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Ein lauter Donnerknall war zu hören, dicht gefolgt von einem Blitz, der den Nachthimmel erhellte. Das einzige Licht auf meinem Weg durch den Wald. Doch ich brauchte kein Licht, denn meine Augen konnten in der Dunkelheit genauso viel sehen wie bei Tageslicht. 

Hinter mir hörte ich Hufgetrampel, welches sich schnell näherte. Ich wurde verfolgt. Die Menschen machten Jagd auf mich, weil ich anders war als sie. Es machte ihnen Angst und alles, was ihnen Angst machte, musste vernichtet werden. Sie nannten sich Dämonenjäger und ihr Ziel war es, alle meiner Art zu töten.

Sie hatten mich aus der Stadt gejagt und verfolgten mich nun durch den Wald. Obwohl sie zu Pferd waren und ich nur zu Fuß, war es mir bis jetzt gelungen sie auf Abstand zu halten, da ich den Wald weitaus besser kannte als sie. Doch ich wusste nicht, wie lange ich diese Flucht noch durchhalten konnte. 

Wäre ich körperlich unversehrt gewesen, hätte ich mir diese Sorgen überhaupt nicht zu machen brauchen, doch sie hatten mir eine schwere Wunde zugefügt, und solange ich meine ganze Kraft für meine Flucht aufbringen musste, konnte diese nicht heilen. 

Also musste ich mir etwas einfallen lassen. 

Wieder hallte Donner durch die Nacht. Doch darauf folgte nicht nur ein Blitz, sondern unzählige, die immer heller wurden, bis ich bei einem von ihnen geblendet die Augen schließen musste.

Nachdem ich sie wieder geöffnet hatte, befand ich mich zu meinem Erstaunen nicht länger im Wald, sondern im Gebirge. Rings um mich herum waren nur Felsen, nicht ein Baum war mehr zu sehen. Verwirrt blickte ich mich um. Wo war ich hier und vor allem, wie war ich hierher gelangt? Ich wusste es nicht. 

Meine Verfolger jedenfalls war ich losgeworden. 

Tief durchatmend betastete ich meine Wunde, die mir ein Breitschwert in der Leistengegend zugefügt hatte. Sie war tief und blutete noch immer stark. Doch sie würde rasch heilen, so wie das mit allen meinen Wunden geschah. 

Um mir einen Überblick zu verschaffen und in der Hoffnung herauszufinden, wo ich eigentlich war, kletterte ich den direkt vor mir liegenden Berg hinauf.

Er war recht hoch, durch meine Wunde kam ich nicht sehr schnell voran. So begann die Sonne bereits aufzugehen, als ich den Gipfel erreicht hatte.  

Dort stand ich plötzlich einem großen, schwarzen Wolf gegenüber, der mich auf merkwürdige Weise ansah. Es war nicht die Art von Blick, die man von einem normalen Tier gewöhnt war, es schien ungewöhnlich intelligent.

Langsamen Schrittes kam er auf mich zu. Da ich keine Angst vor ihm haben musste, blieb ich, wo ich war, abwartend was geschehen würde. 

Er war nur noch wenige Schritte von mir entfernt, da entfuhr ihm ein lautes Heulen, er erhob sich und einen Augenblick später stand ein Mann vor mir. Statt des schwarzen Fells hatte er schwarze lange Haare und einen Vollbart. 

Ein wenig verdutzt rieb ich mir die Augen. Hatte ich das eben wirklich gesehen?

„Wer bist du?“, wollte ich von ihm wissen. „Wo bin ich hier? Wie bin ich hergekommen und was willst du von mir?“ Er lachte, offensichtlich amüsiert über die Vielzahl meiner Fragen.

 „Die Zeit ist gekommen“, sagte er mit tiefer und ruhiger Stimme. 

„Was?“, fragte ich. „Die Zeit ist gekommen. Dein Schicksal wird heute Nacht seinen Lauf nehmen.“ 

Ich verstand überhaupt nicht, was er meinte. Diese ganze Sache wurde immer seltsamer. 

„Es beginnt heute Nacht. Du kannst es nicht mehr ändern. Die Zeit ist reif. Du wirst zu dem werden, wozu du geboren wurdest, Sharai!“ Erneut grollte Donner durch die Nacht und helle Blitze blendeten mich. 

„Sharai! Sharai? Schläfst du? Wach auf“, rief eine mir unbekannte Stimme und ich öffnete die Augen wieder…

 

 

Und fand mich in meinem Bett liegend vor. Es war meine Mutter gewesen, die mich geweckt hatte. „Ich bin wach Mutter“, rief ich zurück. Sie hatte mich also aus diesem sehr seltsamen Traum geweckt.

„Du musst noch Milch holen“, hörte ich die Stimme meiner Mutter erneut. Ich blickte an mir herunter, auf meinem Bett verstreut lag noch immer die Zeitung, die ich aufgeschlagen hatte. Gerade hatte ich etwas über einen Angriff gelesen, für den angeblich die Valdrac verantwortlich waren. 

Ein kleines Dorf, gar nicht mal weit weg von hier, war in der Nacht überfallen worden, dabei waren einige Anwohner getötet worden. Warum man nun annahm, dass die Valdrac damit irgendetwas zu tun hatten, war mir schleierhaft. Die Menschen dort waren abgeschlachtet worden, leider gab es keine Spur von Bisswunden, sodass wirklich alles und jeder für den Angriff in Frage kam. 

Scheinbar waren die Opfer brutal hingerichtet worden, ihre Köpfe abgetrennt und ihre Herzen fehlten. Was natürlich die Gerüchteküche um die Valdrac umso mehr anheizte, denn jedes Kleinkind wusste, dass Valdrac nicht nur das Blut von Menschen tranken, sondern auch ihre Herzen aßen. Das war es zumindest, was die Eltern ihren Kindern gerne erzählten. 

Natürlich hatte auch meine Mutter mir diese Geschichten aufgetischt, allerdings hatte ich gute Gründe ihr nicht zu glauben. Die Erzählungen meiner Großmutter und ihre Tagebücher, die sie vor fast fünfundvierzig Sommern geschrieben hatte.

In diesen Tagebüchern schrieb sie über andere Rassen, jedoch hauptsächlich über die Valdrac. Sie behauptete, von einem von ihnen besucht worden zu sein, der ihr dann alles erklärt hatte. Außerdem habe es auch Besuche eines Fremden gegeben, der einer anderen Rasse angehörte, die sie jedoch nicht nannte. 

Genauso wenig nannte sie den Namen des Valdrac, der sie besucht hatte. Sie hatte mich glauben machen wollen, dass sie den Namen schlichtweg vergessen hatte, aber ich kaufte ihr das nicht so ganz ab. Sie hätte den Namen ja in eines ihrer Tagebücher schreiben können, in die sie auch alle anderen Details notiert hatte. 

