Cover

Prolog

 

Gambrigde 1816 „Durch die große Güte seiner Gnade möge der Herr dir alle Sünden vergeben.“ Anna hörte das Gemurmel des Pfarrers. Sie sah, wie am anderen Ende der Station hastig ein Vorhang um eines der Betten gezogen wurde und roch heißes Kerzenwachs. „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes möge alle Macht des Teufels in dir ausgelöscht sein, durch die Anrufung der heiligen Jungfrau Maria, Mutter Gottes …“

Ihre Finger verkrampften sich um den Rosenkranz. Sie erinnerte sich an das hübsche Gesicht des Mädchens. Nicht einmal ihren Namen hatte sie in Erfahrung bringen können, bevor das Licht in ihren Augen erlosch. Alles was blieb, war ein toter Körper. Wunderschönes, rotes Haar klebte, vom Schweiß verfilzt, auf einem stumpfen, blassen Gesicht. Wie so viele andere war sie schon bald nach ihrer Niederkunft dem Fieber erlegen.

Anna spürte aufsteigenden Zorn. Die hygienischen Bedingungen in diesem Krankenhaus waren schlimmer als in einem Stall. Zwar hatte sie sich an den Gestank des fauligen Ausflusses, der zwischen den Beinen der Mädchen die Laken verkrustete, gewöhnt. Aber diese Ärzte! Aderlass, immer wieder Aderlass, das war alles, was sie verordneten. Sie stolzierten durch die Reihen und schoben ihre Arme unter die Decken der Patientinnen. Das Tuch, an dem sie sich jedes Mal ihre Finger abwischten triefte vor Blut, wenn sie am letzten Bett standen.

„Wenn du sie doch liebst, Herr, warum lässt du sie dann so lange leiden“, murmelte Anna verzweifelt. Sie stand auf, zupfte ihr Gewand zurecht und ging zur Tür. Hinter den verschlossenen Scheiben der Station war die Luft stickig. Das ganze Gebäude roch nach Blut, Schweiß und Eitergeschwüren.

  In einer Nacht wie dieser, wenn das Stöhnen der Sterbenden unerträglich laut durch die Korridore hallte, entfloh Anna für wenige Minuten dem Schrecken indem sie zum Hinterausgang schlich und unter der Einfahrt verharrte um im Schatten des großen Torbogens zu beten.

Hinten im Hof hämmerte der vielbeschäftigte Sargtischler. Kalter Novemberregen peitschte über das Straßenpflaster. Im Schein der Straßenlaterne sah Anna einen schwarzen Einspänner. Mit gesenktem Kopf und gelegentlichem Schnauben wartete das Pferd geduldig, bis seine Fracht verstaut war. Dann ließ der Kutscher die Peitsche schnalzen. Der Gaul riss den Kopf in die Höhe bevor er seinen Leib gegen das Geschirr stemmte und lostrottete. Wasser spritzte auf, als Räder durch die Pfützen rollten.

Anna seufzte: Der Tod wurde immer begleitet vom Schnalzen dieser Peitsche und dem Klang müder Hufe.

Unliebsame Überraschungen




„Also mal ehrlich“, knurrte Dean. Unerwartet blieb er stehen und sah mit finsterer Miene auf seine Schuhe. Eisiges Wasser hatte längst Leder und Nähte durchgeweicht. Wie eine Katze, die sich eine Pfote schüttelte, schlenkerte er sein rechtes Bein. Sam prallte gegen seinen Rücken und fauchte: „Dean, was soll das!“ Er gab ihm einen Schupps: „Geh weiter!“
Nach nunmehr zweistündiger Suche überquerten die Jäger eine Wiese, die sich in ein Sumpfgebiet verwandelt hatte. Feiner Regen und ein eisiger Nordwind kündigten den nahenden Winter an.
Dean schüttelte den Kopf. „Das ist unglaublich! Wir jagen einen Chupacabra*!“ Im Rücken spürte er den zornigen Blick seines Bruders.
„Alter, wenn du weiter so einen Lärm machst, dann jagt der uns“, zischte Sam.
„Das ist nicht mal ein Geist“, jammerte Dean. Er spie einige Flüche aus als Wasser unter seinen Schuhen aufspritzte. „Kann den Job nicht jemand anderes übernehmen?“
„Wenn du dir zu fein dafür bist, ruf doch Heuvelmans an“, konterte Sam. Obwohl er die Kapuze seines Sweatshirt hochgeschlagen hatte, reflektierten Tropfen in seinen Haaren das Licht der Taschenlampe, die Dean plötzlich in sein Gesicht hielt.
Sam kniff die Augen zusammen. „Mach die Lampe aus, du blendest mich!“
„Wer ist Heuvelmans“, fragte der Ältere knapp.
„Der Begründer der Kryptozoologie**“, stöhnte Sam und hob genervt die Hände. Auch Bobbys Schnaufen wurde durch ein kurzes Stöhnen unterbrochen.
„Wir wissen nicht ob es ein Chupacabra ist“, versuchte Sam zu erklären. Seine Stimme wurde von heftigen Atemzügen unterbrochen, da Dean sich entschlossen hatte das Tempo zu erhöhen. „Die Zeugenaussagen sind zu unterschiedlich und üblicherweise jagen die Biester auch keine Menschen“, keuchte er. „Und … was der in seinen Opfer zurückgelassen hat, waren auch keine gelbgrünen Stacheln.“ Er griff in seine Tasche. Grübelnd musterte er den dolchartigen Gegenstand in seiner Hand. Mit 16 cm Länge wies dieser eine beachtliche Größe auf. Gleichzeitig spitze er sich keilförmig zu. Vorsichtig um sich nicht zu verletzten glitt Sams Zeigfinger über eine der gezackten Kanten. „… Scharf wie ein Skalpell…, murmelte er. „Ich weiß nicht ob das ein Zahn, eine Schuppe oder ein Knochen ist.“
„Naja tödlich ist das Ding auf alle Fälle“, krächzte Dean.
„Chupacabras werfen aber nicht mit Steinzeitwaffen um sich“, bemerkte Sam und ließ das Ding wieder in seiner Hosentasche verschwinden. „Wir sollten auf alles vorbereitet …“
„Jungs! Ihr solltet vor allem mal die Klappe halten. Da kommt das nächste Waldstück und ich möchte keine Überraschung erleben“, raunze Bobby aus dem Hintergrund.
Frustriert und völlig durchnässt betrachteten die Jäger erste Baumskelette am Rande der Wiese. Das Laub war ihnen in den letzten Wochen vom Wind entrissen worden und bildete nun zwischen ihren schlangenartigen Luftwurzeln einen feuchten Teppich.
„Will dieser verfluchte Regen denn gar nicht mehr aufhören“, blaffte Dean als er in den Wolkenbruch starrte. Regentropfen platschten in sein Gesicht und prasselten auf seine Schultern. Knurrend zog er den Kopf tiefer in den Kragen seiner Jacke und stapfte weiter.
Als die Jäger unter den ersten Bäumen verschwanden, wurden ihre Schritte durch den Laubteppich gedämpft. Alle Sinne auf Alarmbereitschaft umgestellt, glitten drei paar Augen aufmerksam über die kahlen Baumkronen. Nur für Sekundenbruchteile erlaubte das Mondlicht freie Sicht. Immer wieder trieb der Wind schwarze Wolkengebirge über den Himmel.
„Wir sollten abbrechen“, murmelte Sam. „Es ist viel zu dunkel heute Nacht.“
Dean winkte ab. „Wir bringen das heute zu Ende Prinzessin!“ Er wollte die Jagd beenden und danach mindestens zwei Tage lang schlafen.
Obwohl sich der Regen unter den Bäumen langsam zum Nieseln abschwächte, lies das Rauschen nicht nach. Mit vorsichtigen Schritten wateten die Männer durch rostfarbenes Laub, dass sich kniehoch an ihre Beine heftete. Plötzlich rutsche Dean der Schuh weg. Erstaunt bemerkte er steinigen Boden unter den Blättern. In dunklen Kaskaden ergoss sich Regenwasser über die verwitterten Stufen einer alten Treppe. Doch erst als er seinen Blick hob um den Ursprung des Wassers zu ermitteln, sah er die reglose Gestalt vor einer alten Steinruine. Sie thronte am oberen Ende der Treppe. Im ersten Moment hörte Dean nur das Trommeln seines Herzens. Mit einer schnellen Handbewegung brachte er Sam und Bobby zum Stillstand. Wie gebannt beobachteten die Jäger den Schatten. Ein leises Schleifen war zu hören als er sich, wie eine der Regenwolken, die den Mond verdeckten, bewegte. Er war eine hochaufragende Gestalt, offensichtlich in eine Art Kutte gehüllt.
„Okay … das ist definitiv kein …“, flüsterte Dean und zog die Beretta.
Plötzlich stieß die Kreatur auf sie herab. Ihr schwarzes wallendes Cape wie ein gewaltiges Schwingenpaar hinter sich herziehend, glitt sie über die Stufen durch die Luft und schwebte einen Augenblick lang über ihnen. Leichtem Summen folgte ein knirschendes Geräusch. Es machte <Ritsch> und als die Kreatur in dichten Nebelschwaden verschwand, wurde es wieder still.
„Scheiße…was war denn das?“ Dean wirbelte herum. „Alles okay?“
Bobby nickte. Sam sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Dann fuhr er sich langsam mit den Händen über die Brust. Seine Finger fanden den Gegenstand, tasteten vorsichtig darüber und umklammerten zitternd den Schaft. „Mist“, stieß er hervor und sank auf den Waldboden.

*** *** ***

Gambigde 1816

*
Langsam trat Anna an das Bett. Der schwache Schein der Öllampe kämpfte vergeblich gegen die Dunkelheit auf der Station an. „Sie! Schwester fassen Sie ihre Schultern“, befahl der Arzt. Seine Stimme war mehr ein Kreischen. Als er sich mit dem Handrücken über die Stirn strich, blieb ein blutroter Streifen zurück. Das aschfahle Gesicht, des jungen Mannes verriet, dass die Lage bitterernst war.
Anna sah in die aufgerissenen Augen des Mädchens. Ihr feuerrotes Haar klebte im Angstschweiß auf ihrer Stirn. Sie hob den Kopf und versuchte sich verzweifelt aufzurichten. „Mein Baby muss am Leben bleiben“, keuchte sie immer wieder. Das klatschnasse Laken unter ihr glänzte hellrot und der metallische Geruch von Blut war übelkeitserregend.
„Jetzt halten Sie sie fest“, herrschte der Arzt Anna und zwei weitere Schwestern an. Sie hatten sich rechts und links an das Bett gestellt und umklammerten die Fußgelenke des Mädchens. Anna presste die Hände auf ihre Schultern. Mit leisen Worten versucht sie die junge Frau zu beruhigen. Ihre blutverschmierten Schenkel waren gänzlich entblößt. Plötzlich verzerrten sich ihre Gesichtszüge vor Schmerz. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, stemmte sie sich gegen Annas Hände. Der Arzt hatte sich zwischen ihre Schenkel gebückt und Anna war heilfroh, dass sie nicht sehen konnte was er mit der Zange tat. Das Mädchen schrie auf als würde ihr die Seele aus dem Leib gerissen. Ein Schwall Blut spitzte dem Arzt ins Geschichte als in der gleichen Sekunde das Schreien des Mädchens zum Wimmern erstarb…
*
Schweißgebadet wachte Anna auf. Das Licht einer Straßenlaterne schien durch die trüben Fensterscheiben in ihr Zimmer. Mit zittriger Hand wischte sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und betrachtete den flimmernden Kerzenstummel auf ihrem Nachttisch. Eigentlich durfte sie die Kerze nicht brennen lassen, denn es gab nie genug Kerzen, schon gar nicht in der dunklen Jahreszeit. Aber manchmal fürchtete Anna die Dunkelheit so sehr, dass sie es nicht übers Herz brachte das Licht zu löschen. Seufzend stand sie auf. In sanften Wellen legte sich langes blondes Haar über ihre Schultern. Mit wenigen Schritten hatte sie den kleinen Hocker erreicht. Einige kühle Spritzer aus der Waschschüssel, verscheuchten das beklemmende Gefühl, das ihr Traum zurückgelassen hatte.
Sie warf sich ihr Gewandt über das Nachtkleid und verließ das Zimmer.

Mit gesenktem Kopf schlich Anna über die nassen Pflastersteine. Schon vor geraumer Zeit hatte die Glocke im Turm 3 geschlagen. In ihren Gedanken um das Mädchen hatte sich Anna weit vom Krankenhaus entfernt. Es war nicht das Krankenhaus für die Reichen, es war nicht Harvard wo sie arbeitete. Es war das Krankenhaus für Wohlfahrtsfälle, das Krankenhaus in dem die Menschen starben. Anna seufzte: Eine warme Mahlzeit am Tag und ein Dach über den Kopf das war alles was die Patienten erwarten durften. In Notfällen eilte auch ein angehender Arzt zu Hilfe. Doch meistens kam die Hilfe zu spät.
Der Nebel vom Flussufer brachte so viel Feuchtigkeit mit sich, dass ihr Nonnengewandt um ein zehnfaches schwerer wurde. Als Anna in eine schmale Gasse einbog, hörte sie das Klappern eines Fuhrwerks. Sie wartete im Schatten der Eingangstür einer kleinen Taverne um das Gefährt vorbei zu lassen. Hinter ihrem Rücken vernahm sie Gelächter und Musik durch ein angekipptes Fenster. Tonkrüge schlugen klappernd gegen einander. Als die vornehme Kutsche vorbei war, raffte Anna den Rock über ihre Knie und rannte durch die Straßen wie in einem Labyrinth aus Nebel. Sie bog um die Ecke und blieb abrupt stehen. Nur eine Handbreit entfernt rumpelte ein Karren an ihr vorbei. Das Pferd scheute nicht einmal als sie plötzlich vor seinen Nüstern auftauchte. Auch der Kutscher, eine hagere Gestalt mit riesigem Hut, dessen Krempe sein Gesicht komplett verdeckte, machte keine Anstalten das Pferd zu stoppen. Auf dem kleinen Kutschbock sah er aus wie der leibhaftige Sensenmann. Hastig drückte sich Anna gegen die Wand um nicht niedergetrampelt zu werden. Ihr Herz pochte als sie nach ihrem Rosenkranz griff. Im Licht der Laternen glitzerte das Kopfsteinpflaster wie schwarzes Glas und unter den Eisenrädern knirschte es unangenehm laut in der totenstillen Gasse. <Zu dieser Stunde ist ein solches Gefährt selten>, dachte Anna und bekreuzigte sich. Möglicherweise war es ein Schlachter der Schweinehälften zum Markt fuhr, oder ein Bauer der Heu geladen hatte. Das Hufgetrappel schlug im gleichmäßigen Takt als der Karren weiter Richtung Osten fuhr. Noch einmal sah Anna dem Gespann nach.
Das Blut schien in ihren Adern zu gefrieren. Über die Ladefläche hinaus, ragte der bleiche Arm einer Frau. Offensichtlich war er durch das holprige Pflaster aus dem zerschlissenen Jutesack, der ihren Körper verbergen sollte, hervor gerutscht. Atemlos verfolgte sie mit den Augen den Einspänner. Sie wusste: Der Friedhof lag in der entgegengesetzten Richtung.


Anmerkungen des Autors:

Der *Chupacabra ist ein lateinamerikanisches Fabelwesen, das Kleinvieh wie Ziegen oder Schafen gleich einem Vampir die Kehle aufschlitzen und dann das Blut aussaugen soll. Die ersten Berichte kamen 1995 aus Puerto Rico, mittlerweile wird von diesem Phänomen in ganz Süd- und Mittelamerika berichtet. Der Chupacabra ist ein klassisches Beispiel einer Urban Legend und wird gerne von Kryptozoologen zitiert.
Er soll etwa 1 – 1,5 m groß sein und auf seinem Rücken gelblich-grüne Stacheln tragen, die er nach Belieben einziehen kann. Wie ein Chamäleon soll er seine Farbe beliebig an Hintergrund und Stimmung anpassen können. Allerdings gleichen sich kaum zwei Beschreibungen des Chupacabras, viele sind sogar vollkommen widersprüchlich, so dass es inzwischen hunderte verschiedene Versionen dieses längst zum urbanen Mythos gewordenen Phänomens gibt. Inzwischen gilt der Begriff Chupacabra schon beinahe als Synonym für scheinbar mysteriöse oder unidentifizierbare Tiere bzw. deren Kadaver.

Die Kryptozoologie**
versteht sich als Gebiet der Zoologie, das vor dem Menschen verborgene Tiere aufspürt und erforscht. Sie wurde um das Jahr 1950 von dem Zoologen und Publizisten Bernard Heuvelmans begründet. Sie versteht sich als ein Zweig der „Kryptobiologie“ und unterteilt sich u.a. in die „Dracontologie“, die sich mit Wasserkryptidien beschäftigt, die „Hominologie“, die sich mit Affenmenschen beschäftigt und die Mythologische Kryptozoologie, die die Entstehungsgeschichte von Fabelwesen erforscht.

