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Fast zärtlich strichen ihre Fingerspitzen über den alabasterfarbenen Stein, aus welchen dieser Raum erbaut worden war. Sie spürte angenehme Kühle, eine Ausnahme und Wohltat in der sonst so warmen Umgebung. Einen langen Atemzug gab sie sich der Erinnerung an die Farbe und an das Muster der steinernen Oberfläche hin.

Viel Zeit war vergangen, seitdem man ihr das Augenlicht mit Gewalt geraubt hatte. Noch immer überkam sie an manchen Tagen der stechende Schmerz, so als würde sich das Brandeisen erneut ihren Augen nähern, um diese damit für immer zu blenden.
Der Schmerz und die Wut durchfluteten in solchen Momenten ihren Körper. Heftig schüttelte sie ihren Kopf, wie um die Erinnerungen und bitteren Gedanken an das Vergangene daraus zu vertreiben.

"Jasira Velandra..." Die schüchterne Stimme des Sklavenjungen, rauh klingend durch die bevorstehende Blüte seiner Jugend, lenkte sie entgültig ab. Fast ein wenig verärgert darüber, dass sie sein Näherkommen nicht bemerkt hatte.
"Jasira..." Wieder sprach er sie mit dem Titel an, welcher sonst nur höheren Damen zustand. "Jasuan Beldanan möchte Euch sehen."

"Hab ich dich zum Reden aufgefordert?" Die scharfe Erwiderung und Ausdruck ihrer Laune kam mit diesen Worten zum Vorschein. Deutlich sah sie vor ihrem geistigen Auge, wie der so gescholtene Bote kurz zusammenzuckte. Und vermutlich noch im gleichen Moment ihr eine Grimasse zukomme ließ.
"Verzeiht Jasira - Herrin." Gespielte Zerknirschtheit, welche sie deutlich heraushörte. Doch der etwa 13jährige Knabe wußte, dass von ihr keine Gefahr drohte.
"Lass gut sein, Rilk." Velandra seufzte, zupfte automatisch ihren Schleier zurecht, welcher einen Teil ihres Gesichtes verbarg. Zumindest dies hatte man ihr zugestanden.

"Was will er?" Sekunden musste sie auf eine Antwort warten. Vermutlich zuckte der junge Sklave die Schultern, ehe ihm bewusst wurde, dass sie diese Geste ja nicht sehen konnte. "Ich weiß es nicht, Jasira. Man spricht nicht mit mir darüber. Vermutlich scheint der Herr jedoch wieder Eure Dienste zu benötigen. Als er mich rufen ließ, war er in Anwesenheit eines Gastes."
'Warum sonst ließ man sie rufen?' Dieser unausgesprochener Gedanke schien den Raum zu erfüllen.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren raffte die dunkelhäutige Elfe ihre Gewänder. Selbst ohne Augenlicht lenkte sie ihre Schritte zu den Räumen ihres Herrn ohne fremde Hilfe. Rilk ging diskret hinter ihr, er wußte, dass sie seiner Dienste nun nicht mehr benötigte. Dennoch durfte er nicht von ihrer Seite weichen, ehe sie ihr Ziel erreicht hatte. So waren die Anweisungen seines Jasuan gewesen.

"Ich brauche dich nicht mehr, du kannst hier warten." Velandra´s leise Stimme klang weich, der Ärger war verflogen. Der Zugang zu den Räumen von Beldanan lag nun direkt vor ihr. Fast schien sie die Erleichterung des Jungen zu spüren. Bei ihr hingegen legte sich ein Stein auf ihren Magen, so wie es immer war, wenn sie zu ihrem Herrn gerufen wurde. Kurz noch zögerte sie, atmete tief ein. Dann drückte sie leicht gegen die schwere Holztür, welche sich ohne Widerstand öffnete.

Augenblicklich verstummte das Gespräch, als Velandra eintrat. Nur wenige Schritte bewegte sie sich in den Raum hinein, ehe sie verharrte. Weder ein Wort noch eine Demutsbezeugung kamen von ihr. Die Schultern gestrafft und den Kopf hoch erhoben, wartete sie auf eine Reaktion.

"Das Orakel." Vernahm sie die rauhe Stimme von Beldanan. Als Reaktion darauf folgte ein verlegenes Räuspern, vermutlich von Seiten des 'Gastes'. Innerlich amüsierte sie sich darüber. Ihr Erscheinen rief allgemein stets Unruhe und Angst hervor.
"Ihr habt mich rufen lassen, Jasuan." Gleichmütig kamen die Worte über ihre Lippen. Es war eine Feststellung.

"Sie ist so jung." Platzte es aus den Fremden heraus, welchen Velandra nur am Klang seiner Stimme einzuschätzen vermochte. Er wirkte jünger als ihr Herr, jedoch mit einem Hauch Überheblichkeit darin. Fehlende Disziplin deuteten darauf hin, dass er nicht die Ausbildung eines Kriegers genossen hatte. Ihre blinden Augen blickten in seine Richtung, aufgrund ihres Schleiers bemerkte er es jedoch nicht.
Ein Unbehagen beschlich sie, als sie sich seine Gestalt vorstellte. Vermutlich war es einer der Kaufleute, mit denen ihr Herr von Zeit zu Zeit Geschäfte abwickelte.

Ein leises Lachen drang aus Beldanans Kehle. "Natürlich ist sie das. Aber es sind ihre Kräfte die ihr fürchten müsst, nicht ihr Alter." Eine versteckte Drohung schwang im letzten Satz mit. Welche durchaus ernstzunehmen war.

