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1.



Ich gehöre nicht hierher.

Macht und Kälte



Ich starre mit ausdruckslosem Gesicht auf das glitzernde Meer, während ich den Lärm um mich herum versuche auszublenden. Es gelingt mir, aber nur für einige Sekunden.
Die Wellen schlagen unsanft an die Klippen - als wären sie voller Wut - und ein Schauer aus Salzwasser verschlägt mir den Atem. Meine Haut prickelt und meine Nackenhaare stellen sich auf. Kein Wunder - es ist höchstens 5 Grad warm.
`Immer noch besser, als zu Hause angeschrien zu werden´, denke ich mir und ziehe mir meine Kapuze über den Kopf. Wie komme ich eigentlich dazu, sie mein Eigentum zu nennen? Besitze ich überhaupt irgendwas auf der Welt? Oder ist alles eins?
Aber der Himmel ist meine Zuflucht und die Kälte ist mein Grab.
Denn wenn nicht bald die Morgensonne anbricht, ende ich hier noch als gefrorenes Eisstäbchen.
Ich seufze angewidert. Das würde meine Eltern nicht einmal kümmern. Sie sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Plötzlich schrecke ich auf, als sich eine warme Hand auf meine Schulter legt. Beinahe hätte ich vergessen, wie sich Wärme anfühlt.
Als ich meinen Namen höre, weiß ich, wer hinter mir steht.
"Smoke, hier bist du also.", sagt eine sanfte, aber inzwischen auch tiefe Stimme. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Dass er jetzt ein Mann wird, meine ich. Wir sind keine Kinder mehr.
"Loki.", ich zucke noch mehr zusammen, als ich meine heisere Stimme höre. "Was machst du hier?"
Er zuckt die Achseln und setzt sich neben mich auf den kalten Stein. Unsere Schultern berühren sich.
"Ich dachte mir schon, dass du hier bist, als ich das Geschrei beu euch zu Hause gehört hab.", meint er. Sein Blick ist sehnsüchtig auf den Horizont gerichtet.
"Du warst bei mir zu Hause?", frage ich ungläubig und neige den Kopf in seine Richtung.
"Das brauchte ich gar nicht. Den Lärm hört man bis in die nächste Straße."
Verlegen lege ich den Kopf auf meine Knie und umschlinge sie mit meinen Armen wie ein rettendes Ufer.
"Oh."
Er wirft mir einen Blick zu, durchforstet mein Gesicht, um herauszufinden, was in mir vorgeht. Aber ich lasse nicht zu, dass er mein Innerstes erblickt.
"Was ist los?", fragt er. Er hat aufgegeben.
"Nichts.", sage ich wie immer.
Er zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich, sucht meine Augen, die starr auf die zukommende Welle gerichtet sind.
"Smoke.", sagt er plötzlich todernst. Er hat Angst.
"Du hättest nicht herkommen sollen.", hauche ich abwesend.
Beunruhigt wirft er mir einen Blick zu.
"Wir müssen hier weg.", Immer wieder wechselt er zwischen der Welle, die immer größer wird und mir.
Es kommt mir vor, als würde er eine Sprache sprechen, die ich nicht kenne. Ich höre seine Worte, aber für mich machen sie keinen Sinn.
Er steht auf und endlich kann ich mich von dem Anblick des Meeres abwenden.
Unsere Blicke treffen sich - seine Augen sind vor Angst weit aufgerissen. Mein Blick dagegen ist leer und ein sanftes Lächeln liegt auf meinen Lippen.
"Wieso lächelst du?!", er sagt es zwar nicht, aber ich sehe es in seinem Gesicht.
Und ein letztes mal wandern unsere Augen zu den tosenden Wellen.

2.



Ich bin wehrlos.