Begegnung




Dean sah versteinert zu, wie Sam stürzte. Den Windzug des Geschosses hatte er selbst am Ohr gespürt. Nun steckte es in Sams Brust und mit jedem Atemzug verzog sich sein Gesicht vor Schmerz.
Einem absurden Impuls folgend, stürmte Dean die alte Steintreppe hinauf, mit jedem Schritt mehrere Stufen gleichzeitig nehmend. Regenwasser peitschte unter seinen Schuhen auf. Ohne sich dessen bewusst zu sein, entsicherte er schon während des Laufens die Beretta. Eine Salve von Schüssen krachte durch den Wald und Krähen flüchteten, völlig der Orientierung beraubt, durch die kahlen Baumkronen.
Dean schrie wie besessen. „Verdammtes Miststück. Wo steckst du!“ Atemlos drehte er sich nach einigen Metern um die eigene Achse. Er feuerte in wabernde Nebelbänke, auf Farnbüschel, Brombeersträucher und vereinzelte Vögel, die ihm in die Quere gerieten. Erst als der Abzug unter seinem Zeigefinger nur noch klickte und beißender Pulvergeruch Tränen in seine Augen trieb, ließ er die Hand sinken.
Bobby stand wie erstarrt. Die ganze Aktion hatte nicht einmal eine Minute gedauert. „Dean“, rief er. „Es ist weg. Das hat doch keinen Sinn!“ Zu sehen wie Dean derartig die Beherrschung verlor, machte ihm Angst.
Weitere 5 Sekunden verharrte Dean reglos an der Stelle, über der die Gestalt aufgetaucht war. Aber nur das leise Rauschen des Regens war zu hören und weit entfernt vereinzeltes Knacken morscher Äste. Er drehte sich um. Mit ausladenden Schritten eilte er zurück.
Für einen Augenblick glaubte Bobby, dass Dean die Stufen hinabstürzen und sich den Hals brechen würde. Seine Augen blitzten immer noch zornig in einem kreidebleichen Gesicht.
Als er sich vor Sam niederkniete, vertrieb Sorge den Zorn. Seufzend musterte er seinen Bruder. Unregelmäßige Atemzüge taumelten über Sams Lippen und im Schein der Taschenlampe offenbarte sich, dass er es irgendwie geschafft hatte, sein Sweatshirt über das herausragende Ende des Fremdkörpers zu ziehen.
Bobby wühlte in der Waffentasche bereits nach Verbandsmaterial. „Einige Opfer starben an einer Vergiftung, bevor der Krankenwagen kam“, flüsterte er hektisch. „Das Ding muss raus.“ Dean nickte. Dann beugte er sich über Sam. „Wie geht es dir Sammy“, flüsterte er und betrachtete den kreisrunden Fleck. Es war kaum Blut geflossen. Jedenfalls bis jetzt nicht. Ein Zittern durchlief seinen Körper als er Sams Hand nahm: „Keine Bange Kleiner, du wirst in Null Komma Nichts wieder wie neu sein.“
Sam lächelte ein wenig. „Wie schnell ist Null Komma Nichts“, fragte er mit brüchiger Stimme. Blut sammelte sich in seinem Mund. Dean konnte es auf Sams Zähnen leuchten sehen. Mit flackernden Augen sah er zu ihm auf und keuchte: „Angst!“
Dean strich behutsam über Sams Wange. „Ich habe auch Angst Sammy, ich auch. Aber es muss sein. Bist du bereit?“
Sam nickte. „Tut weh … kaum atmen … mir ist … heiß.“ Er presste die Lippen aufeinander, worauf ein dicker Blutstropfen aus seinem Mundwinkel das Kinn herabfloss. Sein Kopf glitt langsam zur Seite.
Dean schluckte. Das Zittern legte sich nun auch auf seine Zunge: „Es dauert nicht lange. Das verspreche ich. Bleib einfach liegen und versuch nicht zu husten. Hast du verstanden Sammy? Das ist sehr, sehr wichtig. Nicht husten!“
Bobby sah zuerst auf Dean und dann wieder auf Sam. Er drängte Dean zur Seite und kniete sich neben den Jüngsten. „Sam hör mir zu“, sprach er heiser. „Ich befürchte was wir vorhaben wird dir schlimme Schmerzen bereiten. Für einen Moment denkst du vielleicht, du kannst nicht atmen. Möglicherweise glaubst du, dass die Luft aus dir entweicht wie aus einem zerstochenen Reifen. Vielleicht möchtest du dich bewegen oder schreien. Aber das darfst du nicht! Hörst du Sam?“
Sams Lippen bewegten sich, aber seine Antwort konnte Bobby nicht mehr verstehen. Mit einer raschen Bewegung wischte er sich Schweiß und Regentropfen aus der Stirn und reichte Dean zwei Verbandstücher.
„Falte die zu Rechtecken, so dick du kannst und knie dich neben Sam, so dicht es geht“, befahl er. Fordernd sah er Dean in die Augen. „Aber vorher zieh deinen Gürtel aus, den brauche ich.“ Bobbys Stimme wurde leise: „Halte Sam fest. ER DARF SICH NICHT BEWEGEN!“
„Okay!“, flüsterte Dean. Er holte tief Atem und ließ ihn wieder entweichen. Dann öffnete er seine Gürtelschnalle. „Gott steh uns bei…“
Bobby spürte einen rauen Klumpen im Hals. Selbst heftiges Schlucken entfernte ihn nicht. Trotzdem lächelte er zu Sam herunter. „Ich bin so vorsichtig wie es geht mein Junge“, flüsterte er. „Ich … ich glaube es steckt nicht tief.“
Sam hob etwas den Kopf um sich von Bobbys Worten zu überzeugen. „Bist … bist du sicher … solltest…“ Er hustete. Eine große Blutblase bildete sich zwischen seinen Lippen. Sie zerplatzte und bespritze sein Gesicht. „… beeilen“, beendete er und ließ röchelnd den Kopf zurücksinken.
„Ich denke, das Ding hat seine Lunge perforiert“, murmelte Bobby. „Wenn es nicht in einer Rippe steckt, müsste es eigentlich mit einer langsamen, gleichmäßigen Bewegung herauskommen!“ Wieder sah er zu Dean, in dessen Hand bereits der Gürtel baumelte. „Hör zu. Wenn ich es draußen habe, legst du die gefalteten Tücher auf den Einstich. Drück so fest du kannst!“
Dean war unfähig zu sprechen. Er sank auf die Knie. Sein Blick klebte förmlich an Sam, der mit diesem abscheulichen Ding in der Brust zwischen ihnen lag. Er war wie gelähmt.
Bobby sah ihn an. „Dean? …. DEAN! Reiß dich zusammen, Mann!“
Dean schreckte hoch, als sei ein Schuss in seinem Schädel explodiert. „Ja, ja … ist klar ...“, murmelte er mit rauer Stimme.
„Okay“, Bobby atmete ein als wollte er von einer Klippe herab ins Meer springen. Dann nahm er allen Mut zusammen, legte er seine Hände um das Ding wie ein Mann, der einen Baseballschläger umklammert, und zog.
Sam riss den Kopf in den Nacken. Er schrie. Es war ein markerschütternder Schmerzensschrei, so fürchterlich, dass sich Dean sämtliche Nackenhärchen aufstellten. Ein großer Schwall Blut schwappte aus Sams Mund und Deans Gesicht war plötzlich bespritzt. Entsetzt wich er zurück.
„Festhalten verdammt noch mal“, brüllte Bobby. „Wag es nicht Dean! Halte ihn fest!“ Mit grimmiger Entschlossenheit zog der alte Jäger weiter.
Sam krümmte sich wie ein Tier. Blut gurgelte in seinem Hals. Haltsuchend ruderte er mit den Armen und bekam schließlich Deans Oberarm zu packen. Seine Finger bohrten sich wie Krallen in die Lederjacke.
Dean würgte. Blut tropfte von seinen Wimpern. Er beugte sich nach vorn und presste Sams Schultern fester gegen das Erdreich. Mit schmerzverzerrtem Gesicht starrte er auf Bobbys Hände. Der Alte arbeitete mit einer Effizienz die ihm unheimlich war. Unter einem Schleier von Blut und Gewebestreifen schimmerte hell eine Rippe. Das Ding, ein knöchernes gezacktes Dreieck, glitt langsam an ihr vorbei aus Sams Brust heraus. Sam stemmte sich stöhnend gegen Deans Hände. Ein leiser Pfeifton war zu hören, als die Wundränder einwärts gezogen wurde.
„Jetzt“, schrie Bobby. „Drücken! Dean drück so fest du kannst!“
Schlagartig ließ Dean Sams Schultern los. Für einen Augenblick sah er Blut hervorsprudeln wie aus einem Springbrunnen. Dann deckte er die Wunde ab. Fast augenblicklich wurden die gefalteten Tücher warm und feucht unter seinen Händen. Sein Herz schlug ihm bis zu Hals. <Ich werde ihm die Rippen brechen>, dachte Dean. Er zögerte.
„Fester. Du musst fester drücken, Junge“, herrschte Bobby ihn an.
„Ich kann nicht“, keuchte Dean. Sein Gesicht verfärbte sich erst weiß, dann rot. „Verdammt Bobby“, zischte er durch die Zähne. „Seine Rippen, ich werde seine Rippen brechen!“
„Scheiß auf die Rippen“, brüllte Bobby. „Er hat einen Riss in der Lunge und wenn der jetzt nicht sofort geschlossen wird, kollabiert sie! Also press endlich!“
Dean warf Bobby einen hasserfüllten Blick zu. Dann biss er die Zähne zusammen und drückte, bis er den eigenen Puls hinter den Schläfen pochen hörte. Sams Schreie gingen in ein erstickendes Schluchzen über. Schweiß vermischte sich auf seiner Stirn mit kaltem Novemberregen. Die Adern an seinen Schläfen pulsierten so heftig, dass sie zu platzen drohten.
Dean neigte sich auf den Knien weiter nach vorn und legte sein ganzes Gewicht auf die Hände. Er konnte deutlich spüren, wie die Flüssigkeit noch immer durch das Gewebe sickerte und zwischen seinen Fingern hervorquoll.
Bobby warf den grässlichen Gegenstand zur Seite und beugte sich über Sam. Sein Körper war erschlafft, nur noch sein Kopf zuckte unruhig.
Der alte Jäger musterte Sam besorgt und schob eins seiner Lider in die Höhe. „Ich glaube er ist bewusstlos“, flüsterte er. „Ich weiß es nicht mit Sicherheit, weil seine Augen so merkwürdig … aber ich hoffe es – bei Gott, ja ich hoffe es.“
„So viel Blut“, stöhnte Dean. Sein Gesicht war kreidebleich.
„Okay“, keuchte Bobby. Langsam schob er den Gürtel unter Sams Rücken. Dieser gab ein ersticktes, krächzendes Stöhnen von sich. Ein weiterer Schwall geronnenes Blut platschte über seine Lippen und regnete in das Laub.
„Nicht nachlassen“, befahl Bobby. „Ich muss das richtig festziehen.“ Hastig fädelte er den Gürtel ein und zog die Schlaufe um Sams Brust zusammen. „Ich hab es gleich“, keuchte er. Schweiß rann über seine Schläfen als er am Gürtel riss. Sams Körper ruckte ein paar Mal nach oben. Rippen knirschten. Dann saß der Druckverband.
Bobby atmete erleichtert auf und Dean löste seine Hände von Sams Brust.
Das befreiende Gefühl, dass die Welt davon schwamm, verging so schnell wie es gekommen war. Sams Bewusstsein kehrte zurück. Jeder Atemzug quälte ihn und der metallische Geschmack von Blut erfüllte seinen Mund.
„Nicht husten Sammy“, murmelte Dean. Sams Kopf taumelte in seiner rechten Armbeuge. Mühsam rang er nach Luft, denn seiner eingepferchten Lunge blieb nicht viel Platz zum Atmen. Auf seinem bleichen, verschwitzten Gesicht wirkten die Blutspritzer im Mondlicht schwarz wie Teer.
„Es ist okay“, flüsterte Dean und strich Sam behutsam einige Strähnen aus der Stirn.
Mit glasigen Augen fixierte dieser seinen älteren Bruder und versuchte zu sprechen.
„Sch… sch… sch….! Nicht reden“, flüsterte Dean. Er ließ Sams Kopf langsam sinken und sah Bobby an. „Wir müssen ihn in eine Klinik bringen!“ Der alte Jäger nickte. „Ich hole den Wagen!“

*** *** ***

Zur gleichen Zeit in Harvard …
Mit gesenktem Kopf schlenderte Professor Graffney allein über den nächtlichen Parkplatz. Sein Büro lag zwar auf dem Campus der medizinischen Abteilung, war aber unabhängig vom Lehrkrankenhaus, in einem der mehrstöckigen Backsteingebäude untergebracht.
Nach seinen Vorlesungen heute hatte sich Graffney dorthin zurückgezogen um sich auf eine unangenehme Sitzung des Board vorzubereiten.
Als private Stiftungsuniversität hatte Harvard schon immer unter dem Zwang gestanden, ihren immensen und ständig steigenden Mittelbedarf selbst aufzubringen. Schon lange spotteten viele, dass Harvard sich eher zu einer Bank mit angeschlossener Universität entwickelt habe. Dementsprechend hart hatte die US Finanzkrise im Frühjahr 2007 auch den Vermögensfond Harvards getroffen. Es kam zu Kursstreichungen, Privilegienabbau, Gehaltskürzungen und Personaleinstellungsstopp. Insbesondere die College-Ausbildung wurde im Zeichen der Konzentration des Lehrplans auf einige Kern-Lehrgebiete für jeden Studiengang umgestaltet und sah vor, dass die Studienanfänger ein Jahr lang in den Gebäuden auf oder in der Nähe des Harvard Yards untergebracht worden waren. Im Anschluss wurden sie auf zwölf weitere Gebäude verteilt mit dem Zweck, im ersten Studienjahr die Atmosphäre eines kleinen Colleges innerhalb der großen Universität zu bieten.
Zur Nachtzeit war dieser Teil des Harvard-Geländes allerdings eine völlig andere Welt als der Campus mit seinen parkähnlichen Grünanlagen, der von Patienten, Studenten und medizinischen Personal geradezu überflutet wurde.
Professor Graffney suchte nach dem Zündschlüssel in seiner Hosentasche während seine Blicke über das weiträumige Gelände zur Memorial Hall streiften. Er liebte alte Gebäude wie dieses. Mit ihren gewaltigen Sprossenfenstern und erhabenen Türmen erinnerten sie an altehrwürdige Herrensitze. Seiner Meinung nach besaßen jüngere Glasbauten wie das Science Center nicht genug Würde für eine Universität wie Harvard.
Wo tagsüber eine Invasion von Fahrrädern nahezu jeden Quadratmeter Raum eroberte, säumten jetzt nur wenige Fahrzeuge den Straßenrand. Ihre Karossen verschwammen in zähen Nebelschwaden, die vom nahegelegenen Park über den Asphalt zogen.
Graffneys Schritte führten ihn zielstrebig zum Haupteingang der Memorial Hall, denn als Mitglied der Harvard Corporation* und des Board of Overseers** genoss er das Privileg, seinen Mercedes immer an der gleichen Stelle parken zu können – direkt neben dem Haupteingang des Gebäudes. Eine Windböe verwirbelte Laub und ließ es über den Gehweg kreiseln. Als die Blätter zu Boden taumelten, hob Graffney den Kopf. So sehr waren seine Gedanken mit der Krisensitzung beschäftigt, dass er zunächst das leise Wimmern hinter dem Nebel nur unterbewusst wahrnahm. Kopfschüttelnd ging er weiter. Aber nach einigen Schritten hörte er deutlich jemanden seufzen. Irritiert blieb Graffney stehen. Er spürte einen Luftzug auf seiner rechten Wange und wusste im gleichen Moment, dass es nicht der Novemberwind war, der ihm zuflüsterte. Die ihm zugetragenen Worte jagten gedankenloses Entsetzen durch seinen Verstand.
Er fühlte einen merkwürdigen Druck auf den Schultern und stellte fest, dass er die Arme vor seiner Brust überkreuzt hatte und so fest zudrückte, dass ihm die Luft wegblieb.
Als sich eine schmale Gestalt aus dem Schatten der Bäume löste, aufflackerte und wieder verschwand begann sein Herz zu rasen. „Wer ist da“, rief er laut. Eine Antwort erhielt er nicht. Stattdessen knirschte hinter seinem Rücken loser Kies.
Graffney fuhr herum. Eisiges Schaudern überkam ihn, als aus dem Nichts, eine Novizin direkt vor ihm erschien. Ihr weißer Schleier flatterte wie Gardinenfetzten im Wind. Trotz eines Mundschutzes, der ihr Gesicht verdeckte konnte Graffney ihre Worte genau verstehen.
„Was bin ich dir wert“, fragte sie. Ihrer schnellen Armbewegung folgte ein reißender Schmerz und schon war die Erscheinung verschwunden. Nur noch der Mond schimmerte durch ein feines Gespinst von Wolken am Nachthimmel.
Graffney, dem Panik die Brust zuschnürte brachte ein erstickendes „Hilfe“ hervor. Mit vor Kälte und Angst tauben Händen griff er sich an den Hals. Warme Flüssigkeit umspülte sofort seine Finger. Diese Empfindung war so unerwartet, dass er nicht wahrhaben wollte, was sein Tastsinn ihm sagte. Er wollte schreien, aber die Luft entwich seiner Kehle bereits an anderer Stelle ohne seine Stimmbänder zu streifen. Röchelnd betrachtete Graffney das ölige Blut auf seinen Händen und ahnte, wessen Chirurgenmesser dieses Gräuel an ihm verübt hatte …


Anmerkungen des Autors

* Harvard Corporation
ist die Exekutive der Universität und verantwortlich für das Management der Universitäts-Finanzen und Entscheidungen über die politische und verwaltungstechnische Ausrichtung der Universität. Sie besteht aus sieben Personen, denen unter anderem der Universitätspräsident angehört.

** Board of Overseers
… ist das sogenannte Aufsichtsorgan, welches aus 30 Mitgliedern besteht, die größtenteils durch die Graduates der Universität gewählt werden. Durch regelmäßige Sitzungen ist das Board of Overseers über die geschäftlichen und politischen Angelegenheiten der Universität gut informiert. Neben der Überwachung obliegt dem Board ebenfalls die Beratung der Corporation vor allem in wirtschaftlichen Angelegenheiten.

***Graduates
ist ein Studium, das ein vorhergehendes erfolgreich abgeschlossenes Studium voraussetzt. Ziel eines postgradualen Studiums ist ein weiterer akademischer Grad, kann aber auch die Weiterbildung ohne weiteren akademischen Grad oder die Vorbereitung auf eine ergänzende Staatsprüfung sein. Der Begriff entstammt den englischsprachigen oder entsprechend inspirierten Bildungssystemen. Er geht auf das englische Verb (to) graduate zurück, dessen moderne Bedeutung sich auf das Erwerben eines Abschlusses bezieht, sowie auf das lateinische post in der Bedeutung von „nach“.

Quelle Wikipedia

Nicht die Nummer 1 – oder doch?




