Tag 1
Nicht einmal die Halogenscheinwerfer, die mit ihren gleißenden Lichtstrahlen den Tatort erhellten, konnten für Mell Neither, den Chefermittler für Gewaltverbrechen, fassbar machen, was sich vor seinen schiefergrauen Augen darbot. Er befand sich, zusammen mit dem Rest seines Teams, in einem kleinen Apartment in der Stadtmitte von Duskwood.
Mell ließ seinen Blick langsam und mit Sorgfalt durch das Zimmer wandern.
`Sowohl Extremitäten als auch Haupt wurden mit einer scharfen Waffe abgetrennt und anschließend an die Wand genagelt. Der Darm wurde dazu benutzt den Torso von der Decke hängen zu lassen. Anhand der Blutlachen und Spritzer lässt sich mit Sicherheit sagen, dass das Opfer getötet wurde, bevor seinen Überresten dieses unwürdige Schicksal widerfahren ist.´
Der betagte Chefermittler ließ einen langen müden Seufzer aus und richtete sich an seine Kollegen aus der Forensik.
„Den wievielten macht das nun? Den neunten? Diese Mordserie dauert nun schon zu lange. Der Täter ist ein Mensch, also macht er mit der Zeit Fehler. Sucht nach diesen, denn sie sind unsere einzige Hoffnung die uns jetzt noch bleibt.“
Einer der Forensiker ging vor der Leiche in die Hocke und hob ein scharlachrotes Stück Papier auf. „Ich weiß nicht ob das der Fehler ist, nach dem wir suchen, aber für den Anfang ist es ein Hinweis.“, merkte er mit einem schiefen Lächeln an, während er Neither das Schriftstück überreichte.
Er nahm es entgegen und entfaltete es und las laut vor, was dort in goldenen Lettern geschrieben stand.
„nox sanguinis descendivit homines est“
Die Forensiker tauschten fragende Blicke aus. Mell kratzte sich den Kopf während er nachdachte was dieser Satz zu bedeuten hatte.
„Egal jetzt. Bringt den Zettel ins Labor und seht was ihr herausfinden könnt. Das ist unser einziger Hinweis der uns zu unseren Mörder führen kann.“
Tag 2
Mell saß an seinem Schreibtisch in seinem Büro. Als es plötzlich an der Tür klopfte, hob er seinen Kopf aus seinen Armen, auf denen er erst eben noch geschlafen hatte und knurrte: „Herein!“. Anne, die Sekretärin der Ersten Einheit, die Abteilung für Gewaltverbrechen, steckte ihr brünettes Haupt durch die Tür, die sie nur einen Spalt weit geöffnet hielt. Mit ihrer linken Hand hielt sie immer noch am Türgriff fest, was jedoch Mells Aufmerksamkeit erregte war der Ordner mit der Aufschrift „Laborergebnisse“ in ihrer rechten.
„Die Ergebnisse der Untersuchung des roten Papierstücks sind soeben eingetroffen. Willst du sie sehen, Mell-Schätzchen.“ Den letzten Satz sprach sie mit einer besonders süßen Stimme und zwinkerte ihn mit ihren Rehaugen zu.
„Kannst du das nicht lassen, ich bin zwar schon 45 aber immer noch ein Mann mit Bedürfnissen. Wenn du so weitermachst, werde ich mich eines Tages nicht mehr zurückhalten können und über dich herfallen.“
Anne lachte noch kurz und übergab ihn dann den Ordner, bevor sie das Zimmer wieder verlies. Eifrig blätterte er die Seiten des Berichts durch, auf der Suche nach dem einen Hinweis, der in diesem verkorksten Fall die Wendung bringen sollte. Er wurde jedoch enttäuscht und nach Stunden der Verzweiflung gab Mell schlussendlich auf. Niedergeschlagen schlurfte er aus seinem Büro und an Anne vorbei, die gerade dabei war sich die Nägel zu lackieren.
„Ah, Mell-Schätzchen, warte kurz. Was hältst du von meinen neuen Nagellack? Ist er nicht umwerfend?“
Sie streckte ihre bereits bepinselte Hand Neither entgegen, der ihr nur ein Knurren als Antwort gab.
„Das ist aber gemein von dir. Der war extrem teuer, da die Farbe aus einer seltenen Pflanze gewonnen wird, die nur an wenigen Orten auf der ganzen Welt wächst.“
Der Chefermittler hielt in seinen Schritt inne und drehte sich zu Anne um.
„Was hast du gerade gesagt?“
„Ich habe gesagt, dass du gemein bist. Das hast du davon, weil du mich auch immer ignorieren musst.“
Die hübsche Sekretärin setzte ihren besten Schmollmund auf und sah ihn mit gespieltem Ärger in den Augen an.
„Nein, nicht das. Was hast du danach gesagt?“
„Das er Nagellack extrem teuer ist, da er eine Farbe beinhaltet, die von einer seltenen Pflanze stammt.“
Noch bevor sie ihren Satz vollendet hatte, war Mell schon wieder auf den Rückweg in Richtung Büro. Dort nahm er noch einmal die Akte mit den Berichten zu Hand und durchleuchtete jede Seite ein weiteres Mal auf das Genaueste. Sein Blick blieb an einer chemischen Formel hängen. Dass Kommentar der Forscher brachte Mells Herz zum Rasen.