Sand



Die riesige Wellt klatscht gegen die Felsen und verschlingt die Steine bis hinauf zur Küste.
Ich frage mich, wieso ich nicht unter dem Meeresspiegel liege.
`Bin ich schon tot?`
Auf einmal schärft sich meine Sicht und erst jetzt wird mir klar, dass ich meine Augen geschlossen hatte. Meine restlichen Sinne kehren ebenfalls zurück.
Ich stöhne auf, da ich spüre, wie mein Körper auf spitze Steine gepresst wird.
Lokis durchnässter Körper liegt auf mir. Als er wieder zu Bewusstsein kommt, spuckt er mindestens einen Liter Salzwasser in den Sand neben mir und rollt sich auf die andere Seite von mir ab.
"Tut mir Leid.", keucht er.
Ich setze mich mühsam auf. Durch meinen Körper fährt ein heftiger Schmerz und ich lasse mich gleich wieder in den Sand sinken. Scheiß auf die Steine.
"Wieso hast du das getan?", frage ich perplex.
Er schnaubt verächtlich. "Du warst dabei, dich umzubtingen."
"Und?"
"Das ist feige!", keift er und richtet sich auf, damit er mir in die Augen sehen kann.
"Du verstehst es nicht.", erwidere ich und weiche seinem bohrenden Blick aus.
Ich weiß, dass er wütend ist. Seine Augenwinkel zucken aufgebracht.
"Dann erklär es mir doch!"
"Es gibt nichts zu erklären.", entgegne ich nach kurzem Zögern.
"Du bist unmöglich, Smoke!"
"Tut mir Leid." Ich lege meinen Kopf zwischen meine Knie, damit er mich nicht sehen kann. In dem Moment fühle ich mich wie ein kleines Kind.
Genervt seufzt er und lässt sich gegenüber von mir nieder. Eine Weile sagt niemand etwas, ich höre nur seinen regelmäßigen Atem dicht vor mir.
"ch habe dich gerettet.", bricht er schließlich das Schweigen. Ich hebe den Kopf und beiße mir entschuldigend auf die Lippe. "Solltest du mir nicht danken oder so?"
"Du blutest.", bemerke ich und strecke instinktiv meine Hand nach der Wunde aus. Als ich merke, was ich tue und den Blick von Loki spüre, ziehe ich sie zurück.
"´tschuldigung.", murmele ich.
"Ich sollte mich entschuldigen.", sagt er und kratzt sich verlegen am Kopf.
"Wieso?", frage ich verwirrt.
"Ich hätte dich nicht anschreien dürfen."
"Danke."
"Wöfür?"
"Dass du mich angeschrien hast."
Er mustert mich verdutzt, aber als er merkt, wie schuldig ich mich fühle, wird sein Blick weicher und er rückt näher. Seine Hand berührt sanft meine.
"Du blutest übrigens immer noch.", sage ich und ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen.
"Tatsächlich?", er mustert seine Arme und befühlt seine Rippen. "Wo denn?"
Lächelnd führe ich meine Hand zu seiner Wange und lasse etwas Blut darauf tropfen. Er legt seine Hand auf meine und sieht mir mit warmem Blick in die Augen.
Jeglicher Zorn scheint vergangen zu sein.
"Nicht wegnehmen, ich verblute sonst.", er lächelt schief.
"Ist gut.", grinse ich. Es ist schon eine Weile her, seitdem ich mich so geborgen gefühlt habe.
In Gedanken stelle ich mir vor, wie wir aussehen müssen.
Meine langen blonden Haare stehen zu allen Seiten ab, sind verkustet und nass vom Salzwasser. Ich spüre, wie sich eine klebrige Alge an mein Gesicht schmiegt. Arme und Beine sind von den vielen Muscheln und Steinen aufgeschürft, und meine Jeans und meine Jacke sehen wahrscheinlich nicht besser auf. Ich glaube, mir fehlt ein Schuh. Der Sand in meiner Hose würde mich unter normalen Umständen stören.
Der Junge mit den wuschigen, braunen Haaren, der meine Hand an seine Wange hält, lächelt verschmitzt. An was er wohl gerade denkt? Bestimmt nichts Anständiges. Aber das stört mich auch nicht. Aus der Wunde quillt Blut zwischen unseren Fingern hervor.
Ich kann mir vorstellen, dass er wesentlich mehr Verletzungen hat, die er seinen Eltern erklären muss. Aber auch er scheint nicht unglücklich zu sein.
Nach einer Weile werden wir von meinem Klingelton aus unserer Trance geholt.
Ich zucke zusammen und nehme meine Hand weg, um mein Handy aus meiner Hosentasche zu holen.
Ein Wunder, dass es überhaupt noch funktioniert. Ich runzele die Stirn.
Fragend begegne ich dem Blick von Loki.