So wie die Farben aufgeleuchtet hatten und wieder verblasst waren, änderte sich auch das dröhnende Geräusch in Sams Ohren. Eine Stimme, die sich dahinter versteckte, wurde lauter und klarer. Sie ließ den undeutlichen Ton zerfallen. Es war kein Zerschmettern, sondern vielmehr eine Schärfeeinstellung der Sinne. Die Schmerzen waren verblasst - so wie seine Erinnerung an die letzten Stunden. Nur als Sam einatmete, entlockte ihm das Stechen in seiner Brust ein Stöhnen. Für wenige Augenblicke hielt er den Atem an und versuchte zu blinzeln. Noch waren seine Lider schwer wie Blei.
Er erinnerte sich an ätherische Gestalten in weißen Kitteln, die ihn umringten, bevor sie in einer Art kometenhaften Flattern verschwanden. Zurück blieb das Gefühl als hätte ihn eine unsichtbare Kraft mit einem Schupps direkt ins Leben zurückgestoßen.
Er nahm Gerüche war: Desinfektionsmittel, Straßenstaub und feuchtes Leder. … Feuchtes Leder?
Neonlicht überflutete Sams Augen als er sie öffnete. Deans besorgtes Gesicht über ihm wirkte wie Eiswasser in seinen Adern. Er versuchte zu ignorieren, dass die Welt um ihn herum noch immer verschwommen wirkte.
„He, Tiger“, flüsterte Dean. Freude trieb ihm Tränen in die Augen als er behutsam mehrere widerspenstige Haarsträhnen aus Sams Stirn strich. „Willkommen zurück.“
Sam schaffte ein Lächeln als er die Aussetzer in Deans Stimme bemerkte. „He, Dean“, krächzte er mit trockener Kehle und ließ seine Blicke irritiert an der weißen Zimmerwand entlang über eine vergitterte Neonlampe zu einem gardinenlosen Sprossenfenster wandern. „War ich ohnmächtig?“
Dean rutsche auf seinem Stuhl hin und her als säße er in einem Hummelnest bis er aufsprang und sich neben Sam auf das Bett setzte. „Ohnmächtig?“, schnaufte er und schüttelte leicht mit dem Kopf. „Sammy du warst zwei Tage völlig weggetreten!“ Mit den Fingern fuhr sich Dean durch sein kurzes Haar. „Mann, du bringst mich noch eines Tages um.“
Dean sah so elend aus, wie Sam sich momentan fühlte. „Wo … wo bin ich“, fragte er und als er seine Hände gegen die Matratze stemmte um sich zu erheben verzog er das Gesicht unter einer Lawine von Schmerzen. „Verdammt!“ Keuchend sank Sam zurück.
„Mach langsam Sammy“, flüsterte Dean. Seine Augen schienen zu lächeln, aber sein Mund wirkte verkniffen. Als wollte er seine Aussage unterstreichen drückte er eine Hand auf Sams Brust. „Bleib liegen!“
„Was ist passiert“, fragte Sam mit zitternder Stimme.
„Dieses Ding“, raunte Dean. „Es hat dich erwischt! Du hast uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt, Kleiner!“ Er atmete geräuschvoll ein. „Wie geht es dir jetzt?“
„Geht so…“, presste Sam beim nächsten Versuch sich aufzurichten, zwischen zwei Atemzügen heraus.
„Wir sind in der medizinischen Abteilung in Gambigde“, erklärte Dean. Und als er erkannte, dass Sam seine Bitte, liegen zu bleiben ignorierte, half er ihm auf. Er hob die Schultern: „Sieh mich nicht so an Sammy. Wir mussten handeln, das Gift …!“ Dean schluckte. „Mann - Wie konnte das nur passieren? Ich stand doch direkt vor dir!“
„Keine Ahnung“, erwiderte Sam. Eine Sekunde lang rauschten Bilder durch seine Gedanken. Er sah ein Wesen auf dessen Kutte sich Regentropfen im Mondlicht zu silbernen Rinnsalen vereinten. Die Erinnerung an Kälte und einen plötzlichen Schmerz, der ihm den Atem raubte ließ Sam zusammenzucken. Vorsichtig betastete er den Verband und überlegte. „Dieses Ding“, murmelte er. „Ich glaube es wollte mich nur verletzten!“ Sam hob den Blick und sah Dean geradewegs in die Augen. „Du hättest mich nicht her bringen dürfen!“ Vorwurfsvoll hob er die Brauen. „Das ist gefährlich. Wenn die Ärzte mein Blut … dann … ich meine … sie könnten …“
Über Deans Nasenwurzel bildete sich eine tiefe Furche. Er überhörte Sams letzte Andeutung. „Ja, ja Kleiner! Gib mal nicht so an. Klar hast du ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt – ABER…!“
Sams Augen verdunkelten sich sofort. „So? Hab ich das?“ Er sah auf den Tisch in der Mitte des Krankenzimmers und schluckte. Sofort stand Dean auf um nach der Flasche Wasser zu greifen, die Sam bereits mit den Augen verschlang. „Magst du was trinken Sammy“, fragte er lächelnd. Sam nickte gierig. „Was meinst du mit <Aufsehen erregt> - Dean“, wollte er wissen nachdem er einige Schlucke genommen hatte.
„Womit“, fragte Dean unschuldig.
„Alter“, stöhnte Sam und stellte die Flasche auf den Beistelltisch. „Rück jetzt raus mit der Sprache!“ Er spürte ein leichtes Unwohlsein in der Magengrube. Im Mittelpunkt zu stehen war nie gut, besonders nicht wenn man das FBI auf den Fersen hatte.
„Naja, Sammy …“, Dean kratzte sich am Hinterkopf. „Es ist … du bist eben … ähm …“ Plötzlich wurde Deans Miene ernst und Sam fragte sich ob er den gleichen Gedanken hatte. „Was …“, drängte er.
„Deine Verletzungen … heilen … sehr schnell“, stotterte Dean und riss schnaufend den Kopf in den Nacken. „Nichts kann dich wirklich … du bist …eben…!“
„Ein Freak“, stieß Sam heraus.
„Das habe ich nicht gesagt“, konterte Dean und sprang auf. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
„Aber es ist wahr“, murmelte Sam und ließ den Kopf sinken.
„He, hör mir mal zu!“ Deans Stimme kam stoßweiße aus seiner Kehle. Er packte Sam an der Schulter. „Hast du denn nichts dazu gelernt?“ Seufzend setzte er sich zurück auf die Bettkante und atmete einmal durch. Dabei ließ er seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Rauer Wind trieb Regen vor sich her. Es hatte den Anschein als sprudelten die Tropfen von unten nach oben. Aber es war nicht der Novemberwind der ihn beunruhigte, sondern der Sturm, der in seinem Herzen wütete. „Sammy …“, murmelte Dean. „Du solltest Frieden mit dir schließen.“ Er sah seinen kleinen Bruder eindringlich an. „Nach allem was wir in den letzten Jahren durchgemacht haben. Nach all den Versuchungen, denen du widerstanden hast, solltest du akzeptieren was du bist und dir ein wenig mehr vertrauen! Das tue ich nämlich auch!“ Dean lächelte, doch er fand in Sams Augen nicht den Zuspruch den er erhofft hatte. Verzweifelt nach Worten suchend, fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht. „Sammy, siehst du nicht was dir diese Erinnerungen antun? Merkst du nicht was für einen Schaden sie anrichten wenn du an ihnen festhältst? Glaub mir! Haben sie deine Vergangenheit erst einmal vergiftet, sind sie in der Gegenwart unbesiegbar.“
Sam hob zögernd den Kopf. Seine Blicke kreuzten die des Bruders als er lächelte: „Klar – Dean. Für dich ist es einfach. Du bist ja auch ein … Mensch!“
„Es reicht“, fauchte Dean. Er schnellte in die Höhe, eilte zum Fenster und beobachte wie teerschwarze Pfützen zu Seen verschmolzen. Leise sprach er gegen die Scheibe. „Gerade noch hatte ich eine Höllenangst um dich und kaum bist du wach, streiten wir uns. Es ist wie damals mit dir und …“
„Dad“, fragte Sam leise. Er holte tief Luft und senkte sein Gesicht. „Es tut mir leid Dean. Ich … ich … wollte dich nicht.“ Mit zitternder Stimme sprach er weiter. „Ich habe einfach Angst, dass du durch mich …!“
„Schon gut Kleiner! Werde jetzt bloß nicht sentimental!“ Ruckartig drehte sich Dean um und lächelte Sam so breit an, dass seine ebenmäßigen Zähne strahlten. „Du hast nämlich das ABER vergessen Klugscheißer.“
„Ich habe …“ Erstaunt hob Sam den Kopf. „Was? … Was für ein Aber“, fragte er.
Dean schlenderte zurück zum Bett. In seinen Augen glänzte etwas, dass Sam einen Schauer über den Rücken jagte. Es war eine Art Blutdurst, wobei es hier weniger um Blut, als vielmehr um Instinkt ging. „Nichts gegen einen heißen Jäger, der verblüffend schnell gesund wird“, bemerkte Dean und als er sich neben Sam setzte wippte er mit den Brauen. „Aber die wahre Sensation in den letzten Tagen war Professor Graffneys Ableben.“ Er lachte auf und beobachtete wie Sams Gesichtszüge versteinerten. „Wer ist Professor Graffney?“
„Oh Sammy, ein alter Sack stiehlt dir die Show. Das muss wehtun“, spottete Dean.
„Alter, so spricht man nicht von einem Professor“, polterte Sam entrüstet heraus. Mit zusammengekniffenen Augen sah er Dean an. „Was ist denn so ungewöhnlich am Tod eines alten Menschen“, wollte er wissen.
„Nun die Art wie er starb, schätzte ich!“ Dean kratzte sich am Hinterkopf und schwieg.
„Jetzt lass mich doch nicht so zappeln“, stöhnte Sam.
„Er wurde ermordet“, flüsterte Dean so geheimnisvoll als hätte er noch nie etwas Unglaublicheres gesagt: „Man fand seinen Kopf auf seinem Schreibtisch. Der Rest ist bis jetzt verschwunden. Die Polizei tappt im Dunkeln“, berichtete Dean weiter und rieb sich die Hände. „Aber …!“
„Was“, entfuhr es Sam. „Noch ein ABER?“ Er zog die Stirn in Falten. „Dean? Sehe ich das richtig? Witterst du etwa eine Jagd?“
Dean nickte. Er sah Sam an und ein Lächeln zuckte um seine Lippen. „Das ist nämlich nicht der erste Fall. Letzten Monat verschwand schon ein Professor.“ Dean räusperte sich in die Faust. „Naja – nicht wirklich. Aber auch er ließ nur seinen Kopf zurück.“
Sam riss die Augen auf. „Sag mal Alter! Woher weißt du das alles?“
Deans Augen blitzten. „Das hat mir die Stationsschwester erzählt.“ Er sah Sam verzückt an. „Echt Kleiner - hier laufen nur scharfe Bräute rum.“
In Sams erstauntes Gesicht mischte sich ein Hauch Ungeduld: „Das liegt daran, dass wir uns in einem Lehrkrankenhaus befinden, Dean“, erklärte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was du nicht sagst“, platzte es aus Dean heraus: „Ich kann dir sagen Sammy, die Oberschwester hat vielleicht ein paar mächtige…!“
„Dean …“, fiel ihm Sam energisch ins Wort. „Die Fakten zum Fall … bitte!“
Es kostete Dean zwar Mühe, doch er schaffte es ein einigermaßen neutrales Gesicht zu machen als er weiter sprach. „Naja man munkelt, dass Harvard in einer Krise steckt. Vorgestern sollte das Brett of Overseers, dem auch Graffney angehörte …“
Sam zog die Stirn kraus: „Brett? - Du meinst das Board…“
„Von mir aus auch das“, schnaubend tat Dean die Bemerkung seines Bruders mit einem Handwisch ab: „Jedenfalls sollte eine Tagung der Obergurus gestern stattfinden – und Schwupps sind zwei Mitglieder der Corporation tot.“
„Könnten ganz normale Morde sein“, überlegte Sam laut. „Wer weiß was die Corporation zu verbergen versucht!“ Sam seufzte und starrte auf die Bettdecke.
„Was ist Sam?“, wollte Dean wissen.
„Was mich mehr beunruhigt ist die Tatsache, dass du es mit den Schwestern treibst während ich hier liege und möglicherweise sterbe“, witzelte Sam und sah Dean mit einem Grinsen an.
Dean versuchte derweil möglichst unschuldig drein zu schauen. „Glaub mir, Sammy, ich habe sie nicht angebaggert. Und ich werde mir nie verzeihen dieses scharfe Gerät einfach ignoriert zu haben weil ich nämlich an deinem Bett – ach vergiss es …“, fügte er brummend hinzu.
„Dean…?“ Sam wollte noch protestieren, als das Zimmer bedenklich ins Wanken geriet. Mit einem unterdrückten Aufstöhnen sank er zurück ins Kissen. Nur unterbewusst bemerkte er, dass Deans Arm sofort seinen Nacken stützte. „Sammy …?“ Die Stimme des Bruders war so nahe an seinem Ohr, dass er zusammenzuckte. „Alles klar Kleiner?“
„Ich … ich weiß nicht“, antwortete Sam. „Könnten…könnten wir mit dem Fall einfach noch etwas warten bis ich mich wieder besser fühle?“
„Klar doch, ruh dich aus Sammy…“, murmelte Dean halblaut, während er konzentriert versuchte seinen Arm unter Sams Kopf hervorzuziehen. „Dean…?“ Sam, sichtbar bemüht die Augen auf zu halten, drehte den Kopf in seine Richtung: „Ich … wollte dir noch etwas sagen.“ Seine Worte waren kaum zu verstehen: „Ich bin froh, dass du trotz allem zu mir hältst und ich weiß … dass du ...“
Tatsächlich erwiderte Dean nichts. Er betrachtete Sam lächelnd obwohl sich eine steile Kummerfalte auf seiner Stirn gebildet hatte. Er würde sich hüten zuzugeben, dass er Sams Schlaf jede Sekunde lang mit Argusaugen überwacht hatte.

Ein echtes Lächeln




„Alter, du bist dir wirklich sicher, dass wir in dieser Verkleidung nicht auffallen?“, fragte Sam und sah seufzend an sich herab. „Ich komme mir vor wie ein Opa auf dem Weg zu Gymnastikraum.“
Dean musterte seinen Bruder einen Moment lang. Er hob die Schultern. „Ich weiß nicht was du hast, Kleiner – aber wir sind doch Krankenpfleger und Patient.“
„Ja … klar“, flötete Sam. „Und der Pfleger ist so verwirrt, dass er sich mit seinem Patienten in der Nacht auf dem Weg zum Klo verläuft. – Wer es glaubt ….“
„Sam … - ich musste improvisieren!“ Dean hob übermütig seine linke Braue. Er strich sich über einen Arztkittel, der ihm Waschsalon zufällig in die Hände gefallen war. „Also ich finde, wir hatten schon schlechtere Outfits.“
Sam jammerte: „Aber ich glaube nicht, dass ich mich in diesen Sambalatschen schnell genug bewegen kann um einen Geist zu jagen.“
„Ich glaube, du kannst dich mit deiner angeschlagenen Lunge prinzipiell nicht schnell genug bewegen. Außerdem wollen wir uns nur ein paar Köpfe ansehen – Sammy! Und - das war dein Vorschlag“, stellte Dean klar.
Murrend zog Sam den Gürtel seines Bademantels straff: „Ganz zu schweigen von diesem engen Ding“, schimpfte er. „Können Bademäntel eigentlich einlaufen?“
„Hör endlich auf plärren“, zischte Dean. Er inspizierte den verwaisten Korridor. Man hatte das alte Gebäude vor kurzem saniert. Jeder Aspekt des Mittelalters war beeindruckend wieder hergestellt worden. Neue Abschnitte verbanden sich perfekt mit alten Mauern und Fundamenten. Das Mondlicht ergoss sich durch riesige Sprossenfenster in das Innere eines endlos erscheinenden Kreuzganges, in dessen Außenwänden gotische Türme eingelassen waren. „Ein perfektes Geisterschloss“, murmelte Dean als er den EMF-Messer aus der Tasche zog.
„Und?“ Sam lugte auf die Anzeige.
„Nichts“, antwortete Dean. „Warum befindet sich die Pathologie eigentlich immer im Keller“, brummte er und ließ das EMF zurück in die Tasche seines Kittels gleiten.
Nach kurzer Orientierung bogen die Brüder links ab. Ihr Ziel war eine enge Wendeltreppe am Ende des schmalen Ganges vor ihnen. Steinerne Stufen führten scheinbar ins Nichts. Mit jedem Schritt in die Tiefe wurde es kälter.
„Merkwürdig, dass niemand hier ist“, flüsterte Sam. Er konzentrierte sich auf die verwitterten Trittflächen. Aufsteigende Luft verfing sich in seinem Haar.
„Es ist mitten in der Nacht Sam! Und nicht jeder Student ist so ein Streber wie du“, spottete Dean. Beiläufig fügte er hinzu: „Außerdem hat mir Anna berichtete, dass es in den Kellergewölben spuken soll …!“
„Was?“ Sam blieb ruckartig stehen. „Alter - das sagst du mir jetzt?“
Dean drehte sich zu Sam herum und hob die Schultern. „Hab vergessen es zu erwähnen.“ Er grinste: „Was ist Sammy? So ein kleiner Geist wird dir doch keine Angst machen?“
„Geh weiter“, knurrte Sam und verpasste seinen Bruder einen leichten Stoß. „Sie heißt also Anna“, fragte er mit einer Singsangstimme. „Mann, du lässt auch nichts anbrennen was?“
Dean ignorierte Sams Bemerkung und suchte nach einem Lichtschalter. Im dürftigen Schein einiger Glühlampen, offenbarte sich ein Kellergewölbe mit unzähligen Kammern. Es befand sich ohne Zweifel tief in den Fundamenten des alten Gebäudes. Jeder der niedrigen Bögen oder massiven Pfeiler war römischer Bauweise. Der Größte, in der Mitte des Raumes, trug auf seiner Oberfläche Symbole die den Jägern unbekannt waren. Sie schienen alles andere als eine plumpe Nachahmung vergangener Bildhauerkunst sein und verschmolzen in einer strengen Harmonie. Sam zog sein Handy aus der Tasche um die Hieroglyphen zu fotografieren. Das Klicken des Auslösers wurde in der weit verzweigten Halle als mehrfaches Echo zurückgeworfen. Fasziniert blieben die Jäger stehen und beobachteten schwere Wandbehänge, die durch einen unbestimmbaren Windzug leicht pendelten. Ihren Schatten wurden zu einem seltsam zuckenden Tanz. Mittlerweile war die Luft so eisig, dass jeder Atemzug der Jäger als Nebel zu Boden sank. Schweigen begleitete von nun an ihre Schritte. Durch ein beiderseitiges Nicken entschieden sich Sam und Dean für eine schwere Eichentür am hinteren Ende des Gewölbes. Sie war eine moderne Nachbildung mit Lüftungsschlitzen, hinter denen Licht flimmerte. Auf ihrem Weg dorthin überprüften sie sorgfältig jeden Windhauch, jedes Kratzten oder Knistern hinter dem alten Gemäuer. Aber der EMF-Messer in Deans Händen blieb stumm - egal in wie viele Ecken er ihn auch hielt.
„Jetzt mach schon“, drängte Dean. Er sah auf Sam herab, der vor der anvisierten Tür hockte und mit einem Dietrich versuchte das Schloss zu knacken.
„Alter“, stöhnend drehte sich Sam herum. „Ich beeile mich ja. Dachtest du vielleicht in so einer massiven Eichentür befindet sich ein 0815-Schloss?“ Mit zusammengekniffenen Augen nestelte er weiter.
„Ich frage mich wirklich warum die das so absichern“, überlegte Dean halblaut und sah sich noch einmal über die Schulter. „Ich meine, wer will schon freiwillig in eine Leichenhalle einbrechen?“
Sam verdrehte die Augen. „Das sagt der Richtige!“ Ein metallisches Klacken als der Riegel aufsprang ließ seine Mundwinkel befriedigend nach oben zucken. „Na bitte …!“ Sam erhob sich um die Tür einen Spalt weit zu öffnen.
„Potz Blitz“, entfuhr es Dean, der neugierig in den Raum lugte. „Das nenne ich mal ne Leichenhalle…!“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Da brauchen wir ja Wochen um den Schädel zu finden!“
Wie zwei Schatten glitten die Jäger in einen Raum, der im krassen Gegensatz zu dem alten Gebäude stand. In der Mitte thronte ein hochmoderner Obduktionstisch unter grellen Flutlicht. Zu seiner Rechten befanden sich einige Reihen Sitzplätze. Ihnen gegenüber reflektierte die polierte Oberfläche einer Kühlwand das kalte Neonlicht.
„Was ist in den Containern“, wollte Dean wissen. Entschlossen ging er auf fünf überdimensionierte Metall-Skatophage zu und schob mit einiger Anstrengung eine der schweren Abdeckungen zur Seite.
„Wahrscheinlich Studienobjekte“, murmelte Sam geistesabwesend, da er bereits den Inhalt eines Ordners studierte.
„Das …“, angeekelt zog Dean den Kopf zurück und unterdrückte einen heftigen Würgereiz, „… ist pervers! Was machen die hier?“
Sam hob amüsiert sein Gesicht. „Das ist kein Autopsieraum Alter.“ Er legte den Ordner auf den Rand des Seziertisches und ging auf Dean zu. „Das ist ein Hörsaal. Hier finden Präparierkurse statt.“ Mit seiner Handfläche schlug er auf den Stahlbehälter. „Hat dir der Inhalt gefallen Dean?“ Den sarkastischen Unterton in seiner Stimme konnte er nicht verkneifen.
Ärgerlich verschränkte Dean die Arme vor der Brust: „Hier lernt die Jugend also wie man professionell Menschen zerstückelt?“
Sam lachte auf: „Es geht um Anatomie, Dean! Im Präparierkurs sezieren Medizinstudenten unter Aufsicht von Professoren konservierte Leichen.“ Er atmete tief ein und hob die Brauen. „Das ist sehr wichtig für einen Arzt. Es gehört zur Ausbildung.“
„Das ist widerlich“, konterte Dean als er auf die Kühlfächer zuging. „Wer möchte sich denn nach seinem Tod, zerhackt in einem Container voller stinkender Brühe wiederfinden?“ Verständnislos schüttelte er seinen Kopf.
„Die Entscheidung, ihre sterblichen Überreste einem anatomischen Institut zu überlassen, wird von den Körperspendern zu Lebzeiten getroffen“, erklärte Sam während er seinem Bruder folgte.
„Danke für die Ausführungen, Herr Oberstudienrat – jetzt ist mir schlecht“, knurrte Dean. Er begann in einem Stapel Karteikarten nach dem Namen des Professors zu suchen. „Könnte doch sein, dass sich Graffneys Überreste ebenfalls in dieser Kannibalensuppe befinden“, murmelte er und sah verächtlich über seine Schulter auf die Container: „Ich meine, bei dem Durcheinander an Gliedmaßen – wer weiß denn da noch was zu wem gehört?“
Sam hob nachdenklich die Brauen: „Der Gedanke ist mir auch schon gekommen! Allerdings frage ich mich warum sich jemand die Mühe macht, einen Körper so sorgfältig zu entsorgen und dann den Kopf da lässt?“ Man konnte förmlich sehen, wie Sam das Pro oder Contra eines solchen Handelns gedanklich abwägte. Seufzend griff er nach einer weiteren Karteikarte und flüsterte ohne seine Blicke von den handgeschriebenen Zeilen zu wenden. „Wieso hat <es> mich nicht getötet?“
Dean unterbrach seine Lektüre und sah Sam versteinert an. „Das ist die falsche Frage Sammy. Die Richtige ist: Wieso du? Ich stand direkt vor dir. Eigentlich hätte ich tot sein müssen.“
Sam legte die Karte zurück. Er ging einige Schritte in den Raum um sich mit einem kräftigen Schwung auf den Seziertisch zu setzen. „Es ist schon komisch. Wir jagen einen Chupacabra, der keiner ist. Das Ding verletzt mich und schickt uns somit geradewegs in einen neuen Fall.“
Daher wehte also der Wind. Deshalb hatte Sam so bereitwillig der Exkursion in den Keller zugestimmt. Deans Augen formten sich zu Schlitzen. „Also ich sehe da keinen Zusammenhang. Wie kommst du darauf, dass es dich nur verletzten wollte, Sam?“ Er wippte nervös mit seinem linken Fuß.
„Ist so ein Gefühl …“, murmelte Sam und rieb sich die Schläfen. „Ich glaube es wollte, dass wir hier her kommen.“
„Du meinst wegen einem Fall hat es dich verletzt?“, fragte Dean leise. Dann schnaubte er widerwillig: „Egal, was es war“, murmelte er, „Bobby wird es herausfinden und es uns sagen.“
Sam lachte auf: „Ja – wenn er uns nicht vorher erschießt.“
Dean starrte ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Unglaube an.
„Immerhin sind wir schon wieder im Alleingang unterwegs, Dean – obwohl Bobby doch ausdrücklich …- ach was soll`s“, beendete Sam den Satz und hob die Hände. Er blinzelte Dean an: „Hast du schon was gefunden?“
„Nö …“

Nach weiteren 30zig Minuten Karteikartenlesen wurde es Dean zu müßig. Schnaufend warf er die Karte zurück auf den Stapel. „Ich werde den verdammten Schädel schon finden – und wenn ich dafür in diese Leichengrube hinabtauchen muss!“ Fluchend riss er die erste Luke auf.
„Pass auf mit dem was du dir wünschst, Dean“, drohte Sam. Ein Frösteln glitt bei dem Gedanken an die Aufbewahrungs-Container durch seinen Körper. Auch Sam öffnete ein Kühlfach: „Vielleicht ist er gar nicht hier“, brummte er frustriert als ein weiterer kompletter Körper zum Vorschein kam. Sam machte sich nicht mehr die Mühe unter das Tuch zu sehen, sondern stieß den Rolltisch geradewegs zurück in die Kühlanlage. „Die können hier mit den Leichen glatt einen Handel aufmachen“, brachte er verärgert hervor.