Danach hatte ich sie auch gefragt, aber sie hatte nur mit den Schultern gezuckt und angefangen über etwas anderes zu reden, sodass ich am Ende einfach aufgegeben hatte, immerhin wollte ich ja alles wissen, was sie mir sonst noch so zu erzählen hatte. 

So erklärte sie mir, dass Valdrac nur am Blut der Menschen interessiert waren, da es sie am Leben hielt, sie jedoch keinerlei Interesse hatten Herzen oder andere Körperteile zu verzehren. Dieser Gedanke war für sie genauso ekelerregend wie uns.

Warum genau sie Blut brauchten, um zu überleben, wusste Großmutter nicht, sie erwähnte einen Fluch, war sich da aber nicht so sicher.

Menschen nannten Valdrac oft Monster oder Dämonen, der Grund dafür war nicht nur, die Annahme Valdrac aßen die Herzen ihrer Opfer, sondern auch etwas, das meine Großmutter die wahre Gestalt nannte. Wenn ein Valdrac diese annahm, dann verwandelte sich seine Haut in schwarze Schuppen und seine Augen nahmen eine blutrote Farbe an.

Was genau das bedeutete, wusste meine Grußmutter nicht zu sagen, da der Valdrac der ihr davon berichtet hatte, nicht sehr ausführlich darauf eingehen wollte. Er hatte ihr mitgeteilt, dies sei eines der bestgehüteten Geheimnisse der Rasse und die Menschen bräuchten so etwas nicht zu wissen.

Es würde wohl jedem Angst einjagen, einem Valdrac in seiner wahren Gestalt zu begegnen, wenn man dann noch die Fangzähne und das Bluttrinken hinzufügte, war es wirklich kein Wunder, dass man sie Dämonen oder Monster nannte.

Ich war sehr an allen Rassen unserer Welt interessiert, die Valdrac jedoch hatten eine ganz besondere Anziehungskraft auf mich, was meiner Mutter überhaupt nicht gefiel.

Sie hatte versucht mir zur erklären, dass ihre Mutter alt sei und sich diese Dinge nur einbildete, dass die Dinge, die sie in ihre Tagebücher geschrieben hatte, frei erfunden waren. Sie habe nur vergessen, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen, weshalb es besser sei, ihr in dieser Beziehung überhaupt nichts zu glauben.

Meine Großmutter war für ihr Alter jedoch sehr fit und so weit ich das sagen konnte, funktionierte ihr Gehirn noch so gut wie immer, sodass ich keinen Grund sah, meiner Mutter zu glauben. 

Grußmutter war für mich die einzig echte Informationsquelle. Die Lokalzeitung wusste oft nichts Interessantes zu berichten, außer es passierte in unserer unmittelbaren Umgebung. Selbst dann waren die Berichte von kleingeistigen Menschen wie meiner Mutter verfasst. 

Wir hatten noch nicht mal eine Bücherei, die nächstgelegene war zwei Tagesritte entfernt in Remas.

Einmal hatte mich Großmutter dorthin mitgenommen. Damals war ich noch recht klein gewesen, doch seit diesem Tag hatte ich dorthin zurückkehren wollen, um mehr zu lernen.

Doch selbst in der Bücherei waren die meisten Bücher über die menschliche Geschichte, ein paar wenige über die Dwakan und die Bücher über die Valdrac waren schlichtweg Mist. 

Sie enthielten nicht einmal richtige Informationen, stattdessen sprachen sie nur über die menschlichen Siege über die Valdrac und davon, wie man einen von ihnen am besten töten konnte. 

Ihr Herz rausschneiden, die Köpfe abtrennen, sie verbrennen oder am interessantesten von allem: eine Waffe aus purem Gold, mit einem Valdrac Vernichtungszauber. 

Die meisten Bücher behaupteten, sie hätten die einzig wahre Lösung, die anderen würden nicht funktionieren. Als ich meiner Großmutter von dem Vernichtungszauber erzählte, wurde sie von einem Lachkrampf durchgerüttelt, der einige Minuten lang anhielt, bevor sie mir erklärte, dies sei totaler Unsinn. 

Ich hatte mich schon immer gewundert, warum sie auserwählt worden war, um einen Valdrac zu treffen und all diese Informationen zu bekommen, die scheinbar so schwer zu erhalten waren. 

Sie hatte mir erzählt, die Valdrac Rasse war nicht wirklich daran interessiert, diese falschen Informationen und Gerüchte aus der Welt zu schaffen. Ich konnte einfach nicht anders, ich war neidisch auf sie. 

Scheinbar war ich während des Lesens eingeschlafen und hatte mir wieder einmal vorgestellt, wie es wäre, über all diese Kräfte zu verfügen und ein sehr viel interessanteres Leben zu führen anstatt mein derzeitiges. Ich hatte diese Träume häufig, in letzter Zeit jedoch waren sie lebhafter geworden.

 „Ich komme, Mutter“, rief ich und stand auf, bemerkte jetzt erst, wie spät es schon wieder war. Die Sonne war schon fast am Untergehen und ich hatte versprochen, vorher noch Milch vom Bauern Briemer zwei Straßen weiter zu holen. 

Kurz noch dachte ich an diesen seltsamen Traum und wie aus weiter Ferne schien ich immer noch die Stimme des Mannes zu hören. „Die Zeit ist gekommen. Es beginnt heute Nacht!“ Was er wohl damit gemeint hatte? 

Mit einem Kopfschütteln verscheuchte ich den letzten Rest Müdigkeit aus meinem Körper. Es war nur ein sehr seltsamer Traum gewesen, wie ich sie häufiger hatte, nichts weiter. Kein Grund sich noch weiter darüber Gedanken zu machen. 

„Warst du wieder in dieses Valdraczeugs vertieft?“, wollte meine Mutter wissen, als ich in die Küche kam. Ich lächelte nur, denn sie kannte die Antwort schon. Sie blickte mich missmutig an, verschonte mich aber heute mit einer Predigt, wusste sie wohl, wie wenig Sinn es haben würde. 

Sie hatte schon öfter mit mir geschimpft und wollte mir erklären, dass ich solche Geschichten von Großmutter nicht ernst nehmen sollte, hatte aber schon bald eingesehen, wie zwecklos diese Versuche waren. 

