesen, die unheimlich erscheinen, ein beklommenes Gefühl herbeirufen. Das Gefühl beobachtet zu werden, als würde Filch jeden Moment um die nächste Ecke kommen.

Doch hier gibt es noch keine Filch. Hier gibt es nur Apollyon Pringle, ein Hausmeister, der seinem Namen alle Ehre macht.

Apollyon oder Abaddon, der Zerstörer in der Tora.

Leider verlässt mich das Gefühl der Beobachtung nicht. Doch ich höre keine Schritte einer anderen Person. Die frühe Uhrzeit und die beängstigende Stille müssen mir einen unschönen Streich spielen.

Leicht knarrt die schwere Doppeltürhälfte der Bibliothek, als ich sie ein Stück weit öffne.

Die Sonne geht gerade auf und sendet schwache, kaum wahrnehmbare Strahlen in den Raum. Der Staub fliegt glänzend in dem matten Licht und ein Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass die Erde mit einer Schicht grauer Watte überzogen ist.

Nebel, wie eine Decke breitet er sich über die Schossgründe aus und verdichtet sich über den See.

Die morgendliche Kälte entzieht dem noch vom Sommer erwärmten See die Wärme.

Ob er dieses Jahr zu frieren wird? Schön wäre es, dann könnte ich mit Tina und den Anderen Schlittschuhlaufen gehen.

Mit einem leichten Schleifgeräusch setze ich die Tasche ab und entnehme ihr, Tinte, Feder, Pergament und die hausaufgabenrelevanten Bücher.

Leise summe ich vor mich hin. <Für Elise> von Beethoven. Ein wirklich begabter Muggel.

All diese Schönheit auf der Welt wird Tom niemals kennen lernen.

Nein, dass stimmt so nicht. Vielleicht kennt er sie ja. Immerhin ist er in einem Waisenhaus für Muggel groß geworden und ging auch da zur Schule.

Sicherlich haben sie über solch fantastische Werke gesprochen.

Sie habe ihn nur nicht berührt.

Er ist innerlich so verhärtet und erkaltet, dass alle Schönheit des einfachen Lebens ihn nicht mehr erreichen kann.

Solche Kleinigkeiten prallen an ihm ab. Wahrscheinlich würde er nicht einmal die Schönheit der Morgenstimmung realisieren.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass er rein logisch denkt. Doch sein verbohrtes Streben nach Macht und der Herrschaft der Zauberer zeigen mit etwas anderes.

Er handelt sehr wohl emotional. Er merkt es nur nicht. Er hält sich für unfehlbar.

Er tut mir leid. Er berührt etwas in mir, dass den Wunsch weckt ihm die Schönheit des Lebens zuzeigen.

Es hat so viele schöne, fröhliche Seiten, die an einem vorbeiziehen wie ein warmer Frühlingswind und Vorfreude auf mehr hinterlässt.

Vorsichtig streiche ich die überflüssige Tinte vom Federschaft ab und setze sie auf das Pergament, nur um festzustellen, dass ich den Aufsatz für Slughorn schon einmal verfasst habe und dort einfach das Datum ändern und seine Benotung entfernen muss.

Schnell führe ich dieses Vorhaben aus und kann somit noch einmal in Arithmantik reinlesen, damit ich mich nachher vor Tom nicht all zu sehr blamiere.

„Wolltest du gerade eben nicht noch Hausaufgaben machen?“

Erschrocken zucke ich zusammen, als Riddles Stimme durch die Luft schneidet.

„J- ja, wollte ich“, stottere ich in der Bemühung mich zu fangen. „Aber ich habe es mir dann doch anders überlegt.“

„Was hast du gerade in der Schultasche mit deinem Zauberstab gemacht?“

„Etwas gesucht?“, stellte ich hoffnungsvoll als Antwortmöglichkeit. Er schüttelt den Kopf.

„Da hättest du einen Accio verwendet.“

Nervös beiße ich mir auf die Lippe. Ausgerechnet heute muss er mal wieder früh in die Bibliothek kommen. Das ist mein Reich. Hier hat er um die Uhrzeit nichts verloren. Und ausgerechnet heute muss ich ein Dokument abändern und von ihm beobachtet werden. Ausgezeichnet.

„Was willst du?“, lenke ich harsch ab. Er zieht herablassend eine Augenbraue hoch und beugt sich zu mir herunter, sodass seine Nase beinahe die meine berührt.

„Die Wahrheit über dich. Nichts als die Wahrheit. Du bist ein Rätsel und du stößt mich immer vor den Kopf, wenn ich dich etwas Persönliches frage.“

„Das geht dich auch nichts an!“

„Aber von mir verlangst du, dass ich dir immer Antworten gebe!“

„Das ist etwas Anderes!“, fauche ich ihn erbost an. Einerseits ist es gut, dass er Interesse für mich zeigt und andererseits kann es mir gefährlich werden.

„Ist es nicht, Capulet und das weißt du auch.“ Sein nüchterner Tonfall klingt drohender als jedes Gebrüll. Er kreiselt seinen Eibenholzzauberstab zwischen den Fingern und lässt mich mit seinem kalten Blick nicht aus den Augen. Ich schlucke schwer. So ähnlich fühlt sich also ein Todesser, wenn er eine Bestrafung fürchtet. Nur, dass mir keine wiederfahren wird.

Zumindest nicht hier. Nicht in dieser Zeit. Wenn er mich zuhause findet, wäre es vorbei. Er ist sicherlich grausamer, als die Carrows, was ich mir mit meinem Verstand gar nicht richtig vorstellen kann.

„Ich habe auf einem Pergament etwas abgeändert“, flüstere ich und sehe ihm in die Augen wie ein scheues Reh in die Lichter eines nahenden Autos.

„So einfach die Antwort und doch viel es dir so schwer sie mir zu geben“, säuselt er und verzieht seinen Mund grausam. Ein Schauer läuft meinen Rücken herab und ich schließe für einen Moment die Augen um die aufsteigende Angst zu unterdrücken.

Als ich sie wieder öffne ist er verschwunden. Ich habe nicht gehört wie er sich bewegt hat und über den harten Boden gelaufen ist. Ich habe auch nicht gemerkt wie er sein Gesicht von meinem zurückgezogen hat.

Aber ich habe ihn auch nicht kommen hören. Er muss einen Stillezauber über seine Füße gelegt haben, damit ich ihn nicht höre.

Obwohl er weg ist, verlässt mich das Gefühl der Bedrängnis nicht. Sein Auftritt hat mich so geängstigt, dass es mir noch in den Knochen steckt. Er wusste ganz genau wie er mich einschüchtern kann. Er wusste es. Und er hat mir gezeigt, welche Macht er über mich ausüben kann.

Ich muss vorsichtiger werden. Ich muss wirklich vorsichtiger werden.

Leicht zittrig versuche ich mich wieder auf die Unterlagen vor mir zu konzentrieren. Vergeblich.

Meine Gedanken kreisen um Tom Riddle und sein Verhalten. Sein uneinschätzbares Auftreten.

Er ist ein Mysterium. Und ich bin wie ein Wissenschaftler, der dahinter kommen möchte, selbst, wenn es ihn das Leben kostet.

 

„Du siehst schon den ganzen Tag aus, als hättest du ein Gespenst gesehen! Bist du krank?“

„Nein, Tina. Ich bin nicht krank“, seufze ich und streiche mir eine Strähne aus dem Haar, die aus meinem Zopf geflohen ist.

„Aber irgendetwas ist los! Das merke ich dir doch an! Ist es, weil du gleich Nachhilfe hast? Soll ich mitkommen? Hat er dir etwas getan?“

„Nein, hat er nicht“, seufze ich. Er hat mir ja wirklich nichts getan. Und trotzdem ist sie mit dieser Vermutung näher am Problem, als sie ahnt.

Ich fürchte mich wirklich ein wenig vor unserem nahenden zweiten Zusammentreffen heute. Das Erste hat mich immer noch nicht losgelassen. Es scheint sich wie ein wütendes Tier in mich hineinzufressen.

In solchen Momenten verstehe ich, dass alle auf ihn hören. Seine natürliche Autorität bringt einen einfach dazu die Wahrheit sagen zu wollen.

„Aber es hat was mit ihm zu tun“, beharrt sie auf ihrem Standpunkt und ich widerspreche ihr nicht.

„Gut! Du willst es mir nicht sagen, aber ich bringe dich jetzt mit zur Bibliothek und warte mit dir auf ihn.“

Zustimmend seufze ich und lasse mich von ihr begleiten. „Wenn was ist, sagst du mir das, nicht wahr?“

„Klar“, lächele ich sie dankbar an. Sie ist wirklich eine der besten Freundinnen, die man sich wünschen kann.

Gemeinsam betreten wir die Bibliothek und machen uns auf den Weg zu meinem Stammplatz, der glücklicherweise auch noch nicht besetzt ist.

Sie lehnt sich mit ihrer Hüfte gegen den Tisch und erzählt mir den neusten Klatsch, während ich mein Material vorbereite.

„Ich wusste nicht, dass wir Gesellschaft haben“, erklingt Riddles’ Stimme hinter Tina, die erschrocken ihren Mund zuklappt. Sie hat ihn nicht kommen hören und steht mit dem Rücken zur Tür, sodass sie ihn im Vergleich zu mir nicht kommen sah.

„Sie wollte gerade gehen, oder Tina?“, wende ich mich entschuldigend lächelnd an sie.

„J- ja“, stottert sie immer noch erschrocken und sieht ihn verschreckt an. Ich kann es ihr nicht übel nehmen. Mir würde es nicht anders an ihrer Stelle gehen.

„Bis nachher“, verabschiede ich mich von ihr und beobachte Tom beim Hinsetzen.

„Was wollte sie?“

„Sich mit mir unterhalten.“

„Warum?“, hakt er misstrauisch nach.

„Weil wir Freunde sind, Tom. Freunde reden miteinander, helfen einander, lachen miteinander“, erkläre ich ihm. „So wie du und ich“, hänge ich zögerlich hinten dran. Das ist gefährliches Terrain, wo ich mich so eben hinbegeben habe.

Er sieht mich einfach an. Sein Blick ist starr, forschend. Als würde er in meinem Gesicht nach der Wahrheit suchen.

Nervös beiße ich mir auf die Innenseite meiner Unterlippe, bis ich Blut schmecke.

„Du betrachtest uns als Freunde?“ Aus seinem Mund klingt das Wort beinahe abstoßend, doch ich lasse mir nichts anmerken.

„Eigentlich schon, ja“, bestätige ich so selbstsicher wie möglich.

Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Gut.“

„Was ist gut?“, frage ich irritiert nach.

„Dann sind wir eben... Freunde.“ Und das Wort klang nicht mehr ganz so abwertend wie vor wenigen Minuten noch.

2. November 1944




Samstag


„Was soll daran denn falsch sein, Tom?“
Tom. Nachdem ich ihn offiziell, als einen Freund betrachten darf, nenne ich ihn Tom. Nicht mehr Riddle. Das war das erste Zugeständnis, das ich mir gemacht habe.
Er hat sich in den letzten Tagen daran gewöhnt, dass ich ihn Tom nenne, ihn auf dem Gang zunicke oder ihm ein kleines Lächeln zu werfe, wenn wir vor dem Klassenraum auf den Unterrichtsbeginn warten.
Er lächelt nie zurück. Nie. Er sieht mich nur kurz an. Aber dafür ist der Blick so intensiv, dass mir jedes Mal ein Schauer den Rücken runter läuft.
Außerdem scheint er seine Freunde in meiner Gegenwart noch mehr an die kurze Leine gelegt zu haben. Zumindest belästigen mich Mulciber und Rookwood nicht mehr.
Nur ein guter Beobachter kann mitbekommen haben, dass sich etwas geändert hat. Nur jemand, der unsere vorherige Beziehung kannte.
Leider ist Anna so eine Person. Sie hat mich nicht darauf angesprochen. Sie hat mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet, als sie es gemerkt hat. Mit einem Schulterzucken hatte ich es abgetan und bin hinter Susan in den Klassenraum gehuscht.
„Was daran falsch ist? Seh dir noch einmal ganz genau an, was du da geschrieben hast“, befiehlt er mit ruhiger Stimme und verzieht arrogant die Lippen. Genervt schnaube ich und lese es mir zum bestimmt siebten Mal durch.
„Ich finde meinen Fehler wirklich nicht!“
Frustriert greife ich mir mit der freien Hand in die Haare.
Seit knapp einer Stunde sitzen wir an unserem Stammtisch in der Bibliothek und er lässt mich verschiedene Dinge berechnen, damit ich sicherer im Umgang mit den Tabellen werde.
Es ist das letzte Hogsmeadwochenende vor den Weihnachtsferien und ich muss noch Geschenke kaufen und ein Kleid für Slughorns Weihnachtsparty.
Allerdings lässt Tom mich erst gehen, wenn ich diese Rechnung richtig gestellt habe.
„Seh dir gang genau die Kongruenz zwischen dem Mondlauf und dem Stand des Saturns an! Und dann sag’ mir, was du falsch gemacht hast“, fordert er mich ein weiteres Mal auf ohne die Miene zu verziehen.
Wenigstens tut er mich nicht als hoffnungslosen Fall ab, sondern bewahrt Ruhe und gibt mir geduldig einen Tipp nach dem Anderen.
Ich an seiner Stelle wäre längst gegangen oder hätte mich angeschrieen, aber so ein Verhalten scheint unter seiner Würde zu sein.
Leise fluche ich vor mich hin. Tina und die Anderen sind bestimmt schon unterwegs in den Honigtopf oder in den Drei Besen Butterbier trinken und ich sitze hier und erkenne nicht... DAS ICH DIE SATURNKARTE FALSCH HERUM LIEGEN HABE!
„Ha!“ Rufe ich triumphierend aus und beginne die Rechnung auszubessern. „Und das hättest du mir nicht einfach sagen können?“
„In der Abschlussprüfung werde ich das auch nicht können und das ist dir hoffentlich eine Lehre.“
„Bestimmt“, strahle ich ihn an. Es ist wahrlich ein Hochgefühl seinen Fehler selbst zufinden und auszubessern.
Endlich habe ich es geschafft. Einem entspannten Nachmittag steht nichts mehr im Wege. Honigtopf, Drei Besen, Zonkos, Schreibwarenladen und ein Einkleidungsgeschäft.
Wie gesagt, die Anderen sind bereits weg, doch ich bin mir sicher, dass ich vor allem alleine ein wenig ausspannen kann und meinen Kopf frei bekomme.
Das habe ich bitter nötig. Die viele Zeit, die ich mit Tom verbringe, Jessicas und Simons aneinander vorbei Gerede, Tinas nonstop Gequassel und das Gelächter anderer Mädchen, wenn wieder etwas in Haushaltsführung schief läuft.
Früher haben meine einsamen Morgenstunden das ausgeglichen, doch inzwischen sind sie seltener einsam. Oft setzt sich Tom einfach zu mir in die Bibliothek, liest oder lernt.
Selten fällt ein Wort. Meist fällt auch die Begrüßung aus.
Es ist ein kollektives Schweigen und durchaus angenehm. Ich habe kein Grund mich darüber zu beschweren, doch ich weiß nie wie ich seine Gegenwart auffassen soll.
Ist es, weil er mich mag?
Will er mich im Auge behalten, wegen dem Zwischenfall mit den Slughorn Hausaufgaben?
Will er mich kontrollieren?
Oder gar für seine Sache gewinnen? Der Machtübernahme über die Welt und Ausrottung muggelgeborener Hexen und Zauberer? Der Versklavung und Missbrauch von Muggeln?
Er ist undurchschaubar und ich schaffe es nicht ihn einzuschätzen.
Dieser Umstand macht mich so nervös, dass ich es nicht schaffe komplett zu entspannen, wenn er in der Nähe ist.
Immerzu wende ich Okklumentik an.
Inzwischen ist es beinahe Gewohnheit die mentalen Schutzschilde aufrecht zuhalten. Automatisch. Kaum Kraft kostend.
Niemals hätte ich gedacht, dass mir diese Fähigkeit so wichtig erscheinen wird.
Überlebenswichtig. Und das im wahrsten Sinn des Wortes.
„Geschafft“, schiebe ich ihm erleichtert meine ausgebesserte Auswertung rüber.
Er wirft einen kurzen Blick darauf und nickt.
„Fertig?“
„Ja. Du kannst gehen, deine Freunde warten sicherlich schon auf dich.“
„Ich bin nicht mit ihnen verabredet. Ich wusste ja nicht, wann ich fertig werde.“
„Du willst nicht nach Hogsmeade?“
„Doch. Aber ich war noch nie dort und bin mir nicht sicher, ob ich ohne Hilfe alles finden werde... Du bist sicherlich mit deinen Freunden verabredet und hast besseres zu tun, als mit einem Mädchen aus Gryffindor Weihnachtsgeschenke zu kaufen, oder?“
„Weihnachten ist überbewertet.“
„Finde ich nicht! Es ist die Zeit des Zusammenkommens und das Fest der Liebe!“
„Es gibt keine Liebe“, meint er harsch.
Erschrocken halte ich inne und richte mich auf. Voller Mitleid begegne ich seinem Blick, sage jedoch nichts. Jede Diskussion würde sich im Sand verlaufen.
Die fröhliche Stimmung, die ich eben noch inne hatte, ist je verflogen.
Tom scheint den Stimmungsumschwung gemerkt zu haben, denn er seufzt. Ein Geräusch, dass ich nie bei ihm erwartet habe.
„Wenn wir uns nicht beeilen, schaffen wir es nicht mehr all deine Einkäufe zu erledigen.“
Überrascht sehe ich ihn an.
„Das heißt, du begleitest mich?“ Meine Augen verfolgen seine Bewegungen beim Aufstehen.
„Ich bin der Schulsprecher. Ich muss dir als Neue schließlich zeigen, wo man was für den täglichen Bedarf erhält.“
„Danke! Ich bringe nur die Tasche schnell hoch!“ Strahle ich ihn fröhlich an. Er muss ja nicht wissen, dass mir sehr wohl bewusst ist, dass das nicht zu seinen Pflichten gehört.
Eigentlich könnte er jetzt tun und lassen, was er will. Doch er begleitet mich nach Hogsmeade!
Ich sprinte förmlich die Treppen nach oben und keuche schon nach der Hälfte der Strecke. Ich sollte eindeutig mehr Sport treiben.
Schnell kämme ich mir das Haar, werfe mir meinen dicken Winterumhang über und stecke meine Geldbörse ein.
Tom geht mit mir nach Hogsmeade!
Also mag er mich zumindest ein bisschen!
Oder will er mich auch dort einfach im Auge behalten? Erwartet er, dass ich mich irgendwie verrate? Durch eine unbedachte Handlung oder Tat?
Zweifelnd runzele ich die Stirn. Ich muss aufpassen, was ich tue. Seine Sinne sind immer wachsam.
Mad Eye Moody hatte recht, als er uns jeden Tag „immer wachsam“ einschärfte. Man darf seien Deckung nicht fallen lassen.
Ein wenig langsamer mache ich mich auf dem Weg in die Eingangshalle, wo Tom bereits wartet. Ebenfalls in einen warmen Mantel gehüllt.
Lächelnd laufe ich auf ihn zu.
Egal, was er mit diesem Nachmittag bezweckt: Ich werde ihn genießen und ihn als weiteres Mittel in meinem Auftrag benutzen.
Ich darf Professor Snape nicht enttäuschen. Er hat sich schon so oft über mich lustig gemacht, wenn ich jetzt versage, dann sieht er sich nur bestätigt in seiner Annahme, dass ich eine Versagerin bin.
„Können wir los?“ Reißt er mich aus meinen Gedanken mit seiner unheimlich attraktiven Stimme.
Wieso ist ein Mann wie er mit solchen Attributen ausgestattet?
Das ist doch Hippogreifenmist!

Stille umgibt uns auf den Weg ins Dorf. Nur das Rascheln unserer Kleidung und die knirschende Schritte auf den Kies sind zu hören. Fröstelnd vergrabe ich meine Hände in meine Umhangtaschen. Der Atem steigt als Dunstwolke auf, die man nur erkennt, wenn man sich auf sie konzentriert.
Ich hätte Handschuhe oder zumindest eine Mütze mitnehmen sollen.
Tom neben mir läuft, als würde er gar nicht merken, dass es kalt ist. Der schottische Herbst hat es wirklich in sich.
„Warum ist dir nicht kalt?“ Frage ich ihn kurz vorm Zähneklappern.
„Wärmezauber.“
Verdammt. Daran hätte ich auch denken können. Doch jetzt käme es dämlich ihn noch anzuwe- nden
Mit großen Augen wende ich mich Tom zu.
Er zuckt mir den Achseln. „Ich konnte doch nicht zulassen, dass du frierst“, beantwortet er mir meine unausgesprochene Frage.
Mit einem Gefühl der Ungläubigkeit wende ich mich wieder nach vorne.
Tom Riddle, der zukünftige Lord Voldemort, nur um es im Gedächtnis zu gehalten, macht sich Sorgen um mein Wohl.
„Danke“, flüstere ich und hake mich vorsichtig bei ihm unter. Als er diese Geste weder ablehnt, noch sonst irgendeine negative Regung zeigt, bleibe ich an Ort und Stelle und lasse mir zuerst von ihm den Honigtopf zeigen, der inzwischen schülerfrei ist und der Verkäufer interessiert sich nicht weiter für uns.
Für heute hat er gute Geschäfte gemacht und ein Pärchen – zumindest nehme ich an, dass wir so auf unser Umfeld wirken, dass uns nicht kennt – ist etwas alltägliches.
Woher sollte er auch wissen, wer der junge Mann ist? Sein wird? Was er tun wird?
Woher sollte er wissen, dass das Mädchen eine Zeitreisende ist mit dem Auftrag die Welt zu retten?
„Möchtest du irgendetwas?“ Erkundigt sich Riddle. Er wirkt desinteressiert, doch ich bin mir nicht sicher, ob es diesmal nur eine Maske ist.
Wahrscheinlich ist er es nicht gewohnt alleine mit einem Mädchen unterwegs zu sein.
Diese Desinteresse wirkt auf mich wie ein Selbstschutz und deshalb übergehe ich den Tonfall und lächele ihn warm an.
Er kann ja nichts dafür, dass er so ist wie er ist.
Moment.
Habe ich das soeben wirklich gedacht?
Jeder hat die Wahl. Man muss manchen nur weitere Optionen zeigen, weil sie nicht fähig sind diese zuerkennen.
Auch er hat die Macht seinen Weg zu gehen, seine Richtung einzuschlagen. Ich glaube nicht an das Schicksal und wenn Tom sich dazu entscheidet, nicht all diese Gräueltaten zu begehen, dann wäre dem so.
Es war seine Entscheidung, als er den ersten Horkrux schuf und diesen Weg einschlug.
„Ja, ich will Chantal Schokofrösche und Bertie Botts’ Bohnen zu Weihnachten schenken.“
„Süßigkeiten?“ Zweifelnd runzelt er die Stirn, was mich zum Schmunzeln bringt. Er denkt als doch darüber nach, was ich ihm sage. Von wegen Desinteresse und Schulsprecherpflicht.
Innerlich strecke ich seinem Ego die Zunge raus.
„Ja“, bestätige ich nickend und bringe das Gesuchte zur Kasse, wo der Verkäufer sich meiner annimmt. „Sie nascht sehr gerne und Schokolade kann Frau sowieso nie genug haben.“
„Chantal... Ist das nicht das kleine Halbblut, welche mit eurem Quidditchkapitän zusammen ist?“
„Ja, Chantal ist mit John zusammen.“ Das Halbblut überhöre ich geflissentlich. Immerhin ist er auch eins.
Er runzelt kurz die Stirn, als würde er nach weiterem Wissen über sie in seinem Gehirn forsten.
„Gibt es hier einen Laden mit Scherzartikeln? Ich würde Tina gerne etwas ausgefallenes schenken.“
„Da lang“, weißt er mir die Richtung und schiebt mich auf die gefrorene Straße hinaus.
„Schenkst du deinen Freunden nichts?“
„Ich denke nicht, dass wir die Art Freunde sind, die sich etwas schenken.“
„Ich verstehe. Ist eher eine Gryffindor-, Ravenclaw-, Hufflepuffsache“, gebe ich sarkastisch von mir.
„Nicht zwangsläufig.“ Mehr sagt er zu diesem Thema nicht und hält mir demonstrativ die Tür zu dem hiesigen Scherzartikelladen auf. Es ist nicht Zonkos und nicht da, wo Zonkos’ Laden in meiner Zeit steht, dafür erinnert der Laden eher an ein harmloses Burgin & Burkes.
Düster, staubig und nicht gerade fröhlich, wie der Laden der Weasleys. Langsam laufe ich die Regalreihen entlang. Worüber könnte sich Tina freuen?
„Wie wäre es hiermit“, schlägt mir Tom eine Reihe weiter vor. Verwirrt sehe ich ihn an. Hat er meine Gedanken angehört? Nein. Mein Geist ist absolut verschlossen, selbst im Schlaf lasse ich meine Schutzschilde inzwischen nicht mehr ganz fallen. Mein Vater erklärte mir mal, wie man es bewerkstelligt im Schlaf sicher zu sein. Man stellt sich vor eine Mauer um sich zu ziehen uns sich hinter ihr zu verschanzen.
Das menschliche Unterbewusstsein fasst diese Mauer als Schutz auf und hält sie aufrecht, damit einem nichts droht.
Ein ganz simpler Mechanismus, den man lediglich üben muss.
Also, hat er von sich aus über Tinas’ Geschenk nahgedacht. Neugierig umrunde ich mein Regal und laufe zu ihm rüber, um das Objekt näher zu betrachten. Als er es im Halbschatten hochgehalten hat, konnte ich es nicht genau identifizieren.
Es ist ein kleines Fläschchen mit einer cremigen Flüssigkeit. „Was ist das?“ Rutscht mir die Frage heraus, bevor ich auf die Idee komme einfach die beiliegende Beschreibung zu lesen.
„Eine Art Unsichtbarkeitstrank. Er wirkt nicht lange, aber man weiß ja nie für was man ihn brauchen kann.“
Ein Chamäleontrank. Tina würde sich ihrer Umgebung einfach anpassen, wie bei Desillusiozauber. Ob der schon erfunden ist? Sicherlich, aber ich hätte eindeutig besser in Zaubereigeschichte aufpassen sollen.
„Perfekt“, entscheide ich. „Denkst du wir finden auch noch etwas für Jessica?“
„Wir haben Zeit.“ Nun schreiten wir gemeinsam die Reihen entlang. Der Laden ist mir wirklich suspekt. Dieses unterschwellige Gefühl der Bedrohung lässt mich automatisch näher an Tom rücken.
Mir ist das gar nicht näher aufgefallen, bis er nach meiner Hand greift und sie aufmunternd kurz drückt. Welch ungewöhnliche Geste für einen Mann wie ihm. Es gefällt ihm doch Menschen Furcht einzuflößen und zu quälen. Mein unterschwelliges Unbehagen müsste ihn doch amüsieren oder gar erfreuen.
Das er mir einem mutmachende Geste zu kommen lässt, hätte ich niemals erwartet und reißt mich noch tiefer in den Zustand der Verwirrung.
„Ich glaube ich schenke ihr einfach einen Kalender“; stöhne ich entnervt auf, als wir wieder vor dem Laden stehen. Einem Geschenk für Tina und eins für Simon mehr. Das für Simon ist mir wortwörtlich in die Hänge gefallen, als ich es mit meinem Ärmel aus versehen vom Regal gefegt habe.
„Das wäre genauso kreativ wie der Rest auch.“
„Was soll das denn heißen?“ Fauche ich ihn beleidigt an. Ich mache mir wenigstens Gedanken ganz im Vergleich zu ihm. Aber wenigstens hat er zu seinem arroganten Tonfall und seinem ausdruckslosen Gesicht zurückgefunden.
„Wen haben wir denn da?“ Ertönt eine gehässige Stimme. Schnell drehe ich mich Richtung Straße um und mache einen kleinen Schritt zurück, sodass ich beinahe gegen Tom stoße.
„Jane“; begrüße ich meine Hauskameradin frostig. Sie und ihre Mädchenclique nähern sich uns in lauernden Schritten. Beinahe katzenhaft taxiert sie mich. Nur am Rande realisiere ich, wie Tom nach seinem Stab tastet. Dafür nehme ich seine tödliche Ausstrahlung umso mehr wahr. Doch gleichzeitig merke ich, dass seine Stimmung dieses Mal nicht gegen mich geht.
„Ich wusste doch, dass deine kleine Tina mich angelogen hat“, seufzt sie theatralisch und wirft ihre blonde Haarpracht über die Schulter.
Eine eindeutig kokette Geste, die für Tom bestimmt ist.
„Lass uns gehen“, bitte ich Tom so ruhig wie möglich. Ich möchte wirklich keinen Ärger mit der Gryffindor.
Das halbe Haus steht hinter ihr und ich will mir meine Zeit hier so angenehm wie möglich gestalten.
Er nickt unauffällig und ich setze mich in Bewegung.
„Was denn?“ Hält Jane uns auf. Jennifer, ihre beste Freundin, schiebt sich mir in den Weg. „Hast du Angst, dass ich ihm verraten könnte, dass du als Frau nichts taugst?“
Erschrocken zucke ich zusammen. Was soll das heißen <Als Frau nichts taugen>?
„Nicht einmal einen einfachen Backzauber kriegst du geregelt. Egal, was du anfängst, es geht schief. Warst du schon dein ganzes Leben lang so ein Verlierer? Ein Nichts?“
Ihre Worte treffen mich empfindlich. Ein Nichts.
Genau, dass war ich Jahre lang. Ein Niemand. Unbeachtet von der Welt und nicht wahr genommen von den anderen Schülern.
„Ich bin kein Nichts“, krächze ich. Schnell räuspere ich mich. Mit solch einer Stimme werde ich hier sicherlich nicht weg kommen.
Wie zur Bestätigung meiner Gedanken verzieht Jane höhnisch ihr Gesicht und ein Mädchen aus der Reihe kichert boshaft.
„Ich frage mich wirklich, warum er sich mit dir abgibt. Und das schon so lange. Das er noch nicht gemerkt, was für eine unbegabte Hexe du bist, wundert mich. Wirklich, dabei wird ihm doch nachgesagt, dass er seine Freunde nicht willkürlich wählt. Was meinst du“, lächelt sie mich falsch an. „Hat er eine Wette verloren, die ihn dazuzwingt mit dir Zeit zu verbringen?“
Zittrig beiße ich mir auf die Unterlippe. Nein, er hat keine Wette verloren. Doch den Auftrag bekommen mir Arithmantik beizubringen.
Wortlos wende ich mich von der Gruppe ab, stoße Jennifer unsanft zur Seite und fliehe förmlich die Straße entlang.
Luft! Ich brauche Luft! Ich fühle mich wie eine Ertrinkende, deren Weg an die Oberfläche abgeschnitten worden ist.
Immer schneller werden meine Schritte. Bloß weg hier!
Automatisch lenken mich meine Schritte raus aus Hogsmeade. Vor der Heulenden Hütte bleibe ich stehen und lasse den aufgestiegenen Tränen freien Lauf.
Warum? Warum heute?
Natürlich heute. Heute bin ich mit Tom in Hogsmeade. Nicht Morgen. Nicht gestern.
Aber warum mussten mich ihre Worte so treffen? Warum musste ich es ihr zeigen?
Jetzt kennt sie meinen Schwachpunkt. Jetzt kennt Tom ihn.
So wie ich Tom kenne, wird er Fragen stellen. Und Antworten wollen. Die Antworten holen. Er wird wieder typisch Riddle sein. Von dem sympathischen jungen Mann, den ich heute kennen gelernt habe, wird nichts übrig bleiben, wenn er rausfindet, dass ich immer eine graue Maus war.
Was will der Schulsprecher mit so einem Mädchen?
Was will der beliebteste Junge mit einem unbedeutenden Nichts?
Verdammt! Das Mädchen hat alles zerstört!
Ich hatte ihn soweit bekommen.
Das war meine Chance. Zerstört durch einen einzigen Fehler.
Hektisch wische ich mir die Tränenspuren aus den Gesicht und atme tief durch.
Gut, dass ist jetzt ein Rückfall und ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen wird, doch ich gebe noch nicht auf. Zumindest bis zu den Weihnachtsferien halte ich durch.
Das mit den wegrennen war eindeutig falsch, irgendwie muss ich das jetzt wieder ausgleichen. Vielleicht sollte ich ihn suchen und mit ihm reden?
Nachdenklich ziehe ich meine Unterlippe zwischen die Zähne und fange automatisch an eine Strähne um meine Finger zuwickeln, doch bevor ich sie zusammen zwirbeln kann, ziehen elegante Finger sie mir aus der Hand.
„Lass das“, befiehlt er Toms scharf. Tom.
Wo kommt er her?
Woher wusste er, dass ich hier bin?
Ist er mir gefolgt?
Hat er mich gesucht?
Warum darf ich meine Haare nicht anfassen?
Beinahe zärtlich schiebt er die Strähne hinter mein Ohr.
„Du hast geweint“, stellt er mit nüchternem Tonfall fest. Es gibt keinen Grund zu antworten. Es ist eine Tatsache, eine Feststellung. Etwas worauf ich nicht zu antworten brauche.
„Warum bist du weggelaufen?“ Seine Stimme bleibt tonlos, ohne Emotion. Dafür fühle ich mich umso emotionaler.
„Wegen ihrer Worte?“ Vorsichtig nicke ich. Ängstlich wartend auf seine Reaktion. Die Ablehnung in seinem Blick schon erwartend, doch er verändert sich nicht. Er ist so kalt wie eh und je.
„Du bist also nicht nur schlecht in Arithmantik, sondern auch in Haushaltsführung?“ Gefrustet verziehe ich das Gesicht.
„Wenn es das nur wäre“, flüstere ich so schwach, dass ich daran zweifle, dass er mich verstanden hat.
„Was denn noch?“
„Erinnerst du dich an ihre anderen Worte?“ Ruckartig lege ich den Kopf in den Nacken, um ihn in die unglaublich dunklen Augen zu sehen. So tief, so düster, so kalt. Ich habe sie höchstens einmal belustigt aufblitzen sehen. Selbst seine Mimik ist bewegter.
Auffordernd zieht er die Augenbraue hoch. Ich soll weiterreden. Der stumme Befehl hallt in meinem Kopf wieder.
„Sie hat gesagt, ich bin ein Nichts.“
„Und du hast das Gegenteil verkündet.“
Verächtlich verziehe ich die Lippen. „Eher weniger erfolgreich.“
„Sie hat dich halt getroffen. Menschen wie du haben nun mal Schachstellen.“
Beinahe verdrehe ich genervt die Augen. Er wird nie aufhören sich als makellos zu betrachten.
Sein Aussehen, sein Benehmen und sein Herz sind glatt wie Stahl. Kalt wie Metall. Was ist daran makellos? Wo ist die Wärme? Herzlichkeit? Empathie?
„Sie hat Recht.“ Wieder steigen mir die Tränen in die Augen. Ich kann nichts dagegen tun. Sie lassen sich mit all meiner Willenskraft nicht zurückhalten.
Selbst, wenn ich gefoltert wurde, habe ich gelernt meine Tränen zurück zuhalten.
Doch so ein paar daher gesagte Worte lassen meine Selbstbeherrschung bröckeln, wie Lehm, der zu lange getrocknet wurde.
„Weine nicht!“ Fordert er mich barsch auf, doch es bringt nichts. Der erste Schluchzer quält sich meine Kehle hinauf. Nur mühsam kann ich ihn unterdrücken.
„Du bist kein Nichts“, fährt er mich an. „Hör auf zu weinen! Du musst nicht gut in Haushaltführung sein, nur um etwas wert zu sein. Der Wert einer Hexe lässt sich nicht an einem Fach messen!“
„Woran dann? An ihrem Blut? Ist es das, warum du dich mit mir hier abgibst? Weil ich ein Reinblut bin? Warum gibst du ich mit Jemanden wie mir ab? Dein Dienst als Nachhilfelehrer kann dich nicht mit mir nach Hogsmeade gebracht haben und die Pflicht des Schulsprechers zwingt dich genauso wenig dazu!“
All meine Wut, meinen Frust, meine aufgestaute Angst. Alles lade ich in diesem Ausbruch auf ihm ab.
Er sieht mich einfach ausdruckslos an und lässt mich wüten. Aufgewühlt laufe ich auf und, aggressiv fliegen meine Hände durch die Luft, pausenlos prasseln Worte auf ihn ein.
Meine Wut auf Jane, Simons Unfähigkeit Jessica zu zeigen, was er für sie empfindet. Meine Selbstzweifel, mein Frust wegen Arithmantik und Haushaltsführung.
Alles werfe ich ihm an den Kopf.
Er hört es sich stumm an. Bewegungslos steht er in der Kälte uns sieht mich an. Sein Blick verfolgt mich auf Schritt und Tritt.
„Warum bist du hier?“ Schließe ich mit heiserer Stimme meinen Wortrausch und bleibe mit einigem Abstand vor ihm stehen.
„Nicht wegen deines Blutes“, entkräftet er meinen Vorwurf und reicht mir ein Sauberes dieser altmodischen Stofftaschentücher.
„Danke“, schniefe ich und wische mir meine Wangen trocken, soweit es möglich ist. In dieser Kälte sind die meisten Tränen auf der haut getrocknet, die jetzt unangenehm spannt.
Es ist sicherlich schon nach sechs Uhr. Die Sonne ist nur noch als roter Streifen am Horizont auszumachen.
Währenddem ich mir die Nase putze, wird mir klar, dass Tom mir keine weitere Antwort geben wird.
Er ist nicht wegen meines Blutes hier und mehr hat mich nicht zu interessieren.
„Wegen einer Wette? Zwingt dich jemand dazu?“ Hake ich trotzdem neugierig nach. Er schüttelt nur den Kopf.
„Behalte das Taschentuch. Du scheinst ja nie eins dabei zu haben.“
Dankbar lächele ich ihn an. Bis gerade eben, besaß ich nicht einmal ein Stofftaschentuch.
„Tut mir leid“, entschuldige ich mich, als mir das Ausmaß meines Ausbruches bewusst wird.
Beinahe hätte ich Mitleid mit ihm, doch wenn einer keines benötigt dann er.
An ihm ist das sicherlich einfach vorbeigezogen. Wenigstens hat er mich ausreden lassen.
„ Es gibt nichts wofür du dich zu entschuldigen bräuchtest und jetzt komm. Du hast noch kein Geschenk für Anna, John und diesem Quidditchspieler, der dich immerzu ansieht.“
„Benjamin?“
Er zuckt mit den Schultern. Er kann allerdings nur Benjamin meinen. Ich bin mit keinem weitere Quidditchspieler befreundet und hier interessiert mich der Sport auch nicht wirklich.
Immerhin stehen die Ergebnisse längst fest und ich bin nicht hier, um Sportlern zu zujubeln.
„Komm jetzt“, nimmt er wieder seinen Befehlston an und reicht mir gleichzeitig seine Hand. Sobald wir allerdings unten am Berg ankommen, lässt er mich wieder los.
Der Verlust des Kontaktes trifft mich wie ein Pfeil in der Brust.
Es hat mir gefallen seine Hand zuhalten. Dabei sollte es mir gewiss nicht gefallen, die Hand eines Mörders in der meinen zu wissen.
„Ich glaube hier findest du etwas für die Jungs“, teilt er mir wieder vollkommen maskenhaft mit. Ich weiß nicht, ob es ihm bewusst ist, aber dadurch hilft er mir mehr, als Worte es gekonnt hätten. Er missachtet meinen Ausbruch und das Erlebnis mit den Mädchen vollkommen und geht in die Tagesordnung über.
Kurz darauf verlassen wir zwei Pflegesets für Besen reicher und ein paar Galeonen ärmer den Laden wieder.
„Gibt es hier eine Buchhandlung?“
„Eine Seitenstraße weiter.“
Kommentarlos folge ich ihm. Inzwischen ist es dunkel und die Läden schließen jeden Augenblick. Der Hogsmeadebesuch ist zeitlich gesehen auch längst vorbei.
Ein Wunder, dass kein Lehrer uns sucht.
Wahrscheinlich traut Dippet Riddle genug zu, um ein wenig länger wegbleiben zu dürfen.
Anna kaufe ich ein Buch über die Erben Ravenclaws in der Hoffnung, das sie das Buch noch nicht in ihrem Besitz hat.
„Ich wäre jetzt fertig“, seufze ich. Alle notwenigen Einkäufe sind getätigt. Wegen eines Kleides muss ich mir wohl etwas anderes einfallen lassen.
Es ist zu spät, um jetzt noch ein Bekleidungsgeschäft aufzusuchen. Ich brauche immer ewig um ein Kleid zu finden und Tom will ich das gar nicht erst zu muten.
Nickend nimmt er meine Worte zur Kenntnis und streckt eine Hand auffordernd nach mir aus.
„Gib mir deine Taschen.“
Ich glaube, dass ich der erste Befehl, dem ich wirklich gerne nachkomme.
Gemeinsam schlendern wir zurück zum Schloss. Leise unterhalten wir uns dabei über Gott und die Welt.
Ab und an bringt er mich sogar zum Lachen.
Ich weiß nicht, ob das gewollt ist oder nicht, aber es tut mir gut.
Ich habe irgendwie das Gefühl, dass der Nachmittag uns näher zu einander gebracht hat, als jede weitere gemeinsame Stunde in der Bibliothek uns hätte bringen können.

„Vielen Dank fürs Taschen tragen und dafür, dass du mich ausgehalten hast.“
Vor dem Eingangsportal sind wir stehen geblieben.
„Kein Problem“, lehnt er meinen Dank ab. „Dafür sind Freunde da“, setzt er zögerlich hintendran mit einer Miene, die stark an Zahnschmerzen erinnert. Es muss ihn viel Überwindung gekostet haben, dass zu mir gesagt zu haben. Aber ich habe keine Falschheit in seiner Stimme erkennen können und auch nicht in seinen Augen.
Soll ich? Oder soll ich nicht?
Nach kurzem Zögern drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange und öffne das schwere Portal mit einem einfachen „Gute Nacht“.
Er erwidert nichts. Oder erst, als ich zu weit weg bin, um ihn hören zu können.
Als ich die oberste Treppenstufe der Treppe dem Eingang gegenüber erreiche, höre ich die schwere Tür zu schlagen.
Die meisten Schüler sind in der Großen Halle essen. Bei den Gedanken an Essen knurrt mein Magen fordernd, doch es wäre sehr töricht von mir mit den Taschen beim Abendessen zu erscheinen. Den Wintermantel mal außer Acht gelassen.
Nachdem ich alles in den Turm gebracht habe, statte ich der Küche einen kurzen Besuch ab, um meinen Hunger zu besänftigen, der inzwischen wie ein wildes Tier seine Klauen in meinen Bauch gerammt zu haben scheint.
Einen Muffin so krümelfrei wie möglich essend gehe ich in den Turm zurück. Viele andere Schüler sind schon in ihre Gemeinschaftsräume zurückgekehrt oder auf dem Weg dahin, sodass ich in der kleinen Menge gar nicht auffalle.

„Claire! Da bist du ja!“ Ruft mir Tina wild winkend von einem Sessel aus zu. Auch die Anderen haben mir ihre Köpfe zugewandt.
„Ja, hier bin ich“, gebe ich schwach lächelnd zurück und setzte mich auf die Armlehne ihres Sessels.
„Stimmt es, was Jane beim Abendessen erzählt hat?“ Platzt sie gleich mit ihrer Frage heraus. Ich seufze innerlich auf.
Ich hätte damit rechnen müssen, dass Jane es den Gryffindors erzählen wird. Die Frage ist nur was und wie viel sie ihnen erzählt hat.
Auch Chantal und Jessica können meine Antwort kaum abwarten zu können, wie ich mit einem Blick in ihre Richtung feststelle. Die drei Jungs wirken gelassener, aber dennoch interessiert.
„Was hat sie den erzählt?“ Versuche ich genaueres in Erfahrung zu bringen.
„Das du mit Riddle in Hogsmeade warst. Sie behauptet euch getroffen zu haben, als ihr gemeinsam aus Zonkos kamt“, klärt mich Tina auf.
„Ja, das stimmt.“
„Was hast du mit Riddle in Hogsmeade verloren? Er ist ein Slytherin und noch dazu von der schlimmsten Sorte! Denk daran, was ich dir über ihn erzählt habe! Jemand, dessen Anhänger sich Todesser nennen, kann nicht ungefährlich sein.“
„Tina“, spreche ich sie mit ruhiger Stimme an. „Ich kann auf mich selbst aufpassen und, wenn etwas sein sollte, dann würde ich es euch erzählen. Das weißt du doch.“
Kurz verzieht sie das Gesicht.
„Ich bin müde, lasst uns schlafen gehen“, mischt sich nun Chantal ein, gibt John noch einen Kuss und zieht Jessica auf ihre Füße.
„Gute Nacht, Jungs“, verabschiedet diese sich lächelnd und ich folge ihnen mit Tina, zum Abschied winkend und demonstrativ gähnend, natürlich nicht ohne Hand vor dem Mund.
Tina wirkt auf jeden Fall zu quirlig, um den Dreien die ich bin müde Ausrede auftischen zu können. Allerdings zweifle ich daran, dass sie es einer von uns abgekauft haben. Ich traue ihnen zu eins und eins zusammen rechnen zu können. Wahrscheinlich sind sie sogar froh, dass ihnen mein Nachmittag mit Riddle erspart bleibt.
Oben angekommen machen wir uns alle Bettfertig und verziehen uns mit Schokofröschen und diversen anderen Süßigkeiten auf mein Bett.
„Ich will alles wissen!“ Ruft Tina aus.
„Jedes Detail“, pflichtet Jessica ihr bei.
„Wie ist es überhaupt dazu gekommen“, mampft Chantal mit einen Schokofroschbein im Mund.
Mit einem seufzend drapiere ich mein Kissen, sodass ich mich bequem anlehnen kann und erzähle ihnen alles, was sie wissen wollen. Auch von meinem Erlebnis mit Jane, nachdem ich ihnen das Versprechen abgerungen habe, es niemanden weiter zu erzählen.
Das sei Ehrensachen.
Kein Wort über dieses Gespräch würde die Wände verlassen, versichern sie mir.
Als ich ihnen von meinem Anfall erzähle, nimmt sich Chantal gleich zwei Frösche und Tina hält mitten in der Kaubewegung inne. Nur Jessica bleibt ruhig und lässt mich in Frieden bis zum Ende erzählen.
„... Tja und zum Abschied habe ich ihn auf die Wange geküsst. Denkt ihr, das war ein Fehler?“
„Nein“, streitet Tina wild den Kopf schüttelnd ab.
„Wie hat er reagiert?“ Erkundigt sich Jessica pragmatisch.
„Gar nicht“, stöhne ich und lasse meinen Kopf gegen die Wand knallen.
„Wahrscheinlich war er überrascht“, mutmaßt Chantal. Die anderen Beiden nicken zustimmend.
„Soweit wir wissen, hat er selten Kontakt zu Mädchen. Als wäre er sich seiner Wirkung auf das weibliche Geschlecht gar nicht bewusst. Wenn ihn mal eine anspricht, weißt er sie höflich ab. Ich habe schon vermutet, dass er na ja... gar nicht an Frauen interessiert ist“, lässt mich Tina wissen.
Angeekelt verzieht Chantal das Gesicht. „Ich denke nicht, das er homosexuell ist.“
„Ich auch nicht“, meinen Jessica und ich gleichzeitig.
„Dann ist das ja geklärt“, kichere ich.
„Aber eine viel wichtigere Frage ist: Was empfindest du für ihn?“ Alle drei sehen mich gespannt an. Chantals’ Frage hat ihre Neugier auf den Punkt gebracht. Zumindest für den Moment.
Ich zucke mit den Achseln. Ich weiß es nicht. Ich weiß wirklich nicht, was ich für ihn empfinde.
Tina stöhnt genervt auf und lässt sich rücklings zurück fallen.
„Das gibt’s doch nicht!“
Ruft sie entnervt aus und kassiert dafür mein Kissen im Gesicht.

4. November 1944




Montag


Tina läuft giggelnd zwischen ihrem Bruder und mir den Gang entlang.
Wir kommen gerade aus dem Verwandlungsunterricht, wo wir heute unseren Partner in einen Kanarienvogel verwandelt haben.
Dummer Weise, hat Jennifer bei der Rückverwandlung vergessen, dass Jane Haare auf dem Kopf hat und keine Federn.
Es sah einfach zu komisch aus. Jeder hat gelacht, wirklich jeder. Bis auf sie selbst und Tom. Bei ihm haben nicht einmal die Wangenmuskeln gezuckt.
Dieser Anblick hat mich auch ziemlich schnell wieder auf den Teppich geholt. Ich habe mich als Erste gefangen, sogar vor Professor Dumbledore.
Als Tom mich dann ansah, stand ich ebenso wenig lachend wie er da und beobachtete Tina wie sie sich am Tisch festklammert, um nicht auf den Boden zufallen.
„Merlin war das lustig“, schnappt sie nach Luft und stoßt mir ihren Ellenbogen in die Seite.
„Lach doch auch mal! Immerhin ärgert sie dich, wo sie kann!“
„Ich habe doch gelacht.“
„Wenn das deine Gute – Laune Stimmung ist, will ich nicht wissen wie du dich verhältst, wenn du schlecht gelaunt bist“, kichert sie und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich wüte wie ein Zentaur“, gebe ich so ernst wie möglich von mir.
Tina lacht wieder los wie irre, sodass Simon und ich stehen bleiben müssen. Auch er grinst belustigt.
Die Schüler, die an uns vorbei gehe, werfen uns befremdete Blicke zu. Tina führt sich auf wie unter einem Kitzelfluch, dabei habe ich nur einen schlechten Witz gemacht.
„Kann man helfen?“ Tom ist neben uns mit ein paar Metern Abstand stehen geblieben. „Ihr ist nicht mehr zu helfen“, schmunzele ich.
„In wenigen Augenblicken haben wir Taubertränke bei Professor Slughorn. Ihr solltet euch auf den Weg machen. Nur, weil ihr im Slugclub seid, heißt es noch lange nicht, dass ich euch zu spät kommen erlauben könnt.“
„Ist das deine Art Sorge zu zeigen?“ Erkundige ich mich mit gerunzelter Stirn und beobachte sorgenvoll Tina krampfhaftes Hiksen.
„Ihr solltet nicht zu spät kommen“, sagt er noch einmal und setzt sich wieder in Bewegung. Simon scheint ihn ernster zunehmen, als ich es tue, packt seine Schwester an der Hand und zieht sie hinter Tom her.
Meine Tasche wieder auf die Schulter schiebend setzte ich mich in Bewegung.
Das ist Tom und mein erstes Zusammentreffen seit Samstag. Gestern habe ich ihn nur beim Mittagessen gesehen. Er hat gerade die Halle verlassen, als ich mich neben Jessica setzte.
Wenn sie mich nicht auf ihn aufmerksam gemacht hätte, hätte ich ihn gar nicht gesehen.
Ich weiß nicht, was besser ist. Ihn den ganzen Tag kein einziges Mal zu sehen oder einmal kurz von hinten.
An sich ist es beides schlecht. So konnte ich gar nicht herausfinden, ob er etwas zu meinem Kuss zusagen hat oder ob er jetzt keinen Kontakt mehr mit mir haben will.
Doch, wenn meine Vermutung stimmt und sein Verhalten gerade eben seine Art ist Sorge zu zeigen, dann hat er mein Verhalten nicht all zu negativ aufgefasst.
Generell ist es ein Fortschritt, dass er mich überhaupt angesprochen hat.
Was mich allerdings wundert, ist, dass mich niemand auf Janes Behauptung angesprochen hat. Allerdings werfen mir einige Gryffindor und inzwischen auch Hufflepuff- und Ravenclawschülerinnen neugierige Blicke zu.
Dem zu Folge hat das Gerücht seine Runde gemacht. Das ist typisch für Hogwarts, sobald eine kleine Veränderung auftritt, zerreißen sich die Schüler ihre Münder darüber.
Mir ist es relativ egal. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Nach diesem Schuljahr sehe ich keinen von ihnen wieder. Höchstens per Zufall, doch ich zweifle daran, dass sie sich in 50 Jahren noch an mich erinnern.
Außerdem ist es besser, als mit Federn auf dem Kopf rumzulaufen. Hoffentlich konnte die Krankenschwester Jane helfen. SO unsympathisch sie mir auch ist, dass ist nichts, was sie verdient hätte.
Ihre Eifersucht ist zwar unbegründet, da Tom ihr nie nur ein Quäntchen an Aufmerksamkeit geschenkt hat, doch viele Mädchen schwärmen für ihn.
Was absolut verständlich ist. Er ist wirklich der attraktivste junge Mann, dem ich je begegnet bin.
Was nicht viel heißen soll. Zu meiner Zeit laufen Schreckgestalten wie Crabbe und Goyle in der Schule herum.
Auch, wenn ich ihre Visage, denen der Carrows vorziehe. Wirklich.
In den Kerkern angekommen hallen unsere schnellen Schritte unheimlich im Gang. Wir sind die Letzten. Alle Anderen sitzen bereits an ihren Plätzen und lauschen Slughorns Worten über den Trank, den wir heute brauen werden.
„Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir“, meint Riddle und Slughorn winkt uninteressiert ab.
„Jetzt seid ihr ja hier. Auf, auf! Ich bin schon auf ihre Ergebnisse gespannt.“
Schnell setzte ich mich auf meinen Platz neben Chantal.
„Wo wart ihr?“ Zischt sie mir unauffällig zu.
„Tina hat ihren Lachkrampf nicht unter Kontrolle bekommen.“
Chantal schürzt kurz ihre Lippen belustigt und wendet sich wieder dem deformieren Knolle vor sich zu.
Mist. Ich habe noch keine Zutaten. Schnell überfliege ich die Liste und erkenne, dass zwei der gewünschten Substanzen sich nicht in meinen Vorräten befinden. Ich muss mir wohl etwas aus den Schulvorräten leihen.
Scharrend schiebe ich den Stuhl nach hinten, stehe auf, umrunde Chantal und laufe zum Vorratsschrank. Dort angekommen, öffne ich die Türen und lasse meinen Blick über das Repertoire schweifen.
„Die Spinnenaugen stehen hinten links“, vernehme ich Toms Stimme nah an meinem Ohr. Warum schleicht er sich immer so an?
„Danke“, hauche ich und greife in die angegebene Richtung und siehe da: Ein Glas voller Spinnenaugen. Wirklich lecker.
„Brauchst du auch welche?“
„Heute abend. Acht Uhr, auf den Astronomieturm“, antwortet er im üblichen Befehlston und verschwindet wieder aus meinem Rücken.
O mein Gott! Ist das eine Verabredung? Unter Freunden? Oder mehr?
Nein. Moment. Wir reden hier von dem zukünftigen Lord Voldemort. Der hat sicherlich keine Dates.
Also, nur ein Treffen unter Freunden.
Mein Mund ist trocken und ich habe das Gefühl, dass meine Gliedmaßen unter Strom stehen.
Oh Himmel! Ich treffe mich heute Abend mit Tom. Ganz ohne Arithmantik!
Das muss ich nachher sofort den Mädels erzählen.
Tief durchatmend gehe ich wieder auf meinen Platz. Trotz allem muss ich einen perfekten Trank abliefern, um Slughorn zu beweisen, dass ich meinen Platz in seinem Eliteclub verdient habe.

„Ist das jetzt ein Date oder nicht?“ Wiederholt Jessica ihre Frage zum gefühltem hundersten Mal. Wir sind bis jetzt auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen.
Tina ist fest davon überzeugt, dass es eine ist. Chantal ist sich unschlüssig, da sie Riddle ebenso wenig wie ich nicht für einen Romantiker halten, der den Sternenhimmel, als Kulisse für sein erstes Date mit einem Mädchen aussucht.
Seiner einzigen Freundin wie alle drei überzeugt sind.
Nie hätten sie ihn mit einem Mädchen in seinem Gefolge gesehen.
Sie können ja noch nicht wissen, dass Bellatrix Lestrange ihm wie ein Hund nach laufen wird.
Allerdings gehört ihr Onkel, ich vermute zumindest, dass es ihr Onkel ist, zu Toms Anhängern. Zumindest wird er die Schwester ihres Vaters heiraten mit der er auch verwand ist.
Die Reinblutfamilien heiraten ja meistens unter einander. Damals wie heute.
„Ich denke nicht“, teile ich den Dreien mit und schiebe mir ein Stück Bratkartoffel in den Mund. Die Jungs sind so in ihr Gespräch über Quidditch vertieft, dass sie uns nicht die geringste Aufmerksamkeit schenken. Außerdem sprechen wir sehr leise.
„Du bist viel zu pessimistisch“, schimpft Tina.
„Eher realistisch“, gebe ich zurück. Jessica wiegt nachdenklich ihren Kopf hin und her.
„Ganz egal, was es ist, vorher kriegst du eine exklusive Behandlung von Kopf bis Fuß!“ Bestimmt Tina und ich kann sie nur entsetzt ansehen.
Hilfesuchend blicke ich auch auf mein Gegenüber Chantal, die nur mit den Schultern zuckt und ihn Jessicas bestätigend lächelndes Gesicht.
„Oh Merlin“, stöhne ich entsetzt. Hätte ich doch bloß nichts gesagt, dann hätte ich vollkommen stressfrei, sofern dem möglich ist, meinem Treffen mit Tom entgegen sehen können.

Der Rest des Unterrichts scheint sich wie Kaugummi in die Länge zuziehen. Einfach unglaublich wie viel man in Haushaltsführung falsch machen kann.
Bis heute habe ich nicht gewusst, dass man einen Topf nur rechtsherum putzen darf und nicht links herum, doch Professor Pucey hätte beinahe einen Schlaganfall erlitten, als sie diesen gravierenden Fehler meinerseits bemerkt hat.
Jane hat schadenfroh gekichert während der hysterischen Predigt der Lehrerin, doch diese ist förmlich an mir abgeprallt.
Tom ist es egal, ob ich gut oder schlecht in Haushaltsführung bin und ich treffe mich heute Abend mit ihm, nicht Jane.
Ich weiß, ich sollte das nicht an Tom festmachen, doch mein Herz und mein Kopf tun das automatisch, gleich, was mein Verstand sagt.
Ich verstehe das nicht. Ich verstehe mich nicht.
Vielleicht sollte ich Tina oder Jessica um Rat Fragen.
Oder Chantal.
Oder besser doch nicht, egal, wen ich fragen werde, am Ende wissen es alle Drei und ich darf mir eine Analyse über meine Gefühlswelt anhören.
„Fangen wir mit deinen Nägeln an oder doch besser mit den Haaren?“
„Am besten lass ihr mich in Ruhe Hausaufgaben bis dahin machen“, schlage ich hoffnungsvoll vor. Tina schüttelt vehement den Kopf.
„Vergiss es!“
Wäre auch zu schön gewesen.