„Bingo …“, Deans Gesicht erstrahlte beim Anblick des Plastikbehälters in seinen Händen. „Wenn da drin kein Kopf ist, muss es eine tote Katze sein.“ Er rümpfte die Nase.
„Dean …“, flötete Sam.
Im Handumdrehen stand der Behälter auf dem Seziertisch. Ein leichtes Zischen erfüllte den Raum als Dean am Verschluss zog. Dann ploppte der Deckel auf. Angeekelt zogen die Jäger ihre Köpfe zurück. Erst als sich der Gestank verflüchtigt hatte, riskierten sie einen zaghaften Blick in das Innere.
„Könnte Graffney sein“, keuchte Dean hinter vorgehaltener Hand. Sam nickte. Er hielt noch immer den Atem an.
Langsam bewegten sich ihre Gesichter näher an den Rand des Behälters. Die Jäger sahen auf das ergraute Haupthaar einer älteren Person – oder besser auf dessen Schädel. Dieser thronte auf seinem abgetrennten Halsstumpf und starrte in eine Ecke seines Gefängnisses.
Dean hatte sich ein paar Handschuhe übergestreift. Beherzt griff er in die Kiste um den Schädel herauszuheben. Doch plötzlich entfuhr ihm ein kurzer Schrei und er stieß den Behälter samt Inhalt von sich. Mit einem pfeifenden Geräusch schlitterte das Gefäß über den polierten Tisch, hopste über den Rand und knallte auf den Boden. Wie ein Gummiball kullerte der Kopf durch den Raum. Dabei gab er merkwürdig klackernde Geräusche von sich, bis er nach einigen Metern schaukelnd auf dem Gesicht liegen blieb.
„Was zur Hölle ist denn in dich gefahren“, platzte es Sam heraus. Mit aufgerissenen Augen starrte er Dean an. „Du kannst mich doch nicht so erschrecken!“
Beide Jäger waren reflexartig zurückgesprungen, noch bevor es ihnen überhaupt bewusst geworden war. Dean stemmte stöhnend die Hände auf die Knie und atmete tief ein. „Das Ding … das Ding …“, keuchte er.
„Jetzt atme mal tief durch Alter - und beruhige dich“, forderte ihn Sam auf.
„Dieser … der verdammte Schädel wollte mich beißen“, polterte Dean heraus. Sam konnte sein schmales Grinsen nicht ganz verstecken, als er versuchte voller Ernst zu nicken. „Beißen?“, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach. Er schluckte laut hörbar. Das war eindeutig eine Spur zu schräg. „Abgetrennte Köpfe beißen doch nicht Dean! Lass mich mal sehen.“ Entschlossen schob er Dean zur Seite und ging auf den Schädel zu. Dean hingegen kniff die Augen zusammen und schüttelte hartnäckig den Kopf. „Er hat sich bewegt, das schwöre ich.“
Mit einem leichten Tritt beförderte Sam das Gesicht nach oben. Als es ihn von unten herauf anstarrte, wurde er blass: „Das ist ja … du meine Güte …“, flüsterte Sam und ging in die Hocke. „Dean sieh dir das an!“ Er winkte seinen Bruder heran. „Kein Wunder das du den Eindruck hattest, er würde sich bewegen.“ Sam drückte den Kiefer des Kopfes nach unten. Beide Mundwinkel waren bis zu den Ohren aufgeschlitzt, so dass sich ein riesiger Rachen vor ihnen auftat. Sam sah Dean an und murmelte: „Der Kiefer ist nach unten geklappt als du den Kopf angehoben hast!“ Sogleich musterte er die Schnitte und fasste sich grübelnd ans Kinn. „Ich denke es ist nicht post mortal geschehen. Da ist getrocknetes Blut an den Wunden.“
Dean, mitterlweile herangetreten, schnäuzte sich angewidert. „Wozu soll das denn gut sein“, fragte er.
Sam trug den Schädel zurück auf den Tisch. Nachdem er ihn auf den Hinterkopf gelegt hatte, glitt sein Zeigefinger über den Schnitt des aufklaffenden Kiefers: „Das nennt man <Glasgow Smile>“, erklärte er fasziniert. Bevor er weiter sprach, atmete er tief ein: „Eine Legende besagt, dass in der Stadt Glasgow rivalisierende Banden ihren Opfern zur Abschreckung den Mund verstümmelt haben, um zu demonstrieren, dass es besser ist zu schweigen. Die Mundwinkel wurden beidseitig eingeschnitten und dann wurde das Opfer durch Schläge in den Bauch oder Tritte in die Hoden zum Schreien gebracht, worauf die Wangen weiter bis zu den Ohren aufrissen.“ Sam unterbrach seine Rede und wischte sich nervös über das Gesicht. Er hüstelte: „Die dabei entstehenden Narben bilden in ihrer Form die Verlängerung eines lächelnden Mundes. Natürlich nur wenn das Opfer überlebt.“
„Wie beim Joker“, platzte es aus Dean heraus. Sam nickte. Auch wenn der Vergleich unpassend war, hatte Dean Recht.
„Allerdings wurde die Richtigkeit dieser Behauptung forensisch nie sicher bewiesen“, erklärte Sam: „Es gibt zwar einige Fälle: Zum Beispiel der in den 1929er und 1939er Jahren aktive Serienmörder Albert Fish schnitt einem seiner Opfer ein Glasgow Smile. Jedoch geschah dies nach dem das Opfer bereits tot war.“
„Und hier ist das nicht der Fall“, fragte Dean mit leiser Stimme.
Sam riss den Kopf in den Nacken. Er schnaufte betroffen: „Dean - ich befürchte dieses Lächeln ist echt …“

Es erhebt sich




Nach Mitternacht hatte der Regen nachgelassen. Aber der Mond verschwand immer noch hinter einem Gespinst aus feinen Wolken. Jenseits des Fensters, wo das spärliche Licht der Straßenlaternen nicht mehr hinreichte, schien die Dunkelheit grenzenlos. Es gab weder Tiefe noch Entfernung – nur eine Schwärze die sich ausdehnte und erwartungsvoll summte.
Sam hörte sie, durch seinen tiefen Schlaf in Trance versetzt.

Er vernahm das Atmen einer Kreatur. Mit schweren Schritten schlürfte sie langsam aber zielstrebig durch die nebelverhangenen Gassen. Der Abgrund, dem sie entstiegen war, klaffte noch immer irgendwo hinter ihr. Vor langer Zeit hatte sie einmal den Grund für ihre Rückkehr gekannt. Aber nun erinnerte sie sich nur an das Loch aus dem sie geflohen war – und an Hass.

Sams Atmung beschleunigte sich. Seine Finger krallten sich in das Laken, als er heftig den Kopf herumriss und ein leises Stöhnen seinen Lippen entfloh. Unruhig rollten seine Augen hinter verschlossenen Lidern.

Er wollte ihr folgen.
Doch plötzlich tat sich die Erde unter seinen Füßen auf und Sam wankte am schwindelerregenden Rand eines Abgrundes. Sein Blick fiel auf eine Steintreppe. Über ihr wölbte sich ein abfallender Gang. Er dehnte sich zu einer Grotte aus. Aus ihrer Tiefe entsprang ein Luftzug so faulig und feucht, dass es Sam den Atem verschlug. Die Strähnen auf seiner Stirn vibrierten im Wind. Herabhängende Wurzeln und Spinnweben streiften sein Gesicht als er geräuschlos über die Stufen nach unten glitt.
Vor ihm erstreckte sich ein Meer von Knochen. Es war ein Wirrwarr aus Skeletten und Schädeln – so bleich als hätte sie ein Künstler mit Kreide in diese Hölle gezeichnet. Würdelos übereinander gestapelt und dem Vergessen überlassen, erweckten diese Gebeine einen Eindruck von Raserei. Sam befand sich in einer Höhle, wo jeder Atemzug ein Echo hervorrief und fremde Erinnerungen vor ihm aufblitzten - wie Bilder auf einer Leinwand, bevor sie wieder verschwanden. Er hörte Stimmen, Heulen und Stöhnen -und über all dem Jammern lag der rasselnde Atem der Kreatur, die sich immer weiter schob. Sie hatte keine Eile. Langsam und zielstrebig legte sie ihren Weg zurück.

Ein leiser, kurzer Schrei entwich Sams Lippen, sein Körper bäumte sich für eine Sekunde auf. Im schwachen Licht, das durch die Fenster fiel, schimmerte sein Gesicht blass und feucht. Als Sam den Kopf zur anderen Seite riss, klatschten verschwitzte Haarsträhnen gegen seine Stirn. Sein Stöhnen wurde zum Keuchen und immer mehr schmerzhafte Töne quälten sich über seine Lippen. Verkrampft zog er den Kopf in den Nacken und strampelte die Bettdecke weg.

Als er hinter sich sah bröckelte Geröll aus einer Felswand. Steine kullerten über das Erdreich und stürzten in eine Grube. Er hörte leises Kratzen von Nägeln in ihrer Tiefe. Schon suchten knochige Finger halt an der Oberfläche, wühlten sich durch Staub und hinterließen tiefe Furchen im Erdreich.
Der kleine Junge, der Sam einst war, wollte fliehen bevor die Kreatur kam – aber der Jäger und Mann Sam Winchester musste in das Gesicht seines Gegenübers blicken.

Sein Körper wälzte sich unter der Tortur.
Allein, eingeschlossen mit seinen Gefühlen, jeglicher Artikulation beraubt war Sam gefangen in der privaten Hölle seiner Vision, deren Korridor jedem anderen Menschen verschlossen blieb. Wie hatte er nur glauben können, es gäbe ein Vergessen. Der Schweiß seiner Erinnerungen und unzählige Tränen klebten auf seinem Gesicht.
Sam erkannte: Es gab einen Grund für diese geduldige Bösartigkeit und er war sich sicher, das Gesicht der Kreatur würde ihn offenbaren. Jeder Meter den sie voran kroch war begleitet vom Schaben ihres Körpers auf hartem Erdreich.
Sam wartete, er blickte in die Tiefe und das Antlitz des Grauens schwamm aus grundloser Nacht zu ihm empor. Schwarz verfärbte Lippen waren um ein zahnloses Loch gespannt, welches sich vergeblich abmühte zu sprechen. Dieses Maul, riesengroß kaute weiter und eine Zunge stieß aus ihm hervor, wie das Haupt einer Schlange, beim Versuch seinen Namen zu formulieren …

„…SAM!“

Hände packten ihn und rissen ihn in die Höhe. „Sam … um Himmelswillen, wach auf!“ Deans Gesicht, noch benommen vom Schlaf, den er durch Sams Stöhnen entrissen wurde, war bleich. Hastig suchte er nach dem Schalter der Tischlampe. Als Sam schreiend die Augen öffnete, wurde er von einer Gefühlsaufwallung überflutet, die seinen Körper erzittern ließ und ihm die Wangen rot färbte.
Gefangen in einem Zustand diffuser Erregung sank Sam keuchend in seine Arme. Der Traum glühte, beinahe physisch spürbar in ihm nach.

„Sammy“, flüsterte Dean, mit rauer Stimme. „Du … du hattest einen Alptraum.“ Doch gleich darauf durchfuhr ihn die schockierende Einsicht. Sam hatte keinen Alptraum gehabt – es war eine Vision gewesen. Er zog Sam näher an sich heran. „Es ist nichts passiert Sammy. Es ist alles okay - ich bin bei dir.“ Dean schluckte. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können. Aber ihn beschlich ein banges Gefühl.

Sam seufzte leise. „Dean?“, seine Stimme klang winzig klein und fern – und auf schmerzliche Weise verwundbar.

„Hmm?“ Dean musste Schlucken, um sich des Kloses in seinem Hals zu entledigen. „Ja?“

„Wir … wir müssen hier bleiben und diese Morde …“, flüsterte Sam und atmete gegen den pochenden Schmerz hinter seinen Schläfen an. Zu seiner Erleichterung widersprach ihm Dean nicht. Er nickte nur langsam und legte eine Hand beruhigend auf Sams Schulter. „Aber bitte nicht mehr heute Nacht“, bat er. „Heute Nacht dürfen wir nichts mehr unternehmen - Sam. Wir sprechen morgen darüber – ja?“ Dean war sich nicht sicher ob ihn Sam wirklich verstanden hatte. Sams Stirn lag schwer auf seiner Brust. Er zitterte, obwohl seine Haut schweißnass war.

*** *** ***

Nach wenigen Stunden war Sam bereits wieder aus seinem rastlosen Schlaf geschreckt. Für einen Moment geisterten seine Blicke desorientiert durch das Zimmer und blieben auf einen in sich zusammengesunkenen Schatten neben seinem Bett haften. Ein Lächeln zuckte um Sams Lippen: „He Dean! Du bist noch da?“

Der Ältere schreckte hoch und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Ich konnte nicht schlafen!“, murmelte er zerknirscht und streckte sich.

„Klar, das würde mir auch so gehen, wenn ich die Nacht auf so einem Stuhl verbracht hätte“, erwiderte Sam. Er setzte sich auf und massierte mit den Fingern seine Schläfen. „Warum bist du nicht zurück ins Motel gegangen? Mich klaut hier schon keiner.“

Dean schob sich auf die äußerste Kante seines Plastikstuhles. Er betrachtete Sam mit einer bittersüßen Miene, dann atmete er geräuschvoll ein und flüsterte. „Es tut mir leid Sammy!“ Seine nächsten Worte kamen kaum noch hörbar über seine Lippen: „Ich hätte das nicht tun dürfen.“

Sams Augen weiteten sich. „Was?“, fragte er knapp. Ein kalter Hauch streifte über seinen Rücken. Fröstelnd drehte sich Sam zum Fenster. Es war leicht angekippt.

Dean folgte seinem Blick und sah ebenfalls hinaus auf die Straße. Ein grauer Tag kündigte sich an, durchwachsen mit Nebelschwaden, die ein schneidender Ostwind in Fetzen riss. Er brachte Graupelschauer mit sich und es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Schneeflocken daruntermischen würden.
„Ich hätte dich gestern nicht überreden dürfen mit mir nach dem Schädel zu suchen“, murmelte Dean und beobachtete Sam aus dem Augenwinkel. „Mann – manchmal bin ich so ein Idiot!“ Schnaufend riss er seinen Kopf in Nacken. „Ich meine …“, Dean beugte sich nach vorn und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Es ist erst drei Tage her … und ich …“

„Es geht mir gut Dean“, fiel ihm Sam ins Wort.

„Nein, tut es nicht!“, polterte Dean heraus. Er sah Sam an. „Es war zu früh. Und du siehst ja was passiert ist!“

Sam schluckte. „Du … du meinst die Vision“, fragte er leise.

Dean nickte. Er schien hin und her gerissen. Worte formten sich in seinem Kopf, doch er konnte sich nicht überwinden sie auszusprechen. Die plötzliche Stille war bedrückend. Eine dunkle Vorahnung hatte sich über das Zimmer gelegt.

„Sammy?“, flüsterte Dean nach einer Weile.

„Ja?“
„Ich habe Angst!“, gestand Dean und sah Sam an. „Immer …Sammy - wirklich immer wenn du so eine verdammte Vision hast, gibt es Ärger!“ Er atmete tief ein. „Weißt du, ich wünschte …!“ Dean kam nicht weiter mit der Rede. Eilige Schritte im Flur zogen die Aufmerksamkeit der Jäger auf sich.
Es klopfte. Noch bevor einer der Brüder antworten konnten wurde die Tür aufgerissen. Kaum fiel sie wieder ins Schloss, brach es aus Bobby hervor. „Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“ Er schleuderte einige Frühstückstüten auf den Tisch, riss sich das Basecape vom Kopf und zerknautschte es zwischen seinen Fingern. Dann sah er sich suchend nach einem Stuhl um. Dabei streifte sein Blick zornig über die jungen Jäger.
„Ist euch ein Fall nicht genug?“, spie er Dean an. Kleine Speicheltropfen glitzerten in seinem grauen Bart. Bobby stieß dem älteren Winchester einen Kaffeebecher entgegen. „Dean! Wie kannst du Sam in diesem Zustand …“

„…danke“, murmelte Dean, nahm den Becher und sah zu Boden.

„Es geht mir gut“, versuchte Sam den Alten in seiner Rage zu bremsen. Auch ihm wurde ein Kaffeebecher sehr ruppig gereicht. Sam stellte ihn auf den Beistelltisch und schlug sich gegen die Brust. „Ehrlich Bobby. Es tut nicht mehr weh … ich glaube… es ist bereits…“

„Darüber werden wir noch reden Sam“, fuhr Bobby ihn an. Dann atmete er tief ein und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Jungs“, stöhnte er, nachdem ein kräftiger Atemstoß seinen größten Zorn offenbar herauskatapultiert hatte. „Wir haben doch vereinbart: Keine Alleingänge, solange Sam nicht wieder gesund ist!“

„Aber ich bin gesund …“, polterte Sam heraus. „Außerdem war es meine Idee“, murmelte er und sah Bobby herausfordernd an..

„Sam…lass den Unsinn“, brummte Dean. „Es war meine Scheißidee!“ Mit leiser Stimme wandte er sich an Bobby: „Hast du was über unseren Chupacabra herausgefunden?“

„Nur das es keiner ist“, antworte Bobby knapp.

„Danke Bobby, das war sehr hilfreich“, konterte Dean und warf Sam ein heimliches Grinsen zu, das dieser mit einem Zucken um die Lippen beantwortete.