Mit zwanzig Sommern war ich alt genug selbst zu entscheiden, was ich glauben wollte, oder nicht. Doch ihr wäre es lieber gewesen, ich hätte mich mehr mit Männern beschäftigt, damit sie mich endlich mit einem verheiraten konnte. Ich konnte es ihr auch nicht verübeln. Allerdings war mein Interesse daran nicht besonders groß. Vor allem wollte ich nicht einfach mit irgendwem verheiratet werden, so wie das in den meisten Familien im Dorf üblich war. Erstaunlicherweise akzeptierten meine Eltern dies, wohl, weil sie sich selbst auch alleine gefunden hatten und sich seither über alles liebten. 

Ich nahm eine der blechernen Milchkannen und machte mich auf den Weg zum Bauern. Nachdem ich das Haus verlassen hatte, war mein seltsamer Traum schon vergessen.

Ich bog um die nächste Straßenecke, plötzlich stand ein groß gewachsener, blonder Mann vor mir. Er war praktisch aus dem Nichts aufgetaucht. Fast wäre ich mit ihm zusammengestoßen. Ich erschrak und trat einen Schritt zurück. Er lächelte. 

„Entschuldigung kannst du mir bitte verraten, wie ich zum Rathaus komme?“, fragte er mich mit einer sanft klingenden Stimme, während er mich mit seinen blauen Augen neugierig anblickte. 

Ich nickte. „Ja sicher, du musst einfach nur der Hauptstraße folgen, dann stößt du nach einigen hundert Metern automatisch darauf. Du kannst es gar nicht verfehlen“, antwortete ich ihm. 

„Danke, sehr freundlich“, sagte er lächelnd und machte sich auf den Weg. Ich blickte ihm noch einige Momente lang hinterher, bevor ich meinen Weg fortsetzte, dachte dennoch die ganze Zeit über diesen Fremden nach. 

Ich hatte ihn noch nie im Dorf gesehen und er schien kaum älter als ich zu sein. Er war sehr gutaussehend mit einem knackigen Hintern. Was er wohl im Rathaus wollte? Natürlich ging mich das nicht wirklich etwas an. Da jedoch nie etwas wirklich Interessantes in unserem Dorf passierte, war ein junger gutaussehender Mann das Beste, was man erwarten konnte. 

Es war schade, dass ich keine Gelegenheit gehabt hatte, mich mit ihm zu unterhalten. Vielleicht sollte ich mich später, wenn es dunkel war, aus dem Haus und zur Kneipe schleichen, eventuell könnte ich ihn dann dort treffen. 

Kurz darauf hatte ich den Bauern erreicht, er wartete bereits auf mich.

„Na Sharai, wieder einmal ein wenig zu spät?“, erkundigte er sich lächelnd und füllte mir die Milch ab. Er war schon daran gewöhnt, dass ich meist kurz vor Sonnenuntergang auftauchte. Bauer Briemer war schon recht alt, doch immer noch der beste Milchbauer im ganzen Dorf. Er hatte keine Kinder, da seine Frau schon früh gestorben war, er hatte also keine Nachkommen, die seinen Betrieb übernehmen konnten. 

Um den Tod seiner Frau gab es zahlreiche Gerüchte. Viele behaupteten, sie wäre von einem Valdrac getötet worden, doch was tatsächlich geschehen war, wusste wohl keiner so genau. Es hatte natürlich eine Untersuchung gegeben, wie es bei gewaltsamen Toden immer üblich war, allerdings hatte diese nicht wirklich etwas ergeben, sodass man am Ende aufgegeben hatte.  

Ich bezahlte ihm die übliche Summe, bevor ich mich von ihm verabschiedete. Er sagte mir, ich solle mich jetzt sputen und in Zukunft versuchen, früher hier zu sein.

 

 

Inzwischen war es schon fast dunkel und ich musste mich beeilen, wollte ich zuhause sein, bevor es vollständig dunkel war. Denn ich hatte wie immer keine Lampe dabei, würde also in der Dunkelheit nur sehr schlecht sehen können. 

Großmutter hatte mir erzählt, dass dies in größeren Dörfern oder Städten ganz anders war. Dort gab es in der Nacht Wachmänner, welche die Straßen patrouillierten und die trugen Lampen mit sich, sodass es dort niemals ganz dunkel war. Dies diente jedoch hauptsächlich dem Zweck Diebe, oder andere Kriminelle zu bekämpfen. Da in unserem kleinen Dorf so etwas nie passierte, schien dies reine Verschwendung zu sein. 

Die Straße war schon verlassen, denn meistens zogen sich die Dorfbewohner entweder in ihre Häuser oder in die Kneipen zurück, wenn es dunkel war. 

Ich hörte Schritte hinter mir. Neugierig warf ich einen Blick über die Schulter. Offenbar war ich nicht die Einzige, die noch unterwegs war, vielleicht jemand auf dem Weg zur Kneipe. Doch ich konnte hinter mir niemanden erkennen. 

Seltsam, dachte ich, denn ich hatte doch ein recht gutes Gehör. Leicht verwirrt setzte ich meinen Weg fort. Die Schritte hinter mir nun wieder zu hören waren. Erneut blieb ich stehen, um mich umzublicken, konnte jedoch weiterhin nichts erkennen. Trieb jemand Späße mit mir? Doch es war auch egal, gleich war ich zu Hause. 

Die Schritte hinter mir jedoch wurden immer schneller. Langsam wurde mir unheimlich, so beschleunigte ich meinen Gang ebenfalls. Ich wollte in meine Straße einbiegen, stand er plötzlich vor mir. Der Fremde, der schon vor einigen Minuten nach dem Weg gefragt hatte. Fast wäre ich gegen ihn gelaufen. Er hielt mich jedoch fest.

„Entschuldigung, ich habe dich gar nicht gesehen. Es ist wohl schon zu dunkel“, murmelte ich vor mich hin. Die Schritte hinter mir waren nun auch verstummt. Womöglich hatte, wer immer es auch gewesen war, sich verzogen, als er den Fremden sah, oder aber er hatte schlicht und einfach sein Ziel erreicht und ich war nur paranoid.

„Du hättest mich auch so nicht gesehen“, gab er zurück. Ich wollte ihn gerade fragen, was er damit meinte, da zog er mich in eine der dunklen Hausecken. Vor Schreck ließ ich die Milchkanne fallen, das Scheppern erschien mir unnatürlich laut. 

„Was soll denn das?“, wollte ich wissen und versuchte mich aus seiner Umklammerung zu befreien, was mir jedoch nicht gelang. Seine Arme hielten die meinen mit einem eisernen Griff fest, der langsam zu schmerzen begann.

„Es ist gleich vorbei“, sagte er nur. Im Mondschein blitzten seine Eckzähne, er war ein Valdrac! 

Mein Schrei blieb mir im Halse stecken, als sich seine Zähne in ihn bohrten. Ich spürte, wie er das Blut, somit auch das Leben, aus meinem Körper sog. 