Gegen sieben gehen wir essen. Endlich lassen sie meinen Körper in Ruhe. Ich wusste gar nicht, dass man so viel Zeit mit seinen Nägeln verbringen kann.
Aber man lernt ja nie aus.
„Du ist jetzt nichts mit Knoblauch“, herrscht mich Tina an, als ich meinen Blick über die Speisen schweifen lasse.
Genervt verdrehe ich die Augen. Langsam geht es echt zu weit. Ich habe nicht vor Tom zu küssen oder irgendetwas in die Richtung zu unternehmen.
„Ja, Mama“, stöhne ich genervt auf und nehme mir unverfängliche Kartoffeln, Salat und ein Stück Hähnchenbrust.
Dagegen kann keine von ihnen etwas einwenden.
Ich lasse mir Zeit mit dem Essen und verwickle John in eine Unterhaltung über den Pflege magischer Geschöpfe Unterricht und warum er das Fach belegt.
Meiner Meinung nach ist <Es ist einfach> keine ausreichende Begründung. Wenn jeder nach Einfachheit leben würde, dann käme diese Welt nicht weiter. Man sollte das ausschöpfen, was man kann. All seine Fähigkeiten nutzen, ansonsten sind es verschwendete Ressourcen.
„Willst du nicht langsam los?“ Flüstert mir Jessica aufgeregt ins Ohr.
„Nein“, schüttele ich den Kopf. „Ich werde nicht früher dort sein, als nötig. Eher ein paar Minuten später.“
„Warum?“
„Weil selbstbewusste Mädchen auf sich warten lassen“, zwinkere ich ihr zu und nehme mir ein Stück Schokokuchen.
Zart schmilzt die Glasur auf meiner Zunge und ich schließe genießerisch die Augen. Ich verstehe Chantal wirklich, was ihre Vorliebe für Schokolade betrifft.
„Du gehst jetzt los!“ Faucht mich Tina an und reißt mich aus meinem Schokoladentraum. „Riddle hat schon vor einer viertel Stunde die Halle verlassen. Ohne seine Freunde. Also, geh!“
„Lass mich doch bitte noch das Stück Kuchen zu ende essen!“
„Noch eine Gabel, dann gehst du oder ich mache dir eine Szene, die Jane alle Ehre machen würde wegen deines Dates mit Riddle.“
„Es ist kein Date“, knurre ich sie ungehalten an und nehme ein großes Stück in meinen Mund und kaue bedächtig und provokant langsam.
„Ist es doch und jetzt geh! Kauen kann man auch während des Laufens.“
„Man kann es auch übertreiben“, murmelt Jessica leise, aber gut vernehmlich. Zumindest für mich, immerhin sitze ich direkt neben ihr.
„Wem sagst du das?“ Resigniere ich und stehe auf. „Bis nachher“, verabschiede ich mich und mache mich auf den Weg.
Auf halber Strecke beginne ich nervös meine Finger zu kneten. Das Rumoren in meinem Bauch kann ich leider nicht auf Hunger schieben, noch auf schlechtes Essen. Es ist pure Aufregung.
Nervosität.
Panik.
Knarrend öffnet sich die Tür und ich sehe mich um. Hier ist er nicht.
Langsam laufe ich die Treppe zur Plattform hoch und da steht er.
Er lehnt mit dem Rücken zu mir gegen einen Pfeiler und sieht in den anthrazitfarbenen Himmel.
Fröstelnd zieh eich meinen Mantel enger und laufe vorsichtig zu ihm.
„Hey, Tom“, hauche ich nervös, als ich neben ihm ankomme.
„Du bist spät.“
„Verzeih mir.“
Er nicht einmal und wendet mir seinen Kopf zu. „Hast du aus Samstag nicht gelernt?“
Fragend sehe ich zu ihm auf. Was meint er?
Er seufzt. Ein leiser, frustriert klingender Ton. Langsam hebt er den Zauberstab und richtet ihn auf mich.
Panik steigt ihn mir auf. Was hat er vor? Will er mich foltern? Weil ich zu spät gekommen bin? Ihn auf die Wange geküsst habe.
Leise murmelt er einen Fluch und mir wird augenblicklich warm.
Sofort entspanne ich mich. Das hat er also gemeint.
Als er merkt, wie meine Schultern wieder ein Stück herabsinken, heben sich seine Mundwinkel für einen Moment amüsiert.
Aha. Also, empfindet er heute schon Spaß dabei jemanden Angst einzujagen. Ob er auf SM steht?
Schnell schüttele ich den Kopf. Diese Bilder will ich momentan nicht im Kopf haben.
„Warum treffen wir uns hier draußen?“
„Wie alt bist du?“
Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Was soll die Frage? Und warum missachtet er meine?
„Achtzehn“, bleibe ich bei der Wahrheit. „Du?“
„Wann hast du Geburtstag?“
„Am 10. Juni. Warum?“
„Zwilling. Passt zu dir.“
„Was soll das denn jetzt heißen“, schmunzele ich plötzlich amüsiert. Dabei nervt es mich eigentlich, wenn jemand meine Fragen missachtet.
Tom ist da eine Ausnahme. Wahrscheinlich, weil ich weiß, dass er selten auf Fragen eingeht.
Was andere wollen interessiert ihn nicht.
„Du bist kommunikativ.“
„Ja und? Das sind viele.“
Er schweigt.
Laut ausatmend lehne ich mich mit den Unterarmen an das Geländer und folge seinem Blick in den Himmel.
„Wunderschön, nicht wahr?“ Starte ich von neuem einen Versuch.
„Faszinierend“, erwidert er.
Schweigend stehen wir ein paar Minuten beieinander, doch die Atmosphäre ist angenehm.
„Du bist siebzehn, nicht wahr?“ Ich wende ihm mein Gesicht zu und merke, dass er mich beobachtet.
Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Er hat mich die ganze Zeit angesehen.
„Ja“, bestätigt er tonlos.
„Wann hast du Geburtstag?“
„Silvester.“
„Trotzdem feierst du weder das eine Fest noch das Andere.“
Er antwortet nicht. Uns ist beiden bewusst, dass es stimmt und das ich es weiß.
„Gehen wir auf mein Zimmer.“
„In Ordnung“, akzeptiere ich sein Angebot, dass eher einem Befehl gleich kommt.

Als Schulsprecher hat er sein eigenes Zimmer samt Badezimmer und Wohnraum. Es ist grün, silbern und schwarz eingerichtet.
Es passt zu ihm. Schlicht, elegant und mysteriös.
„Setzt dich“, bietet er mir einen Sessel vor dem Kamin an, indem munter ein Feuer prasselt.
Vorsichtig lasse ich mich in die smaragdgrünen Polster gleiten. Wirklich bequem. Der Sessel hält eindeutig mit dem im Gryffindorgemeinschaftsraum mit.
Ich höre Tom hinter mir mit Geschirr klappern und vernehme das Pfeifen eines Wasserkessels.
Er kocht Tee.
Lächelnd entspanne ich mich nochein wenig mehr und schlage meine Beine übereinander.
Ohne meinen Kopf zu drehen oder seine Schritte zu hören, der dicke Teppich verschluckt jedes Geräusch vollkommen, spüre ich, dass er zu der kleinen Sitzgruppe kommt. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass er das Tablett, auf dem Kekse, zwei Tassen und eine Teekanne stehen auf dem kleinen Coachtisch abstellt.
„Bedien dich.“
„Du bist heute noch wortkarger, als normalerweise“, grinse ich ihn an und schnappe mir einen Biskuitkeks.
„Ich liebe diese Dinger“, murmele ich, beiße hinein und verdrehe genießerisch die Augen.
Er lacht leise auf.
Entsetzt halte ich beim Kauen inne und starre ihn mit großen Augen an.
Er lacht. Leise, ungeübt, aber er lacht.
Als er merkt, dass ich ihn entsetzt ansehe, hält er augenblicklich inne und sieht mich mit seiner üblichen kalten Maske an.
„Was ist?“ Erkundigt er sich.
„Du hast gelacht“, flüstere ich erstickt, nachdem ich den Keks runter geschluckt habe.
Er legt die Stirn in Falten. „Das habe ich“, gibt er mir mit einem ungläubigen Tonfall zurück. Er scheint für einen Moment ins Leere zu starren.
„Ich glaube es ist Zeit für dich zu gehen“; sagt er plötzlich ruhig und sieht mich wieder an.
Sein Blick zeigt mir deutlich, dass er keinen Wiederspruch duldet.
Und ich ahne auch warum.
„Okay.“
Langsam stehe ich auf und laufe zur Tür. Als ich schon halb aus ihr herausgetreten bin, drehe ich mich noch einmal um.
De Schulsprecher sitzt tief in den Sessel gesunken, er scheint nachzudenken. Intensiv nach zu denken.
„Gute Nacht, Tom“ verabschiede ich mich und ziehe die Tür hinter mir zu.
Ich habe ihn zum Lachen gebracht.
Ich habe ihn wirklich zum Lachen gebracht.
Und zum Nachdenken. So wie ich ihn einschätze, wird er das auch noch die nächsten Stunden tun. Gleich, ob er morgen früh aufstehen muss oder nicht.
Sein Verhalten hat ihn selbst verwirrt und er hasst Rätsel. Dabei bedeutet doch genau das sein Name.
Rätsel.
Und er ist auch ein einziges Rätsel.
Leise seufze ich.
Niemand ist mehr auf den Gängen unterwegs. Die Nachtruhe hat wahrscheinlich schon begonnen. Doch ich weiß nicht, wie viel Uhr wir haben.
Irgendwie stellt sich in mir ein Gefühl des Triumphs ein. Ich habe ihn zum Lachen gebracht.
Tom Riddle. Lord Voldemort.
Und es war kein boshaftes Lachen. Er hat sich wirklich amüsiert.
Ich bin ihm eindeutig näher gekommen. Vielleicht genieße ich bald sein Vertrauen und er beginnt mir meine Fragen zu beantworten. Ich muss mich vorsichtig herantasten.
Aber auf keinen Fall darf ich ihn jetzt entkommen lassen.
Die Grundlage ist endlich gelegt für meinen Plan.
Jetzt muss ich aufpassen, damit mir kein Fehler unterläuft.
Er darf mir nicht entwischen, denn mein Instinkt sagt mir, dass es keine zweite Chance bei ihm gibt.

5. November 1944




Dienstag


„Tom“, rufe ich ihm hinter her. So eben ist die letzte Stunde für heute zuende gegangen und er hat den Verwandlungsklassenraum einfach verlassen.
Den ganzen Tag missachtet er mich schon. Ich bin einer Verzweiflung nahe.
Er hat mich nicht eines Blickes gewürdigt. Sein missachtendes Verhalten ist eindeutig auf gestern zurück zuführen.
Er hat Angst. Angst vor meiner Wirkung auf ihn.
Allerdings kann ich ihm nicht die Zeit geben, die er scheinbar braucht um sich wieder zu fangen.
Ich kann ihn jetzt nicht mehr in Ruhe lassen. Ich bin schon soweit gekommen.
Außerdem will ich es gar nicht.
Ich habe mich so an seine Gegenwart gewöhnt, dass ich sie nicht mehr missen will.
Trotz seines Verhaltens und meines Wissens über ihn, fühle ich mich bei ihm wohl.
„Tom“, flüstere ich noch einmal. Ich weiß, dass er mich hört. Es ist still auf dem Gang und mein Flüstern durchschneidet die Stille wie ein Peitschenschlag.
„Ich habe gleich ein Treffen mit den Vertrauensschülern.“
Ich gehe zwei Schritte weiter auf ihn zu. „Was ist los?“ Gebe ich mich ahnungslos und lege so viel Verwirrtheit in meine Stimme wie möglich.
„Nichts, ich habe lediglich keine Zeit für dich“, wehrt er meine Frage ab und geht.
Ich bleibe im Gang stehe und sehe ihm nach. Das ist eindeutig nicht so gelaufen wie ich es mir erhofft habe.
Er hat sich nicht einmal zu mir umgedreht.
Es tut weh. Aber es sollte nicht weh tun.
Ich schlucke schwer in der Hoffnung den Klos in meinem Hals loszuwerden.
Hier ist etwas mächtig schief gelaufen.
Doch vor Donnerstag spreche ich ihn nicht mehr an. Dann habe ich wenigstens einen Grund ihn zu belästigen, immerhin habe ich auf meine letzte Hausaufgabe nur ein <A> bekommen. Ich wollte unbedingt eine Hausaufgabe ohne seine Hilfe schaffen und das ich mächtig schief gegangen.
Also, habe ich einen Grund seine Hilfe weiter in Anspruch zu nehmen. Auch Professor Smith riet mir dazu.
Und auf seine Lehrer sollte man hören, nicht wahr?

8. November 1944




Freitag


Gestern, ein weiterer Tag der Missachtung.
Mittwoch ebenso.
Als ich ihn nach Arithmantik ansah und zum Sprechen ansetzte, sah er mich nur ausdruckslos an und begann ein Gespräch mit Malfoy.
Anna nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Klassenraum raus. Ich lies sie gewähren.
Alles andere hätte eh nichts gebracht.
Leise raschelt das Gras hinter mir. Ich sitze an einen alten Baum gelehnt in der Nähe des Verbotenen Waldes und starre auf das in der Ferne liegende blaue Wasser des Sees.
Vorsichtig drehe ich mein Kopf ein Stück zur Seite.
Simon hat mich gefunden. „Darf ich mich zu dir setzten?“ Fragt er mit diesem charmanten Lächeln, dass normalerweise die Herzen der Mädchen höher schlagen lässt.
„Klar“, meine ich und rutsche demonstrativ ein Stückchen zur Seite, damit er Platz hat.
„Auch Liebeskummer?“
„Auch?“ Ich sehe ihn verirrt an. Er ist der letzte der Liebeskummer haben muss, mit etwas Mühe würde er wahrscheinlich sogar eine Slytherin kriegen. Immerhin ist er ein Reinblut.
Er seufzt. „Ich dachte, dass wüsstest du.“
Ich lege nachdenklich meine Stirn in Falten. „Doch nicht etwa wegen Jessica?“
„Doch“, nickt er und ich sehe ihn mit großen Augen an.
„Du hast Liebeskummer wegen ihr?“
„Sie lässt mich immer wieder auflaufen. Wenn ich sie anspreche, antwortet sie nur einsilbig, wenn ich ihr zulächele sieht sie weg und, wenn ich mich neben sie setzte verspannt sie sich und geht nach einiger Zeit mit irgendeiner fadenscheiniger Ausrede. Ich weiß einfach nicht, was ich bei ihr falsch mache! Warum mag sie mich nicht?“
Er wirkt wirklich unglücklich.
„Wer sagt denn, dass sie dich nicht mag?“
„Oh bitte! Ihre Körpersprache und ihr Verhalten sprechen doch für sich! Es ist einfach frustrierend“, er rauft sich die kurzen, dunkelbraunen Haare.
„Hast du schon einmal mit ihr über deine Gefühle gesprochen?“ Frage ich ihn vorsichtig.
„Bist du verrückt? Sie wird mit voller Mitleid mitteilen, dass sie nix für mich empfindet und am Ende weiß es ganz Hogwarts!“
„Vertraust du ihr so wenig?“
„Was hat das mit Vertrauen zu tun?“
„Na ja, wenn du glaubst, dass es danach ganz Hogwarts weiß...“ Jetzt ist es an ihm nachdenklich auf den See hinauszuschauen.
„Also, bist du auch der Meinung, dass ich mit ihr reden soll?“
„Auch?“ Wiederhole ich meine Frage von vorhin, diesmal in einem anderen Kontext.
„Tina hat mir das auch schon geraten.“
„Hm.“
„Also?“
„Ja, Simon. Ich finde, dass du mit ihr reden solltest, aber überrumpele sie nicht all zu sehr, sondern geh’ es langsam an. Such erst einmal öfters ihre Nähe, nimm sie als Partner in Verteidigung gegen dunkle Künste. So etwas in der Richtung.“
Er nickt verstehend und seine Mundwinkel heben sich wieder ein Stückchen.
„Und wegen wem hast du Liebeskummer?“
„Wie kommst du darauf, dass ich Liebeskummer habe“, grinse ich ihn so frech wie möglich an und boxe ihn leicht in die Seite.
„Mein Instinkt hat mir das zugeflüstert.“
„Dein Instinkt hat nur jemanden gesucht, bei dem du dich ausheulen kannst.“
Er lacht auf. „Wen von uns beiden versuchst du anzulügen?“
Ich muss schmunzeln. „Ich weiß es nicht.“
„Mit anderen Worten uns beide. Riddle?“
„Wie kommst du den darauf“; frage ich gedehnt.
„Ich habe also recht.“
„Wie kommst du darauf?“
„Er ist der einzige Junge mit den du Kantakt hattest mit Ausnahme von uns Gryffindors und bei keinem von denen wirkst du in irgendeiner Weise verliebt.“
„Gut geschlussfolgert.“
„Also, ist es Riddle?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Ich weiß, dass ich wegen ihm hier sitze. Er ignoriert mich seit Tagen, dabei hat er uns vor wenigen Wochen noch als Freunde bezeichnet und Samstag waren wir gemeinsam in Hogsmeade, aber...“ Nervös kaue ich auf einer Haarsträhne.
„Du weißt nicht, was sein Verhalten soll und wie du darauf reagieren sollst?“
„Ja“, nicke ich, dankbar für sein Verständnis.
„Weißt du was der Auslöser für sein Benehmen ist?“
„Nicht genau. Am Montag war ich mit ihm in sein Zimmer und ich habe irgendetwas gesagt, was ihn zum Lachen gebracht hat. Als ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe, hat er mich weggeschickt?“
„Er hat gelacht? Nicht schleimig gelächelt?“ Gespieltes Entsetzen schwingt in seiner Stimme mit.
„Sei nicht so ein Blödmann; schubse ich ihn weg, was darauf hinaus läuft, dass er mich an der Hüfte packt, näher zieht und mich kitzelt.
„Hör auf, oh bitte, bitte hör auf“, flehe ich nach Luft jappend und versuche seine Finger abzuwehren.
„Gibst du mir dann eine anständige Antwort?“
„Ja, alles nur bitte hör auf“, inzwischen hat sich ein Schluckauf zu meinem krampfhaften Lachen gesellt.
„Gut“, lässt er von mir ab und ich richte mich auf.
Mühsam richte ich mich auf und wische meine Tränen weg. „Morgen werde ich Bachmuskelkater haben“, beschwere ich mich gespielt und streiche einige Haarsträhnen hinter das Ohr, die sich aus der Frisur gelöst haben. „Mein schöner Dutt“, jammere ich und schiebe schmollend meine Unterlippe vor, bis ich wieder aufhiksen muss.
Simon lacht.
„Also, weißt du nicht, ob du in ihn verliebt bist?“
Ich wiege meinen Kopf hin und her. „Nicht wirklich, aber mir fehlt die gemeinsame Zeit.“
Wie soll das erst werden, wenn ich wieder in meiner Zeit bin? Da gibt es meinen Tom nicht mehr. Nur noch Lord Voldemort und ich kämpfe für seine Vernichtung.
„Also, magst du ihn zumindest.“
„Ja, dass auf jeden Fall.“
„Dann gebe ich dir jetzt den gleichen Tipp, den du mir gegeben hast. Bleib dran, lass ihm aber erst einmal Zeit, sodass er das Gefühl bekommt, alles unter Kontrolle zu haben. Meiner Meinung nach ist Riddle kontrollsüchtig.“
Beziehungsweise machtsüchtig. Kontrolle ist Macht. Und er strebt nach Macht.
Er liebt sie.
Macht über andere. Macht über die Welt.
Sein Fanatismus wird sein Untergang sein.
Seine Verblendung gegen über der Liebe.
„Da hast du wohl recht“, schmunzele ich.
„Lass uns rein gehen, mir ist kalt“, fordert Simon mich auf und hält mir die Hand hin, um mich hoch zuziehen.
„In Ordnung“, dabei friere ich gar nicht. Mit einem wehmütigen Lächeln habe ich Toms Wärmezauber angewandt.
Schweigend überqueren wir die Schlossgründe und betreten die Eingangshalle. „Kommst du mit in den Gemeinschaftsraum?“
„Ich komme nach, Simon. Vorher schaue ich noch einmal kurz nach etwas Essbarem.“
„Willst du Chantal Konkurrenz machen?“
„Vielleicht“, grinse ich und winke einmal zum Abschied. Seine Schritte verhallen in die andere Richtung von der meinen und als ich am Gang, der runter in die Küche führt ankomme, ist er schon außer Sicht.
„Du hast schnell jemand Anderen gefunden, der dich unterhält“, klingt sanft Toms Stimme aus dem Schatten, bevor er sich von der dunklen Wand löst und sich mir in den Weg stellt.
Mein Herz macht einen unerwarteten Hüpfer bei seinem Anblick.
„Tom“, hauche ich mit einem Leuchten in den Augen. Er hat mich angesprochen! Er ignoriert mich nicht länger!
„Claire“, seine Stimme verliert nichts an ihrer Sanftheit. Aber gerade dieser weiche Tonfall ist Unheil verkündend. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Die Drohung, die er sich weder in der Körperhaltung nach in der Stimme anmerken lässt, ist dafür wie eine dritte Person präsent in der Atmosphäre.
„Ich war draußen auf den Ländereine, als Simon zu mir stieß. Ich habe seine Nähe nicht gesucht“, versuche ich mich aus der Situation zu retten.
„Du hast ihn aber auch nicht weggeschickt.“
„Simon und ich, wir sind Freunde. Einfach Freunde.“
„Ich dachte wir sind Freunde.“
„Sind wir auch, Tom“, vorsichtig gehe ich auf ihn zu.
„Sind wir das wirklich?“
Verletzt bleibe ich stehen, nah genug um den Kopf heben zu müssen, m seinen kalten Blick zu begegnen.
„Du bist mir wichtig, Tom“, flüstere ich mit trauriger Stimme. „Weißt du das denn nicht?“
„Davon merke ich nichts.“
„Die letzten Tage hast du mich ignoriert. Ich habe mich richtig schlecht gefühlt und wenn ich versucht habe dich anzusprechen, bist du mir aus dem Weg gegangen. Was hätte ich denn tun sollen?“
Er sieht mich schweigend an.
„Tom?“ Meine Stimme klingt Merlin sei Dank wieder fester. Als er immer noch nicht antwortet, fange ich nervös an auf einer meiner Strähnen herum zu kauen. Aus irgendeinem Grund hilft es mir, sobald es mir schlecht geht oder ich mich konzentrieren muss. Manchmal mache ich das auch, wenn ich mich entspanne.
„Lass das“, meint er rüde, aber nicht mehr so kalt und nimmt mir die Strähne aus dem Mund. „Sie gehen dadurch nur kaputt“, beinahe zärtlich streicht er sie mir hinter mein Ohr.
Als seine Fingerspitzen meine Haut berühren, breitet sie eine Gänsehaut auf meinem Armen und Rücken aus.
„Ich will, dass du dir deine Haare ab jetzt immer zusammen bindest, verstanden?“
„Warum?“
„Verstanden?“
„Ja“, nicke ich. Es hat keinen Sinn mit Tom über seine Befehle zu diskutieren und es ist schädlich nicht auf sie zu hören.
„Montag um halb sieben in der Bibliothek, deine Arithmantikhausaufgaben machen sich nicht von alleine.“
„Ich werde da sein.“
Er nickt noch einmal, schiebt mich zu Seite und macht Anstalten den Gang zu verlassen. „Tom?“
„Was?“ Er bleibt stehen.
„Warum soll ich mir die Haare zusammenbinden?“
„Will ich es nicht mag, wenn dir Jungs nachsehen.“ Mit diesen Worten verschwindet er endgültig.
Mir klappt die Kinnlade herunter. Habe ich mir das gerade eingebildet?
Er mag es nicht, wenn mir Jungs hinterher sehen? Wie soll ich das denn jetzt auffassen?
Verwirrt setzte ich meinen Weg fort. Jetzt brauche ich dringend ein Stück Schokosahnetorte. Hoffentlich ist noch etwas vom Mittag übrig geblieben.

11. November 1944




Montag


Mit flinken Fingern binde ich meine kupferroten Locken zu einem Dutt zusammen. So müsste es gehen.
Zufrieden mit meinem Aussehen nicke ich mir einmal im Spiegel zu und werfe meinen Hogwartswinterumhang über.
Um diese Uhrzeit sind die Gänge empfindlich kalt. Immerhin herrschen außerhalb des Gebäudes minus Grade.
Die Bibliothek liegt noch im Dunkeln. Die Sonne geht inzwischen erst gegen neun Uhr auf, hier in den Highlands.
Leise klappern die festen Sohlen meiner Schuhe über den Steinboden. Voller Freude bin ich heute morgen aufgestanden. Trotz des verhangenen Himmels, der nach Schnee aussieht und dem Frost , der den Boden wie einen Teppich überzieht.
An unserem Tisch angekommen sehe aus dem Fenster. Von hier aus wirkt die Landschaft zu der frühen Morgenstunde noch eindrucksvoller, doch all das kann mich nicht von meiner inneren Nervosität ablenken.
Es ist mein erstes Treffen mit Tom seit Montag. Unseren Zusammenstoß von Freitag betrachte ich nicht als Treffen.
Auch, wenn ich mich immer noch Frage, woher Tom wusste, dass ich mir noch etwas zu essen holen wollte.
„Guten Morgen.“
„Morgen, Tom“, drehe ich mich zu ihm um. Bei seinem Anblick muss ich den Impuls ihn zu umarmen unterdrücken. Um es mir selbst leichter zu machen, setzte ich mich an den Tisch.
„Ich habe gestern schon angefangen.“
„Wie weit bist du gekommen?“
„Nicht weit“, schmunzele ich und hole das Buch, die Tabellen und das angefangene Pergament heraus.
„Lass mich einen Blick auf deinen Ansatz werfen“, fordert er mich auf und ich schiebe ihm kommentarlos das Blatt rüber.
Er nickt kurz, nachdem er einen Blick darauf geworfen hat und schiebt es mir wieder rüber.
„So weit, so gut, jetzt musst du nur noch ein Fazit ziehen und es belegen.“
„Mit anderen die Arbeit fängt jetzt erst richtig an.“
„So kannst du es auch nennen. Aber ich werde dir nicht helfen. Bis halb neune bist du fertig und dann lese ich es Kontrolle.“
Ich nicke und lege alles bereit. Auch er holt noch unerledigte Hausaufgaben hervor.
Leicht lächelnd registriere ich die schwarze Geierfeder.
Er scheint wirklich nur schwarze Kleidung und Gegenstände zu besitzen.
Ein Wunder, dass dein Pergament nicht ach schwarz gefärbt ist.
Obwohl, dann könnte er keine schwarze Tinte mehr benutzen und ab und an trägt er ja auch ein weißes Hemd.
Pünktlich um halb neun legt er seine Feder beiseite und sieht mich an. Ich setzte noch hinter meinen Schlusssatz einen Punkt und reiche ihm das Schriftstück.
Er liest es sich genau durch und legt nur an zwei Stellen seine Stirn in Runzeln.
„Es ist in Ordnung, ich würde allerdings noch einmal darüber nachdenken, ob das hier“, er zeigt auf einen Satz ungefähr bei der Hälfte des Blattes. „auch richtig ist.“
Schnell nehme ich die Tabelle, die ich dafür verwendet habe zur Hand und realisiere für meine Verhältnisse relativ schnell, was ich falsch gemacht habe und bessere es unter Toms’ Aufsicht aus.
Bei meinem zweiten Fehler läuft es genauso.
„Gut. Wenn wir uns beeilen, können wir noch ein Brötchen essen, ehe der Unterricht beginnt.“
„Worauf wartest du dann noch?“ Frage ich ihn grinsend, stopfe alles in meine Schultasche und ziehe ihn an der Hand hinter mir aus der Bibliothek heraus.
„Du hast es aber eilig“, spottet er und läuft inzwischen neben mir, doch er macht keine Anstalten seine Hand von der meinen zu lösen.
„Ich habe Hunger.“
„Dann sollten wir wirklich schnell laufen, der Unterricht beginnt in zehn Minuten und dann verschwindet, dass essen vom Tisch und alles, was du nicht in der Hand hälst, ist weg.“
Ich lege noch einen Zahn zu.
„Dann los.“
An der Treppe, die nach unten führt, von wo man schon Murmeln vernehmen kann, bleiben wir stehen.
„Wir sollten nicht... so in die Große Halle gehen“, stellt er nüchtern fest und lässt meine Hand los. Ich grinse ihn an.
„Schämst du dich für mich?“
„Nein.“ Ungerührt sieht er mir in die Augen.
„Dann ist ja gut“; ich schenke ihm mein strahlendstes Lächeln und setzte mich in Bewegung.
„Auf jetzt! Ich will noch ein Brötchen!“
„Wenn du besser in Arithmantik wärst, hättest du früher etwas zu Essen bekommen.“
„Ich bin aber nicht besser“, meine ich und überspringe die letzten Stufen. Unten drehe ich mich fröhlich zu ihm um.
„Soll ich dir bei deinem Tempo ein Brötchen reservieren?“ Necke ich ihn.
„Mach“; sagt er mit ernster Miene und ich weiß nicht, ob das seine Art ist Humor zu zeigen oder ob er es ernst meint. Da er allerdings die meisten Dinge ernst meint, werde ich ihm wohl ein Brötchen mit Marmelade bestreichen, dass isst er jeden Morgen, meine Beobachtungen zeigen also doch Früchte.
Mein Freunde beobachten mein Tun mit irritiertem Blick.
Normalerweise schmiere ich zwei Brötchen nicht im Stehen und begrüße sie. Das kann ich ja jetzt nach holen.
„Wir sehen uns gleich im Unterricht, ja?“
Und schon bin ich wieder aus der Halle gestürmt, wo Tom mir gerade entgegen kommt.
„Hier“, reiche ich ihm sein Brötchen und lache über seinen kurzzeitig perplexen Gesichtsausdruck.
„Gewöhn dich nicht daran, dass ist lediglich eine Ausnahme.“
„Verstanden“, sagt er zwischen zwei Bissen und dreht sich ohne ein Dankeschön um.
„Beeil dich“, befiehlt er mir noch und macht sich nicht einmal die Mühe auf mich zu warten oder nachzusehen, ob ich ihm wirklich folge.
Er ist ein fürchterlicher Tyrann. Kann er nicht einmal nett sein?
Schmollend laufe ich ihm hinterher.
Da meine Freunde noch in der Großen Halle sitzen, werde ich scheinbar nicht zu spät zu Verwandlung kommen.
„Du hättest ruhig auf mich warten können“, keuche ich, als ich Tom endlich eingeholt habe. „Und mach’ bitte kleinere Schritte, ich bin nicht so groß wie du.“
Er sagt nichts dazu wird aber langsamer.
„Die Tür ist schon offen und ich husche hinter ihm hinein und setzte mich auf meinen Platz in der letzten Reihe.
Er begibt sich kommentarlos auf seinen Platz vor dem Pult. Es sind schon einige Schüler anwesend. Sowohl Slytherins, als auch Gryffindors. Unter anderem Jane, die mir böse Blicke zu wirft, doch bevor ich näher darüber nachdenken kann, setzt sich Ben auf seinen Platz neben mir.
„Was war gerade eben los?“
„Nichts“, ich zucke mit den Achseln. „Tom hat nur drau0en auf mich gewartet“; teile ich ihm die Halbwahrheit mit.
Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich lüge gerade einen Freund von mir, nur wegen Tom. Ich hasse Lügen. Egal, ob ich sie erzähle oder erzählt bekommen.
Sie sind falsch und verletzten immer irgendjemanden.
Immer.
Er nickt einmal und wendet sich von mir ab. Er weiß, dass ich ihm irgendetwas verschweige. Wenn er doch nur wüsste wie viel.
Professor Dumbledore begrüßt und mit dem ihm typischen Lächeln. Wenn ich sein jetziges Ich mit dem vergleiche, dass er zu meiner Zeit ist, ist er mir hier lieber.
Ihm fehlt das hinterhältige mit dem er alle in seinen Bann spinnt ohne, dass sie es merken.
Mit dem er Harry in den Tod geschickt hat und Snape dazu ihm umzubringen.
Ja, ich hasse ihn für das, was er Snape angetan hat.
Beziehungsweise antun wird.
Er nutzt Loyalität und Vertrauen aus. Er nutzt die Liebe aus.
Er glaubt an sie und nutzt sie als Mittel zum Zweck.
Tom glaubt nicht an sie und benutzt Gefühle trotzdem als Mittel zum Zweck.
Was von beidem ist schlimmer?

12. November 1944




Dienstag


Ich weiß nicht, was von beidem schlimmer ist.
Es ist beides schrecklich.
Herzlos.
Egoistisch.
Unmenschlich.
Dabei ist Egoismus das Menschlichste auf der Welt.
Seit gestern beschäftigt mich dieser Gedanke und ich komme einfach auf kein Ergebnis.
Was ist zerstörerischer?
Beides missbraucht Liebe. Das positivste Gefühl zu dem ein Lebewesen fähig ist.
Beide würdigen es nicht. Sie betrachten die Liebe anderer als Mittel zum Zweck.
Macht es da einen Unterschied, ob man an sie glaubt oder nicht?
Ob man sie selbst empfindet oder nicht?
Wo liegt da der Unterschied?
Nicht im Ergebnis. Das bleibt gleich.
Schmerz, Leid, Angst, Verlust.
Vielleicht Wut, Hass oder gar Wahnsinn.
Nur die Herangehensweise ist verschieden.
Der eine weiß wie sehr er verletzt, der andere nicht.
Liegt die Antwort nicht auf der Hand?
Doch tut der Eine es bewusst?
Weiß Dumbledore wie sehr er Menschen manipuliert und verletzt?
Verletzt er sich dabei vielleicht selbst?
Ich weiß es nicht und ich werde es wohl nie wissen.
Wo liegen die Grenzen zwischen gut und böse?
Heiligt der Zweck wirklich die Mittel?
Ratlosigkeit. So viele Fragen und keine Antworten.
Und wo stehe ich in diesem Chaos?
Was ist meine Rolle?
Welchen Part hat Dumbledore mir zugedacht?
Wusste er, dass er mir das Herz brechen wird, wenn er Snape beauftragt mich in die Vergangenheit zu schicken?

22. November 1944




Freitag


Heute vor einer Woche kam die Einladung. Eine Einladung zu einer von Slughorn Partys. Ich trage ein knielanges, schneeweißes Neckholderkleid, dessen Rock bei jeder meiner Bewegungen süß mitschwingt.
Ich kann nur immer wieder sagen, dass ich die 50er Kleider liebe.
„Lasst ihr mich so auf die Menschheit los?“ Drehe ich mich mit ausgebreiteten Armen um.
„Ich bin immer noch dafür, dass du die Haare aufmachst und nur die vorderen Strähnen hinten zusammen nimmst“, schmollt Tina mit verschränkten Armen.
Ich verdrehe die Augen. Diese Diskussion führen wir jetzt schon seit knapp einer Stunde.
Seitdem Zeitpunkt, wo sie gesehen hat, das ich die vorderen Haarpartien nicht geflochten habe und die von ihr gewünschte Frisur zu machen, sondern um meinen sein Toms Bitte obligatorischen Dutt damit zu verschönern.
„Du siehst gut aus“, meint Jessica nachdem sie mich kurz gemustert hat und wendet sich wieder ihrem Buch zu.
„Mach die Haare auf“, ruft Tina fordernd. „Das sieht viel aufreizender aus.“
„Aufreizend?“ Ich lege die Stirn in Falten.
„Vielleicht will sie ja gar nicht aufreizend aussehen“, mischt sich Chantal ein. „Du siehst auch so angemessen bekleidet aus.“
„Danke“, grinse ich sie an.
„Aber Riddle kommt! Sie sollte aufreizend aussehen. Sie sollte es wollen“, meckert Tina weiter.
„Vielleicht aber auch nicht“, murmelt Jessica abwesend.
„Eben. Sie kennt ihn besser als wir und wird wissen, was ihm besser gefällt“, verteidigt Chantal meine Entscheidung und tritt hinter mich, um mir ihre Perlenkette umzulegen.
„Jetzt ist dein Outfit komplett“, lächelt sie.
Ich betrachte mich im Spiegel. „Fast!“ Schnell laufe ich zu meiner Schmuckschatulle und hole Perlenstecker für die Ohren heraus.
„Jetzt“, präsentiere ich mich von Neuem.
„Mach die Haare auf“, ist Tinas erneuter Kommentar.
„Lass sie doch“, mischt sich Jessica wieder ein und schlägt seufzend ihr Buch zu. Sie hat wohl eingesehen, dass sie keine Ruhe findet, ehe ich weg bin.
„Warum machst du deine Haare nicht einfach auf?“ Mosert Tina weiter rum.
„Vielleicht gefällt es ihr besser, willst du nicht ein wenig Rouge auftragen?“ Versucht Chantal von Thema abzulenken.
„Nein, dann würde ich mich overdressed fühlen“, lehne ich ihren Vorschlag ab.
„Warum machst du dir nicht die Haare auf? Seit Wochen läufst du nicht mehr mit offenen Haaren rum! Ich glaube, dass lässigste, was ich in letzter Zeit an dir gesehen habe, war ein Flechtzopf!“
Ich seufze genervt auf. „Warum bestehst du denn so darauf, dass ich meine Haare aufmache? Hier im Zimmer habe ich sie doch öfters offen.“
„Aber ansonsten bindest du sie dir immer zusammen! Du hast so schöne Haare und zeigst es niemanden, wenn ich Haare hätte wie du würde ich sie präsentieren wie die neuste Erfindung vom Malfoy Imperium!“
„Malfoy Imperium?“
„Eine der größten Firmen der Zaubererwelt. Abraxas Malfoy ist der Erbe.“
„Ach ja“, murmele ich.
„Du musst los“, mischt sich Chantal mit einem Blick auf ihre Uhr ein.
„Verdammt, du hast Recht! Simon wartet hoffentlich noch auf mich“, schnell greife ich nach den schwarzen Pumps und schlüpfe sie in sie hinein.
„So wie ich meinen Bruder kenne, steht er immer noch im Gemeinschaftsraum wird wird dich nicht einmal mit deiner Verspätung aufziehen.“
„Ich kann ihm ja sagen, dass du schuld bist“, grinse ich sie an, was in ein Lachen ausartet, als ich ihren Flunsch sehe, den sie bei meinen Worten zieht.
„Keine Sorge, ich werde dich schon nicht ankreiden“, zwinkere ich ihr noch zu und verschwinde schnell aus der Tür.
„Entschuldige die Verspätung“, begrüße ich Simon.
„Kein Problem. Wir sind noch nicht zu spät, wenn wir uns beeilen“, lächelt er mild.
„Dann los! Wir wollen Gryffindor nicht blamieren.“
„Und wenn, dann bist du schuld.“
„Meinetwegen“, lache ich und klettere aus dem Portraitloch.
„Was ist jetzt eigentlich mit dir und Riddle? Habt ihr euch wieder vertragen?“
Ich nicke. „Ja gleich nach unserem Gespräch. Wir treffen uns regelmäßig. Heute morgen erst waren wir in der Bibliothek.“
Simon schüttelt den Kopf. „Ich verstehe nicht wie man mit ihm befreundet sein kann.“
„Warum?“
„Er wirkt auf mich nicht wie der Junge von nebenan, falls du verstehst, was ich meine.“
Und wie gut ich ihn verstehe. Tom ist niemand dem man einfach so auf Londons Straßen begegnet, dabei ist er genau da groß geworden.
„Da hast du wohl recht, aber manchmal verdächtige ich genau das. Diese Andersartigkeit zieht mich einfach an“; versuche ich es ihm zu erklären und öffne die Tür zu Slughorns’ Büro.
„Da sind wird. Gerade so pünktlich“, deklamiere ich und husche nach ihm in den feuerbeschienen Raum.
„Miss Capulet! Mister Wood! Ich freue mich sie mal wieder in meinem bescheidenen Heim willkommen heißen zu können. Nehmen sie Platz, nehmen sie Platz! Ich habe ihnen die gleichen Plätze wie letztes Mal reserviert. Miss Capulet schien relativ gut mit mir altem Mann und den Schulsprecher zurecht zukommen“, gluckst Slughorn fröhlich und ich frage mich wie viel Met er vorgekostet hat, bevor die ersten Gäste kamen.
„Wir waren wieder einmal sehr erfreut über ihre Einladung, Professor“, strahle ich ihn falsch an.
„Oh, sie schmeicheln mir“, gluckst er weiter und legt eine Hand auf seinen runden Bauch.
„Sie spricht nur ihre Gedanken aus, Professor. Sie müssen ihr ab und an ihr vorschnelles Mundwerk verzeihen“; mischt sich Simon mit einem entspanntem Lächeln ein.
„Aber, aber Mister Wood, die Miss...“ Ab dem Zeitpunkt steige ich aus dem Gespräch aus. Das Gefühl beobachtet zu werden, lässt meine Augen zu dem Tisch im Hintergrund schweifen, an dem der Rest von Slughorns Lieblingen bereits versammelt ist.
Die meisten unterhalten sich in gedämpften Tonfall, doch Toms schwarzwirkenden Augen betrachten mich schweigend.
Als er merkt, dass ich mich ihm zugewandt habe, schenkt er mir ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel, was bei ihm einem Begrüßungslächeln gleichkommt.
Schüchtern lächele ich zurück und wende mich dann wieder meinen beiden Gesprächspartner zu, die inzwischen bei dem letzten Spiel ihrer Quidditchmannschaft angekommen sind.
„Was hielten sie von dem Spiel, Claire?“ Versucht mich Professor Slughorn in das Gespräch zu involvieren.
„Ich verstehe nicht viel von Quidditch, Sir, aber wenn sie mich schon fragen, dann muss ich wohl zugeben, dass die Sieger verdient gewonnen haben.“
Er lacht wieder, als hätte ich einen guten Witz gemacht.
„Entzückend, Miss. Wirklich reizend, aber wir sollten uns jetzt hinsetzten, bevor mir jemand vor Hunger umkommt“, zwinkert er mir freundlich zu.
„Professor Slughorn, Sir. Bei ihren Gesellschaften würde kein Schüler in die Verlegenheit kommen auch nur eine Sekunde zu verpassen“, beschwichtige ich ihn und fühle mich einen Moment lang dem Hause Slytherin so nahe wie nie zuvor.
Sie sind entzückend, Miss. Wirklich! Ich könnte sie alleine einladen und mir würde nie langweilig werden!“
„Ich gebe mein Bestes, Sir“, schleime ich hinter seinen Rücken mit vor mir selbst ekelverzogenem Gesicht. Wenn ich noch länger so viel Süßholz raspele, lande ich gewiss in der Hölle nach meinem Ableben.
„Guten Abend, Tom.“
„Abend, Claire“, seine Stimme kommt einem Kühlhaus gleich.
„Alles in Ordnung?“ Mit gerunzelter Stirn sehe ich ihn an. Er erwidert meinen Blick kalt.
„Ja.“
„Habe ich dich irgendwie verärgert?“
Er sieht mich noch einen weiteren Moment an und wendet sich dann von mir ab, da Slughorn uns alle noch einmal willkommen heißt und das Essen für eröffnet erklärt.
Manchmal fühle ich mich wie auf einer öffentlichen Veranstaltung für König Georg VI.
Nur das Klappern der Löffel gegen die Suppenteller ist während der Vorspeise zu vernehmen. Der Anfang dieser Veranstaltung verläuft immer so gezwungen, dass ich mich automatisch versteife.
Als Hauptgang werden und Hähnchenbeine mit Klößen und irgendeiner köstlichduftender Soße serviert.
„Ich hasse den Anfang von diesen Abenden“, flüstere ich Tom zu, die eisige Stimmung, die er ausstrahlt ignorierend.
Wenn ich immer auf seine Launen Rücksicht nehmen würde, käme ich aus dem Jonglieren nicht mehr heraus.
Er geht nicht darauf ein. Er wendet nicht einmal den Blick von seinem Essen ab. Ich verziehe meine Lippen zu einem Schmollmund.
„Tom?“
Er reagiert nicht.
„Tom?“
Demonstrativ schiebt er sich ein Stück Fleisch in den wohlgeformten Mund, zumindest wirkt es auf mich demonstrativ.
„Tom? Sicher, dass ich dich nicht verärgert habe? Was ist los?“ Versuche ich es von Neuem. Viele würden mich als lebensmüde bezeichnen. Zumindest in meiner Zeit, immerhin missachte ich die sichtbar aufgezeigten Grenzen des Dunklen Lords.
Niemand schenkt uns Beachtung alle unterhalten sich, auch Slughorn ist ein angeregtes Gespräch mit der Schulsprecherin verwickelt.
„Tom, bitte“, flehe ich ihn fast an. „Was habe ich falsch gemacht? Habe ich etwas Falsches zu dir gesagt?“
Er reagiert immer noch nicht. Langsam macht sich Verzweiflung in mir breit. Was habe ich getan? Was ist los? Habe ich etwas zu ihm gesagt, was ihn verärgert haben könnte?
Aber, wenn wann? Er hat mich doch noch begrüßt!
Mein Magen verknotet sich zu einem dicken Klumpen. Ich fühle mich hundsmiserabel. Uninteressiert schiebe ich meine Essen mit der Gabel auf dem Teller hin und her.
Warum macht es mir nur so viel aus nicht zu wissen, was mit ihm los ist?
Er hat sich bis jetzt doch immer wieder gefangen. Was ist bloß los.
Am liebsten würde ich das Besteck beiseite legen, mich entschuldigen und gehen.
Doch, dass geht nicht. Dann ist Tom klar, dass er mich durch seine Ignoranz in der Hand hat und er ist der letzte, dem man eine Schwäche offenbaren darf.
Also, zwinge ich eine weitere Gabel in mich hinein und kaue bedächtig.
Tom und ich sind die Einzigen am Tisch, die immer noch nicht reden.
Aber es fällt niemanden auf. Alle sind mit sich selbst beschäftigt. Lachen, Reden, Diskutieren.
„Ich mag es nicht“, sagt Tom emotionslos.
Trotzdem breitet sich ein Glücksgefühl in mir aus. Glück in seiner reinsten Form scheint durch meine Venen zu pulsieren, als ich mich zu ihm umwende.
„Was magst du nicht?“ Erkundige ich mich.
Er reagiert nicht darauf.
„Tom, was habe ich falsch gemacht?“
Er scheint ein aufseufzen zu unterdrücken. Zumindest atmet er genervt aus.
„Nicht hier. Nicht jetzt.“
„Wann dann?“ Ungeduldig rutsche ich auf meinen Stuhl hin und her und bemerke erst gar nicht, dass der Hauptgang durch dein Nachtisch – Schokoladenkuchen mit Vanillesoße und Erdbeeren – ersetzt wurde.
„Iss!“
Genervt ziehe ich einen Flunsch, was in seien Augen ein amüsiertes Aufblitzen zaubert. Himmel! Tom hat sich über mich amüsiert.
Er findet mich lustig. Unterhaltsam.
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Da bin ich mir absolut sicher.
Wenn jemand einen nicht leiden kann, dann wäre er von so einem Verhalten, wie ich es so eben an den Tag gelegt habe, eher genervt.
Aber es hat ihn amüsiert.
Mein Magen schlingert vor Freunde und mein Appetit kehrt zurück. Ich weiß zwar immer noch nicht, was ihn verärgert hat, aber so schlimm kann es gar nicht sein, wie ich zuerst vermutet habe.
Genießerisch schiebe ich mir das erste Stück Schokoladenkuchen mit Vanillesoße in den Mund.
„Mh“, seufze ich zufrieden und lasse den Geschmack auf mich wirken. Genießerisch lege ich den Kopf in den Nacken und schlucke.
„Merlin ist der lecker“, seufze ich zu Frieden und lecke mir über die Unterlippe.
„Das meinte ich. Ich mag das nicht.“
Schnell öffne ich meine Augen wieder und setzte mich wieder gerade hin, um ihn ansehen zu können.
„Was meinst du?“
„Dein Verhalten.“
„Mein Verhalten?“ Was habe ich denn falsch gemacht? Ich habe niemanden beleidigt oder irgendetwas angestellt.
„Ja“, faucht er geradezu. Ein absolut untypisches Verhalten für den sonst so kontrollierten Tom Riddle. Aber sein späteres Ich hat ja auch des Öfteren Wutanfälle.
„Was habe ich denn gemacht?“
„Iss“, seien Stimme nimmt wieder den üblichen emotionslosen Tonfall an und er wendet sich selbst wieder seinen Essen zu.
Dabei betreibt er Smalltalk mit Professor Slughorn.
Mein Blick wandert zu seinen filigranen Händen. Lange Finger, wohlgeformte Handteller.
Wie kann ein Mensch nur so makellos sein?
Wenn er wirklich aussieht wie sein Vater kann ich seine Mutter verstehen.
In einen Mann wie ihn kann man sich nur verlieben. Auch, wenn sein Charakter eindeutig Defizite aufweißt.
Nachdem alle gegessen haben und Professor Slughorn noch ein paar Anekdoten aus seiner Jugend erzählt hat – machen waren wirklich lustig – verabschiedet er uns alle mit einem freundlichen Lächeln.
„Kommst du noch mit zu mir?“ Fragt mich Tom, nachdem er seinen Hauslehrer die Hand geschüttelt hat.
Ich habe noch auf ihn gewartet, da ich auf genau diese Frage gehofft habe.
Immerhin muss er mir noch erklären, was ich seiner Meinung nach falsch gemacht habe.
Schnell verabschiede ich mich von Simon und höre mir noch eine „Pass auf dich auf“ –Rede an.
Danach mache ich mich mit Tom schweigend auf den Weg zu seinen Schulsprecherräumen.
Nervös knete ich mir dabei die Hände.
Was wird er wohl sagen?
Was habe ich getan?
Worüber regt er sich auf?
Und warum konnte er es mir nicht einfach sagen?
Leise flüstert er sein Passwort und lässt mir den Vortritt, nachdem sich die Tür geöffnet hat. Vorsichtig trete ich ein. Das letzte Mal als ich hier war, hat nicht so gut geendet.
Danach hat er mich tagelang missachtet und diese Phase der Ignoranz steckt mir immer noch in den Knochen.
„Setz dich, ich koche Tee.“
„Hast noch von diesen Plätzchen da?“ Lächele ich ihn an.
„Ja, soll ich dir den Umhang abnehmen?“
Für den Weg hierher habe ich mir wieder meinen Winterumhang angezogen, damit ich mich in dem kurzen Kleid nicht erkälte. Ich sollte mir vielleicht ein paar langärmelige und bodenlange Kleider zulegen, doch ich bin in Hogsmeade ja nicht zum Shoppen gekommen.
Ich weiß immer noch nicht, was ich zur Weihnachtsfeier von Slughorn anziehen werde, dabei vergehen bis dahin nicht mehr all zu viele Wochen.
„Gerne.“
Er stellt sich hinter mich und greift gentlemanlike nach meinem Mantel, den ich mir von den Schultern streife. Langsam drehe ich mich um, als ich aus dem zweiten Ärmel schlüpfe und lächele zu ihm herauf.
„Dankeschön“, meine Stimme klingt belegt. Seine Nähe und die leichte Berührung seiner Fingerspitzen an meiner Schulter vor wenigen Sekunden haben meine Hormone zum Achterbahn fahren gebracht.
Er nickt kurz und ich sehe seinen Adamsapfel hüpfen. An ihm ist dieser Moment als auch nicht spurlos vorbeigezogen. Perfekt.
Da er mich immer noch ansieht und ich mich langsam aber sicher unwohl bei seiner Musterung fühle, drehe ich mich um und setzte mich wie befohlen auf den selben Sessel wie letztes Mal. Mit einem Zauberstabschlenker entfache ich das Feuer.
Ich lasse mich in die Polster zurückfallen und behalte meinen Zauberstab lässig zwischen den Fingern und drehe ihn hin und her. Dabei ruht der Unterarm auf der Sessellehne.
Im Hintergrund höre ich wie Tom Wasser aufkocht und Tassen aus einem kleinen Schrank holt.
„Mit Zucker?“
„Ja, gerne.“
Ich streife mir die Schuhe ab und bewege meine Zehen in der Feinstrumpfhose. Ich habe gar nicht gewusst, dass es die schon in den 50er Jahren gibt.
Bis ich sie in einem Laden gesehen hatte, dachte ich, dass es hier nur dicke Wollstrümpfe gibt, aber das ist eindeutig ein Zeichen dafür, dass ich Geschichte der Zauberei besser nicht abgewählt hätte.
„Hier“, erklingt Toms Stimme neben meinem Ohr und ich wende mich ihm zu. Mein dankbares Lächeln quittiert er mit einem Zucken seiner Mundwinkel.
Inzwischen scheint es ihm nicht mehr so schwer zufallen mir ein Minimum an Gefühlen zu zeigen. Das Zucken seiner Mundwinkel oder ein belustigtes Kopfschütteln sind inzwischen etwas ganz natürliches an ihm in meiner Nähe. Ebenso seine unangefochtene Geduld, wenn er mir versucht etwas in Arithmantik zu erklären.
Seufzend streift auch er sich seine Schuhe ab und wirkt dabei wie ein gewöhnlicher Siebzehnjähriger.
So gewöhnlich, dass es mir beinahe Angst macht.
Wo ist das Monster, dass unser aller Leben zerstören wird?
Ich sehe zu ihm rüber und verziehe das Gesicht. Er trägt immer noch eine Krawatte und hat den Oberen Knopf seines Hemdes zu. Das muss doch total unbequem sein.
Vorsichtig stehe ich auf und laufe zu ihm rüber. Er beobachtet mich unter halbgeschlossenen Lidern. Ich glaube, er kann nicht ganz einschätzen, was ich vor habe.
Vorsichtig lasse ich mich auf einer Armlehen seines Sessels nieder und schiebe meinen Zauberstab zwischen den Spalt meiner Brüste, damit er mich nicht stört und er sich nicht bedroht fühlt. Das wäre nämlich mein Gefühl, wenn mir jemand mit dem Zauberstab an der Kehle herumwerkeln würde. Nur die Spitze sieht heraus.
Ich kann seinen Blick spüren, wie er meine Bewegungen verfolgt hat, als ich den Zauberstab dahin gesteckt habe und muss ein freches Grinsen unterdrücken.
Unser Schulsprecher ist also auch nur ein Junge.
„Darf ich?“ Frage ich platonisch und warte seine Antwort gar nicht ab. Ich beuge mich zu ihm runter und ziehe seine Krawatte auf, sodass ich sie ihm über den Kopf schieben kann.
Vorsichtig lege ich sie auf den kleinen Beistelltisch neben das Tablett mit dem Tee.
Dann beuge ich mich wieder über ihn. Sachte streicht sein Atem über meine Wange, meinen Hals.
Gänsehaut breitet sich flächendeckend auf mir aus.
Meine Finger zittern leicht, als ich seine Hemdkragen berühre. Er sitzt ganz still da. Nur seine Brust hebt und senkt sich im Rhythmus seiner Atmung.
„Besser.“
Er sieht mich einfach an. Mit einem kleinen Lächeln erhebe ich mich und setzte mich zurück in meinen Sessel.
„Also, was habe ich falsch gemacht?“ Lenke ich von der ebigen Situation ab.
„Ich möchte nicht, dass du so mit anderen Männern redest. Und nimm den Zauberstab aus deinem Ausschnitt.“
Schnell komme ich seinem Befehl nach und wende mich ihm dann zu.
„Wie rede ich denn mit Männern deiner Meinung nach?“
„Du flirtest mit ihnen.“
Mit großen Augen sehe ich ihn an. Es fehlt nur noch, dass mir die Kinnlade runterklappt.
„Ich flirte mit ihnen?“
„Ja“, stoßt er erbost aus. „Wie du lachst und den Kopf in den Nacken legst. Das macht mich verrückt!“
Wenn ich ihn weiterhin so anstarre trocknen meine Augen aus. Das ist der größte Gefühlsausbruch, den ich bisher an ihm erlebt habe.
Es stört ihn, wie ich mit anderen Männern umgehe?
„Ich werde mir Mühe geben nicht mit ihnen zu flirten“, murmele ich halb in Gedanken versunken.
Er ist eifersüchtig. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Will er, dass er mein einziger Freund hier ist oder will er vielleicht mehr von mir. Bei den Gedanken fängt mein Herz an zurasen.
Tom ist eifersüchtig. Auf alle männlichen Wesen mit denen ich rede. Er sagt, ich würde mit ihnen flirten.
Es macht ihn verrückt wenn ich den Kopf in den Nacken lege.
Er hat von mir verlangt, dass ich die Haare zusammen binde. Und ich habe es getan.
Und seinen neuen Wunsch habe ich auch einfach akzeptiert. Verdammt.
Ich darf es ihm nicht so einfach machen.
Er fängt an ich zu kontrollieren. Macht auf mich auszuüben. Das muss ich unterbinden. So leid es mir tut und gerne ich ihm alles recht machen würde. Tom braucht jemanden der ihm die Stirn bietet und seine Freunde tue das gewiss nicht.
„Tom, du kannst nicht von mir verlangen, das ich gar keinen Kontakt zu Simon und anderen Männern habe. Das ich mit ihnen rede. Ich bin ein eigenständiger Mensch, habe gerne Freunde und unterhalte mich gerne. Du kannst mich nicht darum bitten, das aufzugeben.“
Er sieht mich an und nippt an seiner Teetasse.
„Das hatte ich auch nicht vor.“
„Es klang aber so.“
„Das war nicht beabsichtigt.“
„Und jetzt?“
„Was meinst du?“
„Was betrachtest du als flirten? Ich werde nicht aufhören mit meinen Mitmenschen zu kommunizieren, aber ich kann versuchen dich weniger zu verärgern.“
„Lächele nicht mehr so viel.“
„Du willst, dass ich nicht mehr lächele?“ Entsetzt sehe ich ihn an. Ist ihm denn nicht klar, dass nicht jeder so ein Eisblock sein kann und will wie er es ist?
„Das habe ich nicht gesagt. Du sollst nur andere nicht so oft anlächeln.“
Andere so oft anlächeln? Kontrollzwang ist bei ihm eindeutig eine Untertreibung. Er will, dass ich meine Emotionen anderen gegenüber nicht mehr zeige.
Beziehungsweise, es ihnen nicht mehr zeige, wenn ich glücklich bin?
„Tom, normale Menschen lächeln, wenn sie glücklich sind“, versuche ich ihm das Problem näher zubringen.
Er verzieht das Gesicht, als würde ihm etwas weh tun und sagt erst einmal nichts dazu.
Minutenlang sitzen wir da und beobachten das Feuer. Meine Augen werden langsam schwer, doch ich fühle mich zu wohl um zu gehen. Seine Nähe weckt in meiner Brust ein Glücksgefühl, dass mir fehlt, sobald er nicht mehr in meiner Nähe ist.
Diesen Verlust möchte ich so lange wie möglich herauszögern.
„Ich will dir nicht den Kontakt zu deinen Freunden verbieten“; sagt er nach einiger Zeit. „Und ich will nicht, dass du eine andere wirst“, setzt er zögerlich hinten an. „Aber mach’ nicht so viel mit Benjamin. Ich hasse die Blicke, die er dir zuwirft.“
„Blicke?“
„Siehst du es nicht?“
Ich schüttele den Kopf und nehme mir einen Keks.
Er schnaubt abfällig. „Pass einfach auf.“
„Werde ich“, bestätige ich mit einem Lächeln, dass so strahlend wie die Sonne ist.
Er ist eifersüchtig auf andere Jungs in meiner Nähe. Er will mein Lächeln nur für sich!
Ich kann mein Glück kaum fassen.
Tom Riddle ist eifersüchtig. Wegen mir!
Und er mag mich!
Am liebsten würde ich durch das Zimmer tanzen und „er mag mich, er mag mich, er maaaaag mich“ singen.
Ich weiß, dass ist etwas übertrieben, aber ich war noch nicht so glücklich in meinem Leben. Nicht einmal, als ich Neville als Freund gefunden habe oder wir einen sicheren Ort vor den Carrows fanden.
Mein Leben scheint in diesem Moment vollkommen zu sein.
Mit einem glücklichen Lächeln umfasse ich die Tasse in meinen Schoß fester und starre in das mir nur fröhlich erscheinende Feuer.
Ich spüre noch wie Tom mir ab und an blicke zuwirft, doch auch er durchbricht die friedliche Stille nicht.
Er weiß genauso gut wie ich, dass ein falsches Wort die ruhige Stimmung zum Kippen bringen kann und alles, was wir heute erreicht haben zunichte machen kann.

23. November 1944


Samstag

Müde räkele ich mich unter der Bettdecke. Am liebsten würde ich mich noch einmal auf die Seite drehen, doch dann würden sich die Mädels nur Sorgen machen.

Also, schlage ich die Augen auf und bin erst einmal vollkommen orientierungslos.

Wo bin ich?

Kurz beschleicht mich das Gefühl von Panik, doch dann erkenne ich, trotz der zugezogenen Vorhänge, den Raum.

Es ist Toms Zimmer, im Kamin glimmt die Asche noch leicht. Die Möbel werfen schwarze Schatten und alles farbliche, was ich ausmachen kann ist grün oder silbern.

Vorsichtig drehe ich mich auf den Rücken.

Wo ist Tom?

Ich setzte mich auf und lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Er ist nirgendwo zusehen. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es schon spät ist.

Spät für unsere Verhältnisse. Die meisten schlafen samstags um Viertel vor acht noch.

Ich trage mein Kleid nicht mehr. Nur in BH und Slip sitze ich in Tom Riddles Bett. Sogar meine Strumpfhose hat er mir ausgezogen.

„Tom?“, rufe ich leise in den leeren Raum hinein. Er hat mich hier doch nicht alleine gelassen?

Nachdenklich lehne ich mich an das Kopfgestell und öffne meinen Dutt. Vorsichtig kämme ich meine Locken mit den Händen, bevor ich sie erneut zusammen binde.

Ich könnte einfach hier in Bett bleiben, bis Tom sich wieder blicken lässt.

Kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht öffnet sich eine unauffällige Tür an der hinteren Wand, an der auch das Bett steht.

Herauskommt ein frisch geduschter, schon perfekt gekleideter Schulsprecher, dem noch vereinzelt Wassertropfen aus den Haaren fallen.

„Guten Morgen“, begrüße ich ihn mit einem schwachen Lächeln.

„Morgen“, murmelt er tonlos und sieht mich an.

Sobald er realisiert, dass ich nur meine Unterwäsche trage, geht er zu seinem Schrank und sucht ein schwarzes Hemd heraus, welches er mir bringt.

„Zieh das an, bis du gehst.“ Seine Stimme klingt unbeteiligt und gelangweilt. Typisch Tom.

Schnell knöpfe ich das mir viel zu große Hemd vor meinen Brüsten zu und lass den Rest erst einmal offen.

Ein Hemd. Ich trage ein Hemd, kein Kleid.

In diesem Kleidungsstück fühle ich mich zurückversetzt in die Zukunft.

In den Ferien bin ich auch ganz oft in einem viel zu großem Hemd meines Vaters herumgelaufen. Ich habe dieses Gefühl von Luftigkeit geliebt und ich tue es immer noch.

Meine nackten Füße patschen leise auf den kalten Holzboden, als ich aufstehe.

Unentschlossen wandert mein Blick zu Tom rüber, der wieder einmal Tee für uns kocht.

Daran könnte ich mich gewöhnen. Wirklich.

Vorsichtig stelle ich mich neben ihn.

„Ich lass Frühstück kommen, dann müssen wir nicht runter.“

Zur Bestätigung, dass ich ihn gehört habe, nicke ich. „Klingt gut.“ Leich lächelnd lehne ich mich mit meinem Hinter an die Küchenzeile. „Hast du einer Hauselfe schon Bescheid gegeben?“

„Ja, sie müsste gleich zurückkehren. Ich wollte dich sowieso gleich wecken.“

„Danke.“

„Wofür?“

„Dafür, dass du mich hast hier schlafen lassen und mich aus den Sessel gehoben hast, ich hätte sonst sicherlich Nackenschmerzen bekommen.“

„Gern geschehen. Du bist nicht sonderlich schwer.“

Grinsend schüttele ich den Kopf. Nicht schwer? Ich bin über 1, 70 m und sicherlich kein Fliegengewicht.

Nachdem er das heiße Wasser in die Teekanne umgefüllt hat, sieht er mich zum ersten Mal, seitdem ich aufgestanden bin.

Langsam wandert sein Blick meinen Körper herunter und wieder zu meinem Gesicht herauf. Mühsam unterdrücke ich ein herausforderndes Grinsen. Was sagt man denn dazu?

Erstaunt halte ich die Luft an, als er seine Hand hebt und nach mir ausstreckt. „Dreh dich um“, befiehlt er und ich komme der Aufforderung ohne zu Fragen nach.

Viel zu sehr rast mein Herz.