„Denkt bloß nicht ich hätte das nicht gesehen“, brummte der alte Jäger ernsthaft bemüht sein zorniges Auftreten zu bewahren. Er zog seufzend ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche und faltete es auseinander. „Ich habe hier zwei mögliche Täter“, sprach er und kratzte sich am Hinterkopf. „Naja, also“, Bobby begann zu nuscheln als käme ihm sein Vortrag selbst merkwürdig vor. „Da wäre zum einen Spring Heeled Jack*“

Sam prustete in seinen Kaffeebecher. „Das ist nicht dein Ernst Bobby“, keuchte er.
Als Deans fragender Blick auf Sam traf, nahm dieser Bobby das Wort aus dem Mund: „Spring Heeled Jack soll seit 1837 in London und Umgebung mehrere Menschen angegriffen haben. Obwohl einige unbestätigte Berichte behaupten, dass er immer noch aktiv sei, wird im Allgemeinen angenommen, dass er nach dem letzten Zwischenfall 1904 verschwunden ist.“ Sam hob die Brauen: „Allerdings erfreut sich dieser Kasper dank der Erzählungen über sein bizarres Aussehen und seine Fähigkeit, riesige Sprünge zu vollführen, großer Bekanntheit. Er wird als ein Wesen von erschreckendem und angsteinflößendem Äußeren beschrieben, zu dessen teuflischer Erscheinung Klauen an den Händen und hervorquellende Augen gehörten, die wie Feuer glühten.“ Sam lehnte sich zurück, mimte ein geschocktes Gesicht und flötete: „Uhhhh … wie gruselig!“ Dann fügte er kichernd hinzu: „Viele Augenzeugen behaupteten, dass er einen Helm und unter seinem schwarzen Umhang ein eng anliegendes Gewand wie aus Ölzeug trug. Manche hielten ihn sogar für einen Außerirdischen!“ Sam schüttelte den Kopf. „Nein Bobby, der kommt nicht in Frage - das war nur ein Schwuler im Batmankostüm!“

Dean setzte sich auf den Bettrand: „Naja, wenn er fliegen kann?“ Seinen Kaffeebecher rotierend in den Händen haltend, schielte er auf die Frühstückstüten. Ihr Duft nach Rührei mit Speck war verlockend. „Könnte doch sein, dass er bisher niemals von einem Jäger aufgespürt wurde.“ Dean schluckte.

Sam musterte Dean lächelnd: „Alter, der Kerl ist ein Ammenmärchen.“ Er wandte sich an Bobby, der ihn mit offenem Mund anstarrte. „Wer ist der nächste Kandidat?“

In Anbetracht von Sams skeptischem Gesichtsausdruck zögerte Bobby. „Der Jersey Devil**?“, fragte er vorsichtig und hob die Brauen.

„Ach, jetzt hör aber auf“, stöhnte Sam und riss seinen Kopf in den Nacken.

„Nun … der…“
Bobby unterbrach resigniert, weil Sam ihm schon wieder den Satz abschnitt: „…der Teufel wird häufig als zweifüßige Kreatur mit Hufen an den Füßen, kurzen Armen und schmalen Flügeln beschrieben“, erklärte er genervt und sah Bobby und Dean herausfordernd an. „Hat einer von euch an dem Ding Pferdefüße gesehen?“
Sam kniff die Augen zusammen und vergrub ächzend sein Gesicht in den Händen. „Nein“, murmelte er. „Dieses Ding hat sich weder einen Spaß erlaubt noch wollte es mich töten!“ Er sah an die Decke und schnaubte: „Es hat uns hier her gelockt.“

„Du bist beängstigend Sam!“, stieß Dean hervor. Er musterte seinen kleinen Bruder entgeistert. „Hast du einen Chip im Gehirn? Woher weißt du das alles?“

Mit errötenden Wangen hob Sam die Schultern: „Ich … ich lese eben viel …“, stotterte er und versteckte sein Gesicht hinter dem Kaffeebecher indem er schnell einen Schluck nahm.

„Na schön“, knurrte Bobby. Er schlug seine Hände auf die Oberschenkel, atmete einmal durch und griff nach einer der Tüten auf dem Beistelltisch. „Da unser Klugscheißer offensichtlich schon alles weiß, können wir ja frühstücken!“

*

Bedrückt stocherte Sam im Eierkuchen herum. Irgendwie hatte er heute Morgen keinen Hunger. Die Vision steckte ihm zutiefst in den Knochen und er hasste das Gefühl sich im Kreise zu drehen.
Auch Dean verzog das Gesicht. Er fühlte sich angesichts Bobbys Moralpredigt wie ein begossener Pinscher. Der grimmige Blick des alten Jägers lud momentan nicht dazu ein, irgendwelche Fragen zu stellen oder weitere Fakten zu erörtern.

Verführt




Schwester Kate beobachte den Monitor. Dann musterte sie skeptisch den Mann im EKG-Belastungs-Test und griff noch einmal nach der Karteikarte um sich zu vergewissern, dass sie richtig gelesen hatte. Sekundenschnell erfasste sie seinen Namen in der linken oberen Ecke des Papiers.
„Sam?“, fragte sie unsicher: „Sie wurden also vor drei Tagen mit einer Stichverletzung und Vergiftungs-Symptomen hier eingeliefert?“
Sam hielt in seiner gleichmäßig tretenden Bewegung inne, schüttelte mit einer ruckartigen Kopfbewegung einige Schweißperlen aus seinem Haar und nickte wortlos.
Kate umrundete ihren Schreibtisch nachdem sie die Akte abgelegt hatte. Sie ging auf den Patienten zu und entfernte ein weißes Frotteehandtuch, welches lose über seinen Schultern hing. Sams breiter Brustkorb hob und senkte sich ruhig und gleichmäßig. Von einer Stichverletzung zeugte nur eine leicht gerötete Narbe zwischen der vierten und fünften Rippe.
Kate war erstaunt. Nachdem dieser Mann über eine Stunde geradelt war, schien er nicht einmal außer Atem. Laut Aufnahmedokument war er siebenundzwanzig Jahre alt und über eins neunzig groß. Seine ausgeprägte Muskulatur deutete darauf hin, dass er regelmäßig und sehr hart trainierte. Mehrere Narben verrieten allerdings, dass er seine Figur nicht einem Fitnesscenter verdankte. Offensichtlich war er gedrillt auch unter widrigsten Bedingungen bis zum Sieg zu kämpfen.
„Was machen sie noch einmal beruflich?“, fragte Kate leise. Sie hatte ein merkwürdiges Kratzen im Hals.
„Sicherheitsdienst“, antwortete Sam kurz und stieg vom Rad.
Reglos wie eine Bronzestatur stand er nun vor ihr. Seine blaugrauen Augen leuchteten wie Glasscherben in denen sich die Sonne spiegelte. „Personenschutz“, fügte er leise hinzu und senkte den Blick.
Kate schluckte. Sams Beweglichkeit- seine unglaubliche Ausdauer und Körperkraft- und seine Konzentrationsfähigkeit waren fast übermenschlich. Erst nach einigen Sekunden bemerkte die Schwester, dass sie ihn ununterbrochen anstarrte. Röte schoss ihr ins Gesicht und sie eilte zurück hinter ihren Schreibtisch. Mehr aus Verlegenheit griff sie nach dem Bericht und räusperte sich. „Sam, wie es aussieht ist Ihre physische Wiederherstellung ebenso schnell erfolgt wie Ihre psychische Erholung. Ich denke, Sie können auf Medikamente verzichten.“ Kate sah nicht von ihrem Dokument auf als sie redete, hörte aber ein leichtes Rascheln als Sam in seine Jeans stieg. Obwohl schneidende Ost-Luft durch das gekippte Fenster in ihren Nacken strömte, spürte sie eine aufsteigende Hitze unter ihrer Haut.
„Das weiß ich“, antwortete Sam gelassen, schloss den Hosenbund und schlüpfte in ein khakifarbenes Shirt. „Aus diesem Grund möchte ich um meine Entlassung bitten.“
Rasch sah Kate zu ihm auf. In zerrissener Jeans und Shirt, sah er fast noch verführerischer aus. Sie fragte sich insgeheim wer ihm die Narben zugefügt hatte. „Sam?“, rief Kate um ihn am Gehen zu hindern. „Es gibt da noch eine kleine Ungereimtheit.“ Verlegen fingerte sie im Instrumentenschrank und murmelte. „Wie es scheint, sind sämtliche Blutproben von Ihnen mit Schwefel verunreinigt worden. Auch konnten wir Ihre Blutgruppe nicht bestimmen.“ Mit einer Kanüle ging sie auf Sam zu. „Daher würde ich gern …“
„Das wird nicht nötig sein“, erwiderte Sam rasch und hob die Hände.
„Es ist nur zu Ihrer Sicherheit“, beschwor Kate.
Sam ergriff ihre Schultern, sah sie in die Augen und versprach. „Ich werde noch eine Weile in der Stadt bleiben. Wenn es mir schlechter geht komme ich wieder – Okay?“
Benommen ließ Kate die Nadel sinken. Dieser Blick war von einer unergründlichen Tiefe und überschüttete ihre Gedanken mit Fantasien, die sie sich niemals zugetraut hätte. „Wie Sie meinen, Sam“, flüsterte Kate.
Als er das Zimmer verlassen hatte, riss sie das Fenster auf. Ihre Blicke verloren sich in den Nebelschwaden eines farblosen Novembertages. „Personenschutz“, flüsterte Kate seufzend, „… aber wer beschützt mich vor dir?“

*** *** ***

„Wir sollten hier schnellstmöglich verschwinden“, murmelte Bobby, ohne von einem Buch in dem er blätterte, aufzusehen. „Ich möchte nicht, dass Sam die Aufmerksamkeit der Professoren auf sich zieht.“
Dean nickte. Er saß dem alten Jäger gegenüber an einem Eichentisch und blinzelte gegen das schmale Licht einer Leselampe. Kurz musterte er Bobby. „Der Meinung bin ich auch. Mir macht Sams Regenerationsfähigkeit ebenfalls eine Höllenangst.“ Dean schnaufte leise. Seine Blicke eilten durch den Saal und verweilten auf Studenten, die sich hinter turmhohen Bücherstapeln verschanzt hatten. Hier sprach niemand laut. Nur das Rascheln unzähliger Seiten riss nicht ab.
„Hast du was herausgefunden Bobby?“
Der alte Jäger kraulte sich am Bart. „Es gibt tausende Informationen über eine so alte Institution wie Harvard. Die Aufzeichnungen reichen bis ins Jahr 1636 zurück, als die Universität als Hochschule gegründet wurde.“ Bobby sah stöhnend auf die überquellenden Regale einer antiken Bibliothek. An den Wänden reichten sie bis in die Kuppel des fensterlosen Saales, der sich über mehrere Etagen ersteckte. Hinter diesen Regalwänden ermöglichten Treppen und verwinkelte Korridore den Zugang zu hochgelagerten Büchern, während den sportlicheren Lesern auch die Möglichkeit gegeben wurde über Leitern an der Vorderfront die schwer zugänglichen Werke zu erreichen. Unzählige Regale aus dunklem Eichenholz standen ebenfalls kreuz und quer im Raum. Sie verwandelten diesen in ein Labyrinth aus staubigen Bücherrücken und schwarzem Holz. Der Lesebereich selbst, machte nur ein Viertel des Saales aus.
„Harvard ist die älteste Universität der USA. Da haben wir noch Einiges vor uns“, stellte Bobby fest.
Dean nickte. „Naja wir haben ja noch etwas Zeit, bis Sammy seine Entlassungspapiere zusammen hat. Dann verschwinden wir ins nächste Motel und beraten wie es weiter geht.“ Dean musste grinsen. „Ich hoffe Sam schafft das, bevor die hier mitbekommen, dass unsere Sozialversicherungskarten gefälscht sind.“
Bobby sah Dean fragend an. „Du bist dir sicher, dass hier was nicht stimmt?“
„Sam ist es jedenfalls“, antwortete Dean knapp. Wieder sah er den Alten an und flüsterte. „Er hatte letzte Nacht eine Vision …!“ Dean presste die Lippen aufeinander als ihm Bobbys zischender Atem entgegen stieß. „Das ist kein gutes Zeichen“, kommentierte der Alte seine Aussage und griff sich an die Schläfen.

Nach drei Stunden Recherche hatte Dean das Gefühl, kein Gesäß mehr zu besitzen. Die Stühle waren mit Sicherheit sehr wertvoll und außerdem unglaublich schwer. Aber von Ergonomie hatte ihre Erbauer offensichtlich keine Ahnung. Alles ab seinen Knien abwärts, spürte er kribbeln, doch was zwischen Hintern und Kniescheibe lag, schien komplettes Niemandsland zu sein. Wie konnte sein kleiner Bruder nur Stunden auf solchen Folterstühlen verbringen.
„Ich werde mal nach weiteren Hinweisen suchen“, schnaufte Dean während er sich erhob und ausgiebig streckte. Dann griff er nach einem Schlagwortkatalog um darin zu blättern. Dabei wippte er neckisch mit den Brauen. „He Bobby, vielleicht finden wir ja noch ein geheimes Buch, dass du nicht kennst … oder eins das älter ist als du.“
Bobby verzog das Gesicht. Allerdings bemerkte es Dean nicht, da er sich bereits, den Hinweisen der Schlagwortkarte in seinen Händen folgend, durch die dunklen Gänge unzähliger Bücherregale bewegte.

*

„Ich wusste gar nicht, dass du dich für Geschichte interessierst“, hauchte eine Stimme dicht hinter ihm. Dean erschrak so sehr, das er beinahe vom Trittbrett stürzte. Einige Bücher purzelten durcheinander als er versuchte sich am Regal festzuhalten.
„Anna …“, flüsterte Dean atemlos und war mit einem Sprung auf dem Boden. Verblüfft sah er die Schwester an.
Anna lächelte. „Geht es dir um Geschichte allgemein- oder ist es die Geschichte von Harvard“, fragte sie, neugierig seine Auswahl an Werken musternd.
Dean räusperte sich in die Faust. „Was machst du denn hier? Ich denke du arbeitest in der Klinik.“
„Ich benötige noch einige Informationen für die Erledigung bevorstehender Arbeiten“, antwortete Anna und strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn. „Aber …“, ihre Stimme wurde weich als sie flüsterte. „Ich habe noch etwas Zeit.“ Sie trat näher.
Dean sah sich nervös um. „Anna? Was hast du vor?“
„Ich habe gehört deinem Bruder geht es wieder besser“, flüsterte sie. „Eine wirklich bemerkenswerte Kondition - finde ich. Liegt das bei euch in der Familie?“ Ihr Körper kam Dean viel zu nahe. Seine Muskeln spannten sich. Annas Duft war betörend. Völlig überrascht drückte Dean den Rücken durch um sich zu befreien. Ihre Arme um seine Hüfte ließen jedoch diese Absicht schwinden.
„Ja“, flüsterte Anna weiter und atmete tief ein. Geschmeidig bewegten sich ihre Lippen jetzt an seinem Ohr. „Leben ist es, rein und kraftvoll. Selten habe ich mehr Leben gespürt als in diesem Moment.“
Sie stütze sich mit den Händen am Regal ab und rieb ihren Körper am Jäger.
Deans Atem ging schwer. Er spürte Annas Hand an seinem Hosenbund. Ihre tastenden Finger glitten tiefer. Keuchend riss er seinen Kopf zur Seite und inspizierte den langen Gang. Er war verwaist, wie die ganze Bibliothek – so schien es. Dean konnte weder jemanden sehen noch etwas hören – nicht einmal das unablässige Rascheln von gelesenen Buchseiten.
Er war wie von Sinnen. Seit vielen Monaten dürstete ihm nach Berührungen, nach Lust in all ihren Facetten. Seine Muskeln zittern vor Erregung. Sein schneller Herzschlag trieb das Blut voran bis es in Annas Hand pulsierte. Sie lächelte.
Dean spürte ihren Atem auf seiner Haut und schluckte schwer. Das Verlangen sie zu berühren wurde übermächtig. Als seine Hand seitlich an ihrem Hals entlang, durch langes blondes Haar glitt, zuckte sie zusammen. Blitzschnell griff sie in seinen Schopf…

„DEAN? … Alter, wo steckst du denn?“

Eine Stimme durchströmte seine Gedanken und wanderte sein Rückgrat hinab wie ein unerwünschter Schmerz. Es dauerte mehrere Sekunden, bis Dean seine Stimme wieder fand und antworteten konnte. „Sam?“
Anna stieß sich von ihm. Ihr Kopf drehte sich in die Richtung aus der Sams Rufen zu hören war. Schon mischten sich seine Schritte darunter. Offensichtlich rannte er.
„Ich kam, um mit den Schafen zu spielen, ein blutiges Spiel, und siehe, ich finde Wölfe unter ihnen“, sprach Anna lachend und sah Dean in die Augen: „Aber bald werden sie sich gegenseitig zerreißen …!“
Benebelt schüttelte Dean den Kopf. Er verstand kein Wort. Sein Körper fühlte sich kalt und taub an. Deans zweiter Versuch auf Sams Rufen zu Antworten war nur ein unwilliges Brummen, was Sam jedoch nicht daran hinderte, einfach weiter zu durch die Bibliothek zu schreien.
Als er Sekunden später am anderen Ende des Ganges erschien, kam ihm Dean entgegen. „He Sammy“, rief er erfreut. „Ich würde dir gern Anna …“, suchend drehte sich Dean um, „ –vorstellen ...“
Sam hatte seinen Lauf gestoppt. Er hob die Arme und sah seinen Bruder verständnislos an. „Was meinst du Dean?“
„Eben war sie noch da …“, murmelte Dean kopfschüttelnd.
„Alter, das ist eine Bibliothek. Was machst du denn?“, stöhnte Sam. „Du wolltest doch nach Hinweisen suchen!“
Dean ignorierte Sam. Viel zu sehr lag seine Konzentration auf dem leeren Gang. „Ist ja merkwürdig“, flüsterte er. Dann sah er Sam an und hob die Schultern: „Wahrscheinlich mag sie dich nicht …!“
„Ja, ja …“, knurrte Sam. „Lass uns endlich verschwinden. Diese Ärzte wollten nochmal mein Blut.“
Dean zuckte zusammen. „Dann haben sie etwas bemerkt?“
„Ist anzunehmen …“, murmelte Sam.
„Du hast Recht - es wird höchste Zeit die Fliege zu machen“, antwortete Dean und folgte Sam. Doch eine Sekunde später blieb er stehen um den Korridor erneut zu inspizieren. „Wo ist Bobby?“
„Der sitzt schon im Wagen.“
Dean schnaufte: „Schade Sammy, du hättest sie wirklich sehen sollen. Sie war echt …“ Wehleidig eilten seine Blicke über unzählige verstaubte Bücher. „Was sollts…“
Sam gab Dean einen Schups. „Alter, du bist ja völlig neben der Spur.“

*

Eine Windbö nach der anderen peitschte durch die Straßen von Cambridge. Inzwischen war der Nieselregen stärker geworden. Kalte Tropfen klatschen gegen die Scheiben des Impalas. Sie begruben den Geruch von Teer und Benzin unter ihrer Flut. Nur der Duft schweren Nebels blieb zurück.