Es war ein eigenartiges Gefühl, denn es schmerzte nicht, es fühlte sich auf eine merkwürdige Art und Weise sogar gut an. Ich hatte aufgehört mich zu wehren, teils, weil ich zu schwach war, teils, weil es ohnehin keinen Sinn machte. 

Langsam spürte ich, wie meine Beine unter meinem Gewicht nachgaben, doch der Valdrac hielt mich fest und saugte weiterhin an meinem Hals. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis er mein ganzes Blut getrunken hatte. 

Mir wurde schwarz vor Augen und ich driftete in die Bewusstlosigkeit ab. 

Das Nächste, was ich wahrnahm, war seine Stimme. Zuerst nur undeutlich, dann konnte ich verstehen, was er sagte.

„Du wirst gleich sterben, Sharai“, sprach er sanft. Ich spürte, wie seine Hand über mein Gesicht streichelte. Kurz fragte ich mich, woher er meinen Namen kannte. Doch mich beschäftigte viel mehr, dass er Recht hatte, denn ich spürte, dass es mit mir zu Ende ging. Meine Kraft war mit dem Blut aus meinem Körper geflohen.

Tränen liefen über mein Gesicht. Ich wollte nicht sterben, noch nicht, ich war doch viel zu jung, es gab noch so viel, das ich tun und erleben wollte. 

Meine Mutter hatte am Ende doch richtig gelegen mit ihrer Befürchtung, dass ich eines Tages einem Valdrac begegnen würde und ich war dumm genug gewesen, darauf zu hoffen. Nun war ich einem Valdrac begegnet und ich war dabei zu sterben.

„Willst du sterben, Sharai?“, wollte der Valdrac von mir wissen. Ich brachte nur ein leises „Nein“ zustande, konnte aber nicht mal mit Sicherheit sagen, ob ich es tatsächlich ausgesprochen oder nur gedacht hatte. Jedoch spielte es wohl auch nicht wirklich eine Rolle.

Dann spürte ich, wie mein Kopf angehoben wurde, jedoch hatte ich nicht genug Kraft die Augen zu öffnen. Ich spürte etwas Kaltes an meinem Mund und erkannte, dass es ein Kelch oder Glas sein musste. 

„Trink“, hörte ich die Stimme des Fremden erneut, ich öffnete bereitwillig meinen Mund. Wenn, was immer er plante mir zu geben, mich davor bewahrte zu sterben, dann war ich nur allzu bereit es zu schlucken, ganz egal was es war. Es war ja nicht so, dass es meine Lage verschlimmern konnte. 

Er hob den Kelch an, eine bittere Flüssigkeit drang in meinen Mund. Erst hustend dann immer schneller schluckte ich hinunter, was er mir in den Mund schüttete. 

Was es war konnte ich nicht sagen, nur, dass es einen Geschmack hatte, den ich nicht kannte. Vielleicht war es ein Heiltrank? Als der Kelch leer war, löste er sich von meinen Lippen. Der Fremde hielt immer noch meinen Kopf ein paar Zentimeter über dem Boden.

Kurz darauf durchzuckte unglaublicher Schmerz, wie ich ihn bis dahin nicht gekannt hatte, durch meinen Körper. Ich wurde von Krämpfen geschüttelt und spürte nur, wie mich eine starke Hand festhielt. Der Schmerz schien überall zu sein, von Kopf bis zu den Füßen, es war unmöglich zu sagen, wo sein Ursprung lag.

Dann mit einem Male war es so schnell vorbei, wie es gekommen war und nun fiel ich endgültig der Bewusstlosigkeit zum Opfer, nicht wissend, ob ich jetzt sterben würde oder nicht….

 

 

Das Nächste, was ich wahrnahm, war ein grelles Licht, welches durch meine geschlossenen Augen drang. Schwach hob ich die Hand schützend vor meine Augen.

„Sie lebt noch“, hörte ich eine unbekannte Stimme sagen. „Gott sei Dank, Sharai, du lebst!“ Das war meine Mutter, gleich darauf fühlte ich mich in den Arm genommen und kräftig gedrückt. 

Langsam öffnete ich die Augen, erkannte um mich herum eine Gruppe von Dorfbewohnern, die besorgt auf mich herab sahen.

„Was ist passiert?“, fragte ich schwach. 

„Als du nach zwei Stunden immer noch nicht wieder zu Hause warst, haben wir uns natürlich Sorgen gemacht. Dein Vater ist mit ein paar Männern auf die Suche nach dir gegangen und fand dich dann hier bewusstlos am Boden liegend“, erklärte mir meine Mutter. 

Ich rieb mir die Augen, die sich nur langsam an das Licht zu gewöhnen schienen, das von den Lampen ausging, welche die Leute bei sich trugen und versuchte mich zu erinnern, was geschehen war. 

„Was ist passiert?“, wollte mein Vater mit strenger Stimme wissen. Doch bevor ich dazu kam zu antworten, sagte meine Mutter: „Du hast Blut am Hals“, und rieb mit der Hand über die Stelle. 

Dann bemerkte sie die Bisswunden an meinem Hals. Sofort ließ sie mich erschreckt los. Langsam begann ich mich daran zu erinnern, was gerade geschehen war. Der Fremde, in den ich gerannt war, der ein Valdrac gewesen war und ...

„Oh Gott, sie wurde gebissen“, rief sie aus. Die Dorfbewohner traten sofort einige Schritte zurück. 

Langsam stand ich auf. „Was?“, erkundigte ich mich schwach. Ich kam nur langsam auf die Beine. Einer der Dorfbewohner hielt mir eine Fackel entgegen und die Hitze ließ mich zurückzucken.  

„Sie hat die Dämonenplage“, schrie einer erschrocken. Die Dämonenplage war das, was die kleingeistigen Menschen, die Verwandlung von Mensch zu Valdrac nannten. Sie glaubten, ein einfacher Biss reichte aus, um einen Menschen in einen Valdrac zu verwandeln.

Großmutter jedoch hatte mir erklärt, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Auch wenn sie nicht in der Lage gewesen war mir zu erklären, wie genau man einen Menschen zum Valdrac machte, oder ob das überhaupt möglich war. 

Diese Kleingeister glaubten außerdem, sobald jemand infiziert war, würde dieser alle um sich herum angreifen und beißen, weshalb die sofortige Tötung eines Infizierten die oberste Regel war. Glaubte man ihren Erzählungen, verwandelte sich die Haut in Schuppen und die Augen färbten sich rot wenige Stunden nach dem Biss.

