Der Müller und die Katze
Vielleicht hätte der Bursche nicht so kräftig zuschlagen sollen. Dass er der Katze ein Bein abschlug, nein das hatte er nicht gewollt. Aber er hatte in jener Nacht, als sie zänkisch, lauernd die Mühle besetzten und ihn an der Arbeit hinderten, einfach die Nerven verloren. Er fürchtete die Schelte des Müllers. Wenn dieser am Morgen festgestellt hätte, dass er seine Aufgaben nicht erfüllt hatte. Was hätte er seinem Lehrherrn sagen sollen? „Müller, die schwarzen Katzen haben mich an der Arbeit gehindert?“
Darum hatte er auf die Katzen eingeschlagen, um sie zu vertreiben und dabei die eine verletzt. Seitdem waren die Tiere zwar wie vom Erdboden verschluckt, aber das jämmerliche Geschrei in seinen Ohren legte sich nicht. Es hallte nach.
Selbst am nächsten Tag vernahm er in seinem Kopf Klagelaute, die sich nicht abstellen ließen. Sie verfolgten ihn überall hin.
Er fragte den Müller und seine Frau, ob sie in der letzten Nacht etwas vernommen hätten. Der Müller verneinte, auch die Müllerin schüttelte den Kopf. Als der Bursche in ihre katzenähnlichen Augen blickte, erschrak er, ohne wirklich sagen zu können, warum. Ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn und im gleichen Atemzug wurde das Heulen in seinem Hirn schriller. Sosehr, dass er vor Schmerz zusammenzuckte und er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.
In der nächsten Nacht stand der junge Mann abermals allein am Mühlrad. Immer wieder schweiften seine Blicke suchend umher, er hielt Ausschau nach den Katzen –deren etwas leiser gewordenes Jammern noch in seinem Kopf surrte. Doch er entdeckte nicht eine einzige Katze.
Aus der Ferne hörte er die Kirchturmuhr, es war Mitternacht. Kaum waren die Glockenschläge verstummt, vernahm er ein Piepsen, das den jämmerlichen Heulton ablöste.
Plötzlich war die Mühle voller Ratten, die ihn umkreisten und aus ihren schwarzen Knopfaugen bösartig anstarrten. Das Piepsen wurde lauter und schwoll immer mehr an. Es wurde schier unerträglich und der Lehrling hielt sich verzweifelt die Ohren zu. Mit letzter Kraft floh er aus der Mühle. Draußen blickte er hinter sich und stellte erleichtert fest, dass die Ratten ihn nicht verfolgten.
Doch die Linderung hielt nicht lange-die Geräusche in seinem Kopf wurden schriller und dröhnend –der Schmerz schlug über ihm zusammen. Das schrille Piepsen raubte ihm die Sinne– es durchbohrte sein Hirn und er sank zu Boden.
Durch eine Nebelwand sah er auf ein Mal die Müllerin vor sich. Ihr Gesicht verwandelte sich zu einer Fratze. Pure Angst und Entsetzen nahm von ihm Besitz. Dunkel flackerte seine Erinnerung auf, er hörte die Dorfleute, die ihn gewarnt hatten -doch er verstand kaum mehr, was sie ihm mitteilen wollten. Er sah ihre Münder, die ein Wort formten: HEXE!
Im gleichen Moment füllte ein markerschütterndes Kreischen seinen Kopf und es war ihm, als explodiere sein Schädel. Um ihn herum verschwamm alles.
Am nächsten Morgen fand der Müller seinen Burschen tot vor der Mühle liegen. Als er in das vor Schrecken erstarrte Gesicht blickte, erschauerte der fromme Müller zutiefst.“Mein Gott“, durchfuhr es ihn“ man könnte glauben, dem Jungen sei der leibhaftige Teufel begegnet.“
Die Müllerin half, den Toten in die Mühle zu bringen. Sie wirkte seltsam unbeteiligt dabei, nur ihre katzenartigen Augen funkelten. In der Mühle befahl sie ihrem Mann, im Dorf Bescheid zu geben, dass es einen Todesfall gegeben habe. Sie würde den Leichnam waschen und fertig machen. Gehorsam machte der Müller sich auf dem Weg. Kaum hatte er das knarrende Tor hinter sich geschlossen, füllte der Raum sich mit dreibeinigen schwarzen Katzen, die einen erbärmlichen Gesang anstimmten.
Als der Müller mit dem Pastor zurückkam, stand das Mühlentor offen –eine schwarze Katze auf drei Beinen humpelte an ihnen vorbei.
Doch der Leichnam und die Müllerin waren verschwunden und wurden nie mehr gesehen.
Fast zu jeder Mitternacht hörte man aus der alten Mühle ein eigenartiges katzenähnliches Jammern und Klagen. Seither mieden die Dorfmenschen die Mühle und sie munkelten, dass die Müllerin eine Hexe gewesen sei, und wenn sie ihren Blick doch einmal in Richtung Mühle richteten, bekreuzigten sie sich.
Der alte Müller, mittlerweile taub geworden, saß Nacht für Nacht in der Mühle und hoffte darauf, dass sein Weib wiederkehrte. Sein Nachtessen teilte er mit einer schwarzen, dreibeinigen Katze, dem einzigen Lebewesen, das ihm geblieben war.
©Jutta Federkeil
Texte: Text & Foto von Jutta Federkeil
Tag der Veröffentlichung: 13.01.2009
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