„Wie geht es jetzt weiter?“, wollte Bobby wissen. Er saß auf der Rückbank. Neben ihm türmte sich ein Stapel Kopien.
„Ich habe uns zwei Zimmer gebucht“, antwortete Dean ohne den Blick von der nassen Fahrbahn zu wenden. Kurz holte er Luft: „Außerhalb von Cambridge!“
Erstaunt sah Sam seinen Bruder an.
„Ja Sammy!“ Dean warf ihm einen kurzen Blick zu und erklärte. „Wir haben bereits einen Fall!“
„DEAN!“ Zischend zog Sam seinen Kopf in den Nacken.
„Nein, nein, nein! Erst töten wir dieses verdammte Ding das dich verletzt …“
„Es geht dir also um Rache“, unterbrach ihn Sam und sah schnaufend aus dem Fenster. Sein Blick folgte dem Ortsschild von Cambridge, das in den Nebelfetzen hinter ihnen verschwand. Nach wenigen Minuten verblassten die Lichter der Stadt und hochgewachsene Buchen reihten sich an Stelle bröckelnder Fassaden rechts und links der Allee auf. Cambridge schien meilenweit entfernt.
Dean zog auffällig laut Atem durch die Nase. Seine Finger trommelten auf dem Lenkrad. Etwas leiser sprach er weiter. „Sammy - Das heißt ja nicht, dass wir uns nicht noch einmal in Harvard umsehen. Aber eins nach dem anderen.“ Seine Augen streiften erneut Sams Gesicht: „Du hast selbst gesagt, dass wir aus der Klinik verschwinden sollten. Es ist zu gefährlich. Sie könnten…“
Erstaunt öffnete Sam die Augen. „Meine wahre Natur erkennen?“ Er sah Dean spöttisch an. Doch sein aufwallender Zorn wich nach einer kurzen Überlegung. „Du hast Angst“, murmelte er und lächelte bitter. „Dean- es ist wirklich schön, dass du dich um mich sorgst, und ich bin dir dankbar dafür - aber …!“
Der Stich kam völlig unerwartet. Wie eine schwarze Woge überrollte er Sam und entriss ihm einen Schrei. Keuchend presste er seinen Rücken gegen den Sitz und versuchte die Schmerzen, die seinen Körper folterten zu mildern indem er seine Hände auf die brennende Stelle presste.
„Scheiße Sam! Was ist denn los?“ Dean trat auf die Bremse. Der Wagen geriet ins Schlingern. Wasser spritzte auf als er sich einmal um die eigene Achse drehte und schließlich mitten auf der Allee zum Stillstand kam. Aufgewirbelte Blätter verteilten sich im Innenraum. Fluchend richtete sich Bobby auf und rieb seine Stirn.
„So viel zum Thema Blitzheilung“, keuchte Sam leise und hielt sich die Brust.
Dean zog Sams Hände zur Seite. Er wurde blass- nicht nur vom Anblick des dunkel glänzenden Fleckes im Gewebe des Shirts, sondern vor allem vom blutigen Schaum, der über Sams Lippen glitt.
„Um Gottes Willen Sammy. Was geht denn hier vor?“ Ungläubig wühlte Dean Sams Shirt nach oben. „Das darf doch alles nicht wahr sein…“, entfuhr es ihm. Er traute seinen Augen nicht. Sams Stichwunde klaffte auf wie drei Tage zuvor. Alles Leben schien aus ihm heraus zu sprudeln.
Hastig kramte Dean im Handschuhfach nach Verbandmaterial. Dass er dabei halb auf seinem Bruder lag und ihm weiteres Stöhnen entlockte, bemerkte er in seiner Panik nicht. Schließlich presste er ein Päckchen Tempos auf die sprudelnde Stelle zwischen Sams Rippen. Es war ihm bei der Suche in die Finger geraten. „Drück das einen Moment drauf, Sammy“, befahl er und riss einen Verbandkasten, den Bobby ihm hastig über die Sitzlehne schob, an sich.

Bobbys Augen weiteten sich vor Schreck als er nach vorn sah. „Jungs …“, rief er mit zitternder Stimme. „He, Jungs, seht mal auf die Straße.“
„Nicht jetzt Bobby“, fauchte Dean. „Hilf mir lieber Sam zu …“ Die hektischen Bewegungen brachten Deans Körper förmlich zum Dampfen, ließen die Scheiben beschlagen und den Wagen schaukeln. Ein Blick aus dem Augenwinkel verriet ihm, dass die Welt außerhalb in undurchdringlichem Nebel verschwand. Egal – die Scheinwerfer brannten ja. Man würde den Impala rechtzeitig erkennen, dachte Dean.
„DEAN“, keuchte Sam mit schmerzverzerrtem Gesicht.
„Ich habs gleich Sammy –“, schwor Dean und kramte im Verbandkasten.
„Dean bitte …“, gluckste Sam gequält. Seine Augen wurden glasig. „Du … kannst es nicht aufhalten …“
„Jungs, verdammt“, brüllte Bobby energisch aus dem Hintergrund.
Dean riss den Kopf in die Höhe. Seine Augen funkelten den Alten an. „Spinnt ihr denn alle beide?“, schrie er und zwang seinen Blick auf die Fahrbahn.
Verbitterung kroch auf seine Zunge. Wut gesellte sich hinzu. Wut auf das was er sah- und Wut auf seine eigene Unfähigkeit zu akzeptieren, dass er es sah. Dean wusste: Manchmal spüren Menschen wenn ihnen etwas Dunkles entgegen kommt. Er nannte es Instinkt. Und selten hatte er diese Warnung so intensiv gefühlt wie in den letzten Tagen…
Zögernd wischte er den Dunst von der Frontscheibe und blinzelte hinaus. Dauerregen hatte den Staub von der Fahrbahn gewaschen und ließ sie glänzen wie eine Reptilienhaut. Zwischen den dürren Buchenstämmen am Straßenrand waberten Nebelschwaden. Mit geisterhaften Fingern strichen sie über den Asphalt. Und- direkt vor dem Wagen ragte ein riesiges Geschöpf in den Himmel. Konturenlos wie ein Phantom, warf es einen nicht enden wollenden Schatten hinter sich, da die Scheinwerfer des Wagens es direkt anstrahlten. Trotzdem vermochte Dean nicht zu sagen ob das Wesen schwebte oder stand. Dichter Nebel umhüllte sein unteres Drittel. Aber er sah genug um es wieder zu erkennen. Es wirkte viel größer als vor drei Tagen im Wald.
„Du Miststück!“ Gerade als Dean mit der Beretta aus dem Wagen stürmen wollte, legten sich Sams Finger um seinen Oberarm. Sie zitterten, waren kalt und ihr Griff schwach, wie Sams Stimme, die ihm ins Gewissen redete. Er sprach leise. Jedes Wort bereitete ihm Qual. „Dean, es hat keinen Sinn. Es wird uns nicht aus der Stadt lassen.“
Das Wesen riss seine Arme auseinander als wollte es Sams Feststellung bestätigen. Ein schwarzer Umhang wehte im Wind. Ein Umhang, wie ein Paar Flügel war alles was Dean erkennen konnte. Er sah keinen Kopf, keinen Hals und kein Gesicht. Nur ein paar Augen: Groß, kreisrund und leuchtend rot blitzten im oberen Drittel der Erscheinung.
„Wie eine Eule!“, flüsterte Bobby. „Wie der Schatten einer verdammten Rieseneule!“

Sam begann zu husten. Stöhnend ließ er den Kopf zur Seite sinken. Immer noch verkrampften sich seine Finger im Tempopäckchen auf seiner Wunde.
Dean riss sich aus dem Bann seines Zorns und als er Sam betrachtete, wurde ihm klar: lange würde sein kleiner Bruder nicht mehr durchhalten. Haarsträhnen klebten auf Sams feuchter Stirn und Tränen vermengten sich auf seinen Wangen mit Schweiß. Schwer, fast pelzig glitt schaumiges Blut über seine blassen Lippen.
Und während sich Sam langsam in eine Bewusstlosigkeit flüchtete, erlebte Dean die Qual seines Körpers hautnah. Alles schmerzte, eisige Kälte fraß sich langsam in seine Knochen. Wenn er nicht zusehen wollte wie Sam verblutete wurde es Zeit nachzugeben. Dean musste einen Schrei der Verzweiflung unterdrücken und zitterte. Ja, es gab Momente im Leben, da kam man mit Gewalt nicht weiter. Er konnte vor dem Geheimnis in Harvard und seiner Angst nicht davonlaufen. Während Bobby die Worte flüsterte, die er dachte, erkannte Dean, dass Sam mit seiner Vermutung Recht gehabt hatte.

„Lass uns umkehren Dean! Wenn Sam die Stadt verlässt, wird er sterben!“

Unmut




Der Impala hielt dort, wo keine Laterne ihr Licht hinstreute. Als Dean den Motor abschaltete und die Scheinwerfer erloschen, glänzte auch der nasse Asphalt des Parkplatzes nicht mehr. Eine hohe Fassade, die an ihm grenzte, sorgte für noch mehr Dunkelheit. Cambridges Straßen waren nicht belebt, denn bei diesem Wetter blieben die meisten Menschen in ihren Häusern, was den Jägern sehr entgegen kam. Man würde sie nicht sehen, wenn sie das herunter gekommene Motel betraten.
Als Dean ausstieg, prallte schneidende Ost-Luft gegen seine linke Körperhälfte. Mit jeder neuen Bö rauschte es an seinem Ohr. Er schloss die Fahrertür, schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch und richtete sich zu voller Größe auf. Rasch sah er sich um. Vor seinen Lippen bildeten sich Nebelwolken, die vom nächsten Windstoß hinweg gerissen wurden. Deans Blick glitt zur Seite als er aufmerksam lauschte. Er war sich dessen nicht einmal bewusst. Er tat es aus reiner Routine – und dass er zufrieden war, zeigte nur sein leichtes Nicken. Auch weiter vorn unter den Laternen gab es keine Bewegung. Es blieb alles still – wie für ihn gemacht. Zielstrebig eilte er einem schmutzigen Licht entgegen. Die Buchstaben waren teilweise abgerissen oder hingen schief. Es war ein weiterer unbekannter Name über einem unbekannten Motel, abseits der belebten Highways in einer Seitengasse. Im Fenster unter der Reklame blinkte es unruhig. Trotzdem erkannte Dean das Wort „Open“. Es flimmerte überall gleich – egal in welchem Ort sie eine Bleibe für die nächsten Tage fanden.

Bobby schnaufte leise als Dean hinter der Tür verschwunden war. Seine Blicke wechselten zum Jüngsten, dessen verschwitztes Haar sich teilweise über die Rücklehne kringelte. Erst als sich der alte Jäger nach vorn beugte, konnte er Sams Gesicht erkennen. Er schlief, den Kopf zur Seite gelegt. Seine Arme waren auf die Oberschenkel gerutscht.
Bobby nickte erleichtert. Schon wenige Minuten nachdem sie gewendet hatten und wieder Richtung Cambridge gefahren waren, wurde Sam ruhiger. Und als die ersten Reihenhäuser, wie graue Schatten am Impala vorbeiflogen, hörte die Blutung auf.
Nun hob und senkte sich Sams Brust langsam unter dem verklebten Gewebe.
„Sam?“, flüsterte Bobby und tätschelte vorsichtig seine Wange. „He, wach auf Kleiner. Wir sind da.“ Ein unwilliges Brummen begleitete Sams flimmernde Lider als sein Kopf kurz zuckte, aber gleich darauf kraftlos zurück sank.

*

Langsam hievte Dean Sams Körper aus dem Auto und warf ihn über die Schulter. Es war nicht weit bis zum Zimmer. Schlieren zogen sich über sein Gesicht. Staub, verdünnt mit Regen. Bobby folgte ihm, beladen mit zwei Reisetaschen.
Als die Jäger vor der Tür standen, ließ Dean den schlaffen Körper von seiner Schulter rutschen. Sams Kopf prallte mit einem dumpfen Laut gegen die Tür. Dean zucke zusammen. <Verdammt!> Er wühlte in seinen Taschen und fischte den Schlüssel hervor. Nachdem er die Tür geöffnet hatte und Bobby als erster das Zimmer betrat, zog Dean Sam leise seufzend wieder hoch. Er folgte dem Alten, der bereits das Licht angeschaltet hatte. Mit einer Hand verschloss Dean die Tür, während Sam noch über seiner Schulter hing. Dann stolperte er zum Bett.
Sam stöhnte leise. Als er auf die Decke gelegt wurde, irrten seine Blicke für einen Moment abwesend durch den Raum. Leise keuchend versuchte er sich zu erheben, gab aber den Versuch auf, kippte zur Seite und rollte sich auf dem Bett zusammen.
Dean legte den Kopf schief und musterte Sam. Dann gab er sich einen Ruck und zerrte Sam in eine sitzende Position. Haltlos taumelte ihm der Körper in die Arme. Er öffnete hastig Sams Jacke um sie über seine Schultern zu streifen. Bobbys Hilfe lehnte er unwirsch ab. Mit hastigen Bewegungen zerrte er Sam das Shirt über den Kopf.
Sam protestiert leise.
„Einen Laut noch Sam, und es setzt was“, knurrte Dean.
Sams Jeans auszuziehen, gestaltete sich schwerer. Dean schnaufte, als es ihm endlich gelungen war. Nun hingen Sams Beine halb außerhalb des Bettes. Er hatte nicht die Kraft gehabt, gegen zu halten, als Dean ihm die Hose hinunter gezerrt hatte. Leise schnaufend drehte Sam sein Gesicht halb in die Kissen und schlief ein.
Dass Sam fieberte, erkannte Dean an seinen geröteten Wangen. Stumm begutachtete er die Stichwunde. Das Fleisch hatte sich wieder geschlossen. Es war der Blutverlust und wahrscheinlich auch Reste von Gift mit dem Sam nun kämpfte. Aber er würde es überleben, da war sich Dean sicher.

Wortlos verließ er das Zimmer. Im Bad atmete er gierig die abgestanden Luft ein. Dann setzte er sich auf die Toilette und vergrub sein Gesicht in den Händen. Ihm war zum Heulen zumute und langsam wusste er nicht mehr ob es Angst oder Wut war, die ihm Tränen in die Augen trieb. Dean blieb sitzen bis seine Beine eingeschlafen waren. Irgendwann erhob er sich, drehte die Dusche auf und verließ das Bad.
Zurück im Zimmer wühlte er unter Bobbys argwöhnischen Blicken ein Duschtuch aus seiner Tasche und warf es zornig auf den Boden. Es war verwaschen und das Frottee abgeschabt. Es war verbraucht - wie alles was er besaß – wie sein ganzes beschissenes Leben …
Bobby sprach kein Wort als Dean die Tür zum Bad, hinter sich zuschmetterte.

Sein Körper schmerzte. Waren es seine oder Sams Schmerzen? Dean hasse es. Reglos stand er unter der Dusche bis das Wasser so kalt über seine Haut perlte dass es stach.
Mit einer abrupten Bewegung riss Dean den Vorhang zur Seite und betrachtete sich im Spiegel. „Ich habe keine Kraft mehr, dein Schicksal auszubaden - Sam“, murmelte er und verzog wütend sein Gesicht. Er ignorierte die Schmerzen seines Körpers als er das Bad verließ – und seine Schritte wirkten sicher, als er wortlos an Bobby vorbeiging. Nur wenige Minuten später hatte Dean das Motel verlassen.

*** *** ***

Ein kalter Luftzug streifte Bobbys Nacken. Er zuckte zusammen und schlug die Augen auf. Seine Blicke eilten durch das Zimmer und blieben auf Sam haften.
Mondlicht spiegelte sich in den Schweißtropfen auf seiner Stirn. Trotzdem wirkte seine Haut kühl. Sams Muskeln zeichnen sich deutlich darunter ab. Sie arbeiteten. Sein gesamter Körper stand unter Spannung, obwohl er schlief. Nur Sams heftige Atmung offenbarte, wie viel Kraft ihm der Traum kostete. Er atmete tief in den Bauch hinein und warf den Kopf zur Seite.

Gerade als Bobby aufspringen wollte um Sam von seinem Alptraum zu befreien, bemerkte er einen Schatten an der Wand. Reglos stand jemand neben der Tür. Langsam glitt Bobbys Hand unter den Tisch während er mit zugekniffen Augen die Gestalt beobachtete.

„Es ist okay, du kannst die Waffe stecken lassen … ich bin es Bobby“, flüsterte Dean und trat aus dem Dunkel. Er kam näher und setzte er sich Bobby gegenüber an den Tisch. Sein Atem roch nach Whisky, seine Bewegungen wirkten schwerfällig.

„Wie lange stehst du schon da?“, wollte der Alte wissen.

Dean seufzte: „Eine ganze Weile.“ Er sah auf die Wanduhr.
Bobby folgte seinem Blick. Der Abend war schneller verflogen als er geglaubt hatte. Er war eingenickt, denn es war weit nach Mitternacht.

„Dean, was ist los mit dir“, wollte Bobby wissen. Seine Stimme klang vorwurfsvoll. „Wie kannst du einfach gehen wenn Sam …“

Dean griff sich an die Stirn. „Sam hat einen Fiebertraum – ich kann ihm jetzt auch nicht helfen“, flüsterte er.

„DEAN!“, entfuhr es dem Alten. Er schüttelte verständnislos den Kopf.

„Sei ruhig Bobby“, stöhnte Dean. „Sei … einfach … still …!“ Er vergrub das Gesicht in seinen Händen und sprach weiter. „Ich bin müde.“ Dean sah den alten Jäger an. „Bobby … ich … das ist … ich kann nicht mehr.“

„Was meinst du?“

„Diese Angst, Bobby“, gequält rieb sich Dean die Schläfen. „Diese ständige Angst dass ich es nicht schaffe … der Gedanke das Sam stirbt – oder Schlimmeres …“

„Du warst derjenige, der mit dem Fall anfing, Dean“, warf Bobby ein. „Du hast Sam überredet in der Pathologie nach dem Schädel zu suchen.“

Dean riss den Kopf nach oben. „Ja“, entfuhr es ihm rau. „Und wie du siehst war es wieder einmal ein Fehler …“

„Quatsch Dean“, konterte Bobby. Seine Gesichtszüge wurden weicher. „Es ist doch nicht deine Schuld gewesen. Du hast es doch selbst gesehen! … Es war die Kreatur … die uns hierher…“

Dean sah Bobby lächelnd an. „Ja, ein vermeintlicher Chubacabra, den ich unbedingt jagen wollte.“ Er schnaufte: „Egal wie rum wir es drehen oder wenden – es endet immer im Desaster!“ Dean presste die Lippen aufeinander und sah aus dem Fenster. Dann murmelte er: „Ich hätte Sammy niemals zurück zur Jagd holen dürfen. Als Student hatte er ein sicheres Leben - und …!“ Erneut sah er Bobby an. Ein merkwürdiges Zucken legte sich um seine Mundwinkel. „Mein Leben war auch einfacher.“ Mit den Handflächen schlug Dean auf den Tisch und zischte leise: „Ich kann diese Verantwortung nicht mehr tragen …!“ Nachdem Dean einen Blick auf Sam geworfen hatte, senkte er den Kopf: „Ich will sie nicht mehr tragen!“

„Dean!“ Bobby atmete tief ein. Glaubst du die Geschehnisse laufen anders wenn du nicht mehr bei Sam bist? Glaubst du wirklich das er dann in Sicherheit ist?“ Bobby konnte nicht glauben was da über Deans Lippen kam. „Man kann die Uhr nicht zurück drehen“, flüsterte er halblaut weiter: „Was geschehen ist- ist geschehen und das Böse kennt längst den Namen deines Bruders. Es ist deine verdammte Pflicht an seiner Seite zu bleiben. Nur mit deiner Hilfe wird er der Versuchung widerstehen können!“

Dean grinste bitter. Er sah rüber zum Bett und seufzte. „Wenn das da überhaupt noch Sammy ist!“
Bobbys Faustschlag traf ihn direkt am Kinn. Dass Dean mit seinem Stuhl nicht nach hinten kippte, verhinderte der harte Griff des alten Jägers. Er hatte ihn am Kragen der Lederjacke gepackt und zerrte ihn über den Tisch.

