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June & Luca


Ich lehne mich im Beifahrersitz zurück und versuche meinen Freund finster anzusehen, während er den großen Mercedes die verschneite Straße hinauf jagt.
„Luca, wir sind Innerorts, auch wenn Innerorts hier drei Hütten und ein Rentier bedeutet.“
Er knirscht mit den Zähnen. „In diesem Land kommt man nicht voran, selbst wenn man wollte. Lass mir wenigstens meine zehn Meilen zu viel auf meinem Tacho.“
Ich klopfe ihm amüsiert aufs Knie. „Wenn du drauf bestehst.“
„Ja.“ Seine Finger finden meine und ich mustere sein Profil, während vor dem Fenster das schneebedeckte, norwegische Hochland an uns vorbei fliegt. Ich habe ihn seit zwei Monaten nicht mehr gesehen und habe fast vergessen, wie gut Luca Bexton aussieht, wenn er ein klein wenig schlecht gelaunt ist. Seine dunkelblauen Augen finden kurz meine.
„Was?“
„Ich hab‘ dich vermisst. Das ist alles. Auch wenn ich das selbst zu verantworten habe.“
Luca zieht eine Augenbraue nach oben. Mein Job in Moskau ist immer noch ein steter Quell des Streits, aber ich wollte unbedingt etwas Eigenes. „Ganz recht, das hast du.“
Ich mochte meinen Job bei ELX, aber ich wollte nicht später vorgeworfen bekommen, ich hätte es nur so weit gebracht, weil ich mit dem Boss zusammen bin, das war nie eine Option. Und ich wollte immer zurück Russland, nachdem ich zwei grandiose Auslandssemster während meines Studiums dort verbracht hatte.
Velvet, der gemeinsam mit Blake auf der Rückbank döst, gibt ein tiefes Seufzen von sich. Er ist grau um die Schnauze geworden und mein Hund aller Hunde hört nicht mehr so gut, wie einst, aber ansonsten geht es ihm zum Glück noch bestens.
„Wieso kommt dein Bruder eigentlich nicht?“ Ich wische mir eine Fluse meines Cashmerejacke von meiner Jeans. „Emma will ihn bestimmt sehen und ich hätte ihn auch gerne gesehen.“
„Er geht Snowboarden mit Semon, Mitch und Nero und Emma hat ihn schon in London besucht, als sie bei ihrer Schwester war.“
„Mh. Ich bekomme nichts mehr mit, dahinten in meinem Zipfel der Welt.“ Ich räuspere mich. „Ist wirklich eine Schande.“
Luca holt Luft und ich weiß, dass ihm etwas auf der Zunge liegt, doch er schluckt es herunter.
Unter dem bedeckten Himmel wirkt Lucas Mine noch etwas finsterer und ich überlege, ob jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihm meine Neuigkeiten zu berichten.
„Schatz-“, setze ich an, doch verwerfe es wieder, als er mich ansieht.
„Es wird Zeit, dass du wieder kommst. Nicht nur für ein Wochenende, oder ein paar Stunden. Ich will neben dir aufwachen. Ich will neben dir einschlafen. Ich will dich küssen, ich will dich im Arm halten und ich will-“
„Die haben mir einen fünf Jahres Vertrag angeboten“, unterbreche ich ihn.
„Was?“
„Ich liebe meine Arbeit dort und sie bieten mir meine eigene Abteilung. Das Geld stimmt.“
Luca schließt seinen Mund, während er meine Hand los lässt.
„Fünf Jahre. Fünf Jahre", wiederholt er. "Du hast von einem gesprochen. Maximal zwei. Und jetzt kommst du mit fünf an?“ Er macht eine Vollbremsung und ich kann Blake hinter mir fiepen hören.
Mein Herz pocht laut in meiner Brust, während ich ihm dabei zusehe, wie er aus dem Auto steigt und die Tür hinter sich zu wirft. In seiner grauen, wattierten Daunenjacke sieht er überlebensgroß gegen die weiße Winterlandschaft aus. Vielleicht hätte ich das anders planen sollen.