Viel zu trocken ist mein Mund.

Ich würde kein einziges Wort zustande bringen. Wie ein Fisch würde mein Mund auf und zu klappen, wenn ich versuchen würde etwas zu sagen.

Seine Finger öffnen meinen Zopf und vorsichtig streicht er über mein Haar, bis es ordentlich über meinen Rücken liegt.

Ein Zittern durchläuft mich.

Ein aufgeregtes Kribbeln auf der Haut, in den Fingerspitzen.

Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe.

Bei Merlin! Er hat doch nur mein Haar geöffnet!

Wieso reagiere ich darauf so intensiv?

Nachdem er wieder von mir abgelassen hat, drehe ich mich wieder zu ihm um und suche seinen Blick.

Seine dunkelbraunen Augen ruhen ausdruckslos auf meinem Gesicht.

So kalt. So verdammt kalt.

Wieder streckt er eine Hand nach mir aus und holt eine Strähne nach vorne, sodass sie auf meine Brust fällt.

Seine Augen sind wie glühende Kohlen, die mich zu versengen versuchen. Ausdruckslos, kalt. Und doch so intensiv, dass ich es nicht begreifen kann.

Sie lösen einen Sturm der Gefühle in mir aus. Ein Kribbeln, ein Kribbeln im ganzen Körper. Ein Schwindelgefühl im Kopf.

Ein so heftiges Beben in den Lippen, dass ich mir in die Unterlippe beißen muss, um den Drang ihn zu küssen unterdrücken zukönnen.

Ich darf nichts überstürzen.

Normalerweise ist es der Junge, der das Mädchen Stück für Stück erobert, doch hier ist es anders. Tom würde nicht einmal in Traum daran denken einem Mädchen den Hof zumachen, um es so auszudrücken.

Er glaubt nicht an die Liebe, also warum sollte er darum kämpfen?

Mit einem Plopp taucht hinter uns plötzlich eine Hauselfe mit einem vollbeladenen Tablett auf.

„Das Frühstück für zwei Mister Riddle, Sir!“, quiekt sie diensteifrig und schafft es sich leicht zu verbeugen ohne etwas runter zuwerfen.

„Stell es auf den Tisch“, befiehlt er barsch. Ob wegen der Unterbrechung oder ob er immer so mit Hauselfen umgeht, vermag ich nicht zu sagen.

„Danke“, rufe ich ihr noch zu, ehe sie wieder mit einem Plopp verschwindet.

Tom sieht mich verwirrt an.

„Was?“

„Wofür hast du dich bedankt?“

„Für das Frühstück“, teile ich ihm mit und stelle mich auf die Zehenspitzen, um an die Tassen zu kommen.

„Ich mach’ das schon“, sagt er ruhig und stellt sich dicht hinter mich. Ich müsste keinen halben Schritt zurückgehen, um mich gegen ihn zulehnen.

Doch das wäre ein Fehler. Er würde, dass sicherlich nicht gut heißen. Noch nicht. Es ist zu früh.

Allein, dass ich es wage hier so herum zulaufen, ist schon riskant.

Es ist eindeutig gegen die gesellschaftliche Moral und gegen sein Verständnis von Anstand.

Aber er hat es ja vorgeschlagen und mich stört so etwas gewiss nicht.

Das Hemd geht mir bis zur Hälfte meiner Oberschenkel. Nicht einmal alle meine kurzen Hosen sind so lang.

„Geschafft“, jubele ich und drehe mich u ihm mit einem fetten Grinsen um. Er sieht nicht so begeistert aus.

„Was?“

„Ich habe gesagt, dass ich das mache.“ Seine Stimme ist rau, leicht belegt. Was hat er denn?

„Ich weiß, aber ich wollte es selbst schaffen“, lächele ich ihn entwaffnend an.

„Lass und frühstücken gehen“, wechselt er das Thema, kehrt mir den Rücken zu und setzt sich in seinen Sessel.

Gut gelaunt folge ich ihm und stelle die Tassen zu dem Tablett.

„Lass es dir schmecken, Tom!“

„Du dir auch.“

 

Still haben wir unser gemeinsames Frühstück eingenommen und dazu Tee getrunken.

Eine sehr angenehme, beinahe heimselige Stimmung hat dabei zwischen uns geherrscht.

Wir sitzen immer noch auf seinen Sesseln und starren einfach ins Feuer.

Inzwischen habe ich mir seine Bettdecke um die Beine gewickelt und lausche ihm wie er mir aus seinem Lieblingsbuch vorließt.

Es ist das Abenteuerbuch eines Zauberers, der durch die ganze Welt gereist ist und dabei die unterschiedlichsten Hexen und Zauberern begegnet ist.

Merkwürdige Flüche, Pflanzen, fremdartig erscheinende Tiere und verzauberte Orte in jedem Land hat er besucht.

Am liebsten würde ich Tom fragen, ob er das auch nach seinem Schulabschluss machen möchte, denn ich glaube mich vage erinnern zu können, dass Snape so etwas in die Richtung erwähnt hat.

Ich unterbreche ihn jedoch nicht, da ich ihn auf keinen Fall dazubringen will, dass er aufhört mir vorzulesen.

Viel zu gerne lausche ich seiner tiefen, samtigen Stimme.

Dem weichen Klang, den er den Wörtern verleiht.

Viel zu gerne sehe ich die Luftschlösser die er um uns herum errichtet. Grüne Dschungel voller gefährlicher Tiere. Über all ein Klappern, Fauchen. Schwüle drückende Luft, die mich schläfrig macht und mich tiefer in seine Decke treibt.

Doch schon Sekunden später sind wir in der Wüste. Weit und breit kein Wasser, keine Oase, nur Sand. Sanddünen soweit das Auge recht. Flimmernde Luft, die einem Trugbilder vorgaukelt, nur um ihre Tödlichkeit zu verdecken.

Frostige Tundra mit raureif überzogenem Gras, Nadelwäldern soweit das Auge reicht und kaltem Wind, der einem um die Nase peitscht und den Geschmack von Schnee auf die Zunge legt.

Kalter Regen, der einem im Gesicht sticht und bis aufs Mark frieren lässt.

Toms Stimme verleiht den Worten Gestalt, den Sätzen Figur.

Ich könnte ihm stundenlang zuhören ohne zumerken, wie die Zeit vergeht.

Kaum habe ich das zu Ende gedacht, legt Tom das Buch zur Seite und sieht mich an.

„Warum hörst du auf?“, frage ich und ziehe einen Schmollmund. Er lächelt. Zwar nur kurz, aber er lächelt.

„Ich lese dir seit Stunden vor. Es gibt bald Abendessen. Hast du keinen Hunger?“

Jetzt, wo er es sagt, fällt mir auf, dass das Feuer heruntergebrannt ist und in meinem Magen ein Vakuum herrscht.

„Wo du es sagst, schon.“

„Dann sollten wir essen gehen.“

„Können wir nicht wieder hier essen?“

Er schüttelt den Kopf. „Wir haben schon das Frühstück und das Mittagessen verpasst. Wenn wir noch einmal fehlen, werden sich manche Sorgen machen.“

„Simon weiß, wo ich bin. Wenn sie mich bräuchten, wären sie her gekommen und deinen Freunden fällt mein Fehlen nicht auf und du kannst dir doch etwas ausdenken“, bettele ich beinahe und sehe ihn mit meinem besten Hundeblick an.

Er seufzt. „Ich lass die Hauselfen etwas bringen.“

„Perfekt, ich gehe nur schnell duschen!“, strahle ich ihn an und springe schon auf, bevor er Einspruch erheben kann.

In seinem Bad staune ich erst einmal ausführlich über die große Wanne mit dem Duschkopf, dem großen Waschbecken und den riesigen Spiegel. Nur das Klo scheint normale Formen zu haben.

Auch hier ist alles grün – silbern.

Schnell strecke ich meinen Kopf aus der Tür heraus.

„Tom?“

„Hm?“ Er sitzt immer noch im Sessel und macht sich nicht einmal die Mühe Interesse zu heucheln.

„Dein Bad ist der Wahnsinn!“, kreische ich beinahe – wirklich nur beinahe, hohe Töne sind mir zuwider -  und verschwinde wieder in diesem Traum.

Ich lasse aus jedem Hahn etwas hineinlaufen, gelbes Wasser, klares Wasser, rote große Blase, grüne kleine. Blaue duftende.

Aus einem Hahn kommt sogar Milch!

Ich bin im Himmel. Wer hat mich wann wo umgebracht?

Mit einem wohligen Aufseufzen lasse ich mich in die Wann gleiten. Sie wäre groß genug für drei Personen und so tief, dass ich nicht auf den Boden komme, wenn ich mich mit den Armen an den Rand abstütze.

Traumhaft. Langsam spüle ich mir die Haare aus und sehe mich um. Eine Bürste, Zahnpasta, Zahnbürste und Creme stehen auf der Ablage vom Waschbecken. Handtücher liegen ordentlich gestapelt in einem Regal.

Perfekt, da kann ich mir dann einfach eins nehmen.

„Accio sauberes Handtuch“, murmele ich mit meinem Zauberstab in der Hand und beobachte die gerade Fluglinie auf mich zu.

Schweren Herzens steige ich aus dem warmen Wasser und reibe mich trocken.

Meine Unterwäsche reinige ich mit einem Schlenker meines Zauberstabs und Toms Hemd verfrachte ich in die Wäsche.

Will ich jetzt wirklich den BH anziehen? Eigentlich habe ich gar keine Lust auf ihn. Schulterzuckend lege ich ihn zu seinem Badezimmerutensilien und wickele mir das Handtuch um den Oberkörper.

So komme ich dann aus dem Bad heraus und sehe, dass er mit den Essen schon auf mich wartet.

 „Hast du ein Hemd oder Shirt für mich?“

Beim Klang meiner Stimme hebt er den Kopf, steht auf und läuft zu seinem Schrank.

„Schläfst du wieder hier?“

Kurz zögere ich, bevor ich nicke. Doch, dann fällt mir auf, dass er mir den Rücken zugekehrt hat.

„Ja, ich schlafe wieder hier“, sage ich so fest wie möglich und laufe bis zu den Haarspitzen rot an für den Moment.

Glücklicherweise hat er mir immer noch den Rücken zugekehrt und sucht in seinen Schrank nach einem Kleidungsstück für mich.

„Hier“, hält er mir ein schwarzes T-Shirt hin.

„Danke“, murmele ich und verschwinde wieder im Bad. Dort lasse ich das Handtuch fallen und schlüpfe in das mir viel zu große Shirt. Vorsichtig schnuppere ich daran. Es riecht nach Waschmittel und ein kleinwenig nach ihm.

Lecker.

Leider habe ich nicht viel Zeit mich damit zu beschäftigen. Draußen wartet nämlich ein köstlich duftendes Abendessen.

Fröhlich vor mich hinsummend komme ich wieder aus dem Bad und setzte mich in meinen Sessel.

„Kann’s losgehen?“

Er nicht und richtet seinen Zauberstab auf meinen Kopf. Sofort werden meine Haare trocken und fallen mir in seidigen, kupferroten Wellen über die Schulter.

„Danke.“ Verlegen lächele ich ihn an, bevor ich mich auf das Essen stürze.

Jetzt, wo dieser köstliche Duft in meine Nase steigt, merke ich umso deutlicher, wie hungrig ich bin. Ich nehme mir von allem Etwas und balanciere den Teller auf meinen Knien.

„Ich liebe Essen“, stöhne ich zwischen zwei Bissen und lege meinen Kopf genießerisch in den Nacken, wohlwissend, dass es irgendeine Wirkung auf ihn hat, sonst hätte er mir diese Geste in der Öffentlichkeit nicht verboten.

Er ist verdammt besitzergreifend.

Oder ist es Eifersucht?

Ich kann es nicht ohne weiteres benennen.

„Das habe ich schon gedacht“, meint er amüsiert und nimmt sich etwas Brokkoli.

„Wirklich?“ Gehe ich auf seinen Tonfall ein und funkele ihn belustigt an. Wenn er so weiter macht, wird er ja richtig emotional.

Er nickt. „Bist du dir sicher, dass dich deine Freunde nicht suchen?“

Ich zucke mit den Schultern. „Ich habe Simon gestern Abend gesagt, wo ich hingehe.“

„Das wird die Gerüchteküche zum Kochen bringen. Machst du dir keine Sorgen um deinen Ruf?“

Ich schüttele energisch den Kopf. „Nicht im Geringsten.“

Warum sollte es mich auch kümmern? Nach diesem Jahr sehe ich keinen hier wieder und die Leute aus meiner Zeit werden es niemals erfahren, dass ich jetzt die zweite Nacht hintereinander bei Ton Riddle schlafe.

„Was ist mit deinen Freunden?“

„Sie sind es gewohnt, dass ich mich an machen Wochenenden bei ihnen nicht blicken lasse.“

Verstehend nicke ich.

„Machen wir morgen Hausaufgaben?“, wechsele ich das Thema. Ich möchte jetzt nicht an seine Todesser denken. Oder, daran dass sie ihn hier schon Lord nennen.

Wissen sie von seinem Mord an seiner Familie?

Respektieren sie ihn deshalb?

Fürchten sie ihn?

Wie hat er jahrelange Schulfreunde dazugebracht ihn als Lord zu bezeichnen?

Er ist und bleibt ein Rätsel für mich, doch heute möchte ich mich nicht damit befassen. Dafür habe ich noch genügend Zeit.

„Können wir. Bibliothek oder hier?“

„Ist mir egal, ich muss meine Sachen so oder so holen“, meine ich achselzuckend.

„Dann lass uns das morgen entscheiden.“

„In Ordnung“, stimme ich zu und Essen schweigend auf.

Zufrieden lehne ich mich im Sessel zurück und blicke ihn an.

„Ich werde deine Wanne jetzt des Öfteren benutzen, wenn es dir nichts ausmacht“, räkele ich mich wohlig.

„Ist in Ordnung.“

„Dann ist ja gut“, schmunzele ich und ziehe die Knie unter mein Kinn. „Darf ich das Feuer wieder entfachen?“

Als Antwort richtet er den seinen Zauberstab auf den Kamin, lässt Holz hineinfliegen und entacht es.

„Dankeschön“, seufze ich und schließe die Augen.

„Bist du müde?“

„Merkwürdigerweise ja“, gebe ich zu.

„Dann leg’ dich hin“, befiehlt er und wieder diesem Befehl komme ich fast so gerne nach, wie dem am Hogsmeadewochenende, wo er meine Taschen getragen hat.

„Kommst du auch gleich ins Bett?“

„Ja.“

Mit einem Nicken stehe ich auf und kuschele mich unter die Decke seines großen Himmelbettes. Er muss die Bettdecke wohl aufs Bett gelegt haben, als ich baden war.

Kaum habe ich es mir bequem gemacht, erhebt er sich geschmeidig aus seinen Sessel und öffnet seine Hemdknöpfe.

Gespannt sehe ihm dabei zu. Meine Augen saugen sich an seinen Fingern fest, die Stück für Stück mehr Haut freilegen.

Erst die Brust, dann den Bauch. Sixpack, Brustmuskeln. Damit habe ich eindeutig nicht gerechnet.

Sie sind nicht sonderlich ausgebildet wie bei einem Quidditchspieler, aber man kann sie erkennen, wenn man ganz genau hinsieht und das Feuer seinen Schein passend auf seinen Oberkörper wirft. Das kommt bestimmt vom Duelltraining. Seitdem sie regelmäßig duellieren geübt hat, hat sie auch einiges an Muskeln zugelegt.

Er schlüpft aus seiner Hose, ich vermisse Jeans, und ich eine schwarze Pyjamahose hinein.

Danach sieht er mich an.

Auffordernd klopfe ich af die Betthälfte neben mir und er kommt er Aufforderung nach. Eine Aufforderung, die er wahrscheinlich gar nicht gebraucht hat.

Als er dann neben mir liegt, dreht er seinen Kopf zu mir und lächelt mich ganz kurz an.

„Warst du nicht müde?“

„Doch“, murmele ich und rücke mir das Kissen zurecht. „Aber ich will noch reden.“

„Worüber denn?“ Er scheint sich über irgendetwas zu amüsieren.

„Weiß nicht. Erzähl mir etwas.“

„Was willst du denn hören?“

„Wusstest du schon immer, dass du ein Zauberer bist?“

„Nein.“

„Warum nicht? Zumindest ein Teil deiner Eltern war magisch.“

„Meine Mutter war eine Hexe. Eine untalentierte Hexe“, setzt er herablassend hinzu.

„Es kann nicht jeder so gut sein wie du.“

Er zuckt nur mit den Schultern als Reaktion.

„Also?“

„Also, was?“

„Warum wusstest du nicht von Anfang an, dass du ein Magier bist?“

„Meine Mutter starb bei der Geburt. Ich bin in einem Muggelwaisenhaus in London aufgewachsen.“

„Das tut mir leid.“

„Muss es nicht. Es ist Vergangenheit.“

„Und dein Vater?“

„Ein schwacher Muggel“, schnaubt er herablassend.

„Schwach?“

„Er hat meine Mutter verlassen, als sie mit mir schwanger war.“

„Oh, dass heißt du kennst ihn gar nicht? Hast ihn noch nie gesehen?“

„Doch, ich habe ihn einmal gesehen.“

„Wem siehst du ähnlicher?“

„Ich bin meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.“

„War deine Mutter nicht hübsch?“

„Sie soll sehr hässlich gewesen sein.“

„Und trotzdem war dein Vater mit ihr zusammen.“

„Sie hat ihn verhext. Armortenia.“

„Dann muss sie ihn sehr geliebt haben, wenn sie zu solch drastischen Mitteln greift“, versuche ich ihr Handeln zu erklären. Er wendet mir seinen Blick zu, bleibt aber auf den Rücken liegen mit einem Arm unter dem Kopf und dem anderen auf der Bettdecke über seinem Bauch.

„Würdest du das tun, wenn der Junge, den du liebst, dich nicht lieben würde?“

„Nein.“ Ich schüttele den Kopf nach kurzem Überlegen. „Niemals.“

„Kein gesunder Mensch würde das“, stimmt er mir zu und beleidigt gleichzeitig seine Mutter. Er kennt sie doch gar nicht und schließt so schnell von sich auf andere.

Er dreht wieder den Kopf weg. Ich bleibe auf der Seite ihm zugewandt liegen.

„Hast du noch Kontakt zu deinem Vater?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

Er zögert kurz. „Er ist Tod.“

„Oh, und der Rest deiner Familie?“ Ich stelle mich ahnungslos und sehe ihn interessiert an. Ich will es wirklich aus seinem Mund hören, auch wenn ich weiß, was mit seiner Familie passiert ist und das er daran schuld ist.

„Auch Tod.“

„Wirklich alle?“

„Einer sitzt in Askaban. Mein Onkel Morvin er ist für den Mord an meinem Vater und dessen Eltern verurteilt worden.“

Interessant, er sagt mit keinem Wort, dass es Morvin war, er sagt nur, dass dieser dafür verurteilt wurde.

„Glaubst du, dass es dein Onkel war?“

„Alle Indizien sprechen dafür, er hat die Familie Riddle gehasst.“

„Du bist nach deinem Vater benannt?“

Er nickt. „Ja, Tom Riddle hieß auch er.“ Er wirkt immer noch nicht genervt, also stelle ich weiter Fragen.

„Wie würdest du heißen, wenn du den Mädchennamen deiner Mutter hättest?“

„Gaunt.“

„Gaunt?“ Ich runzele überlegend die Stirn. Soll ich in auf die Verbindung zu Slytherin ansprechen? „Waren das nicht die letzten Erben Slytherins?“

„Woher weißt du das?“ Forschend wendet er mir wieder den Blick zu. Ich zucke gelassen mit den Schultern.

„Wir haben zuhause ein Buch über alle Reinblutfamilien. Da werden sie in direkter Linie mit Slytherin erwähnt. Das hat meine Aufmerksamkeit gefesselt. Immerhin war Slytherin einer der größten Zauberer seiner Zeit und ein Mitgründer Hogwarts. Sprichst du Parsel?“

Nach kurzem Zögern nickt er und ich reiße die Augen auf. Ich habe nur einmal Parsel gehört. Als Harry in der zweiten Klasse versucht hat die von Malfoy heraufbeschworenen Schlange zu besänftigen.

„Wahnsinn“, strahle ich ihn an. „Konnte deine Mutter das auch?“

„Ich weiß es nicht, mein Großvater und mein Onkel konnten es jedenfalls.“

„Hast du deinen Onkel einmal kennen gelernt?“

„Ja, kurz vor seiner Inhaftierung.“

„Ist der Ring, den du immer mit dir trägst von ihnen?“

„Ja, aber über ihn haben wir uns schon unterhalten.“

„Ich weiß“, schmunzele ich und werfe störende Haarsträhnen nach hinten. Tom folgt ihnen mit seinem Blick.

„Willst du nicht langsam schlafen?“

„Ich fühl mich gerade nicht danach.“

Er schmunzelt. „Du fühlst dich nicht danach?“

„Nein“, schüttele ich den Kopf.

„Bei Salazar, vorhin wärst du fast wieder im Sessel eingeschlafen und jetzt fühlst du dich nicht danach?“

Nonchalant zucke ich mit der Schulter meines unbelasteten Armes.

„Bist du auch mit den Peverellbrüdern verwand?“

„Wie kommst du darauf?“

„Der Ring.“

„Ja. Offiziell bin ich mit ihnen verwand.“

„Antioch, Cadmus und Ignatius.“

„Genau“, nickt er.

„Haben die Brüder noch mehr Erben?“

„Ich vermute es.“

„Also, hast du doch entfernte Verwandte.“

„Nein, die Verbindungen sind zu entfernt, um es als verwandt zu bezeichnen“, schüttelt er den Kopf.

„Wünschst du dir Familie?“

Er schüttelt den Kopf und mir wird kalt ums Herz. Traurig sehe ich ihn an.

„Aber als Kind hast du dir welche gewünscht, nicht wahr?“

Nach kurzem Zögern nickt er. „Das ist lange her, Claire.“

„Jedes Kind hat eine Familie verdient“, flüstere ich mit Tränen in den Augen, die nur darauf warten geweint zu werden.

„Nicht jedes hat eine“, sagt er kalt.

Die erste Träne bahnt sich ihren Weg über meine Wange. Oh Merlin! Ich habe plötzlich unglaubliches Mitleid mit ihm.

„Wie war dein Leben im Heim?“

„An die ersten Jahre kann ich mich nicht erinnern, ich war nur ein Baby, aber sobald ich Laufen konnte, habe ich schnell verstanden, dass nur die Starken überleben.“ Hier pausiert er kurz und sieht irritiert auf meine Tränen. „Du musst nicht weinen. Ich habe schon auf mich aufgepasst.“

„Daran zweifele ich keine Sekunde“, schluchze ich und erinnere mich an die Horrorgeschichten die Snape mir erzählt hat. „Wann hast du von deiner Magie erfahren?“

„Sehr früh. Doch ich wusste nicht, dass es Magie ist. Alle hielten mich für krank. Doch ich wusste, dass ich es nicht bin und habe meine Kräfte zu meinen Gunsten eingesetzt. Alle fürchteten mich.“

„Wolltest du denn gefürchtet werden?“

„Ich hatte meine Ruhe und bekam, was ich wollte.“

„Was für eine herzlose Kindheit“, krächze ich und sehe ihm in die unglaublich dunklen Augen. Kein Wunder, dass er so ist, wie er ist. Er hat nie Liebe erfahren. Er kennt ihre Macht nicht. Ihre Reinheit. Wie soll er an sie glauben? Und wie sollte er ein <normaler> Teenanger sein? Er war noch nie normal. Er konnte nie normal sein. Er war mehr Erwachsener, als Kind in seinen jungen Jahren.

Endlich weiß ich, warum er nie Gefühle zeigt.

Sie sind eine Schwäche für ihn. Ein Angreifpunkt, den er bei anderen ausgenutzt hat. Das tote Kaninchen, die gestohlenen Gegenstände.

Er hat seine Magie schon als Kind beherrschen gelernt.

Kein Wunder, dass er so eine Macht besitzt. Das er sie ohne Zauberstab beherrscht.

Er hat damals schon die Gedanken und den Willen anderer kontrolliert. Er ist ein Meister der Legilimens.

Bei so einer beherrschen, hierarchischen, lieblosen Kindheit konnte er nur zu dem werden, was er jetzt ist.

Es hat ihn geprägt. Gebrandmarkt in der Seele.

Für jedes Tomlächeln, jede Gefühlsregung die er mir zeigt, bin ich plötzlich unendlich dankbar.

Ich komme unter seine Fassade.

Vielleicht lerne ich noch einen Teil des charismatischen Jungen kennen, der er hätte sein können, wenn er Liebe erfahren hätte.

Wenn er, er selbst hätte sein können.

Das alles entschuldigt nicht seine Taten die er schon begannen hat und noch begehen wird.

Nicht davon, kann das entschuldigen.

Letztendlich ist dieser Weg seine Entscheidung gewesen.

Wäre er in einer anderen Familie geboren worden, hätte seine Mutter in großgezogen, wäre er nicht in Slytherin gelandet. Hätte dann Hoffnung für ihn bestanden?

Ich werde es nie erfahren.

Es ist alles so gekommen, wie es gekommen ist und niemand kann noch etwas daran verhindern.

Eine grausame Ader hat er auf jeden Fall mit in die Wiege gelegt bekommen. Die Erben Slytherins waren alle grausam und herzlos.

Aber eine gescheite Erziehung hätte viel retten können. Doch hätte seine Mutter ihn erziehen können?

Wahrscheinlich nicht.

Auf mich macht sie nach all dem, was ich über sie erfahren habe labil.

Sein Schicksal wurde schon vor seiner Geburt bestimmt.

„Schlaf jetzt. Du brauchst Schlaf“, befiehlt er und wischt mir die Tränen von den Wangen.

Plötzlich überkommt mich eine unglaubliche Müdigkeit und ich kuschele mich tiefer in die Kissen.

Schlaf, ja Schlaf brauche ich jetzt wirklich. Ich bin so erschöpft. Zu müde, um ihn eine Gute nach zu wünschen.

Unter halbgeschlossenen Lidern sehe ich noch wie er eine Träne von mir auf seiner Fingerspitze betrachtet. „Du bist der erste Mensch, dem ich das alles erzählt habe. Was machst du mit mir?“, murmelt er kaum vernehmbar und ich weiß instinktiv, dass ich das niemals hätte hören sollen.

Er denkt, dass ich schlafe. Seine Worte zaubern ein Lächeln auf mein Gesicht.

Glücklich schlafe ich ein. Er vertraut mir.

Er mag mich.

Er hat es gerade zugegeben. Nur mit anderen Worten.

Ich habe also auch meine Art von Macht über ihn.

Vielleicht habe ich mich ja in sein Herz hineingeschlichen?

Obwohl er nicht an die Liebe glaubt?

24. November 1944




Sonntag


„Aufstehen! Wir haben heute was vor“, weckt mich Tom herzlos. Höchstens der Geruch nach Tee, frischen Brötchen und Rührei können das wieder wett machen.
„Warum verschlafe ich bei dir immer?“ Seufze ich genervt und drehe mich auf den Rücken.
„Wir haben erst halb sieben.“
„Gut, dann habe ich eben doch nicht verschlafen“, seufze ich und richte mich gähnend auf.
„Krieg ich mein Frühstück ins Bett gebracht?“ Frage ich ihn mit Unschuldsblick. Ich will hier noch nicht raus. Es ist viel zu bequem und kuschelig warm.
„Ausnahmsweise“, gibt er sich nach einem kurzen Blick auf mich geschlagen.
Er geht zu seinem Beistelltisch, holt das Tablett, zaubert dem Tablett viel Beine und stellt es mir vor die Nase, bevor er sich neben mich setzt und einen Teller auf die im Schneidersitz verkreuzen Beine stellt.
„Gib mir ein Brötchen und die Orangenmarmelade!“
„Hier“, reiche ich ihm das gewünschte und will ihm gerade noch ein Messer geben, als er den Zauberstab schwingt und das Brötchen sich krümelfrei selbst aufschneidet und beschmiert.
Kopfschüttelnd beginne ich selbst zu essen.
Tom ist wieder typisch er. Nichts ist von dem netten Jungen gestern Abend übrig geblieben. Außerdem glaube ich inzwischen, dass er meinen Geist so manipuliert hat, dass ich müde geworden bin.
Ich sollte ihn eindeutig darum bitten mir das beizubringen. Am besten gleich jetzt.
„Tom?“
„Hm?“
„Wie hast du mich gestern zum Schlafen gebracht?“
„Woher weißt du, dass ich das war?“
„Meinst du die Frage ernst?“ Unterbreche ich mein Frühstück und sehe ihn an. Hat er wirklich gedacht, dass ich nicht merke, wie er mich manipuliert?
Er seufzt.
„Außerdem Tom will ich nicht, dass du das noch einmal machst. Ich hasse es, wenn Leute in meinen Geist eindringen.“
„Ich bin nicht in deinen Geist eingedrungen. Nicht direkt zumindest“, wiegelt er ab. Kann er nicht wenigstens interessiert klingen, wenn er sich schon nicht die Mühe macht sein Essen zu unterbrechen?
„Wie hast du es dann gemacht?“
„Iss auf! Danach zeige ich es dir.“
Schnell komme ich seinen Befehl nach. In Rekordzeit ist mein Teller leer und das Tablett vom Bett verschwunden. Ich sitze ihm jetzt gegenüber und warte auf seine Erklärungen.
„Du brauchst dafür Augenkontakt.“
„Du hattest aber keinen“, unterbreche ich ihn.
„Ich habe auch gesagt, dass DU dafür Augenkontakt brauchst nicht ich. Diese Magie habe ich schon in meiner Kindheit verwendet.“
„Oh“, staune ich. Was für ein magisches Potenzial er inne hat. Beneidenswert.
„Noch einmal. Du brauchst Augenkontakt und Konzentration. Ich habe dir einfach mental den Befehl gegeben zu schlafen und dadurch, dass er direkt in deinem Gehirn ankam, wurde er auch gleich umgesetzt.“
„Das klingt kompliziert“, seufze ich.
„Mit Übung wirst du es hinkriegen.“ Versucht er mich gerade aufzubauen?
„Ich wüsste niemanden, an dem ich das üben kann.“
„Tu es doch einfach. Im Gemeinschaftsraum, beim Essen, wo auch immer du bist“, schlägt er mir vor.
Nach kurzem Überlegen nicke ich.
Klar, eigentlich ist das gemein meinen Mitmenschen gegenüber, aber wenn ich besser werden will, muss ich auch ein kleinwenig egoistisch handeln und wer kann schon behaupten von Lord Voldemort Tipps bekommen zu haben?
„Ich geh ins Bad.“
„Mach das“, murmelt Tom und steht ebenfalls auf.
Im Bad angekommen, ziehe ich erst einmal das Shirt aus und lasse Wasser in die Wanne laufen. Schade, dass ich keine Wechselwäsche hier habe. Vielleicht sollte ich hier einfach ein paar Dinge von mir stationieren. Immerhin habe ich nicht vor diese gemütlichen Abende aufzugeben.
Nackt lasse ich mich in das warme Wasser gleiten und puste in die Schaukrone, welche so dick ist, dass man kein wenig wasser sehen kann, selbst nachdem ich reingepustet habe.
Ich tauche ab. Über mir höre ich das Wasser zusammenschlagen. Wo Tom wohl sein Shampoo aufbewahrt?
Ich tauche wieder auf und höre ein Klopfen an der Tür. „Ja?“
„Kann ich kurz reinkommen?“
Mit einem Blick auf die bedeckenden Schaumblasen bejahe ich seine Frage. Kurz darauf betritt er das Badezimmer und bleibt erst einmal wie angewurzelt stehen.
„Ich dachte, ich hätte die <ja> rufen hören.“
„Dann denkst du richtig“, lächele ich ihn an. „Kannst du mir dein Shampoo reichen?“
„Sicher.“
„Wolltest du etwas bestimmtes?“
„Tina war hier?“
„Und?“
„Sie hat dir Unterwäsche und ein Kleid gebracht.“
„Wie nett von ihr“, freue ich mich.
„Ich bringe dir die Sachen.“
„Danke“, lächele ich ihn an und nehme die Shampooflasche entgegen. Das Shampoo ist viel wässriger als zu meiner Zeit. Wirklich faszinierend wie viel sich in den nächsten fünfzig Jahren ändern wird.
Hier gibt es noch nicht einmal Flüssigseife. Überall stolpert man über klobige Kernseife.
Die Badezimmertür geht wieder auf und Tom kommt herein. „Hier“, reicht er mir meine Sachen. „Danke“, so langsam habe ich das Gefühl, dass das, das einzige Wort ist, welches ich mit ihm heute schon gewechselt habe.
„Tom?“ Er hatte mir schon den Rücken zu gedreht und wendet sich jetzt wieder zu mir um.
„Ja?“ Er runzelt die Stirn.
„Fang“, grinse ich und spritze Wasser nach ihm.
Und er tut es wirklich. Die Wassertropfen stoppen auf halbem Weg, werden zu einem großen und fliegen zu mir zurück. Fasziniert starre ich das nasse Ungetüm an.
Tom lässt es über mich fliegen und dann fallen. Somit ist das erste bisschen Shampoo aus meinen Haaren gewaschen.
„Wo hast du deinen Zauberstab?“ Frage ich Tom.
„Im Wohnbereich, warum?“ Gibt er zurück.
„Du hast gerade keinen Zauberstab benutzt?“ Kreische ich hysterisch.
„Nein“, schmunzelt er. Na, wenigstens kann ich ihn amüsieren. Ich sollte jetzt Angst vor ihm haben. Das, was er zustande bringt, ist nicht mehr normal.
Es ist außergewöhnlich.
Genauso außergewöhnlich wie Tom selbst.
„Dreh dich um!“
Er wirft mir einen fragenden Blick zu.
„Ich will mir die Haare ausspülen und dann aus der Wann steigen“, erkläre ich ihm und er kommt meiner Bitte nach.“
„Ich warte draußen auf dich“, teilt er mir mit und verschwindet.
„Okay“, nuschele ich beim Haare ausspülen und steige aus der Wanne. Mich noch abtrocknend durchwühle ich den Kleiderhaufen, den Tom mir gebracht hat. Ein schlichtes schwarzes Kleid, schwarze Unterwäsche und ein Zettel.
Vorsichtig falte ich ihn auf: Ich will alles hören. Alles!
Steht in Tinas Schrift dick und fett auf dem Blatt. Kopfschüttelnd knülle ich ihn zusammen. Irgendwie habe ich damit gerechnet.
Schnell schlüpfe ich in die Kleidung und versuche meine Haare mit seiner Bürste durchzukämmen. Nicht gerade erfolgreich, aber wenn ich mit nassen Haaren wieder rauskomme, wird er sicher wieder diesen Wahnsinnszauber anwenden.
Ich sollte ihn auch danach fragen.
Ich habe mir gestern den ganzen Tag über nicht die Zähne geputzt, stelle ich entsetzt fest, als ich in den Spiegel sehe. Mist. Ich sollte auch eine Zahnbürste mit hierher nehmen.
Heute muss wohl Toms herhalten. Leise summend drücke ich Zahnpasta auf die Bürste und fange an mir die Zähne zu putzen.
Heute vor einem Monat hätte ich nicht gedacht hier zustehen und letztes Jahr um die Zeit wäre ich bei dem Gedanken in Ohnmacht gefallen, alleine mit Tom Riddle zu sein.
Aber es kommt immer anders als man denkt.
„Claire?“ Höre ich Tom von draußen rufen. Schnell laufe ich zur Tür und stecke meinen Kopf raus.
„Wasch?“ Antworte ich Zähne putzend.
„Bist du danach fertig?“ Fragt er mit einem Blick auf seine Zahnbürste. Er klingt belustigt.
Er klingt wirklich belustigt.
Ich sollte anfangen mir Sorgen um ihn zumachen. Wo ist der sonst so reservierte Schulsprecher hin?
„Ja.“
„Gut. Dann gehe ich ins Bad. Wir treffen uns dann in der Bibliothek“, er erteilt mir diese Anweisungen wie selbstverständlich und ich kann darüber nur die Augen verdrehen. Er kann scheinbar doch nicht aus seiner Haut.

„Na, wen haben wir denn da?“ Begrüßt mich Tina, als ich unser Zimmer betrete.
„Ich dachte schon er hätte dich gefesselt, damit du nicht zurück kommst“, grinst auch Chantal.
„Alles okay?“ Fragt Jessica.
„Ja, alles in Ordnung“, lächele ich die drei beruhigend an.
„Ich will alles hören. Jetzt!“
„Gleich Tina.“
„Nein, jetzt.“
Augenverdrehend gebe ich nach. „Ich habe nicht viel Zeit. Ich bin gleich mit Tom in der Bücherei verabredet zum Hausaufgaben machen.“
„Sind wir jetzt abgeschrieben?“ Fragt Tina mit nach oben gezogener Augenbraue.
„Nein, aber ich habe gestern keine Zeit zum arbeiten gefunden.“
„Habt ihr... Habt ihr euch geküsst?“ Fragt Jessica zögerlich.
„Nein“, ich schüttele den Kopf. „Nur geredet. Wir sind einfache Freunde.“
„Wem versuchst du das gerade zu erzählen“, Tina zieht herausfordernd die Brauen zusammen.
Ich seufze. „Wir sind nur Freunde. Ich denke nicht, dass er etwas von mir will.“
„Aber du magst ihn?“ Hakt Jessica nach.
„Ja“, gebe ich leicht geknickt zu. Jetzt bin ich zum ersten Mal in meinem Leben verliebt und dann erwidert der Junge meine Gefühle nicht. „Übrigens danke für die Klamotten, die du mir gebracht hast.
„Ich wollte nur mal sehen, ob es dir gut geht. Riddle hatte gesagt, dass du baden bist und da bin ich wieder gegangen.“
„Das Bad ist der Wahnsinn!“ Fange ich bei er Erinnerung daran an zu schwärmen.
„Nicht das Thema wechseln“, wirft mir Tina vor.
„Ich wechsele nicht das Thema. Das Thema ist nämlich zu Ende. Es gibt absolut nichts zu erzählen. Wir haben uns einfach entspannt und ab und zu geredet über Gott und die Welt. Es ist wirklich ncihts gelaufen. Glaubt mir doch!“ Flehe ich sie beinahe an.
„Ist ja gut und jetzt lauf schon! Dein herzallerliebster wartet sicher schon“, mault Tina und verschränkt ihre Arme vor der Brust.
Um ihre Laune kümmere ich mich später. Sie hat nämlich recht, wie ich nach einem Blick auf die Uhr feststelle. Tom wartet schon.
Und er hasst warten.

„Da bin ich!“
„Du bist zu spät“, meint er mit Grabesstimme.
„Ich weiß, die Mädchen wollten unbedingt wissen, ob es mir gut geht.“
Er nickt. „Nur, weil ich dir angeboten mit dir zu lernen, heißt das noch lange nicht, dass du dir das herausnehmen kannst.“
„Tut mir leid“, murmele ich.“
„Setzt dich und hol deine Sachen raus. Wir müssen heute mit allem fertig werden, was du nicht alleine machen willst.“
„Warum?“
„Weil ich morgen und übermorgen mit den Slytherins verbringen werde“, teilt er mir mit und ich verziehe das Gesicht.
„Was möchtest du mit mir machen?“
„Arithmantik an aller erster Stelle, den Rest bekomme ich alleine hin. Ich bin nicht umsonst die zweitbeste in jedem Fach.“
„Du bist trotzdem überall schlechter, als ich.“
„Wundert dich das?“
„Nein, es wundert mich eher, dass du fast so gut bist wie ich.“
„Reizend.“
Er zieht eine Augenbraue hoch.
„Kannst du mir den Haarzauber beibringen, den du bei mir immer anwendest?“
„Nach Arithmantik.“
„In Ordnung.“

28. November 1944




Donnerstag


Montag und Dienstag hatte Tom wie angekündigt keine Zeit für mich und meine Freunde haben jede freie Minuten von mir in Beschlag genommen.
Ich bin ihnen dankbar dafür. So musste ich nicht die ganze Zeit daran denken, dass Tom gerade in einen Vorläufer der Todesser treffen sitzt.
Ob sie auch hier schon so abscheuliche Dinge getan haben wie zu meiner Zeit?
Ich würde es allen zu trauen. Nur Tom nicht.
Aber gerade er ist zu jeder Grausamkeit fähig.
Mord, Folter, Vergewaltigung.
Lord Voldemort und seine Todesser schrecken vor nichts zurück.
Verstümmelte Leichen, misshandelte Babys, aufgeschlitzte Kinder.
All das werden er und seine Anhänger in der Zukunft zurücklassen an den Orten, wo sie sich aufgehalten haben.
Gestern habe ich von alldem eine Auszeit gebraucht.
Eine Zeit zum Nachdenken, zum Entspannen.
Aus diesem Grund setzte ich mich an den See gut versteckt vor unerwünschten Blicken mit einem Buch, falls ich Ablenkung von meinen Gedanken suchen sollte.
Meine Gedanken waren allerdings weniger spektakulär.
Sie treten sich ausnahmslos um Tom und über die Dinge, die ich bis jetzt über ihn herausgefunden habe.
Außerdem habe ich mich gefragt, ob ich ihn schon fragen kann, was sein Lieblingsort in Hogwarts ist.
Wo er sich absolut sicher fühlt.
Wo er sich verstecken würde.
Liegt es nicht am nähesten, dass genau an diesem Ort auch ein weiterer Horkrux versteckt liegt und nur darauf wartet von Harry zerstört zu werden?
Ich habe mich dazu entschlossen nichts zu überstürzen und mehr Vertrauen von ihm zu gewinnen.
Immerhin habe ich noch knapp sieben Monate Zeit.
Klingt viel, aber ist es nicht. Vor allem dann nicht, wenn ich daran denke wie die letzten beiden an mir vorbeigeflogen sind oder der Anfang diesen Monats.
Bei dem Gedanken an meinen Abschied überkommt mich ein Gefühl der Traurigkeit. Sie werden mir alle fehlen.
Meine Freunde, Tom.
Oh Tom!
Einerseits wünsche ich mir, dass er nicht so wäre, wie er ist und wird und andererseits hätte ich ihn sonst nie kennen gelernt.
Das nennt mal Dilemma, glaube ich.
Aber im Grunde kann es mir egal sein. Was geschehen ist, ist geschehen und was für ihn in der Zukunft liegt, liegt für mich in der Vergangenheit.
Allein deshalb weiß ich, dass er sich nicht ändern wird. Das ich ihn nicht ändern kann. Er ist zu starrköpfig. Fühlt sich überlegen. Niemals würde er mir glauben, wenn ich ihm sagen würde, dass es die Liebe gibt.
Wenn man kein kleines Kind lieben kann, wie soll es Liebe dann geben?
Ich frage mich, ob er anders geworden wäre, wenn seine Mutter ihn groß gezogen hätte. Wahrscheinlich nicht. Sie wäre zu schwach gewesen, um sich gegen ihren Vater oder Bruder durch zusetzten und die hätten dem kleinen Halbblut das Leben zur Hölle gemacht.
Wenn sie ihn nicht gleich nach der Geburt umgebracht hätten, um den Schmach zu mindern.
Das wertvolle Blut von Salazar Slytherin verunreinigt. Wie konnte sich Merope nur mit einem dreckigen Muggel einlassen?
Unverständlich für so eine Familie.
Schon Toms Vorfahren haben nicht an die Liebe geglaubt oder zu würdigen gewusst.
Wie hätte er da anders werden sollen?
Seufzend blicke ich von meinem Buch auf. Ich sitze in meinem Schlafsaal und lese zum vierten Mal die selbe Passage. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren.
Dabei habe ich meine Ruhe, keine der anderen Drei hält sich aktuell in diesem Raum auf, auch, wenn Jessica gesagt hat, dass sie gleich nachkommt.
Da war vor einer Stunde.
Allerdings saß Simon im Gemeinschaftsraum, wie ich gemerkt habe, als ich ihn durchquerte. Vielleicht hat er endlich den Mut gefunden sie anzusprechen. Auch außerhalb der schützenden Clique, wo es eher auffällig wäre, wenn er nicht mit ihr spricht.
Mir soll es recht sein. Dann stellt sie wenigstens keine Fragen über mein Gefühlsleben, die ich weder beantworten kann noch möchte.
Genervt klappe ich das Buch zu. Damit komme ich nicht weiter. Und jetzt?
Bibliothek?
See?
Gemeinschaftsraum?
Oder geh ich Tom besuchen?
See. Eindeutig See.
Gestern hat mir die Stille auch geholfen.
Vorsorglich nehme ich mein Buch mit. Vielleicht finde ich dort die Konzentration Stolz und Vorurteile weiter zulesen.
Mr. Darcy ist anfangs genauso unterkühlt wie Tom. Irgendwie fühle ich mich Elizabeth verbunden. Auch, wenn sie erst am Ende merkt, was sie für Mr. Darcy empfindet.
Es ist Jane Austens Meisterwerk meiner Meinung nach. Ein Kulturgut, dass in keinem Bücherregal fehlen darf.
Ich werfe mir noch meinen Winterumhang über und laufe die Treppe runter. Im Gemeinschaftsraum sehe ich genau die Szene auf die ich gehofft habe.
Laura und Simon sitzen auf der Coach und unterhalten sich angeregt.
Auch, wenn er den Großteil des Gesprächs bestreitet wie ich von hier aus erkennen kann.
Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Vielleicht bekomme ich es ja noch mit, wenn sie zusammen kommen.
Das Portrait der Fetten Dame schwingt geräuschlos hinter mir und die Treppen stehen glücklicherweise passend für mich um schnellstmöglich nach draußen zukommen.
Die große Eingangstür kracht ins Schloss hinter mir und ich eile die steinernen Stufen hinab.
Mit großen Schritten mache ich mich auf den Weg zu der Stelle an den See, wo ich auch gestern schon saß.
Toms Wärmezauber hält mich mollig warm, sodass die Temperaturen, welche inzwischen um 0°C liegen, mir nichts anhaben.
Als ich endlich auf meinem Platz sitze, sehe ich auf das ruhige Wasser hinaus. Nicht einmal der Kraken lässt einen seiner langen Fangarme auf der Oberfläche spielen.
Es hängen nur noch vereinzelt braun-gelbe Blätter an den Laubbäumen des Verbotenen Waldes.
Ich liebe diese Jahreszeit. Das matte Licht, das verblichene Grün, die Stille.
Ein harmonisches Bild der Natur. Wie jede Jahreszeit, doch diese hier ist kalt und wirkt grausam. Vor allem, wenn Stürme toben und der Frost seine eisigen Finger ausstreckt und alles erstarren lässt.
Ich freue mich auf das Spiel der Schneeflocken, die auf ihrem Weg nach unten tanzen.
Auf Schneeballschlachten, auf Weihnachten und Silvester.
Silvester. Toms’ Geburtstag. Ich weiß immer noch nicht, was man einem Jungen wie ihm schenken kann.
Ein Buch?
Mehr Ideen habe ich noch nicht. Er ist weder Quidditch interessiert noch nascht er gerne. Eine Flasche Met?
Oder Wein?
Ich habe ihn noch nie Alkohol trinken sehen, aber wann hätte ich auch die Gelegenheit dazu gehabt?
Bis jetzt noch nie.
Und Snape hat es nicht für nötig gehalten mich über die Getränkevorlieben seines Meisters aufzuklären.
Vielleicht sollte ich Tom einfach fragen, was er lieber trinkt? Oder, ob er überhaupt Alkohol trinkt.
Ich kann ihn mir irgendwie nicht betrunken vorstellen. Dieses Bild passt so wenig zu ihm wie Chantal ohne eine Süßigkeit in der Tasche.
Ich habe auch noch kein Weihnachtsgeschenk für Tom.
Ich weiß, er hasst Weihnachten. Und seinen Geburtstag. Generell verabscheut er solche Festlichkeiten und geht ihnen so gut wie möglich aus dem Weg.
Dieses Jahr wird er zumindest seinen Geburtstag mit mir feiern.
Leider gibt er hier keine Zwillinge, die ein Feuerwerk veranstalten. Das war eine der wenigen Sachen, die ich an ihnen mochte. Die Feuerwerke zu Silvester.
Aber vielleicht veranstalten die Schüler, die hier bleiben eine gemeinsame Silvesterparty. Ich kann ja mal nachfragen, wie das hier gehandhabt wird.
Generell sollte ich rausfinden, wer hier bleibt und wer nicht.
Es wäre ja gelacht, wenn ich alleine zurückbleibe.
Obwohl. Als alleine kann ich das nicht betrachten. Tom wird auf jeden Fall hier bleiben und notfalls gehe ich ihn jeden Tag besuchen, sofern seine Anhänger ihn nicht besuchen kommen.
Auf ein Todessertreffen kann ich wirklich verzichten. Am Ende erfahre ich etwas, was ich nie hätte wissen wollen.
Oder ich werde dazu gezwungen mich Tom anzuschließen und ihn Lord zu nennen.
Eine grauenhafte Vorstellung.
Ich verstehe einfach nicht wie er die anderen dazu bekommen hat.
„Habe ich dir nicht gesagt, dass ich am Mittwoch Zeit habe?“ Durchschneidet Toms Stimme den Frieden um mich herum.
Ein kleines ungewolltes Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Tom.
„Guten Abend, Tom. Willst du dich nicht zu mir setzten?“
„Nein, will ich nicht! Ich will eine Antwort“, meint er scharf. Ich drehe mich lieber nicht um, wenn er sieht, dass ich lächele ist die Hölle los. Seine wütende Mimik kann ich mir nur zu gut vorstellen.
„Ich wusste nicht, dass du Zeit für mich hast“, rechtfertige ich mich.
„Ich habe dir am Sonntag gesagt, dass ich nur die nächsten zwei Tage keine Zeit für dich habe!“
„Das heißt noch lange nicht, dass du mich am Mittwoch sehen willst!“
„Merke es dir für die Zukunft“, meint er resignierend.
„Setzt dich zu mir Tom“, fordere ich ihn noch einmal auf und lächele ihn jetzt doch an. Seine eiskalten Augen scheinen mich immer noch erdolchen zu wollen.
Trotzdem setzt er sich zu mir, allerdings mit einem überheblichen Blick.
Scheinbar sucht er nicht gerne nach einem. Aber warum hat er mich überhaupt gesucht? Nur, um mir zusagen, dass er gestern Zeit für mich hatte? Gewiss nicht.
„Tom?“
„Was?“ Seine Stimme klingt gewohnt frostig.
„Warum hast du mich gesucht?“ Ich wende ihm meinen Blick zu und stütze mein Kinn auf den Unterarmen ab, welche auf meinen herangezogenen Knien liegen.
„Kommst du morgen Abend wieder zu mir?“
„Gerne“, lächele ich ihn weich an. Vorsichtig strecke ich meine Hand nach ihm aus. Zu gerne würde ich wissen, ob seine Bartstoppel kratzen.
Doch bevor ich ihn im Gesicht berühren kann, greift er nach meiner und nimmt sie in die seine.
Dabei sieht er mich ein einziges Mal an.
Unsere ineinander verschränkten Hände legt er auf seinen Oberschenkel und streicht vorsichtig mit seinem Daumen über meinen Handrücken.
Tausend Schmetterlinge scheinen in meinem Bauch herumzufliegen. Mein Herzschlag flattert aufgeregt.
Ich stoße die Luft aus, ohne es zu merken habe ich sie angehalten.
Oh Merlin! Ich halte Händchen mit Tom! Am See!
Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe. Was soll ich bloß sagen? Soll ich überhaupt was sagen?
Nein. Besser nicht. Im Moment ist mein Mund viel zu trocken, um etwas zu sagen.
Wieder streicht er um meinen Handrücken.
Bis zum Abendessen bleiben wir schweigend in trauter Zweisamkeit sitzen. Der Sonnenuntergang, welcher sich farbenfroh auf der Oberfläche des Sees gespiegelt hat, verzauberte die Stimmung um uns herum.
Ich frage mich, ob er es auch gemerkt hat.
Zumindest hat er meine Hand nicht losgelassen.

29. November 1944


Freitag

„Bist du dir sicher, dass du wieder bei ihm schlafen willst? Ich meine, nur weil das letzte Mal nichts passiert ist, heißt es noch lange nicht, dass diesmal auch nichts passiert“, sorgt sich Tina. Auch Chantal und Jessica wirken nicht sonderlich erfreut über meinen Beschluss.

„Traut ihr mir nicht zu, dass ich auf mich selbst aufpassen kann?“

„Doch, aber wir wissen auch wie Riddle aussieht und was für eine Wirkung er auf dich hat“, faucht Tina erbost.

„Habt ihr denn gar kein Vertrauen in mich?“

„Doch, darum haben wir dich auch letztes Wochenende in Ruhe gelassen“, versucht Chantal die Wogen zu glätten.

„Ich will diesmal doch gar nicht das ganze Wochenende wegbleiben. Morgen habt ihr mich doch wieder“, seufze ich und hänge mir meine fertig gepackte Tasche über die Schulter.

„Pass einfach auf dich auf“, mischt sich Jessica ein und streichelt ihre Ratte liebevoll über den Rücken.

„Mach ich“, lächele ich sie dankbar an und gehe zu Tür. „Bis morgen!“

„Tschüss“, seufzt Chantal.

„Wir verraten dich nicht“, lächelt Jessica verträumt. Woran sie wohl denkt?

Tina grummelt nur etwas, dass nach „Ich habe dich gewarnt“ klingt und ich verlasse unauffällig den Gryffindorturm. Es achtet so wie so niemand auf mich.

 

Nervös klopfe ich an Toms Tür an.

„Komm rein“, fordert er mich auf und ich lasse mich nicht zwei Mal bitten. Wenn mich irgendjemand sieht, wie ich um die Uhrzeit in das Zimmer des Schulsprechers verschwinde, würde spätestens morgen ganz Hogwarts wissen, dass wir miteinander befreundet sind.

Ein Umstand, den es zu vermeiden gilt.

Sobald Tom ins Gespräch der anderen kommen würde, wäre seine nächste Handlung der Rückzug aus unserer Freundschaft.

„Hat dich jemand gesehen?“, begrüßt er mich und hält mir eine Teetasse hin. Ich schüttele den Kopf und lasse meine Tasche auf den Boden neben der Tür sinken.

„Nein, nicht, dass ich wüsste.“

„Dann hoffen wir mal das beste“, murmelt er und verzieht das Gesicht. Wahrscheinlich fragt er sich wie ich so unvorsichtig sein konnte und mich nicht zu hundert Prozent versichert habe, dass mich niemand sieht.

„Setzen wir uns?“, schlägt er vor und schiebt mich vorsichtig in Richtung Sitzgruppe ohne meine Antwort abzuwarten.

An der Stelle, wo er mich berührt, kribbelt es, als würden Ameisen darüber rennen. Ein angenehm unangenehmes Gefühl.

„Was hast du die Woche gemacht?“, fragt Tom so beiläufig wie möglich, doch ich kenne ihn inzwischen gut genug, um den lauernden Unterton herauszuhören.

„Montag und Dienstag habe ich mit meinen Freunden aus Gryffindor verbracht. Wir haben Schach gespielt, geredet und der Quidditchmannschaft beim trainieren zugesehen. Oh, und Hausaufgaben haben wir auch zusammen gemacht. War ziemlich lustig.“ Unwillkürlich huscht ein kleines Lächeln über meine Lippen, als ich mich erinnere was für Horrorgeschichten sich Benjamin und John sich für Wahrsagen ausgedacht haben. „Benjamin und John haben sich die grausamsten Dinge vorhergesagt! Ich habe teilweise geheult vor lachen!“

Finster stiert Tom gerade aus. Was passt ihm denn nicht?

„Du hast Montag und Dienstag mit Benjamin verbracht?“, fragt er flüsternd. Seine Stimme klingt bedrohlich ruhig. Wie die Ruhe vor dem Sturm, das Ausharren einer Schlange, ehe sie ihre Giftzähne im Fleisch des ahnungslosen Opfers schlägt.

„Er war auch dabei“, bestätige ich.

„Aber du hast nicht den Großteil deiner Zeit mit ihm verbracht.“

„Nein, habe ich nicht.“ Nur mühsam unterdrücke ich ein seufzen. Was hat er bloß gegen Benjamin? Bei keinem Anderen macht er so einen Aufstand. Wenn es Eifersucht ist, ist diese völlig unbegründet.

Ich will nichts von Benjamin. Sonst wäre ich jetzt bei ihm und nicht hier. Versteht Tom das denn nicht?

„Und Mittwoch?“

„Da saß ich am See und habe gelesen und ein wenig gearbeitet“, tue ich achselzuckend ab.

„Ja, alleine und was ich gestern gemacht habe, weißt du ja“, schmunzele ich und nehme schnell einen Schluck Tee, damit Tom meine Erheiterung nicht wahrnimmt.

Irgendwie gefällt es mir, dass er so besitzergreifend ist. Es zeigt mir, dass er für das kämpft, was er begehrt und es mit allen Mitteln behalten wird.

„Hast du eigentlich deinen halben Schrank mit hier her genommen?“, wechselt Tom das Thema und weißt mit seinem Kinn auf meine Tasche.

„Nein“, grinse ich. „Dann hätte ich einen magisch vergrößerten Koffer gebraucht. Da drinnen befinden sich nur alle wichtigen Dinge für heute Abend und morgen früh.“

„Du schläfst nur heute hier?“

„Ja“, nicke ich unbehaglich. Seine Frage klang nicht begeistert. „Tina macht sich sonst Sorgen, ob du mir etwas getan hast.“

Er nickt und wirft einen Blick auf seine Uhr. „Du bist heute spät gekommen.“

„Diskussion mit Tina.“

Er runzelt unwillig die Stirn. Hoffentlich fängt er jetzt nicht damit an sich über Tina zu echauffieren. Bei ihr sind Hopfen und Malz verloren.

„Legen wir uns schon mal hin? Wir können da ja weiter reden“, schlägt er vor und scheint diesmal wirklich auf meine Wünsche Rücksicht nehmen zu wollen.

„Versuchst du gerade auf mich und meine Meinung einzugehen?“, platzt es mir heraus.

„Ja“, knurrt er unbehaglich. Als würde er sich über sich selbst wundern. „Ich habe gehört, dass man das so macht, wenn man mit Jemand befreundet ist.“

Mit großen Augen sehe ich ihn an. Hat er das gerade wirklich gesagt?

„Also? Machen wir uns bettfertig?“ Es scheint ihn anzustrengen so nett zu sein. Wirklich körperlich anzustrengen.

„Ja, ich hole noch schnell meine Sachen aus der Tasche“, antworte ich im Aufstehen und bin schneller bei meiner Tasche, als er blinzeln kann.

Mit Zahnputzzeug und Haarbürste mache ich mich auf den Weg zurück zu ihm und lächele ihn so unschuldig wie möglich an.

Was mir wirklich schwer fällt, da mein inneres Ich frech grinst.

„Bekomme ich ein T- Shirt von dir?“

Er seufzt und geht zu seinem Schrank, um mir ein schwarzes Shirt herauszusuchen. „Das machst du mit Absicht“, wirft er mir vor, klingt allerdings eher belustigt, als wütend.

Also, habe ich recht mit meiner Vermutung, dass er mich gerne in seinen Klamotten sieht. Sonst hätte er mir letzten Samstag sicherlich nicht ein Hemd für den Tag gegeben.

„Vielleicht“, grinse ich verschmitzt und sehe ihn über die Schulter hinweg an. „Kommst du?“

„Mit ins Bad?“

„Wohin sonst?“, lache ich und drehe mich einmal vergnügt ihm Kreis. Manchmal ist er so verboten süß. Wenn er wüsste, dass ich so über ihn denke, würde er mich einen Kopf kürzer machen oder mich anders von Gegenteil überzeugen.

Ich lasse die Tür einladend offen und fange mit meiner Gesichtswäsche an.

Erst kommt die Tusche von den Wimpern und dann das Gesicht in die wassergefüllten Hände.

Als ich meine Zahnpasta aus der Tube drücke, kommt Tom mit seiner schwarzen Pyjamahose ins Bad. Besitz er eigentlich nur schwarze Klamotten? Eindeutig eine Frage, die ich ihm nachher stellen werde. Mit der Zahnbürste im Mund lächele ich ihn kurz in Spiegel an. Das Waschbecken ist so groß, dass ich ihm keinen Platz machen muss, solange ich mich nicht mittig davor stelle und gemeinsam putzen wir unsere Zähne.

Zum Umziehen wende ich ihm meinen Rücken zu und ziehe mein Kleid einfach über den Kopf. Der plötzlichen Stille nach zu urteilen, beobachtet er mich im Spiegel, was ich mit einem vom ihm ungesehenem Grinsen quittiere.

Habe ich heute nicht schon einmal gedacht, dass er manchmal süß sein kann?

Unter dem engen Kleid habe ich keinen BH getragen und kann deshalb einfach Toms Shirt über meinen Kopf ziehen.

Danach drehe ich mich wieder zu ihm um. „Besitzt du auch andere Kleidungsfarben?“

„Weiß, Grau, Anthrazit. Warum?“

„Weil ich dich meistens in Schwarz sehe“, lächele ich.

„Meistens“, bestätigt er und fährt sich mit einer Hand durch die Haare, sodass die sonst akkurate Frisur verwuschelt aussieht. Es stehen sogar einige Strähnen ab.

Irgendwie lässt ihn die Frisur menschlicher, weniger perfekt wirken und ich kann es mir kaum verkneifen ihm durch die Haare zu wuscheln.

Mit meiner Haarbürste in der Hand folge ich ihm zurück in den Wohnbereich.

Er setzt sich mit den Beinen unter der Decke in sein Bett und schlägt einen Teil der Decke einladend zurück. Zielstrebig tapse ich auf ihn zu und setzte mich mit den Rücken zu ihm auf das Bett.

„Warte noch einen Moment“, bitte ich ihn und beginne meinen Zopf zu lösen.

