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Weihnachten. Gott dieses Fest, allgemein bekannt als fest der Liebe, war bei ihr eher ein Fest der Wut, Panikattacken und Depressionen. Doch ging es nicht vielen so? Sahen nicht viele das was auch sie nun erkannte? All das Leid und die Masken der Narren hier. Der Narren, die nichts besseres zu tun hatten als sich selbst etwas vor zu machen. Einst gehörte sie auch dazu, war geblendet von sinnloser Hoffnung. Heute sah sie klar. Ja wenn sie sich heute umsah, erkannte sie all das Elend um sich herum. Ihr gegenüber zum Beispiel.
Ihre Nichte, die jüngste ihres ältesten Bruders. Ein nettes Mädchen, wenn auch seid der Scheidung ihrer Eltern etwas mollig geworden, saß dort auf dem hübschen Designerstuhl von Omi und lächelte brav, wie es sich für eine kleine arme aber reich tuende Göre gehörte, machte dumme Witze und legte ab und an immer wieder die Hand auf den Oberschenkel ihres Freundes. Ganz so als wäre alles gut. Ganz so als würde dieser Schmerz in ihr nicht existieren.
Dabei zerfraß es sie fast. Die Gewissheit das Nikolei schon seid einiger Zeit fremd ging, war bei weitem kein Geheimnis. Eben so wenig wie die Tatsache das sie nur bei ihm blieb, weil sie sich selbst hässlich und fett fand. Doch noch nicht genug für dieses junge Leben. Nein,Angst beherrschte auch noch die Seele ihrer Nichte, Haus wie auch Auto und alle Schulden liefen auf ihren Namen, wenn Nikolei sich also morgen entschied genug von der ganzen Sache Affäre zu haben und sich völlig einer andere zu wand, blieb sie mit all dem Scheiß allein sitzen. Verschuldet, von der Mutter verstoßen, mit gebrochenem Herzen und Dehnungsstreifen. In dem Alter schon beinahe eine Art Todesurteil...Zumindest in den Augen dieser, ihrer Familie. Ein Trauerspiel, im übrigem auch für ihren ältesten Bruder. Den nicht nur seine Tochter war kurz vor dem Ende, nein um seinen Sohn stand es auch kaum besser.
Nils hatte vor 2 Jahren sein Bein bei einem Autounfall verloren. Ein Betrunkener hatte ihn Nachts erwischt, eine hässliche Sache, wir waren froh das er überlebte, bis man uns sagte, dass das Bein nicht mehr zu retten war. Nicht weil er nun anders war, nein das war nicht das Problem. Viel größer war die Panik um Nils Reaktion. Der Junge gerade erst wieder aufgeblüht. Die Scheidung hatte ihn noch schwerer getroffen als seine Schwester, und wir waren alle mehr als erleichtert, als er sich aus seinem Loch befreite und seine Ausbildung als Erzieher sichtlich genoss. Er strebte eine Laufbahn als eine Art Streetworker an. Jemand der Kinder mit Sport und Gemeinschaft von der Straße fernhielt. Doch mit dem Knall des Unfalls zerplatze auch dieser Traum. Heute sitzt Nils in einem Bürojob fest, weigert sich fremden Menschen, oder gar dem anderem Geschlecht zu nahe zu kommen, aus Scham um das fehlende Körperteil. Stattdessen umgibt er sich mit Leuten die es wesentlich schlimmer getroffen hatten, um sich besser zu fühlen. Allerdings lässt der Erfolg dieses Planes deutlich zu wünschen übrig. Das Lachen über Onkel Harrys Witz wegen den kindlich bepinselten Rollstuhls ist eindeutig falsch. Hass spiegelt sich hinter dieser Maske. Hass auf alle gesunden Menschen, auf alle betrunkenen Menschen, auf alle Menschen. Ja Hass beherrscht nun Nils Leben, allein Hass hält ihn am Leben. Das weiß er, und er verabscheut sich selbst dafür. Es würde sie nicht wundern wenn er eines Tages einfach alles hin schmiss und Suizid begann. Und ihn würde es auch nicht überraschen wenn er diese Gedanken bekäme, dessen war sie sich sicher...

Und ihr Bruder? Ja der war gefangen in einem Leben das er sich immer anders vorgestellt hatte. Statt Traumfrau mit 90-60-90, Musterkindern, sexy Affäre und tollem Haus, hat er nun ein Leben bei Tyrann Mutti, eine glückliche Ex mit neuem Freund der er Unterhalt zahlen muss, kaputte Kinder und Schulden die eigentlich schon längst los wäre, gäbe es da nicht die Sucht nach Glücksspiel und Nutten. Erbärmlich...Aber wenigstens hatte Elli seine Ex es geschafft dem Wahnsinn dieser kranken Gemeinschaft die sie ihre Familie schimpfte zu entrinnen.