Er stapft ums Auto herum, in Richtung Wegesrand und ich verwerfe meinen Gedanken, als ich in die endlose, weiße Weite blicke, aus der ab und an glatte Felsen, Fichten und Birken ragen.
Ich öffne die Autotür und schnalle mich ab. Luca steht neben mir im knöcheltiefen Schnee. Stink sauer und viel zu groß.
Meine Hände wandern in meine Manteltaschen. Es ist eisig kalt.
„Luca. Schatz.“ Ich straffe die Schultern.
„Das kannst du nicht machen“, sagt er leise. „Das geht nicht.“
„Der Job ist in Chicago. Nicht in Moskau“, lasse ich die Katze aus dem Sack und sehe dabei zu, wie sich seine finstere Miene in eine ungläubige verwandelt.
„Du… wieso …Frau!“, fährt er mich an.
„Weil ich dich aus dem Auto kriegen wollte.“
„Es ist Arsch kalt!“
Ich zucke mit den Schultern. „Es ist wunderschön.“
„Du kommst wieder nach Chicago?“
„Ja“, sage ich, nun doch ein wenig aufgeregt. „Natürlich.“
Er macht einen Schritt auf mich zu, bereit mich zu küssen und ich hebe erschrocken die Hand. „Warte.“
„Was noch?“, will er wissen.
Ich habe das Gefühl gleich umzukippen. „Luca. Ich weiß, ich habe dir verboten mir einen Antrag zu machen, ehe ich nicht wieder aus Moskau da bin, aber ich kann nicht anders. Du bist das beste was mir je passiert. Du bist der Mann meines Lebens und ich vermisse dich. Ich habe uns in den letzten Monaten so vermisst. Ich liebe es neben dir einzuschlafen, ich liebe es neben dir aufzuwachen und ich will nicht länger darauf verzichten.“
Meinen Kopf in den Nacken gelegt, sehe ich verdutzt dabei zu, wie seine Finger meine Lippen verschließen.
„Heirate mich, June.“
„Aber-“, protestiere ich.
„Heirate mich verdammt nochmal und komm nicht auf die Idee mich zu fragen.“
„Ich habe einen Ring“, schaffe ich es hervor zu bringen.
„Gut. Ich auch.“ Luca packt mich einfach an der Taille, ein schiefes Grinsen im Gesicht. „Also?“
„Sag mir wenigstens, dass dir der Platz gefällt den ich ausgesucht habe und an dem du beinahe vorbei gebrettert wärst.“
„Es ist der schönste Platz der Welt, wen du ja sagst.“ Seine Iriden studieren mein Gesicht und die Erkenntnis durchflutet mich, dass ich ihm immer noch nicht geantwortet habe.
„Natürlich sage ich ja“, bringe ich raus.
„Tust du?“ In Lucas blauen Augen tobt ein ganzer Sturm.
„Ja“, presse ich hervor, ohne irgendetwas zu sehen. Sein Mund kracht auf meinen, unkoordiniert und ebenso fahrig, wie der meine. Ich verliere den Boden unter den Füßen, während er mich an sich presst. Er schmeckt wunderbar nach Luca und Schnee. Ein bisschen nach Weihnachten und seine Lippen sind warm, aber hart und sein Bartschatten ist rau und ungezähmt. Seine Zunge drängt ihn in meinen Mund und ich löse mich auf in seinen Armen. Mein Luca. Mein Teufel. Mein Kerl.
„Ich liebe dich“, wispert er heiser, aber so zärtlich, dass ich glaube, der Schnee um uns herum würde schmelzen, während mir die Tränen über die Wangen laufen.
„Ich dich auch.“ Ich drücke ihm noch einen Schmatz auf den Mund und gebe ein „Tschuldigung. Kann nicht anders“ von mir, während sein Daumen meine Tränen wegwischt. Luca, dessen Augen selbst verräterisch glitzern, schüttelt nur den Kopf.
„Gib mir eine Minute.“ Damit gibt er mich frei und läuft Richtung Kofferraum.
„Wo willst du hin?“, hake ich nach, während mir der Schnee in die Stiefeletten läuft.
„Wohin wohl? Deinen Ring aus dem Koffer holen, natürlich!“


