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Das Wort



Jedes Wort gibt etwas von dir preis,
es zeigt etwas von dir,
das ausgesprochene und das unausgesprochene.
Die Fragen, die Sätze, die Bilder,
die du wählst,
sie lassen in deine Seele blicken.
Du kannst dich nicht verstecken.
Noch brauchst dich zu verstecken.
Denn das, was du sagst,
verrät dich – mit jeder Silbe.
Es kann dich ausliefern
der Welt und denen, die ihre Ohren spitzen,
sie blicken dann tief in dein Inneres.
Sie legen ihre Finger in die Wunde
oder haltend schützend, bergend ihre Hand
über deine Verletzungen.
Zu schweigen hilft nicht,
denn unsere Welt ist gebaut aus Wörtern.
Nimm sie also gut in die Hand,
und bau dir daraus ein Haus,
als wehrhafte Festung
und mit einem Kamin in der Mitte, um dich zu wärmen.


Ich bau mir ein Haus



Ich bau mir ein Haus,
mit vielen Fenstern,
hell soll es sein und warm.
Mein Zuhause will ich es nennen können.
Ich baue es aus Habseligkeiten alter Tage,
aus der Liebe, die ich empfing und weitergab,
aus dem Vertrauen, das mich trug und das ich verschenkte,
aus den Verletzungen, die heilten und die ich verband.
Die Fenster verziere ich mit den bunten Träumen,
die wir uns ausmalten,
als Dach nehme ich unsere Gedankenausflüge,
unsere Scherze, unser Lachen.
Vielleicht baue ich ja auch noch einen Erker dran
für dich, zum Sitzen,
und eine Schaukel oder auch eine Sauna.
Ich bau mir ein Haus
mit guten Fundamenten und einem sturmtrotzenden Dach.

Die Mittel habe ich, nur noch nicht den passenden Ort.


Mit den Händen möchte ich sprechen,



nicht die ausgeklügelte Gebärdensprache,
mit ihrer Grammatik und ihren Dialekten.
Nein, ich möchte eine Sonne in die Luft malen,
deren Strahlen deine Wangen wärmen.
Mit meinen Finger möchte ich dir von einer Welt erzählen,
die dich zum Lachen bringt,
meine Hände sollen Worte in die Luft hauchen,
die deine Tränen abwischen ohne dich zu berühren.
Mit meinen Händen möchte ich sprechen
und dir etwas von mir geben.
Du wirst mich besser verstehen,
als wenn ich meine Stimmbänder benützte.


Das Labyrinth I



Den Weg verloren
das Herz klamm
mühsam setzt sich ein Fuß vor den anderen
die Hände greifen ins Nichts
auch die ausgestreckten Arme der anderen erreichen uns nicht.
Von Ferne hören wir ihr Rufen
doch verstehen nicht, was sie sagen
verschwommen sehen wir ihr Winken
doch erkennen ihre Richtung nicht.
Mühsam konzentriert sich unser Blick auf den Weg vor uns
auf den Weg, der hinausführen wird aus den endlosen Wegen
hinausführen aus den Pfaden der Einsamkeit
aus den Nebeln unserer Seele.
Wir haben nichts
weder Karte, noch Stock, noch Hoffnung
und doch gehen wir
weil wir gehen müssen.
Es ist das Ziel, das uns ruft.
Es liegt vor uns, ganz nahe
zum Greifen nahe
uralt und doch immer wieder neu:
meine MITTE


Labyrinth II



Ich gehe los
ohne Mütze, ohne Stock, ohne Ziel,
ich folge den Bahnen, die andere hinterlassen haben,
den Wegen, die breit ausgetrampelt sind,
den Pfaden durch Dickicht und Gestrüpp,
ich gehe ohne Plan, ohne Karte, ohne Ziel
ein Lied auf meinen Lippen
und ein Stein im Herzen,
so gehe ich tagaus tagein
durch das Labyrinth des Lebens,
um anzukommen, o Gott,
bei dir.


Mein Flug



Meine weiten Flügel
spanne ich aus
zu fliegen
über Grab und Tod
zu schweben
über Leid und Tränen
zu Gleiten
über Weh und Ach
die Federn sind leicht
der kalte Wind weicht
hinabschaue ich auf Felder und Hügel
heraufschaue ich zur Sonne
bis ich müde werde
und klanglos im Meer verschwinde.


