Nein. Nein, nein, nein. Bis hier hin und keinen Schritt weiter. Ich ertrag es nicht mehr. Bitte, lass mich gehen!"
„Ich weiß, dass du es kannst! Gib nicht auf.“
„Ich habe Schmerzen, verdammt, merkst du echt nicht? Ich will aus diesem Körper raus!“
„Sei stark!“
Der Druck um ihre Hand wurde stärker. So stark, dass sie es bis in ihr Inneres spürte. Die eisige Kälte.
Sie schrie, laut und qualvoll. Immer wieder.
„So beruhige dich!“
„Sag mir nicht, was ich tun soll!“
„Sie haben es fast geschafft! Noch einmal Pressen!“, die Frau in dem weißen Kittel mischte sich schließlich ein.
„NEIN! Lasst es doch verrecken, es ist mir egal!“, kreischte sie, aber sie tat es.
„Es kommt nicht…?!“, er wirkte entsetzt, gerade das, was sie in diesem Moment nicht gebrauchen konnte.
„Noch einmal!“
„Verflucht, nein!“
„Weib!“, der Zorn trat nun deutlich aus seiner Stimme hervor.
„Ahh!“, ein letzter Schrei. Dann das Aufschluchzen eines jungen Wesens.
„Da, der Kopf!“, die Frau in weiß klatschte begeistert in die Hände. Aber sie ließ nicht nach und packte das Neugeborene.
Die Mutter schüttelte entsetzt den Kopf und wand sich verstört, Aber der Mann drückte sie nach unten. Sein Blick war auf das Kind gerichtet.
„Gut so!“
Die Frau in weiß hielt es schließlich in den Händen, in ihren Augen leuchtete etwas Seltsames auf.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sie trat an das vor Blut triefende, kümmerliche Bett heran. „Es ist ein Mädchen.“
Aber die Frau in dem Bett wirkte weder glücklich, noch erleichtert.
„Weg mit diesem Monster!“, ihre Schmerzen schienen noch schlimmer zu werden.
Entsetzt riss die Frau in weiß die Augen auf, reichte das Kind aber an den Mann weiter. Er nahm es entgegen – auf seinem Gesicht lag ein heimtückisches Lächeln, dass die Frau gar nicht zu bemerken schien.
„Na also. Jetzt kannst du gehen.“, sagte er an die Mutter gewandt. Und keine Sekunde verging, bis sie plötzlich in Flammen stand. Sie schrie nicht mehr. Denn sie war schon tot.
Die Frau im weißen Kittel wich zurück - auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck puren Entsetzens. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, ihre Augen wechselten von dem Mann hin zu der verbrannten, lächelnden Leiche. Dann fasste sie sich wieder genug, um sich zu bewegen, und sie rannte.
„Wo wollen wir denn hin?“
Er richtete seinen Blick auf die Ärztin. Stille.
„Das bleibt unser kleines Geheimnis, nicht wahr?“, sagte er zu dem Kind in seinen Armen.
„Twister, Dith.“, Sally kam durch den Klassenraum auf Riley und John zu und lehnte sich mit verschränkten Armen an einen wackligen Tisch. „Mercedes meinte gerade, wir treffen uns in der Pause am üblichen Ort. Anscheinend hat sie was zu besprechen.“
Erschrocken riss Riley die Augen auf und klammerte sich in gespieltem Entsetzen an seine Stuhllehne. Der Stuhl begann gefährlich zu kippeln.
„Oh mein Gott! Ich wusste es! Telepathische Fähigkeiten unter Mädchen!“, rief er aus und schlug sich die Hand vor den Mund. Seine Augen funkelten – ob vor Ehr-furcht oder Faszination war unklar.
„Knapp daneben. Sms.“, erwiderte Sally unbegeistert und hielt ihm ihr Handy vor die Nase.
„Schade.“, er nahm das Handy und las die Nachricht auf dem Display.
Üblicher Ort. Bring Dith und Schwachkopf mit. Seine Augenwinkel zuckten be-drückt.
„Sie hätte auch einfach Twister schreiben können, oder?“, fragte er beleidigt. „Wär kürzer.“
Sally zuckte grinsend die Achseln.
„Du kennst sie.“
„Allerdings…“, er seufzte.