„Halt“, unterbricht mich Tom gebieterisch, nimmt mir die Bürste aus der Hand und meine andere Hand in die seine, um sie auf das Bett drücken zu können.

„Lass mich das machen... bitte.“

„Okay“, flüstere ich und halte still, während er vorsichtig den Gummi löst, der meinen Dutt in Form hält.

Kaskadenartig fällt mein Haar herab und er streicht erst vorsichtig mit der freien Hand darüber, um es grob zu glätten.

Diese sachte Berührung löst eine Ganzkörpergänsehaut bei mir aus.

„Ist dir kalt?“,fragt er besorgt.

„Nein“, nuschele ich und laufe rot an. Verdammt, er hat die Gänsehaut bemerkt. Und sich gesorgt! Tom macht sich Sorgen um mich!

Dreht die Welt sich falsch herum? Stehen die Sterne heute in einer venusdominanten Position?

Soweit ich mich erinnern kann nicht.

Sachte kämmt Tom mir die Haare. Eine Strähne nach der anderen, bis sie im leichten Feuerschein feurig glänzen.

Wahrscheinlich tanzt der Lichtschein auf meinen Haaren wie eigene kleine Flammen. Anders kann ich mir Toms stummen Blick auf meinem Rücken nicht erklären.

„Gibst du mir die Bürste, damit ich sie wegbringen kann?“, durchbreche ich die Stille, ehe ich mich unbehaglich fühlen kann.

„Lege sie einfach auf den Nachtisch“, meint er mit seiner gewohnt kalten Stimme.

Er scheint sich wieder gefangen zu haben.

Sofort komme ich seiner Aufforderung nach und kuschele mich danach unter die Decke. Er ist mir körperlich näher, als jemals zuvor. Jedenfalls mit seinem ganzen Körper und nicht nur einzelne Teile davon.

Zumindest in diesem Bekleidungszustand, soweit ich mich erinnern kann.

Doch, sobald er sich auch wieder unter die Decke begibt, herrscht wieder der obligatorische Abstand von einem halben Meter, sofern ich es abschätzen kann.

Er achtet nahezu besessen darauf.

„Wie kommt es eigentlich, dass Rookwood und Mulciber mich in Ruhe lassen?“

„Wir sind Freunde“, antwortet er simpel und löscht mit seinem Zauberstab alle Lichter, außer dem leise knisternden Feuer.

 „Sie wissen das?“

„Du stehst unter meinem Schutz. Sie werden sich nicht trauen dich zu belästigen. Vertrau mir.“

Nach dieser Ansprache bin ich für einen Moment sprachlos, bis mir klar wird, dass ich ihm schon längst vertraue.

Ist das dumm?

Wahrscheinlich schon. Dumm und gefährlich.

Man wird immer gewarnt, dass man nicht den falschen Personen trauen darf, doch wenn man selbst in der Position ist, dann ist dieser Rat schwerer zu befolgen, als man glaubt.

Ich habe angefangen ihm zu vertrauen.

Ich weiß nicht wann, aber so eben ist mir klar geworden das ich es tue. Vorbehaltlos.

Zumindest mein Herz tut es.

Doch mein Verstand ist letztendlich der, der mich vor Dummheiten bewahren wird.

Ich bin aus einem bestimmten Grund hier und ich habe meine Mission, mein Ziel nicht aus den Augen verloren. Es ist oft nur in den Hintergrund gedrängt, aber immer präsent.

„Ich vertraue dir“, flüstere ich und lege meinen Kopf anders auf mein Kissen, sodass ich sein wunderschönes Profil bewundern kann.

„Gut.“

„Vertraust du mir?“, frage ich ihn vorsichtig. Er wendet seinen Kopf zu mir um und sucht meinen Blick. Ängstlich erwidere ich ihn.

„Mehr, als jemals Jemanden zuvor“, sagt er ernst. „Du solltest jetzt schlafen.“

„Gute Nacht, Tom.“

Inzwischen kenne ich ihn gut genug, um zu wissen, wann er etwas als Befehl meint, auch ohne den gewissen Unterton und nach seiner Antwort muss er einfach die Oberhand behalten und wie sollte das besser funktionieren, als durch einen Befehl?

„Nacht, Claire.“

Ich drehe mich mit dem Rücken zu ihm und versuche mich zu entspannen. Ein kompliziertes Unterfangen. Mein Unterbewusstsein lechzt nach jeder seiner Bewegungen. Alles in mir konzentriert sich auf ihn.

Meine Hand kribbelt aufgeregt in der Hoffnung, dass er mich noch einmal berührt.

Nur kurz, durch Zufall, aber berührt.

Doch, dass einzige, was ich vernehme ist sein Atem der nach einer gefühlten halben Stunde ruhiger wird.

Er ist eingeschlafen.

Nach dieser Erkenntnis purzeln meine Gedanken in meinem Kopf herein.

Er vertraut mir mehr, als jemals Jemanden zuvor.

Was heißt das?

Er vertraute noch niemanden.

Daher ist die Frage: Wie weit geht sein Vertrauen?

Wie sehr vertraut er mir?

Er nennt mich eine Freundin.

Doch, was bedeutet das für ihn?

Ich weiß, dass er Geheimnisse vor mir hat.

Viele Geheimnisse.

Ein paar kenne ich ohne sein Wissen, doch noch längst nicht alle.

Wie hat er sich gefühlt, als er seinen Vater und dessen Eltern tötete?

Warum fürchtet er sich vor den Tod?

Warum meidet er den Begriff Todesser in meiner Gegenwart, sobald wir über seine Anhänger sprechen?

Was machen sie, wenn er sich mit ihnen trifft?

Das ist eine Frage, auf die ich eigentlich keine Antwort wissen möchte. Zu grausam sind meine Fantasien. Zu groß ist die Angst, dass sie wahr sind.

Wie weit sind sie schon in diesem jungen Alter gegangen?

Ein Mörder, ein Vergewaltiger wird man nicht über Nacht.

Das Potenzial, die innere Einstellung, das Kranke muss schon vorher da gewesen sein.

Doch sind sie von Anfang an soweit gegangen oder hatten sie noch Skrupel?

Mulciber und Rookwood traue ich alles zu.

Tom sollte ich alles zutrauen, doch der Gedanke, dass er Frauen vergewaltigt ist mir zuwider. Zu abartig, zu fern von dem Tom, den ich kenne.

Er ist zu kultiviert und Snape hätte mich sicherlich gewarnt, wenn der junge Tom Riddle sich an Frauen vergriffen hätte, nicht wahr?

Ich weiß zumindest, dass Lord Voldemort die <Drecksarbeit> erledigen lässt und sich nicht dazu herablässt eine Frau mit Gewalt zu nehmen.

Eindeutig ein Hoffnungsschimmer.

Dass sie einen Weg aus der Schule finden, wenn sie sich treffen, weiß ich. Ich kenne ihn nur nicht.

Was tun sie da, wo sie hingehen?

Planen sie?

Handeln sie?

So viele Fragen.

Seitdem ich Tom kenne, habe ich ständig irgendwelche Fragen.

Rätsel, die nach einer Lösung schreien.

Er macht seinem Nachnamen alle Ehre. Er ist ein einziges Rätsel.

Irgendwie verfolgt mich dieser Gedanke.

30. November 1944




Samstag


Warm. Angenehm warm. Ich kuschele mich noch näher an mein Kopfkissen. Warm, weich und gutriechend.
Brauch man mehr am frühen Morgen im Halbschlaf?
Ich nicht. Ich fühle mich viel zu wohl, um wie üblich aufzustehen. Ich will viel lieber weiterschlafen.
Ich schlinge meinen Arm um mein Kissen und ziehe mein Knie an. Bequem, sehr bequem.
Scheinbar habe ich Toms Decke geklaut und unter meinem Bein zusammen geknüllt.
Egal.
Er ist alt genug, um sie sich zurückzuholen.
Nach einiger Zeit bewegt sich mein Kopfkissen. Moment. Mein Kopfkissen bewegt sich? Seit wann bewegen sich Kopfkissen?
Vorsichtig öffne ich erst das eine Augen einen Spalt breit, dann das andere.
Schnell schließe ich sie wieder. Mein Herz beginnt unkontrolliert in meiner Brust zu rasen. Das ist nicht mein Kopfkissen. Kopfkissen bewegen sich wirklich nicht.
Ich liege auf dem Bauch eines bestimmten Slytherins, indessen Bett ich übernachtet habe.
Mist. Seit wann bewege ich mich im Schlaf?
Oder kuschele mich an den Menschen, der neben mir schläft? Bei Neville habe ich das doch auch nie gemacht, wenn wir uns ein Bett auf Grund von Platzmangel im Raum der Wünsche haben teilen müssen.
Okay, die Aussage ist so vielleicht nicht ganz richtig. Wenn ich mir ein eigenes Bett gewünscht hätte, hätte der Raum dafür eine Lösung gefunden. Problemlos. Er hat sich sowieso schon vergrößert.
Aber es war mir nicht wichtig und neben Neville schlafen, ist etwas, was mir keinerlei Sorgen bereitet. Er ist mein bester Freund und beste Freunde schlafen sowieso öfters bei einander.
Tom bewegt sich wieder leicht unter mir.
Vorsichtig öffne ich die Augen diesmal ganz und drehe meinen Kopf langsam so, dass ich sein Gesicht sehen kann.
Erschrocken realisiere ich, dass er wach ist und zu mir runtersieht.
„Habe ich dich geweckt?“ Fragt er leise mit weicher Stimme. Mh, an seine Morgenstimme könnte ich mich gewöhnen.
„Nein“, lächele ich und lege meinen Kopf ihn weiter ansehend wieder auf seinen Bauch ab.
„Ich dich?“
„Nein“, er schüttelt den Kopf.
„Bist du schon lange wach?“
„Eine Stunde.“
Verwirrt sehe ich ihn an. Er ist seit einer Stunde wach, liegt aber immer noch im Bett? Das ist mehr als ungewöhnlich für Tom Riddle.
„Du bist nicht aufgestanden?“ Das hat er doch sonst immer getan. War im Bad, hat Tee gekocht, Frühstück geordert. Warum schlafe ich bei ihm eigentlich immer so lange?
Normalerweise stehe ich doch immer früh auf. Unter der Woche tue ich das doch immer noch.
„Ich konnte nicht“, antwortet er.
„Warum nicht?“ Fragend runzele ich die Stirn.
„Sobald ich mich versucht habe unter die hervorzuschälen, hast du dich festgeklammert.“
„Oh“, ich laufe rot an und senke beschämt die Augenlider. „Tut mir leid“, nuschele ich.
„Ist nicht schlimm. Notfalls hätte ich dich geweckt.“ Versucht er mir gerade wirklich aus meiner Beschämung zu helfen?
„Hast du wenigstens gut geschlafen, Claire?“
„Sehr gut sogar“, murmele ich immer noch mit roten Kopf. Wahrscheinlich beißt sich die Farbe ganz wunderbar mit meinen Haaren.
„Du gehst ins Bad und ich koche schon mal Tee?“ Schlägt er vor und ich nicke.
„Dafür müsstest du aufstehen und mich auch aufstehen lassen“, stellt er fest, als ich keine Anstalten mache mich hier wegzubewegen.
„Will nicht“, lächele ich ihn so lieb wie möglich an.
Er seufzt und lässt seinen Kopf wieder ins Kissen fallen. „Noch zehn Minuten“, teilt er mir mit und fängt an mit einer meiner Haarsträhnen zuspielen.
Verträumt, hätte ich das bei jedem anderen Jungen genannt. Verträumtes Spielen mit meiner Haarsträhne.
Auch bei ihm wirkt es so.
Gedankenverloren.
Zufrieden.
Für einen Außenstehenden sehen wir sicherlich wie ein Pärchen nach dem Aufwachen aus. Keiner käme auf die Idee, dass der Junge in wenigen Jahren Angst und Schrecken in der Zaubererwelt verbreiten wird und das Mädchen dazu auserkoren wurde ihm ein Geheimnis zu entlocken, um ihn zu Fall zubringen.
Die Zehn Minuten sind laut der Uhr an der Wand seit fünf Minuten rum, doch keiner von uns beiden macht erneut den Vorschlag aufzustehen oder unternimmt den Versuch.
Gedankenverloren male ich Kreise auf seine Brust und er dreht weiterhin meine Haarsträhne um seinen Finger.
„Hast du eigentlich einen Freund?“ Fragt er plötzlich mit so einem uninteressierten Ton, dass es schon wieder auffällig ist.
„Nein. Wäre ich sonst hier?“ Grinse ich ihn an ohne meine Tätigkeit zu unterbrechen.
„Bei euch Gryffindors weiß man nie“, antwortet er.
Leise lache ich auf und lege meinen Arm wieder um ihn und drücke mich leicht an ihn. „Was denkst du denn von uns!“
„Nur das Beste“, gibt er mit ernstem Gesicht zurück. Ich lächele ihn an und streiche wieder verträumt über seine Brust.
„Ich merke es.“

Wir liegen noch knapp eine halbe Stunde so vertraut beieinander und habe allmählich begonnen mich zu fragen, wo der typische Tom Riddle geblieben ist. Doch er scheint heute morgen ausgesprochen gut gelaunt zu sein.
Ich wasche mir gerade die Hände, als Tom an die Badezimmertür klopft.
„Claire? Frühstück ist da.“
„Ich komme“, rufe ich durch die Tür und
Mit einem letzten Blick in den Spiegel stelle ich fest, sein Shirt ein paar Falten hat und das mein Haar unordentlich über meine Schultern fällt.
Mein Haar.
Gestern hat er mich darum gebeten es kämmen zu dürfen.
Er hat darum gebeten.
Tom Riddle hat wirklich das Wort „bitte“ in den Mund genommen. Tom! Er, der eigentlich nur Befehle erteilt, sich nimmt, was er will und gewiss niemanden zuvor um etwas gebeten hat.
Er hat mich um Erlaubnis gebeten mir die Haare zu kämmen und zuvor hat er versucht auf meine Wünsche Rücksicht zu nehmen.
Er klang besorgt, als sich eine Gänsehaut bei mir ausbreitete. Besorgt. Das hatte mich gestern bereits verwundert.
Ich stehe unter seinem Schutz. Kein Slytherin wird mich beleidigen oder mir anderweitig zu nahe kommen.
Er hat mich darum gebeten ihm zu vertrauen.
Und er vertraut mir mehr, als jemals Jemanden zuvor. Selbstverständlich weiß ich immer noch nicht, was das heißen soll, aber immerhin.
Tom.
Tom Riddle.
Lord Voldemort.
Fassungslos schüttele ich den Kopf und wende mich von meinem Spiegelbild ab. Die Bürste liegt immer noch auf Toms’ Nachttisch.
Er war gestern ungewöhnlich nett. Ehrlich ist er zu mir inzwischen immer, soweit ich das beurteilen kann. Aber nicht nett.
Und heute morgen hat er mich nicht sofort weggeschoben, als ich wach geworden bin, obwohl er normalerweise immer auf unseren körperlichen Abstand achtet.
Er hat mich sogar noch länger auf ihm liegen lassen und mit meinem Haar gespielt.
Was ist los mit ihm?
Beim öffnen der Tür schlägt mir der Geruch von frischen Brötchen und gebratenem Speck in die Nase.
Tom sitzt bereits in seinem Sessel und blickt mir regungslos entgegen.
„Das riecht lecker“, meine ich schwach lächelnd und schnappe mir einen Teller.
„Tee?“
„Gerne.“
Ich mache mir noch einen Löffel Honig in den Tee, welchen mir Tom mir reicht, schneide ein Brötchen auf, nehme mir etwas vom Speck und ein wenig Rührei. Dazu ein wenig Butter für das Brötchen und Marmelade, nachdem die Butter verteilt ist.
„Guten Appetit“, wünsche ich ihm noch und beiße in mein Brötchen.
„Dir auch“, erwidert er und wirft meinem vollen Teller einen leicht belustigten Blick zu.
„Was ist?“ Nuschele ich mit halbvollem Mund.
„Nichts“, er schüttelt den Kopf und fängt auch an zu essen.
„Was machen wir heute Vormittag?“
„Arithmantik?“
Ich verziehe das Gesicht. „Nein, Schule ist erst ab heute Nachmittag wieder fällig. Können wir uns dafür nicht ein anderes Mal treffen?“
„Mittwoch in der Freistunde. Vorher finde ich keine Zeit unter der Woche. Ich habe die letzten Tage kaum Zeit für meine Pflichten als Schulsprecher gefunden.“
„In Ordnung“, stimme ich zu ein wenig enttäuscht von den drei Tagen, wo ich Tom nicht sehen werde. „Aber, was machen wir jetzt heute Vormittag?“
„Such’ dir etwas aus“, bestimmt er.
Ich soll mir etwas aussuchen? Geht es ihm auch sicherlich gut?
„Liest du mir wieder vor?“ Frage ich. Meine Stimme ist nur ein Flüstern, eine beschämte Röte überzieht meine Wangen und mein Blick ist gesenkt. Ich will nicht wissen, was er von der Bitte hält. Wirklich nicht.
„Natürlich. Im selben Buch wie das letzte Mal?“
„Ja“, nicke ich und sehe erleichtert auf. Er hat mich nicht gehässig ausgelacht. Merlin sei Dank.
„Hat dir das Buch so gut gefallen?“
„Ja“, antworte ich. Es hat mir gefallen wie du Bilder mit deiner Stimme gemalt hast, mich in fremde Welten entführt und bevor etwas schreckliches passieren konnte wieder weggeholt hast.
Ich habe mich beschützt gefühlt. Beschütz von dir. Das hat mir gefallen. Schreit mein Unterbewusstsein ihm entgegen, doch er hört den Schrei nicht.
„Es zeigt einem die Welt. Sobald ich mit der Schule fertig bin, werde ich auch einige Reisen unternehmen, ehe ich mir einen Beruf suchen werde.“
„Du wirst schnell einen Beruf finden, da bin ich mir sicher“, lächele ich ihn an.
„Was willst du werden, Claire, wenn du mit der Schule fertig bist?“
„Für uns Frauen gibt es keine so große Berufsauswahl, Tom. An sich kann ich nur zwischen Sekretärin und Krankenschwester wählen, wenn ich gut durchs Leben kommen will.“
Er schweigt eine Zeit lang. „Was wirst du wählen?“
Ich zucke mit den Achseln. „Sekretärin. Ich bin schlecht darin Menschen leiden zusehen. Ich fühle dann immer mit ihnen und will ihren Schmerz lindern. Manchmal geht das nun mal nicht, aber ich könnte es nicht verkraften jemand leidend sterben zusehen.“
Er antwortet darauf nicht mehr und holt einfach das Buch aus seinem Regal und bringt mir eine Decke wie das letzte Mal.
Vielleicht habe ich ihm etwas zum Denken gegeben.

4. Dezember 1944




Mittwoch


„Ich bin verdammt noch mal gut!“ Fauche ich Tom an.
„Nein. Du bist eine durchschnittliche Arithmantikerin“, gibt er eisig zurück. Er ist sich wohl zu vornehm, um mich anzuschreien. Mistkerl.
„Ich habe heute keinen verfluchten Fehler gemacht! Ich habe Alles richtig berechnet! Was soll der Mist? Willst du nicht erkenn, dass ich nicht mehr so schlecht bin wie am Anfang?“ Gifte ich weiter.
Unser erster Streit. Und das wegen Arithmantik. Beziehungsweise, weil ich vor Freude über die fehlerfreie Hausaufgabe gesagt habe, dass ich gut bin und er mir widersprochen hat.
„Claire! Nur, weil man einmal etwas richtig gemacht hat, heißt das noch lange nicht, dass man es wieder tun wird! Außerdem hast du ewig dafür gebraucht!“ Seine Augen sind glanzlos und eiskalt. Er ist wütend. Richtig wütend.
„Schrei mich nicht an“, pampe ich weiter und schlage mit der flachen Hand auf den Tisch.
Er steht auf. „Wenn du dich wieder beruhigt hast, können wir weiter reden“, teilt er mir mit und geht.
Er geht einfach. Er lässt mich mitten in unserem ersten Streit stehen.
Erst bewahrt er Ruhe und nur seine Augen ließen seine Wut erkennen.
Mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung lasse ich mich auf meinen Stuhl zurück fallen.
Er kann lange warten, bis ich wieder zu ihm komme. Oh ja, darauf kann er lange warten.
Allein dafür, dass er einfach gegangen ist, lasse ich ihn warten.
Wie kann er einfach gehen!

5. Dezember 1944




Donnerstag


„Und wann hast du vor dich mit Riddle auszusprechen?“ Fragt Tina nun zum gefühlten hundersten Mal.
„Das hat Zeit“, knurre ich wütend. Wieso nervt sie mich damit? Wir wechseln gerade die Unterrichtsräume und ich laufe extra langsam, um so viel Abstand zwischen Tom und mich zubringen wie möglich. Und so lange.
Er hat es wirklich ernst gemeint. Ich soll zu ihm kommen, wenn ich mich wieder beruhigt habe. Spinner. Ich bin ganz ruhig. Was kann ich denn dafür, dass er einfach gegangen ist? Nichts.
„Ich bin dafür, dass du ganz schnell mit ihm redest. Deine schlechte Laune macht mich nämlich furchtbar depressiv. Sogar den Jungs ist aufgefallen, dass etwas nicht mit dir stimmt. Ich habe es auf deine Monatsblutung geschoben, ich hoffe, dass stört dich nicht.“
„Nicht im geringsten“, stöhne ich genervt. Warum hat sie mich von Alte Runen abgeholt? Das habe ich nicht verdient um diese Uhrzeit.
„Dann ist ja gut. Und jetzt gib dir einen Ruck und rede mit ihm! Dann kannst du vielleicht auch wieder lächeln und nicht nur grimmig gucken, du verschreckst noch die Erstklässler mit deiner Miene!“
Darauf antworte ich nicht mehr. Toms dunkler Haarschopf sticht aus der Gruppe heraus, auf die wir zu gehen.
„Jetzt rede mit ihm“, flüstert mir Tina noch einmal mit durchdringender Stimme zu, ehe wir bei den Anderen ankommen. Das kann sie vergessen.

7. Dezember 1944



Samstag

Zusammengerollt sitze ich mit einem guten Buch auf einem Sessel vor dem prasselnden Feuer im Gemeinschaftsraum.

Es ist schon weit nach Mitternacht und alle anderen Schüler sind bereits in ihre Schlafsäle zurückgekehrt.

Ich kann nicht schlafen. Sobald ich die Augen schließe habe ich Toms dunkle Augen im Kopf. Seine aristokratischen Züge, sein seltenes Lächeln, seine melodische Stimme, wenn er nicht gerade wütend auf mich ist.

Seine neugewonnene Freundlichkeit und Ehrlichkeit mir gegenüber. Er hat nur gesagt, dass ich kommen soll, wenn ich nicht mehr sauer auf ihn bin. Wenn ich mich beruhigt habe.

Inzwischen habe ich eingesehen, dass er recht hat, diese Erkenntnis hatte ich bereits an dem Tag selbst, aber mein Stolz hielt mich davon ab mit ihm zu reden, meinen Fehler einzugestehen.

Auch, wenn ich einfach meiner guten Laune freien Raum gegeben hatte, mich über den Erfolg freute und er wie ein Dieb dieses Glücksgefühl mit seinen Worten gestohlen hat.

Meine Augen fliegen über die Zeilen ohne ein Wort wahrzunehmen.

Ich kann an nichts anderes denken, als an Tom und unseren sinnlosen Streit, sowie die Tatsache, dass ich ihn schon längst hätte beenden können.

Genervt blättere ich auf die Vorseite zurück, da ich mich nicht man an der Gespräch erinnern kann, dass auf der aktuellen Seite weitergeführt wird.

„Mist“, fluche ich leise, werfe das Buch auf den Boden und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen.

So wird das nie was. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Alles dreht sich um IHN.

Mein Herz, mein Kopf, mein Körper.

Was würde ich dafür geben jetzt wieder neben ihm zu liegen, mit ihm zu reden, ihn zu sehen. Am morgen wieder an ihm gekuschelt zu sein.

Verdammt. Das ich mich im ihn verliebe, war echt nicht geplant. Ich sollte doch nur sein Vertrauen gewinnen. Wieso hat mich niemand gewarnt?

Wahrscheinlich hat Snape gedacht, dass mein Wissen darüber, wer oder was er in Zukunft ist, mich genug ernüchtert um keine romantischen Gefühle für ihn zu entwickeln.

Ich sollte nicht zu ihm gehen. Ich sollte jetzt wirklich nicht zu ihm gehen. Dann hätte er gewonnen und ich hätte meinem Herzen nachgegeben.

Die Schmetterlinge, die in meinem Bauch Samba tanzen, wenn ich nur an ihn denke, benebeln meinen Verstand.

Ich muss ihn endlich wieder sehen, seine Stimme hören, egal, was er zu mir sagt oder wie schlecht gelaunt er ist.

Ich muss einfach.

Auf mich selbst wütend, weil ich so schwach bin und nervös klettere ich aus dem Portraitloch. Ich trage nur ein Schlafshirt und meinem dicken Mantel, damit ich nicht friere. Einen Rock wollte ich nicht mehr holen, dann hätte ich nur die anderen geweckt. Meine Schuhe trage ich in der Hand damit die flachen, harten Absätze nicht auf dem Steinboden klappern und Hausmeister Pringle auf mich aufmerksam machen. Die Socken kann ich danach wahrscheinlich erst einmal in die Wäsche werfen.

Auf Zehenspitzen husche ich an den Wänden entlang, jedem Streifen Mondlicht ausweichend, der silbern durch die Fenster hereinscheint.

Vorsichtig biege ich um die letzte Ecke und husche zu seiner Tür. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe. Was, wenn er schon schläft und die Tür nicht aufmacht?

Aber, um das herauszufinden muss ich erst einmal klopfen, was ich nach einiger Überwindung auch tue.

Kein Geräusch ist zuhören. Ich klopfe mit rasendem Puls noch einmal an der Tür. Nur zur Sicherheit, nicht, dass er das erste Mal einfach überhört hat.

Hektisch lasse ich meinen Blick den Gang rauf und runter huschen, wenn ein aufsichtführender Lehrer oder Vertrauensschüler vorbeikommt, habe ich wirklich ein Problem. An den Hausmeister möchte ich gar nicht erst denken.

„Komm schon, Tom. Mach die Tür auf“, murmele ich beschwörend zu mir selbst und reibe einen meiner kalten Füße an der Wade des anderen Beines.

Ich habe gerade meine Hand zum dritten Mal um ein letztes Mal anzuklopfen, als die Tür geöffnet wird.

„Tom“, hauche ich erschrocken über sein plötzliches Auftauchen, wo ich es eigentlich schon aufgegeben habe. Mühsam unterdrücke ich den Impuls ihm um den Hals zu fallen.

„Komm rein“, meint er frostig und erst jetzt fällt mir auf, dass er immer noch die Sachen trägt, die er heute schon im Unterricht an hatte. Warum trägt er noch seine Schulkleidung? Normalerweise schläft er um die Zeit schon.

Schnell komme ich seiner Aufforderung nach und bleibe händeringend nahe der Tür stehen. Jetzt, wo ich vor ihm stehe, scheint mein Vorhaben utopisch zu sein. Er blickt so arrogant auf mich herab, dass ich fühlen kann, wie mein Herz sich zusammen krampft.

„Ich... Es tut mir leid“, flüstere ich nervös und starre auf meine besockten Füße. Vielleicht sollte ich wieder meine Schuhe anziehen, aber dann würde der Moment seine Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit verlieren.

„Was genau tut dir leid?“

„Das ich... Ich weiß, dass du recht hast, okay? Ich wusste es schon an dem Tag selbst. Es tut mir Leid, dass mein Stolz es mir verboten hat früher her zukommen“, flüstere ich so leise, dass ich daran zweifle, dass er mich gehört hat.

„Und dann kommst du mitten in der Nacht?“

„Ja, ich... Also,...“, stammele ich und breche ab. So wird das nichts. „Entschuldige die späte Störung, Tom. Ich geh dann wohl besser“, nuschele ich, laufe an ihm vorbei und greife nach dem Türgriff.

„Wer hat gesagt, dass du gehen darfst?“, erklingt Toms Stimme sanft. Auf eine unheimliche Art sanft. Lauernd, berechnend.

Angsteinflößend.

„Ich... ähm...“, fange ich von vorne mit dem Gestotter an, ehe ich mir auf die Unterlippe beiße, damit keine weitere Dummheit über meine Lippen kommt.

„Dreh dich um.“ Seine Stimme ist ruhig, als er mir den Befehl erteilt. Zu ruhig.

Langsam drehe ich mich um und sehe auf. Die Kälte und Herzlosigkeit die er ausstrahlt, lässt mich einen Schritt zurückgehen.

Zum ersten Mal habe ich das Gefühl dem zukünftigen Lord Voldemort gegenüber zustehen und nicht Tom Riddle.

„Komm näher“, meint er immer noch gefährlich sanft.

Er macht mir Angst, zum ersten Mal fürchte ich mich ein wenig vor ihm. Aber du innere Gewissheit, dass er mir nichts antun wird, bleibt. Obwohl er so gefährlich wirkt.

Ich mache zwei Schritte auf ihn zu und sehe ihm in die Augen. Sie schimmern unheilvoll rot. Seine Regenbogenhaut scheint einen roten Stich angenommen zu haben.

Schnell wende ich meinen Blick wieder ab und starre auf seine Brust, in der Hoffnung, dass dieses unheimliche Glühen seiner Augen eine Einbildung war, ein Streich des schwachen Lichtes.

„Sie mich an“, befiehlt er und drückt mein Kind mit zwei Fingern nach oben, sodass ich keine andere Wahl habe, als in seine nun wieder schwarz - braun schimmernden Augen zu blicken.

„Du schreist mich an, ignorierst mich daraufhin und kommst mitten in der Nacht, um dich zu entschuldigen?“, zischt er mich an und ich nicke, soweit mir das möglich ist mit seinem starren, schmerzhaften Griff um meinen Unterkiefer.

„Und dann“, redet er ungerührt weiter, als hätte er nicht gemerkt, dass er mir wehtut und mir das Schlucken schwer fällt. „Und dann willst du einfach wieder gehen?“ Er klingt wirklich wütend. Mit großen Augen sehe ich ihn an. Sein eigentliches Problem gerade ist, dass ich wieder gehen will?

„Du legst dich jetzt ins Bett, damit ich heute auch noch etwas Schlaf bekomme.“ Abrupt lässt er mich los und geht in sein Badezimmer.

Perplex bleibe ich auf ein und derselben Stelle stehen und starre ihm nach.

Was war das denn? Er hat ein Problem damit, das sich gehen wollte? Ich soll ins Bett? Will er etwa, dass ich da schlafe?

Natürlich will er das, gebe ich mir selbst die Antwort. Sonst hätte er das wohl kaum verlangt. Schnell öffne ich die Knöpfe meines Mantels, streife ihn und die Socken ab, öffne den Knoten in meinen Haaren und lege mich ins Bett, nachdem ich meine Sachen unterwegs auf meinen Sessel abgelegt habe.

Nervös knete ich die Decke in meinen Händen. Ist er noch sehr sauer auf mich?

Immer wieder gleitet mein Blick zu der Tür hinter der er verschwunden ist. Ich habe ihn noch nie in solch einer Stimmung erlebt. Jeder andere hätte mir Angst gemacht, doch ich habe so ein großes Vertrauen in ihn, dass ich gar nicht zu dem Gedanken kam, dass er mir wehtun könnte.

„Leg dich hin“, reißt mich Toms emotionslose Stimme aus meinen Gedanken.

Eilig tue ich, was er von mir verlangt und kuschele mich in die Decke. Leicht ängstliche drehe ich meinen Kopf zu ihm um. Er ist inzwischen neben mir im Bett und hat wie gewöhnlich alle Lichter, bis auf den Kamin gelöscht.

„Schrei mich nie wieder an.“

„Das kann ich nicht garantieren“, flüstere ich vorsichtig.

„Lass mich nie wieder so lange warten“, spricht er ungerührt weiter.

„Ich versuche es“, antworte ich mit einem kleinen Lächeln und würde ihm am liebsten mit meinen Fingerspitzen über die Wange fahren. Ob seine Bartstoppeln arg kratzen?

„Gute Nacht, Claire.“

„Gute Nacht, Tom“, lächele ich ihn schwach an und schließe meine Augen, nur um sie gleich wieder zu öffnen.

„Tom?“

„Hm?“

„Hast du schon geschlafen, als ich geklopft habe?“

„Nein“, antwortet er simpel.

„Warum hast du nicht die Tür geöffnet, als ich geklopft habe?“

„Ich wusste, dass du es bist.“

„Woher?“

„Wer sollte sonst zu solch einer unpassenden Uhrzeit an meiner Tür klopfen?“, spottet er über mich, aber nicht böse, eher belustigt.

„Warum hast du nicht geöffnet?“

„Ich wollte wissen, wie hartnäckig du bist.“

„Tom?“

„Hm?“

Hast du nicht schlafen können?“

„Nein“, meint er zögerlich und ich stütze mich auf meinen Ellenbogen, sodass ich ihn besser sehen kann. Unter seinen Augen sind dunkle Schatten auszumachen und er wirkt müder, ausgezerrter als gewöhnlich.

„Du hast auch in den letzten Tagen nicht gut schlafen können“, stelle ich fest und er hält es nicht für nötig mir zu antworten oder irgendeine andere Reaktion zu zeigen.

„Wegen unseres Streits?“, wage ich mich weiter vor.

„Schlaf, Claire.“

„Hast du darauf gewartet, dass ich heute Abend komme?“

„Schlaf, Claire“, befiehlt er wieder ausdruckslos, doch das ist mir Antwort genug. Er hat gewartet. Er konnte wegen unseres Streits nicht gut schlafen. Es hat ihn gefrustet, dass ich mich so lange nicht entschuldigt habe.

„Gute Nacht, Tom“, lächele ich ihn zärtlich an, nur, dass er das Lächeln nicht sehen kann.

Ich lege mich wieder hin und versuche einzuschlafen. Ich bin müde, richtig müde. Ich bin es nicht gewohnt um die Uhrzeit wach zu sein.

Ich drehe mich auf die andere Seite und versuche ein zuschlafen. Es funktioniert nicht, irgendwie kann ich meinen Kopf nicht abschalten.

Ich drehe mich wieder um und ziehe die Decke höher. Jetzt ist mir zu warm. Ich ziehe die Decke wieder ein Stück runter und drehe mich auf den Rücken.

In der Position konnte ich noch nie schlafen.

Seufzend öffne ich die Augen und drehe mich zu Tom um.

„Tom?“, flüstere ich leise, damit ich ihn nicht wecke, falls er schon schläft.

„Hm?“

„Ich kann nicht schlafen“, gebe ich leicht beschämt zu und ein rosa Schimmer überzieht meine Wangen.

Wortlos hebt er die Decke direkt neben sich ein Stück an und klopft auf die Matratze.

Mit großen Augen sehe ich ihn an. Meint er das ernst?

Zögerlich richte ich mich ein Stückchen auf.

„Tom?“

„Jetzt komm schon her, Nervensäge“, murmelt er schläfrig.

Vorsichtig rutsche ich näher und lege mich an seine Seite. Er seufzt scheinbar entnervt, umgreift mich mit dem Arm auf dessen Seite ich liege und zieht mich so nahe an sich heran, dass ich mit meinem Kopf auf der Stelle zwischen seinem Arm und seiner Brust aufliege.

Glücklich schließe ich die Augen und kuschele mich noch ein wenig mehr an ihn. So eine Gelegenheit muss man ausnutzen.

„Gute Nacht, Tom“, wispere ich wohlig.

„Schlaf, Claire“, brummelt er und mit seinem Geruch in der Nase und seiner Wärme an meinem Körper schlafe ich ein.

 

Am nächsten Morgen wache ich alleine im Bett auf. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und der Platz neben mir ist noch warm.

„Tom?“, rufe ich leise in den Raum hinein und blicke mich um. Er sitzt in seinem Sessel vor den Kamin. Kurz huscht mein Blick zu der Uhr über seiner Tür. Kurz nach fünf.

Mich aus der Decke schälend stehe ich auf und laufe zu ihm. An seinem Sessel bleibe ich stehen und lege meine Hand auf seine Schulter.

„Tom?“

„Du solltest schlafen, Claire.“

„Ich bin wach geworden. Du warst nicht mehr da“, flüstere ich vorsichtig und sehe auf sein unbewegtes Profil. „Hatte ich dich geweckt, Tom?“

„Nein.“

Ratlos bleibe ich leicht fröstelnd neben ihm stehen.

„Geh schlafen, Claire“, fordert er mich auf ohne den Blick vom heruntergebrannten Feuer zu wenden.

„Was hast du?“

„Ich musste nachdenken.“

„Hast du noch gar nicht geschlafen?“

Er schüttelt seinen Kopf. Er hat die ganze Nacht noch nicht geschlafen. Und die letzten Nächte zumindest wenig.

„Was ist los Tom?“

„Nichts von Bedeutung“, wiegelt er ab. „Lass uns wieder schlafen gehen.“

Besorgt sehe ich ihn an und nicke. Er steigt zuerst wieder ins Bett und streckt eine Hand nach mir aus, um mich hinein zuziehen. Leise lachend lasse ich mich fallen und grinse zu ihm hinauf. Er sitzt in der Mitte vom Bett und blickt mich mit undurchdringlicher Miene an, während ich auf dem Rücken liege und ihn verkehrt herum anlächele.

„Was ist los, Tom?“

„Was ist dein Lieblingsplatz in Hogwarts?“

„Bei dir“, platzt es aus mir heraus ohne dass ich darüber nachgedacht habe. Sofort laufe ich rot an und lege mich richtig ins Bett, nur um ihn nicht ansehen zu müssen.

„Darf ich dir morgen etwas zeigen?“, fragt er mich nach kurzem Schweigen, sobald ich wie üblich in meiner Betthälfte liege.

„Sicherlich“, lächele ich ihn müde an. „Gute Nacht, Tom.“

„Gute Nacht, Claire.“

Müde drehe ich mich auf die Seite und von ihm weg und schließe meine Augen. Hoffentlich bekomme ich noch ein paar Stunden erholsamen Schlaf.

„Claire?“

„Hm?“

„Ich kann nicht einschlafen.“

Seufzend drehe ich mich um und kuschele mich wieder an ihn.

„Schlaf noch ein wenig. Du brauchst den Schlaf“, murmele ich noch, bevor ich in das Land der Träume zurückkehre.

 

„Guten Morgen“, begrüße ich Tom, als ich zu ihm ins Bad komme. Er hat noch nasse Haare von seinem Bad, ist allerdings vollständig bekleidet und rasiert sich in aller Ruhe.

Er unterbricht diese Tätigkeit mich einmal, um mich zurück zugrüßen, stelle ich schmunzelnd fest, als ich auf dem Klo sitze.

Er nimmt sich nicht einmal die Zeit sich darüber auf zu regen, dass ich auf der Toilette bin, obwohl er im selben Raum anwesend ist und sich das nicht gehört. Ich komme halt aus einer anderen hemmungsloseren Zeit. Auch, wenn ich nicht mit jedem Jungen im Raum aus  Klo gehen würde. Ich hätte eindeutig ein paar Benimmbücher über diese Zeit lesen sollen.

Andere Zeit, andere Sitten, wie ich diesbezüglich festgestellt habe, aber gerade war mir das egal. Ich musste aufs Klo, ich habe gestern Abend eindeutig zu viel Tee getrunken während meines Versuches das Buch zu lesen.

Er wäscht sich den restlichen Rasierschaum von seinem Gesicht und ich greife nach der Seife.

„Kann ich es dir heute schon zeigen?“

Kurz sehe ich ihn verwirrt an, bis ich mich an unsere merkwürdige Unterhaltung heute Nacht im Bett erinnere.

„Klar, ich muss mich nur fertig machen und etwas frühstücken.“

Er nickt und verlässt den Raum.

Kurz darauf folge ich ihm und er sieht mich verwirt an. „Wo ist dein Rock? Ich wollte dir gerade deine Klamotten bringen.“

„Ich hatte gestern keine Nerven dazu auch noch einen Rock anzuziehen“, schmunzele ich und greife nach meinen Strümpfen, um sie mir überzuziehen.

„Du bist halb nackt durch Hogwarts gelaufen, um dich bei mir zu entschuldigen?“

„Gut erkannt“, grinse ich ihn an und binde meine Haare zusammen. „Frühstücken wir hier oder in der Großen Halle?“

„Das Frühstück unten ist schon vorbei. Wir kriegen gleich etwas gebracht.“

„Gut“, antworte ich und setze mich in meinen Sessel.

 

Eine dreiviertel Stunde nach dem wir uns verabschiedet haben, stehe ich wieder vor seiner Tür. Diesmal vollständig angezogen.

Er öffnet sie augenblicklich und tritt zu mir auf den Gang hinaus. „Bereit?“

„Bereit, wenn du es bist“, gebe ich lächelnd zurück und folge ihm auf die andere Seite des Schlosses.

„Da sind wir“, teilt er mir kurz darauf mit und zeigt auf eine leere Wand.

Kurz entgleisen mir meine Gesichtszüge, ehe ich mich wieder unter Kontrolle habe.

Der Raum der Wünsche.

Der Raum der Wünsche befindet sich direkt hinter dieser Wand.

„Was ist mit der Wand?“, frage ich und die Irritation in meiner Stimme ist nicht einmal gespielt.

Ohne zu antworten läuft er dreimal an der Wand vorbei und eine schwarze Tür taucht auf. Gespannt ziehe ich eine Augenbraue hoch und sehe ihn an.

Er kennt den Raum der Wünsche.

„Das ist der sicherste Ort von Hogwarts. Ich glaube, dass außer mir und jetzt dir niemand von diesem Raum weiß“, deklariert er feierlich und öffnet die Tür, um mir den Blick auf einen Raum frei zugeben, voll mit verstaubten Gerätschaften, kaputten Stühlen und anderen Dingen. Vorsichtig trete ich dicht gefolgt von ihm ein.

„Was ist das für ein Raum?“, frage ich nach und versuche mir meine Freude nicht anmerken zulassen.

Der Raum der Wünsche. Wo sonst sollte man besser etwas verstecken können?

„Ich hatte vor einem Jahr ein Versteck für etwas gesucht, da bin ich über diesen Raum gestolpert“, erklärt er mir und sieht mich erwartungsvoll an.

„Scheinbar bist du nicht der Erste, der hier etwas versteckt“, schmunzele ich und greife nach einer leeren Weinflasche um mir den Jahrgang anzusehen. 1786. Nicht schlecht. Schade, dass er leer ist.

„Nein“, gibt er zu.

„Lass uns wiedergehen. Mir ist das ganze alte Zeug nicht geheuer. Wer weiß, was für schreckliche Dinge hier versteckt wurden“, flehe ich ihn an.

„In Ordnung“, meint er mit einer amüsierten Stimme.

Gemeinsam verlassen wir wieder den Raum

„Willst du noch etwas mit mir unternehmen?“, frage ich ihn und lege meinen Kopf in den Nacken, damit ich ihm ins Gesicht sehen kann.

„Ich habe heute keine Zeit, Claire.“

„Oh, okay. Dann ein anderes Mal.“

„Ein anderes Mal“, bestätigt er und geht.

 

Tom kennt den Raum der Wünsche. Er findet, dass man nirgends etwas besser verstecken kann.

Er hat mir die Antwort meiner Suche auf einem Silbertablett präsentiert.

Meine Arbeit hier ist getan, ich habe die Mission erfüllt.

Wenn ich wollen würde, könnte ich jetzt zurückkehren, doch Snape hat gesagt, dass ich zur Tarnung bis zum Schuljahresende bleiben soll.

Anfangs hat mich dieser Gedanke abgeschreckt, doch inzwischen bin ich mehr, als froh, dass er das von mir verlangt hat.

Jetzt bin ich nur noch zu meinen Vergnügen hier.

Und Tom hat soeben zu seinen Untergang beigetragen. Ich weiß nicht, ob mich das freuen soll oder nicht.

Es sollte.

Doch es tut es nicht.

Der Gedanke, dass jemand Tom vorsätzlich umbringen will, macht mir Angst, macht mich wütend. Doch meinen Tom gibt es zu der Zeit schon nicht mehr.

Es gibt nur noch Lord Voldemort und seine Schreckensherrschaft.

Wie kann sich so ein charismatischer junger Mann in solch ein Monster verwandeln?

9. Dezember 1944




Montag


„Tom!“ Rufe ich ihm nach. Ich komme gerade aus einer desaströsen Haushaltsführungsstunde und wie es der Zufall so will, kommt er alleine aus der Bibliothek.
„Ich habe heute keine Zeit, Claire“, fährt er mir über den Mund, ehe ich meine Frage überhaupt stellen konnte.
Erschrocken bleibe ich stehen.
„Alles okay?“ Tina legt mir ihre Hand auf die Schulter und blickt mit mir zusammen dem Schulsprecher nach.
„Ja, lass uns zusammen in den Turm gehen und Hausaufgaben machen, ja?“ Gebe ich als Antwort und laufe los, dicht gefolgt von Tina, die sich noch Teig aus den Nägeln pult.
Der Kuchen hat mehr nach Salz geschmeckt, als sonst etwas.
Wirklich, nur Tina schafft es Zucker mit Salz zu verwechseln. Ich will gar nicht wissen, was für eine Note ich auf dieses Fach bekomme. Hoffentlich wird wenigstens meine Abschlussprüfung, die ich allein bestreiten darf, besser.
„Darf ich Zaubertränke dann mit dir abgleichen?“
„Klar“, lächele ich sie an und reiche ihr eine Hand, die sie sofort annimmt.

10. Dezember 1944




Dienstag


„Hey“, spreche ich Tom nach Verwandlung an, obwohl seine Freunde anwesend sind.
Er blickt kalt auf mich herab und beugt sich ein Stückchen vor, sodass seine Freunde nicht hören können, was er sagt.
„Hör zu Claire, ich habe die Woche keine Zeit für dich. Nur am Samstagabend, aber ich habe gleich Sonntagfrüh einen Termin bei Dippet.“
„Das heißt, wir sehen uns die Woche nicht?“ Leicht enttäuscht blicke ich in seine kalten Seelenspiegel.
„Genau“, bestätigt er beinahe süffisant, winkt seinen Freunden, die ihm augenblicklich folgen und geht.
Als ich realisiere, dass seine Anhänger mit der Angelegenheit zu tun haben, wird mir klar, dass ich nicht wissen will, warum er keine Zeit für mich hat.

16. Dezember 1944




Montag


„Verbringst du die Woche wieder ausschließlich mit uns?“ Fragt mich Chantal gerade beim Abendessen.
„Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht ganz, aber zum größten Teil“, antworte ich schulterzuckend.
Als ich Tom heute morgen in Verwandlung fragend angesehen hatte, schüttelte er mit dem Kopf.
Auch morgen hätte er keine Zeit teilte er mir nach Zaubertränke mit, aber wir würden uns Samstagabend bei Slughorns’ Weihnachtsparty sehen.
Trotzdem werde ich nicht ganz so viel Zeit mit meinen Gryffindorfreunden verbringen. Anna hat mich gefragt, ob wir gemeinsam für das Alte Runen Examen lernen, dass Freitag ansteht.
Nur zur Überprüfung, ob wir aufmerksam den Unterricht verfolgt hätten, wie Professor Widdlemitch betonte.
„Was hast du denn vor?“ Fragt Jessica, die dicht neben Simon sitzt, der schon den ganzen Tag dämlich grinst.
Gestern Mittag wirkte er eindeutig normaler.
„Ich treffe mich mit Anna und Dorothe zum Alte Runen lernen.“
„Klingt spannend“, zieht mich Benjamin frech grinsend auf.
„Finde ich auch“, antworte ich ernst nickend und Tina fängt an zu lachen wegen Benjamins verdutzen Gesichtsausdruckes.
„War nur ein Scherz, ich könnte mir auch unterhaltsameres vorstellen“, grinse ich ihn an und steige dann in Tinas Lachen mit ein. Diese erleichterte Miene ist einfach zu lustig.

21. Dezember 1944




Samstag


Morgen kehren fast alle zurück um das Weihnachtsfest mit ihren Familien zu genießen. Die Ferien haben heute offiziell begonnen und Slughorn feiert das mit einem privaten Fest in seinen Räumen.
Jessica steht neben mir am Spiegel und tuscht sich die Wimpern, um ihre grauen Augen zu betonen.
Simon hat sie gefragt, ob sie sein Date sein möchte.
Er hat sich endlich getraut ins kalte Wasser zuspringen.
Letzte Woche Sonntagabend, um genau zu sein. Das hat auch sein dämliches Grinsen erklärt. Vielleicht kommen sie ja heute noch zusammen, bevor sie jeweils zu ihren Familien zurückkehren.
Oder sie treffen sich in den Ferien, um Silvester zu feiern.
Ihre krausen blonden Locken hat sie in einen französischen Zopf gezwungen und ihre schlanke, kleine Figur in ein rotes, knielanges Kleid mit schwarzer Spitzenborde an Saum und Ausschnitt, sowie einer passenden Schleife an der Taille. Sie sieht einfach entzückend aus.
Schnell werfe ich meinem Spiegelbild noch einen prüfenden Blick zu.
Hochgesteckte Haare, smaragdsgrünes Kleid. Oben liegt es eng an und fällt ab der Hüfte weit und schwingend. Es ist das figurbetonendste Kleid, dass ich besitze.
Hoffentlich gefalle ich Tom.

Es ist voll. Genauso voll wie ich es aus meiner Zeit in Erinnerung habe. Slughorn hatte wohl schon immer berühmte Bekannte.
„Miss Capulet! Mister Wood und Miss Smithers! Eine entzückende Begleitung haben sie da Simon”, strahlend schüttelt er uns allen die Hand und führt uns weiter in Raum hinein.
„Ich habe mich schon gefragt, wann sie kommen! Beinahe hätte ich jemanden darauf angesetzt sie zu suchen und ah, da ist ja unser lieber Tom“, strahlend läuft er auf Tom zu, der ihm ein verbindliches Lächeln schenkt. Ich folge ihm während Simon sich mit Jessica unauffällig entfernt.
„Sind sie alleine gekommen, mein Lieber?“
„Ja, Professor.“
„Dann können sie sicherlich Claire unterhalten! Sieht sie nicht entzückend aus?“ Strahlt der Professor weiter.
„Entzückend“, bestätigt Tom und sieht mir in die Augen. Kalt, nicht die geringste Spur von Wärme.
„Na dann“, Slughorn klatscht in die Hände. „ Ich muss noch ein paar Gäste begrüßen.“
Und schon ist er davon geeilt.
Nervös sehe ich Tom an, was hat er.
„Hey“, versuche ich meine Verwirrung zu überspielen und lächele ihn schwach an.
„Capulet.“
Meine Augen weiten sich entsetzt. Capulet? Seit wann nennt er mich bei meinem Nachnamen?
„Alles in Ordnung?“ Frage ich beklommen nach.
„Ich wüsste nicht, was dich das anginge“, meint er arrogant und läuft an mir vorbei zu einer Gruppe Slytherins.
Erschrocken sehe ich ihm nach. Was um Himmels Willen ist jetzt mit ihm los?
„Alles in Ordnung?“ Spricht mich ein Unbekannter an.
„Ja, ich bin nur verwirrt“, antworte ich ehrlich und versuche mich an einem überzeugenden Lächeln. „Und sie sind?“
„Thomas“, stellt er sich mit einem charmanten Lächeln vor. Breite Schulter, registriere ich. Sicherlich ein Quidditchspieler.
„Claire“, lächele ich den jungen Mann an.
„Kann ich ihnen ein Glas Punch anbieten?“
„Sehr gern“, nehme ich das Glas entgegen. Alkohol ist gerade genau das richtige. Mit einem Zug habe ich das Glas leer. Thomas sieht mich hochgezogener Augenbraue an.
„Schießen wir uns heute ab?“ Schmunzelt er.
„Wenn du mitmachst“; grinse ich und schnappe mir zwei Gläser Sekt und biete ihm eins an.
„Sicher, Slughorns Feier ist betrunken sicherlich erträglicher.“
„Prost“, schmunzele ich und stoße mit dem Blonden an.

Mein Sichtfeld ist verschwommen. Es fällt mir unglaublich schwer einen Punkt zu fixieren. Thomas geht es nicht viel besser. Er sitzt nur noch apathisch auf seinem Stuhl.
Simon und Jessica haben sich schon vor einer Ewigkeit verabschiedet.
„Isch musch insch Bett“, lalle ich undeutlich und verstehe meine eigenen Worte selbst kaum. Ich glaube Thomas nicht zustimmend, aber da kann mir auch mein verschwommenes Sichtfeld einen Streich spielen.
Krampfhaft stütze ich mich am Rand des kleinen Tisches ab an dem wir sitzen, als ich mich erhebe.
Ich lasse langsam den Tisch los und richte mich auf. Warum schwankt der Raum so fürchterlich?
Vorsichtig stütze ich mich an der Wand ab und taste mich an ihr in Richtung Ausgang.
Bloß nicht auffallen.
Als ich durch die Tür bin, muss ich mich erst einmal gegen die Wand lehnen.
Merlin ist mir schlecht!
Genervt ziehe mich meine Schuhe aus. Viel zu wackelig. Ab ins Bett.
Verwirrt torkele ich los und stoße immer wieder gegen eine Wand. An der nächsten Ecke kippe ich um und fange an zu lachen.
Was für eine absurde Situation. Ich habe mich wegen einem Kerl betrunken und liege jetzt lachend auf dem Boden und weiß nicht einmal warum ich lache.
Und Tom weiß nicht, dass ich mich wegen ihm betrunken habe.
Wirklich super.
Als diese Erkenntnis durch mein alkoholvernebeltes Gehirn dringt, muss ich noch mehr lachen. Ich habe mich allen ernstes wegen einem Jungen betrunken!
Wie tief bin ich gesunken?
Wegen Lord Voldemort! Er wird in fünfzig Jahren sowieso versuchen mich umzubringen, was mache ich mir denn jetzt Gedanken darüber, ob er sich noch mit mir treffen will?
Ich habe doch alle Informationen, die ich wollte!
„Claire?“ Höre ich plötzlich eine entsetzte Stimme. Toms Stimme.
Was für eine Ironie!
Ich muss wieder los prusten und schlage ungünstig mit meinem eh schon schmerzenden Kopf auf den Steinboden.
„Claire!“ Erklingt seine Stimme nun fordernder. Kann er nicht einfach gehen? Ich will nicht wieder von ihm rumgeschubst werden wie ein Spielzeug! Erst ist er total nett und im nächsten wirft er mich in die nächste Ecke.
Damit komme ich einfach nicht zurecht!
Ich lache wieder los und drehe mich auf die Seite. Merlin ist mir schlecht!
„Claire“, er scheint wirklich wütend zu sein, zumindest packt er ich schmerzhaft an den Schultern und schüttelt mich. Oh, oh, mein Magen.
„Was willst du?“ Lalle ich und versuche mit fahrigen Bewegungen seine Hände wegzuschlagen. „Vorhin wolltest du das ich weggehe und jetzt gehst du nicht! Geh“, versuche ich ihn weg zuschieben, doch er seufzt nur genervt und hebt mich hoch.
„Lass mich runter“, versuche ich zu lallen und schlage auf seine Brust ein und zappele mit meinen Beinen, doch er drückt mich nur enger an sich.
„Lass mich runter“, maule ich weiter und vergesse für einen kurzen Moment, dass mir schlecht ist.
Er antwortet nicht und läuft einfach weiter.
Da sich mein Blick gar nicht mehr scharf stellen lässt, erkenne ich erst, dass er mich mit zu sich genommen hat, als er schon die Hälfte seines Raumes durchquert hat.
Auf seinem Bett setzt er mich ab.
„Kannst du dich alleine umziehen?“ Fragt er schroff und wirft mir eins seiner Shirts zu.
„Ich will gehen“, schmolle ich und versuche ihn böse anzusehen, doch ich bin mir nicht sicher, welcher der drei Toms, der richtige ist.
Ruckartig hebt er mich hoch und öffnet die Knöpfe meines Kleides am Rücken.
Ruppig zieht er es mir aus und streift mir umständlich das T-Shirt über den Kopf. In die Ärmel stecke ich meine Arme noch selbst, dass ich für einen Moment nur in Slip vor ihm stand, ist mir vollkommen egal.
Ich bin einfach nur noch müde. Sehr müde.
Schwankend klettere ich wieder in sein Bett und lasse mich fallen.
Bevor ich vollkommen in den Schlaf hinüber gleite, merke ich noch wie er mich zudeckt.

22. Dezember 1944




Sonntag


Mit fürchterlichen Kopfschmerzen und orientierungslos wache ich auf. Meine Augen traue ich erst gar nicht aufzumachen, das Licht tut mir schon durch die geschlossenen Lider weh.
Wo bin ich?
Die Geräusche im Hintergrund klingen nicht nach meinen Freundinnen und wollten die nicht sowieso nach Hause fahren?
Es klingt eher nach einen Teekessel... Tom! Ich muss bei Tom sein.
Aber wie bin ich hier her gekommen?
Ich erinnere mich nur noch daran, dass er mich hat stehen lassen. Auf Slughorns Party, wo ich dann irgendeinen Kerl kennen gelernt habe mit dem ich dann getrunken habe. Mist! Eindeutig zu viel getrunken habe. Ich hatte noch nie einen Filmriss.
Oder einen Kater.
Ganz langsam drehe ich mich auf den Rücken. Dummerweise wird mir von der Bewegung schlecht und ich springe hektisch aus dem Bett, ohne das Schwindelgefühl zu beachten.
In Rekordzeit knie ich vor der Kloschüssel. Das Tom mir nach gelaufen ist, merke ich erst, als er mir meine Haare im Nacken zusammen hält. Der Tag kann ja nur noch besser werden.
„Willst du einen Tee?“ Fragt er mich, nachdem ich mir meinen Mund ausgespült habe.
„Gerne“, flüstere ich und drücke meine Finger gegen die Schläfen. Mein Kopf!
Er verlässt das Bad und ich riskiere einen Blick in den Spiegel, meine Augen sind rot, meine Schminke ist verschmiert und ich bin blass. Ich sehe krank aus.
Schnell wasche ich mein Gesicht mit kaltem Wasser bis meine Gesicht wieder annehmbar und ohne schwarze Spuren ist.
Dabei fällt mir auf, dass ich eins seiner T- Shirts trage. Hat er mich umgezogen?
Eine leichte Röte überzieht meine Wangen, als ich mir vorstelle, dass er mich halbnackt gesehen hat und ich mich nicht einmal daran erinnern kann.
Vorsichtig laufe ich nach draußen. Jeder Schritt, jede Erschütterung meines Körpers verursacht ein unangenehmes Stechen in meinem Kopf.
Nie wieder trinke ich so viel. Und nie wieder wegen Tom.
Dieser sieht mir von seinem Sessel aus ungerührt entgegen.
„Ich habe einen Trank gegen Kopfschmerzen für dich besorgt.“
„Danke“, murmele ich und nehme die Phiole mit der klaren Flüssigkeit entgegen. Der Geschmack erinnert an Käsefüße, aber er zeigt sofort seine schmerzlindernde Wirkung und erleichtert setzte ich mich neben Tom und greife nach meiner Teetasse.
„Nie wieder“, stöhne ich und freue mich über das belustigte Zucken seiner Mundwinkel.
„Würde ich dir auch nicht empfehlen.“
„Wie bin ich hier her gekommen?“ Fragend sehe ich ihn an und fürchte mich einklein wenig vor seiner Antwort.
„Ich habe dich getragen.“
„Warum?“
„Du langst lachend in einem Gang und hast dich nicht beruhigen lassen.“
„Oh“, hauche ich und laufe rot an. Peinlich.
„Was... habe ich denn gesagt?“ Frage ich schüchtern ohne es wirklich wissen zu wollen.
„Das ich gehen soll und du nicht hier bleiben willst. Ich habe dich trotzdem ins Bett gesteckt.“
„Wundert dich das?“ Spreche ich meine Gedanken laut aus und schlage mir eine Hand vor den Mund. Ich bin eindeutig noch nicht auf dem Damm.
„Ich bin nicht gut für dich, Claire“, meint er mit Nachdruck und sieht mir in die Augen. Verwirrt blicke ich zurück.
Er wollte mich beschützen? Vor sich?
„Ich weiß“, gebe ich lächelnd zurück.
„Warum bist du dann noch hier?“ In seiner Stimme schwingt Resignation mit.
„Weil es mir egal ist“, flüstere ich und nehme einen großen Schluck von meinen Tee, damit ich einen Grund habe ihn nicht ansehen zu müssen.
„Das ist dumm.“
„Das ist Freundschaft“; erwidere ich und weiche seinem Blick nicht länger aus.
„Vermissen deine Freunde dich nicht?“
„Sie sind alle nach Hause gefahren.“
„Dann bleiben wohl nur noch wir beide zurück. Ich bin der einzige Slytherin, der seine Ferien hier verbringt.“
„Dann lass uns doch Weihnachten zusammen feiern“, schlage ich vor.
„Ich feiere kein Weihnachten.“
„Das heißt, ich bin ganz alleine an Weihnachten?“
„Willst du die Ferien über bei mir wohnen?“
Erschrocken sehe ich zu ihm rüber. „Ist das dein Ernst?“
„So wie ich dich kenne, wirst du mich jeden Tag besuchen kommen. Warum bleibst du dann nicht gleich hier?“
„Ich gehe nur schnell meine Sachen packen“, grinse ich und stehe auf. Ich werde zwei Wochen bei Tom wohnen!
An der Tür ruft mich Tom noch einmal.
„Was denn?“
„Ich weiß ja, dass nur noch wenige hier sind, aber willst du dir nicht etwas anziehen?“ Schmunzelt er und deutet auf mein Kleid.
„Wäre eine Idee“, lache ich und komme zurück.
Sobald ich wieder vollständig bekleidet bin, mache ich mcih wieder auf den Weg.
„Bis gleich, Tom!“
„Bis gleich.“

Mit meiner vollgepackten Tasche husche ich durch die Gänge. Wenn ich etwas vergessen habe, kann ich es ja problemlos holen.
Ich habe noch nicht einmal zu Ende geklopft, als er mir schon die Tür öffnet und mich hinein lässt.
„Ich habe dir Platz im Schrank gemacht. Ich hoffe, dass langt dir.“
Lächelnd mache ich mich auf zu seinem Schrank und öffne die Türen. Der Platz langt problemlos. Er ist magisch vergrößert und dadurch fast doppelt so groß wie der, den ich in meinen Schlafsaal habe.
„Passt perfekt“, lächele ich ihn leicht an und setzte mich neben ihn.
Er lächelt leicht zurück und starrt in die Flammen. Seinen Zauberstab dreht er dabei leicht zwischen Daumen und Zeigefinger.
Die Ferien können beginnen.