„Mutter, ich…“, wandte ich mich an meine Mutter, doch mein Vater trat vor sie. „Weiche von ihr du Monster!“, sagte er zu mir, jetzt mit einem Messer bewaffnet, das er mir entgegen hielt. Ich ging einen Schritt zurück, konnte noch gar nicht verstehen, was hier überhaupt los war. 

„Tötet sie, bevor sie weiteres Unheil anrichtet“, rief eine Frau in der Menge. Langsam traten ein paar Männer auf mich zu. Plötzlich fühlte ich mich von hinten gepackt, meine Arme wurden hinter meinen Rücken gezogen, wo sie durch starke Hände festgehalten wurden. 

„Ich hab sie, los tötet sie“, brüllte der Mann, der mich festhielt.

Instinktiv wusste ich, was zu tun war. Ich packte den Arm des Angreifers, mit einem Schwung gelang es mir, ihn über meine Schulter zu werfen. Es war noch nicht mal besonders schwer gewesen. 

Ich nahm mir nicht die Zeit mich zu wundern, wo meine plötzliche Stärke hergekommen war. Bevor er wieder auf den Beinen war, hatte ich meine schon in die Hand genommen und war vor den Dorfbewohnern auf der Flucht. 

So schnell ich konnte, lief ich die Straßen entlang, mit Erstaunen stellte ich fest, dass ich weitaus schneller laufen konnte, trotz meines immer noch geschwächten Zustands. Einige der Dorfbewohner hatten sich mir an die Fersen geheftet, doch schon bald hatte ich sie abgehängt und ich ließ auch das Dorf hinter mir zurück. Erst im angrenzenden Wald machte ich Halt, nicht wissend, was ich jetzt tun sollte. 

Meine Familie hatte mich ausgestoßen und die Dorfbewohner machten Jagd auf mich. Ganz offenbar hatte mich der Fremde zum Valdrac gemacht, sicherlich würde ich schon bald Blutdurst verspüren. Doch nun hatte er mich allein gelassen, mit einer Situation, die ich nicht so wirklich verstehen konnte. 

Was konnte es für Gründe geben, mich erst zu verwandeln, um mich dann mit den Dorfbewohnern zurückzulassen, die so versessen darauf waren mich zu töten? Er musste doch gewusst haben, dass so etwas passieren würde.

Ich saß auf einem Baumstumpf und überlegte, was ich nun tun sollte. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Blitzschnell drehte ich mich um, einen dicken Ast in der Hand. Konnte es doch ein Dorfbewohner sein, der mich aufgespürt hatte. Doch es war nur der fremde Valdrac, der hinter mir stand.

„Hallo Sharai, ich habe schon auf dich gewartet“, sagte er lächelnd. Ich blickte ihn verdattert an. „Woher kennst du meinen Namen?“, wollte ich wissen. 

„Ich habe dich eine ganze Weile beobachtet“, gestand er. Beobachtet? Dann hatte er mich offenbar ausgewählt. 

„Weswegen?“, fragte ich weiter. Doch er antwortete nicht darauf, sondern fuhr einfach fort: „Ich habe dich zu einem Valdrac gemacht, die erste Prüfung hast du überstanden, indem du den Dorfbewohnern entkommen bist, was mir vorher schon klar war. Viele scheitern dabei schon, weil sie sich ihrer Kräfte noch nicht bewusst sind. Doch du musst noch viel lernen und ich werde dein Mentor sein, damit du dich in dieser neuen Welt zurechtfinden wirst.“ 

Es schien nicht, als hätte ich tatsächlich eine andere Wahl, denn wenn ich überleben wollte, brauchte ich zweifellos seine Hilfe. 

„Und wohin werden wir gehen?“, wollte ich wissen. Er legte mir die Hand auf die Schulter. „Wir reisen zum nächsten Dorf, dort wird man dich wohl kaum erkennen. Ich habe dort bereits ein Zimmer in einem Gasthaus gemietet“, erklärte er mir. 

„Wie ist eigentlich dein Name?“, erkundigte ich mich plötzlich, da ich den Wunsch hatte ihn besser kennen zu lernen. Schließlich sah es ja danach aus, dass ich einige Zeit mit ihm verbringen würde und bis jetzt wusste ich absolut nichts über ihn.

„Ich bin Tyrok von Dunkelstein. Zumindest war das mein Name, als ich noch ein Mensch war. Heute kennt man mich nur noch als Lord Dunkelstein, aber du darfst mich Tyrok nennen, wenn du magst“, sprach er mit einem leichten Lächeln. Ich nickte. 

Tyrok gefiel mir wesentlich besser als Lord Dunkelstein, weitaus persönlicher und es hätte sich mit Sicherheit komisch angefühlt, ihn mit Lord ansprechen zu müssen.

Ob er nur ein Lord in der valdracanischen Welt war? Oder war auch einer in der Menschenwelt? Es schien mir, das Verwandeln von Menschen in Valdrac doch eher auf niedrigen Valdrac lasten, anstatt auf einem Lord. 

Nicht, dass ich mich in der valdracischen Gemeinschaft auskannte oder wusste, wie sie funktionierte. Es erschien mir ein wenig merkwürdig, dass er in mein kleines Dorf gekommen war, nur um ein junges Mädchen wie mich zu einer Valdrac zu machen. Ich war so beschäftigt mit meinen eigenen Gedanken, dass ich fast nicht mitbekam, was er als Nächstes sagte. 

„Du wirst bald Durst verspüren. Dieser Durst kann nur mit Blut gestillt werden. Wenn du diesem Drang nicht nachkommst, wirst du spätestens nach zwölf Stunden so schwach, dass du dich kaum noch bewegen kannst und nach weiteren sechs Stunden wirst du sterben. Dessen solltest du dir von Anfang an bewusst sein, denn du darfst es auf gar keinen Fall versäumen“, sprach Tyrok. 

Ich nickte schwach, war noch viel zu sehr in meine Gedanken vertieft. Ich musste erst einmal begreifen, dass ich tatsächlich ein Valdrac war. Nicht länger Mensch und gezwungen, Blut anderer Menschen zu trinken, um zu überleben. 

„Warum brauchen wir Blut?“, erkundigte ich mich bei ihm. Er zuckte mit den Schultern. 

„Es gibt viele, die behaupten, es wäre ein Fluch, der uns auferlegt wurde, um unsere Stärken auszubalancieren. Wieder andere sind davon überzeugt, dass der Fluch dazu dient, die Population der Menschheit unter Kontrolle zu halten. Das Einzige, das wir genau wissen ist, dass wir es zum Überleben brauchen, daran führt kein Weg vorbei. Viele versuchten es und scheiterten.“

„Wie bin ich zum Valdrac geworden?“, wollte ich wissen. 