Sally stieß die aufgeschlossene Tür zum Musikraum schwungvoll auf und trat dicht gefolgt von John und Riley hinein. Seitdem Riley aus Liebe zu allen Schülern an der Schule den Schlüssel zu diesem Zimmer geklaut hatte, wurde es nicht mehr benutzt, und somit das Fach Musik aus dem Lehrplan gestrichen. Zur Erleichterung Aller. Nun war der heruntergekommene und verstaubte Raum nur noch Dekoration und letztendlich ein geeigneter Treffpunkt. Das Zimmer war nicht größer als ein gewöhnlicher Klassenraum, und bis auf ein paar alte Instrumente sah er auch nicht anders aus. Von den Wänden bröckelte schon der erste Putz ab und in den Ecken sammelten sich Spinnen in ihren Netzen zu abendlichen Kaffeekränzchen.
Mercedes saß im Schneidersitz auf dem Lehrerpult, den Blick ausdruckslos – vielleicht mit einer Spur Wut, aber das war bei ihr üblich – an die Wand gegenüber ihr gerichtet. Die Arme hatte sie angespannt auf ihre Knie gestützt. Dank ihrer enormen Ausstrahlung konnte man nicht von einer kindlichen Pose reden. Majestätisch würde es am ehesten treffen. Man setze ihr eine Krone auf die langen schwarzen Haare und drücke ihr ein Zepter in die Hand, und es würde keinen Zweifel geben, dass sie die Welt regierte.
Als alle im Raum waren – Sally Delany, Riley Skelter, John Emerald, Reika Starck und Shawn Tucker – blinzelte sie nicht einmal.
Sally und John machten es sich auf einem kleinen, roten Zweisitzer bequem und verschränkten automatisch die Finger ineinander. Reika schnappte sich einen Stuhl und schwang ihre mit Springerstiefeln bestückten Füße auf den Tisch vor ihr. Shawn wanderte unbekümmert durch den ganzen Raum und setzte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf die Fensterbank. Er schloss die Augen und legte seine Hände auf seinen Bauch. Seine schwarzen Haare fielen ihm sanft übers Gesicht, aber jeder im Raum wusste, dass er hellwach war. Riley setzte sich auf einen Tisch, stützte sich hinter ihm mit den Händen ab und wackelte mit den Beinen.
Sobald ergriff Mercedes Crown das Wort.
„Mister Twister, du hast Miss Furye´s Katze überfahren.“, ohne Umschweife kam sie zum Punkt und richtete ihren bohrenden Blick auf Riley.
„Katzen sind süß.“, stellte Sally fest und beäugte misstrauisch ihre Fingernägel.
„Und flauschig.“, fügte John mit einem Lächeln hinzu.
„Aber nicht die von Furye.“, warf Reika ein. Ein Schauer fuhr jeden Einzelnen über den Rücken.
„Es war ein Versehen.“, verteidigte sich Riley grinsend. Sein Lächeln erstarb je-doch, als Mercedes aufstand und langsam auf ihn zukam.
„Die Katze ist mir scheißegal.“, erwiderte sie - Sie stand nun so nah vor ihm, dass sie bloß die Hand ausstrecken musste, um ihn zu berühren –, holte aus und schlug ihm mit geballter Faust ins Gesicht. Fast. Gerade noch rechtzeitig ließ Riley sich nach hinten fallen, sodass nur seine in den Tischbeinen verankerten Beine ihn da-ran hinderten, auf dem Boden aufzuschlagen. „Gute Reflexe.“
„Sie lag halt aus Versehen genau da, wo ich parken wollte.“, sagte er gelassen von unten.
Mercedes setzte ihr Knie gefährlich nah an seinen Kronjuwelen auf den Tisch, packte ihm am Kragen und zog ihn wieder hoch. Ihr Gesicht lag nun fast auf seinem.
„Du erkennst das Problem wohl nicht.“, stellte sie genervt fest.
„Ich find´s eigentlich ganz angenehm so.“, erwiderte er und grinste anzüglich.
„Lenk nicht vom Thema ab.“
„Es könnte allerdings ein Problem werden, wenn du dein Bein noch ein Stück bewegst.“, er warf einen Blick auf den kritischen Abstand zwischen ihrem Knie und seiner Hose. Sie sah ihn unverwandt an. Wie auf Kommando rückte sie ihr Bein ein Stück weiter nach vorn.
„Auweia.“
„Du hast dich erwischen lassen, du Schwachkopf.“, zischte sie.
Er stockte. „Das ist das Problem?“
„Weißt du, was für einen Aufstand sie gemacht hat?! Immerhin bin ich diejenige, die sich ihre lächerlichen Reden anhören und für euch gerade stehen muss, wenn ihr euch erwischen lasst!“, alle im Raum schluckten beklommen. Schuldig senkte Riley den Kopf. Im nächsten Moment grinste er wieder.
„Das heißt, es ist okay, dass ich die Katze überfahren habe?“, fragte er hoffnungs-voll.