„Vielleicht … Dean“, fauchte Bobby atemlos, „vielleicht werden wir Sam eines Tages verlieren. Aber solange ich lebe wird dies bestimmt nicht aus Ignoranz geschehen.“
Bobbys Speichel klebte auf Dean Gesicht. Er stieß ihn von sich: „Du bist betrunken Dean! Geh … und schlaf deinen Rausch aus.“

*
Cambridge 1816

Die Nacht war unerträglich geworden. Eisiger Wind trieb Regen und Graupel durch die menschenleeren Gassen. Anna hatte, trotz klammer Finger und Raureif im Haar, beschlossen dem Einspänner durch Cambridges Straßenlabyrinth zu folgen. Zu rätselhaft waren ihr der hagere Kutscher und seine Fracht erschienen und so folgte sie im Schutze dichter Nebelbänke dem Scheppern der Eisenräder.
An einer weiteren Taverne angelangt, hörte sie Stimmengewirr von Männern, die sich vor dem schneidenden Wind zurückgezogen hatten. Es waren Hafenarbeiter. Durch die beschlagene Fensterscheibe konnte sie ihre, von schwerer Arbeit, gekrümmten Silhouetten am Kamin ausmachen. Nicht nur der beißende Gestank von Maschinenöl und fauligem Wasser verriet ihr die Nähe der Docks, sondern auch der immer schwerer werdende Nebel.
Anna selbst zitterte. Ihr armseliges Strohbett und ihr unbeheiztes Zimmer erschienen plötzlich wie Luxus, den sie nicht so leichtfertigt hätte aufgeben dürfen. Reglos blieb sie stehen und lauschte.
Hatte sie das Wiehern des Pferdes gehört? Sie folgte dem Schnaufen, bog in eine Seitengasse und erblickte den Karren. Der ausgemergelte Gaul warf den Kopf in die Höhe um sich Schneegraupel aus der Mähne zu schütteln. Hoch über ihm thronte der Kutscher auf seinem Bock. Er hatte den Hut noch tiefer ins Gesicht gezogen und ein aufgeschlagener Kragen schützte ihn vor Wind und Graupelschauer. Sorgsam mied er das Licht der Laternen und wartete im Schatten einer Toreinfahrt. Erst als eine Eichentür knarrte sprang er auf die Straße. Im nächsten Moment erkannte Anna einen weiteren Schatten. Dann löste sich die Gestalt eines Mannes aus dem Eingang. Langsam schob er sich an der Wand entlang und ging auf den Kutscher zu.
Anna drückte sich an die Hauswand. Ihr Herz pochte laut. Als der Wind an ihrem Rock zerrte, trug er auch Fetzten eines Gesprächs herüber.
< … ich hab doch … heute … Nacht … 20 Pfund >
Anna schlüpfte rasch in einen Durchgang und beobachtete von dort aus die Männer weiter.
Einer kehrte zum Haus zurück, der Andere stapfte die Gasse auf und ab. Er klopfte sich die Schultern um sich zu wärmen, hustete heftig, spuckte in die Gosse und kehrte zu seiner Kutsche zurück.
Als sein Kompagnon erneut erschien, gab es einen Streit. Doch schließlich schulterte der Kutscher seine Fracht. Nicht nur ein bleicher Arm rutschte aus dem verschlissenen Jutesack auf seinem Rücken. Auch ein Schwall langer roter Haare hatte sich befreit und wehte im eisigen Wind als beide Männer in der Einfahrt verschwanden.
Annas Augen weiteten sich vor Entsetzten: <Das unbekannte Mädchen!>, fuhr es ihr durch den Sinn. Sie presste beide Hände auf ihren Mund um einen Schrei zu unterdrücken.
Als Anna über die Straße rannte, wirbelte Schneestaub unter dem Saum ihres Rockes auf. Sie raffte das Nonnengewandt um schneller laufen zu können. Es war glatt, fast verlor sie den Halt und rutsche gegen den mageren Leib des Pferdes. Aufgeschreckt tänzelte es auf der Stelle. „Sch … sch … sch …“, flüsterte Anna atemlos und strich behutsam über das strubblige Fell des Tieres. Für einen Moment ergriff sie seine Zügel um es an der Flucht zu hindern.
Anna äugte im Schutz des Pferdes auf die Einfahrt. Als ein kleines Messingschild ihr offenbarte vor wessen Toren sie stand, wurde ein schleichender Verdacht grausame Gewissheit. „Gott steh uns bei“, flüsterte sie und bekreuzigte sich.
Der leise Schall eines einzigen Schrittes drang an ihr Ohr. Anna wirbelte herum. Sie konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, doch sie erkannte seine Statur, hörte seinen pfeifenden Atem und nahm einen vertrauten Geruch wahr. Angst raubte ihr die Stimme und Anna taumelte rückwärts …

Außer Kontrolle




Warum musste diese verdammte Jagd so ein beschissener Reinfall sein? Dean starrte auf den Tisch. Er wusste nicht mehr, was er von der Sache halten sollte. Dieses Ziehen in seiner Magengegend, das er immer bekam, wenn irgendetwas außer Kontrolle geriet, war weder durch den Whisky, noch durch die wenigen Stunden Schlaf danach gewichen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er Sam. Dieser hatte sich in seinem Bett aufgerichtet.
Auch ihm schien die ganze Sache an den Nerven zu zerren. Ohne Dean weiter zu beachten sah sich Sam um. Das Zimmer machte den Eindruck, als säßen sie schon seit Wochen in Cambridge fest. Angesichts der herumliegenden Kleider, die allesamt so verschmutzt oder blutig waren, dass man sie nur noch in den Müll werfen konnte, entwich ihm ein leises Stöhnen. Über einem Stuhl hing sein verkrustetes Hemd, über einem Anderen ein verschwitztes Shirt und eine Boxershorts. Er stolperte über ein Paar brettharte Socken als er zum Fenster ging. Glücklicherweise hatte Sam mittlerweile gelernt seine aufbrausenden Emotionen unter solchen Bedingungen herunter zu schrauben - also sah er hinaus und atmete einmal tief durch.
Auf der Straße trieb nicht nur eisiger Wind Graupelschauer vor sich her, auch Nebel verdichtete sich zu einem undurchdringlichen Gespinst und hüllte das Motel ein. Kein Licht drang von Draußen in das schäbige Zimmer, viel eher schien Dunkelheit, wie Teer langsam aber stetig durch die lecken Fenster zu sickern. Grübelnd schloss Sam die Augen. Es war als befände er sich in einem Traum.
Ein schmerzhafter Stich in seiner Brust folgte seinen Gedanken und erinnerte ihn an die knebelnde Situation, in der sie sich durch seinen Unfall befanden. Sam zog den Kopf in den Nacken: Was verband der Zusammenstoß mit dem seltsamen Flederwesen und den Morden in Cambridge - und warum zur Hölle musste er sich auch so trottelig verhalten und mitten im Kreuzfeuer dieser unheimlichen Kreatur herumstehen. Erneut fröstelte der junge Jäger. Sam fühlte sich unendlich müde – vor allem aber schuldig.

Dean hielt es nicht mehr aus: „Sam.“ Er rutschte unruhig auf einem Stuhl herum. „Willst du nicht mal die Kiste hochfahren und …?“
Langsam drehte sich Sam um. Er murmelte während er zum Tisch ging. „Also gut. Was haben wir denn?“ Zwischen zwei Atemzügen fasste er die Ereignisse zusammen: „Zwei Enthauptungen innerhalb von zwei Wochen an Professoren in Cambridge.“ Er sah Dean kurz an. „Momentan scheint der Täter allerdings zu pausieren.“
Wie immer, wenn Sam keine Antwort auf eine Frage wusste, stellte er sie seinem schlauen Begleiter. Sams Finger flogen über die Tasten seines Laptops. „Wir sollten mehr über die Geschichte von Harvard herausfinden.“ Er kräuselte die Stirn. „Dieses Glasgow Smilie des Professors…“, flüsterte er nach einer Weile, „…deutet auf einen Racheakt hin.“ Sein Blick schien von unendlich weit herzukommen, als er zuerst Dean ansah und dann Bobby, der inzwischen mit dem Frühstück zurückgekehrt war.

„Meinst du einen rachsüchtigen Geist?“ knurrte Dean, was Sam jedoch ignorierte: „Du hast doch selbst gesagt, dass es in den Kellergewölben spukten soll.“ Sam sah Dean verächtlich an als er weiter sprach. „Diese Anna, die mir zufällig ausgewichen ist, als ich gestern in der Bibliothek nach dir gesucht habe hat es dir doch gesteckt. Du solltest sie noch einmal vernehmen, anstatt ihr nachzurennen wie ein läufiger Hund, Dean.“
Zu Sams Überraschung klang Deans Stimme schärfer als üblich. „Was? Behauptest du etwa, dass Anna unser gesuchtes Monster ist?“
Zögernd knetete Sam seine Hände: „Das habe ich nicht gesagt. Aber vielleicht weiß sie mehr als sie zugibt.“ Kopfschüttelnd vertiefte er sich wieder in seine Recherche.

„Alles was über Harvard wissenswert ist, haben wir überprüft. Es gibt nichts Außergewöhnliches“, übernahm Bobby das Wort. Er stellte einige Papiertüten auf den Tisch und suchte nach einem Stuhl der noch eine Sitzgelegenheit bot, ohne dass der alte Jäger Berge von Bekleidungsstücken entfernen musste.

„Es gibt immer ein Geheimnis“, murmelte Sam.

*

Während des Frühstücks hatten sich die Jäger darauf geeinigt, getrennt nach Hinweisen zu suchen.
Sam, immer noch angeschlagen, blieb im Motel und übernahm die Recherche am Laptop. Bobby wollte dem Stadtarchiv einen Besuch abstatten, während sich Dean noch einmal auf den Weg zur Bibliothek machte. Dass es ihm immer noch nicht gelungen war Anna eine Telefonnummer oder ihre Adresse zu entlocken, nagte zusätzlich an seinem Ego.
Gedankenversunken starrte er auf die Fahrbahn. Für den Moment hatte es aufgehört zu regnen. Aber die Luft war mit starker Feuchtigkeit gefüllt und so wehten Dunstschwaden über schwarze Pflastersteine.
Dean befand sich in einem historischen Stadtviertel und fragte sich warum man diese uralten Häuser nicht abgerissen oder durch Neue ersetzt hatte. Nach einem kurzen Grinsen verwarf er den Gedanken, denn mit Sicherheit gab es unter ihnen Gebäude, welche Dinge gesehen hatten, die ein modernes Haus zu Staub zerfallen ließen. Seiner Erfahrung nach würde man in 8 von 10 dieser alten Kellergewölbe beim Abriss etwas Abscheuliches finden. Er selbst war schon oft genug in solchen Häusern auf Ziegelbögen und verschüttete Brunnen gestoßen, die ins Nirgendwo führten. Cambridge war alt und stand höchstwahrscheinlich auf einem Tunnelsystem, das vorchristlich war.
Auf dem vom trüben Licht erleuchteten Parkplatz vor der Bibliothek hielt Dean seinen Wagen an. Er ging geradewegs auf den Haupteingang zu. Als er die Tür öffnete, schlug ihm klimatisierte Luft entgegen. Die sterile Welt, mit Regalen die Überquollen von Büchern, war eine gänzlich Andere als seine. Es war Sams Welt. Warmes Licht brachte ungewohnte Helligkeit und es gab auch nicht mehr die Stille und Weite der Landstraße. Leises Stimmengewirr mischte sich unter trockenes Rascheln alter Seiten.
Die Bibliothekarin erkannte Dean und nickte ihm freundlich zu. Sofort nutzte der Jäger die Gunst der Stunde. Mit einem breiten Lächeln eilte er ihr entgegen. Dean registrierte zwar ihre nervösen Finger im Haar und ihre errötenden Wangen. Aber die junge Frau war nicht das Objekt seiner Begierde.

„Hallo“, säuselte er trotzdem oder aus alter Gewohnheit heraus mit rauchiger Stimme.

„Auch Hallo“, antworte sie.

Dean räusperte sich. „Wissen Sie, ich habe mich für heute mit einer Studienkollegin hier verabredet. Leider kenne ich nur ihren Vornamen.“ Die Enttäuschung in ihren Augen ignorierend, sprach Dean weiter. „Sie heißt Anna.“ Er beschrieb die Schwester mit wenigen Sätzen, wobei er sich darauf konzentrierte, nicht zu übereifrig ihre körperlichen Attribute darzustellen.

„Tut mir leid“, flüsterte die Bibliothekarin und sah zu Boden. Sie biss sich kurz auf die Lippen. „Ich kenne das Mädchen nicht.“

Dean machte kurzen Prozess. Rasch hob er die Schultern und erklärte: „Dann werde ich mich noch eine Weile umsehen. Vielleicht taucht sie ja noch auf.“

„Vielleicht“, murmelte die Schwester und blickte dem Jäger nach, als er in Richtung der Bücherregale schlenderte.

*
In der erdrückenden Stille, die sich über das Zimmer gelegt hatte, war das Klicken der Tastatur verräterisch laut. Ebenso das Summen des Kühlschrankes in der Kochnische.
Entmutigt schlug Sam das Cover seines Laptops zu. Die Internetrecherche verlief schleppend. Zuletzt hatte er wahllos Begriffe in die Suchmaschine eingegeben und sich durch mehrere paranormale Fanseiten geforstet. Die Foren und Blogs in denen selbsternannte Profis Ratschläge bei übernatürlichen Heimsuchungen gaben oder ihre Leser mit abenteuerlichen Berichten über Geisterjagten unterhielten, erstaunten ihn immer wieder.
Stöhnend massierte sich Sam die Schläfen und schloss seine Augen.
Bilder tauchten auf. Erinnerungen.
Sam sah eine junge Frau der man Schreckliches angetan hatte. Er konnte ihren anklagenden Blick und das Klappern von Pferdehufen nicht vergessen. In seiner letzten Vision hatte er auf ihren starren Körper herab gesehen.
Genau mit diesem Bild im Kopf stand Sam auf. Sein Ziel war die Dusche.
Im Bad öffnete er das Fenster und sah über den schweren, schwarzen Himmel hinweg auf einige Häuserdächer. Dann kippte er das Fenster an, damit der leichte Modergeruch entweichen konnte.
Sam fühlte sich unwohl. Er vermisste die Geräusche eines belebten Motelzimmers hinter der Tür. Stattdessen drangen andere Töne an sein Ohr. Es waren die Schreie dieser Frau. Sie hallten in seinem Kopf wider und er vermochte sie nicht abzustellen.
Langsam zog er sich aus. Erst als Sam in der Dusche stand und die heißen Strahlen auf seinen nackten Körper hämmerten, schloss er die Augen und genoss das Gefühl sich voll und ganz der Massage hingeben zu können. Sam presste seine Hände gegen das Gesicht, stand minutenlang still. Diese Bilder würden ihn verfolgen bis das Geheimnis gelüftet war, das wusste er.

„Was bin ich dir wert?“, wisperte eine Stimme hauchdünn.

Sam erstarrte für eine Sekunde. Dann griff er hastig zum Badetuch und schlang es um seine Hüften. Beim Verlassen der Duschkabine hatte er den Eindruck eine andere Welt zu betreten. Dunstwolken folgten ihm, verteilten sich im Bad und kristallisierten an der Fensterscheibe. Es war kalt geworden.

„Was bin ich dir wert?“ Die Stimme war jetzt genau hinter ihm.
Im Magen spürte Sam einen Druck. Gänsehaut bildete sich in seinem Nacken, als der Atem vor seinen Lippen gefror. Sam umklammerte das Badetuch und drehte langsam den Kopf. Wassertropfen perlten aus seinem Haar. Sie glitzerten auf seinen dunklen Wimpern und rannen ihm über die Schultern.

Vor ihm stand eine Frau. Langes blondes Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schultern. Dass sie vollkommen nackt vor Sam stand, schien sie nicht zu stören. Mit schmalen Fingern fuhr sie durch seine drei Tage alten Bartstoppeln und sah ihn mit großen unschuldigen Augen an. „Sam“, flüsterte sie. „Sag, was bin ich dir wert?“
Ihre Berührung war so hingebungsvoll, dass die Frage nach ihrem Namen und wie sie hier herein gekommen war auf Sams Zunge zerschmolz. Er war wie benommen.
Als könnte sie seine Gedanken erraten, flüsterte sie: „Anna, mein Name ist Anna – Sam!“
Sein Gesicht war noch feucht vom Wasser. Sein Innerstes war aufgewühlt <ANNA?> „Ich, ähm sorry aber ich glaube … Dean, er …sucht nach Ihnen…“, stotterte Sam. Er konnte nicht sagen was er fühlte, er konnte überhaupt nicht mehr klar denken. Nur ihr Flüstern hörte er wie eine seltsame Melodie und sah gebannt auf ihre weichen Lippen: „Die Geister vergessen nichts“, flüsterte sie. „Wir sind die Erinnerungen an unseren Leib! Sag, starker Mann. Was bin ich dir wert?“

Mit zittrigen Fingern strich Sam über ihren nackten Körper. Ein Lächeln zuckte um seine Lippen bevor er sie an sich riss und sie küsste. Die Zeit zerbrach in Stücke und Sams Vernunft entfloh dieser Welt. Verdrängte Wünsche waren plötzlich wieder da - die Sehnsucht einsame Nächte zu füllen und einem müde gewordenen Leben neue Hoffnung zu geben.
Mit einer fahrigen Bewegung griff er in ihr blondes Haar und drängte sie an die Wand.
Sie fasste entschlossen zu. Irgendwie machte die Kälte ihrer Finger diese Berührung noch erregender für ihn. Sam stöhnte auf als sie ihm das Badetuch von den Hüften riss. Er presste seinen erregten Körper gegen ihre bleiche Haut und schob fordernd ein Knie zwischen ihre Schenkel. Sam war so berauscht, dass er nicht die Leichtigkeit bemerkte, mit der sie ihn immer tiefer in sich aufnahm, ihn regelrecht verzehrte.

*

Regen prasselte wieder gegen die Autoscheiben und verlieh Deans Sicht auf die nass glänzende Fahrbahn eine verschleierte, trübe Nuance. Vereinzelt flimmerten Lichter hinter den milchigen Fenstern der alten Häuser, deren Dächer vom Zahn der Zeit angenagt, windschief in den Himmel ragten. Hier und da spie ein abscheulicher Gargoyle in den verwitterten Giebeln überschüssigen Novemberregen auf die Straße.
Dean seufzte leise. Er hatte nicht viel erreicht. Auf dem Rücksitz des Impalas lag ein verstaubter Ordner der ihm nach dreistündiger Suche in einem entlegenen Winkel der Bibliothek in die Hände gefallen war. Sein Inhalt konnte wohl nur Bobby entziffern, denn die brüchigen Seiten waren in engen Zeilen mit alter Schrift bedruckt. Dass es sich dabei um eine Chronik handelte, hatte Dean sofort erkannt. Folglich ließ er das Dokument heimlich unter seiner Jacke verschwinden.
Nach vergeblichem Warten auf Anna, beschloss Dean zum Motel zurückzukehren. Er hoffte darauf, dass Sam oder Bobby etwas herausgefunden hatten, dass den Fall so schnell wie möglich zum Abschluss brachte.
Seufzend schlug er die Wagentür zur und überquerte den Parkplatz in Richtung Motel. Es handelte sich um eine lange Bungalowreihe, mit so dünnen Wänden, dass man oft genug die peinlichen Geheimnisse des Nachbarn mitbekam. Unter einer Laterne über dem Eingang blieb er stehen und suchte in seiner Lederjacke nach dem Schlüssel. Dean zögerte kurz bevor er die Tür aufschloss. Auch wenn es ihm schwer fiel. Eine Entschuldigung war überfällig. Er hatte sich gestern wie ein Idiot benommen. Ein riesiger Idiot. So gereizt war er noch nie gewesen. Irgendetwas stimmte nicht, aber wenn sie weiter darüber schwiegen, würde die Anspannung ihre Gemüter so erhitzen dass sich noch gegenseitig umbrachten.
Dean fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Es war nicht Sams Schuld, dass sie hier festsaßen. Nein! Der Unfall wäre zu vermeiden gewesen, wenn er nicht so verdammt egoistisch darauf bestanden hätte in dieser stockdunklen Nacht zu jagen.
Leise schloss Dean die Tür hinter sich und legte den Schlüssel auf ein wurmstichiges Sideboard neben dem Eingang. Im Zimmer glomm nur eine Standlampe. Ihr schwaches Licht reichte nicht einmal bis an den Tisch, auf dem Sams Laptop stand.
„Sam?“, rief Dean leise als er den Tisch umrundete. Der Computer strahlte noch Wärme aus.
Auf dem Weg zur Kochnische vernahm Dean Geräusche im Bad. Er stutzte nur einen Moment lang und als er registriert hatte, dass die Dusche nicht lief, stieß er ohne zu zögern die Tür auf. In seinem letzten Fall musste er erkennen, dass auch in winzigen Motel-Bädern gelegentlich der Tod lauerte. Aber auf das, was Dean nun sah war er nicht vorbereitet.
Ein Schock ging durch seinen Körper. Seine Muskeln fühlten sich steif und kalt an, als lägen sie seit langer Zeit in Eis. „Was zum …?“
Seine Stimme drang kaum hörbar aus seiner Kehle, denn Trockenheit verklebten seine Stimmbänder. Angst schlug in Wut um – und dann in abgrundtiefen Hass. Deans Verstand wurde unter einem Berg aus Schmerz und Ekel begraben.