`Nerubinanhydrin III ist ein immer selten werdender roter Farbstoff auf pflanzlicher Basis. Die Pflanze wächst nur mehr im Gebiet um den Berg Mandverd. Dort wurde sie seit dem frühen Mittelalter von Mönchen gezüchtet und noch heute von den Ansässigen für die Färbung wichtiger Schriftstücke verwendet.´
„Verdammt, das ist es. Das ist der Hinweis nach dem ich gesucht habe.“
Schnell packte er seinen Mantel und seine Autoschlüssel, und hastete anschließend sofort aus dem Gebäude zu seinem Auto, um sich augenblicklich auf den Weg zu machen.
Tag 3
Da Kanblan, die Ortschaft die im Tal vor dem Berg Mandverd liegt, knapp 1000 km entfernt ist, stieg Mell am gestrigen Abend auf halber Strecke in einem Motel ab. Am nächsten Tag dauerte es noch weitere vier Stunden bis er sein Ziel endlich erreichte. Kanbaln kam einer Zeitreise in die Vergangenheit gleich.
„Bin ich hier im Mittelalter gelandet, oder was sollen die Aufmachungen?“
Mell starrte die Bewohner, allesamt in schlichte Leinengewänder gekleidet, vereinzelt waren auch Leute in mit etwas eleganterer Kleidung zu sehen, ungläubig an. Er schüttelte den Kopf und sprach erneut mit sich selbst.
„Egal. Ich sollte mich zuallererst nach Informationen umhören und die Ortsansässigen befragen“
Es vergingen Stunden, bis Mell endlich einen Hinweis bekam, der ihn bei seinem Fall weiterhelfen konnte. So machte er sich zum Kloster auf, welches sich in Nähe des Berges befand. Nach einem ordentlichen Fußmarsch kam er endlich an, was er aber zu sehen bekam, war eine verfallene Ruine, die nur mehr wenig von ihrer damaligen Pracht als Kloster widerspiegelte. Auf der Suche nach weiteren Indizien durchsuchte Mell die Umgebung und zuletzt die Räume des Gebäudes. Da ihm eine Wand verdächtig vorkam, nahm Mell sie genauer unter die Lupe und kniete sich hin, um auch nichts zu übersehen. Mit einem schweren Seufzer legte er eine Hand auf sein Knie und wollte sich aufrichten. *Dong* Ein Gegenstand wurde Mell mit aller Kraft über den Schädel gezogen, worauf dieser sogleich Bewusstlos in sich zusammensackte.
Tag 3 – Abend
Mell wachte mit Kopfschmerzen auf, die ihn unvermittelt an seine zerbrochene Ehe erinnerten. Des Weiteren bemerkte er, dass sich zu seinen Füßen eine kleine Lache geronnen Blutes gebildet hatte.
„Allen Anschein bist du aufgewacht, wie schön.“
Mell hob angestrengt seinen Kopf und blickte verärgert in das lächelnde Gesicht von Anne.
„Ich bin froh, dass du meinen Hinweis mit so viel Enthusiasmus aufgenommen hast und du dich ohne Zögern aufgemacht hast. Ich wollte, dass mein zehntes Opfer ein ganz besonderes wird, du hast doch nichts dagegen, oder Mell-Schätzchen?“
Ihre jetzt schiefen Gesichtszüge unterstreichen nur den Wahnsinn, welchen sie schon so lange versteckt haben muss. Sie holt eine Machete aus einer nebenstehenden Sporttasche und leckt mit ihrer Zunge über Klinge, fast so, als ob sie damit ein heiliges Ritual beginnen würde.
„Nun mein Lieber, was hättest du gerne zuerst? Arm? Bein? Oder vielleicht in kleinen Happen? Da du besonders bist, gewähre ich der einen speziellen Service. Also was soll es sein?“
„Hahahahahaha“, Mell wirft seinen Kopf in den Nacken und fängt an lauthals zu lachen.
Anne beleibt kurz wie angewurzelt stehen. Horror? Ja. Verzweiflung? Ja. Winseln um Gnade? Ja. Alle diese Verhaltensmuster hat sie bei ihren vorherigen Opfern gesehen und doch konnte sie sich nicht vorstellen wie jemand in solch einer Situation lachen konnte.
„Dachtest du wirklich, dass ich alleine kommen würde?“
Anne hört hinter sich wie eine Pistole entsichert wird, dennoch dreht sie sich nicht um. Sie hört nur die Stimme einer Frau.
„Keine falsche Bewegung meine Kleine, sonst bin ich gezwungen zu schießen!“
Anne ignoriert die Stimme einfach und schiebt sie wie ein unliebsames Objekt in ihren Verstand zur Seite.
„Wie es aussieht, habe ich einen groben Fehler begangen. Aber denke nicht, dass es mit mir ein Ende haben wird. Das Ziel ist größer als ein einziges unwichtiges Subjekt, so wie ich eines bin. Freue dich, denn die Nacht des Blutes wird schon bald kommen und unser Erlöser wird auf einen See aus Blut herabsteigen.“
Mit einer schnellen Bewegung zog sich Anne die Klinge von einer zur anderen Seite über ihren Hals und sackt reglos zu Boden, während sich ein scharlachroter Strom aus ihren Hals ergießt.
„Das hast du wieder toll hingekriegt.“
„Ja. Kannst du mich bitte losbinden?“
Die Frau machte Mell los und er versuchte zu stehen. Da er noch ein wenig wacklig auf den Beinen war, griff ihn seine Kollegin unter die Arme und beide gingen aus den Ruinen.
Als sie wieder im Freien waren, richtete Mell noch einmal das Wort an die Frau neben ihm.
„Weißt du, als ich nach dem Schlag aufgewacht bin, musste ich kurz an dich denken.“
Texte: All rights are reserved to me aka. Shadowsaint
Tag der Veröffentlichung: 12.03.2011
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