"Velandra, das ist Natek." Kurz nickte die Elfe in die Richtung des Fremden, als sie vorgestellt wurde. So überheblich wirken zu dürfen und nicht wie die anderen Sklaven sich zu Boden zu werfen, hatte sie sich erst hart erkämpfen müssen.
Erst im Laufe der Zeit hatte der Jasuan begriffen, dass es besser für sein Ansehen und für seine Geschäfte war, wenn er sie ebenbürtig, fast schon respektvoll behandelte.

"Aber ich würde Euch doch in diesem Fall nicht Übervorteilen wollen." Ein Anflug von Panik lag in dieser Aussage. Velandra kannte solche Ausbrüche. Wenn ihre eigenen Worte negativ ausfielen, konnte es für den anderen den Tod bedeuten. Schon zu oft hatte sie das Urteil ihres Herrn in so einem Fall vernommen.
"Das hoffe ich... für euch. Immerhin geht es um die Ehre meines Hauses. Tretet vor, Natek!" Die Antwort Beldanans auf die Erwiderung war scharf, auch wenn er sie leise ausgesprochen hatte.

Kleidung raschelte, und ein Stuhl knarzte, als Natek der Aufforderung seines Gastgebers nachkam. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, was Velandra jedoch nicht sehen konnte. Ein leicht überhebliches Lächeln lag auf den Zügen Beldanans, während der andere unendlich langsam auf Velandra zuging.

Die blinde Elfe konnte deutlich die Nervosität Nateks spüren, als er nur zwei Schritte von ihr entfernt stehenblieb. Auch vermeinte sie, eine scharfe Ausdünstung nach Schweiß zu riechen.

Sekunden der Stille vergingen, ehe der Herr des Hauses wieder das Wort ergriff. "Kniet nieder!" Velandra wusste, dass dieser Befehl nicht ihr galt. Es spielte keine Rolle mehr, dass sie 'nur' eine Sklavin war. Beldanan mochte dies noch in ihr sehen, andere jedoch hatten diese Tatsache längst vergessen...

"Natek ist hier, um Ira als seine Frau mitzunehmen. Und ich möchte meine Tochter doch in guten Händen wissen." Spott lag in den letzten Worten Beldanans, jagten der Elfe eine Gänsehaut über den Rücken. In Wirklichkeit wollte er von ihr nur wissen, ob er mit diesem Handel ein schlechtes Geschäft einging. Fürsorglichkeit, besonders wenn es um eine seiner zahlreichen dümmlichen Töchter ging, lag ihm absolut nicht.

Heftiger, rasselnder Atem drang zu ihr hoch, als Natek der Aufforderung Folge geleistet hatte. Langsam streckte Velandra ihre Hände aus - suchend, tastend... Ihre Finger glitten durch dichtes Haar, welches schon seit längerer Zeit kein Wasser mehr gesehen haben mochte. Die Haut des Fremden fühlte sich heiß und schwitzend an, als sie seine Stirn berührte, und dort verweilte.

Die Momente erschienen ihr wie eine halbe Ewigkeit. Immer mit dem plötzlich auftretenden Schmerz rechnend, welcher sich einstellte, wenn der Andere die Unwahrheit gesprochen hatte, oder etwas zu verbergen suchte...
Selbst nach der langen Zeit, in der sie ihrer Aufgabe nachkam, hatte sie nicht gelernt, die körperlichen Qualen zu beherrschen. Eine Tatsache, die es ihr auch unmöglich machte, Beldanan zu belügen.

Velandra war sich bewusst, dass die Augen ihres Herrn unablässig auf ihr ruhten. Die Blicke brannten auf ihr, beobachteten jede ihrer Reaktionen.
Doch kein Schmerz stellte sich ein. Natek sprach in dieser Hinsicht die Wahrheit. Sie hob ihren Kopf in Richtung Beldanan. "Er spricht die Wahrheit, Jasuran." Mit diesen Worten ließ sie ihre Hände sinken. Das dringende Bedürfnis, dieselben angeekelt an ihrer Kleidung abzuwischen, unterdrückte sie mühsam.

Ein tiefer Seufzer der Erleichterung kam aus Nateks Richtung. Stöhnend erhob er sich vom Boden. "Wie ich es euch sagte, Beldanan. Niemals würde ich euch hintergehen."

Velandra war sich nicht sicher, ob sie Ira diese Angelegenheit gönnen sollte. Die beste Erinnerung an die Schattenelfe hatte die blinde Elfe nicht. Als Mitglied eines der mächtigsten Häuser der Stadt, konnte Ira sich jedoch jegliches Benehmen erlauben.

"Ihr werdet jedoch meine Vorsicht verstehen, Natek. Meine Seherin hat mich schon des öfteren vor unliebsamen Überraschungen bewahrt." Bedeutungsvoll laut griff Beldanan nach einem Becher und nahm geräuschvoll einen tiefen Schluck daraus. "Dann wollen wir auf diese Verbindung anstoßen. Es wäre ratsam, mich jedoch auch in Zukunft nicht hintergehen zu wollen..." Honigsüß klangen seine Worte, enthielten jedoch gleichzeitig auch eine Warnung.
"Seherin, ich brauche deine Dienste momentan nicht mehr." Velandra war mit diesen Worten entlassen. Ein leichtes Nicken andeutend, dass sie ihn verstanden hatte, zog sich die blinde Elfe zurück.

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Tag der Veröffentlichung: 29.06.2011

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