23. Dezember 1944



Montag

„Nimm das weg! Nimm das weg!“, schreie ich hysterisch durch Toms Wohnraum und hüpfe auf und ab.

Auf der Suche nach den Tassen bin ich auf seinen Zaubertränkevorratsschrank gestoßen und habe bei meinem Glück ein Glas mit schwabbeligen, eingelegten Eidechsenschwänze umgestoßen. Die ganze widerliche Brühe  ist mir über mein Dekolletee, Kleider und Unterarme gelaufen.

„Nimm es weg“, quieke ich und schüttele mich vor Ekel.

Sobald er die Situation erfasst hat und seine Mimik wieder unter Kontrolle gebracht hat, kommt er rüber und befreit mich von der ekligen Schicht und den Schwänzen mit einem einfachen Wutschen seines Zauberstabes und alles steht wieder ordentlich im Schrank.

„Was hattest du denn vor?“, fragt er so ernst wie möglich, doch diesmal misslingt das sogar ihm.

„Ich wollte Tee kochen“, nuschele ich und öffne einen anderen Schrank mit Tellern. Aber im dritten Schrank werde ich fündig. Dort befinden sich Gläser, Tassen und der Teekessel. Jetzt muss ich nur noch den Tee finden.

Tom lehnt gegen die Theke, beobachtet mich wie ich alle seine Schubladen aufreise und lacht leise auf, als ich mir in meiner Hektik meinen Finger einklemme.

„Wer bewahrt den Tee in der untersten Schublade auf?“, maule ich, als ich endlich zwei Beutel Schwarztee in die Kanne mit heißem Wasser hänge.

„Ich“, schmunzelt er leicht und nimmt die Tassen mit zu seiner Sitzgelegenheit. Außer zum Schlafen, essen und für alle Tätigkeiten im Bad haben wir uns noch nicht von dort fortbewegt. Dabei schneit es seit gestern Abend und die Landschaft ist in einen weißen Mantel gehüllt. Selbst der Verbotene Wald wirkt unschuldig.

„Du hast mir schon lange nichts mehr vorgelesen“, stelle ich fest und er versteht.

Seufzend steht er auf und sucht nach einem Roman.

„Was hälst du von Mein Leben unter Wölfen?“

„Gerne“, lächele ich ihm entgegen.

Ich trage einen seiner schwarzen Pullis, der mir bis zur Hälfte meiner Oberschenkel reicht und eine Leggins. Die Ärmel sind mir selbst zweimal zurückgekrempelt noch zu lang. Meine Fingerspitzen gucken gerade noch raus.

Ich fühle mich einfach wohl.

24. Dezember 1944


Dienstag

Ganz langsam werde ich wach. Toms Wärme unter mir zeigt mir, dass es noch früh am Tag ist. Wenn er vor mir wach wird, steht er meistens auf.

Vorsichtig bewege ich mich, um ihn nicht zu wecken. Vergebens. Er ist doch schon wach.

„Guten Morgen, Claire“, vernehme ich seine leise weiche Stimme.

„Morgen“, seufze ich und drücke meine Nase in den weichen Stoff seines Shirts. Allerdings währt das nicht für lange. Mit einem Ruck dreht er mich auf die Seite und macht etwas, was er noch nie getan hat.

Womit ich niemals gerechnet hätte. Was mein komplettes Bild, das ich mir in meinen Leben über ihn aufgebaut habe zerrüttelt. Etwas so... artwidriges für Tom Riddle.

Er nimmt mich in den Arm.

Ganz vorsichtig legt er seien Arm von hinten um mich und zieht mich an seine Brust. Nach einer kurzen Schrecksekunde entspanne ich mich in seinen Armen und rutsche von selbst noch ein Stückchen näher.

„Lass uns noch liegen bleiben“, schlägt er mit seiner üblichen Gleichgültigkeit vor, doch ich lasse mich von seinem Ton nicht irritieren oder abschrecken und schließe einfach noch einmal die Augen und genieße das Gefühl seiner Nähe. Die Wärme meiner Umgebung und in meiner Brust. Das leichte Flattern meines Herzens, wenn er sich bewegt. Das elektrisierende Gefühl seiner Berührung auf meiner Haut.

Ich kann mir nichts besseres vorstellen am Morgen von Heiligabend. Es ist noch besser als das morgige Auspacken meiner Geschenke, sofern ich welche erhalten sollte.

 

„Es schneit!“,stelle ich nach einiger Zeit fest, als ich einen Blick aus dem Fenster werfe.

„Das tut es schon die ganze Zeit“, antwortet Tom und klingt dabei alles andere als begeistert.

Freudig richte ich mich auf. „Weiße Weihnacht!“, quietsche ich und springe aus dem Bett, um warme Kleidung aus dem Schrank zu wühlen.

„Was machst du da?“ Verwirrt beobachtet mich Tom. „Frühstück ist schon vorbei.“

„Rausgehen! Ich will einen Schneemann bauen! Zieh dich an“, fordere ich ihm auf und werfe einen dicken Pulli nach ihm.

„Ich werde gewiss keinen Schneemann mit dir bauen“, schnaubt er arrogant.

„Warum denn nicht?“ Leicht verletzt sehe ich ihn an und drehe meine Haare zu einem Dutt zusammen.

Langsam kommt er auf mich zu und dreht gelassen seinen Zauberstab in seiner linken Hand. „Ich baue keine Schneemänner“, sagt er sanft und blickt mir starr in die Augen. „Egal mit wem.“

„Komm schon! Das macht total viel Spaß!“, versuche ich ihn umzustimmen.

„Nein!“, faucht er und drückt mir seinen Zauberstab gegen die Kehle. „Akzeptierst du meine Meinung immer noch nicht?“ Seine Stimme hat etwas lauerndes, zischendes. Er wirkt seinen zukünftigen Ich ähnlicher, als jemals zuvor. Der rote Glanz seiner Augen erscheint animalisch und erbarmungslos.

Lord Voldemort steht mir gerade gegenüber. Der Erbe Slytherins, der seine Anhänger um sich schart, um den Untergang der Zauberergemeinschaft hervorzubringen. Ob sie schon das Mal tragen?

„Ich habe sie nie nicht akzeptiert“, flüstere ich und sehe ihm ängstlich in die Augen.

„Verschwinde.“ Abrupt wendet er sich von mir und nimmt seinen Zauberstab weg. Diese Aufforderung lasse ich mir kein zweites Mal sagen, schnell greife ich nach meinen Handschuhen und stecke sie zu meinem Zauberstab in die Manteltasche.

Als die Tür seines Zimmers hinter mir ins Schloss fällt, lehne ich mich gegen die Wand und greife mir an die Kehle. Wie konnte ich nur vergessen, wer er ist? Wozu er fähig ist?

Hat mein Verstand mich so verlassen? Habe ich mich so in Sicherheit gewiegt?

Zittrig mache ich mich auf den Weg nach draußen. Der Schnee und die Eiseskälte sind genau richtig für meine verwirrten Gefühle.

 

Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen und unter dem Ball, den ich vor mir herrolle. Es fehlt nur noch der Kopf, dann muss ich noch die Karotte, die ich aus der Küche geholt habe, ihm als Nase ins Gesicht stecken und ein paar Steine für die Augen und den Mund suchen.

Obwohl es inzwischen aufgehört hat zu schneien und mein Schneemann beinahe gigantische Ausmaße angenommen hat, will ich noch nicht ins Schloss zurück. Ich will Tom noch nicht wieder unter die Augen treten, so frisch ist das erschreckende Erlebnis, um darüber hinweg zusehen und er soll nicht wissen, wie sehr er mich eingeschüchtert hat.

Da die Kugel zu schwer für mich ist, lasse ich sie auf den Körper hinauffliegen. Außerdem käme ich sowieso nicht hoch genug, um die Kugel sicher nach oben zuhieven.

Zufrieden betrachte ich mein Werk und laufe runter an den zugefrorenen See auf der Suche nach schwarzen Kieseln.

Sobald ich genug Steine aus dem frischgefallenen Schnee gewühlt habe, kehre ich zu meinem Werk zurück und bringe den lächelnden Mund an. Um da hinauf zureichen, muss ich mich auf die Zehenspitzenstellen und mich strecken. Vielleicht sollte ich es mir Magie leichter machen? Nein. Ich muss mich ein wenig bewegen, um meine Gedanken und Gefühle zu verarbeiten. Das Einzig tröstliche ist, dass ich mir nicht mehr alles von ihm gefallen lassen muss. Ich habe erreicht, was ich erreichen wollte.

Aber wird mein Herz das zulassen? Allein der Gedanke daran ihn zu verlassen, auf Abstand zugehen, lässt in mir ein Gefühl der Übelkeit aufsteigen.

Seufzend stelle ich mich wieder auf meine Füße. Wie um Himmels Willen will ich die Nase anbringen?

Ich nehme die Spitze in die Hand und strecke mich so hoch wie möglich. Es kann doch nicht sein, dass mein eigener Schneemann zu groß ist!

Wie aus dem Nichts schließen sich plötzlich schlanke, warme Finger um die meinen und nehmen mir die Karotte aus der Hand.

Überrascht stelle ich mich wieder normal hin und drehe mich um. Was macht Tom hier?

Er würdigt mich keines Blickes und bringt die Nase meines Schneemannes ohne große Anstrengung an.

„Er hat noch keine Augen“, lässt er mich ohne Anteilnahme in der Stimme wissen. Wortlos krame ich die zwei letzten Steine aus meiner Manteltasche und zeige sie ihm.

„Auf drei“, murmelt er und um fasst mich an der Taille. „Drei!“

Überrascht quieke ich auf, als er mich früher hochhebt, als erwartet und greife nach seinen Handgelenken, um mich festzuhalten. Sobald ich mein Gleichgewicht gefunden habe, drücke ich erst das linke und dann das rechte Auge in den Kopf aus Schnee.

Vorsichtig stellt Tom mich wieder ab. „Danke“, flüstere ich und vergesse vollkommen, dass ich eigentlich sauer auf ihn sein wollte.

„Du bist ganz kalt. Lass und reingehen und mit den anderen zu Mittag essen“, schlägt er vor und zieht mich an der Hand hinter sich her, ohne auf meinen Einspruch „Ich will aber noch nicht rein!“ einzugehen.

Die Hauselfen in der Küche haben sich mal wieder selbstübertroffen mit ihren Ofenkartoffeln mit Quark und Entenbrust.

Das Fleisch ist saftig und zart, der Quark cremig und die Kartoffeln mehligkochend. Einfach perfekt für Vorweihnacht.

Tom und ich sitzen schweigend nebeneinander und beteiligen uns kaum an der Unterhaltung der wenigen Anderen. Inzwischen haben sich alle daran gewöhnt, dass wir gemeinsam kommen und gehen, auch wenn ein Drittklässer aus Ravenclaw irritiert unsere Hausplaketten am Mantel angesehen hat. Wahrscheinlich schieben sie unsere Freundschaft darauf, dass wir die Einzigen aus der siebten Klasse die hier gebliebenen sind.

Mein Hauslehrer Dumbledore schenkt uns jedes Mal, wenn er uns gemeinsam sieht ein wohlwollendes Lächeln. Wie ein Vater, der den Werdegang seiner Kinder beurteilt und für gut befindet.

Nach dem Dessert verabschieden wir uns als erste und nach dem ich mir selbst Mut zugesprochen habe, folge ich ihm zurück in sein Zimmer, wo ich mir zuerst trockenen Kleidung im Bad anziehe, ehe ich mich ihm stelle.

„Alles in Ordnung?“, frage ich ihn vorsichtig von dem Türrahmen des Badezimmers aus.

Langsam hebt er die Hand, als würde er ein verschrecktes Tier nicht weiter beunruhigen und legt vorsichtig seine Finger auf den blauen Fleck, der sich an der Stelle gebildet hat, wo er mir seinen Zauberstab hineingebohrt hat.

Mir selbst ist er gerade eben erst im Spiegel aufgefallen, ein Wunder, dass ich keiner der Lehrer darauf angesprochen hat, aber mit gutem Willen, könnte er auch, als Knutschfleck durchgehen.

So ruhig wie möglich beobachte ich seine Mimik. Für einen Moment glaube ich Reue in seinen Blick aufflackern zusehen, doch wenn, dann ist sie so schnell wieder unter seiner Maske verschwunden, dass ich es nicht mit Gewissheit sagen kann.

 „Wollen wir ein wenig Arithmantik üben?“

Ist das ein Friedensangebot? Wenn, dann sollte er das dringend ein wenig üben.

„Gerne“, stimme ich mit einem schwachen Lächeln zu und folge ihm zu unserer Sitzgruppe.

„Wollen wir den Stoff dieses Halbjahres wiederholen? Oder würdest du lieber vorarbeiten?“

„Wiederholen bitte, dann übe ich automatisch für mein UTZ in Arithmantik.“

„So wie ich das beurteilen kann, bestehst du Arithmantik eher, als Haushaltsführung.“

Genervt verziehe ich das Gesicht, was ihm ein kleines Lächeln entlockt. „Haushaltsführung ist nichts alles, Claire. Es gibt weitaus spannendere Magie.“

„Ich weiß, dass es nicht alles ist“, seufze ich. „Und, was meinst du mit spannendere Magie?“

„Das erkläre ich dir ein anderes Mal“, verspricht er mit einem geheimnisvollen Lächeln, dass meine Neugierde sofort weckt. „Jetzt, erklärst du mir zuerst, was diese Tabelle aussagt.“

Seufzend beuge ich mich über das Buch, dass er zwischen uns gelegt hat und versuche mich zu erinnern, was dieses Zahlenwirrwarr für einen Inhalt hat.

 

„Ich freue mich schon so auf das Weihnachtsessen“, seufze ich, als wir abends nach dem Essen vor dem Kamin sitzen und ich versuche einen Schal zustricken, dass ist nämlich die Haushaltsführungshausaufgabe für die Ferien. Ich bewundere meine Mutter dafür, dass sie das neben fünf anderen Sachen in Haushalt schafft. Ich verliere trotz Konzentration ständig Maschen.

Tom beobachtet meinen Kampf mit der Wolle mäßiginteressiert.

„Ich dachte, du freust dich generell auf Weihnachten.“

„Tue ich auch“, schmunzele ich und werfe ihm einen kurzen Blick zu, was sich als Fehler herausstellt, denn ich verliere prompt eine weitere Mache, die ich mühsam wieder auf die Stricknadel bugsiere. Davon bekomme ich eindeutig Kopfschmerzen. „Aber du nicht, also will ich dich nicht mit dem Fest an sich belästigen.“

„Das heißt du zwingst mich morgen nicht an der allgemeinen Fröhlichkeit teilzunehmen?“

„Nein.“ Ich schüttele den Kopf. „ Ich kann dich nicht dazuzwingen fröhlich zu sein, aber ich würde mich freuen, wenn du zumindest mit zu den Mahlzeiten kommst.“

„Für dich“, knurrt er ungehalten und wirft einen unauffälligen Blick auf meinen Hals.

„Ich wusste doch, dass du mich nicht alleine in die Nähe von Alkohol lässt“, grinse ich herausfordernd.

„Ich denke nicht, dass du dich mit dem Met und dem Glühwein betrinken kannst“, grinst er mit gerunzelter Stirn und wirft mit einem forschenden Blick zu.

„Willst du wetten?“

„Lieber nicht“, lehnt er ab. „Ich gehe jetzt baden und danach ins Bett.“

„Ich gehe nach dir in die Wanne, lass das Wasser einfach drinnen.“ Er nickt kurz und erhebt sich mit der ihm typischen Eleganz.

 

Im Bett rolle ich mich auf der Seite von ihm abgewandt zusammen. Ich kann mich noch nicht dazu überwinden mich wieder bewusst an ihn zuschmiegen. Heute Morgen hat er mich noch mit seinem Zauberstab bedroht und mir Angst eingejagt und jetzt soll ich so tun, als wäre nichts gewesen? Gewiss nicht.

Erschöpft schließe ich die Augen, die frische Luft, die körperliche Anstrengung und das Lernen mit Tom haben mich ermüdet.

Seufzend winkele ich die Beine weiter an und stelle mich schlafend, als Tom, von wo auch immer, endlich ins Bett steigt.

Ich atme so gleichmäßig und tief wie möglich, als ich merke, wie er sich über mich beugt und mit seinen warmen Fingern über meinen Hals streicht.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich schlecht für dich bin“, flüstert er zu sich selbst und legt sich wieder auf seine Betthälfte.

Es tut ihm also leid. Sehr schön, dass macht das verzeihen einfacher.

25. Dezember 1944

Mittwoch

„Fröhliche Weihnachten“, seufzt Tom, als ich aufwache. Wie lange er schon wach ist? Und wie bin ich in meine gewöhnliche Schlafposition geraten? Ich wollte mich doch extra nicht an ihn kuscheln.

Mein Unterbewusstsein ist eindeutig nicht konsequent.

„Dir auch“, nuschele ich und schwinge mich aus dem Bett um ein Bad zunehmen. Die Anziehungskraft der Wanne hat sich nur noch vergrößert nach dem ich rausgefunden habe, dass es nach Schokolade riechende Seifenblasen gibt. Danach riechen meine Haare immer so lecker und ich klaue Tom immer mindestens einen Keks aus seinem Vorrat.

Er scheint sich nicht daran zu stören. Inzwischen legt er mir immer zwei zum Tee, wenn ich gebadet hatte.

Niemals hätte ich gedacht, dass er so aufmerksam ist. Beinahe fürsorglich. Okay, nicht beinahe. Er ist fürsorglich. Ein erschreckender Gedanke. Lord Voldemort hat eine fast zärtliche Seite an sich.

Aber hat seine Seele auch erst einmal zerteilt.

Erst einmal gemordet.

Wenn ich nicht über Tom nachdenken würde, dann würde ich mich fragen, ob er sich in mich verliebt hat. Aber Tom wäre der letzte der romantische Gefühle für ein durchschnittliches Mädchen wie mich entwickeln würde. Generell für ein Mädchen.

Ich sollte mich glücklich schätzen, dass er überhaupt mit mir befreundet ist und mich so oft aushält.

Seufzend steige ich aus und greife nach meinen Rasierer. Ich hasse Stoppel. Vor allem, wenn ich neben Tom schlafe und mein Bein über sein lege und er es dann merken könnte. Das magische rasieren ist eindeutig das Beste, was ich in Haushaltsführung gelernt habe. Das könnte man uns meinetwegen auch in meiner Zeit beibringen.

Leise summend creme ich mich noch ein und binde meine feuchten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Bevor wir frühstücken gehen, muss ich sie noch trocknen. Aber nicht jetzt.

Jetzt, will ich erst einmal sehen, was Tom zu meinen Geschenken sagt. Es sind zwar nur Kleinigkeiten, weil ich absolut nicht wusste, was ich ihm schenken soll. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es ihm gefallen wird. Bei seinem Geburtstagsgeschenk geht es mir allerdings nicht viel besser. Wenn ich ihm ein Buch über fortgeschrittene schwarze Magie schenken würde, wüsste er doch automatisch, dass ich mehr weiß, als ich sollte. Und das würde mehr Probleme nach sich ziehen, als ein schlechtes Geschenk. Allerdings hege ich die Vermutung, dass das das einzige Geschenk wäre, worüber er sich einigermaßen freuen würde.

Direkt nach der Unsterblichkeit, die er versucht zu erreichen, versteht sich von selbst, aber die gibt es leider nicht im Handel.

Tom steht schon angezogen mitten in Raum und sieht mir entgegen. Augenblicklich runzelt er die Stirn. Stimmt etwas nicht? Vielleicht hätte ich doch ein kurzärmeliges Kleid mit einen Bolero anziehen sollen.

Mit zwei langen Schritten ist er bei mir und tippt meinen Kopf mit seinem Zauberstab an. Sofort merke ich, dass mein Haar leichter wird.

Habe ich vor ein paar Minuten nicht über seine fürsorgliche Seite nachgedacht?

Mit einem Lächeln bedanke ich mich bei ihm und setzte mich vor sein Bettende.

Es sind wirklich Geschenke für mich dabei. Heißt das, dass die Hauselfen wissen, dass ich hier schlafe? Oder gar die Lehrer? Wer liefert denn die Geschenke?

„Tom?“

„Hm?“

„Zumindest die Hauselfen scheinen meinen Umzug in dein Zimmer bemerkt zu haben“, meine ich und wedele mit Jessicas Geschenkt vor seiner Nase hin und her.

„Natürlich. Denkst du, dass bleibt unbemerkt?“

Entsetzt sehe ich ihn an. „Du wusstest, dass die Hauselfen davon wissen?“

„Professor Dippet hat mich gestern darauf angesprochen, als ich auf den Weg zu dir nach draußen war.“

„Professor Dippet?“, keuche ich erschrocken auf. Oh, sehr schlecht. Gar nicht gut. Mit anderen Worten, die ganze Lehrerschaft denkt, dass wir eine sexuelle Beziehung miteinander haben. Verdammt.

In dieser Zeit wird das doch noch als etwas Schlimmes gehandhabt, oder? Ich hätte mich eindeutig mehr damit auseinander setzten sollen, aber wer hätte damit gerechnet, dass ich in den Weihnachtsferien bei Riddle wohne? Ganz gewiss niemand mit Verstand. Oder hat es Dumbledore gar gewusst, als er mich erschickte? Immerhin liegt es für ihn in der Vergangenheit. Darüber hätte ich mir eindeutig früher Gedanken machen müssen.

„Ja, er hat mich deswegen angesprochen.“

„Was... hat er gesagt?“ Leicht ängstlich sehe ich zu ihm auf und lasse sein Gesicht nicht aus den Augen, als er sich neben mich setzt.

„Das ich dieses Thema mit Diskretion behandeln soll, wegen deines Rufes.“

Mit großen Augen starre ich ihn an. Mit Diskretion behandeln? Tom ist der Letzte bei dem ich mir dies bezüglich Sorgen machen würde.

 „Ich habe ihm selbstverständlich gesichert, dass es mir nicht nahe liegt deinen Ruf zu schaden“, hängt er nach einem Blick in mein Gesicht hinten an.

„Damit habe ich auch nicht gerechnet“, antworte ich monoton und merke erst jetzt, dass ich mit meinen Fingernägeln das Geschenkpapier kaputt gemacht habe. Wenigstens ist der Umschlag des Buches, welches sich darin befindet unbeschadet.

Leben der Hausfrau.

Erfreulich. Will sie mich damit auf meine fehlenden Qualitäten aufmerksam machen? Wenn, dann hat sie es so eben geschafft. Warum habe ich mir noch mal bei der Geschenkwahl so eine Mühe gemacht? Tom nimmt mit leicht schmunzelnd das Buch aus der Hand und liest sich das Inhaltsverzeichnis durch.

„Hier findest du Tipps zum schnelleren Stricken. Wären die nicht etwas für dich?“

Mit einem bösen Blick nehme ich ihm das Buch wieder ab und lege es hinter mich ohne auf seinem Kommentar einzugehen und nehme Chantals Geschenk in die Hand. Er lacht leise auf und packt eins, in smaragdgrünem Geschenkpapier, aus.

Mit einem zufriedenen Lächeln betrachtet er es und legt es so, dass ich den Titel nicht lesen kann.

„Von wem?“, frage ich so beiläufig wie möglich und befasse mich mit dem Klappentext des Schundromans den Chantal mir geschickt hat. Also, wirklich. Von Tina hätte ich das noch erwartet, aber von Chantal? Vor allem, wenn es von ihr und John?

Sie sind eindeutig für eine Überraschung gut. Ich hätte nicht gedacht, dass es solche Romane schon zu dieser Zeit gibt.

„Von Malfoy“, antwortet er und legt schon das nächste Geschenk hinter sich.

„Gut, bei deinem Gesichtsausdruck will ich nicht wissen, was dir deine Slytherinfreunde schenken“, grinse ich ihn über den Rand meines neuen Buches an.

„Jedenfalls keine Romane mit... ist ihr Kleid zur Hälfte aufgeknöpft?“ Entsetzt starrt er das Cover an, bevor er zu grinsen anfängt. „Daraus lese ich dir nicht vor. Eher aus dem Buch von Jessica. Vielleicht kann ich dir danach erklären wie man Eier trennt, ohne die Schale mit unter zuheben“, während dem er das sagt, sieht er mir ganz ernst in die Augen, ehe sich ein belustigtes Funkeln in seine Augen schleicht und ich schallend anfange zu lachen.

„Wenn ich ehrlich bin, kann ich mir auch nicht vorstellen wie du mir von Ian McMichcan vorschwärmst“, kichere ich nach einem Blick in die Mitte des Buches und lege es kopfschüttelnd neben mich.

„Salazar bewahre“, murmelt er und nimmt das erste Geschenk von mir in die Hand. Scheinbar sind es die letzten. Ob er sie mit Absicht zum Schluss aufgehoben hat? Und wie konnte er die anderen Pakete so schnell auspacken? So spannend war der Klappentext jetzt auch nicht, dass mir das vollkommen hätte entgehen können oder doch?

Scheinbar schon.

Geschäftig greife ich nach Benjamins Geschenk und widme den enthaltenen Süßigkeiten meine volle Aufmerksamkeit, bis ich Tom leise Lachen höre.

„Ich dachte an Weihnachten beschenkt man andere und nicht sich selbst?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet er mich und raschelt mit den Kekspackungen.

„Ich esse dir deine immer weg und da habe ich mir gedacht, dass ich dem etwas beisteuere und da ich weiß, dass du die Kekse nicht einfach so annehmen würdest...“, versuche ich mich leicht stotternd zu erklären und laufe rosa an.

„Dankeschön“, unterbricht er mein Gehaspel und legt sie vorsichtig neben sich.

„Bitte“, nuschele ich und nehme das vorletzte Geschenk in meine Hände. Tina und Simon habe sich also gemeinsam etwas ausgesucht. Hoffentlich konnte er ein wenig Vernunft beisteuern. Nach einem anderen Roman sieht es jedenfalls nicht aus.

„Eine Flasche Met?“ Höre ich Tom ausrufen. „Also, so langsam glaube ich wirklich, dass du dich selbst beschenkst.“

„Pack das Nächste aus“, winke ich seine Neckereinen ab und schüttele mein Paket. Es klappert nichts, also nichts Süßes, kein Spiel, kein Buch. Was könnten sie mir denn noch schenken? Pergament?

Wäre zumindest mal etwas Neues.

„Oh, danke“, reißt mich Tom erneut aus den Gedanken. Ich habe ihm eine Flasche seines Aftershaves geschenkt. Merlin sei Dank kenne ich seine Marke durch meine regelmäßigen Besuche. Ansonsten hätte ich an jedem Einzelnen schnuppern müssen. Den Geruch hätte ich problemlos erkennen können.

Allerdings hätte das unnötig Zeit beansprucht.

„Was ist da drinnen?“ Fragend sieht er mich an.

„Das versuche ich gerade herauszufinden“, antworte ich konzentriert und taste es erneut ab. Es ist nachgiebig.

„Pack es doch einfach aus.“

„Das ist aber nur halb so lustig“, gebe ich zurück, komme dem aber nach und löse die Laschen der Klebstreifen.

Vorsichtig spähe ich hinein. Was zum!

Vorsichtig ziehe ich das Papier weiter auseinander und greife hinein, nach dem Zettel.

Allerliebste Weihnachtsgrüße und ein „Man weiß ja nie“ im Anhang. Kopfschüttelnd lege ich ihn zu den anderen Sachen und sehe mir die Korsage genauer an.

Wenigstens ist das dazu gehörende Höschen nicht durchsichtig, aber wo in Merlins Namen haben sie das gekauft? Und warum? Was eindeutig die wichtigere Frage ist. Die denken doch nicht ernst haft, ich und Tom...?

Nein, niemals! Schnell verbanne ich diesen Gedanken aus meinem Kopf.

In wenigen Monaten werde ich ihn sowieso nie wieder sehen. Nicht mehr in dieser Gestalt.

Und warum eine Corsage? Hätte normale Unterwäsche, meinetwegen mit Spitze, es nicht auch getan?

Kopfschüttelnd lasse ich es in seiner Verpackung und sehe Tom an. „Gehen wir runter? Ich habe Hunger.“

„In Ordnung“, er steht auf und reicht mir seine Hand um mir hoch zu helfen. „Und du willst mir nicht sagen, was in dem letzten Geschenk war?“

„Gewiss nicht“, seufze ich. „Deins packe ich nachher aus. Ich brauche jetzt einen Kaffee.“

„Kaffee? Dann muss etwas Schlimmes oder mehr als Unerwartetes sein“, schlussfolgert er und zieht fragend eine Augenbrauche hoch.

„Letzteres und jetzt komm.“

Ich laufe vor ihm durch die Gänge und versuche durch mein schnelles Lauftempo jede Unterhaltung zu unterbinden. Dazu kommt, dass ich meinen Mantel in seinen Zimmer gelassen habe, sowie meinen Zauberstab und es in den offenen Gängen empfindlich kalt ist.

Um mich warm zu halten reibe ich mir über die Oberarme.

„Warum rufst du dir nicht einfach deinen Mantel mit einem simplen Accio? Oder machst deine Kleidung Kälte undurchlässig?“

„Zauberstab liegt oben“, teile ich ihm zwischen zusammen gebissenen Zähnen mit.

„Du läufst unbewaffnet durch das Schloss? Weißt du, was dir alles passieren könnte? Nicht jeder Slytherin weiß, dass du unter meinem persönlichen Schutz stehst“, schnaubt er und scheint einer meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln.

„Ich habe doch dich dabei und es sind keine Slytherins außer dir hier“, erwidere ich und schenke ihm ein aufbauendes Lächeln.

Seufzend holt er seinen Zauberstab raus und zaubert meine Kleidung warm. „Versuch ihn immer bei dir zu haben“, befiehlt er in dem harschen Ton, den er früher immer benutzt hat.

Ich nicke und überlege angestrengt, wo ich ihn hingelegt habe.

Ans Bett? In seine Kochnische? Oder habe ich ihn im Bad gelassen?

Ich bin immer noch am überlegen, als ich die Große Halle betrete und allen ein frohes Fest wünsche. Beklommen sehe ich zu Dippet, der mir wohlwollend zulächelt. Scheinbar scheint er positiv von der vermeintlichen Verbindung zwischen Tom und mir angetan zu sein.

Auch unsere Arithmantiklehrerin grinst selbstzufrieden. Selbstzufrieden? Etwa, weil sie und dazu gebacht hat Zeit mit einander zu verbringen? Als hätte sie das ahnen können, also wirklich.

Dabei stimmen die Gerüchte nicht einmal.

Tom setzt sich an seinen üblichen Platz neben mir und reicht mir die Kaffeekanne, die ich dankend entgegen nehme. Tina werde ich den Kopf waschen, sobald sie wieder hier ist. So langsam ziehe ich eine Verschwörungstheorie zwischen ihr, Simon, Jessica und den Lehrern in Betracht.

Zwischen Tom und mir ist nichts und dem Anschein nach wird auch nie etwas sein.

Ich meine, ich liege nächtelang mit ihm in einem Bett und es berührt ihn nicht im Geringsten, wenn ich mich halbnackt an ihn kuschele. Wenn das kein deutliches Signal des Desinteresses an mir, als Frau ist, weiß ich auch nicht.

Aber solange ich bei ihm schlafe, gibt es wenigstens keinen Grund auf andere Mädchen eifersüchtig zu sein. Obwohl er weiß Gott genug Auswahl hätte, wenn er die Augen öffnen würde.

Nach einem kurzen Frühstück gehen wir in sein Zimmer zurück und ich fange an nach meinem Zauberstab zu suchen.

Tom steht neben der Tür an die Wand gelehnt und beobachtet mein hektisches hin und her.

„Claire?“

„Was?“

„Suchst du den hier?“

Schnell drehe ich meinen Kopf und sehe wie er meinen Zauberstaub lächelnd in der Hand hält.

„Woher?“

„Aufrufezauber“, grinst er und wirft ihn mir zu.

„Danke.“

Mit meinen wiedergefunden Zauberstab setzte ich mich wieder vor sein Bett und greife nach seinem Geschenk.

Vorsichtig ziehe ich das Papier ab. Ein Haarband. Ein smaragdgrünes Haarband. Vorsichtig streiche ich mit den Fingerspitzen darüber. Es ist zart und wunderschön.

Sachte nehme ich es aus dem Papier und binde es um meinen Dutt.

„Gefällt es dir?“ Fragt er leise und streicht darüber. Ich habe gar nicht gemerkt, dass er hinter mich getreten ist.

„Ja. Ja, es ist wunderschön. Ich danke dir“, liebevoll lächele ich ihn an und stehe auf.

„Gefällt es denn dir?“ Flüstere ich und sehe ihm in die Augen.

„Ja“, lächelt er und zieht mich mit zu seinem Kamin. „Schokoladenkeks?“

31. Dezember 1944




Dienstag


„Alles Gute zum Geburtstag!“ Quietsche ich aufgeregt und hüpfe auf den Knien neben ihm im Bett herum. „Danke“, antwortet er genervt und steht auf. Ich springe schnell hinter ihm aus dem Bett. Ich habe dir einen Tee gekocht und du musst dein Geschenk auspacken.“
„Ich habe eigentlich verboten, dass man mit etwas zum Geburtstag schenkt.“ „Mir nicht“, strahle ich ihn an und halte ihm das Päckchen entgegen. Unbegeistert nimmt er es entgegen und löst das Papier.
Es ist ein eingerahmtes Foto von ihm und mir redend auf Slughorns Party, dass Simon gemacht hat und mir vorgestern zugeschickt hat. Den Rahmen habe ich aus meinem Zimmer entwendet.
„Es ist nur eine Kleinigkeit“; lächele ich entschuldigend. „Ich wusste nicht, was ich dir hätte schenken sollen. Alle meine halbwegs kreativen Ideen sind für Weihnachten verwendet worden.“ Merlin sei Dank, kam dieses Foto.
„Es ist schön, Dankeschön“, erwidert er und stellt es auf den Nachtisch. „Hier werden es zwar nur du, die Hauselfen und ich zu Gesicht bekommen, aber ich denke nicht, dass es dich stört.“
„Nein“, lächele ich erleichtert. Er mag es! „Das ist mir sehr recht.“ Ich finde, dass mein Abbild unvorteilhaft lächelt.
„Gib mir ein paar Minuten zum Anziehen und Rasieren, dann können wir frühstücken gehen.“
„In Ordnung, ich warte.“

„Ah, Tom“, ruft Professor fröhlich als wir die Große Halle betreten. „Alles Gute zum Geburtstag.“
„Vielen Dank, Professor“, lächelt Tom gewinnend und nimmt ebenso höflich die Glückwünsche der anderen Anwesenden an.
„Haben sie ihre Geschenke schon ausgepackt?“ Erkundigt sich Dippet weiter. „Ja, das habe ich“, antwortet er mit einem kleinen Grinsen, was mich zu Rotanlaufen bringt. Wahrscheinlich hat er daran gedacht wie ich aufgeregt vor ihm rumgehüpft bin.
Dippet sieht glucksend von Tom zu mir und wieder zurück. Erschrocken reise ich die Augen auf. Der denkt doch nicht ernsthaft, dass ich und Tom... Oh Merlin. Warum musste ich bloß bei seinen Worten rot anlaufen?
“Was haben sie heute noch vor? Immerhin ist nicht ur ihr Geburtstag, sondern auch Silvester“, Dippet scheint heute in ausgesprochen guter Laune zu sein. Normalerweise führt er während des Frühstücks keine oder nur sehr kurz angebundene Konversationen.
„Nun, ich wollte sie fragen, ob ich mit Claire eine Sondergenehmigung bezüglich des Ausgangs erhalten könnten. Zur Feier des Tages würde ich heute Abend gerne mit ihr in die Drei Besen einkehren“, lächelt Tom gewinnend.
„Sicherlich Tom! Genießen sie den Tag!“
Wie schafft er es alle Leute auf seine Seite zu ziehen? Dieses Manipulationsgeschick hat wahrhaftig Vorteile. Und heute werde ich mit davon profitieren. Hogsmeade!
Und das in den Ferien! Was könnte ich mir für heute mehr wünschen? Ich verbringe Silvester nicht hinter den kalten Steinmauern des Schlosses!

„Tom“, jammere ich wie ein kleines Kind und ziehe einen Schmollmund. Draußen ist die Sonne am untergehen und als ich einen Blick aus dem Fenster geworfen habe, schimmerte der kristallisierte Schnee in goldenen Facetten. Sofort bin ich zu ihm und habe ihn darum gebeten jetzt schon mit mir rauszugehen und nicht erst nach dem Abendessen.
Nach langen hin und her hat er zugestimmt und in inzwischen ist die Sonne schon soweit untergegangen, dass der Schnee wie von selbst zu leuchten scheint. Ich will unbedingt spazieren gehen.
„Bin ja schon da“, seufzt er ungehalten und schiebt mich aus seinen Zimmer. „Hast du alles? Zauberstab? Schal? Handschuhe?“
„Ja, Mama“, lache ich und drehe mich um, sodass ich ihm rückwärtslaufend ins Gesicht sehe.
„Das ist nicht witzig“, knurrt dieser, packt mich an den Schultern und dreht mich wieder richtig herum. „Lauf anständig, du hilfst niemanden, wenn du dir den Hals brichst, weil du die Treppe aus lauter Leichtsinn runtergefallen bist. Am Ende bin ich dann auch noch Schuld.“
„Ich bin noch nie rückwärts eine Treppe runtergelaufen! Meinst du ich kriege das hin?“
Untersteh dich!“ Fährt er mich ungehalten an und greift nach meiner Hand, als würde er mich dann besser daran hindern können irgendetwas anzustellen.
„Du weißt schon, dass wir uns noch im Schloss befinden und Dippet sich nur in seiner Theorie, die du nicht einmal abgestritten hast, bestätigt fühlen wird, wenn er uns so sieht?“
„Das ist mir egal. Du scheint im Moment nicht dazu fähig zu sein in einem Stück nach Hogsmeade zu gelangen“, antwortet er frostig und sieht mit unergründlicher Miene auf mich herab. Wahrscheinlich fragt er sich gerade, warum er sich das antut und warum er mich noch Mal mag.
Ich lächele einfach sanft um ihm keinen weitren Anlass zu geben an meinen Verstand zu zweifeln, auch wenn ich das inzwischen selbst tue, immerhin gehe ich mit Lord Voldemort spazieren.
„Können wir noch an den See, bevor wir nach Hogsmeade gehen?“
„Wir können auch zu dem Teil vom See, der an Hogsmeade grenzt. Unsere Erstklässler werden von da aus mit Booten nach Hogwarts gebracht.“
„Wirklich?“ Gebe ich mich unwissend und sehe begeistert zu ihm auf. „Ich will auch in die erste Klasse“, schmolle ich dann, was ihm ein kleines Lächeln abringt.
„Du hättest halt von Anfang an hier zur Schule gehen müssen.“ „Dann wären wir aber nie Freunde geworden“; erwidere ich und schüttele den Kopf.
„Warum nicht?“
„Du hättest mir keine Nachhilfe geben müssen und ich hätte mich nie getraut dich anzusprechen. Außerdem sind unsere Häuser verfeindet und mir dir muss ich in der Hinsicht gar nicht erst anfangen“, zähle ich auf und nachdem er kurz die Stirn gerunzelt hat, scheint er meine Argumente zu akzeptieren.
Höflich hält er mir die Tür nach draußen auf. Tief atme ich die kalte klare Luft ein, die mich augenblicklich umgibt.
Die wenigen Lichter die Hogwarts ausstrahlt, werfen gelbe Schatten auf den Schnee und lassen das große Gebäude heimelig aussehen. Nicht halb so furchteinflößend wie der Gigant in der Dämmerung wirkt, wenn er schwarz gegen den bunten, noch hellblauen Himmel hervorragt und noch keine Lichter brennen, die auf Bewohner schließen lassen.
„Komm“, fordert er mich auf, zieht meine Handschuhe aus meiner Tasche und hält sie mir hin. Dankend nehme ich sie ihm ab und streife sie über. Auffordernd halte ich ihm meine Hand hin und nach kurzem Zögern greift er zu und zieht mich wieder neben sich.
Gemeinsam schlendern wir so durch den Schnee bis wir das Hogwartsgelände verlassen, wo die Wege wieder frei geräumt sind.
Meine Hand hält er immer noch fest in seiner, als der Pub in Sicht kommt und man laute Stimmen vernehmen kann. Scheinbar wollen nicht nur wir Silvester im Drei Besen verbringen. Den Eberkopf gibt es ja noch nicht.
Oder Merlin sei Dank noch nicht. So wie ich Tom kenne, würde er eher zu dem düsteren Pub tendieren, gleich wie sehr dieser nach Ziegen riecht.
Wie ich dem Lärm nach geurteilt habe, ist der Pub voll, auch einige Lehrer und der Wildhüter Mr. Ogg mit seinem Hilfen Hagrid sind hier.
Tom zieht uns in die hinterste Ecke des Pubs, wo der geballte Menschenauflauf noch nicht hingelangt ist. Scheinbar sucht in dieser Nacht außer Tom niemand seine Ruhe. Ihm zu liebe, halte ich mich ebenfalls von der laut feiernden Menge fern, die bösen Blicke die Hagrid in unsere Richtung wirft, strikt ignorierend.
„Kann ich dir ein Butterbier mitbringen?“ Erkundigt er sich, nachdem wir unsere Jacken ausgezogen haben und er mein relativ legeres Outfit stirnrunzelnd abgenickt hat. Ich kann ja nicht wie eine Nonne rumlaufen, nur weil er das am liebsten so möchte. Irgendwo habe ich doch meinen Stolz.
„Ja gerne. Und die Karte. Ich habe Hunger“, lächele ich ihn an und nickend verschwindet er in der Menge.
Wenn er das Bier holt, wird es sicher schneller gehen, als wenn ich es tue. Seine natürliche Autorität ist in solchen Momenten recht hilfreich. Auch seine Größe und sein gutes Aussehen, sowie sein falscher Charme, den er dann einsetzt, wenn er etwas haben möchte und hilflose Menschen, vor allem Frauen, wie die Kellnerin, tun ihr übriges.
Mit einem zufriedenen Lächeln quittiere ich den kurzen, eifersüchtigen Blick eben erwähnter Kellnerin, die sicherlich acht Jahre älter ist, als er.
Mit den gewünschten Dingen kommt Tom zurück und wirft mir einen fragenden Blick zu, als er mein Grinsen bemerkt. Mit einer Hand winke ich allerdings ab, kann mir ein Kommentar allerdings nicht verkneifen. „Die Kellnerin findet dich gutaussehend.“
„Wirklich?“ Antwortet er uninteressiert und dreht sich nicht einmal nach ihr um wie es die meisten Kerle gemacht hätten. Stattdessen sieht er mir belustigt in die Augen.
„Wirklich“, bestätige ich und schlage die Karte auf. Schade, dass es noch keine Burger gibt, so werde ich mich wohl mit Bratkartoffeln und Würstchen begnügen.
„Was ist du, Tom? Ich lade dich ein.“
„Tust du nicht.“
„Doch, du hast Geburtstag und ich bestehe darauf. Du hast schon so viel für mich getan, da kann ich dich wenigstens einmal zum Essen einladen“, bestimme ich und ersticke seinen Protest mit einem mehr als wütenden Blick im Keim. Auch, wenn ich bezweifle, dass mein Blick ihn zum Schweigen bringt. Wahrscheinlich stört ihn eher die Tatsache, dass wir durch einen Streit Aufmerksamkeit geschenkt bekommen hätten, die er offensichtlich vermeiden will.
„Ich nehme das selbe wie du.“
„Weise Entscheidung“, lächele ich siegesbewusst und winke die Kellnerin heran, die mich immer noch mürrisch ansieht.
Nachdem ich die Bestellung aufgegeben habe und sie wieder verschwunden ist, beug eich mich ein Stückchen weiter über den Tisch und winke ihn zu mir heran, damit ich ihm etwas zu flüstern kann.
„Fällt dir denn gar nicht auf wie du angestarrt wirst?“
„Ich werde angestarrt?“
„Von mindestens fünf Frauen. Zwei davon könnten deine Mutter sein“, kichere ich und er setzt sich wieder normal hin.
„Wieso starren sie mich an?“
Erschrocken setzte ich den Bierkrug wieder ab und sehe ihn an. „Ist das nicht offensichtlich?“
„Habe ich irgendwo etwas hängen? Ich meine Kleidung schmutzig?“ Fragt er nach und sieht mich erwartungsvoll an. Ich pruste los.
„Merlin nein“, kichere ich nach dem ich mich wieder einigermaßen gefangen habe.
„Warum denn dann?“ Er scheint wirklich irritiert zu sein.
„Aus dem selben Grund, warum weibliche Schüler immer zu dir kommen, wenn sie Probleme haben und die halbe weibliche Schülerschaft von dir schwärmt“, antworte ich so mysteriös wie möglich und min mir zugleich nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, ihn über seine Wirkung auf das weibliche Geschlecht aufzuklären. Am Ende nutzt er sie dann aus und ich bin nichts mehr als eine graue Erinnerung für ihn.
„Und der wäre?“ So langsam scheint er genervt von meinen unklaren Antworten zu sein.
„Du bist hübsch! Nein, falsches Wort, dass kommt nicht ganz hin. Du bist attraktiv, gut aussehend“, kläre ich ihn mit einem belehrenden Gesichtsausdruck auf und erwidere nebenbei das Winken und Lächeln von Professor Merrytough.
„Bin ich?“
„Hast du jemals in einen Spiegel gesehen?“ Hake ich belustigt nach und er lächelt leicht und zuckt mit den Schultern.
Ich schüttele grinsend den Kopf und trinke einen Schluck Butterbier, als ich sehe, dass unser Essen gebracht wird.
„Ich würde das Essen gerne gleich zahlen! Nicht, dass wir sie nachher nicht mehr finden“, halte ich sie auf, die Gästemenge hat sich beinahe verdoppelt, sofern das überhaupt noch möglich ist und hole mein Portemonnaie zum Vorschein. Tom verzieht unwillig das Gesicht und sie sieht mich überrascht an. „Er hat heute Geburtstag“, erkläre ich lächelnd um ihn aus der, seiner Meinung nach, zumindest sag das sein Gesichtsausdruck, beschämenden Situation zu holen.
Sie nickt kurz und gibt mir mein Rückgeld, nachdem ich den Betrag wegen des Trinkgeldes aufgerundet habe.
„Guten Appetit“, strahle ich ihn versöhnlich an und übergehe seine griesgrämige Miene. So schlimm ist das doch jetzt nicht wirklich.

Es ist kurz vor Mitternacht. Die Anwesenden um uns herum sind alle mehr oder weniger betrunken und das laute Reden und Lachen ist zu einem Grölen oder übertriebenen Lachen, auf weiblicher Seite, umgeschwungen.
„Wollen wir rausgehen? Ich will das Feuerwerk nicht verpassen“, wechsele ich das Thema von den nahenden UTZs zurück zu dem heutigen Abend.
„Wir können rausgehen, wenn du willst“, stimmt er zu und steht auf, um mir meine Jacke reichen zukönnen und seine Selbst anzuziehen. „Aber wir verlassen erst das Gebäude, wenn du deine Handschuhe angezogen hast.“
„Ist erledigt“, meine ich und ziehe sie im hinausgehen an. Es sind nur noch wenige Minuten vor Mitternacht und die ersten Raketen werden aufgestellt. Immer mehr Leute finden ihr Weg nach draußen. Zielsicher geht Tom die Straße entlang und ich folge ihm verwirrt. Ich dachte wir sehen uns die Raketen an?
Schweigend folge ich ihm in Richtung Bahnhof und winke hier und da angetrunkenen Hexen und Zauberern zu, die vor ihren Häusern ihr Feuerwerk vorbereiten. Was würde ich jetzt für eins der Weasleys geben, die hier ähneln noch mehr Muggelfeuerwerken, wie man sie über London von der Vorstadt, wo ich wohne aus immer sehen kann.
„Kommst du?“ Fragt Tom schroff, als ich ein Stückchen zurück gefallen bin. Schnell hole ich wieder auf und laufe wieder neben ihm her.
Sorgsam habe ich meinen Blick auf den Boden gerichtet, damit ich in der Dunkelheit über nichts stolpere, Meinen Zauberstab will ich nicht hervorholen und Tom scheint nicht dazu fähig zu sein zu stolpern.
Zumindest läuft er hoch erhobenen Kopfes über den immer unebenerwerdenden, gefrorenen Boden.
Allerdings kann ich ihm nicht viel Aufmerksamkeit schenken, ich kann nämlich hinfallen und heute getrost darauf verzichten.
„Von hier aus müsste man das ganze Feuerwerk sehen können“, meint er stehen bleibend und dreht den Kopf zu mir um. Ich löse den Blick von Boden und begutachte die Umgebung.
Er hat mich zum See gebracht. Zu dem Ausläufer, der an Hogsmeade grenzt. Der Verbotene Wald scheint aus der Ferne seine düsteren Finger nach einem auszustrecken. Der Mond spiegelt sich im Wasser, wo gebrochene Schollen dümpeln. Der Kiesstrand auf dem wir stehen, glänzt feucht im kalten Licht des Himmelkörpers und Hogsmeades Lärm ist von hier aus nicht mehr zu vernehmen. Nur die warmen gelben Lichter scheinen einem Trost spenden zu wollen.
„Es ist sehr schön hier“, flüstere ich beinahe ehrfürchtig und beobachte die warme Atemwolke, wie sie weiß in die Luft steigt. Tom steht mir ausdruckslosem Gesicht ein paar Schritte von mir weg und beobachtet mich. Vorsichtig komme ich auf dem rutschigen Boden näher und stelle mich schräg vor ihn. So nah, dass ich seine Wärme durch meinen Mantel dringen spüre.
Seine dunklen Augen reflektieren die schwachen Lichtpunkte und scheinen mich in sich hinein zusaugen.
Vorsichtig streckt er eine Hand nach meinem Gesicht aus, als hinter uns plötzlich die ersten Feuerwerkskörper lärmend abgeschossen werden. Schnell drehe ich mich um, damit ich die Farbenpracht am Himmel bewundern kann.
„Fröhliches neues Jahr“, wünsche ich ihm mit einem Lächeln und drehe mich wieder um, um ihn einen Kuss auf die Wange geben zu können. Schnell stelle ich mich auf die Zehenspitzen, damit ich es mir nicht anders überlegen kann und komme seinem Gesicht immer näher. Kurz bevor ich seine Wange berühre, dreht er den Kopf und meine Lippen landen unerwartet auf den seinen.
Erschrocken reise ich die Augen auf und begegne seinem überraschten Blick, doch ehe ich zurückweichen kann, erwidert er den Kuss und umfasst mich an der Taille, was mir eindeutig zu Gute kommt. Meinen Beinen scheint jegliche Kraft gewichen zu sein und ohne seine Hilfe hätte ich mich nicht länger auf Zehespitzen halten können.
Flatternd fallen mir die Augenlider zu. Meine Hände verschränken sich wie automatisch in seinem Nacken, als ich mich gegen ihn fallen lasse.
Der Druck seiner Hände verstärkt sich, ebenso wie der seiner Lippen.
Ein mir neuartiges Kribbeln breitet sic hin meinem Körper aus, tausend Schmetterlinge scheinen in meinem Bauch zu schlüpfen und mein Herz rast in der Brust wie bei einem Marathonläufer.
Obwohl er relativ unsicher wirkt, fährt er meine Lippen mit seiner Zunge nach und ich öffne sie einen Spalt. Vorsichtig, beinahe zärtlich tastet sich seine Zunge vor und umspielt meine.
Ich erwidere den Kuss ein wenig fordernder, damit er merkt, dass er damit auf keinen Fall aufhören darf.
Ich weiß nicht, wie lange wir hier stehen und uns küssen, ich weiß nur, dass keine Feuerwerkskörper mehr am Himmel platzen du ihre bunten Strahlen über uns ausstreuen.
„Frohes Neues“, sagt nun auch er ein wenig atemlos und sieht mir tief in die Augen. Leicht keuchend lecke ich mir über die Lippen und er folgt der Bewegung meiner Zunge mit den Augen, ehe er sich runter beugt und mir einen einfachen Kuss auf die Lippen drückt.
Seine Arme die immer noch um meine Taille geschlungen sind, lassen mich dann los und er greift nach meiner Hand.
„Wir sollten zurück ins Schloss gehen“, meint er dann mit neutraler Stimme und läuft diesmal langsamer, damit ich leichter meinen Weg finden kann.
Die ganze Zeit nehme ich die Berührung seiner Hand mit einer Intensivität wahr, die mich alles um mich herum vergessen lässt. Wie ein grauer Schleier zieht das Dorf und das Gelände von Hogwarts an mir vorbei.
Erst, als er in seinem Zimmer sich von mir löst, um seine Winterkleidung auszuziehen, beginne ich zu realisieren, was soeben geschehen ist.
Leicht benommen streife auch ich meine warme Kleidung ab und ziehe die Schuhe aus.
Tom und ich haben uns geküsst. Und dann hat er mich wieder geküsst. Und meine Hand genommen. Okay, letzteres ist nicht ungewöhnlich, aber diesmal hatte es eine ganz andere Bedeutung zumindest für mich.
Und so wie ich ihn kenne, für ihn auch. Vorsichtig sehe ich auf seinen breiten Rücken, als er das Feuer im Kamin erneut entfacht.
Sind wir jetzt zusammen?
Wahrscheinlich schon. Tom würde niemals einfach so ein Mädchen küssen und in dieser Zeit küsst man generell nur dann jemanden, wenn man mit der Person zusammen ist.
Also, bin ich jetzt mit Tom zusammen.
Oh Merlin, worauf habe ich mich da nur eingelassen?
„Legen wir uns schlafen? Es ist spät“, durchbricht Tom mit seiner unglaublich schönen Stimme die Stille zwischen uns.
„Lass uns noch vorher ins Bad gehen“, schmunzele ich und ziehe ihn hinter mir her. Er schließt die Tür und geht ans Waschbecken um sich frisch zu machen.
Ich gehe zur gleichen Zeit auf sein Klo und dann tauschen wir den Platz.

Wenig später steige ich in einem T-shirt von ihm ins Bett. Erliegt bereits drinnen und ich kann mir ein leichtes Lächeln nicht verbieten, als ich seinen Blick auf mir spüre.
Ich habe ihn noch nie so unsicher erlebt. Normalerweise er doch ganz genau, was er will und nimmt es sich einfach.
„Komm her“; befiehlt er dann auch und ich nehme das mit der Unsicherheit wieder zurück. Er weiß immer noch, was er will. Allerdings komme ich ihm heute gerne entgegen.
Immer noch glücklich und leicht benebelt, kuschele ich mich wie gewöhnlich an seine Seite. Trotzdem fühlt es sich heute anders an, als gewöhnlich.
Auf eine verdrehte Art intimer. Als würde die neue Ebene unserer Beziehung einzelne, eigentlich tägliche Handlungen eine neue Bedeutung geben. Eine größere Tiefe.
Gegen seine Gewohnheit legt er seinen Arm um mich und legt seine Hand besitzergreifend auf meine Hüfte.
Zufrieden schließe ich die Augen. „Gute Nacht, Tom.“
„Nacht“, flüstert er und drückt mir einen sanften Kuss auf meinen Scheitel, ehe ich einschlafe.

1. Januar 1945




Mittwoch


„Morgen, alter Mann“, begrüße Ich Tom, als er wach wird. Putzmunter sitze ich neben ihm und kann immer noch nicht fassen, dass dieser Kerl tatsächlich mir gehört.
„Was heißt da alter Mann?“ Steigt er in meine Neckerei ein. „Ich gestern achtzehn und nicht achtzig geworden.“
„Läuft aufs gleiche hinaus“, grinse ich uns stakse umständlich vom Bett. „Ich habe Hunger.“
„Dann lass uns frühstücken gehen. Oder sind wir zu spät?“ Fragt er gelangweilt und steht selbst auf. Nur, dass es bei ihm wesentlich eleganter wirkt.
„Nein, wir haben noch Zeit.“
„Dann zieh dich an.“
„Bin dabei.“

„Ah, da sind sie ja. Haben sie den Ausflug genossen?“ Strahlt uns Dippet entgegen.
„Ja, danke für diese Möglichkeit“, gibt Tom zurück und lässt meine Hand los, damit wir uns an den Tisch setzen können.
„Ach“, der Direktor macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ich kann ihnen ja vertrauen und auch Miss Capulet ist noch nie negativ aufgefallen. Das Zugeständnis hat mir keinerlei Sorgen bereitet.“
„Ihr Vertrauen ist sehr großzügig“, spinnt Tom Dippet weiter in sein Netz aus Höflichkeit, Charme und Manipulation. Am liebsten würde ich genervt die Augen verdrehen, aber ich bewundere ihn viel zu sehr, um diese Fähigkeit nicht anzuerkennen.
Spinnt er ich auch schon ein?
Hat er mich soweit, dass ich ihm blind folgen würde?
Alles für ihn tun?
Man sagt, Liebe macht blind.
Und das ich in ihn verliebt bin ist zweifellos.
Aber wie weit würde ich für ihn gehen?
Gewiss würde ich mich ihm niemals unterordnen. Niemals würde ich eine treue Todesserin werden und mir das Mal einbrennen lassen.
Würde ich für ihn in der Vergangenheit bleiben?
Nicht an seiner Vernichtung, als wichtiges Glied der Informantenkette agieren?
Würde ich bei ihm bleiben, als Lord Voldemort?
Würde ich für ihn morden? Foltern?
Nein. Soweit könnte ich nicht gehen. Genauso wenig könnte ich jemals seine verdrehte Wahrnehmung verstehen. Warum sollten Muggelstämmige weniger wert sein, als ich? Sie sind doch auch nur Menschen.
Ich muss einfach die Zeit mit ihm genießen, die mir noch bleibt. Offiziell bleibt.
Und dann sehe ich weiter. Vielleicht, ganz vielleicht bleibe ich länger, als geplant. Niemand in der Zukunft würde es merken. Ich käme trotzdem am gleichen Tag zurück.
Aber für diese Entscheidung habe ich noch Zeit.
Jetzt genieße ich das hier und jetzt.
Jetzt lebe ich in meiner Gegenwart.
Jetzt genieße ich das erste Frühstück, als Tom Riddles Freundin.
Ob er mich liebt? Auf seine Art und Weise liebt?

5. Januar 1945




Sonntag

„Wieder daha“, kommt Tina trällernd von Jessica und Chantal gefolgt in unser Zimmer.
„Ich sehe es“, schmunzele ich und streiche mir eine Strähne hinter das Ohr. Heute Morgen bin ich aus Toms Zimmer ausgezogen, wenn man es so nennen will, und bin wieder hier her gekommen.
„Wie war es? Einsam?“ Fragt mich Jessica mit einem mitfühlenden Lächeln.
Ich schüttele den Kopf. „Ich habe mich ganz gut beschäftigt.“
„Lass mich raten“, grinst Tina und öffnet ihre Tasche. „Mit Tom?“
Beim Klang seines Namens schleicht sich ein glückliches Lächeln in mein Gesicht und mein Nicken fällt heftiger aus, als geplant.
„Da ist jemand verliebt“, flötet Tina und auch die anderen beiden Grinsen vielsagend.
„Ich glaube, wir sind jetzt zusammen“, teile ich ihnen dann vorsichtig mit. Tina hält mitten in ihrer Tätigkeit inne und springt quietschend auf mich zu.
„Du glaubst?“ Chantal runzelt die Stirn.
„Wir sind zusammen“, verbessere ich mich und umarme Tina zurück.
„Das wird Jane nicht gefallen“, kichert Jessica leise.
„Das wird kaum einem Mädchen gefallen“, bekräftigt Chantal. „Aber wir stehen hinter dir.“
„Sehr nett“, sage ich ironisch und löse mich von Tina, die wieder zum Auspacken übergeht und dabei fröhlich summt.
„Wie lange?“ Erkundigt sich Jessica und sieht mich neugierig von ihrer Kommode aus an.
„Fünf Tage.“
„Simon und ich auch“, quietscht sie dann begeistert und nun ist es an mir Jemanden lachend um den Hals zufallen. „Ich will alles wissen!“ Fordere ich sie auf und setzte mich jetzt aufgeregt auf ihr Bett.
„Wir wollen danach aber auch alles hören!“ Mischt sich Tina wieder ein und befördert ihre Tasche mit einem Tritt unter ihr Bett.
En detail höre ich mir an wie Simon Jessica an Silvester zu sich und Tina nach Hause eingeladen hat und ihr dort endlich gestanden hat, dass er in sie verliebt ist. Selbstverständlich ist sie ihm um den Hals gefallen und nachdem sie sich geküsst haben, hat er sie gefragt, ob sie zusammen sein wollen.
Mit einem kollektiven „Oh“ und einem unausgesprochenen Sammelgebot haben wir uns alle auf Jessicas Bett gequetscht und Essen Schokolade während ich anfange von meinen Ferien zu erzählen. Angefangen von meinem Absturz, über den alle Drei lachten, bis hin zu Silvester und dem ungeplanten Kuss am See aus dem die erste Beziehung meines Lebens resultiert ist.
„Ich hab’s gewusst“, sagt Tina nach dem die süßesten Stellen mit oh’s und ah’s kommentiert wurde, in ihrer Quietschstimme.
Wenn mich nicht alle irrt brauche ich morgen ein Hörgerät.
„Lasst und Abendessen gehen“, schlage ich nach einem weiteren Schokofrosch vor und springe vom Bett.
„Oh ja“, stimmt mir Chantal zu und lachend machen wir uns auf den Weg in die Große Halle. 1945 ich komme!