Emma & Damon


„Es hat einfach was, wenn ein Kerl mit einer Axt umgehen kann“, stelle ich fasziniert fest, als Damon die Tanne zu Fall bringt. Die Hände in meinen Manteltaschen vergraben, weil ich meine Handschuhe im Auto vergessen habe, grinse ich ihn über meinen Schal hinweg an.
„Ich hoffe du redest von mir und nicht dem Kerl dahinten.“ Damon nickt in Richtung des Familienvaters, der von seiner Frau und seinen Kindern angefeuert wird ihren Christbaum ebenfalls umzunieten.
„Wer weiß“, lächle ich amüsiert. „Immerhin hat er nicht beschlossen eine vier Meter Tanne zu fällen.“
„Zuckerfee, ein kleiner Baum geht im Wohnzimmer unter.“
„Komm nur nicht auf die Idee, dass ich mich auf eine Leiter stelle und dir beim Schmücken helfe.“ Ich fahre mir über meinen immer kugeliger werdenden Bauch, der es mir seit zwei Wochen unmöglich macht in meine normalen Klamotten zu passen, obwohl ich erst im fünften Monat bin. „Du kannst mich höchstens als Kugel an den Baum hängen.“
„Hörst du wohl auf. Man sieht kaum was.“ Damon lässt den Baum fallen und legt seine Hände auf meine Seiten. „Von wegen Kugel.“
„Ich sprenge fast meinen Mantel“, wehre ich mich gegen seine Behauptung.
Seine Hand rutscht über meinen abgesteppten Daunenmantel hin zu meinem Babybauch. „Du siehst zauberhaft aus. Aber wenn du drauf bestehst, binde ich dir eine Schleife um und hänge dich nackt an den Baum.“
Ich gebe ihm einen Klaps gegen die Brust. „Mistkerl.“
Er grinst verschmitzt. „Das meine ich ganz ernst.“ Seine Hand wandert zurück über meine Taille, hin zu meinem Hintern, ehe er mich näher an sich zieht und mir wird wärmer. Seine Lippen sind viel wärmer als die meinen, als er sich zu mir herunterbeugt. „Ist dir kalt?“
„Ein bisschen.“
Damon drückt mir noch einen Schmatz auf. „Ich bring dich zum Auto, da kannst du dich aufwärmen.“
„Damon“, seufze ich, als er mir über den Rücken reibt. „Jetzt bezahl dieses Monstrum von Baum und lad ihn auf den Anhänger. Ich erfriere in den nächsten zehn Minuten schon nicht.“
Mein Mann scheint sich dem Blick nach nicht so ganz sicher zu sein. „Ich geb‘ dir schon mal die Autoschlüssel. Dann kannst du dich reinsetzen.“ Er überreicht mir die Schlüssel und drückt mir noch einen Kuss auf. „Ich beeile mich.“

 

 
Ich lümmele eingewickelt in meine Decke mit einem Tee auf der Couch, während das Kaminfeuer ein leises Knistern von sich gibt und sehe Damon dabei zu, wie er die Lichterkette am Baum anbringt. Es ist noch nicht so spät am Nachmittag, aber draußen ist es bereits finsterste Nacht.
„Du musst das ein bisschen gleichmäßiger machen.“
„Ich will keine Kritik hören von den billigen Plätzen“, brummt er konzentriert. „Wer kritisiert, muss auch mitmachen.“
„In dem Falle machst du das ganz wunderbar“, schmunzele ich. Mich bringen keine zehn Pferde dazu heute nochmal aufzustehen, dazu ist es viel zu bequem auf dem Sofa. Außerdem bietet Damon in seinem Strickpullover und der gut sitzenden Jeans einen ziemlich beeindruckenden Anblick.
Wenn mir vor ein paar Jahren jemand erzählt hätte, dass ich zwei Tage vor Weihnachten in einer Blockhütte im verschneiten Norwegen, gemeinsam mit meinem Mann, einem Sportagenten sitze und Tee trinke, hätte ich denjenigen zum Teufel gejagt. Besonders wenn er mir auch noch erzählt hätte, dass ich den gleichen Job habe.
Ich sehe auf, während Damon sein Werk bewundert und ich muss zugeben, es sieht wirklich nicht schlecht aus.
„Schön.“
„Nicht wahr?“ Er kommt zum Sofa herüber, um sich neben mich auf die Couch sinken zu lassen. „Ich würde sagen, wir lassen ihn so.“ Er streckt seine Arme auf der Rückenlehne aus.
„Von mir aus.“ Ich stelle meine Teetasse auf den Couchtisch und lasse mich gegen seine Brust sinken, die nach frischem Baumharz riecht.
„Du riechst wie ein ganzer Nadelwald“, bringe ich raus, während ich einen Arm über seinen Torso schiebe und meine Nase gegen seinen Strickpulli drücke.
Damon drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Seltsame Sache.“
„Mh“, bringe ich raus und blicke zum Fenster, als die Scheinwerfer eines Wagens ins Wohnzimmer leuchten, der die Auffahrt hinauf fährt. „Scheint, als seien die anderen endlich angekommen.“
„Ja.“ Damon wandert zum Fenster hinüber, um hinaus zu linsen. „Lucas SUV sieht aus, als sei es in einen Schneesturm gekommen“, stellt er fest, während unter uns der Motor des Garagentors anspringt.
„Bitte erinnere mich nicht daran, dass wir gute Chancen haben eingeschneit zu werden.“
Damon grinst. „Gäbe schlimmeres. Ich helfe ihnen mal mit den Koffern.“
„Mach das.“ Ich komme mit einem Seufzen auf die Füße und streife die Decke von mir. „Sobald ich meine Schuhe finde komme ich nach.“