„Indem du von meinem Blut getrunken hast. Aus dem Kelch, den ich dir an die Lippen gehalten habe“, antwortete er mir. 

Dann war es sein Blut gewesen, das so bitter geschmeckt hatte. Es hatte mich nicht im Geringsten an Blut erinnert, denn das hatte einen anderen Geschmack, soviel wusste ich. 

Tyrok schien meine Verwirrung zu bemerken, und sagte: „Du wunderst dich wahrscheinlich über den Geschmack. Das Blut eines Valdrac unterscheidet sich deutlich von dem der Menschen oder der anderen Geschöpfe dieser Welt. Zu einem ist es schwarz und ein wenig dickflüssiger als das der Menschen. Außerdem hat es einen ziemlich bitteren Geschmack. Das der Menschen schmeckt eher süßlich.“ 

Damit war auch diese Frage geklärt, allerdings hatte ich noch eine ganze Menge mehr Fragen, die ich ihm stellen wollte. Doch er kam mir zuvor. „Ich weiß, dass du noch vieles wissen willst, doch nicht hier und jetzt. Wir müssen uns langsam auf den Weg machen, die Kutsche wartet bereits auf uns, da ich nicht wusste, ob du schon des Reitens mächtig bist. Ich werde dir auf dem Weg allerdings gerne deine Fragen beantworten.“ 

Damit drehte er sich um und ich folgte ihm zu einem kleinen Weg im Wald, wo tatsächlich eine Kutsche stand. Sie war ziemlich groß und prunkvoll ausgestattet. Lord Dunkelstein musste ziemlich reich sein, um sich so etwas leisten zu können. Ein Mann stand neben der Kutsche, Pfeife rauchend. Er sah uns kommen, steckte die Pfeife weg, ging zur Kutsche und öffnete eine der Türen. 

„Nach dir“, wies Tyrok mich an. 

Ich stieg in die Kutsche, die von innen noch viel größer aussah. In sie hätten bequem sechs oder sieben Leute hineingepasst. Hinter mir stieg Tyrok ein. Schon kurz darauf ging ein Ruck durch die Kutsche und wir fuhren los. Angetrieben von sechs Pferden rasten wir geradezu über den Waldweg und anschließend über die Straße. Ich wusste, dass es bis zum nächsten Dorf mindestens einen Tagesmarsch war, umso überraschter war ich über die nächsten Worte von Tyrok. 

„Wir werden das Dorf noch vor Sonnenaufgang erreicht haben und dann werde ich dir zeigen, wie man sich einen Menschen fängt, um sein Blut zu trinken. Dann erst wirst du dich richtig stark fühlen und deine Valdrackräfte werden vollkommen in dir erwachen. Es wird ein erhabenes Gefühl sein, das kann ich dir versprechen.“ 

Mir fröstelte bei dem Gedanken, noch heute Nacht das Blut eines Menschen trinken zu müssen, doch ich hatte wohl kaum eine Wahl, wollte ich weiterhin leben. Und das wollte ich ohne Zweifel. Die Art, in der er davon sprach, klang genauso wie ein Mensch, der über seine nächste Mahlzeit sprach. 

„Noch hast du vielleicht Zweifel an der Richtigkeit deines Tuns, doch das wird sich spätestens ergeben, wenn du erst mal vom Blut eines Menschen gekostet hast. Mach dir also keine Gedanken. Es liegt in unserer Natur ihr Blut zu trinken, genauso wie es in ihrer Natur liegt, Tiere zu schlachten und zu essen. Es gibt also keinen Grund sich deswegen schlecht zu fühlen.“

Hatte er meine Gedanken gelesen? Ich wusste nicht, ob Valdrac tatsächlich dazu in der Lage waren, doch es erschien mir durchaus möglich. Ich spürte seine warme Hand auf meinem Oberschenkel. 

„Deine Gedanken sind für mich sehr offensichtlich, doch ich werde dich lehren, sie besser vor anderen zu verbergen. Es ist nicht gut, wenn du jedem so leicht Einblick in dein Innerstes gewährst“, sprach Tyrok und zeigte mir damit, dass er wohl tatsächlich meine Gedanken gelesen, oder zumindest so etwas Ähnliches getan hatte. 

„Warum hast du gerade mich ausgewählt und zum Valdrac gemacht?“, erkundigte ich mich bei ihm. Dieser Gedanke war in meinem Hinterkopf, seit mir klar geworden war, was ich jetzt war. Er hätte sicherlich auch jeden anderen Dorfbewohner haben können, warum also gerade mich? Was war so Besonderes an mir, dass ich es mehr verdiente als jemand anderes? 

„Ich habe dich beobachtet, nachdem ich bemerkt habe, dass du dich besonders stark für Valdrac interessierst. Nicht jeder Mensch kann so einfach zum Valdrac werden, man muss auch innerlich bereit dazu sein. Viele überleben nicht einmal die erste Nacht. Entweder werden sie von ihren eigenen Leuten getötet, weil sie zu schwach zum Fliehen oder Kämpfen sind, oder sie weigern sich Blut zu trinken und krepieren dann elendig. Bei dir jedoch war ich mir gleich sicher, dass du bereit dazu bist, soviel wie du über Valdrac wissen wolltest.“ 

Also hatte mich meine Neugier doch ins Verderben gestürzt, ganz wie es mir meine Mutter prophezeit hatte. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln. Beim Gedanken daran, dass meine Mutter bei jenen gewesen war, die mich hatten töten wollen, verflog dieses Lächeln so schnell wieder, wie es gekommen war. 

Ihre eigene Tochter hatten sie töten wollen, wie unmenschlich. Doch war ich überhaupt noch ihre Tochter? Immerhin war ich kein Mensch mehr. Ich war nun ein Valdrac und Valdrac waren böse, denn sie töteten Menschen, indem sie ihr Blut tranken. Also war es rechtens gewesen, dass sie versucht hatten, mich zu töten? Ich wusste nicht, was ich darüber denken sollte. Es war alles so neu für mich und es kam mir nicht wirklich nun böse vor oder von Mord- und Blutlust gepackt. 

„Mach dir nicht so viele Gedanken, meine Kleine. Du hast die Welt der Menschen hinter dir gelassen, du bist jetzt ein Valdrac und bald wirst du auch handeln wie einer. Wenn du eine gelehrige Schülerin bist, dann wirst du sehr mächtig werden, das kann ich spüren. Ich konnte dich unmöglich in deinem jämmerlichen Dasein zurücklassen, nachdem ich spürte, welche Macht in dir ruht.“ 

Ich sagte nichts dazu. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich konnte nichts Spezielles an mir entdecken, daher war ich mir nicht so sicher, ob ich es verdiente unsterblich zu sein, oder so unsterblich, wie ein Valdrac eben war. Es war immer mein Traum gewesen, aber jetzt, da es Realität war, wusste ich nicht zu sagen, ob ich damit klarkommen würde. 