6. Januar 1945




Montag


Der Unterricht hat wieder begonnen und ich sitze glücklich auf meinem Platz neben Ben. Tom hat mich zwar nur mit einem Nicken begrüßt, wie sonst auch immer, aber ich habe diesen neuen zufriedenen Ausdruck in seinen Augen dabei wahrgenommen und hatte mich am liebsten an seinen Hals geworfen und ihn vor versammelter Mannschaft geküsst.
Allerdings haben wir uns mit wenigen Worten darauf geeinigt, dass wir nichts an unserem Auftreten in der Öffentlichkeit verändern.
Mir ist das mehr als recht. Umso später unsere Mitschüler mitbekommen, dass wir zusammen sind, desto besser.
Wenn sie dann anfangen über uns zu reden, ist die Beziehung hoffentlich nicht mehr so frisch und ich stehe eher über die Kommentare, die wohl nicht von allen nett ausfallen werden. Mindestens die Mädchen, die sich Hoffnung bei ihm gemacht haben, werden über mich herfallen. Wenigstens hat er Slytherin unter Kontrolle. Ob er dort jetzt schon seine Schreckensherrschaft betreibt?

10. Januar 1945




Freitag


„Diese Stunde werden wir einen Trank in Partnerarbeit brauen“, strahlt uns Slughorn entgegen und lässt seinen Blick über die Reihen schweifen. „So, wen lass ich denn zusammen arbeiten? Ah, Simon. Wären sie so lieb und greifen Jessica unter die Arme?“ Zwinkert er und denkt sicherlich an seine Party. Lächelnd nickt Simon und tauscht mit Ben Platz. „Ben, sie können gleich da bleiben. Sie und Ms Wood werden sicherlich eine gute Arbeit leisten. Mr. Malfoy sie und Dolohow bilden ein Team“, meint er mit einem Blick auf die übrig gebliebenen.
Oh bitte, lassen Sie mich mit Tom zusammen arbeiten!
„Chantal sie und Mr. Robins bilden ebenfalls eine Gruppe. Mr. Riddle sie kommen ja hervorragend mit Claire aus. Ich kann mich doch darauf verlassen, dass sie Bestarbeit leisten?“ Gluckst er fröhlich und lässt jedem Team ein Blatt zuschweben.
Leicht lächelnd tauschen Malfoy und ich Platz, nachdem John und Chantal eins aufgerückt sind.
„Was müssen wir brauen?“ Frage ich ihn und beuge mich über das Blatt.
„Vielsafttrank.“
„Schaffen wir.“
„Hast du daran gezweifelt?“ Fragt er rhetorisch, wohl wissend, dass ich nicht viel schlechter bin als er. Merlin sei Dank hatte ich das alles schon einmal und habe meine fantastischen Unterlagen dabei.
„Hol die fehlenden Zutaten“, befiehlt mir Tom konzentriert und ordnet die bereits Aufgestellten.
Schnell laufe ich zu Flughorns Pult und suche die fehlenden Materialien. Mit ihnen und einem wohlwollenden Lächeln von Professor Slughorn kehre ich zu Tom zurück, der mir die Zutaten kommentarlos abnimmt und einordnet.
„Hol Wasser. Dann können wir anfangen“, teilt er mir gelangweilt mit und ich komme mit einem genervten Blick seinen erneuten Befehl nach. Stellt er sich so unsere Beziehung vor?
Er befiehlt ich gehorche?
Sicher nicht!
„Willst du den Anfang machen?“ Fragt er plötzlich und scheint selbst überrascht zu sein, dass er mir das vorgeschlagen hat.
„Gern“, lächele ich zurück. Vielleicht ist er ja doch lernfähig. Oder er hat mir angemerkt, dass mir etwas nicht gepasst hat. Oder er ist nicht so beziehungsunfähig wie ich gedacht habe.
Seufzend zerstückele ich die erste Zutat und werde sie in das siedende Wasser. Es ist wichtig, dass es nicht kocht, ehe das Einhornhorn hinzugegeben wurde.
In stiller Übereinkunft arbeiten wir zusammen und bereiten parallel die aufeinanderfolgenden Schritte vor.
Immer wieder werfe ich einen Blick auf sein schönes Profil.
Wie kann er sich in der Zukunft nur so verunstalten? Wie kann er seine wunderschöne Seele spalten?
Selbst, wenn sie schwarz ist, ist sie schön. Denn sie ist ein Teil von ihm.
„Kannst du das Feuer verstärken?“
„Sicher Tom“, seufze ich unterbreche meine Arbeit und erhitze den Trank bis er kocht. Für heute müssten wir auch bald fertig sein, immerhin dauert es knapp einen Monat bis der Trank gebrauchsbereit ist, dass schafft man nicht an einem Tag. Nicht einmal Tom.

„Wann kommst du heute abend?“
„Nach den Abendessen, Meine Tasche habe ich schon gepackt“, lächele ich ihn freudig an und genieße den kurzen Händedruck, bevor er sich umdreht und den Klassenraum von seinen Freunden gefolgt verlässt. Schon die ganze Woche über ignorieren mich alle Slytherins. Sie werfen mir nicht einmal böse Blicke zu.

„Schläfst du heute bei Tom?“ Fragt mich Tina, als wir gemeinsam den Weg zum Gryffindorturm angehen.
„Ja, ich hole nur noch meine Tasche“, grinse ich breit, kann es leider nicht unterdrücken. Immer, wenn ich an Tom denke, schleicht sich dieses Grinsen in mein Gesicht gepaart mit einem warmen Gefühl in meinem ganzen Körper. Mein ganzes rationales Denken schaltet sich ab und ich laufe hormongesteuert durch die Welt, beziehungsweise das Schloss. Manchmal bin ich einfach nur froh, dass meine Okklumentikschilde auch im passiven Zustand inzwischen stark sind und mich im Schlaf nicht verraten. Wenn mein Geheimnis auf diese Art und Weise aufgedeckt wird, können meine Freunde die Einzelteile meiner Leiche im Schlossgarten auflesen.
Mit diesem eher unschönen Gedanken greife ich nach meiner Tasche, die magisch so verkleinert ist, dass es wir eine Tasche voller Bücher wirkt und mache mich auf den Weg zu Tom.
Das ist das erste Mal, dass wir seit den Ferien wieder richtig Zeit miteinander verbringen und Freude ist kein Ausdruck für mein Gefühl in der Brust.

„Hey“, strahle ich ihn an und komme ohne eine Antwort zu warten in sein Zimmer und werfe meine Tasche auf sein Bett.
„Krieg ich einen Keks?“ Frage ich ihn dann und mache mich schon mal auf den Weg in die Küche. Seine gerunzelte Stirn und das amüsierte Zucken seiner Mundwinkel ignorierend.
„Du weißt schon, dass du vor keiner halben Stunde zu Abend gegessen hast?“ Fragt er dann, als ich die Kekspackung öffne.
„Weiß ich“, grinse ich, nehme einen Keks und beiße von ihm ab. Kauend laufe ich auf Tom zu, schlucke und küsse ihn zärtlich auf die Wange.
Auf den Zehenspitzen stehen bleibend, flüstere ich ihm ins Ohr. „Ich will aber trotzdem einen.“
„Du kriegst auch zwei“, sagt er ernst, hebt mich überraschend hoch und geht zu seinem Sessel. Dort angekommen setzt er sich und zieht mich seitlich auf seinen Schoß. Bequem.
„Tom?“
„Hm?“
„Weißt du warum die Slytherins mich ignorieren?“
„Mhm.“
„Und warum?“ Seufze ich nun genervt. Wortkarger geht kaum. Ich drehe meinen Kopf und neunzig Grad und blicke ihm ins Gesicht.
„Ich habe es ihnen verboten.“
„Du hast-“
„Ja, warum hat dich nicht zu interessieren.“
Ich schlucke schwer über seinen herrischen Ton und drehe meinen Kopf wieder weg. Nur am Rande nehme ich wahr, wie er meinen Zopf öffnet und mit meinen Haaren spielt.
Er hat es ihnen verboten. Was?
Mit mir zu reden?
Mich anzusehen?
Mich zu beachten?
Zumindest vermeiden sie alle drei Punkte. Warum hat er das gemacht? Ist er so eifersüchtig? Oder ist es seine kranke Art mich zu beschützen?
Ich bin ihm nicht böse deswegen. Die Slytherins sind mir in dieser Zeit so unsympathisch wie in meiner Zeit. So muss ich wenigstens nichts mehr von seinen gruseligen Anhängern befürchten.
„Gehen wir schlafen? Ich will morgen mit dir ein wenig lernen.“
„Dein ernst?“ Lecht entsetzt sehe ich zu ihm auf. Er runzelt die Stirn.
„Was?“
„Das du morgen mit mir lernen willst.“
Claire, in wenigen Monaten sind Prüfungen.“
„Eben. Monate.“
Er schmunzelt. „Ab ins Bad mit dir.“
„Nur, wenn du mit kommst“, grinse ich schwach, nach genervt von der Lernidee. Er schiebt mich von seinen Schoß, sodass ich zwangsläufig aufstehen muss und zieht mich dann mit ins Bad.
Lernen. Samstag. Ich habe noch nicht einmal alle meine Hausaufgaben gemacht.

„Du weckst mich morgen aber nicht, okay?“ Frage ich ihn vorsichtig, als ich mit meinem Kopf auf seiner Brust liege und in die Dunkelheit starre.
„Das kommt auf die Uhrzeit an.“
Genervt stöhne ich auf. Und ich dachte immer, ich wäre ein Frühaufsteher. Er scheint gar keinen Schlaf zu brauchen.
„Schläfst du nie mehr?“
„Nein, nicht mehr.“
„Nicht mehr?“
„Seit meinen letzten Sommerferien nicht mehr.“
„Oh.“
„Gute Nacht, Claire.“
„Schlaf gut, Tom.“
Seit den letzten Sommerferien nicht mehr. Da hat er seinen ersten Horkrux erschaffen. Heißt das, dass er in meiner Zeit gar nicht mehr schläft? Oder nur wenige Stunden? Eine?
Wieso muss er seit seiner Seelenspaltung weniger schlafen? Sein Körper ist doch immer noch menschlich. Oder zerstört er nicht nur seine Seele systematisch mit den Morden? Zerstört er auch seine körperliche Menschlichkeit? Das würde sein schlangengleiches Aussehen in der Zukunft erklären.
Die Trennung von seiner Seele hinterlässt auch körperliche Schäden. Einfach, weil die Seele eines Menschen zu ihrem Körper gehört. Solange der Mensch lebt.
Heißt das, dass er auf seiner Suche nach Unsterblichkeit sich eigentlich selbst tötet?

12. Januar 1945




Sonntag


„Guten Morgen“, lächele ich Tom zufrieden an und strecke mich ausgiebig, darauf bedacht ihm nicht meine Hand in sein Gesicht zuklatschen.
„Morgen“, gibt er zurück und schiebt mich von ihm runter, um aufzustehen. Schmollend schiebe ich meine Unterlippe vor und folge mit meinem Blick seinen Weg ins Badezimmer.
Seufzend bleibe ich liegen und ziehe die Decke über meinen Kopf. Warum muss ausgerechnet ich an so einen komplizierten Kerl geraten?
“Was meinst du“, höre ich ihm aus dem Bad rufen. „Stehst du heute noch auf?“
„Was meinst du“, wiederhole ich seine Worte. „Kommst du noch mal ins Bett?“
„Wenn du danach aufstehst?“ Gibt er zurück und lehnt sich mich anblickend gegen den Türrahmen.
„Deal“, grinse ich und schlage die Decke einladend zurück. Er kommt auf mich zu und legt sich neben mich.
Augenblicklich kuschele ich mich an seinen warmen Körper und atme tief seinen beruhigenden und gleichzeitig betörenden Geruch ein. Was für ein unglaubliches Glück in habe, dass er ausgerechnet mich als seine Freundin will.
Seine feingliedrige Hand liegt auf meinem Rücken, ein haltgebendes Gefühl. Kein Wort außer beschützt würde mein Gefühl besser beschreiben. Ich weiß, dass mir niemand etwas antun kann, solange ich bei ihm bin. Nur er selbst kann mein Untergang sein. Nur vor ihm selbst und vor mir kann er mich nicht beschützen, aber ich weiß, dass er mich vor dem Rest der Welt verteidigt.
Ich weiß nicht, ob er jemals zu mir, als seine Freundin stehen wird, aber das ist mir nicht wichtig.
Mir ist alles egal, solange ich bei ihm sein kann und meine verbliebene Zeit mit ihm genießen darf. Kann.
Wie er wohl reagieren würde, wenn er wüsste, dass ich nach Ende des Schuljahres aus seinem Leben, seiner Zeit verschwinde?
Das er mich nie wieder sehen wird?
Und wenn doch, dass wir dann auf unterschiedlichen Seiten ständen und uns bekämpfen würden? Er mich töten würde?
Das ich eine Chance gegen ihn hätte, selbst wenn er nicht mit aller Macht versucht mich zu besiegen, nehme ich nicht an.
Ich weiß, dass es keinen Zauberer auf der Welt gibt mit mehr Gespür für die Magie.
Er könnte so viel gutes mit seinem Talent erreichen. Doch er stürzt unsere Welt ins Verderben. In Jahre der Verzweiflung, der Angst, der Paranoia.
So viele werden sterben. Auf beiden Seiten. Ob er je wieder an eins seiner Opfer denken wird?
Und wenn, was wird er dabei empfinden?
Triumph?
Stolz?
Verachtung?
Oder einfach nur Gleichgültigkeit?
Wenn er all die Kinder sehen würde, die wegen ihm ihre Eltern verloren haben, die nie geboren werden, was würde er machen?
Er hat so viele zu Waisen gemacht.
Zu dem worunter er selbst gelitten hat, ob er es zu gibt oder nicht.
Ob er wegen seiner Zeit im Waisenhaus so einen Muggelhass entwickelt hat?
Ist der Krieg vielleicht seine Art mit seinem Kindheitstrauma abzurechnen? Mit allem schlimmen, was ihm auf Grund seines hassenden Vaters, der sich nicht um ihn gekümmert hat, seiner reinblütigen Mutter, die ihn verlasen hat, passiert ist?
Die Schwäche und Wehrlosigkeit der Mitwaisen hat ihm von Anfang an gezeigt, was für eine Macht er inne hat. Um zu überleben hat er andere gequält.
Gewalt ist ein legales, notweniges Mittel für ihn.
Er hat niemals Moralvorstellungen vermittelt bekommen.
Fressen oder Gefressen werden. Darwinismus.
So sah seine Kindheit aus und die Heimmutter? Was hat sie getan, um dem kleinen, andersartigen Jungen zu helfen?
Sie hat ihn bestraft, gesagt, dass er krank ist.
Ich frage mich immer noch wie Tom sein könnte, wenn er liebevoll großgezogen worden wäre.
Wenn er eine ganz normale Kindheit gehabt hätte.
Hogwarts ist sein erstes zuhause. Der erste Ort, wo er sich willkommen und angenommen gefühlt hat.
Ein Ort, wo es viele andere seiner Art gibt.
„Worüber denkst du nach, Claire?“
„Hogwarts und dich“, gebe ich wahrheitsgemäß zu.
„In der Reihenfolge?“
Ich muss schmunzeln und rücke ein Stückchen näher an ihn ran. „In der Reihenfolge“, gebe ich neckend zurück und küsse sein Kinn, da ich an seine Lippen nicht heran komme.
Daraufhin packt er mich an der Hüfte und dreht mich auf den Bauch, sodass ich auf ihm zu liegen komme.
„Das kannst du auch besser“, meint er dann und küsst mich.

Wenig später stehen wir auf und ich gehe in das Badezimmer, um mich für das Mittagessen fertig zumachen. Danach gehen wir noch in die Bibliothek Hausaufgaben machen und um ein wenig zu lernen.
„Können wir los?“ Fragt mich Tom, als sich fertig angezogen aus dem Bad komme. Er steht bereits an der Tür und sieht mir desinteressiert entgegen.
„Klar“, lächele ich ihn an und nehme seine dargebotene Hand an. Er lässt mich durch die Tür treten und führt mich durch die kühlen Gänge des Schlosses nach unten.
Den ganzen Weg über hält er meine Hand fest in der seinen. Kein Schüler ist unterwegs. Alle sind schon beim Essen. Dabei sind wir nicht einmal spät dran. Es hat erst vor zehn Minuten offiziell angefangen.
In der Eingangshalle angekommen schlagen uns die Stimmen der anderen Schüler entgegen. Innerlich bereite ich mich darauf vor, dass er meine Hand loslässt und in die Halle verschwindet und ich meinen Tom erst am nächsten Wochenende wieder bekomme. Während der Schule ist er immer so distanziert. Zumindest im Verhältnis zu seiner Art am Wochenende.
Er wirkt in solchen Momenten wie eine zweigespaltene Persönlichkeit auf mich. Einerseits Tom der Schulsprecher und Slytherin und auf der anderen Seite der Tom, der mich in den Arm nimmt, noch einmal zu mir ins Bett kommt, wenn ich ihn darum bitte.
Allerdings habe ich von Anfang an gewusst, dass eine Beziehung alles andere als leicht mit ihm wird. Ich habe es in Kauf genommen und bereue es bis jetzt nicht.
Er weckt nie da gewesene Gefühle in mir.
Gefühle, die ich nicht in Worte fassen kann. Ein Feuer, eine warme Brise, eine erfrischende Quelle. All das trifft es und doch nicht.
Tom hält immer noch meine Hand, als wir die Türen gemeinsam passieren. Er wird still. Ganz still um uns herum.
Hunderte von Augenpaaren liegen auf uns. Nervös senke ich den Blick und schiele zu Tom.
Ihn scheint das unberührt zu lassen.
Sein Gesicht ist ausdruckslos wie immer, Seine Körperhaltung respekteinfordernd, sein Blick dominant.
Der Schulsprecher führt mich an den Gryffindortisch, verabschiedet sich mit einer Verstärkung seines Händedrucks und geht zu seinen Freunden an den Slytherintisch.
Kaum bin ich alleine setzt das Getuschel ein. Jeder redet mit jedem am Tisch, nur meine Freundinnen grinsen mir entgegen. Schnell laufe ich zu ihnen und setzt mich in den Schutz zwischen ihnen. Hier sind die forschenden Blicke meiner Mitschüler erträglich.
„Also, ist es jetzt offiziell“, stellt Chantal lächelnd fest und tauscht mit Jessica verschwörerische Blicke.
„Scheint so“, meine ich schulterzuckend und gebe mich betont gelangweilt, da es mir unangenehm ist in der Öffentlichkeit über mein Liebesleben zu reden.
Die anderen scheine das Signal zu verstehen und wenden sich wieder ihrem Essen zu. Nur Tina gibt mir mit ihren Blicken zu verstehen, dass das Thema noch nicht durch ist.

Wie immer hat Tom es geschafft mich durch alle Hausaufgaben innerhalb eines Nachmittags zu quälen und mich rechtzeitig zu entlassen, dass ich noch etwas vom Abendessen abstauben kann. Auch, wenn ich auf darauf heute freiwillig verzichtet hätte. Die Blicke vom Mittagessen waren mir noch zu genau im Gedächtnis.
Jetzt laufe ich mit Tina gemütlich zum Gemeinschaftsraum und beantworte brav ihre Fragen zu Tom und mir.
Auch, wenn die meisten Antworten von mir sie nicht zufrieden stellen.
Aber, wie soll ich ihr eine Frage über Toms Beweggründe für die Aktion heute Mittag mitteilen, wenn ich sie selbst nicht kenne?
Und ich werde ihn gewiss nicht danach fragen. Ich akzeptiere, beziehungsweise genieße einfach im Stillen, dass jetzt alle wissen, dass wir zusammen gehören.
Das Portrait der Fetten Dame schwingt geräuschlos auf und sobald ich einen Kopf durch die Öffnung gesteckt habe, verstummen alle Gespräche.
Unangenehm berührt betrete ich den Gemeinschaftsraum dicht gefolgt von Tina, die in Richtung Schlafsaal schiebt, doch noch bevor ich die Treppe erreiche, springt Jane aus ihrem Sessel und kommt auf mich zu.
„Na, sieh einer an, wen wir da haben“, höhnt sie und stellt sich mir in den Weg. Ich bleibe mit Tina in meinem Rücken stehen.
„Lass mich durch, Jane“, entgegne ich mit fester Stimme.
„Was hast du ihm dafür geboten, dass er sich mit dir abgibt? Und versuche gar nicht erst mir zu erzählen, dass er dich wirklich mag! Schöne Reinblüterinnen gibt es hier wie Sand am Meer! Und dein Charakter kann es auch nicht sein. Auf so ein kleines Kuschweib ist nicht sein Typ!“
„Woher willst du wissen, was sein Typ ist?“ Lacht Tina belustigt auf. Ich kann der Sache allerdings nichts lustiges abgewinnen. Ich hätte damit rechnen müssen, dass seine Verehrerinnen mich fertig machen werden.
Vor allem Jane.
Noch zu gut erinnere ich mich an den Vorfall in Hogsmeade.
„Du hast dich ja von Anfang an, an ihn rangeschmissen! Du hast gar kein Recht auf ihn! Wir kennen ihn schon viel länger!“ Faucht sie mich an und wenn ich könnte, würde ich einen Schritt zurück weichen, doch da steht immer noch Tina.
„Wir?“ Wiederhole ich einfallsreich.
„Wir Hogartsschülerinnen! Du bist keine von uns! Verschwinde wieder dahin, wo du her gekommen bist und lass Tom in Ruhe!“
„Geht’s noch?“ Begehrt Tina auf und stellt sich jetzt neben mich.
„Sie geht genauso nach Hogwarts wie du und ich! Und wenn sich Riddle für sie interessiert, dann ist das halt so!“
„Sie hat ihn verhext! Sie muss ihn verhext haben!“ Keift sie Tina an und dreht sich wieder zu mir um. Wütend bohrt sie mir ihren Finger in die Schulter.
„Was hast du ihn ins Essen gemischt? Einen Liebestrank? Oder ist es ein Zauber?“
„Das glaubst du doch selbst nicht“, versuche ich mich endlich selbst zu verteidigen.
„Wie willst du“, sie mustert mich abfällig. „Ihn den sonst bekommen haben?“
„Vielleicht steht er einfach nicht auf oberflächliche Blondinen?“ Frage ich ruhig. Empört sieht sich mich an. Alle scheinen die Luft anzuhalten.
„DU wagst es!“ Fährt sie mich an.
„Ja, und würde jetzt gerne schlafen gehen. Gute Nacht“, mit diesen Worten dränge ich mich an ihr vorbei und laufe langsam die Treppe nach oben. Tinas Schritte klingen dumpf hinter mir und auch zwei weitere Fußpaare scheinen sich unseren Weg nach oben angeschlossen zu haben.
Die Tür scheint endgültig hinter uns ins Schloss zufallen. Eine Absperrung zu allem Bösen.
Erleichtert lasse ich mich auf meinem Bett nieder und fahre mir über das Gesicht. Sie hat mir allen ernstes unterstellt Tom mit Magie zu manipulieren!
Am liebsten würde ich jetzt zu ihm, mit ihm darüber reden, mich in die Sicherheit seiner Arme flüchten.
Doch, dass geht nicht. Das ist mein Kampf. Nicht seiner. Auch, wenn er es wahrscheinlich auf seine Art für mich regeln würde, wenn ich ihn darum bitten würde.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er alles für mich tun würde.
Zumindest fast alles.

13. Januar 1945




Montag


Verwandlung bei Professor Dumbledore ist so eben zu Ende gegangen und Tina und ich laufen fröhlich schwatzend nach unten in die Kerker.
Heute brauen Tom und ich an unserem gemeinsamen Trank weiter und ich freue mich endlich wieder mit ihm zu reden.
Die Blicke haben nicht angenommen, eher an Schärfe, zumindest von der weiblichen Seite aus, zu genommen.
Auch Tom scheint das bemerkt zu haben, da er mir beim Frühstück ein kleines Lächeln geschenkt hat.
Sofort ging es mir besser. Wenn er es so gelassen nimmt, kann ich das auch.
Trotzdem muss ich ihm einfach erzählen, was Jane zu mir gesagt hat. Aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass sie nicht die Einzige ist, die so denkt.
Klar, weiß ich, dass er beliebter ist als ich und besser aussieht. Aber so hässlich, dass ich zu solchen Mitteln greifen müsste, um einen Freund zu bekommen, bin ich dann doch nicht.
Inzwischen bin ich wegen der Reaktionen eher wütend, als eingeschüchtert. Was denken die alle eigentlich, wer sie sind?
Der Raum ist schon offen und einige sind schon anwesend. Auch Tom steht über unseren Kessel gebeugt und rührt ihn mit seinem Zauberstab um.
Mit einem Lächeln gehe ich zu ihn und grüße Professor Slughorn mit einem Nicken, als ich seinen Tisch passiere.
„Hallo“, begrüße ich ihn und lege ihm kurz meine Hand auf den Rücken beim Vorbeigehen.
„Tag“, erwidert er und notiert sich etwas auf einen Zettel, ehe er mich ansieht. „Ist alles in Ordnung?“
„Ja, sicherlich“, antworte ich perplex.
Er zieht eine Augenbraue hoch. „Sicher?“
„Ja. Ein Mädchen aus meinem Haus hat ein wenig Ärger gemacht, aber es ist alles in Ordnung“, beruhige ich ihn.
„Was hat sie gesagt?“ Fordert er zu wissen.
„Das ich dich verhext habe“, flüstere ich und beiße mir auf die Lippe. Sie hat mir genau das vorgeworfen, was seine Mutter damals getan hat.
„Wer hat das behauptet?“ Fährt er mich an.
„Ist doch egal, Tom“, winke ich ab. Er macht einen großen Schritt auf mich zu.
„Nicht so wichtig? Claire, du bist nicht meine Mutter! Du bist weder krank noch schwach! Ich verbiete mir, dass jemand ungestraft meine Freundin beleidigt!“
„Ich kann auf mich selbst aufpassen.“
„Das ist meine Aufgabe! Du gehörst mir! Ich beschütze, was mir gehört!“
„Tom“, beruhigend lege ich meine Hände auf seine Brust. „Wenn wieder jemand so etwas zu mir sagt, dann bist du der Erste, der es erfährt, in Ordnung?“
„Ich nehme dich beim Wort“, knurrt er gepresst und dreht sich wieder zum Kessel um. Lautlos seufzend, räume ich meine benötigten Unterlagen auf den Tisch und stelle mich dann neben ihn.
„Was machen wir heute?“

Gemeinsam gehen wir zum Mittagessen. Die inzwischen üblichen Blicke, die mir auch auf den Gängen zugeworfen werden, schlagen mir entgegen. Eine fächerbreite an Emotionen ist darin zu erkennen. Wut, Verwunderung, Irritation, Hass und sogar Bewunderung.
Wobei letzteres sehr vereinzelt auftritt. Jeder scheint es inzwischen zu wissen. Unser gemeinsames Auftauchen scheint die Gerüchte zu bestätigen.
Der Schulsprecher ist mit einer Gryffindor zusammen. Wie kommt es?
Wir scheinen Gesprächsthema Nummer eins zu sein.
Mir ist die Aufmerksamkeit mehr als unangenehm. Vor allem Dumbledores forschender Blick scheint jedes Mal in Mitleid umzuschlagen, wenn er merkt, dass ich ihn ansehe.
Ich weiß, dass er Tom hier schon nicht getraut hat.
Was ist das für ein Vorzeigeschüler, um den sich die Mitschüler scharen?
Tom und seine Freunde sind eine Gruppe düsteren Glanzes. Ein bunt zusammen gewürfelter Haufen aus unserem Jahrgang und wenige darunter.
Schwache die Schutz suchen, Ehrgeizige, die Spuren von seinem Ruhm abgreifen möchten, Schläger die einen Führer brauchen.
Einige von ihnen werden die ersten offiziellen Todesser von Lord Voldemort.
Für keinen von ihnen hegt er auch nur einen Hauch von Zuneigung. Er braucht sie für seine Zwecke und unter seiner strengen Führung konnte keine mysteriöse Tat auf Hogwarts, die geschehen ist, seitdem Tom hier Schüler ist, ihm oder einen seiner Leute nachgewiesen werden.
Nie gab es Beweise. Nie wurde einer gesehen.
Meine Schritte klappern auf dem Steinboden, als ich mich alleine an ein Tischende setzte. Die Anderen räumen noch ihre Tische auf, setzten sich aber zu mir, sobald sie hier sein werden.

Verteidigung gegen die dunklen Künste ist so eben zu Ende gegangen. Tina und ich laufen zu Haushaltsführung. Sie scheint bester Laune zu sein im Vergleich zu mir.
Ich hasse diese Stunden. Die abwertende Blicke der anderen Mädchen, wenn es mal wieder schief geht.
Heute wird es noch schlimmer sein.
Jetzt versagt nicht einfach Claire Capulet, sondern Tom Riddles Freundin. Dann wird das Gerede wieder los gehen.
Was will er bloß von ihr?
Ob er weiß, was für eine schlechte Hausfrau sie ist?
Sie hat ihn nicht verdient.
Lauter verletzende Dinge, die ich nicht an mich heranlassen sollte. Und doch sind sie wie ein Schlag ins Gesicht.
Merlin sein Dank weiß Tom von meinem nichtvorhandenen Talent in Haushaltszaubern.
Und Merlin sei Dank weiß ich, dass Tom es egal ist.
Ihm wäre es sicherlich wichtiger, wenn ich die Unverzeihlichen beherrsche und Schwarze Magie praktiziere. Zum Glück scheint er instinktiv zu wissen, dass ich mich niemals auf die dunkle Seite ziehen lasse. Schwarze Magie praktizieren?
Das kommt für mich nicht in Frage!

17. Januar 1945




Freitag


Ich mache mich gerade für das Treffen mit dem Slug – Club fertig, als Tina in den Raum gestürzt kommt.
„Du glaubst nicht, was im Gemeinschaftsraum los ist! Jane schreit Jennifer total hysterisch an, weil sie keinen Beweis dafür gefunden hat, dass du Riddle Liebestränke unterjubelst. Ist das zu fassen?“
„Ja, ist es“, gebe ich genervt zurück und stecke eine silberne Spange in mein Haar.
Ich schlafe heute Abend nach den Treffen wieder bei Tom, meine Sachen sind noch von letzter Woche bei ihm, ich nehme die Sachen schon gar nicht mehr mit, bringe höchstens neue Sachen mit, da ich meine Freizeit sowieso bei ihm und mit ihm verbringe, wenn er nicht mit seinen komischen Freunden unterwegs ist.
„Das ist total verrückt! Was soll der Mist?“
„Sie scheinen ein Problem mit mir und Toms Beziehung zu haben“, gebe ich subtil zurück und verlasse mit einem kleinen Lächeln den Raum. „Ich muss mich beeilen. Simon wartet bestimmt schon auf mich.“
„Tut er wirklich!“ Ruft sie mir noch hinterher und ich schlüpfe in meinen warmen Mantel.
Hoffentlich darf ich wieder neben Tom sitzen.

„Ich freu mich für dich, dass das mit Riddle geklappt hat“, sagt Simon nach einiger Zeit des Schweigens.
„Danke! Er hat sich fast genauso dämlich angestellt wie du mit Laura“, kichere ich.
„Nein, dämlicher. Ich habe sie wenigstens zum Weihnachtsessen eingeladen. Er hat dich nicht gefragt“, grinst er stolz.
„Er hat gleich niemanden gefragt.“
„Wenn nicht dich, wen sonst? Du warst schon vor eurer Beziehung das einzige Mädchen mit dem er alleine Zeit verbracht hat.“
„Wirklich?“ Stelle ich mich blöd. Wenn er nur wüsste, das Tom eigentlich gar keine Freundin hat während der Schulzeit.
Ob ich die Zukunft durch mein eingreifen in der Vergangenheit sehr verändere?

„Da sind ja die Gryffindors! Setzen sie sich! Claire ich habe ihren Platz neben Tom extra für die reserviert! Ach, wie schön es doch ist, dass sie endlich zu einander gefunden haben! Ich habe von Anfang an gewusst, dass sie für einander bestimmt sind. Das sie für das letzte Jahr auf unsere Schule wechselten, ist Schicksal. Schicksal nenne ich das. Sie sind wie für einander gemacht. Ich könnte mir keine bessere für unseren Tom vorstellen“, lässt mich Slughorn wissen und führt mich zu meinem Platz.
„Passen sie gut auf ihre Freundin auf, Tom!“ Mahnt er noch mit einem Augenzwinkern und eilt zu seinem Platz, da nun alle vollständig anwesend sind.
„Hast du gehört? Du sollst gut auf mich aufpassen“, zwinkere ich ihm zu und er hebt einen Mundwinkel spöttisch.
„Auf dich kann man nicht aufpassen. Du machst, was du willst.“
„Das stimmt nicht!“ Schmollend verschränke ich meine Arme vor der Brust und sehe gerade aus.
„Benimm dich anständig!“ Seufzt er und lächelt über eine Anekdote des Professors, die ich verpasst habe.
Schnaubend gebe ich meine Haltung auf und wende mich dem Professor zu, der ausnahmsweise Mal während der Vorspeise eine Geschichte erzählt, die ihm in den Ferien passiert ist. Scheinbar ist er dem Raum der Wünsche begegnet, der mit seinen Leibspeisen gefüllt war.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Professor ständig ans Essen denkt.

Einige Zeit nach dem Dessert unterhalten sich alle Schüler kreuz und quer mit einander. Ich höre gerade mit Tom Simon zu wie er Jessica in den Ferien überrascht hat, als Catherine Deuce, die uns gegenüber sitzt, anfängt lauter zu reden, sodass Tom, Simon und mir ihre Worte auf keinen Fall entgehen können.
„Ich frage mich, was er von ihr will Er könnte fast jede haben, aber er nimmt ausgerechnet so ein Mauerblümchen! Sie weiß nicht einmal etwas aus ihrem Aussehen zu machen!“ Kräht sie provokant und lächelt arrogant mit ihren rotgeschminkten Lächeln. Ich greife Halt suchend nach Toms Hand.
Er schließt seine Finger fest um meine, als er es merkt.
„Ich habe gehört, dass sie nicht einmal den Boden putzen kann wie eine gewöhnliche Hexe“, lästert sie weiter. Ihr Sitznachbar fühlt sich sichtlich unwohl.
Tom Blicks haftet fest, auf dem Duo vor uns. Seine Augen sind eiskalt und ich würde mich vor ihm fürchten, wenn ich nicht wüsste, dass es sich nicht gegen mich richtet.
Inzwischen hören alle Catherines Boshaftigkeiten zu. Sogar Professor Slughorn, der sichtlich geschockt aussieht über so viel Arroganz.
„Du sprichst sehr anmaßend, Catherine“, unterbricht Tom sie in ihren Tiraden.
Sie wendet sich ihm mit einem falschen Lächeln zu.
„Oh, Tom. Ich wusste nicht, dass du mir zu hörst“, meint sie mit einem gewinnenden Lächeln. Simon zieht scharf Luft ein.
„Was du nicht sagst“, lächelt Tom herablassend. „Ich bitte dich trotzdem in aller Förmlichkeit darum dich zu entschuldigen.“
„Schafft sie es nicht selbst mit mir zu reden?“ Geht sie in Angriffsstellung.
„Doch, dass schafft sie“, lächele ich kalt. Tom drückt meine Hand fester. „Aber, warum sollte ich?“ Herausfordernd ziehe ich eine Augenbraue hoch.
„Um ein wenig Ehre zu bewahren?“ Faucht sie und Slughorn öffnet wie ein Fisch seinen Mund, nur um ihn wieder zu schließen.
„Du findest es ehrlos, dass mein Freund mich verteidigt?“
„Meine Damen!“ Schafft es Slughorn nun doch zu sagen. „Jetzt ist aber genug. Esst noch ein wenig Kuchen und genießt den schönen Abend. Seid doch friedlich.“
„Tut mir leid, Professor, aber ich würde mich jetzt gerne zu Bett begeben“, lächele ich ihn entschuldigend an und stehen auf. „ Gute Nacht, Simon.“
„Machen sie es gut, Miss. Schlafen sie gut“, verabschiedet mich Slughorn mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Ich begleite dich“, sagt Tom und steht auf. „Gute Nacht“, lächelt er in die Runde. Slughorn nickt wohlwollend und sieht mich mit einem „ich habe es Ihnen doch gesagt“ – Blick an.
Es ist sehr merkwürdig, wenn eine Lehrperson das macht. Wirklich irritierend.
Tom legt seine Hand auf meinen Rücken, bis die Tür hinter uns in das Schloss gefallen ist.
„Das hätte sie nicht tun sollen.“
„Es ist in Ordnung, Tom. Sie spricht nur das aus, was alle anderen denken“, lächele ich ihn schwach an.
„Sie haben kein Recht dazu über unsere Beziehung zu urteilen.“
„Ich weiß, aber das sind nun mal Menschen. Kein Mensch ist perfekt“, nehme ich sie in den Schutz, verdrängend, dass mich dich bösen Worte verletzen.
„Ich hoffe, dass du weißt, dass nichts von dem wahr ist, was sie gesagt hat?“
„Ich bin eine Niete in Haushaltsführung, Tom. Das weißt du.“
„Und du weißt, dass es mir egal ist.“
„Eben. Lass sie einfach reden. Sie werden sich wieder einkriegen.“

Gemütlich liege ich auf Toms Bett, fertig zum Schlafen gehen und lese in Chantals Buch. Es ist ein absolut rosarotes Buch. Das es ein Happy End haben wird, war von der ersten Seite an selbstverständlich, als die wunderschöne Protagonistin dem unglaublich attraktiven Zauberer begegnet.
Trotzdem lese ich gespannt wie sie langsam zu einander finden.
Was muss der Kerl so miesepeterig sein?
„Du liest wirklich dieses Buch?“ Fragt mich Tom verwundert und kommt auf mich zu. An den Bettpfosten gelehnt beobachtet er mich.
„Ja, warum nicht?“
„Weil da nur Lügen geschrieben stehen.“
„Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, Tom. Da ist immer etwas wahres vorhanden“, versuche ich ihm zu erklären.
„Es gibt keine Liebe. Das ist die Erfindung von Schwachen“, spöttisch verzieht er den Mund und sieht auf mich herab. Ich lege das Buch weg und sehe ihm ins Gesicht.
„Glaubst du wirklich, dass nur die Schwachen lieben können?“
„Nein, ich glaube, dass sich die Schwachen eine Illusion schaffen an die sie festhalten können, damit sie etwas im Leben haben, dass sie von der Realität ablenkt. Sie soll ihnen Schutz bieten, ihre Angst vor dem Leben mindern.“
„Ich finde, dass gerade Liebe stark macht. Stärke beweist. Man macht sich verletzlich, wenn man jemanden liebt und es der Person sagt. Sich dieser Gefahr auszusetzen, bedeutet für mich Stärke, Tom“, ruhig sehe ich ihn an.
„Du glaubst also daran?“
„Ja, ich glaube, dass es Liebe gibt. Auch, wenn ich jetzt schwach in deinen Augen wirke. Wie sollte ich sonst meine Gefühle für dich beschreiben?“ Fragend sehe ich ihn an.
„Lass uns über etwas anderes reden. Ich will mich nicht mit dir über etwas streiten, was es gar nicht gibt“, sagt er kühl und setzt sich neben mich. „Willst du wirklich nicht, dass ich die Mädchen zum Schweigen bringe?“
„Nein, Tom. Das ist mein Kampf. Lass sie einfach und komm jetzt ins Bett. Ich bin müde und will mit dem unromantischsten Kerl der Welt kuscheln.“
„Du willst Romantik?“ Entsetzt sieht er mich an.
„Oh Merlin, nein“, lache ich los. „Das würde nicht zu dir passen.“
„Salazar sei Dank habe ich dich zur Freundin“, seufzt er und kommt zu mir unter die Decke.
Sofort kuschele ich mich an seine Seite und nehme meine übliche Position ein.
Ich wusste schon immer, dass er nicht an die Liebe glaubt.
Ich habe nie daran gedacht,, nie darauf gehofft, dass ich ihm vom Gegenteil überzeugen kann. Aber es noch einmal gesagt zu bekommen, setzt es unverdrängbar in meinem Kopf fest.
Mein Freund glaubt nicht an die Liebe.
Vielleicht kann er sie wirklich nicht empfinden. Aber, was fühlt er dann, wenn er mit mir zusammen ist? Wenn er mich küsst? Wenn ich mich an ihn kuschele?
Was fühlt er dabei? Fühlt er überhaupt etwas?
Wenn er mich nicht liebt, warum ist er dann mit mir zusammen?“
„Tom?“
„Hm?“
„Warum bist du mit mir zusammen?“ Angespannt halte ich die Luft an.
„Weil du mir gehörst“, antwortet er simpel. „Und jetzt lass mich schlafen.“
„Weil ich dir gehöre? Was soll das heißen?“
„Meinst du die Frage ernst?“
„Klingt es nach einen Scherz?“ Pampe ich ihn beinahe an.
„Claire. Du gehörst mir einfach. Ich will dich nicht mit anderen teilen, du bist meine Freundin und du wirst mich nicht mehr los. Du bist mein.“
„Oh...“, gebe ich intelligent von mir. War das ein indirekter Heiratsantrag oder spinne ich?
„Jetzt schlaf!“
„Nacht.“
Okay. Er ist also mit mir zusammen, weil ich ihm gehöre. Er erhebt Besitzansprüche auf mich. Zeigt das nicht, dass er etwas für mich empfindet?
Eifersucht ist doch eigentlich ein positives Zeichen...
Aber man kann auch ohne Liebe zu Jemanden eifersüchtig sein.
Also, was empfindet er für mich?
Nur Besitzwille?
Aber, dann wäre er doch nicht so... liebevoll. Dann würde er mich nicht in den Arm nehmen, verteidigen, mit mir kuscheln, mich einfach küssen.
Merlin, was muss das so kompliziert sein?
Kann eine Beziehung überhaupt funktionieren, wenn nur ein Partner Gefühle für den anderen empfindet? Romantische Gefühle?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn auf keinen Fall verlieren will. Das ich es nicht verkraften würde ihn in der Schule zusehen ohne zu wissen, dass er zu mir gehört. Das letzte, was ich tun werde, ist mich von ihm trennen. Er ist so ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben geworden. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen sollte.
Meine Gefühle haben mich in eine Zwickmühle mit meinem Gewissen gebracht.
Vielleicht ist seine Einstellung ganz gesund. Wenn es keine Liebe gibt, kann man auch nicht das Herz gebrochen kriegen oder sich so fühlen, als würde einem das Gegenstück fehlen.
Und, was ist das Gewissen?
Es ist eine Reihe Wertvorstellungen, die ich von meiner Umwelt von Kindesalter an absorbiert habe. Wer sagt mir, dass das wirklich richtig ist?
Sicher denken das die Kinder von Todessern auch. Das sie Recht haben und ihre brutalen Handlungen einem höherem Ziel dienen.
Der Reinheit der Zaubereigemeinschaft.
Was soll ich bloß tun?
Sollte ich bei ihm bleiben? Alles aus meiner Zeit hinter mir lassen und die dunkle Lady an Lord Voldemorts Seite werden?
Aber, ich weiß doch gar nicht wie er in zehn Jahren sein wird.
Wird er mich dann behandeln wie einer seiner Todesser? Wird er mich verstoßen?
Wer versichert mir, dass sich nichts zwischen uns ändern wird?
Das Risiko ist hoch. Zu hoch.
Beim Pokern würde ich jetzt aussteigen, aber den Pokertisch des Lebens kann man nicht verlassen. Hier herrscht das Alles - oder – Nichts – Prinzip.
Was soll ich nur tun?
Woran kann ich festhalten?
Was kann ich glauben?

30. Januar 1945




Donnerstag


Glücklich sitze ich im Alte Runen Unterricht. Zwischen Tom und mir läuft es richtig gut. Ich könnte mir keinen besseren Freund vorstellen. Dorothe sitzt leise murmelnd neben mir und Anna kaut konzentriert auf ihrer Unterlippe.
Mein Leben ist momentan perfekt. In der Schule läuft es gut, sofern man Haushaltsführung nicht beachtet, ich habe Freunde mit den ich Spaß habe und gerne Zeit verbringe und einen Freund, der meine Knie mit einem Blick weich werden lässt, der mich so nimmt wie ich bin. Auch, wenn der Gedanke, dass er Voldemort ist immer wieder irritierend wirkt.
Sobald ich mit ihm zusammen bin, ist alles um mich herum vergessen. Es gibt nur noch ihn und mich.
Die Zeit scheint still zu stehen, der Augenblick scheint grenzenlos zu sein.
Jede Berührung brennt sich in meine Haut, dringt in mein Bewusstsein, benebelt meinen Verstand. Die Geborgenheit in seinen Armen lässt sich mit keinem Gefühl vergleichen.
Seine Lächeln lasse mich schwerelos fühlen, in eine andere Welt telepotieren. In eine Welt, wo es nichts schlechtes gibt. Utopia.
Seine Stimme klingt in meinen Ohren wie Engelsstimmen. Samtig weich, ausdrucksstark, wie eine Melodie des Herzens.
Wie wunderschön müsste erst sein Lachen sein?
Das Leben kann so wunderbar sein. Doch ich weiß, dass es nicht ewig perfekt bleiben kann. Irgendwann wird irgendetwas mein persönliches Paradies zerstören. Wie eine ferne Gewitterwolke hängt diese Gewissheit in meinem Verstand. Doch, jetzt genieße ich die Gegenwart.
Der Verlust wird kommen wie der Nagel in den Sarg. Das ist das Schicksal aller, niemand kann immer glücklich sein.
Ich kann nur hoffen, dass alles ein gutes Ende nimmt. Das ich mich richtig entscheiden werde. Richtig für mich, ohne die Welt aus den Augen zu verlieren.
Seufzend tunke ich meine Feder erneut in das Tintenfass. Manchmal frage ich mich, warum alles so kommen musste, wie es gekommen ist.
Warum bin ausgerechnet ich hier gelandet? Warum habe ich mich in Tom verliebt? Wieso bin ich nicht in dieser Zeit geboren und müsste mir keine Gedanken über eine baldige Trennung Gedanken machen?
Schon wieder so viele Fragen ohne Antwort.

8. Februar 1945




Samstag


Gemütlich sitze ich in Toms Zimmer und starre mit einer warmen Tasse Tee in der Hand in das funkensprühende Feuer. Wie ein Lied knistern die Holzscheite, wenn die Hitze über sie leckt.
„Worüber denkst du nach Claire?“ Fragt Tom in die Stille und legt seine Hände auf meinen Schultern.
„Über nichts bestimmtes“, lächele ich schwach und lege meinen Kopf in den Nacken, um den hinter mir Stehenden zu betrachten.
Weich schimmert seine blasse Haut in dem samtenen Schein. Seine perfekten Haare reflektieren das Licht und glänzen mit seinen dunklen Augen um die Wette. Er ist so schön und wirkt so menschlich in diesem Augenblick, dass ich nicht widerstehen kann und ihm an seinem dunkelgrauen Hemd zu mir runterziehe, damit ich ihn küssen kann.
Kurz erwidert er den Kuss und löst sich dann von mir. Schmollend schiebe ich die Unterlippe vor, woraufhin er um den Sessel herumläuft und ihn mit einem Schlenker seines Zauberstabes vergrößert. Dann setzt er sich neben mich und hebt die Wolldecke an, die ich über meine nackten Beine ausgebreitet habe, weil ich mich schon bettfertig machte und schlüpft ebenfalls darunter. Einladend hebt er seinen Arm hoch und ich rutsche näher an ihn heran, damit ich mich an seine Seite lehnen kann.
„Jetzt habe ich gar keine Schokokekse griffbereit“, meint er irgendwann trocken und bringt mich zum Kichern.
„Für was bist du ein Zauberer?“
„Nicht dafür“, sagt er belustigt.
„Hm“, schmolle ich und kuschele mich tiefer unter die Decke. „Dann hättest du nicht anfangen sollen über Kekse zu reden.“
Er verzieht keine Miene und küsst mich auf den Hinterkopf. „Mach den Zopf auf“, befiehlt er dann und zieht an meinen Haarspitzen.
Seufzend löse ich mich von ihm, öffne im aufrechten Sitzen die Klammer und löse den Zopf mit den Fingern.
Mit einer Hand streicht er meine Haare über meine Schulter und zieht mich wieder an sich. Kaum lehne ich wieder an ihm, fängt er an mit meinen Haaren zu spielen.
„Ich mag deine Haare. Sie schimmern wie rote Seide“, sagt er nach wenigen Augenblicken und dreht eine Strähne zwischen seinen Fingern.
„Wenn du sie so magst, warum muss ich sie immer schließen?“ Verwirrt runzele ich die Stirn. Er lacht leise und freudlos auf.
„Sie gehören mir“, sagt er dann simpel und ballt eine Faust mit meinen Haaren, zieht kurz und vorsichtig daran. „Niemand soll sie sehen können. Wenn ich könnte würde ich dich wegsperren“, lacht er leise und mir wird ganz mulmig zu Mute. Seinen zukünftigen Ich traue ich das wirklich zu.
„Das würdest du aber niemals tun, nicht wahr?“ Frage ich ängstlich und sehe ihn von unten an.
„Nichts, was du nicht willst“, beruhigt er mich und streicht kurz über meinen Oberarm.
Seufzend lehne ich meinen Kopf an seine Schulter und genieße seine Nähe, die Wärme, die sein Körper ausstrahlt, sein Geruch, der je nach Situation die unterschiedlichsten Gefühle in mir auslösen kann.
Ruhe, Geborgenheit, Frieden, Entspannung oder einfach das unbändige Verlangen ihm nahe zu sein, ihn überall zu spüren, nie wieder gehen zulassen. Den Wunsch ihn fest zu halten bis ans Ende meiner Tage.
Langsam drehe ich meinen Kopf zu ihm und strecke mich, damit ich ihn auf die Wange küssen kann.
„Für was war der?“ Verwirrt sieht er mich an.
„Darf ich nicht einfach meinen Freund küssen?“
„Doch“, antwortet er ernst, dreht sich zu mir um, nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich zärtlich auf den Mund.
„Und womit habe ich mir den verdient?“ Frage ich ihn leicht lächelnd. Er zuckt mit den Achseln und streicht mir zärtlich über die Wange. Ich strecke mich lächelnd wieder und suche mit meinem Mund seine Lippen.
Erst küsse ich ihn einfach auf den Mund, bitte dann aber vorsichtig um Einlass, indem ich mit meiner Zunge über seine Unterlippe streiche. Sofort gewährt er mir diesen, übernimmt allerdings die Führung und drückt mich leicht gegen die Lehne, währenddem er mich bestimmend küsst.
Ich lasse meine Hände über seine Schultern gleiten und halte mich in seinem Nacken fest.
Ein warmes Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus, schenkt mir ein unglaubliches Glücksgefühl. Niemals hätte ich gedacht, dass jemand solche Gefühle bei mir auslösen kann. Nie.
Nie hätte ich gedacht, dass ich mal Jemanden lieben werde, der sich auch für mich interessiert.
Seine Hände streichen bedächtig durch meine Haare, über meinen Rücken und stoppen an meiner Taille. Das Kribbeln verstärkt sich augenblicklich, als er mich festhält. In meinem Unterleib zieht es leicht und leicht beschämt versuche ich mich zurück zu ziehen. So wie ich ihn einschätze, würde er es nicht gut heißen, wenn ich über ihn herfalle.
Mit einem kleinen Lächeln sehe ich zu ihm hoch und versinke in seinen dunklen Augen. Durch das Flackern des Feuers wird der Rotstich betont und glänzen gefährlich und gleichzeitig beschützend auf mich herab. Seine hohen Wangenknochen werfen Schatten auf sein Gesicht und lassen es markanter wirken. Er ist einfach wunderschön.
Seine feingliedrigen Hände schließen sich um meinen Kopf, halten mich fest, als er mich erneut küsst.
Diesmal mit mehr Gefühl, mit mehr Tiefe.
Ein Sehnsucht weckender Kuss nach den Herz des Gegenübers. Flatternd schließen sich meine Augenlider, als ich mich vollkommen dem berauschenden Gefühl hingebe.
Vorsichtig knie ich mich während des Kusses hin und lehne mich zu ihm vor. Er zieht mich seinerseits ein Stückchen näher an sich heran und streicht mir über den Rücken.
Er löst sich von mir und steht auf. Schwer atmend sehe ich zu ihm auf und beobachte mit großen Augen wie er um den Sessel herum geht und hinter mir zu stehen kommt. Schnell drehe ich mich um, damit ich ihn nicht aus den Augen verliere. Wie kann er in so einem Moment einfach aufstehen?
Er stellt sich direkt hinter die Lehne und ich richte mich ein Stückchen auf. Ihn gegenüber kniend lächele ich ihn schüchtern an. Selbstbewusst beugt er sich zu mir runter und küsst mich wieder verlangend.
Seine Hände liegen auf meiner Taille und geben mir keine Möglichkeit mich ein Stück von ihm wegzubewegen oder den Kuss zu unterbrechen. Schwer atmend kralle ich meine Finger in seine Haare und ziehe leicht daran. Als Antwort darauf hebt mich am Hintern hoch, sodass ich auf der Sessellehne zu sitzen kommen und meine nackten Beine um seine Hüfte schlinge. Seine Zunge spielt gefühlvoll mit der meinen.
Seine Hände wandern zärtlich über meinen Körper. Meine streichen forschend über seinen Rücken, seinen Bauch, seine Brust.
Der störende Stoff regt mich plötzlich fürchterlich auf. Kann er das Shirt nicht einfach ausziehen?
Mit einem Ruck hebt er mich von der Lehne und trägt mich zum Bett. Dort lässt er mich vorsichtig auf die Matratze gleiten, ohne den Kuss zu unterbrechen.
Vorsichtig beginnen seine Hände auf und ab zu wandern. An meinen Brüsten zögern sie kurz, ehe er unglaublich sachte darüber streicht und anfängt sie zu massieren.
Ich lasse ebenfalls meine Hände wieder wandern und fahre unter sein Shirt, um seine warme Haut zu fühlen. Ein Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus, ein Kribbeln, dass meinen Verstand ausschaltet und mich forscher werden lässt.
Bestimmt ziehe ich ihm das T- Shirt über den Kopf, wobei wir den Kuss unterbrechen und keuchend nach Luft schnappen.
„Deine letzte Chance nein zu sagen“, stellt er mir das Ultimatum und ich küsse ihn fordernd zur Antwort.
Stück für Stück ziehen wir uns gegenseitig aus und erkunden den Körper des Gegenübers.
Seine Berührungen jagen kleine Stromstöße durch meinen Körper, meine Nervenenden bitzeln, mein Kopf scheint die Informationen nicht verarbeiten zu können.
Er kniet nackt zwischen meinen Beinen und streichelt meine Schenkel, meinen Bauch, meine Brüste. Es scheint keinen Zentimeter Haut zugeben, den er nicht erkundet.
Langsam legt er sich auf mich und küsst mich. Erregend zieht seinen Zunge meine Lippen nach, dann wandert er mit kleinen Saugenden Küssen meinen Hals herunter zu meinem Schüsselbein. Seine darüber leckende Zunge entlockt mir ein Keuchen. Seine Lippen wandern weiter zu meinen Brüsten. Seine Zähne jagen mir eine Schauer über den Rücken, als sie meine Brustwarze streifen und seine Küsse lassen mich die Welt um uns herum vergessen.
Erschrocken ziehe ich die Luft ein, als ich seine Spitze an meiner Öffnung spüre. Kontinuierlich dringt er in mich ein und ich beiße mir auf die Unterlippe und nicht vor Schmerz aufzukeuchen. Ein Stechen durchzieht meinen Unterleib, als er mich ausfüllt und einen Moment schwer atmend verharrt, ehe er anfängt sich zu bewegen.
Der anfängliche Schmerz lässt mit jedem Stoß nach und ich beginne mich zu entspannen und mein Becken in seinen Rhythmus mitzubewegen.
Eine dünne Schweißschicht bildet sich auf unseren Körpern und ich merke wie ich meinem Höhepunkt immer näher komme. Ich schnellen Schritten scheint er mich überrollen zu wollen. Tom bewegt sich immer schneller und katapultiert mich über die Klippe.
Einen Schrei unterdrückend beiße ich ihm fest in die Schulter. Schmerzerfüllt schreit auch er auf und kommt mit einem weiteren heftigen Stoß.
Sofort rollt er sich von mir runter und legt sich neben mir auf den Rücken. Schwer atmend blicke ich an die Decke und frage mich, ob das eben die richtige Entscheidung war.
Nicht ein Wort sagt er zu mir, er liegt einfach da und atmet tief ein und aus. Schwer schluckend versuche ich meine Gefühle zu ordnen, doch ehe ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, zieht mich Tom in seine Arme.
Liebevoll küsst er meinen Scheiten und streicht über meinen nackten Rücken. Schweigend lege ich meine Hand auf seine Brust und lausche seinem festen, ein wenig zu schnellen Herzschlag, der mich langsam, aber sicher in den Schlaf lullt.

9. Februar 1945




Sonntag

Die aufgehende Sonne weckt mich am nächsten Morgen. Ihr warmes, sanftes Licht flutet den Raum mit der Stimmung der Morgendämmerung.
Ein erquickendes Erfreuen der Seele am neuen Tag, der so viele Dinge offen hält.
Ich liege immer noch nackt und fest an Tom gedrückt unter der warmen Decke und atme tief seinen herben Geruch ein.
Nichts könnte mir mehr Freude bereiten, als dieser perfekte Moment.
Tom liegt ganz still unter mir und atmet gleichmäßig. Wenn ich nicht sicherwüsste, dass die Vorhänge gestern Abend geschlossen waren, würde ich davon ausgehen, dass er noch schläft.
Noch schläfrig lege ich meinen Kopf, der immer noch auf seiner Brust ruht in den Nacken, um sein blasses Gesicht betrachten zu können.
Seine Augen schielen ausdruckslos zu mir runter, während seine Hand sachte durch mein Haar streift.
„Guten Morgen, Claire.“
„Morgen, Tom“, lächele ich ihn glücklich an und schlinge meinen Arm, der über seiner Brust liegt, fester um seinen Körper. „Ich hoffe du hast gut geschlafen?“
„Bestens“, gibt er zurück und dreht seinen Kopf zum Fenster. „Es hat heute Nacht geschneit?“
„Und?“ Rundum glücklich lege ich meinen Kopf wieder bequemer auf seine Brust.
„Ich dachte, du willst vielleicht mit mir in dem Neuschnee ein wenig am See spazieren gehen“, schlägt er mit einem nebensächlichen Ton vor.
Überrascht richte ich mich auf meinem Ellenbogen auf und sehe ihm ins Gesicht. „Du willst mit mir spazieren gehen?“
„Warum nicht?“ Nonchalant zuckt er mit dem Achseln. „Ich dachte, du magst Schnee.“
„Natürlich tue ich das“, strahle ich ihn an und setzte mich auf. „Gehen wir vorher zum Frühstücken in die Große Halle?“
„Zieh dich an, mach dir die Haare, dann können wir runter gehen.“
Automatisch höre ich auf ihn, krabbele aus dem Bett, nehme mir aus seinem Schrank, die von mir hiergelassene, Kleidung und laufe lächeln in das Bad. Mit seinen Blick auf meinem Körper sehr wohl bewusst.
Im Bad gehe ich schnell auf die Toilette und schlüpfe danach in meine warme Kleidung. Mit gerunzelter Stirn stehe ich vor dem Spiegel, mache mir einen Dutt und denke über eine dritte Wollstrumpfhose nach, als Tom hereinkommt, um auf die Toilette zu gehen und sich die Zähne zu putzen.
Im Einklang stehen wir vor seinem Spiegel und das Geräusch unserer Zahnbürsten scheint sich wie automatisch während des Putzens zu synchronisierend.
Nur mit Mühe unterdrücke ich das Grinsen, welches sich auf meine Züge zu schleichen droht und den ganzen Schaum aus meinem Mund laufen lassen würde.
Schnell spucke ich aus und spüle mir den Mund aus, ehe ich die Bürste reinige und ins Zimmer zurückgehe. Dort lege ich Schal, Handschuhe und Mantel für ihn und mich zurück und warte darauf, dass er aus dem Bad kommt.
Mit leicht gehobenen Mund winkeln kommt er aus dem Bad, schließt die Tür und kommt auf mich zu.
„Können wir?“
„Klar, Tom“, lächele ich ihn zärtlich an und greife nach meinen Sachen. Den Mantel ziehe ich schon im Gang an, dass es im ganzen Schloss empfindlich kalt ist.
Schweigend machen wir uns auf dem Weg zum Frühstück in einer fast leeren Halle. Keiner meiner Freunde ist anwesend und ebenso ist es mit Tom, weswegen wir uns einfach gemeinsam an ein Ende seines Haustisches begeben und in friedlicher Übereinkunft speisen.
Professor Dippet schenkt uns immer wieder wohlwollende Blicke und Dumbledores Blick liegt von Zeit zu Zeit forschend auf uns.
Er hat Tom noch nie getraut. Von dem Moment an nicht, als er in zum ersten Mal im Kinderheim besucht hat.
Wie Recht er damit doch hatte. Was für eine weise Voraussicht in schon in diesen jungen Jahren begleitet hat.
Dumm nur, dass meine Sympathie für ihn ziemlich gesunken ist. Wie kann er sich anmaßen Menschen wie Schachfiguren zu behandeln?
Woher nimmt er dieses Recht?
„Können wir?“ Tom steht auf, ehe ich zu einer Antwort ansetzten kann, sodass ich es ihm eilig nachtue und beim Verlassen des Raumen mir meinen kuscheligen Wollschal umwickele und meine Handschuhe übersteife.
Die kalte Winterluft schlägt mir entgegen, sticht wie eisige Nadeln auf den freien Stellen meiner Haut. Glücklich verziehen sich meine Lippen zum einem Lächeln. Meine Augen haben gewiss dieses fröhliche Funkeln in ihrem Blick, dass Neville immer dazu gebracht hat, ebenfalls fröhlich zu werden, als ich mich der schlangen Gestalt neben mir zuwende.
„Bereit für eine Schneeballschlacht, Tom?“
„Schneeballschlacht?“ Fragend sieht er mich an. Lachen springe ich die Eingangsstufen runter und forme auf der Wiese meinen ersten Ball und werfe ihn auf ihn. Schnell zieht er seinen Zauberstab und zerschlägt den Ball mit einem Zauber.
Lachend lege ich den Kopf in den Nacken und lasse sein erschrockenes Gesicht noch einmal Revue passieren.
Bis mich ein großer Ball am Arm trifft. Erschrocken sehe ich ihn an, ehe sich eine freches Grinsen in mein Gesicht schlecht.
„Verlegen wir die Schlacht an den See?“ Frage ich ihn und sehe zu den erleuchteten Fenstern des Schlosses hoch. Es ist immer noch nicht richtig hell geworden.
„Komm“, befiehlt er und stampft durch den knöcheltiefen Schnee vor.
Mit einem leichten Lächeln folge ich seiner dunklen Figur und greife nach seiner Hand, sobald ich ihn am See eingeholt habe. Sofort verstärkt sich sein Griff darum, als er am gefrorenen Ufer entlang läuft. Was der Kraken da unten wohl macht? Können Kraken frieren?
„Ich liebe den Winter“, seufze ich genießerisch und kicke mit meiner Schuhspitze ein wenig Schnee vor mir her.
„Es gibt schlimmeres“, stimmt er mir zu.
„Eben. Und in Schottland gibt es wenigstens Schnee. Kannst du dir vorstellen, dass es Länder ohne Jahreszeiten gibt?“
„Das ist ganz logisch, Claire.“
„Ja, ich weiß. Aber trotzdem. Nie Schnee, kein buntes Laub oder nie Sonne. Stell dir das doch einmal vor!“
„Es geht schlimmer“, wiegelt er ab.
„Es geht immer schlimmer“, versuche ich sein Argument zu entkräften.
„Immer?“
„Ja, immer“, nicke ich bestätigend.
Selbst deine Tyrannenherrschaft könnte schlimmer sein. Selbst die. Schnell schüttele ich den Kopf, um den Gedanken los zu werden.
„Anstelle von einem Waisenhaus hättest du zum Beispiel auf der Straße landen können.“
„Hätte ich nicht. Wenn meine Mutter mich auf der Straße geboren hätte, wäre ich tot.“
„Sie hat dich halt geliebt“, lächele ich zu ihm auf.
„Nein, meine Mutter hat sich geliebt. Und meinen Vater auf eine kranke Art und Weise. Mich hat sie verlassen.“
Seufzend drücke ich meine Seite kurz an ihn, woraufhin wir schweigend weiterlaufen. Ich will die Nachmittagsstimmung nicht zerstören.