„Es ist wohl besser so. Ich hab dieses Tier eh nie ausstehen können.“
Sally atmete erleichtert aus. „Dito.“ Zustimmendes Gemurmel.
„Trotzdem“, Mercedes Stimme brachte wieder alle zum Schweigen. „wisst ihr ganz genau, dass ihr wachsam sein sollt. Jones und ihre Mädchen haben dich beobachtet und den Mord sofort Miss Furye gepetzt. Sie kriegt einen Extrapunkt und wir rücken dem Rauswurf noch ein Stück näher. Das können wir uns echt nicht mehr leisten.“
„Suzy?!“, fragte Reika und zog ungläubig die Augenbrauen hoch. „Dieses hinterhältige Dreckstück!“
Mercedes nickte. „Miss Furye hatte keinen Skrupel, mir ihr einziges schwaches Indiz vorzuwerfen.“
„So gesehen“, warf Shawn plötzlich ein, der inzwischen den Blick in die Runde gerichtet hatte. „Hat sie keinen richtigen Beweis. Wie vertrauenswürdig muss Suzy denn sein, dass Furye es ihr gleich abkauft?“
„Soweit ich weiß, ist Jones ihre Nichte.“, sagte John. Also bestand daran kein Zweifel.
„Tatsächlich?“, fragte Reika und richtete sich auf. „Das ist ja noch ein Grund mehr, ihr eine reinzuhauen!“
„Tayfoon.“, Mercedes warf Reika einen strengen Blick zu.
„Ist doch so. Ich wette, ich bin nicht die einzige mit diesem Gedanken.“, sie zuckte mit den Achseln.
„Aber davon abgesehen, hat Nightmare Recht.“, lenkte Riley das Gespräch wieder auf die rechte Bahn. „Übrigens, langsam wird mir diese Stellung unbequem.“ Er suchte nach Mercedes Augen und bemerkte die peinliche Röte auf ihren Wangen – allerdings nur für einen Bruchteil einer Sekunde.
Abrupt löste sie ihren Griff um seinen Kragen und er kippte unbeholfen auf den Stuhl hinter dem Tisch. Man hörte seine Gelenke knacken, als er sich streckte.
„Natürlich. Aber ich schätze sie wird ihr mehr Glauben schenken als uns. Immer-hin kann sie uns nicht ausstehen und wartet regelrecht nur noch auf eine Gelegen-heit, uns rauszuschmeißen. Und dann“, Mercedes machte eine Pause und holte Luft. „sitzen wir auf der Straße.“
„Das wär vielleicht gar nicht so schlecht. Wir könnten von vorne anfangen.“, sagte Riley.
„Als Obdachlose?“, fragte Shawn sarkastisch.
„Wir suchen uns einfach eine neue Schule, wo wir leben können.“
„Und wer würde uns aufnehmen?!“, fragte Sally.
Mercedes nickte.
„Nach dem, was wir alles angestellt haben, würde Furye nur zu gerne dafür sorgen, dass wir nirgendwo angenommen werden.“, sagte sie.
John richtete sich plötzlich auf und fing an in seiner Tasche zu kramen. Er holte seinen Laptop hervor.
„Was wird das?“, fragte Reika.
John blickte auf. „Wie wär´s mit ´ner anderen Art von Schule?“
„Was genau schlägst du vor?“, fragte Mercedes.
„Moment.“, sagte er gedehnt und in seinen Bildschirm vertieft. Seine Finger flogen leichtfüßig über die Tasten, bis er einen Laut von sich gab, der unverkennbar darauf hindeutete, dass das Gesuchte gefunden wurde.
Er drehte seinen Laptop zur Raummitte, damit die anderen sehen konnten, was er entdeckt hatte. Mercedes kniete sich, genau wie Riley, Reika und Shawn davor und überflog die Zeilen.
Ganz oben thronte der Name der Schule. Rencai – Hope for talented souls.
Leise ließ ihn sich Mercedes über die Lippen gehen, bevor sie weiterlas.
Schule und Internat für Begabte und Talentierte aller Art.
Entfessle deine Innere Kraft.
„Innere Kraft? Was meinen die damit?“, fragte Riley und neigte leicht den Kopf. „Unsere Kotze?“
„Red´ keinen Unsinn!“, grinste Sally und verdrehte die Augen. „Damit ist die Stärke eines Jeden gemeint. Sein persönliches Ding. Seine Fähigkeit.“
„Gecheckt?“, fragte Reika und stieß ihm ihren Ellbogen zwischen die Rippen.