„…weil das Wunder immer geschieht
und wir ohne die Gnade nicht leben können“

(H. Domin)

Ich weine meine Geschichte nicht mehr,
es sind nicht mehr die Tränen, die mein Leben schreiben,
nicht mehr der Schmerz, der mich bindet.
Der Verlust, die Trauer, sie sind da-
und bleiben in mir,
eingepflanzt in mein Herz,
ablesbar in meinen Augen,
und doch, der schwarze Schleier,
sich durch mein Leben ziehend,
verblasst mit den Jahren.
2 ½ Jahre ist es her, dass Du gegangen bist,
kalt waren deine Finger,
deine Augen geschlossen,
so als ob du schliefest,
doch der Atem fehlte.
Ein Erdbeben durchschüttelte unser Leben,
Machen… Tun…
Bestatter kontaktieren,
Überführung organisieren…
in all der Ohnmacht, der wir unterlagen.
Sie bestimmte unser Leben.
Und doch, das Wunder geschah,
weil das Wunder immer geschieht.
Meine Tränen schreiben nicht mehr mein Leben,
noch der Schmerz, noch der Verlust,
vielmehr sind es meine Finger,
die sich in die Graberde wühlen,
und euch als Gruß
Primeln hinterlassen.




Der Besuch



Ich hole Wasser für die Blumen,
setze mich.
Wie es mir geht?
Wie geht es dir?
Erinnerungen tauchen auf.
Wie lange wir uns schon kennen…
Weißt du noch?
Wir scherzten,
wir lachten,
vor Jahren, was haben wir da für Touren unternommen…
Gestritten haben wir auch von Zeit zu Zeit,
nicht immer waren wir einer Meinung,
aber immerhin redeten wir miteinander,
nahmen Anteil am Lebensgeschick des anderen,
so wie jetzt.
Zum Schluss gönne ich mir noch eine Zigarette,
suche für die Blumen einen passenden Platz,
und verlasse winkend den Friedhof.

- inspiriert von den Toten Hosen und eigenen Besuchen-




Die Maus



Sie lag auf einem Weg,
unglaublich klein,
wahrscheinlich noch nicht einmal ausgewachsen.
Ihr Fell nass durch den Regen,
ungeschützt lag sie dort,
Blut klebte an ihrem Näschen.
Dass sie noch kein Fuchs oder Hund gefunden hat…
Durch tristen Nieselregen gehend,
fand ich dich,
stolperte fast über dich,
aber dein Fell glänzte durch den Regen.
Deine Augen waren geschlossen,
doch friedlich sah dein Tod nicht aus.
Ganz allein lagst du da,
noch nicht einmal Vögel
oder ein Rascheln von irgendwoher war zu hören.
Schutzlos, alleingelassen
liegst du zwischen all den anderen Toten, die hier liegen.
Du tust mir leid –
und so wünschte ich, ich hätte dich weich gebettet in ein Stück Erde.
Du wärst nicht länger allein geblieben,
sondern würdevoll eingegangen in die Gemeinschaft der hier Ruhenden.
Das Licht, das ich beim nächsten Besuch in der Grablaterne anzünden werde,
hätte auch dir gegolten.
Aber, es hat geregnet, mir war kalt,
ich musste los,
wollte den nebligen Friedhof hinter mir lassen,
und so bin ich einfach weitergegangen.




„Sie hat von ihrer Armut gegeben“ (Lk 21,4)


Ich kann dir nicht mehr geben als meine Zweifel,
zu bieten habe ich höchstens die Grenzen, die uns alle einengen.
Wenn du weise Worte hören willst,
auf der Suche nach dem Verstehen bist,
komme nicht zu mir,
nichts außer meiner eigenen kleinen Wahrheit habe ich.
Was die Welt im Innersten zusammenhält,
weiß ich nicht und meine Neugier ist begrenzt.
Armselig ist mein Herz,
meine Seele kümmerlich und bedürftig.
Unverständig mein Geist für große, erhabene Worte.
Geh hinaus in die Welt und erfahre sie,
triff die Menschen, die Giraffen,
vielleicht überquerst du einmal den Indischen Ozean.
Werde nicht müde, dem Morgenstern hinterherzureisen.
Und wenn du einmal zurückkehren solltest,
dann lade ich dich ein in mein Haus,
und bitte dich, Platz zu nehmen an meinem Tisch.
Vielleicht finden wir gemeinsam eine Handvoll Perlen.