Sie lies ihren prüfenden Blick weiter gleiten, sie musste den Ältesten nicht ansehen um zu wissen, das auch sein vermeintlich halb glückliches grinsen eine Maske war. Stattdessen interessierte sie sich für den jüngsten der Rasselbande. Tim. Er lächelte nicht. Sah in die Runde, seine Tochter auf dem Schoß. Ja Tim, er schien auf den ersten Blick wirklich ein gutes Leben zu haben, schien es recht gut getroffen zu haben. Irrtum! Nur weil er nicht übertriebenen Frohsinn spielte, hieß das noch lange nichts. Auch er trug Masken. Klar er hatte eine treue nette wenn auch nicht sonderliche schöne Frau, und eine noch unschuldige kleine Tochter. Dennoch war auch er ein Mann, der zu jener Abendstunde eigentlich schon längst voll war. Und mit voll meinte sie nicht voll gefressen, sondern sturzbetrunken. Verzweifelt darauf bedacht sein Hirn zu ertränken, damit in der Nacht die Alpträume fern blieben.
Die Träume seiner Jugendfreundin, die er einst bei der Polizei identifizieren musste. Oder eher das was noch von ihr übrig war. Das arme Mädchen war von einer Brücke gesprungen. Hatte Drogen genommen und war vor versammelter Mannschaft mit dem Worten „Engel können doch fliegen“ gesprungen. Tragische Sache, es hatte Tim sehr verstört. Die anderen auch, sie alle mussten Jenny ja offiziell identifizieren, warum weiß der Geier. Doch Tim schien es besonders schwer verstört zu haben. Doch er Alkohol ist bislang eine sehr gute Lösung. Von uns allen geht es ihm wohl am besten.
Ja ihm. Nicht ihr. Auch wenn ihre Gedanken äußerst abwertend und hochnäsig waren, hielt sie sich bei weitem für kein Stück besser. Nein, niemals. Neben ihrer eigenen Mutter war sie die Königin der Heuchler. Ihr Mann betrog sie mit seiner Sekretärin, und das nach allem was sie für ihn getan hatte. Verdammt sie hatte die Beine für ihn und seine Karriere breit gemacht und ein Kind ermordet. Und nun vögelte er allen ernstes eine andere? Eine Jüngere? Eine Die noch fruchtbar war und nicht wegen so einer grausigen und dummen Entscheidung verdorrt war! Gott sie hasste ihn so sehr. Am meisten dafür das er sie für blöd hielt. Überstunden klar, deswegen kommt man auch nachts mit Lippenstift am Hemd heim und riecht nach Chanel Nummer 5. Klar Wochenendmeeting, im Wellnessshotel Grand l'amour. Sicher, glücklich ohne Kinder und schwer darauf bedacht ihr das mit den Kinder nicht so schwer zu machen. Deswegen sind ja auch immer die Blagen dieser Hure bei ihr wenn er sie vögelt! Die Arme hat doch keinen Badysitter und sie braucht die Überstunden um den lieben Kleinen Schuhe kaufen zu können...Sicher, warum kaufst du den keine, besser als Madame teuren Schmuck zu schenken den sie mal als zauberhaft betitelt hatte. Ihr Geschenke machen die sie sich immer wünschte! Bastard! Elendiger Bastard. Sie hasste ihn, sie wollte ihn brennen sehen! Und dennoch spielte sie mit. In zwei Monaten erneuern sie ihr Ehegelübde. Und warum? Weil ihr zu große Anteile der Firma gehören. Sonst wäre er doch schon lange weg. Sie wusste es, sie kannte ihn doch. Mistkerl. Und alle ihre Verwandten halten ihn für so toll! Für so stark weil er bei ihr bleibt obwohl sie ihm nie den Sohn schenken kann den er sich wünscht. Gott wenn sie doch alle nur wüssten! Gott wenn sie nur den Mut hätte. Das Rückgrat! Wenn sie nur eine Waffe hätte...Ja sie würde es tun, sich befreien, sich hier und jetzt ein Messer nehmen und ihm die Kehle aufschneiden, allen die Masken runter reißen und alle mit der Wahrheit konfrontieren, entweder starben sie heute alle, oder sie bewiesen Mut und befreiten sich, aber nicht mehr so! Nein so nicht mehr, es reichte! Sie würde nun den ersten Schritt machen, sie war stark, sie war toll, sie war...
„ Schatz...Schatz? Ich habe dich gebeten die Vordrucke unserer Einladungen aus der Handtasche zu holen, deine Mutter möchte sie sehen... Was ist den los?“ Sie blinzelte zweimal und sah dann zur Seite. Alan ihr Ehemann hatte sie liebevoll am Arm gefasst, und sah sie besorgt an. Blender! Alles starrte sie an. Sie ja sie. Nicht ihn, der der seine Sekretärin vögelte. Nicht ihre Nichte, die am Ende war. Nicht ihren Bruder der ein Alki war. Nicht ihre Mutter die sie alle unterdrückte und die Regeln machte, Teile der Familie verdammte oder auf einen Sockel hob, nein, keinen nur sie. Man starrte nur sie an. Sie war anders, die tanzte aus der Reihe, an Weihnachten...Das war nicht erlaubt. Sie lächelte nicht, ignorierte ihren Mann, hatte das hohe Wort ihrer Mutter überhört. Das ging nicht, sie tanzte aus der Reihe. Das war ein Regelverstoß, an Weihnachten sogar ein sehr schwerer...
Sie lächelte, gab Alan einen Kuss und erhob sich. „Alles in Ordnung Liebster, ich hatte mich nur in dem verloren was für mich Weihnachten ausmacht, die liebe Familie...“Sie ging durch die offene Flügeltür des Esszimmers in die Küche, neben dem Block mit den scharfen Messern stand ihre Handtasche...

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Texte: Alles meins
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2011

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