"Eine Sms.", erkläre ich ihm.
"Von wem?" Ob er denkt, ich hätte einen Freund, von dem er nichts weiß? Dann säße ich jetzt nicht hier.
"Ich weiß nicht. Die Nummer ist unterdrückt."
"Oh.", sagt er so enttäuscht, dass ich ihm einen verunsicherten Blick zuwerfe, bevor ich die Nachricht lese. Mir wird klar, dass das, was ich gesagt habe, gut als Ausrede funktionieren würde. Aber dies war keine, und ich hoffe inständig, dass er das weiß.
`Entferne dich von ihm, sonst lebt er auch nicht mehr lange.´, lese ich, begreife aber nicht, was gemeint ist.
Falsche Nummer vielleicht? Wahrscheinlich.
Ich überfliege den Satz trotzdem noch mal, bis ich den Sinn mit einem mal verstehe.
Beunruhigt sehe ich zu Loki auf, der sich abgewandt hat. Ist er etwa mit "Ihm" gemeint? Das kann nicht sein.
Noch einmal werfe ich einen Blick auf den Display. Erst jetzt sticht mir das kleine, unbedeutende Wort ins Auge.
`Auch´
Wer ist die andere Person?
"Was ist?", fragt Loki, als er meinen entsetzten Ausdruck bemerkt.
In dem Moment klingelt mein Handy ein weiteres mal.
Nervös drücke ich auf `öffnen´. Zwei Herzschläge lang dauert es, bis ich begreife, was ich da sehe.
Ein Bild erscheint vor mir.
Zwei Personen - ein Mädchen und ein Junge - mit zerissenen Klamotten sitzen im Sand. Das Mädchen streckt die Hand nach ihm aus und lehnte sich nach vorne. Es sieht wie eine typische Romantik-Szene aus einem Film aus.
Bis mir klar wird, dass die beiden Personen Loki und ich sind.
Etwa eine Drohung?
Wie ein Puzzlespiel setzt sich alles vor meinem inneren Auge zusammen.
Wir werden beobachtet. Jemand hat ein Bild von uns gemacht, um zu zeigen, dass es ernst gemeint ist. Die Sms.
Ich schlucke, als ich Lokis fragenden Blick auf meiner Haut spüre.
"Smoke, was stand in der Nachricht?", fragt er. Er klingt ernst, gar drängend.
Wie viel kann ich ihm erzählen? Es war doch nie die Rede davon, dass er nichts erfahren dürfe.
`Entferne dich von ihm, sonst lebt er auch nicht mehr lange.`, erinnere ich mich.
Gerade will ich den Mund aufmachen, als mich die dritte Sms erreicht.
"Moment.", sage ich stattdessen und lese schnell die dritte.
`Ein Wort, und Lokian ist tot.´
Wie gebannt starre ich auf den kleinen Bildschirm. Soll das irgendeine Art von Scherz sein? Aber ich kenne die Antwort. Erpressung.
Aber was wollen die von mir? Können und werden sie wirklich umbringen? Woher kennen sie überhaupt seinen Namen?
Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken. Jede Sekunde, die ich vergeude - so kommt es mir vor - könnte unsere letzte sein. Ich muss Loki beschützen.
Er ist der Einzige, der mich am Boden hält.
Zitternd stehe ich auf und ignoriere die stechenden Schmerzen, die sogleich meinen Körper erschüttern.
"Smoke? Wo gehst du hin?"
´Merkt er nicht, dass ich wie verrückt zittere? Wieso liest er nicht jetzt meine Gedanken?´
So wäre vieles einfacher.
"Ich muss ... nach Hause. Du solltest auch besser gehen.", füge ich hinzu, in der Hoffnung, dass sie ihm da nichts anhaben können.
Ich merke gleich, dass ihm etwas an der Sache nicht gefällt. Aber er vertraut mit. Schwachkopf.
"Du hast wahrscheinlich Recht. Sonst erkälten wir uns noch.", wie zur Demonstration schaut er an sich herunter. Seine Sachen sind noch triefend nass.
Ich schlucke und gehe einen Schritt zurück. Sogar ein falsches Lächeln bringe ich zustande. Bloß nicht auffallen.
Heißt, nicht vor den Epressern auffallen. Vor Loki auffallen. Unbedingt. Hier läuft etwas unmenschlich schief.
Aber er lächelt zurück.
Und ich mache auf dem Absatz kehrt und renne davon.

Fortsetzung folgt


Impressum

Texte: Copyright des Textes by me.
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all diejenigen, die mich verletzt, betrogen und zerissen haben. Immerhin habt ihr mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Irgendwie. Danke, und ihr könnt mich mal .. alle unterstützen, indem ihr mein Buch lest. Oder so.

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