„Kann ich auch einen Menschen zum Valdrac machen?“, fragte ich nach kurzer Zeit des Schweigens. 

„Jeder Valdrac, der stark genug ist, kann dies. Doch nicht jeder ist stark genug, so viel von seinem Blut abzugeben und nicht jeder findet den richtigen Menschen, um ihn zum Valdrac zu verwandeln. Bei manchen von ihnen schlägt es nämlich nicht an und sie sterben einfach, obwohl sie das Blut getrunken haben, weil entweder sie sich zu sehr dagegen sträuben, oder der Valdrac, der ihn zu erschaffen versucht, nicht stark genug dafür ist.“ 

Das klang ziemlich kompliziert, wie ich fand. Besser an diesen Gedanken erst einmal keine Zeit zu verschwenden. Es gab viel wichtigere Dinge im Moment und da ich gerade erst verwandelt worden war, war es wohl kaum wahrscheinlich, dass ich einfach irgendwen verwandeln würde. Selbst wenn ich es gekonnt hätte, gab es doch niemanden, den ich zum Valdrac machen wollte.

Tyrok öffnete ein kleines Schränkchen an der gegenüberliegenden Wand. Er holte zwei Gläser und eine Flasche heraus und goss in beide einen Schluck ein. 

„Der beste Wein in dieser Gegend. Obwohl wir nicht trinken oder essen müssen, genieße ich es sehr, es trotzdem zu tun. Nicht aus der Notwendigkeit, sondern schlicht und einfach aus Genuss.“ 

Damit reichte er mir ein Glas, ich nippte daran und zu meinem Erstaunen schmeckte es köstlich. So etwas Gutes hatte ich noch nie zuvor gekostet. 

Tyrok lachte auf. „Als Valdrac bist du in der Lage alles viel intensiver wahrzunehmen. Du kannst nicht nur besser sehen, hören und riechen, nein du kannst auch mehr schmecken. Alles wird jetzt viel besser oder schlechter schmecken. Ich glaube, du wirst daran ebenso deinen Spaß haben wie ich zu Anfang.“ 

Gierig trank ich das Glas leer und überlegte, ob ich mir noch einen Schluck erlauben konnte. Ich hatte noch nie Alkohol getrunken, wusste daher nicht, wie schnell ich betrunken werden würde.

„Werden Valdrac auch betrunken?“, fragte ich bei Tyrok nach. Er musterte mich belustigt.

„Irgendwann sicherlich, doch wir vertragen eine ganze Menge mehr als Menschen, du kannst dir also ruhig noch ein Glas genehmigen.“ Damit goss er uns beiden noch einmal nach. 

Auf der Fahrt fragte Tyrok mich über meine Familie aus und wie ich aufgewachsen war. Ich stellte fest, dass er mich schon eine ganze Weile beobachtet hatte, bevor er den Entschluss gefasst hatte, mich zu einem Valdrac zu machen. 

Es schien ihm zu gefallen, wie nahe ich meiner Großmutter stand. Im Stillen fragte ich mich, was meine Eltern ihr wohl erzählen würden und wie sie darauf reagieren würde. Mir wurde bewusst, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder sehen würde, was mich ziemlich traurig machte.

Irgendwann jedoch schlief ich ein, noch zu erschöpft von der Nacht. An unserem Ziel weckte Tyrok mich sanft. 

Es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis ich wieder richtig wach war. „Oft genügen nur ein paar Stunden Schlaf und wir sind wieder für Tage fit. Je älter du wirst, umso weniger Schlaf wirst du benötigen“, erklärte mir mein neuer Mentor. Das machte mich neugierig. 

„Und wie alt bist du?“, wollte ich von ihm wissen. Seine Augen blitzten mich an. „Vierhundertsechzehn Sommer, seit ich verwandelt wurde. Davor wurde ich fünfundzwanzig Sommer alt. Also bin ich vierhunderteinundvierzig“, war seine Antwort. 

Ich pfiff durch die Zähne. Ganz schön alt, selbst für einen Valdrac, zumindest so weit ich das zu sagen vermochte. Es erschien mir einfach unwirklich, dass ich in der Lage sein sollte so ein langes Leben zu führen. 

Tyrok gab dem Kutscher kurz ein paar Anweisungen, dann nahm er mich an der Hand und zog mich zu einem größeren Haus. Dies musste unser Gasthaus sein.

„Der Wirt hat einen Sohn, ihn kannst du dir vornehmen. Es schadet nicht, denn er hat noch einen jüngeren Sohn, der sein Haus fortführen kann.“ 

Es erstaunte mich ein wenig, dass sich Tyrok Gedanken über das Erbe des Wirts zu machen schien. Fragend blickte ich ihn an.

„Ich bin hin und wieder Gast hier und eigentlich recht zufrieden, warum sollte mir also daran gelegen sein, dass das Gasthaus schließen muss, wenn der Wirt zu alt ist?“, meinte Tyrok und das hatte eine gewisse Logik. 

Wir betraten gemeinsam das Gasthaus, in der Wirtsstube brannte noch Licht und einige Gäste unterhielten sich vergnügt. 

„Mario wird unser Gepäck nach oben bringen. Wobei im Moment handelt es sich dabei wohl eher nur um mein Gepäck. Wir werden morgen erst einmal ein paar Besorgungen machen müssen, denn so, wie du im Moment aussiehst, kannst du unmöglich weiter dein Unwesen treiben“, sprach Tyrok. Ich nickte nur, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. 

„Setz dich dort drüben hin, ich werde gleich nachkommen. Ich muss noch unsere Unterkunft bezahlen“, wies Tyrok mich an und deutete auf einen der freien Tische. 

Ich nahm Platz und schaute mich im Raum um. Ich konnte angsterfüllte Blicke sehen, die zu meinem Mentor wanderten, aber auch zu mir. Man schien ihn hier also zu kennen. 

Ein Junge trat an meinen Tisch heran. Er stellte mir ein Tablett mit Essen und Trinken auf den Tisch. Das überraschte mich, hatte ich doch gar nichts bestellt. Ich wollte mich erkundigen, was es damit auf sich hatte, doch der Junge war schon wieder weiter gegangen. Er hatte es wohl ziemlich eilig gehabt. 

Mein Blick fiel auf den Teller vor mir, Fleisch und Gemüse. Es handelte sich um Kaninchen, wie ich nach einem Bissen feststellte. Wie schon zuvor der Wein schmeckte auch das Fleisch außerordentlich gut, ich genoss jeden Happen. 