Nachdenklich sitze ich neben Tom in seinem Zimmer vor dem Kamin. Wir waren gerade Abendessen und gleich gehe ich in den Gryffindorturm um schlafen zu gehen.
Das Gespräch von heute Mittag will mir einfach nicht aus den Kopf gehen.
Hat er ein Kindheitstrauma? Ein Muttertrauma? Seine Worte klangen für mich sehr herabwürdigend, als würde er seine Mutter nicht respektieren. Die Toten nicht achten.
Sind alle, die sterben schwach, also unwürdig in seinen Augen?
Bereut er deshalb keine seiner Taten?
Ist sein Charakter, sein Wahn einfach ein Resultat aus einem Trauma? Einem falschen Weltbild, das er in seiner Kindheit erlernt hat?
Ist er so, weil sie nie jemand wirklich um ihn gekümmert hat?
„Wie sie wohl war“, flüstere ich mehr zu mir selbst, als zu ihm.
„Wen meinst du?“ Antwortet er unerwartet. Ich dachte, dass er weiß wen ich meine und meinen Satz einfach übergeht.
„Deine Mutter, Tom“, erkläre ich vorsichtig und ziehe meine Beine an meinen Körper.
„Sie war eine schlechte Mutter. Sie zog den Tod vor, anstelle mich groß zu ziehen.“
„Ich denke, sie hat dich geliebt, Tom. Sie hat ihr Leben für dich gegeben.“
„Sie war schwach.“
„Liebe ist keine Schwäche, Tom.“
„Es gibt keine Liebe“, zischt er bedrohlich und steht auf, bleibt kurz vor dem Feuer stehen. „Sie hätte um ihr Leben kämpfen müssen. Jede Hexe kümmert sich um ihr Kind. Doch sie zog den Tod vor um sich aus ihrem eigenen Elend zu befreien. Dafür hat sie mich in eins geschickt.“
„Bei ihr wäre es dir wahrscheinlich schlechter ergangen. Sie hatte kein Geld für Essen. Für nichts hatte sie Geld. Du wärst verhungert und sie mit dir. Sie gab dir dein Leben, Tom“, rede ich auf ihn ein und stehe meinerseits auf.
„Gute Nacht, Claire“, verabschiedet er mich unmissverständlich. Innerlich seufzend greife ich nach meinen Umhang.
„Gute Nacht, Tom. Wir sehen uns in Verwandlung“, sage ich ein wenig enttäuscht, obwohl ich damit hätte rechnen können. Die Reaktion ist typisch.
Leise ich schließe ich seine Tür hinter mir und bleiben für einen Moment stehen im kalten Flur, ehe ich zügig den Turm anpeile.
Was muss er erlebt haben, um nicht an die Liebe zu glauben?
Den dieser Fehlglaube, diese Ignoranz der Kraft der menschlichen Seele, ist eine Schwäche und letztendlich die, die ihn zu Fall bringen wird.

10. Februar 1945



Montag

Wie üblich schäle ich mich vor der Morgendämmerung im Winter aus dem Bett und tapse ins Badezimmer, wo ich mich gemütlich fertig mache, ehe ich in die Bibliothek gehe, um ein wenig für die Abschlussprüfungen zu lernen. Auch, wenn mir diese hier nicht angerechnet werden, will ich nicht vor Tom wie die letzte Idiotin dastehen.
Die Sonne wird heute nicht vor dem Frühstück aufgehen. Eine dicke Wolkendecke hängt schwer am Himmel und scheint nur darauf zu warten ihre weiße Last auf die Erde abzuladen. Wie dicke Wattekugel staut sie sich am Himmel und wabert hin und her in dem Winden der höheren Sphäre.
Es ist ein trister Morgen, der eine nachdenkliche Stimmung erzeugt.
Hoffentlich ist Tom heute wieder besser gelaunt, als gestern Abend.
Ich hasse es, wenn er mich stur ignoriert, obwohl er das vor den Mitschülern eher weniger machen wird.
Der Schulsprecher verliert nicht sein Gesicht.

Wie erwartet begrüßt er mich vor dem Verwandlungsraum, als wir uns vor ihm begegnen.
Seine Freunde stehen hinter ihm. Die Hackordnung klar geregelt. Umso näher einer an ihm steht, desto angesehener ist er. Abraxas Malfoy scheint seinen Posten als rechte Hand erfolgreich zu verteidigen.
Den Rest des Tages verbringe ich mit Tina, da die anderen mit ihren Freunden unterwegs sind. Tina findet es unheimlich praktisch, dass Tom und ich uns hauptsächlich an den Wochenenden sehen, da sie ansonsten so oft alleine wäre oder sich neue Freunde suchen müsste. Der restliche Jahrgang sei ihr allerdings zuwider.
Nur ein Kopfschütteln hat diese Aussage bei mir ausgelöst. Sie kennt doch die meisten gar nicht richtig und Zicken wie Jane kann sie doch nicht als Maß für den Jahrgang nehmen. Aber in der Hinsicht ist bei Tina Hopfen und Malz verloren.
Wenn sie sich an etwas festgebissen hat, ist sie wie eine Zecke. Sie lässt nicht mehr los.
Aber mir soll es recht sein. Dadurch habe ich eine gute Freundin gewonnen.

13. Februar 1945



„Tom?“
„Hm?“
Gemütlich schlendern wir durch die Gänge des winterlichen Schlosses. Es ist schon nach Ausgangssperre, doch ich habe mich dazu entschlossen ihn auf seinem Kontrollgang zu begleiten. Sozusagen, als persönlicher Unterhalten. Auch, wenn wir uns größtenteils anschweigen, was weder ihn, noch mich in irgendeiner weiße stört, sofern ich das von ihm beurteilen kann.
„Du verstehst dich doch in Gedankenkontrolle, nicht?“ Frage ich leise, damit mich niemand hört.
„Was willst du wissen?“ Fragend sieht er auf mich herab und macht sich nicht die Mühe seine Stimme zu senken.
Ich zucke mit den Achseln und traue mich nicht meine Frage zu stellen. Geschweige denn eine zu formulieren. Eine einzige Frage könnte das Fragezeichen in meinen Kopf höchsten verkleinern, nicht verschwinden lassen.
„Gedankenkontrolle, Claire ich einfach eine Form der eigenen Magie. Umso stärker deine Magie ist, desto größer ist deine Macht in der Kontrolle von Gedanken. Man kann es erlernen wie das Lesen von Gedanken. Willenskraft spielt eine sehr große Rolle darin. Du musst es wirklich wollen, nicht einfach wünschen. Dein Verlangen die Gedanken deines Gegenübers zu kontrollieren zu lenken, ihn somit zu lenken, muss stark sein. Stärker als der menscheneigene Wille seinen Körper zu beherrschen. Selbst, wenn das Opfer nicht weiß, dass es angegriffen wird. Du musst dich langsam in den Kopf deines Gegners vor tasten, unauffällig, unbemerkt, ansonsten könnte er gegen dich ankämpfen und dein ganzes Vorhaben zu nicht machen. Es ist wie ein Imperius – Fluch, der abbricht, wenn du dich nicht mehr konzentrierst. Oder der Gegner zu weit weg ist.“
Verstehend nicke ich. Es hat manchmal echt Vorteile, dass er meistens weiß, worauf ich hinaus will.
„Habe ich alle deine Fragen beantwortet?“ Schmunzelt er auf mich herab.
„Ich denke schon“, lache ich. „Zumindest fürs Erste.“
„Schön, dass ich dir weiterhelfen konnte.“
„Beherrschst du Gedankenkontrolle?“
„Was heißt beherrschen?“
„Kannst du sie anwenden?“
„Ja.“
Da ich diese Antwort erwarte habe, nicke ich nur verstehend und drücke seine Hand.
„Ich bring dich zu deinem Turm. Du musst schlafen. Sonst wirst du morgen im Unterricht nicht gut sein.“
Mit einem leichten Kopfschütteln lasse ich mich von ihm durch die Gänge ziehen. Was ist das denn für eine Argumentation?
„Bis morgen“, verabschiedet er sich mit einem zärtlichen Kuss. „Schläfst du wieder bei mir?“
„Das ganze Wochenende, wenn du es mir erlaubst“, strahle ich ihn an.
Er nickt einmal kurz, dreht sich um und scheint nach zwei weiteren Schritten mit der Dunkelheit der Schatten zu verschmelzen.

25. Februar 1945



Porridge essend sitze ich beim Frühstück zwischen Tina und Chantal. Die morgenmufflige Tina kaut langsam auf den Flocken ihres Müslis herum, während Chantal sich ein typisch englisches Frühstück aufgetan hat und alles mit einander isst.
Mir soll es recht sein, spätestens im Magen wird eh alles vermischt.
Die Quidditchspieler hatten gestern Abend bis spät in die Nacht Training und haben sich bis jetzt nicht aus ihren Betten bemüht, weshalb Simon der einzige Junge in unserer Runde ist und sein Geschlecht Kaffee schlurfend repräsentiert.
„Ich habe absolut keine Lust auf Zauberkunst“, stöhnt Tina ungehalten und seufzt herzzerreißend. „Könnte ich nicht gleich jetzt Pflege magischer Geschöpfe haben?“
„Es sind doch nur zwei Stunden“, versuche ich sie zu beruhigen.
„Eben! Zwei! Zwei Stunden! Ich hätte das Fach abwählen sollen. Dann hätte ich immer noch genug UTZ – Fächer.“
„Es ist dein letztes Jahr und nur noch ein paar Monate. Das stehst du jetzt durch.“
„Du hast leicht reden Claire! Dir macht das Fach Spaß. Für mich ist das eine Tortur.“
„Übertreibst du nicht ein wenig, Schwesterherz?“ Mischt sich Simon ein.
„Hmmpf“, grummelt sie, wirft ihm einen furiosen Blick zu und schenkt sich ebenfalls Kaffee ein.
Kopfschüttelnd rühre ich Honig in meinen Tee. Wie kann man nur dieses bittere Zeug trinken? Ekelhaft!
„Versuch einfach nach vorne zusehen“, schlage ich ihr vor. „Um vierten nach drei haben wir für heute Schluss und dann können wir zusammen Hausaufgaben machen, bis ich mit Tom verabredet bin.“
„Bin ich dann den ganzen Abend alleine?“ Seufzt sie jetzt schon mit gelangweilter Tonlage.
„Erst nach dem Abendessen“, schmunzele ich. „Und auch höchstens eine Stunde.“
„Du könntest die Zeit nutzen und mit lernen anfangen“, schlägt Jessica vor. „Oder mit Simon und mir irgendetwas machen. Karten spielen zum Beispiel.“
Langsam nickt Tina. „Ich denke darüber nach.“
Als ich meinen Kopf drehe, sehe ich Benjamin und John die Halle betreten und mit langen Schritten auf uns zukommen. Die Frühstückszeit ist fast vorbei und sie müssen sich beeilen, wenn sie ihren Hunger noch ausreichend für den Tag stillen wollen.
„Gehen wir schon mal vor?“ Frage ich Chantal die soeben ihren letzten Schluck Orangensaft getrunken hat.
„Mhm“, nickt sie und greift nach dem Henkel ihrer Tasche um sich diese über die Schulter zu hängen.
„Bis gleich“, verabschieden wir uns unisono und verlassen gemütlich die Halle und machen uns ohne Hetze auf den Weg die Treppe nach oben.
Vor dem Klassenraum lehne ich mich an die Wand und schenke Tom ein strahlendes Lächeln, der mit seinen Anhängern keine fünf Schritte von mir entfernt steht.
Aber weder er noch ich können es leiden vor anderen Leuten körperliche Zuneigung zu zeigen. Und reden können wir nachher genug. Warum jetzt keine Zeit mit Freunden verbringen?
Eben.
„Hast du mitbekommen, dass Chantal und John nach einer gemeinsamen Wohnung suchen?“
„Ja“, nicke ich. „Sie hat es mir gestern freudestrahlend erzählt. Wollen sie eigentlich heiraten?“
„Selbstverständlich“, lacht Tina auf. „Sonst würde sie ja nicht zusammen ziehen. So was macht man nicht!“
„Stimmt“, bestätige ich und könnte mich innerlich ohrfeigen. Die Moralvorstellungen sind hier ja noch ganz andere, als zu meiner Zeit. Daran hätte ich denken müssen. Ein Wunder, dass Tom mich überhaupt anrührt und mit mir schläft.
„Haben du und Tom schon darüber geredet?“
„Nein“, schüttele ich den Kopf. „Wir sind doch noch gar nicht solange zusammen und wenn wir den Abschluss haben und wissen wie es weitergeht, haben wir noch genug Zeit, um über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Stressig ist das Leben auch so genug.“ Außerdem weiß ich nicht, ob ich dann noch hier bin, schießt es mir durch den Kopf und eine leichte Melancholie sickert durch meinen Körper. In wenigen Monaten könnte das alles vorbei sein, wenn ich mich nicht entscheide für immer zu bleiben, doch dann würde ich all meine Freunde verlieren. Nur Tom würde mir bleiben.
Und wer weiß, wie lange er noch Tom wäre? Wann er der Lord Voldemort wird, der er in meiner Zeit ist?
Ich habe darauf keine Antwort und der Einsatz ist mir eigentlich zu hoch bei diesem Risiko.
Niemals möchte ich mein Leben als Todesserin fristen, für ihn morden, foltern, falschen Ideologien nachhängen.
Denn nichts anderes ist das. Das Verrennen in ideologische Sturheit.
Mit einem schwachen Quietschen schwingt die Tür zum Klassenraumgenau in dem Moment auf, indem die anderen bei uns ankommen.
Als geschlossene Gruppe betreten wir den Raum und setzten und auf unsere Plätze, wo wir unsere Unterlagen zurechtlegen.
Professor Crook begrüßt den Kurs und beginnt mit seinem Unterricht.
Hoffentlich schläft Tina nicht ein.

Den Vormittag haben wir unbeschadet überstanden, Tina ist nicht einmal in Zauberkunst weggedöst und die Hausaufgaben halten sich auch in Grenzen. In Haushaltsführung, das Fach, welches wir als nächstes haben, werden wir auch keine weiteren Hausaufgaben aufbekommen, da alle noch an ihrem Schal arbeiten.
„Ich bin ja mal auf das Programm von Professor Pucey für heute gespannt“, meint Chantal ehrlich und läuft mit Jessica ein Stückchen vor Tina und mir, damit wir niemanden behindern, die durch denselben Gang in die andere Richtung gehen.
„Kochen“, nuschelt Tina genervt. „Bei dem Wetter kann sie und nicht die Fenster putzen lassen.“
„Vielleicht putzen wir auch. Darin haben wir dieses Jahr noch kaum neue Sprüche gelernt. Dabei hätte ich so gerne einen Spruch mit dem ich ganzeinfach Silberbesteck reinigen kann“, meint Jessica nachdenklich.
„Und ich würde das Fach gerne abwählen“, gebe auch ich meinen Senf dazu und streiche eine kürzere Strähne, die sich aus dem Flechtdutt gelöst hat, hinter mein Ohr.
„Geht nicht“, jammert Tina und wird ein wenig langsamer, als die Tür ich Sicht kommt.
„Lass es uns hinter uns bringen“, muntere ich sie auf und folge Jessica und Chantal durch die hölzerne Tür.
Willkommen im Hausfrauenparadies.

„Heute lernen wir verschieden Zauber um unterschiedliche Gläser ihrer Form gerecht zu reinigen“, beginnt Professor Pucey mit forscher Stimme.
Tina stöhnt neben mir verzweifelt auf. Das kann was werden.
„Wir haben gewöhnliche Wassergläser hier, aber auch Tee-, Wein-, Sekt, Bier und Einmachgläser. In allen sind verschiedene Rückstände mit unterschiedlichen Verschmutzungsstufen. Es ist an euch eure Gläser mit dem Spruch zu reinigen und sie mir am Ende der Stunde zu präsentieren, damit ich eure Arbeiten benoten kann. Heute gibt es keine Partnerarbeit. Sobald ihr eure Gläser erhalten habt, dürft ihr beginnen“, mit strenger Miene blickt sie über die Schülerinnen und bleibt mit hochgezogenen Augenbrauen an Tina hängen. Diese stöhnt noch einmal gequält auf. Die Arme.
Mit einem aufheiternden Lächeln in ihre Richtung stelle ich mich an meine Hälfte unseres gewöhnlichen Gruppentisches und warte gespannt auf meine Gläser und die Einleitung in den neuen Spruch.
Das kann doch eigentlich nicht so schwer sein. Ich meine, es sind doch nur Reinugungszauber, ich soll keine Knochenheilen. Das steht erst im April auf dem Lehrplan.
Nack einiger Zeit fliegen eine Reihe Gläser auf mich zu und stellen sich sortiert vor mir ab.
Mit fester Stimme beginnt die Professorin den Zauber zu erklären und lässt uns einige Male trocken üben, ehe sie uns das Tafelbild abschreiben lässt, woraufhin wir mit dem Reinigung beginnen dürfen.
Konzertiert richte ich meinen Zauberstab auf das erste Glas, denke an Toms Worte wegen der ungesprochenen Zauber und denke den Spruch mit all meiner Willenskraft.

Kein Glas ist kaputtgegangen, aber die mit dem hartnäckigen Schmutz sind an manchem Stellen noch leicht milchig. Doch, dass ist mir egal. Das Ergebnis ist ein Erfolg für mich. Nichts ist kaputtgegangen.
Ganz anders, als bei Tina. Keins der Sektgläser hat überlebt und das letzte Weinglas, das noch steht, hat einen Sprung.
Aber es hätte schlimmer kommen können. Und ihrem Gesichtsausdruck nach ist sie auch relativ zufrieden.

„Wie war dein Tag?“ Begrüße ich Tom, als ich meinen Mantel ablege und mich auf den Sessel neben seinen setzte.
„Wie immer“, antwortet er mit kalter Stimme und starrt mit einem Glas Wein in der Hand ins Feuer. Beim Anblick des Glases muss ich schmunzeln.
„Ich kann jetzt Gläser putzen“, teile ich ihm mit und kuschele mich in die Sessellehne. „Mit Magie.“
„Schön“, gibt er zurück und nimmt einen Schluck. „Lass uns in Bett gehen“, befiehlt er und zieht sich auf dem Weg dahin aus. Interessiert beobachte ich ihn dabei.
Das warme Licht des Feuers schmiegt sich an seine blasse Haut unter der sich feine Muskeln abzeichnen.
Ich habe ihn jetzt schon öfters nackt gesehen, konnte mich aber bis heute nicht an seiner schlanken Gestalt satt sehen. Wahrscheinlich wird sich das auch nicht ändern.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen stehe ich auf, als er zu mir sieht und öffne meine Haare, schüttele sie, sodass das Licht golden über das Rot tanzt und gehe langsam auf ihn zu, seinen faszinierten Blick auf meinen Haaren genießend.

„Tom?“ Schnurre ich genüsslich und drücke meinen noch leicht verschwitzten Körper an seine Seite.
„Hm?“
„Darf ich dich was fragen?“
„Hm?“
„Wie schaffst du es Magie gezielt ohne Zauberstab einzusetzen?“
„Woher weißt du davon?“
„Ich bin nicht dumm Tom.“
„Ich habe noch keine zufrieden stellende Erklärung gefunden. Ich denke im Grunde kann es jeder Zauberer, aber manche haben vielleicht nicht genug Magie oder nicht genug Wille.“
„Und du hast beides?“
„Ja.“
„Wann hast du das gemerkt?“
„Ich nutze meine Magie seitdem ich ein Kind war. Damals wusste ich noch nicht, dass ich Magie benutze und Gedanken kontrolliere. Und jetzt lass die Fragerei!“
„Ja, Tom“, flüstere ich und schließe die Augen. Seine Antwort hat mich nicht zufrieden gestellt, aber ich werde wohl nicht mehr über das Thema über ihn herausbekommen. Außerdem habe ich morgen früh Unterricht, da sollte ich ausgeschlafen sein.

1. März 1945



Wieder einmal sitze ich mit Tom in seinem Zimmer in meinen Stammsessel, wie ich ihn inzwischen bezeichne. Ich habe ein wundervolles Wochenende mit ihm verbracht, dass wir gerade ausklingen lassen.
Doch bevor ich zurück in den Turm gehe, möchte ich ihm noch eine Frage stellen.
Sie brennt in meinen Kopf, seitdem ich erfahren habe den jungen Riddle kennen zu lernen.
Seine Angst vor dem Tod.
Sein Wunsch nach Unsterblichkeit.
Warum?
Warum will er nicht sterben? Warum akzeptiert er seine Vergänglichkeit nicht?
„Wann gehst du?“
Langsam wende ich ihm meinen Kopf zu. „Demnächst.“
Er nickt.
„Darf ich dich etwas fragen, Tom?“
„Du fragst mich ständig Dinge. Was ist es diesmal?“
Mist, wenn seine Stimme so emotionslos ist, weiß ich nie wie er reagiert. Aber er hat es mir erlaubt.
„Warum hast du Angst vor dem Tod?“
„Woher weißt du das?“ Alarmiert sieht er mich an.
Stimmt. Woher weiß ich das? Er hat es nie gesagt.
„Deine Mutter, Tom. Du hast gesagt, dass sie zu schwach war zu leben.“
„Da hast du doch deine Antwort. Es ist Schwäche“, zischelt er.
„Nur deshalb?“
„Was willst du noch hören?“ Wütend funkelt er mich an. „Es ist eine Schwäche des menschlichen Körpers. Jeder stirbt. Ich bin nicht jeder!“
„Natürlich nicht, Tom“, versuche ich ihn zu besänftigen.
„Warum fragst du dann?“
„Es hat mich interessiert, Tom“, gebe ich meinen ruhigen Tonfall beibehaltend zurück.
„Ich glaube, du willst gehen“, meint er kühl. Sein Gesicht ist wieder ruhig, sein Blick emotionslos.
Doch ich weiß, dass ihn meine Frage aufgebracht hat. Er ist wütend. Sehr wütend.
„Selbstverständlich, Tom. Wir sehen uns morgen im Unterricht“, ergeben stehe ich auf und gehe meinen Mantel nehmend zur Tür. „Gute Nacht, Tom.“
Er antwortet nicht mehr.
Wenn er befiehlt, ist es immer besser auf ihn zu hören. Widerspruch ist zwecklos. Tom Riddle kriegt, was er will. Mit allen Mitteln.
Er hätte mich einfach rausgeschmissen. Notfalls gehext.
Denke ich zumindest.
Ich habe es noch nie gewagt einem Befehl von ihm nicht zu gehorchen.

13. März 1945



Heute ist das erste Slug – Treffen seit den Ferien. Erst dachte ich, er würde mich nicht mehr einladen nach meinem Alkoholkonsum auf seinem Weihnachtsfest, doch da habe ich mich geirrt.
Vielleicht verbietet er mir lediglich den weiteren Konsum von dem Getränk.
Ich würde es ihm nicht übel nehmen. Mein Verlangen danach hat sich sehr dezimiert. Allein der Gedanke an ein Glas Met jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Nie wieder Alkohol.
„Schläfst du heute wieder bei Tom?“ Fragt mich Tina, als sie mir eine dunkelgrüne Schleife um meinen Dutt bindet.
„Fragst du das wirklich?“ Kichere ich und sehe sie durch den Spiegel an.
„Nein“, grinst sie ebenfalls. „Aber pass auf dich auf, ja?“
„Immer, Tina immer“, versichere ich ihr, küsse sie auf die Wange und rausche aus dem Zimmer. Obwohl Tom mich die ganze Woche sehr kalt behandelt hat, freue ich mich da Wochenende wieder mit ihm zu verbringen.

„Miss Capulet! Da sind sie ja! Wir haben auf sie gewartet, alle anderen sind schon hier“, gluckst Slughorn fröhlich von seinen Platz aus und ist gezuckerte Ananas.
„Verzeihen Sie, Professor“, lächele ich ihn entschuldigend an und stelle mich neben meinen freien Stuhl und Tom.
„Setzen sie sich“, winkt der Professor ab. „Damit wir mit der Vorspeise beginnen können! Ich bin förmlich am Verhungern. Die Hogwart’sche Küche tut mir nicht gut, meine Lieben! Ganz und gar nicht“, zwinkert er vergnügt und greift nach seinen Suppenlöffel. „Nachher kommt noch ein Fotograf und macht Bilder von euch für mein Regal! Ich hoffe, dass stört euch nicht?“
Brav schütteln alle den Kopf. Auch ich, dabei ist mir bei einem offiziellen Foto in dieser Zeit von mir gar nicht wohl. Am Ende entdeckt es Slughorn in meiner Zeit in einer seiner Sammlungen und erkennt mich wieder. Mich wundert er sowieso, dass er mich nie auf meinen Namen anspricht.
Nicht viele Menschen heißen Claire Capulet in Schottland. Hätte ihm das nicht auffallen müssen?
Die Gemüsesuppe brennt heiß auf meiner Zunge, ehe sie sich einen glühenden Weg meinen Hals hinab bahnt.
Ich hätte vielleicht auf den Löffel pusten sollen.
„Haben sie schon angefangen für die Abschlussprüfungen zu lernen?“ Fragt Slughorn.
Die meisten nicken, unter anderen auch Tom und ich. Als hätte er diese Reaktion erwartet, fängt er an über sein letztes Schuljahr auf Hogwarts zu erzählen.
„Ah! Und da ist auch schon der Fotograf! Das ist Mr. Ruven! Bitte geht nach einander zu ihm und lasst euch fotografieren. Mr Riddle sie dürfen, wenn sie wollen mit ihrer wunderbaren Freundin auf das Bild!“ Professor Slughorn strahlt uns an und ergeben nicke ich, während Tom nur arrogant lächelt und besitzergreifend seine Hand auf meinen Oberschenkel legt.
Als wir an der Reihe sind, legt er einen Arm um meine Hüfte und ich strahle in die Kamera um seine ausdruckslose Miene auszugleichen.

„Das wäre überstanden“, seufze ich müde, nachdem seine Zimmertüre hinter uns zugefallen ist und lasse mich wie ein nasser Sack Mehl in den Sessel fallen. Elegant nimmt er neben mir Platz.
Mit einem gedachten Accio rufe ich mein Strickzeug auf und setzte mich an den Rest des letzten Wollknäuels. Danach kann ich den Schal endlich abgeben.
„Wann ist der Abgabetermin?“
„Erster April. Wir dürfen ihn aber auch schon früher einreichen, wenn wir fertig sind.“
„Das schaffst du heute Abend.“
„Das ist mein Ziel“, nicke ich bestätigend und lasse die Stricknadeln durch die Luftwirbeln. Inzwischen bin ich richtig gut darin.
„Ich habe gehört, dass du inzwischen besser in Haushaltsführung geworden bist.“
„Ja, einiges“, bestätige ich wieder und frage mich, wer ihm das erzählt hat.
„Wie war deine Woche?“
„Sehr gut. Auch, wenn du mir ab und an gefehlt hast.“
„Jetzt bist du ja hier.“
„Warst du sauer auf mich?“
„Nein. Ich hatte lediglich keine Zeit. Ich musste Dinge mit meinen Freunden erledigen.“
„Was hältst du von Schwarzer Magie?“
„Was hat das mit dem Thema zu tun?“
„Nichts. Aber ich habe mir in letzter Zeit einfach Gedanken darüber gemacht. Ich weiß nicht genau, was ich darüber denken soll. Ob es wirklich so schlimm ist, wie alle sagen. Es … Ach, ich weiß auch nicht…“, seufze ich, da ich einfach nicht die richtigen Worte finde.
Eine Zeitlang schweigt er und starrt einfach ins Feuer. Als er anfängt zu Sprechen klingt seine Stimme ruhig, sachlich und doch so fesselnd, dass jedes Wort sich in meinen Kopf festsetzt, mich überzeugt.
Es ist, als würde seiner Stimme selbst Magie inne wohnen, die das unbändige Bedürfnis weckt selbst schwarze Magie anzuwenden.
„Weiße Magie lässt Neues entstehen, Schwarze beherrscht. Ob das Böse ist oder nicht liegt in der Absicht des Zauberers. Beide Magien demonstrieren Macht und sind es zugleich. Macht. Darum ist die Schwarze so verführerisch. Sie ist alles andere als unangenehm für den, der sie ausübt. Das gehört zur Dunklen Magie, du erlebst Macht und diese Macht ist berauschend. Magie ist erregend, überwältigend. Dieses Gefühl, das Gefühl der Magie ist zu verführerisch, um es vergessen zu können. Um es nicht wiederfühlen zu wollen. Aber du musst es wirklich fühlen wollen. Der Wille ist unglaublich wichtig dabei.“
Andächtig habe ich seinen Worten gelauscht. Ihr Nachklang in meiner Seele scheint sich wie ein Echo auszubreiten.
„Also, sind einige Zauber, die wir im Unterricht lernen theoretisch auch schwarzmagisch?“ Frage ich nach einiger Zeit.
„Manche kann man dazu zählen, ja“, versichert mir Tom.
Meine Stricknadel klappern immer noch im selben Rhythmus. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass der Zauber immer noch wirkt. Immerhin habe ich mich kein wenig darum gekümmert.
Nachdenklich starre ich ins Feuer. Immer hört man nur schlechtes über schwarze Magie. Abschreckendes. Der positive Aspekt für einen selbst wird immer verschwiegen.
Schwarze Magie scheint einem auch das erfüllen zu können, was mit Weißer einem verweigert wird.
Kein Wunder, dass sich so viele ihm anschließen im Laufe der Zeit.
Er überzeugt.
Und eröffnet Möglichkeiten, die einem sonst verschlossen bleiben.
Doch die Ideologie dahinter ist falsch.
Ich weiß nicht, ob er selbst daran glaubt, was er seinen Anhängern erzählt. Vielleicht ist es unbewusst einfach ein persönlicher Rachefeldzug gegen die Muggel, weil er nie eine Kindheit hatte. Weil sein Hass ihn einfach verblendet.
Er hat kein schlechtes Gewissen, da seine Worte das Handeln legitimiert. Die Zauberer und Hexen, die ihm glauben und ihm nachfolgen geht es genauso.
Reinblüter sind die Herrscher. Eine Art Monarchie, wo das Volk ausgerottet werden soll. Sie sind minderwertig, schlecht. Nur der Stärkste überlebt.
Er hält sich selbst für einen gerechten Mann. So viel steht fest. Er handelt für ein höheres Ziel, nicht für sich.
Was sollte daran verwerflich sein? Der Zweck heiligt die Mittel.
Vielleicht steckt auch die Gier hemmungslos Böse zu sein dahinter?
Woher soll ich das wissen?
Weiß er es?
Wissen es seine Anhänger?
Bei einigen ist dieses Verlangen offensichtlich.
Ein Schauer läuft mir bei dem Gedanken an Mulciber und Rookwood hinunter. Sie folgen ihm sicherlich auch, um ihren verwerflichen Gelüsten nachgehen zu können ohne eigene Verantwortung dafür tragen zu müssen.
Dafür haben sie ihren Meister.
Was soll ich bloß denken?
Woran kann ich glauben?
Kann ich meinen eigenen Urteilsvermögen überhaupt noch trauen oder bin ich schon verblendet?
Hat er mich eingewickelt wie eine Spinne das Opfer in ihr Netz?
Was denkt er?
Wie empfindet er?
Was sind seine wahren Motive?
Sind es die, die er verkündet?
Sind sie persönlicher?
Wie soll ich mir eine objektive Meinung bilden, wenn ich mitten drinnen stecke und nicht mehr als die herauskomme, die ich war, als ich hineinkam?

26. März 1945



Ich stehe mit Anna und Dorothe nach dem Alte Runen Unterricht auf dem Gang, an dem sich unsere Wege zu dem nächsten Unterrichtsfächern trennen.
Ich will momentan noch nicht zu Verwandlung. Professor Dumbledore kommt sowieso immer eins, zwei Minuten zu spät.
Tom wird mich schon entschuldigen. Wahrscheinlich bin ich einfach noch einmal schnell auf die Toilette gegangen.
Heute Abend werden alle Siebtklässler, die Astronomie behalten haben einen Kometenschauer beobachten.
Auch Anna hat noch Astronomie und freut sich beinahe noch mehr als ich über dieses Naturwunder. Nicht viele haben das Fach behalten, trotzdem gibt es zwei verschiedene Kurse.
„Als du heute das Wort falsch übersetzt hast“, kichert Anna immer noch ungehalten über eine Fehlübersetzung von Dorothe, die uns drei seit einer viertel Stunde erheitert. „Also, wirklich“, giggelt sie weiter. „Wir kann man aus Erdbeeren Kobolde machen?“
„Und seit wann werden Kobolde mit Stroh vor regennasser Erde geschützt“, gluckse ich mit einem sehr lustigen Bild im Kopf.
„Lasst mich in Frieden“, grinst Dorothe und wirft immer wieder Blicke auf ihre Uhr.
„Das werde ich niemals vergessen“, seufze ich theatralisch und mache einen Schritt rückwärts Richtung Verwandlungsklassenraum.
„Wir sehen uns nachher in Arithmantik“, winkt mir Anna und dreht sich um, wobei sie Dorothe mit sich zieht, da sie jetzt gemeinsam Unterricht haben.
„Ja, bis dann“, rufe ich ihnen noch zu und machen mich auf den Weg in Professor Dumbledores Unterricht.

9. April 1945



Donnerstag

„Ich kann nichts Essen“, jammert Chantal am Frühstückstisch und krümmt sich leicht nach vorne.
„Hast du Magenschmerzen? Hast du was Falsches gegessen?“ Erkundigt sich John sofort besorgt.
„Ich habe meine Regel“, stößt sie zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. „Nichts falsches gegessen.“
„Geh doch in den Krankenflügel und lass dir etwas dagegen geben“, schlägt Jessica vor.
Ich starre Chantal einfach an.
Ihre Regel.
Sie hat ihre Regel.
Verdammt.
Die habe ich vollkommen vergessen.
Wann hatte ich meine das letzte Mal?
Schnell rechnete ich nach. Januar.
Verdammt.
Meine Blutung ist zwei Mal entfallen. Und im Moment müsste ich ebenfalls meine Tage haben.
Mir wird schlecht.
Speiübel.
Wir hatten bei den ersten Malen nie verhütet. Ich habe einfach nicht daran gedacht. Und das, das der Part der Frau in dieser Zeit ist, habe ich in Haushaltsführung gelernt. Sowie den Zauber, den ich später immer angewandt habe.
Ganz ruhig, Claire. Ich atme tief durch.
Mein Zyklus hat sich bestimmt einfach verschoben. Immerhin hatte ich viel Stress, da kann das schon einmal vorkommen. Ich wäre nicht die erste Hexe, der es so erginge. Vor allem in meinem Alter.
Ja, das muss es sein.
Ich kann nicht schwanger sein von Tom. Absolut unmöglich. So viel Pech kann eine Person doch gar nicht haben… oder?
Was, wenn ich es doch bin?
Zweifel überrollen mich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Ich kann mir nicht zu hundert Prozent sicher sein, dass ich es nicht bin. Unfälle passieren immer wieder.
Okay, ganz ruhig.
Ich atme einmal tief ein und aus.
Gehen wir erst einmal davon aus, dass ich nicht schwanger bin, denken aber einmal die Situation durch, dass das Fiasko eintritt. Nur zur Sicherheit, damit ich mich besser fühle.
Da mir der Appetit vergangen ist, schiebe ich meinen Teller ein Stück zurück.
Der Vater wäre der gefährlichste Schwarzmagier seit Jahrhunderten und gewiss nicht für diese Rolle geschaffen.
Super.
Das wäre eine absolut perfekte Situation. Genau das, was Snape und Dumbledore sicherlich planten, als sie mich herschickten.
Verdammt.
Nur am Rande bekomme ich mit wie Jessica und Chantal aufstehen und in den Krankenflügel gehen.
Wie konnte ich so blöd sein und nicht von Anfang an, an Verhütung denken? Dann müsste ich diese Option nicht einmal in Betracht ziehen.
Wie konnte ich das nur vergessen und mich so in diese ungewisse Situation bringen?
„Kommst du?“ Reißt mich Ben aus meinen Gedanken. Erschrocken sehe ich ihn an und nicke abgehackt. Der Alltag muss weitergehen. Immerhin ist nichts.
Wie kriege ich bloß rechtzeitig Gewissheit?
Gibt es irgendwelche Zauber, dass der Zyklus, wenn er aussitzt, sich wieder normalisier?
Das schaue ich gleich nach dem Unterricht in der Bibliothek nach.
Die ganze Zeit schwirrt diese Frage in meinem Kopf herum. Der Unterricht ist nur eine Nebensächlichkeit, das Mittagessen hat keinerlei Erinnerung hinterlassen. Ich weiß nicht einmal, was es gab.
Ich weiß nicht, worüber ich mit meinen Freunden geredet habe.
Nur die fragenden, bohrenden Blicke von Tom, die ich immer mit einem schwachen Lächeln abgewehrt habe, haben sich in meine Iris gebrannt.
Sobald ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir. Soll ich es ihm sagen?
Besser nicht.
Erst Mal nicht.
Immerhin weiß ich gar nichts. Wegen eines verzögerten Zyklus gehe ich doch kein Risiko ein.
Spätestens, wenn Schwangerschaftssymptome auftreten und die Blutung weiterhin ausbleibt, weiß ich Bescheid.
Dann habe ich noch genug Zeit, um mit ihm darüber zu reden.
Was sind den Symptome ab dem dritten Monat, in welchem ich mich befinden müsste, wenn ich es wäre?
Morgenübelkeit. Erste Wassereinlagerungen. Weniger Leistungsfähigkeit.
Das würde ich sicherlich merken.
Wenn nicht, ist mir selbst nicht mehr zu helfen.
Ab dem vierten Monat würde auch der erste Bauchansatz zusehen sein. Dann würde das Verstecken schwer werden.
Dann hätte ich zumindest Gewissheit.
Wenn er das rausfindet bringt er mich um!
Wenn ich mit einem Kind zurück käme… wie sollte ich das erklären?
Entschuldigung, Professor Snape. Das war ein Arbeitsunfall?
Halt. Stopp.
So dürfte ich darüber nicht denken.
So will ich darüber nicht denken.
Das Baby wäre in Liebe entstanden und ich werde es auch lieben, wenn ich eins erwarten würde.
Utopien darf man nie komplett ausschließen und sich darüber Gedanken zu machen, ist ja nicht weiter schlimm. Es gibt mir lediglich ein sicheres Gefühl.
Egal, welches Ende die ganze Geschichte nehmen wird.
Warum musste ich mich auch verlieben?
Depressiv starre ich auf das Bücherregal meinem Tisch gegenüber. Wenigstens ist es mir aufgefallen und ich kann jetzt darauf achten.
Der Stuhl neben mir wird leise scharrend zurück geschoben.
Ohne meinen Kopf drehen zu müssen, weiß ich, dass es Tom ist, der sich zu mir gesetzt hat. Kein anderer bewegt sich so lautlos über den harten Fußboden.
„Alles in Ordnung?“
„Ja, Tom. Sollte etwas nicht stimmen?“
„Du warst den ganzen Tag so abwesend. Ich dachte, du hättest mir etwas zu sagen.“
„Nein“, ich schüttele den Kopf. „Ich bin nur nicht so gut gelaunt. Das ist alles.“
„Du weißt, dass das du mit mir über alles reden kannst?“ Bestimmend zieht er meinen Kopf zu sich rum und zwingt mich in seine Augen zusehen.
„Ja“, antworte ich fest und befreie mein Kinn aus seinem harten Griff. „Tue ich doch auch immer.“
Er nickt.
„Ich bin noch mit Malfoy und ein paar anderen verabredet. Wir sehen uns morgen Abend.“
„Bis dann, Tom.“
Leise verlässt er wieder die Bibliothek. Es ist, als wäre er nie hier gewesen. Kaum ein Geräusch außer seiner Stimme hat er da gelassen. Kein verschobenes Buch, kein anders gestellter Stuhl.
Wenn er nicht will, nimmt ihn niemand wahr.
Einfach unglaublich das Talent.
Ob unser Baby genauso begabt sein würde?
Genauso gerissen?
Genauso gut aussehend?
Es würde niemals so viel Liebe von seinem Vater empfangen, wie es verdient hätte. Aber vielleicht könnte ich ihm ja trotzdem eine Familie bieten, wenn ich bleiben würde?
Hätte das Baby nicht das Recht auf einen Vater?
Wie soll ich mich bloß entscheiden?
Was denke ich denn da? Es gibt doch gar keinen Grund sich über so etwas Gedanken zu machen. Ich bin gewiss nicht schwanger. Ich leide ausschließlich unter Paranoia.
Wenn ich bleiben würde, dann täte ich die ganze Zukunft verändern.
Ob zum positiven oder negativen vermag ich nicht zu sagen.
Eine Zukunft, die ich vielleicht schon verändert habe.
Was weiß ich, wie unsere Beziehung sich auf den Dunklen Lord der Zukunft auswirkt?
Oder, ist der Lord, den wir kennen, schon der, der mit dem ich eine Beziehung führe.
Aber Lord Voldemort hat doch keine Kinder. Das wäre doch bekannt.
Oder versteckt er mich in der Zukunft in einer einsamen Berghütte?
Genervt schüttele ich den Kopf. Was für abwegige Gedanken.
Schwanger ich! Oder gar bleiben. Ich kann meine Freunde doch nicht im Stich lassen.
In der Zeit, wo ich geboren werde, ist er schon so viel älter. Dadurch wäre ich eine mittelalte Frau und ein Säugling zu gleich.
Ist das nicht irgendwie makaber?
Mein Kind wäre schon erwachsen, hat vielleicht Hogwarts besucht, während ich schreiend in der Wiege liege?
Ohne, dass es Jemand weiß außer mir?
Der Gedanke ist irgendwie verstörend.
Seufzend reibe ich mir die Schläfen. Von dem ganzen angestrengten Nachdenken, bekomme ich noch Kopfschmerzen.
Ich darf mich auf keinen Fall aufregen. Ich habe gehört, dass das Embryos schadet. Ich will kein Risiko eingehen.
Erst brauche ich Gewissheit.
Aber, ist es nicht irgendwie… gemein, den Vater, Tom, von der Entscheidung auszuschließen? Hätte er nicht ein Recht darauf es zu wissen?
Von meine Sorgen? Das ich mir Gedanken darüber mache schwanger, von ihm, zu sein?
Aber ich bin es ja nicht, ich würde zum Gespött der Schule werden. Immerhin wäre es offiziell meine Schuld. Und Tom wäre in den Augen der Mädchen das von mir ausgenutzte, verführte Opfer.
Was würde bloß Professor Dippet sagen?
Diese Gedanken machen mich noch ganz verrückt!
Genervt schiebe ich den Stuhl nach hinten. Hier komme ich heute nicht mehr weiter.

11. April 1945



Samstag


Hektisch springe ich aus dem Bett und renne in Toms Badezimmer. Die Sonne taucht die Welt erst in ein dämmriges Licht und schimmert Rosa über dem Verbotenen Wald, als ich mich erbrechend über der Kloschüssel wiederfinde.
Verdammt.
Genau darauf habe ich gewartet. Hoffentlich habe ich einfach etwas Falsches gegessen.
Ein leises Klopfen an der Tür lässt mich erschrocken die Augen öffnen. Verdammt. Ich bin ja noch bei Tom.
„Ja?“ Keuche ich und richte mich wieder auf.
„Alles in Ordnung?“
„Ja… Ja, alles bestens. Ich komme gleich!“ Rufe ich zurück, spüle ab und wasche mir dir das Gesicht, ehe ich die Zähne putze.
Das war sicherlich der Fisch von gestern. Ich hätte auf meine Nase hören sollen. Er roch schon so verdächtig.
Irgendwie erschöpft öffne ich die Tür und sehe ich das leicht besorgte Gesicht meines Freundes.
„Willst du einen Tee? In den Krankenflügel?“
„Tee, aber nicht in den Krankenflügel“, antworte ich und greife nach meiner blauen Wollstrumpfhose und einem für mich viel zu großen Pullover von Tom.
Ich liebe es Kleidung zu tragen, die nach ihm riecht. Ich fühle mich dann automatisch willkommen, wie zuhause.
Außerdem scheint er auch nichts dagegen zu haben. Er scheint es sogar noch mehr zu mögen, als früher, bevor wir zusammen kamen.
Mit einem leichten Lächeln denke ich an Silvester zurück.
Wer hätte ihm so ein romantisches Klischee zugetraut? Ich gewiss nicht.
Erschöpft setzte ich mich vor seinen Kamin und lausche Tom in der Küche. Das Klappern der Schränke, das brodelnde Wasser. Die ganze heimische Atmosphäre.
Vielleicht wäre er doch ein guter Vater?
Nicht der gefühlvollste, doch sorgend?
Leise klappernd stellt er das Tablett zwischen uns ab und schenkt mir schwarzen Tee mit Zitrone ein.
„Trink!“
Vorsichtig nippe ich daran um mir nicht die Lippen zu verbrennen. Die noch heiße Flüssigkeit rinnt meinen Hals hinab und wärmt meinen aufgewühlten Bauch.
Habe ich darauf nicht gestern Morgen schon gewartet? Und heute ist es passiert.
Aber von einmal übergeben habe ich noch lange keine Gewissheit. Auch die leicht angeschwollenen Finger sind noch nicht Symptom genug. Ich kann auch einfach krank sein. Immerhin ist es März und ich war schon ewig nicht mehr erkältet.
Das kommt bei jedem Mal vor. Und mich hat es halt ausgerechnet jetzt erwischt.
Wenigstens ist mir nicht mehr schlecht.
Schweigend schenke ich mir noch Tee nach.
„Danke“, seufze ich und lehne mich wieder zurück.
„Hast du dich erkältet?“
„Scheint so“, erwidere ich betont unbekümmert und ziehe die Beine weiter an.
„Machen wir heute noch ein paar Hausaufgaben oder geht es dir nicht gut genug?“
„Doch, doch. Wir können gleich in die Bibliothek gehen“, beteuere ich und trinke den Tee so schnell wie möglich aus. „Ich ziehe mich nur schnell an.
Er nickt und fährt sich glättend durch seine dunklen Haare.
Schnell schlüpfe ich aus seinem Pullover, ziehe meine hellblaue Bluse und den grau melierten Rock an.
Ein hellbrauner Gürten am Rockbund, braune Schuhe und meine hellbraune Ledertasche komplettieren das Outfit. Eine Strähne, die meinem Flechtzopf entwischt ist, streiche ich hinter mein Ohr.
„Von mir aus kann es losgehen“, lächele ich ihn schwach an.
„Sehr gut“, gibt er zurück und steht auf. „Komm.“

Bis zum Mittagessen und danach haben wir in der Bibliothek gearbeitet. Tina hatte nachmittags vorbeigesehen und selbst einige Hausaufgaben erledigt. Sie und Tom haben noch nicht viel miteinander zu tun gehabt, scheinen aber ganz gut miteinander zu Recht zu kommen. Immerhin ist sie ein Reinblut, eine potenzielle Anhängerin. Wieso sollte er sie schlecht behandeln?
Außerdem ist sie meine beste Freundin. Ich glaube, er ist intelligent genug das zu akzeptieren.
Inzwischen sitzen wir wieder in seinem Zimmer und ich lache über eine ziemlich peinliche Geschichte über Dolohow aus der zweiten Klasse.
„Glaub mir“, beteuert Tom ohne den leisesten Anflug eines Lächelns. „Genauso ist es passiert, dass er und ich jetzt… befreundet sind.“
Erschöpft wische ich mir die Tränen von den Wangen. „Damit hätte ich niemals gerechnet.“
„Wer hätte das schon?“ Gibt er zurück und steht auf. „Komm“, sagt er zu mir und hält mir seine Hand hin. „Lass uns ins Bett gehen.“
Nickend greife ich nach seiner Hand und ziehe mich im Gehen aus. Am Bett dreht er sich zu mir un und küsst mich verlangend auf den Mund. Seine warmen Hände wandern meinen nackten Rücken auf und ab, während ich sein Hemd mit leicht zittrigen Händen aufknöpfe.
Das ist genau das, was ich jetzt brauche.
Körperliche Zuneigung von ihm, damit ich einfach den ganzen Stress vergessen kann. Den ganzen Kummer, all meine Sorgen, die sich seit ein paar Tagen angestaut haben.
Er ist das was ich will, das, was ich brauche.
Wieso musste mir das ausgerechnet mit ihm geschehen?
Langsam legt er mich auf die kühlen Laken und streift mir den Slip über meinen Hintern.
In seinen Händen bin ich genau da, wo ich sein möchte. Genau da, wo ich hingehöre?
Wie sollte ich nur ohne ihn weiterleben?
Ohne meinen Tom?
Seine Liebkosungen jagen mir Schauer über den Rücken. Sein Hemd liegt inzwischen auf dem Boden und seine Hose habe ich ihm schon über den Hintern geschoben, weiter zieht er sich selbst aus, bis er nackt und erregt über mir kniet.
Mit meinen Augen wandere ich seinen Körper entlang, bliebe kurz an seinen unglaublich weichwirkenden Lippen hängen, ehe ich in diese rotbraunen Sehe versinke, die mich von Anfang an fasziniert haben.
Wie kann so ein wunderschöner Mann nur mir gehören.
Besitzergreifend küsst er mich, als er ruckartig in mich eindringt. Stöhnend beuge ich dem Rücken durch, um seine Stöße besser erwidern zu können.
Das ist mein Tom, keinem anderen möchte ich mich jemals hingeben.
Wie könnte ich auch? Wenn ich die zweite Hälfte von mir schon längst gefunden habe?

12. April 1945



Sonntag


Schon wieder. Schon wieder hänge ich kotzend über der Kloschüssel. Gestern Nachmittag ging es mir doch schon wieder gut!
„Claire?“
„Alles okay“, rufe ich durch die Tür. Was muss er auch schon wach sein? Kann er nicht einmal länger schlafen, als ich? Dabei ist es erst sechs Uhr an einem Sonntag! Das ganze Schloss, die Geister ausgeschlossen, wird noch in Träumen gefangen sein. Nicht einmal die Sonne lässt einen dunstigen Streifen am Horizont erahnen, obwohl er Himmel seine tiefe Schwärze bereits verlor.
Nach derselben Prozedur wie gestern komme ich aus dem Bad heraus. Tom hält mir bereits eine Teetasse entgegen.
Sein ausdrucksloser Blick wandert mein Gesicht entlang.
Schwach lächele ich ihn an. „Ich glaube ich sollte zur Entspannung baden gehen.“
„Gute Idee, stimmt er mir zu. „Ich bringe dir gleich Kleidung.“
Dankbar lächelnd gehe ich mit der Tasse in der Hand ins Bad zurück und streife mir erst das Shirt und dann die Unterhose über.
Zögerlich trete ich vor den Spiegel.
Nichts.
Ich kann nicht behaupten, dass ich zugenommen hätte oder dass meine Brüste voller sind als zuvor.
Langsam sehe ich an mir herab… und erstarre. Langsam hebe ich mein Bein an und starre auf die bläulich schimmernde Ader.
Ein Besenreiser.
Erschrocken weiche ich vor dem Spiegel zurück und lasse hektisch Wasser ein.
Viele Mädchen kriegen in meinem Alter schon Besenreiser. Das kommt durch das Wachstum. Vielleicht bin ich ja gewachsen oder habe durch die schweren Bücher und vielen Treppen an Muskeln zugelegt.
Das würde auch die leichten Gliederschmerzen erklären, die ich ab und an abends habe.
Das muss es sein.
Langsam lasse ich mich in das wohltuende, nach Schokolade duftende Wasser gleiten, als es an der Tür klopft. „Komm rein!“
Tom öffnet die Tür und schenkt mir eines seiner seltenen Lächeln. Meine Kleidung legt er weitgenug vom Becken weg, dass ich sie nicht nassspritze und geht neben meinem Kopf in die Hocke. „Kann ich etwas für dich tun?“
Ich schüttele den Kopf. „Nein. Es sei denn, du willst mir Gesellschaft leisten.“
„Nicht jetzt“, zärtlich küsst er meinen Hinterkopf. „Malfoy wartet draußen. Zieh dich an, bevor du das Bad verlässt.“
„Mach ich“, strahle ich ihn an und verziehe mein Gesicht sofort genervt, nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist.
Malfoy.
Das heißt, dass der Rest auch noch kommt. Na super. Ich will so wenig wie möglich mit der Bande zu tun haben.
Aber gut. Dann spiele ich die perfekte Hausfrau für Tom. Oder die geborene Todesserin? Oder sollte ich einfach ich selbst bleiben?
Tom steht doch offiziell zu mir. Alle wissen, wer ich bin. Wenn ich mich jetzt verstelle, werden sie es merken.
Also, besser nicht. Ich halte mich einfach unauffällig im Hintergrund.
Aber jetzt genieße ich erst einmal die Stille und das warme Wasser.

Meine noch nassen Haare binde ich in einen Dutt und betrete schwach lächelnd das Wohnzimmer Ich hatte recht. Inzwischen ist nicht nur Malfoy anwesend.
„Hallo“, begrüße ich sie und setzte mich neben Tom, der die Sessel in Sofas verwandelt hat. „Störe ich?“
„Nein“, antwortet Tom und schwenkt den Rotwein in seinem Glas. „Willst du einen Schluck?“
„Nein vielen Dank“, verneine ich und lächle in die Runde.
Dolohow, Malfoy, Mulciber, Rookwood, Nott, Lestange, Avery, Orion und Cygnus Black, zwei Viertklässler aus Slytherin, keine Ahnung, ob sie Zwillinge oder Cousins sind und Alphard Black ein Sechstklässler, haben sich in Toms Wohnzimmer versammelt. Bis auf die drei Minderjährigen haben alle ein Glas Wein in der Hand.
Und alle werden Todesser. Was für eine schöne Runde, da fühlt man sich richtig wohl.
Bin ich eigentlich eine Verräterin?
Immerhin vertraut Tom mir und ich bin hier um ihn auszuhorchen, um sein Geheimnis seinen Gegner zuzuspielen. Durch meinen Verrat trage ich einen sicheren Teil zu seinem Tod hinzu.
Sofern er wirklich im Raum der Wünsche einen Horkrux verstecken wird.
Ich will ihn nicht verraten.
Ich hege die Vermutung, dass ich die einzige Person bin, der er vertraut und ausgerechnet ich bin zu seiner Vernichtung hier. Auch, wenn die noch viele Jahre in der Zukunft liegt und er noch viel Angst und Schrecken vertreiben wird.
Sollte ich vielleicht bleiben und ihn davon abhalten? Ihm zeigen, dass es falsch ist?
Aber wie sollte ich das schaffen?
Er hat kein Gewissen.
Muggel sind Tiere in seinen Augen, die schlachtet man doch auch. Sie sind für ihn weniger wert, als Hauselfen.
Was haben sich Snape und Dumbledore dabei nur gedacht?
Wieso haben sie mich hier her geschickt? Soll ich noch viel mehr tun, als das zu tun, was sie mir aufgetragen haben?
Wussten sie mehr, als sie mir sagten?
Wem kann ich noch trauen? Was, wenn Tom das einzig reale, ehrliche in meiner Welt ist?
Ist Ehrlichkeit nicht etwas, dass mir mehr bedeutet, als alles andere? Und Tom steht ehrlich zu seiner Meinung. Vor aller Welt. Er kämpft um sein Ziel.
Ist es nicht das, was alle von einem wollen?
Macht er nicht das, was einem gelehrt wird?
Sollte ich nicht stolz auf ihn sein? Mich glücklich schätzen, dass er ausgerechnet mich will?
Was will ich für mein weiteres Leben?
Die Zeit anhalten, aber das ist nicht möglich. Ich kann nicht mit Tom für immer und ewig in Hogwarts bleiben. Auch wir müssen erwachsen werden.
Aber der Gedanke an eine Zukunft ohne Tom erscheint mir so leer.
So unsäglich leer.
Lieber würde ich mit ihm untergehen, als ohne ihn zu sein.
Denn, was wäre mein Leben ohne ihn? Eine Hülle. Eine Farce. Ein Nichts.
Mein Platz ist an seiner Seite.
Aber ich will keine Mörderin werden. Keine Todesserin. Ich will nicht stolz erzählt bekommen, welch Gräueltaten unter seiner Herrschaft vonstattengingen.
Ich will nicht in seiner Welt leben.
Ich will in einer friedlichen Welt leben. In einer friedlichen Welt mit Tom.
Mein Leben scheint sich um hundertachtzig Grad gedreht zu haben, seitdem ich hier bin.
So viele neue Eindrücke, die ich nicht zuordnen kann.
So viele unerfüllbare Wünsche.
Ich muss mich entscheiden. Die Zeit drängt, ich muss langsam eine Entscheidung fällen.
Doch eine Frage geistert immer wieder in meinem Kopf herum.
Wer bin ich?
Wer ist dieser Mensch, der mich im Spiegel anblickt?
Wie soll ich mich für irgendetwas entscheiden, wenn ich nicht weiß für wen? Was das Richtige für diesen Menschen ist?