 

 
Ich höre Gelächter, als ich die Treppe zur Garage hinuntersteige und bin leicht verdutzt, als ich Damon und Luca dabei zusehe, wie die beiden sich ineinander verkeilt brüderlich auf die Schulter schlagen.
June, die daneben steht, grinst mir breit entgegen. „Hey Emma!“
„Hey.“ Wir umarmen uns zur Begrüßung. „Schön, dass ihr da seid.“
„Ich freu mich auch“, sagt sie und reibt mir über den Rücken, um mich anzustrahlen. „Du siehst fantastisch aus. Schwanger sein steht dir.“
Damon und Luca machen immer noch keine Anstalten sich loszulassen.
„Was haben die beiden denn?“
June schiebt sich eine lange Strähne hinters Ohr, ehe sie mir ihre Hand entgegen hält, an dem ein runder Brillant auf einem besetzten Silberband prangt. „Wir sind verlobt.“
„Nein! Oh mein … Glückwunsch!“ Wir fallen uns um den Hals.
„Danke“, antwortet sie mir heiser. „Ich kann’s noch gar nicht richtig glauben.“
„Ich freu mich so für euch.“ Ich umarme sie noch ein wenig fester.
„Danke. Ich kann einfach nicht mehr aufhören zu grinsen“, gesteht sie mir. „Und der Ring ist so schön.“
Luca und Damon schaffen es irgendwann zwischen Junes Erzählung wie es dazu kam, dass ihr dieser sündhaft teure Ring am Finger steckt, sich voneinander zu trennen, beide ein irres Grinsen im Gesicht.
„Luca. Glückwunsch“, meine ich auch an Junes Verlobten, der zu uns herüber kommt.
„Danke.“ Er umarmt mich zögerlich, mit einem Blick auf meinen Bauch und ich hoffe nur, dass June es irgendwann schaffen wird, Lucas Panik Schwangeren gegenüber zu zerstreuen. „Sag wenn ich dich zerquetsche.“
„Baby und ich halten was aus“, versichere ich ihm. „Keine Sorge.“
„Gut“, er räuspert sich, ehe er mich loslässt und sicherheitshalber einen Schritt zurück macht.
„Na komm, ich helfe euch beim Koffer schleppen“, unterbricht Damon die bedröppelte Stille, die sich zwischen Luca und mir ausbreitet.
„Wunderbar.“ June, deren Augen noch immer auf Luca liegen, stemmt eine Hand in die Seite.
„Du kriegst ihn rum, June“, murmele ich leise, als unsere beiden Männer beginnen den Kofferraum aufzuräumen. „Du kannst alles von ihm haben.“
Sie nickt langsam, ehe sie ihre beiden Hunde aus dem Auto lässt. „Ich hoffe es. Aber dafür ist auch noch genug Zeit. Jetzt feiern wir erst mal Weihnachten und unsere Verlobung.“
„Ja“, stimme ich ihr zu und begrüße die beiden Hunde. „Hast du’s eigentlich schon dem Rest der Familie gesagt?“ Ich kraule Velvet hinter den Ohren.
„Nein. Das steht uns noch bevor. Eigentlich wollten wir’s ihnen erst morgen sagen, weil es sonst den ganzen Abend fressen würde und den hätten Luca und ich gerne für uns, nachdem wir mit euch angestoßen haben. Immerhin haben wir uns seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.“
„Und plötzlich bin ich froh, dass die Wände dieses Hauses aus ganzen Holzstämmen bestehen“, seufze ich und sie verkneift sich ein Grinsen.
„Oh ja.“

 

*Ende*

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Tag der Veröffentlichung: 24.12.2014

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