Als Tyrok zu mir an den Tisch kam, war ich gerade dabei den Rest des Gemüses zu vertilgen und blickte ihn lächelnd an. 

„Ich sehe, es schmeckt dir. Ich habe den Wirt angewiesen, dir etwas zu essen zu bringen, während ich auf dem Zimmer alles für dich vorbereite. Es wird nicht der letzte Genuss heute Nacht sein. Trink aus und komm mit“, sagte er. 

Ich nahm den letzten Schluck Wein aus meinem Glas und erhob mich, um ihm zu folgen. Tyrok führte mich hinauf in eines der Gästezimmer des Hauses.

Der Raum, den ich betrat, war dunkel, doch meine Augen brauchten nur wenige Sekunden, bis sie sich daran gewöhnt hatten und ich genauso gut sehen konnte, wie bei hellem Licht. Das war wohl einer der Vorteile meines Valdracdarseins. 

Der Raum war ziemlich groß und in der Mitte stand ein großes Bett. Auf dem Bett lag ein junger Mann, seine Hände waren an die Bettpfosten gefesselt. Ich konnte erkennen, dass er sich in den Fesseln hin und her warf. Undeutliche Laute drangen durch den Knebel. 

Tyrok stand hinter mir und ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. 

„Er gehört ganz dir. Ist bestens vorbereitet“, flüsterte er mir ins Ohr. 

„Was soll ich tun?“, fragte ich, ohne mich dabei umzudrehen. Ich war nervös und immer noch nicht sicher, ob dies tatsächlich das Richtige war. Jedoch war mir auch klar, wenn ich überleben wollte, hatte ich gar keine andere Wahl.

Tyrok nahm mich an der Hand und zog mich zum Bett. 

„Spürst du seine Angst? Seine aufsteigende Panik? Dass er nicht weiß, was wir mit ihm vorhaben? Sein Herz schlägt schnell. Das Blut der Menschen schmeckt um einiges besser, wenn sie Angst haben und voller Adrenalin sind, besser ist es nur noch, wenn sie erregt sind. Aber das wirst du noch selbst herausfinden. Vorerst genügt uns die Angst dieses Jungen. Konzentriere dich darauf, dann wirst du es spüren“, sprach er. 

Ich schloss die Augen und konzentrierte mich … er hatte Recht, ich spürte tatsächlich seine Angst, fast als wären es meine eigenen Gefühle. Ich konnte seinen Herzschlag hören. 

Ich spürte den Durst in mir aufsteigen. Es war vollkommen anders, als der Durst den ich bis dahin gekannt hatte. Ich spürte wie meine Eckzähne zu wachsen begannen und eine Veränderung in mir vorging. 

Tyrok trat einen Schritt zurück und hielt den Kopf des Jungen mit der Hand fest, sodass mir sein Hals geradezu entgegen lächelte. Ich beugte mich vor, bis mein Mund seinen Hals berührte. 

Ohne Schwierigkeiten fand ich die Halsschlagader, wie von selbst gruben sich meine Zähne hinein, das Blut begann in meinem Mund zu strömen und gierig schluckte ich es. 

Ich saugte an seinem Hals. Tyrok nahm meinem Opfer den Knebel aus dem Mund und ich konnte ein leises Stöhnen hören. Es schien ihm also irgendwie zu gefallen. Das Gleiche war ja auch auf mich zugetroffen. 

Ich trank weiter, es war alles, das mich im Moment interessierte. Dann bemerkte ich, wie sein Herz immer langsamer schlug. Die Stimme meines Mentors drang leise in mein Bewusstsein: „Du solltest aufhören, bevor es vollständig aufgehört hat zu schlagen, denn dann schmeckt das Blut nicht mehr besonders gut.“ 

Ich hörte auf seinen Rat und ließ von meinem Opfer ab. Ich leckte mir über die Lippen, um die letzten Reste seines Blutes abzuwischen. Langsam ließ der Blutrausch, in den ich verfallen war, nach und mir wurde bewusst, was ich gerade getan hatte. 

„Ist er tot?“, wollte ich von Tyrok wissen. Er lächelte. „So gut wie.“ Damit drehte er mit einem Ruck dem Jungen den Hals um. 

„Jetzt ist er es.“ Ich blickte ihn schockiert an. 

Er hatte ihn eiskalt getötet, es schien ihm sogar Spaß zu machen. Doch war ich genauso schuld an seinem Tod, ich hatte ihm das Blut ausgesaugt und hätte Tyrok ihm nicht das Genick gebrochen, so wäre er sicherlich an dem Blutverlust gestorben. Ich hatte ihn auf dem Gewissen, hatte ihn getötet. Langsam spürte ich die Zweifel in mir hochkommen, ob es tatsächlich richtig war, Menschen zu töten, um selbst zu überleben. 

Tyrok schien wieder einmal meine Gedanken zu lesen, denn er sagte: „Mach dir keine Gedanken. Er würde ohnehin früher oder später sterben, doch du kannst ewig leben. Er war nur ein unbedeutender Mensch und kein Verlust für die Menschheit.“

Doch ich zweifelte an seinen Worten, so trat er auf mich zu, drückte mich gegen die Wand, hob mein Kinn und blickte mir tief in die Augen.

„Gehe in dich. Sag mir, ob du dich nicht besser fühlst. Fühlst du dich nicht um ein Vielfaches stärker und mächtiger? Du hast gerade das erste Mal Blut getrunken. Du bist nun ein richtiger Valdrac. Spüre die Stärke, spüre die Macht in dir. Sie muss nun vollständig erwacht sein“, redete er auf mich ein. 

Er hatte Recht, ich spürte die Macht in mir, spürte, wie stark ich nun tatsächlich war. Es war ein sehr gutes, erhabenes Gefühl. Ich schloss die Augen, lauschte in mich hinein, um all die neuen Eindrücke aufzunehmen. 

Meine Sinne hatten sich verstärkt, ich fühlte mich lebendiger als jemals zuvor.

Als ich die Augen wieder öffnete, hatte sich Tyroks Gesicht meinem genähert, bevor ich noch etwas tun konnte, küsste er mich leidenschaftlich. 

 

Ich schloss die Augen wieder, genoss seinen Kuss. So hatte mich noch nie jemand geküsst und es gefiel mir sehr. Ich legte meine Arme um seinen Hals und küsste ihn immer weiter. Ich spürte, wie er mir die Bluse vom Leib riss, auch meine Hose landete einen Augenblick später auf dem Boden. 

Für mehr Info: www.Keldoraz.com

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Tag der Veröffentlichung: 20.01.2009

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