Schifffahrt



Nimm mich mit auf dein Schiff,
lass uns die Segel aufstellen,
Wind, Wellen, Wogen trotzen.
Nimm mich mit auf dein Boot.
Gemeinsam können wir es schaffen,
wir lichten die Anker,
segeln los, lassen uns treiben,
hinaus auf’s Meer,
zu den Walen, zu den Pinguinen,
zum Äquator und darüber hinaus.
Nimm mich mit auf diese letzte Reise,
damit wir gemeinsam ankommen
in dem Land, in dem Vater und Mutter ruhen.


Die Seele



Die Seele schweigt und schwingt
im Rhythmus der Zeit
in aller Einsamkeit
Worte braucht sie nicht,
denn unfassbar ist ihr Wesen,
weder Schatten noch Licht,
weder stark noch auserlesen.
Sie schwingt und schweigt
im Rhythmus der Zeit
so Gott will, in alle Ewigkeit.


In Gedanken bei Frau H.



Ich möchte bei dir sein,
ganz nahe,
so nahe, dass ich deinen Atem spüre.
Gewähre mir diese Bitte,
verschließ dich nicht!
Oder wenn, dann gib mir den Zweitschlüssel.
Ich brauche dich und ich glaube, du brauchst mich auch.
Deine gestutzten Flügel kann ich nicht wieder zusammennähen
und deine gebrochene Seele nicht wieder kitten,
aber dennoch will ich bei dir sein.
Schau nicht weg,
lass deine Augen nicht verhaftet sein am Boden.
Dort siehst du nur frisch aufgeworfene Erde.
Guck in die Wolken, in die endlose Weite.
Ich halte dich fest.


Worte I



Worte reden,
Buchstaben schreiben,
Hände gestikulieren,
Augen weinen.


Worte II



Was ist mit den Worten, die auf dem Herzen liegen.
Worte, die gesagt hätten werden sollen,
Worte, die wichtig waren,
Worte, die fehlten,
Worte, die unterdrückt wurden.
Manche von ihnen habe ich ausgesprochen,
manche sind untergangen im Sturm der Zeit,
manche klanglos verraucht im Nebel.
Aber einige wurden gehört,
selbst solche, die ich nicht aussprach.
Und einige schrieb ich nieder,
so wie jetzt.
Welche von ihnen werde ich lesen im Buch des Lebens?


Wenn der Verlust sich zu Lust wandelt,
und das Leben zum Tod sich hinzieht,
ist es Zeit, die Handbremse zu ziehen.




Deine Tränen



Deine Tränen liegen schwer auf mir,
wie großen Pranken auf meine Schultern,
die nach unten drücken.
Gebückt, gebeugt
versuche ich dir Trost zu spenden,
dabei fehlt uns beiden der Stock
auf den wir uns stützen könnten.
Wir haben nur einander
um uns festzuhalten
gegen den kalten Wind,
in der eisigen Stille
im Nebel unserer Tränen.


Tanz I


Schau mich an
wende deinen Blick nicht von mir
dreh dich nicht weg
versuche, nicht zu fliehen
auch wenn deine Knochen gemartert
und deine Seele zerbrochen ist.
Halt mir Stand,
dass ich deine Hand ergreifen
und ich dich auffordern kann
zum Tanz
des Lebens.


Tanz II



Tanz mit mir den Tanz gegen Tod,
den Tanz des Lebens.
Schritt für Schritt üben wir,
dein Fuß folgt meinem
und dann umgekehrt: meiner folgt dem deinen.
Lausche auf die Musik,
lass sie eindringen in deine Glieder.
Schau nicht zurück auf’s Sterbebett, auf’s Grab,
guck auf deine Füße, dass du nicht stolperst,
oder schau mich an,
gemeinsam werden wir anfangen zu lachen.


Am Grab
so viele Tränen.
Auf der Rechung
hätte auch
Seebestattung stehen können.




Trost I



Mein Daumen wischt eine Träne von deinem Gesicht,
ich puste sie ins Nirgendwo
du lächelst.


Trost II



Mit meinen Händen
sammle ich deine Tränen
in einen Krug
den wir gemeinsam tragen
zu einem Ort, wo es dir gut geht.


Flügel



Lass dich nicht hängen,
gib dich nicht auf,
schau dir die Zugvögel an
sie ziehen und ziehen in einem fort
ohne Unterlass drängt es sie
zu altbekannten Stätten
sie lassen sich nicht aufhalten.
Nimm dir ein Beispiel an ihnen.
Bleibe nicht hier verhaftet,
wo Trauer, Angst und Schmerz dich kettet,
sondern ziehe weiter,
ganz gleich woher der Wind weht,
deine Flügel sind stark,
du musst ihnen nur vertrauen.




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Tag der Veröffentlichung: 10.02.2011

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