„Au. Ja, schon klar.“, entgegnete er und widmete sich wieder dem Laptop. Darunter befand sich auf der exakten Mitte des Bildschirms eine hübsche Fotografie von einem riesigen Grundstück. Das Bild wurde außerhalb eines mindestens drei Meter hohen Zaunes aus glänzenden Silberstangen zwischen rotbraunen Backsteinen geschossen. Auf das Gelände gelang man durch das abgerundete Tor, woran ein langer Kiesweg anschloss, der anscheinend direkt zum Haupteingang führte. An dem Kiesweg entlang standen schmale Baumstämme, in dessen Krone sich Blätter wie kleine Büsche an die Äste klammerten. Weite Grünflächen breiteten sich links und rechts aus, und das was man auf dem Foto sah, war bei weitem nicht das ganze Grundstück. Die sechs Schüler waren sich sicher, dass es noch sehr viel mehr zu sehen gab, als das Bild zeigte. Unterschiedliche Bäume – von Apfelbäumen mit rosigen Früchten bis hin zu Kirschblütenbäumen in voller Pracht - zierten hier und da den Hof. Das Gebäude selbst ragte weit über das Bild hinaus. In der Mitte der Steinwand war ein enorm großes Fenster, dass sich von der zweiten bist zur ober-sten Etage weit streckte. Allerdings war es beschlagen, und so konnte man keinen Blick in die Einrichtung hinein werfen. Auf den einzelnen Etagen tummelten sich kleinere Fenster, die im Gegensatz zu dem in der Mitte fast winzig wirkten. Im obersten Stockwerk waren die Fenster mit dicken Eisenstangen vergittert. Es erinnerte fast an ein Gefängnis.
Auf der rechten Seite des Geländes befand sich ein weiteres, kleineres Haus. Es bestand grundsätzlich aus Holz. Drei schräge Holzdächer übereinander, Laminatböden, Holzbalken, die die Dächer stützten und dünne Papierwände. Es war ein Dojo.
„Wow.“, staunte Riley und musterte das Bild fasziniert. Zustimmende Stille trat ein. Alle waren dabei, weiterzulesen.
Rencai bietet dir:
Fünf Hektar Rasenfläche,Eeinen ungehinderten Ausgang aus dem Institut,eine schöne Wohnanstalt für Schüler, jeweils 2er Zimmer, drei ausgestattete Trainingssporthallen,ein rund um die Uhr geöffnetes Dojo,zwei Bibliotheken mit unzähligen Büchern aus allen Genres, Hobby-Freizeiträume, flexible Stundenplänevielfältige Arbeitsmöglichkeiten zum Geld-verdienen,sowie unzählige weitere Möglichkeiten zum Ausbauen der Fähigkeiten.
„Krass. Ich bin dafür, Leute.“, Riley hob grinsend den Kopf und sah, wie die anderen auch langsam vom Bildschirm aufschauten.
„Nur, weil da nichts steht, wie man bestraft wird, sollte man was versemmeln.“, bemerkte Mercedes und hob eine Augenbraue. Aber auch um ihre Lippen spielte sich ein wages Lächeln.
„Wir bräuchten uns gar nicht mehr darum kümmern, ob wir bei irgendwelchen Arbeitgebern angenommen werden. Wir könnten da arbeiten und Geld verdienen.“, erklärte John. „Und es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, die es hier nicht gibt.“
„Nicht mehr die alten Schreckschrauben von hier!“, Reika grinste breit, als sie daran dachte.
„Und ein Dojo. Wie geil ist das denn? Das gibt’s sonst nur in Japan!“, Shawn wirkte genauso begeistert. Ein Mundwinkel zog sich nach oben und bildete ein schiefes Lächeln.
Nachdenklich rollte Mercedes die Webseite nach oben und nach unten, als sie etwas bemerkte.
„Wo ist die Schule überhaupt? Hier steht weder eine Adresse, noch eine Telefonnummer, noch irgendwelche sonstigen Informationen.“, mit diesen Worten riss sie alle aus ihren Tagträumen.
John nickte ernst. „Das ist mir auch schon aufgefallen. Und abgesehen davon habe ich dieses Grundstück noch nie irgendwo gesehen, obwohl es mehrere Hektar einnimmt. Das ist das Einzige bedenkliche an der Sache.“
„Super.“, Reika ließ enttäuscht die Schultern hängen und Riley runzelte die Stirn, als hätte gerade jemand zu ihm gesagt, er solle einer Gurke das Sprechen beibringen.
- Das Buch ist noch lange nicht fertig -
Tag der Veröffentlichung: 12.11.2011
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