17. April 1945



Freitag


Resigniert beobachte ich die von mir ausgespuckte Zahnpaste, die rot ins Waschbecken läuft.
Zahnfleischbluten.
Besenreiser.
Herabgesetzte körperliche Leistungsfähigkeit.
Ich muss ständig urinieren.
Und litt die ganze Woche unter Morgenübelkeit. Heute musste ich zum ersten Mal nicht aus dem Bett springen und zum Klo rennen. Mir war einfach nur schlecht, aber diesmal in Grenzen.
Was muss noch Geschehen, dass ich mir das Unglaubliche eingestehe?
Ich bin schwanger.
Zumindest bin ich mir darin jetzt sicherer, als vorher.
Seufzend wasche ich das Waschbecken und meine Zahnbürste, ehe ich meinen Mund ausspüle. Tom sitzt irgendein Buch lesend in Hauptzimmer und wartet auf mich.
Es könnte so perfekt sein.
So perfekt.
Mit schweren Gliedern kehre ich zu Tom zurück.
„Tom?“
„Hm?“ Kurz sieht er von seinem Buch auf und blickt mir für einen Moment entgegen, ehe er die Seite markiert und das Werk neben hinlegt.
„Können wir schlafen gehen? Ich bin müde“, bitte ich ihn gähnend und begebe mich schon Mal auf sein Bett.
„Klar“, kurz heben sich seine Mundwinkel, ehe er aufsteht, sich umzieht und zu mir unter die Decke kommt. „Ist alles in Ordnung, Claire? Du wirkst in letzter Zeit so nachdenklich.“
„Bin ich auch“, gebe ich zu. Er riecht solche Lügen zehn Eilen gegen den Wind. Seufzend kuschele ich mich an seine Seite und bette meinen Kopf oberhalb seiner Brust.
„Hab ich etwas falsch gemacht?“ Fragt er nach einigen Momenten der Stille und ich spüre förmlich wie viel Überwindung ihn diese kleine Frage gekostet hat.
Ein Riddle macht nichts falsch.
Es zeugt von wahrer Größe, dass er das gefragt hat.
„Nein“, wehre ich ab. „Du hast nichts falsch gemacht“, beruhige ich ihn und lege meine Hand auf seine Brust.
Er nickt. „Gute Nacht, Claire.“
„Nacht, Tom.“
Gerade war der perfekte Augenblick ihm die Wahrheit zu sagen. Ihm von meinen Sorgen zu erzählen.
Und ich habe es nicht getan.
Warum nicht?
Habe ich Angst davor es ihm zu sagen?
Gewiss.
Ist doch auch verständlich, oder?
Das wäre jedes Mädchen. Nicht nur ich bei Tom. Das ist ein wirklich heikles Thema und was, wenn ich es doch nicht bin? Wenn ich nur alle Symptome zeige?
Das ist doch alles Mist!
Soll ich es ihm jetzt sagen oder nicht?
Nein, nicht jetzt.
Ich habe noch genug Zeig. Genug Zeit, um mich darauf vorzubereiten. Ich weiß ja noch gar nicht, wie ich es ihm sagen will. Wie ich es ihm sagen kann.
Die Sache ist komplizierter, als angenommen. So verworren und unsicher.
War ich schon zum Scheitern verurteilt, als ich mir den Zeitumkehrer umhängte?

23. April 1945



Donnerstag


Ich habe mich entschieden.
Endgültig entschieden.
Ich werde Tom erzählen, warum ich hier bin. Woher ich komme.
Was mein Auftrag war, als ich mich dazu entschloss den Zeitumkehrer zu drehen.
Er soll alles erfahren. Er hat ein Recht darauf.
Ich werde ihm sagen, wer ich wirklich bin.
Alle weiteren Entscheidungen hängen von seiner Reaktion ab.
Ob ich bleibe oder gehe.
Ob er erfährt, dass er Vater wird oder nicht.
Ich will ihm die Entscheidung überlassen. Sein Handeln bestimmt meins.
Ich kann ihm nicht weiter in einem Netz aus Lügen hängen lassen, wenn ich über eine wahrscheinliche gemeinsame Zukunft mit ihm nachdenke.
Die Wahrheit muss ans Tageslicht kommen. Die dunkle Seite meines Mondes muss offenbart werden. Meine Lügen, meine Geheimniskrämerei.
Er hat Claire, mich, kennen gelernt, wie kein anderer. Er kennt mich besser, als irgendjemand sonst, aber mit einer falschen Basis.
Und das will ich ändern.
Ich will, dass der Mann, den ich liebe, alles über mich weiß.
Er wird enttäuscht sein, wütend, tobend.
Doch hege ich die Hoffnung ihm genug zu bedeuten, dass er mir vergibt.
Aber egal, wie er sich entscheidet: Ich habe die Zeit genossen. Wenn er mich ablehnt, habe ich noch genug Zeit in Depressionen zu verfallen.
Jetzt ist Zeit zum Hoffen.

30. April 1945



Donnerstag


Am 30. April 1998 bin ich in der Zeit gesprungen. Heute ist der 30. April 1945. Heute ist der Tag, an dem ich Tom die Wahrheit erzählen werde.
Die Wahrheit und nichts, als die Wahrheit.
Ich bin gerade vom Abendessen mit meinen Freunden in den Turm zurückgekehrt und habe mich noch einmal frisch gemacht, ehe ich zu ihnen runter in den Gemeinschaftsraum gehe.
Lächelnd stehe ich auf der letzten Stufe und sehe zu ihnen.
Sie haben mein Leben verändert, haben mir so viel gegeben und nie nachgefragt, wer ich wirklich bin. Sie haben mich genommen wie ich bin und haben mir gezeigt, dass ich nicht das schüchterne, kleine Mädchen sein muss, dass ich in den 1990ern bin.
Langsam gehe ich auf sie zu. Ihre Gesichter einprägend. Jede Lachfalte, der Schwung ihrer Lippen, ihre Augen, ihre Gesten.
Es fühlt sich an wie ein Abschied. Wie eine Ahnung, dass ich sie nie wieder zusammen sitzen sehen werde. Dabei steht noch nichts fest.
Ich weiß noch nicht wie Tom reagieren wird. Ob ich sie heute zum letzten Mal sehen werde.
Denn, wenn Tom mich wegschickt, mich verlässt, reise ich noch heute zurück. Der Zeitumkehrer ist in meiner Manteltasche, wie die Weihnachtsgeschenke meiner Freunde und die grüne Haarschleife von ihm ist in meinen Dutt eingearbeitet.
Sicher ist sicher. Er hat mich gelehrt auf Alles vorbereitet zu sein.
Neben Tinas Sessel bleibe ich stehen.
„Setzt du dich zu uns?“ Fragt sie mich grinsend.
„Nein“, ich schüttele den Kopf. „Ich muss noch etwas erledigen. Ich…“, wollte mich nur verabschieden. Schwach schüttele ich den Kopf und lächele in die Runde. „Ich wollte euch nur sagen, was für wunderbare Menschen ihr seid.“
Überrascht sehen sie mich an. „Womit haben wir das verdient?“ Fragt Simon.
„Es kam mir gerade einfach in den Kopf“, winke ich ab.
„Wie lieb von dir!“ Tina springt auf und fällt mir um den Hals. Fest drücke ich sie an mich. „Du bist eine wunderbare Freundin“, flüstere ich ihr ins Ohr und unterdrücke die aufkommenden Tränen. Woher kommen die Tränen?


Keiner wird ahnen, dass ich zu Tom gehe. Ich treffe mich gewöhnlich nur an Wochenenden mit ihm und bei Ausnahmen wie dieser teile ich es ihnen mit.
Keiner wird Verdacht schöpfen.
Zweimal klopfe ich gegen die Tür, welche augenblicklich aufschwingt. Tom erkennt mein Klopfen unter allen anderen heraus. Oder er überwacht die Tür mit einem Erkennungszauber. Ich habe ihn nie danach gefragt.
„Claire. Was willst du hier? Ist etwas vorgefallen?“ Fragt er mit kühler Stimme von seinem Platz vor dem Kamin aus und sieht mir leicht lächelnd entgegen. „Kann ich dir einen Keks anbieten?“ Elegant deutet er auf einen kleinen Teller mit wenigen Schokoladenkeksen.
„Nein, danke“, schüttele ich den Kopf und gehe auf ihn zu, um mich ebenfalls zu setzen.
„Tee?“
„Wenn du welchen gekocht hast“, Tee wird mich sicherlich beruhigen.
Mit einem Wink seines Zauberstabes taucht eine dampfende Tasse Tee vor mir auf.
„Dankeschön.“
Er nickt und sieht mich forschend an. „Was ist Claire?“
„Wir müssen reden“, flüstere ich ergeben nach einem Schluck und stelle die Tasse vorsichtshalber ab. Am Ende verschütte ich was vor Nervosität.
Tief durchatmend versuche ich die aufkommende Übelkeit zu vertreiben und den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken.
Jetzt ist es also soweit.
Die Stunde der Wahrheit.
Die alles entscheidende Stunde.
Das klingt so melodramatisch. Aber für mich fühlt es sich genauso an. Als würde mein Leben von dieser Entscheidung abhängen.
„Sprich“, fordert er mich befehlshaberisch auf und durchbohrt mich mit seinem stählernen Blick.
„Ich…“, fange ich an und breche sofort wieder ab. Was soll ich bloß sagen? Wieso habe ich mir keine Worte zurechtgelegt? „Ich bin nicht die für die du mich hältst, Tom“, fange ich vorsichtig an. Fragend zieht er eine Augenbraue hoch.
„Ich… ich komme aus der Zukunft“, hektisch räuspere ich mich. „Ich bin mit einem Zeitumkehrer hierher gereist, um einen Auftrag auszuführen. Und dieser Auftrag betrifft dich.“
Eiskalt sieht er mich an. Wut, Verwirrung und auch Schmerz toben in seinen Augen. „Habe ich dir nicht gesagt, dass deine Zunge dich ins Verderben stürzen wird?“
Ja, hat er. Es kommt mir vor wie gestern.
„Versteh mich nicht falsch, Tom. Alles, was ich zu dir gesagt habe stimmt und jede Minute mit dir habe ich freiwillig verbracht. Du hast mein Herz im Sturm erobert und bist der wichtigste Teil meines Lebens. Ich habe dir nie etwas vorgespielt. Ich habe dir nur nie alles erzählt. Genauso wie du Geheimnisse vor mir hast. Ich habe das aber akzeptiert und hoffe, dass du auch Verständnis für mich zeigst“, nervös greife ich wieder nach meinem Tee und trinke einen Schluck. Tom schweigt und sieht mich wieder ausdruckslos an.
„Ich weiß mehr über dich, als du über mich und kenne deine Zukunft. Zumindest Teile davon. Ich kenne deine Ideologie und weiß, dass deine sogenannten Freunde eigentlich Anhänger sind. Todesser“, kurz wage ich einen Blick zu ihm. Er sitzt zurück gelehnt in seinem Sessel und hört mir aufmerksam zu. Nicht einem verzieht er die Miene.
„Ich erzähle dir das jetzt aus einem bestimmten Grund. Ich weiß nicht, was ich machen soll, Tom. Eigentlich muss ich nach dem Schuljahr zurück, aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich will. Ich will nicht mehr ohne dich, Tom. Das musst du mir glauben!“ Flehend sehe ich ihn an, er nickt.
„Lass mich in deinen Kopf, Claire. Ich will nur sehen, ob du lügst.“
Kurz zögere ich, ehe ich nicke. Ich habe eh nichts mehr zu verlieren.
Sobald mein Blick den seinen kreuzt, fühle ich seinen Geist in meinen Kopf tasten und gemeinsame Erinnerungen durchforsten. An dem Tag, wo wir uns zum ersten Mal getroffen haben, zieht er sich zurück. Zögernd öffne ich die Augen und blicke ich sein leicht lächelndes Gesicht.
Er glaubt mir also. Er weiß jetzt, dass ich ihm nie etwas vorgemacht habe. Er weiß mehr über die Tiefe meiner Gefühle, als ich je zugab. Merlin sei Dank, hat er die neusten Erinnerungen nicht angerührt. Wenn er von meinen Sorgen wegen der Schwangerschaft wüsste… Ich will gar nicht daran denken! Das würde sein Handeln beeinflussen. Zum Guten oder zum Negativen. Beides will ich nicht. Ich will, dass Tom mich meinetwegen behält. Nicht wegen eines Kindes, wessen ich mir nicht einmal sicher bin.
„Ich denke, du solltest gehen“, steif erhebt er sich und reicht mir seine Hand. Verwirrt greife ich sie. Was hat das zu bedeuten?
Er zieht mich aus dem Sessel und streicht mir sachte über das Haar, bevor er mich zur Tür zieht und mit mir seine Räumlichkeiten verlässt.
Verwirrt lasse ich mich von ihm durch die dunklen Gänge des Schlosses führen. Das ist nicht der Weg zum Gryffindorturm.
Zischend ziehe ich die Luft ein, als ich sein Ziel erkenne. Professor Dippet. Der Wasserspeier steht unbeweglich vor der verborgenen Treppe. In einer ungesehenen Nische hält Tom an und dreht mich zu sich um.
„Wo ist der Zeitumkehrer?“ Fragt er direkt. Erschrocken sehe ich ihn an. Er schickt mich zurück. Zurück in meine Zeit.
Merlin sei Dank habe ich mich verabschiedet. Zumindest indirekt. Ich sollte öfters auf mein Gefühl hören. Meine innere Stimme wusste, dass es mein letzter Tag hier ist.
„Du schickst mich weg?“
„Ich habe keine Wahl.“
„Man hat immer eine Wahl!“ Begehre ich auf.
„Und ich hab meine getroffen!“ Fährt er mich an, hängt mir den Umkehrer um und küsst mich erst zärtlich auf den Mund, auf die Nase, die Stirn, ehe er meine Lippen besitzergreifend umschließt und meinen Mund herrisch mit seiner Zunge erobert. „Du gehörst mir!“
„Dir allein“, stimme ich schwach zu und unterdrücke meine Tränen. Ich werde nicht vor ihm weinen. Nicht vor ihm.
Er tritt einen Schritt zurück. „Geh!“
Ich nicke und drehe den Zeitumkehrer wie abgemacht. „Tom?“ Frage ich noch einmal leise, bevor ich ihn loslasse, damit ich zurück in meine Zeit kehre.
„Hm?“
„Ich bin schwanger, Tom“, teile ich ihm mit festem Blick mit, als mich der Sog erfasst. Das Letzte, was ich sehe ist seine Hand die er plötzlich nach mir ausstreckt und sein ungläubiger, hoffnungsvoller Blick, bevor ich ruckartig in derselben Nische nur mit Tageslicht aufkomme.

30. April 1998


Leere. Absolute Leere scheint von meinen Gefühlen auszugehen. Ich fühle Nichts. Nicht einmal Schmerz.
Ich starre immer noch auf die Stelle, wo Tom vor einigen Sekunden noch stand und seine Hand nach mir ausstreckte.
Sein Blick. Er hat sich in mein Gedächtnis gebrannt.
Ich sehe ihn noch genau vor mir stehen.
Panisch schließe ich die Augen.
Wie eine Welle schlagen die Gefühle plötzlich auf mich ein.
Schmerz.
Angst.
Verlust.
Trauer.
Ein Gefühlscocktail der grausamsten Art tobt in mir. Eine Ansammlung aller unliebsamen Gefühle peitscht durch meinen Körper, vernebelt meinen Verstand und lässt mein Herz schmerzhaft zusammenkrampfen.
Ich bin zurück. Ich sehe meinen Tom nie wieder.
Ruckartig öffne ich die Augen und schnappe hektisch nach Luft.
Wie eine Ertrinkende, die wieder an die Oberfläche stößt.
Ich scheine in meinen Gefühlen zu ertrinken, in meinen Erinnerungen.
Ein Moment, schwebend in der Zeit.
Ein Traum oder Realität?
Ein Schluchzen kämpft sich meine Kehle empor und zwingt mich in die Knie.
Realität.
Ich bin wirklich zurück.
Was würde ich dafür geben mich jetzt in seinen Armen verkriechen zu können, wo ich all die Monate geborgen schlief. Mich sicherer fühlte als an jedem Ort zuvor. In den Räumen die ich als mein zweites zu Hause betrachtete.
Was würde ich jetzt dafür geben mit einer Tasse Tee und Keksen auf seinem Sessel zu sitzen und seiner hypnotischen Stimme zu lauschen.
Was würde ich dafür geben jetzt weinen zu können, um all den Schmerz davonspülen zu lassen.
Aber mir entweichen nur kehlige Schluchzer.
Ich darf mir hier keinen Zusammenbruch leisten. Nicht hier, wo mich jeder sehen könnte.
Was, wenn Snape mich findet und die Wahrheit über Toms und meine Beziehung erfährt?
Oder einer der Carrows.
Der Gedanke an die Geschwister treibt mich wieder auf die wackligen Beine.
Bericht erstatten.
Ich muss Bericht erstatten. Es ist ja nicht mehr weit, bis zu Snapes Büro.
Danach kann ich über alles nachdenken.
Nicht jetzt.
Ich muss erst einen sicheren Ort finden.
Stolpernd komme ich zu dem Wasserspeier, der mich sofort durchlässt.
Wenn er ein Mensch wäre, hätte er mich sicherlich fragend angesehen. Ich habe den Raum für ihn nie verlassen.
Oben angekommen, klopfe ich schwach an. „Herein!“
„Ich bin zurück, Professor“, teile ich ihm tonlos mit, nachdem ich den Raum betreten habe und laufe steif näher.
„Ah, setzen sie sich. Für mich haben sie erst vor einer Minute den Raum verlassen. Ist alles gut gelaufen?“
Mechanisch nicke ich.
Forschend mustert er mein Gesicht. „Sie sehen erschöpft aus. Ich begleite sie in den Krankenflügel, da sollten sie ihre Ruhe haben. Sie erstatten mir morgen Bericht, sobald sie aufgestanden sind und gefrühstückt haben. Im Krankenflügel. Verstanden?“
Mit gesenktem Blick nicke ich.
Schlafen klingt gut. Sehr gut. Wenn ich schlafe, kann ich nicht denken. Vielleicht vergesse ich für ein paar Stunden, dass Tom nicht mehr bei mir ist.
Schweigend trotte ich hinter Snape her, nehme Pomfrey Schlaftrank.
Ihre Stimmen sind ein Rauschen in Hintergrund. Meine Gedanken sind ganz woanders.
Mein erstes Treffen mit Tom in der Bibliothek.
Die Nachhilfe.
Weihnachten.
Silvester. Unser erster Kuss.
Die Momente in den er mich in den Arm nahm. Seine Stimme.
All die wunderbaren Gefühle tanzen in meinen Erinnerungen Samba und verdeutlichen mir, was ich soeben verloren habe.
Die Liebe meines Lebens.
Raschelnd drehe ich mich in den weißen Laken um. Durch Vorhänge bin ich vom restlichen Krankenflügel abgetrennt und froh darüber. Niemand soll mich sehen. Niemand soll mich hören.
Mein Zauberstab liegt neben mir auf dem kleinen Tisch. Meine Kleidung hängt über dem Stuhl.
Die Haarschleife halte ich fest in meinen Händen, als ich langsam in einen traumlosen, ruhigen Schlaf gleite.
Merlin sei Dank, habe ich den Schlaftrank genommen.

1. Mai 1998


Träge blinzelnd wache ich auf.
Wo bin ich?
Verwirrt sehe ich mich um.
Krankenflügel.
Wie komme ich hier her? Ich habe Tom doch gesagt, dass es mir wieder gut geht.
Verwirrt sehe ich auf die grüne Haarschleife in meinen Händen.
Und da fällt es mir wieder ein.
Zeitumkehrer. Snape. Madame Pomfrey.
Der Druck der Erinnerung zwingt mich in mein Kissen zurück.
Warum hat mich niemand auf diesen Schmerz vorbereitet?
Langsam setze ich mich auf. Was erzähle ich Snape? Die Wahrheit? Sage ich ihm, wo ich das letzte Versteck in Schloss vermute?
Ich beantworte einfach seine Fragen. Nicht mehr und nicht weniger.
Langsam ziehe ich mich an und stopfe das Band in meine Umhangstasche. Wenn ich es noch einmal sehe, garantiere ich für nichts mehr.
Neben meinem Zauberstab seht ein Glas mit Wasser, dass ich meine trockene Kehle herabrinnen lasse, bevor ich mich auf dem Weg zu Snape mache.
Wieso habe ich noch einmal zugestimmt?
„Herein“, beordert Snape wieder und ich betrete sein Büro. Mein Gesicht ist ausdruckslos. Alle Gefühle sind unter einer Decke. Scheinbar färbt Tom ab.
„Geht es ihnen besser?“
„Ja“, bestätige ich nickend.
„Möchten sie erzählen, was vorgefallen ist?“
„Nein“, demonstrativ verschränke ich die Arme.
„Haben sie den Auftrag ausgeführt?“
„Meinem Erachten nach, schon. Der Raum der Wünsche ist ein weiteres Versteck, falls er etwas in Hogwarts versteckte.“
Snape nichts wieder. „Sicher, dass alles in Ordnung ist?“
„Es könnte mir nicht besser gehen. Ich bin unbeschadet zurückgekehrt“, lächele ich ihn falsch an. Hoffentlich merkt er es nicht.
Er nickt wieder. „Sie können jetzt in den Unterricht.“
„Danke, Professor Snape.“ Steif erhebe ich mich und gehe zur Tür. Mit dem Knauf in der Hand halte ich inne. „Professor Snape?“
„Miss Capulet?“
„Darf ich… Darf ich heute bitte pausieren? Ich muss… Ich brauch ein wenig Ruhe“, bitte ich ihn kleinlaut und senke nervös den Blick.
„Nehmen sie sich alle Zeit, die sie brauchen. Morgen ist auch noch ein Tag.“
„Danke, Professor.“

Am See setze ich mich mit den Rücken an einen Baum gelehnt an eine abgelegene Stelle. Ich will nicht, dass mich irgendjemand sieht. Ich brauche meine Ruhe.
Ich bin also zurück. Er hat mich zurückgeschickt. Mein Tom.
Warum?
Ich habe ihm doch gesagt, dass ich ihm nichts vorgespielt habe. Ich habe ihn in meinen Kopf gelassen.
Wollte er mich einfach nicht mehr?
Warum hat er dann die Hand nach mir ausgestreckt nur wegen des Kindes?
Schwer seufzend fahre ich mir durch die Haare. Ich trage sie immer noch in einen Dutt. Irgendwie fühle ich mich dadurch mit Tom verbunden.
Eine kleine Träne kullert meine Wange hinab.
Warum kann ich nicht einfach weinen? So richtig heulen, um den Kummer ein wenig zu mildern? Um die Leere in meiner Brust zu füllen?
Ich schließe die Augen und lehne meinen Kopf an den Baum hinter mir.
Wie konnte mir das nur passieren?
Wie?
Und was soll ich Neville sagen, falls er fragt, was los ist? Wo ich gestern und heute im Unterricht war?
Ich glaube, ich schüttele einfach den Kopf. Er akzeptiert es immer, wenn ich nicht reden will.
Er wird es auch diesmal.
Tom hat mich auch nie bedrängt. Mein Tom…
Oh Tom!
Und endlich kommen die langersehnten Tränen.

2. Mai 1998


Schweigend sitze ich mit den restlichen Flüchtlingen in Raum der Wünsche. Alle wirbeln durcheinander, reden, lachen und werfen dennoch nervöse Blicke um sich. Etwas schwirrt in der Luft. Etwas Angsteinflößendes.
Ich spüre es auch.
Nur, dass ich mich nicht beirren lasse. Es ist eh alles egal. Was stört mich da ein Gefühl, dass nur an der Oberfläche der Watte kratzt, der schützenden Glocke, die sich um mein Herz gelegt hat, nach meinen Tränenausbruch um nie wieder solchen Kummer zu empfinden?
Es kümmert mich gar nicht. Man könnte mich umbringen und ich würde nicht versuchen mein Leben zu retten.
Für was soll ich denn leben, wenn mein Lebensinhalt hier nach meinen Tod trachtet?
Tom.
Ausdruckslos starre ich aus dem Fester auf dessen Bank ich sitze. Es ist ein schöner Tag, glaube ich. Die Sonne scheint mild und das Gras ist saftig grün. Genau richtig um am See mit Freunden zu sitzen oder um über die Ländereinen zu schlendern.
Doch draußen bewegt sich nichts.
Niemand wagt sich aus dem Schloss. Zu groß ist die Angst vor den Carrows, die einen auch mit Freuden grundlos bestrafen wegen zu lautem Lachen und unordentlich geflochtenem Haar.
Mit einem dumpfen Geräusch kommt mein Kopf gegen die Wand hinter mir. Es kümmert mich nicht.
Alles scheint so weit entfernt zu sein, so abgeschirmt. Als hätte ich nichts mehr mit meiner Umwelt zu tun. Als wäre ich ein Beobachter, kein Akteur. Einfach nur da, aber nicht anwesend.
Ich hätte mich nicht wegschicken lassen sollen. Das war ein Fehler. Aber das weiß man immer erst hinter mir. Und mein Leben wird weitergehen. Irgendwie.
Irgendwann.
„Harry!“ Kreischt jemand hinter mir und ich drehe den Kopf zum Raum.
Tatsächlich, umringt von den anwesenden Schülern stehen Ron, Harry und Hermine im Raum. Ich drehe den Kopf wieder weg. Ich kann Gesellschaft jetzt nicht gebrauchen.
Sie müssen durch das Portrait gekommen sein, dass uns zu Aberforth führt. Wahrscheinlich hat Ariana Neville geholt.
Neville. Er sieht schlimmer aus, als an dem Tag, an dem ich gegangen bin. Sie haben ihn geschlagen, weil er ihnen nicht gesagt hat, nicht sagen konnte, wo ich bin.
Ein Seufzend unterdrückend ziehe ich meine Beine an und schlinge meine Arme darum. Mein Blick wandert wie von allein von dem Fenster weg zum Raum hin.
Alle umringen die drei Helden, befragen sie, freuen sich. Sie führen sich auf, als wäre Lord Voldemort schon besiegt… schon tot.
Schwer schluckend verdränge ich die aufsteigenden Tränen. Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll. Ich fühle mich so überfordert. Mein Verstand weiß, was richtig für die Welt ist, aber mein Herz möchte das nicht einsehen.
Nie habe ich an die eine große Liebe geglaubt. Nie. Und dann hat sie mich überfahren. Einfach so.
Er fehlt mir. Ich hätte bei ihm bleiben sollen. Dann würde ich mich nicht so einsam fühlen. Wer weiß, wie alles gekommen wäre? Vielleicht hätte er mich sogar geheiratet… Auch, wenn das ein wenig träumerisch klingt. Jetzt, da ich hier bin, werde ich es nie erfahren und kann mir Träumereien erlauben.
Luna und Dean kommen plötzlich aus dem Tunnel, was Seamus dazu bringt johlend auf seinen besten Freund zuspringen.
Wie würde ich wohl Tom begrüßen, wenn ich ihn wieder sehe? Wie würde er mich begrüßen?
Immer mehr kommen aus dem Tunnel, Ginny, Fred, George, Lee, Cho.
Alles ehemalige DA – Mitglieder. Harry sieht wenig begeistert aus. Gelangweilt drehe ich meinen Kopf wieder weg.
Was soll ich denn sonst machen? Ich habe keinen Grund mich zu freuen. Sein Auftauchen bedeutet Veränderung und Veränderungen sind im Moment nichts, was ich gut heiße.
Die letzte Veränderung hat mein Leben komplett geändert und mir Liebeskummer beschert.
Neville macht sich Sorgen um mich. Er zeigt es mir in seinen Blicken, nachdem er es aufgegeben hat mich zu fragen, wo ich war, was los ist.
Ich habe ihm nie geantwortet. Nie.
Plötzlich wird es ganz still in meinem Rücken, als Harry seine Stimme anhebt.
Er sucht ihn. Den Horkrux. Ravenclaws Diadem. Ich weiß, wo er ist. Ich ahne es. Ich habe eine Vermutung. Tom wird in ihm Raum der Wünsche versteckt haben.
Aber ich werde es ihm nicht sagen. Ich kann es ihm nicht sagen. Ich kann und will Tom nicht verraten?
Werde ich jetzt trotzdem zum Verräter? Zur Verräterin der DA? Wahrscheinlich werden es die Anderen so sehen. Keiner wird mich verstehen. Keiner von ihnen kann mich verstehen.
Harry verlässt den Raum mit Luna, wohin sie gehen habe ich nicht mitbekommen. Augenblicklich steigt der Lärmpegel wieder. Nicht einmal hier hat man seine Ruhe. Nirgends hat man seine Ruhe.
Immer mehr kommen durch den Tunnel. Inzwischen ist die komplette Familie Weasley anwesend, mit Ausnahme von Percy. Aber der soll sich ja von der Familie entfernt haben.
Und dann kommt Harry zurück. Verwirrt blickt er auf die Menschenmassen, die sich in den Raum inzwischen Tummeln.
Ein dumpfer Schlag ertönt aus der Nähe des Portraittunnels und ein weiterer Rotschopf richtet sich auf. Percy. Er scheint wohl sein Gleichgewischt verloren zu haben, als er aus dem Loch kam. Schweigend starren sich die Familienmitglieder an. Bis Fleur etwas zu Lupin sagt. Hier hinten kann ich nicht verstehen, worüber sie sich unterhalten, bis Percy ungehalten losbrüllt.
Das nenne ich einen Familienstreit. Merlin sei Dank sind meine Eltern nicht hier. Sie hier zu wissen könnte ich nicht ertragen. Sie haben nichts bei solch einem Kampf verloren. Meine Mutter würde den ganzen Tod nicht ertragen und Vater ihren Anblick nicht. Sie würden umkommen vor Sorge um einander.
Ron ist mit Hermine schon vor einigen Minuten gegangen und kann sich nicht an der Diskussion beteiligen, aber vielleicht hört er das Gebrüll bis an den Ort, wo er sich momentan befindet. Es würde mich nicht wundern.
„Wir müssen in die Große Halle“, fordert Harry alle auf, nachdem das Familiendrama sich gelegt hat. Schwerfällig stehe ich auf.
Es geht also los. Die Schlacht in Hogwarts. Ob ich ihn sehen werde? Tom? Will ich ihn überhaupt sehen? Als Lord Voldemort? Eine Verdeutlichung dessen, was ich Liebe? Ein Monster?
Seufzend laufe ich inmitten der Schülerschar.
Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Welt. Nur das Gesetz der Stärkeren.
Oder ist es gerecht, dass ich jetzt gegen den Mann, den ich liebe kämpfen muss?
In der Großen Halle setzen sich alle an die Haustische und lauschen McGonogalls Worten. Die Minderjährigen werden also evakuiert. Sehr gut. Wenn heute alle sterben, die anwesend sind, sterben wenigstens nicht die nächsten Generationen.

Eine hohe, kalte Stimme unterbricht McGonogall plötzlich. Man kann nicht sagen, woher sie kommt, scheint in den Wänden zu vibrieren und Ausbruch zu nehmen, damit wir sie auch hören.
Es ist die Stimme Lord Voldemorts.
Einige Schüler schreien, klammerten sich an einander. Meine Nackenhaare stellen sich erwartungsvoll auf. Mein Körper reagiert immer noch auf ihn. Auf das Echo der Gefühle, die seine Stimme, mag sie noch so andres klingen, hervorruft. Er verlangt nach Harry Potter und wir dürfen Leben.
Ich weiß, dass es nicht so kommen wird. Niemand würde den Goldjungen opfern, außer den Slytherins. Aber ihre Macht ist mit Snapes Flucht verloren gegangen. Keiner wird auf sie hören.
Gedankenverloren sitze ich auf meinen Platz, bis sich alle um mich herum in Bewegung setzen. Es dauert nicht mehr lange bis Mitternacht, die Uhrzeit an der unsere Frist abläuft. Alle scheinen zu wissen, was zu tun ist. Nur ich nicht. Etwas verloren stelle ich mich in eine Ecke der Großen Halle. Wenn der Kampf losgeht, ist das ein Ort, wo ich es zuerst merke.
Das Adrenalin der Schlacht wird all meinen Kummer hinwegschwemmen. Die Taubheit mit sich nehmen. Mir das Gefühl des Lebens und leben wollen wieder bringen.

Flüche fliegen um mich herum. Krachen in die Wände neben mir, werden von meinem Protego gestoppt. Seit Stunden tobt die Schlacht um mich herum und ich bin glücklicherweise mit einigen blutigen Schrammen davongekommen.
Mein rotes Haar wirbelt um mich herum, da sich mein Zopf bei einer gewagten Ausweichrolle gelöst hat. Zum Glück habe ich ausnahmsweise nicht Toms Haarband zur Befestigung genommen. Das ist fest um mein Handgelenk gewickelt.
Ein weiterer Todesser kommt auf mich zu. Schützend hebe ich meinen Zauberstab in der zitternden Hand. Es ist kräftezehrend stundenlang zu zaubern, Zauber abzuwehren und hin und her zu laufen. Mein Atem geht schwer. Meine Leistungsfähigkeit ist einfach herabgesetzt.
„Endlich“, sagt der Todesser vor mir beinahe seufzend und zieht seine Maske ab. Dolohow. Nie hätte ich gedacht beinahe Erleichterung bei seinem Anblick zu empfinden. Aber in seiner Gegenwart fühle ich mich wie im Jahre 1945. Geschützt on Tom, sicher vor der Welt und ihren Grausamkeiten.
„Claire? Claire Capulet?“ Vorsichtig nicke ich. „Niemals hätte ich es für möglich gehalten“, murmelt er, als er auf mich zugeht. „DU warst einfach weg und jetzt… du siehst aus wie in meinem siebten Schuljahr.“
Schwach lächele ich ihn an ohne meine Deckung aufzugeben. Merkwürdigerweise tut es mir gut mit ihm zu reden. Wie mit einem alten Bekannten, das ist so unglaublich paradox, dass ich am liebsten lachen würde.
„Wie konnte ich nur an der Aussage des Dunklen Lords zweifeln?“ Scheint er sich selbst zu fragen und senkt plötzlich seinen Zauberstab nur um seine andere Hand nach mir auszustrecken.
„Komm mit mir. Er erwartet dich“, teilt er mir mit.
Ohne nachzudenken greife ich nach seiner Hand und lass mich von ihm merkwürdigerweise unbehelligt aus dem Schloss führen. Ich habe eh nichts mehr zu verlieren und ich wünsche mir seitdem ich hier bin nichts sehnlicher, als Tom wieder zusehen. Meinen Tom.
Ja, vielleicht macht Liebe blind, doch wenn es so ist, möchte ich nie wieder sehen.
Ich habe mir die Hände verbrannt, nur um ihn in den Arm zu nehmen, aber was bringt mir mein Herz, wenn es einsam schlägt? Wenn seins, nicht mit bebt, schlägt, lebt oder leidet?
Nichts. Entweder ich lebe mit ihm weiter oder ohne ihn und nehme unser Kind mit ins Grab. Dann hätte ich wenigstens einen Teil von ihm bei mir.
Mit einem leichten Schaudern betrete ich den Wald hinter Dolohow, der zielstrebig durch das Dickicht läuft. Hier ist es ganz still.
Keine trampelnden Schritte, Flüche, Schmerzensschreie. Nicht einmal ein Wind bringt die Blätter zum Rascheln. Nur meine eigenen Schritte und mein Herzschlag dröhnen an mein Ohr.
Plötzlich lichten sich die Bäume und wir kommen auf einer Lichtung tief im Wald an. Die Überreste eines riesigen Spinnennetzes hängen im Hintergrund. Das muss das Zuhause der Riesenspinnen sein, die in Hogwarts für Toms Sache kämpfen.
Wie er die Tiere wohl zum Kämpfen bewegt hat? Er konnte schon immer Tiere kontrollieren. Man denke nur an das Kaninchen, dass er im Waisenheim aus Rache tötete.
Tom sieht uns aus seinen roten Augen ausdruckslos entgegen und ich bleibe am Saum der Bäume stehen. Seine Schlange schwebt neben ihm und scheint in einem magischen Schutzkäfig gefangen zu sein. Das ist also Nagini.
Dolohow tritt vor ihn, fällt auf die Knie und küsst den Saum seines Mantels. „Ich habe sie wirklich gefunden, Meister.“
„Gut“, schneidet Toms Stimme die Luft und fährt direkt in mein Herz. Am liebsten würde ich auf ihn zu rennen, ihm um den Hals fallen und wie ein Baby weinen, bis keine Tränen mehr übrig sind. Aber das würde er nicht zu lassen. Er ist unmenschlicher als jemals zuvor. Unsterblich im Moment, aber so wenig Mensch wie nur möglich. „Lass uns allein. Kehre zur Schlacht zurück. Ich werde euch demnächst hier zusammen rufen.“
Dolohow neigt noch einmal sein Haupt, ehe er aufsteht und einige Schritte rückwärtsgeht, bevor er sich umdreht, die Maske wieder aufsetzt und wieder in die Dunkelheit des Waldes verschwindet.
Atemlos blicke ich zur bleichen Gestalt vor mir.
„Claire“, mehr sagt er nicht. Mehr brauch er nicht zu sagen. Hektisch mache ich einen Schritt nach vorne. „Tom“, flüstere ich zurück.
Langsam streckt er seine Hand nach mir aus. Langsam laufe ich los, werde mit jedem Schritt schneller. Mein Herz rast in einem unglaublichen Rhythmus.
Gleich, gleich bin ich wieder ganz nah bei ihm. Rieche ihn, fühle ihn. Meinen Tom.
Meine Fingerspitzen streichen die seinen. Das erste, was ich seit Tagen von ihm fühle. Ein Stromschlag durchzuckt meinen Körper, tausend Schmetterlinge tanzen in meinen Bauch.
Wunderschöne, wunderbare Gefühle schießen durch meinen Körper. Ich bin wieder bei ihm.
„Tom“, flüstere ich mit erstickter, zittriger Stimme.
Seine Hand umschließt meine. „Hm?“
Meine ebenfalls zitternde Hand hebend, blicke ich ihm ins Gesicht. Langsam lasse ich sie auf seine Wange gleiten.
„So nah und doch so fern“, flüstere ich und lasse mich von seinen roten Augen einfangen. „Wie viel Zeit ist für dich vergangen?“ Fragt er kühl und lässt seinen Blick über meinen Körper gleiten. Nervös beiße ich mir auf die Lippe. Er hat mich noch nie in Jeans und Top gesehen. Wenigstens habe ich meinen Mantel um, der meine Körperform wenigstens ein bisschen verdeckt. Mein Haar habe ich auf dem Weg hierher wieder in seine grüne Haarschleife gebunden, sachte streicht er darüber. Ich weiß nicht, ob es ihn freut oder nicht. Sein glattes, schlangengleiches Gesicht lässt noch weniger Emotionen erkennen, als zuvor.
„Zwei Tage. Am 30 April bin ich hier angekommen“, flüstere ich, immer noch ungläubig so nahe bei ihm zustehen, zärtlich lasse ich meine Hand auf seine Schulter gleiten, auf seine Brust, spreize die Finger über seinen Herz und fange dessen Rhythmus ein. „Ich habe dich vermisst, Tom.“
Unwillig verzieht er kurz das Gesicht. „Es ist Jahrzehnte her, dass mich jemand Tom genannt hat.“
„Ich weiß Tom“, flüstere ich mit Betonung auf seinem Namen.
„Du hast mein Haarband noch.“
„Selbstverständlich“, lächele ich ihn an. Er löst seine Hand von der meinen und greift in die Innenseite seines Umhangs. Verwirrt mache ich einen Schritt zurück. Will er mich doch umbringen? Hat er all die Jahre darauf gewartet?
Erstaunt weiten sich meine Augen, als ich sehe, was er aus seinem Umhang hervorholt.
Es ist das Bild. Das Bild, das ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe, aufgenommen auf Slughorns Weihnachtsparty. Glücklich strahle ich in die Kamera und der junge Tom sieht mit ernstem Blick besitzergreifend auf mich herab auf mich herab.
Atemlos greife ich nach dem abgegriffenen Bild, dem man ansieht, dass es oft betrachtet wird. Es ist leicht vergilbt, hat kleine Einrisse am Rand und Knicke. Aber wir sind noch gut zu erkennen. Keuchend stoße ich die unbewusst angehaltene Luft aus. „Du hast es noch!“
Wortlos greift er ein weiteres Mal in seinen Umhang, holt den magisch verkleinerten Schal heraus, den ich damals in den Weihnachtsferien und danach in seinem Zimmer strickte und das Bild, dass der Fotograf bei unserem letzten gemeinsamen Slugclubtreffen aufnahm.
„Wie bist du zu dem gekommen?“ Frage ich ablenkend. Außerdem halte ich die Stille die von ihm ausgeht nicht mehr aus.
„Ich habe es mir geholt. Ich dachte, dass ein Bild von dir in dieser Zeit nicht von Vorteil wäre. Ich habe alle deine Unterlagen, die deine Existenz beweisen vernichtet. Den Lehrern und deinen Freunden habe ich das Gedächtnis gelöscht.“
„Oh“, wenigstens haben sie mich dann nicht vermisst.
„Deinen Kuschelhasen habe ich auch noch“, sein nüchterner Tonfall widerspricht seinen Worten. Worte die mir beweisen, dass ich ihm immer noch etwas bedeute.
Ich wünsche es mir so sehr, so sehr, dass noch ein Echo von meinem Tom in dem Menschen vor mir steckt der optisch nichts gemein hat mit seinem alten Ich. Nur sein Geruch. Sein Geruch ist immer noch derselbe. Nur das Aftershave fehlt.
Unschlüssig stehen wir voreinander. Wie soll es weitergehen? Seine Todesser kämpfen gerade gegen meine Freunde und ich stehe angespannt vor freudiger Erregung und so gelassen wie ich seit Tagen nicht mehr war vor dem gefährlichsten Schwarmagier der Welt.
Durchdringend sieht er mich an. „Ist es… Bist du..?“
Nervös nicke ich. Vorsichtig schiebt er meinen Umhang beiseite und legt seine bleiche Hand auf meinen Unterleib. „Der wievielte Monat?“
„Ich bin jetzt im vierten“, flüstere ich mit liebevollem Unterton. Ruckartig packt er mich an den Schultern und funkelt mich wutentbrannt an.
„Und dann kämpfst du?“ Zischt er ungehalten. Wütend funkele ich zurück.
„Ja! Ich habe doch nichts zu verlieren! Entweder ein Leben mit dir, Tom oder gar keins!“
Augenblicklich werden seine Gesichtszüge wieder weicher. „Du wirst das Kind auf die Welt bringen und dich so gut wie möglich um es kümmern! Du bleibst jetzt bei mir.“
„Ich werde die Schlacht bei dir ausharren“, bestätige ich und freue mich insgeheim über seine Reaktion.
Er muss mich lieben, er muss es einfach.
„Ich meine nicht nur die Schlacht“, stellt er richtig und sucht in meinem Gesicht nach einem Zeichen von Ablehnung. Ergeben nicke ich. Habe ich mir das nicht gewünscht? Ein Leben an seiner Seite?
Sein Zauberstab liegt plötzlich in seinen Händen, vorsichtig tippt er sich gegen die Schläfe und zieht einen silbrigen Stang hervor, den er in einer Phiole gefangen hält. Diese drückt er mir in die Hand.
„Das ist für unser Kind. Wenn ich an der Macht bin, werde ich keine Zeit haben mich um seine angemessene Ausbildung zu kümmern. Das ist all mein Wissen, welches ich nicht in Hogwarts lernte.“ Mit diesen Worten wickelt er den Schal darum und gibt mir die beiden Bilder. „Wenn wir zusammen leben, möchte ich, dass du das in unserem Haus an den Platz stellst, der dir für angemessen erscheint und jetzt komm an meine Seite. Meine Anhänger sind auf dem Weg hierher.“
Schnell stelle ich mich halb hinter ihn, wo ich zu unserer Schulzeit schon immer stand, wenn er auf einem Gang mit einem Anhänger sprach und ich dabei war.
„Ich sagte neben mich“, zischt er mich kalt an. Hektisch komme ich dem Befehl nach.
Nach und nach tauchen Maskierte und unmaskierte Todesser auf und versammeln sich in einem stillen Halbkreis um uns herum, nachdem jeder seinen Umhangssaum geküsst hat. Mir werden immer wieder Blicke zu geworfen, die ich hocherhobenen Hauptes missachte.
Nagini zischelt leise auf der anderen Seite von ihm.
„Das ist Claire. Mache von euch kennen sie bereits“, an dieser Stelle kräuselt er die Lippen zu einem boshaft wirkenden Grinsen. „Begrüßt meine Dark Lady wie es ihr gebührt.“
Stumm heben alle ihre Hand und präsentieren ihre Male. „Ihr Wort ist euch Gesetz. Jegliche Beschwerden werde ich hart bestrafen.“
Eine Stille folgt seinen Worten, die ich als unheimlich bezeichnen würde, wenn seine Gegenwart mir nicht so ein unglaublich sichereres Gefühl bereiten würde. Die Dinge, die er mir gegeben hat, sind sicher in meiner Tasche verstaut.
„Harry Potter sollte bald kommen“, wechselt er abrupt das Thema. „Dann ist mein Sieg gewiss!“
Seine Anhänger jubeln und ich lächele triumphierend. Zumindest hoffe ich das, zum Lächeln ist mir nämlich gar nicht zu Mute. Harry soll nicht sterben. Das soll nicht die Finaleschlacht sein. Toms Ideologie ist falsch.
Er schickt Dolohow und Yaxley aus. Um Harry abzupassen. Insgeheim hoffe ich, dass Harry nicht so dumm ist und hierher kommt. Das wäre Selbstmord und der Sache des Phönixordens wäre damit nicht gedient. Nur vielen Menschen wäre die Hoffnung genommen worden.
Plötzlich tauchen die Spinnen wieder auf. Mit Hagrid. Tom lacht herablassen, als sie ihn vor sich absetzen, ehe sich das Getier zurückzieht.
„Hagrid“, höhnt Tom und fesselt ihn mit dem Wink eines Zauberstabes. „Du bist gekommen um meinen Triumph zu sehen. Wie nett.“
Entsetzt sieht mich der Halbriese an. „Claire“, sagt er dann entsetzt und wendet sich mit hochrotem Kopf Tom zu. „Lass sie gehen! Sie hat nichts getan! Durch sie kommst du auch nicht an Harry ran!“
Tom lacht auf. Voller Mitleid blicke ich zu Hagrid auf, der mehrere Köpfe größer ist, als ich, obwohl er kniet.
„Wer sagt, dass ich sie gefangen halte? Sie ist freiwillig hier!“ Lacht er Hagrid ins Gesicht, dreht sich zu mir um und drückt mir seinen lippenlosen Mund auf. Überrascht erwidere ich den kurzen Kuss, ehe Tom triumphierend zu Hagrid sieht und ich leicht beschämt den Kopf senke. Ich kann Hagrid jetzt nicht ins Gesicht sehen, er würde nicht verstehen.
Entsetzt heult dieser auf. Teilnahmslos bleibe ich neben Tom und lasse mir meinen inneren Zwiespalt nicht anmerken. Der Halbriese wird ein Stückchen fortgeschleift und wartet mit uns auf Harry.
Einige Minuten später kommen Yaxley und Dolohow zurück. „Potter ist nicht im Wald, Herr.“
„Ich habe erwartet, dass er kommt“, Toms klare Stimme klingt kalt durch den Wald. „Ich habe mich wohl in ihm getäuscht.“
„Nein, hast du nicht“, Harrys feste, junge Stimme lässt mich den Kopf heben.
„Harry! Nicht“, brüllt der fest an einen Baum geschnürte Hagrid. „Nein! NEIN! Harry! Was machst’n…“
„Ruhe“, donnert einer der Todesser und bringt Hagrid mit dem Schwenker seines Zauberstabes zum Schweigen.
Harrys Blick huscht zurück zu Tom, wo er mich erspäht und seine Augen sich erschrocken weiten.
„Darf ich dir Claire vorstellen, Harry?“ Schnarrt Tom. „Aber du kennst sie gewiss schon, nicht wahr? Überrascht sie hier anzutreffen?“ Spottet er und legt mir seine Hand auf die Schulter. Am liebsten würde ich sie abschütteln. So viel Boshaftigkeit und Niederträchtigkeit stoßen mich ab. So behandelt man keine Menschen! Nicht einmal seinen größten Feind.
Tom zieht seinen Zauberstab und richtet ihn auf Harry. Der sieht im gespannt entgegen. Versucht nicht einmal sich zu wehren. Grünes Licht entspringt Toms Zauberstab und trifft Harry auf der Brust.
Beide brechen zusammen.
Erschrocken quieke ich auf und beuge mich zu Tom runter. Fühle nach seinen Puls, wimmere leise, als ich ihn nicht finde. Er kann mir doch nicht kurz nachdem ich ihn wieder habe, wieder genommen werden! Nein! Nein! Nein! Das ist nicht fair!
Nach einiger Zeit regt er sich wieder, steht auf ohne mich zu beachten, auch Bellatrix unterbricht ihr Gejammer.
Er ist mein Mann! Sie soll ihre wahnsinnigen Finger von ihm lassen!
Tom schüttelt sie ab und lässt Narzissa kontrollieren, ob Harry noch lebt. Als sie seinen Tod verkündet steigen mir Tränen in die Augen, die ich panisch wegblinzele. Harry, oh Harry. Er war doch einer der wenigen, die immer nett zu mir waren! Wie konnte das nur passieren? Wie konnte ich das zulassen?
Was tue ich hier? Ich kämpfe doch für die andere Seite!
„Kommt! Verkünden wir meinen Sieg!“ Befiehlt Tom, lässt Harry von Hagrid tragen und schreitet am Anfang der Todesser zurück nach Hogwarts. Ich bilde das Schlusslicht. Im Unreinen mit mir und meinem Herzen.
Wenn meine Liebe nicht so groß wäre! Ja, dann würde ich ihn jetzt einfach umbringen. Die Möglichkeit ergreifen, dass er mir so viel vertrauen zukommen lässt. Aber dazu bin ich nicht fähig. Dafür bin ich zu egoistisch. Ich bin nicht so aufopferungsvoll wie Harry. Obwohl ich selbst für den Frieden sterben würde, wie er. Für die Menschen, die ich liebe.
Plötzlich schreit Hagrid einen Zentauren an, der der Prozession der Zauberer zusieht, doch seine Tränen unterbrechen seinen Wortschwall und still gehen wir weiter bis an den Waldrand, wo immer noch die Dementoren patrouillieren. Schaudernd ziehe ich die Schultern nach oben und schlinge die Arme um mich. Am offenen Portal der Schule bleiben wir stehen und die Todesser postieren sich in einer Reihe in dem warmen rötlichen Licht, dass aus dem Ausgang hervorquillt.
Gequält sehe ich dorthin. Ich sollte jetzt da drinnen sein, bei Neville. Mit ihm nach den Verletzten sehen und den Mutlosen Mut zusprechen.
Ich stelle mich dicht hinter Tom, sodass er weiß, dass ich bei ihm bin mich aber keinen von Schloss aus sehen kann.
Als ersten kommt Professor McGonogall heraus. „Nein!“ Schreit sie hysterisch und der Schrei ist noch viel schrecklicher, als die folgenden von seinen Freunden, Ron, Hermine, den anderen Schülern, weil ich nie, nie damit gerechnet habe solch eine Verzweiflung, solch einen Schmerz in der Stimme meiner Hauslehrerin so vernehmen.
Sie fangen an zu reden. Tom, Neville. Die beiden Männer, die mir am meisten in meinem Leben bedeuten. Ein unglaublicher Schmerz breitet sich in mir aus und ich stelle mich näher an Tom heran, als könnte seine Berührung all meine Zweifel wegwischen. Doch er beachtet mich nicht. Zu sehr ist er damit beschäftigt, große Reden von der Zukunft zu schwingen und Neville auf seine Seite zu ziehen.
Ich will davon nichts hören, ich will hier gar nicht sein. Ich will zurück ins Jahr 1945 in seinen Schulsprecherraum. Da hatte ich solche Sorgen nicht.
Plötzlich verschwindet Harry. Er ist einfach weg. Ein Tumult bricht aus, Neville tötet Nagini und aus allen Ecken kommen neue Kämpfer. Unsichtbare Wesen scheinen auf die Köpfe der Riesen loszugehen, Zentauren zerreiben die Reihen der Todesser und schnell flüchte ich mich in die Eingangshalle des Schlosses. Tom ist einfach in den Kampf gezogen. Was sollte ich noch sinnlos herumstehen?
In der großen Halle, kämpfen Grüppchen wild gegeneinander. Tom wird zu gleich von drei verschiedenen angegriffen und Bellatrix duelliert sich mit Molly Weasley, die wutentbrannt Flüche auf die Todesserin schickt.
Die Hauselfen stürzen sich in die Schlacht und alle Hogsmeadebewohner scheinen zum Kampf dazu gestoßen zu sein, Horace Slughorn rennt in seinem grünen Schlafanzug durch die Halle. Und ich?
Ich stehe am Rand und beobachte das Geschehen. Beide Seiten lassen mich in Ruhe, da die Todesser sich meiner Loyalität sicher sind und außer Hagrid und Harry niemand weiß, dass ich scheinbar die Seiten gewechselt habe. Von Harry ist immer noch keine Spur und Hagrid schleudert vereinzelt Todesser durch die Gegend.
Als Bellatrix fällt, schreit Tom zornig auf, laut genug um das Freudengebrüll der umstehenden Menge zu übertönen? Voller Mitleid sehe ich zu ihm. Er hat keine Chance. Seine letzte Stunde hat geschlagen. Ich weiß es, ich fühle es.
Aber ich habe ihn noch einmal gesehen, einmal berührt. Sicher schließe ich die Erinnerung in meinem Kopf ein. In meinem Herzen. Niemals wird mein Herz einem anderen gehören.
„Harry!“ „Er lebt!“ Schreien plötzlich meine Mitschüler los und ich eise meinen Blick von Tom, der mit seinen Flüchen alle quält, die ihm zu nahe kommen.
Von einer Welle der Traurigkeit erfasst, verlasse ich die Halle und gehe die zerstörte Treppe nach oben. Keiner begegnet mir auf meinem Weg zum Klo der Maulenden Mytre, alle sind ich der Halle und sehen den Tod meines Geliebten mit an.
Es ist der Augenblick, der ihm das Leben nimmt. Ich höre den Tumult, das Geschreie den Jubel aus der Großen Halle und die Tränen fangen an meine Wangen hinab zu rinnen. Ich habe ihn endgültig verloren. Ich bin allein. So allein.
Eine eiserne Faust scheint sich um mein Herz zu schließen, nachdem die Tür des Klos hinter mir zufällt. Erschöpft sinke ich gegen ein Waschbecken, das sich durch mein Gewicht verschiebt. Schluchzend blicke ich in das schwarze Loch.
Langsam ziehe ich die Fotos, die Phiole in dem Schal aus meinem Mantel und betrachte es ein letztes Mal.
Wie glücklich ich doch war… wehmütig streiche ich über mein lachendes Gesicht kurz vor Weihnachten 1944. Wie glücklich er mich doch gemacht.
Und wie unbeschreiblich groß der Schmerz ist, der von mir Besitz ergriffen hat. Keine Worte der Welt können meine Gefühle beschreiben, den Kummer, den tiefen Schmerz der durch meinen Körper jagt.
Eine vereinzelte Träne fällt auf das zweite Foto.
Schluchzend wische ich sie weg. Ich kann sie nicht behalten. Ich kann nicht!
Mit einem leisen Aufschrei werfe ich die Dinge in den Abgrund und das Waschbecken verschließt sich geräuschlos wieder, als hätte es nur darauf gewartet. Nicht einmal Verwunderung darüber kann ich empfinden.
Weg hier! Ich muss weg hier.
Hagrid und Harry halten mich für einen Anhänger, einen Todesser. Ich muss weg hier. Fliehen. So weit weg, wie möglich.
Stolpernd stehe ich auf. Ein neues Gefühl ergreift Besitz von mir. Es ist der bittersüße Geschmack der Panik.
Und das rennen beginnt. Weg von Hogwarts. Weg von Schottland. Weg, weit weg von dem Schmerz in mir, dem ich trotz allem nie entkommen werde.
Aus der Ferne höre ich noch Peeves Siegeslied, als ich in die trostlose, sternenklare Nacht hinaustrete.
Wie gerne hätte ich Tom, meinen Tom jetzt an meiner Seite. Den Tom, in den ich mich verliebt habe. Den, der mit mir stundenlang geredet hat, mit Tee kochte und Kekse anbot.
Hinter Hogwarts Grenzen appariere ich.

2. November 1998


Kalt und stechend beißt der Wind auf meiner nackten Hand im Gesicht. Die Landschaft zu meinen Füßen ist schneebedeckt und ohne Anhaltspunkte, schützend schlinge ich meine Arme um meinen Bauch.
Sie suchen mich, als die letzte freie Anhängerin des Lords. Ich habe gutes daran getan Hogwarts gleich nach der Schlacht zu verlassen. Ich bin eine Geächtete.
Ein kleines Lächeln huscht über mein Gesicht, als ich den Tritt meines Kindes gegen die Bachdecke spüre. Es ist das Letzte, was mir von ihm geblieben ist. Ich liebe es mehr, als mein Leben und werde es vor allem auf dieser Welt schützen. Koste es, was es wolle.
Es ist Tom Riddles Erbe. Der letzte Nachfahre der Slytherins. Das Einzige, was ich von ihm habe.
Nur ein wehmütiges Gefühl ist geblieben, der Rest ist sicher in der hintersten Ecke meiner Seele eingeschlossen. In einem festen Kokon, der weder Kummer noch Schmerz nach außen lässt. Ich bin hier sicher vor mir selbst.
Nur nachts überkommt mich manchmal die Trauer, doch wenn ich dann an unser Kind denke, leuchtet ein kleiner Funke in meiner Brust auf, der mir zeigt, dass es Glück auf dieser Welt gibt.
Das Kind wird besser ohne mich dran sein. Nicht verfolgt, nicht auf der Flucht. Ich werde es sobald ich in Bedrängnis gerate in dasselbe Waisenhaus bringen, in welchem auch Tom groß wurde. Ich weiß nicht, warum ich mich dazu entschieden habe, aber ich weiß, es ist gut.
Außerdem wüsste ich nicht, wo ich sonst mit dem Baby hinsollte. Aber solange ich es behalten kann, kümmere ich mich um mein Fleisch und Blut.
Ist die Liebe eine Ausrede der Schwachen um ihre eigenen Nutzlosigkeit zu verbergen?
Oder ist gerade sie ein Zeichen der Stärke?
Wenn man Jemanden liebt, muss man immer mit dem Schmerz des Verlustes rechnen. Ein Schmerz verletzender als glühendes Metall auf der Haut.
Werde ich den Schmerz, den sein Tod hervorrief je hinter mir lassen und glücklich weiterleben können oder ist er mein Begleiter fürs Leben?
So sinnlos es rational gesehen es auch ist, aber er hatte nun mal mein Herz erobert, Tom Vorlost Riddle, Lord Voldemort, der mächtigste Zauberer aller Zeiten.
Ich bin an der Sache gewachsen. Fühle mich viel älter, als ich bin. Doch scheinbar weiß ich noch nicht genug. Es ist alles vorbei. Ich habe die Liebe meines Lebens verloren und doch existiere ich.
Doch lebe ich?

Epilog


Meine geliebte Alice, ich hoffe du verstehst, was ich dir damit sagen wollte.
Es kommt im Leben nicht immer so wie man es geplant hat und trotzdem ist es gut so. Ich hoffe, du verzeihst deinem Vater und mir, dass wir dich verlassen haben, dass du nicht in einer glücklichen Kleinfamilie großgezogen wurdest. Ich weiß, du hättest es verdient und ich wünsche mir nichts mehr, als das es so wäre. Aber man hat nicht immer eine Wahl im Leben.
Das Vermächtnis deines Vaters ist tief im Schloss versteckt, an dem Ort, wo Harry Potter Ginny Weasley rettete. Nutze es weise und lerne aus meiner Geschichte.
Ich habe eine Bitte an dich mein Kind, nehme den Namen deines Vaters an. Lege das Synonym ab, welches sie dir im Waisenhaus gaben. Steh dazu, eine Riddle zu sein.
Ich weiß nicht, was für ein Mensch du geworden bist, doch ich hoffe nur das Beste für dich.
Hege keinen Groll, meine Alice. Das zerstört nur dein Leben. Ich habe dich von dem Moment an geliebt, wo ich mir deiner sicher war und dein Vater dich sicherlich auch, soweit er dazu fähig war.
Ich wünsche dir, dass du glücklich bist und das Lieben nicht verlernst.
Die Geschichte wird viele Fragen aufgeworfen haben und nicht alle davon werden eine Antwort haben.
Trotzdem hoffe ich, dass du jetzt verstehst.

In Liebe deine Mutter Claire

Nachwort


Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Die Story hat mich in allen Facetten meines Lebens berührt und mich Monate lang begleitet.
Ich hoffe, dass ihr genauso viel Spaß beim Lesen hattet wie ich beim Schreiben.
Mit diesem Werk habe ich all meine Gedanken über Tom Riddle freien Lauf gelassen, die ich mir im Laufe der letzten Jahre gemacht habe.
Es waren Fragen zu seiner Person, doch sie gingen an sich viel tiefer. Ich habe die Moral hinter der Geschichte gesucht und versucht euch etwas fürs Leben zu vermitteln.
Vielleicht ist die Botschaft angekommen, vielleicht auch nicht. Ich werde es wohl nie erfahren, ebenso wenig, was Rowling sich bei der Erfindung dieses Charakters gedacht hat.
Viele von euch wollten von mir immer wieder Antworten auf die Fragen, dich ich gestellt habe, hören, doch ich habe keine Antworten für euch.
Jeder muss sie sich selbst beantworten.
Ich kann das, was ich gerade empfinde und das, was ich euch sagen will, gerade nicht in Worte fassen. Ich hoffe, ihr verzeiht mir das und bleibt mir als treue Leser erhalten.

Die Schwangerschaftssymptome müssen nicht perfekt zu einer echten Schwangerschaft passen, also von dem Zeitpunkt des Auftretens her. Ich war noch nie schwanger und bin es im Moment auch nich tund habe somit keinerlei Eigenerfahrung in dem Thema.

Danksagung


Als ersten möchte ich all meinen Lesern danken, dass sie sich Zeit für meine Geschichte genommen haben, dann bei bonnyschmidt und sorano., weil sie mich bis zum Schluss unterstützt und jeden Moment mitgefiebert haben. Ihr seid mitunter die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann!
Auch ein mehr als herzliches Dank an diejenigen, die sich die Mühe gemacht haben mir ein Kommentar dar zulassen, damit ich immer wieder die Bestätigung hatte, dass die Story noch gelesen wird!
Ihr seid alle spitze und verirrt euch hoffentlich zu anderen Geschichten von mir.

LG Shigeko

Impressum

Texte: Die OCs und die Geschichte gehören mir, der Rest J. K. Rowling
Lektorat: bonnyschmidt - Vielen herzlichen Dank für deine Unterstützung!
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch geht an bonnyschmidt.

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