Durch das Scheppern der Tür waren ihre Körper auseinandergefahren. Doch bevor Sam irgendwelche Entschuldigungen hervor stottern konnte, schlug Dean die Tür wieder zu.
Keuchend lehnte er nun an der Zimmerwand. Er starrte auf Sams Laptop und hatte das Gefühl die gesamte Einrichtung zertrümmern zu müssen.

Fatal




Das Auftauchen der Jäger hatte Anna beunruhigt. Ihre Manen* würden sie nicht antasten, denn sie hatten keine Schuld auf sich geladen. Diese Tatsache schützte die Jäger nicht nur, sondern sie verlieh ihnen die Macht ihr Werk zu zerstören noch bevor sie es beendet hatte. Auf keinen Fall durfte Anna das zulassen, denn ihr Hunger nach Rache war als einziges Gefühl übrig geblieben. Um sich dieses letzte, menschliche Gefühl zu bewahren, gab Anna ihre Menschlichkeit auf.

Die meisten Menschen sahen nur das was sie sehen wollten - was sie zu sehen wünschten. Ihre Blindheit wuchs proportional mit ihrer Sehnsucht. Das wusste Anna aus eigener Erfahrung.
Sam und Dean waren Brüder, die nichts weiter besaßen als ihre Liebe zueinander - und daraus schöpften sie ihre Kraft. Aber sie hatten den gleichen müden Blick - einen Blick den man bekam, wenn die Seele langsam unter schwerer Last zerbrach. Ihre Sehnsüchte verbargen sie hinter dem Gesicht eines Pokerspielers, bestens darin geübt nie alle Karten auf den Tisch zu legen. Ihre Stärke war Verzweiflung – ihr Mut war Einsamkeit. Sie waren wie alle Menschen leicht zu manipulieren, so primitiv in ihren Gedanken und ihr Fleisch war schwach, weil sie sich nach Wärme sehnten.

Anna hatte sie durchschaut. Es bedurfte nur einer simplen Illusion um diese Liebe zu zerstören.
Mit einem triumphierenden, wenn auch kaum hörbaren Lachen auf ihren kühlen Lippen beobachtete sie Sam. Die Anwesenheit seines Bruders hatte den Bann gebrochen. Nun schien er wie aus einer Trance erwacht, und wurde sich der Tragweite seines Handelns bewusst. Wortlos drehte er Anna den Rücken zu. Braune Strähnen vibrierten auf seinen Schultern, als er seine Stirn gegen die Tür presste.
Fast tat er ihr leid.
Noch einmal betrachtete sie den Jäger. Er war schön, so verletzlich und sensibel. Jetzt stand er hilflos vor der Tür und wagte es nicht sie zu öffnen. Immer wieder flüsterte er Deans Namen.
Sam hatte längst vergessen, dass sie hinter ihm stand.
Als er sich endlich durch die einen Spalt weit geöffnete Tür schob, um etwas zu erklären, wofür es keine Erklärung gab, um zu retten was verloren war, seufzte Anna leise: „Ich kam, um mit den Schafen zu spielen, ein blutiges Spiel, und siehe, ich fand Wölfe unter ihnen.“

Und sie waren Wölfe, denn wie Raubtiere gingen sie aufeinander los als die Tür ins Schloss fiel.

Anna verblasste wie eine Erinnerung und im gleichen Moment erhoben sich, verborgen unter den Stadtmauern, die Sünden von Cambridge. Aus jedem Winkel kamen sie gekrochen, vereinten sich zu einem mächtigen Körper, formten immer neue Leiber und zerfielen wieder. Nur ein rhythmischer Tritt blieb – mächtig wie der eines Titanen, der immer näher kam. Sie wuchsen zu enormer Größe und welche Gestalt sie annahmen war ihnen egal.

*** *** ***

Fünf Uhr nachmittags raste der Impala durch die menschenleeren Gassen von Cambridge. Er trug seinen einsamen Fahrer in Richtung Norden. Still war es auch im Wageninneren. Kein Rock der 80ziger Jahre dröhnte aus den Lautsprechern und ließ die ausgeleierten Federn in den Sitzen vibrieren. Es gab weder Diskussionen noch das leise Schnaufen eines eingeschlafenen Begleiters. Auf dem Rücksitz verteilten sich wenige Habseligkeiten. Einige Bekleidungsstücke, darunter mischten sich eine Beretta, ein Dolch und das Tagebuch eines toten Jägers – alles in Eile zusammengerafft.

Dean starrte mit ausdrucklosen Augen auf die Fahrbahn. Er hatte das Lenkrad fest umgriffen. Gegen den blutroten Sonnenuntergang zeichnete sich hinter dem Ortsschild ein liegengebliebener Truck am Straßenrand ab. Seine Türen standen offen. Nebel hing in der Fahrerkabine wie schwerer Rauch. Im Vorbeifahren vergewisserte sich Dean mit einem kurzen Blick, dass kein Mensch Schaden genommen hatte und konzentrierte sich wieder auf die Fahrt. Für zwei Sekunden wurde der Impala von Nebel umhüllt. Als er wieder auftauchte zog er blasse Dunstfetzen hinter sich her. Schneidender Wind riss an den letzten Blättern einiger Buchenkrüppel und trieb einen Hauch Schnee über die Fahrbahn. Er schmolz sobald er den Boden berührte.
Dean betastete sein Gesicht. Die Oberlippe war geschwollen und einige Zähne saßen locker. Über seiner linken Augenbraue klaffte eine Platzwunde. Herabgesickertes Blut trocknete langsam an seinem Hals. Dean unterdrückte ein Stöhnen und trat aufs Gas. In spätestens zwei Stunden würden seine Augen derart zugeschwollen sein, dass er gezwungen war die Fahrt abzubrechen.
Als er die Hände zornig auf das Lenkrad schlug, zuckte er zusammen. Rippenprellungen würden ihn mehrere Nächte lang den Schlaf rauben.
Sam hatte seine Fausthiebe lange ohne sich zu wehren eingesteckt, aber irgendwann hatte er doch zurückgeschlagen.

Dean stutzte als erneut ein Ortsschild vorbeirauschte. Am Straßenrand erschien der liegengebliebene Truck. „Was zum …“, murmelte er und sah sich kurz über die Schulter. Dann steuerte er den Wagen mit Vollgas in eine Nebelbank. Aufbrausender Wind verwirbelte letzte Schwaden und zu Deans Entsetzten holperte der Impala wieder über das Kopfsteinpflaster von Cambridge.

Schlagartig trat er auf die Bremse. Räder quietschten. Regenwasser peitschte hoch. Der Impala geriet ins Schlingern und rammte einige Mülltonnen. Nur mit Mühe gelang es Dean den Zusammenstoß mit einer Straßenlaterne zu verhindern.

Fluchend stieg der Jäger aus. „Verdammt!“
Er schlug die Wagentür zu. Der Wind hatte sich schlagartig gelegt. Halbverfallene Fassaden mit hässlichen Wasserspeiern an ihren Dächern ragten rechts und links der Gasse in den Himmel. Irgendwo kreischte eine Katze und aus einem Gully waberte Dunst. Die Laterne, unter der Dean stand, flimmerte.
Mit aufgerissenen Augen erfasste er jenseits des Lichtkegels eine Gestalt, die eben vom Giebel einer viktorianischen Villa zu ihm herunter gekrochen kam. Wie ein Gecko klebte sie am Mauerwerk und schob sich langsam, kopfüber weiter.
Reflexartig riss Dean die Hände hoch um das Wesen davon abzuhalten ihn zu packen. Aber mit seinen knochigen Fingern langte es herunter und zerrte ihn an sich …

*** *** ***

„Scheiße Sam! Was ist denn passiert?“

„Bobby... Würde es dir was ausmachen, nicht so zu schreien?“ Mit zusammengepressten Zähnen wandte Sam den Kopf nur minimal. Jede unbedachte Bewegung wurde mit einem heftigen Stich hinter der Stirn, der seine Umgebung zu nebligen Schlieren verschwimmen ließ, bestraft.

Bobby musterte das verwüstete Zimmer. Rasch warf er einige Kopien zu einem vergilbten Ordner auf das Sideboard, schlug die Tür zu und eilte zu Sam.
Der junge Jäger drohte jeden Moment vom Bett zu stürzen. „Sam?“ Mit dem Finger schnippend, versuchte Bobby Sams Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Wir haben uns gestritten“, druckste Sam herum. Er vermied es Bobby anzusehen.

„Du … und Dean?“ Bobby zog kurz die Stirn in Falten. „Das war aber heftig“, murmelte er und betrachtete geronnenes Blut an Sams Haaransatz. Widerwillig zog Sam seinen Kopf zurück. Er stöhnte auf und hielt sich die Rippen. Das nachhaltige Summen harter Tritte gegen seine Magengrube verursachte Übelkeit.
Bobby musterte Sam. Seine Lippe war aufgeplatzt. Sams linkem Auge sah er an, dass es bald zugeschwollen sein würde. Bobby presste eine Packung Eis darauf und seufzte. „Um was ging es?“
Mit einer geradezu hilflosen Geste hob Sam die Schultern. „Es ist alles meine Schuld. Ich weiß ja auch nicht, was mich geritten hat.“

Erstaunt hob Bobby die Brauen.

„Es ging um Anna …“, murmelte Sam verlegen.

„Ihr habt euch wegen der Krankenschwester geprügelt?“, Bobby traute seinen Ohren kaum. „Andere Probleme habt ihr wohl nicht?“

„Ich … ich habe… - Scheiße Bobby“, keuchte Sam auf. „Sie hat mich …“ Als hätte ihn etwas gebissen sprang er auf und torkelte zur Küchenzeile. „Sie ist ein Geist, ein Succubus**, eine Sirene oder so was“, fauchte er und spuckte Blut in die Spüle.

„Was hast du getan Sam?“, wollte Bobby wissen. Der Jäger neigte den Kopf. Seine Schultern bebten.
Bobby hob die Hände und seufzte. „Okay…!“ Jetzt verzichtete er lieber auf die Einzelheiten. „Und ihr habt nicht bemerkt, dass sie ein Geist war?“, fragte er entrüstet und fügte hinzu: „Selbst jetzt liegt der Ozongeruch noch in der Luft.“

Sam seufzte. „Sie war wunderschön, ich … ich konnte ihr… irgendwie nicht widerstehen.“ Er raufte sich die Haare. „Verdammt, ich wusste doch, dass sie ein Geist war!“

„Na klasse“, der Alte sank auf das Bett: „Sie war eine Femme fatale. Diese verhängnisvollen Frauen sind besonders attraktiv. Eine Femme fatale bindet Männer erotisch an sich, manipuliert sie aber auch. Sie untergräbt ihre Moral und stürzt sie so ins Unglück.“ Bobby schnaufte. „Verdammt wie könnt ihr euch nur wegen …“ Ohne den letzten Satz sinnvoll beenden zu können, schüttelte er den Kopf. Das war jenseits von allem Nachvollziehbaren. „Wo ist Dean?“, fragte Bobby schließlich. „Sieht der auch so beschissen aus wie du?“

„Dean ist gegangen“, antwortete Sam rau. Er drehte sich zum Alten um und schwieg so beharrlich, dass es schon bedrohlich wirkte.
Bobby starrte Sam einige Augenblicke mit ausdrucksloser Miene an, bevor es aus ihm herausbrach: „Und wie zum Henker willst du das jetzt regeln Sam?“ Er riss seine Hände in die Höhe schrie. „Ihr seid Idioten.“

Langsam kam Sam aus der Küchenzeile zurück. Er setzte sich Bobby gegenüber auf das Bett. „Ich verstehe das nicht“, murmelte er und sah zu Boden: „Eine Femme fatal handelt doch aus Rache! Warum sollte sie gegen uns Groll haben?“

Bobby atmete zischend durch die Zähne. „Das ist doch offensichtlich Sam! Sie wollte euch gegeneinander aufhetzen.“

Sam knetete nervös seine Hände. „Aber das passt doch nicht zum Fall!“ Er hob den Kopf. „Könnte es sein, dass sich die Professoren gegenseitig umbrachten?“ Nach einem leisen Stöhnen sprach er weiter: „Außerdem deutete dieses Glasgow Smile, bei den Opfern darauf hin, dass etwas verschwiegen werden sollte.“

„Nun, dazu habe ich was im Stadtarchiv gefunden“, antwortete Bobby. Er stand auf und ging zum Sideboardt. Als er seine Kopien in die Hand nahm, fiel ihm der vergilbte Ordner auf. Neugierig nahm er das Dokument in die Hand: „Vom wem ist das?“

„Ich glaube Dean hat das Dokument aus der Bibliothek mitgebracht und dorthin gelegt als ich im Bad …“

„Das will ich nicht hören“, warf der Alte schnell ein. Er ergriff auch diesen Ordner und stapfte zum Tisch. „Das waren übrigens nicht die ersten Morde“, schnaufte er, als er sich setzte. „Vor vier Jahren wurde schon mal ein Medizinstudent ermordet. Er war übrigens ein Enkel von Graffney und außerdem Mitglied des Board of Overseers.“ Bobby blätterte zwischen den Zeitungskopien. „Es hieß damals, er hätte einem hiesigen Reporter angedeutet, bei der nächsten Versammlung des Board einen Skandal aufzudecken.“

Neugierig erhob sich Sam. „Das ist interessant!“ Er lugte über die Schulter des alten Jägers. „Ein vertuschter Skandal und abgetrennte Köpfe mit einem Glasgow Smile – das passt“, murmelte er und atmete stockend ein. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich die Seite.

Skeptisch sah ihn Bobby an. „Hat er dir ne Rippe gebrochen?“

Sam schüttelte hastig den Kopf: „Nein!“ Er räusperte sich und zeigte auf den Artikel: „Das sieht mir aber ehr nach einer Verschwörung aus.“

Bobby neigte den Kopf: „Und was ist mit dieser … Anna“, fragte er leise.

Seufzend umrundete Sam den Tisch und ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen. Er griff nach dem Dokument aus der Bibliothek: „Das sollten wir herausfinden!“ Seine Stirn kräuselte sich als er einige Seiten umgeschlagen hatte. „Das ist eine verdammt lange Liste. Da stehen Namen und Zahlen. Die gehen zurück bis ins Jahr 1816!“

Bobby hob interessiert den Kopf. „Wann war der letzte Eintrag?“

Sam blätterte rasch zurück: „Im Frühjahr 2007“, antwortete er und schob dem Alten das Dokument entgegen.

„Na, wenn das mal kein Zufall ist“, brummte Bobby und tippte mit dem Zeigefinger auf die Überschrift eines Zeitungartikels:

*** BRIAN GRAFFNEY,
HOCHKARÄTIGES MITGLIED DES BOARD OF OVERSEERS
ERMORDET ***


„Von wann ist die Zeitung“, fragte Sam.

„April 2007“

*

Sam stand auf und ging zum Fenster. Seufzend schob er die Gardine zur Seite und starrte auf den leeren Parkplatz. Die Laternen spendeten nur wenig Licht. Frisch aufgezogene Wolkentürme verbargen den Mond und die Oberflächen der Pfützen vibrierten unter winzigen Regentropfen. Schwerer Dunst waberte aus allen Gullys und bildete Reif nachdem er zu Boden gesunken war. „Es wird kalt werden heute Nacht“, murmelte Sam besorgt.

Bobby beobachtete ihn. Ein Lächeln zuckte in seinem bärtigen Gesicht. „Er wird zurückkommen Sam.“

Sam drehte sich um. Das Licht der Deckenlampe spiegelte sich in seinen feuchten Augen. „Ich habe ihn sehr verletzt, Bobby!“ Schuldbewusst glitt sein Blick nach unten.

Bobby streckte sich ausgiebig auf seinem Stuhl. „Na ja, möglicherweise wird er dich nochmal verprügeln“, er hob die Brauen, „was du wahrscheinlich auch verdient hast Sam - aber ich denke im Moment besäuft sich Dean in irgendeiner Bar.“ Bobby erhob sich, ging auf Sam zu und legte eine Hand auf seine Schulter. „Dean ist kein Einzelkämpfer, genau wie du. Glaub mir – er kommt wieder.“

*** *** ***

Staub und Trockenheit verklebten seine Stimmbänder. Selbst seine Augenlider öffneten sich nur zäh und widerwillig. Der Boden unter ihm war beweglich wie loses Geröll und genauso so hart. Als Dean den Blick auf ein vergittertes Fenster über sich richtete, schmerzten seine Augen. Er sah keinen Himmel, keine Laterne und keine Gasse. Lediglich ein schemenhaftes Licht hoch über ihm bot seinen Augen ein Ziel, erreichte aber nicht den Grund.
„Verdammt“, stöhnte Dean und unterdrückte einen Schrei als er sich auf den Bauch drehte. Stechende Schmerzen durchströmten sein linkes Bein. Mit verzerrtem Gesicht versuchte er zu kriechen. Seinen Finger wühlten sich durch Hindernisse, bis sich das klingelnde Gewirr unter ihm derart verdichtet hatte, dass ein Weiterkommen unmöglich wurde.
Dean hatte kein Gespür für die Größe des Raumes in dem er sich befand und sank erschöpft auf den knirschenden Untergrund. Neben dem eigenen, keuchenden Atem, der aus der Dunkelheit widerhallte, hörte er ein leises unermüdliches Kratzen und Schaben. Vermutlich kam es aus den Wänden.

„Verdammt ich werde hier nicht sterben“, fluchte er und fischte sein Feuerzeug aus der Jackentasche. Vor Feuchtigkeit glänzendes Gemäuer war das erste, das er sah. Keine Tür, kein Tunnel oder Durchbruch versprachen die Möglichkeit eines Entkommens. Dean befand sich in einem kreisrunden Schacht von etwa 4 Quadratmetern Durchmesser. Trübes Wasser plätscherte aus den Fugen und versickerte im Boden.
Im flackenden Schein des Feuerzeuges betrachtete er sein Bein. Ein bleicher Ast hatte sich durch seinen Oberschenkel gebohrt. Die scharfkantige Spitze war direkt durchs Fleisch gedrungen und ragte auf der anderen Seite, wie ein Stoßzahn wieder heraus. Blut und Dreck verkrusteten die Wunde.
Mit zitternden Fingern umgriff Dean den Fremdkörper und zog daran. Ihm wurde speiübel. Einen Schrei ausstoßend ließ er los und sank keuchend zurück in das Gewirr auf dem er lag.
Langsam schwenkte er das Feuerzeug. Ein weiterer Schrei wollte in seiner Kehle explodieren, aber blankes Entsetzten würgte den Ton ab.
Unter ihm befand sich kein Geröll oder Wurzeln, wie er vermutet hatte. Dean lag inmitten von menschlichen Gebeinen. Blanke Schädel, zerschmetterte Rippen, klirrende Wirbel und angenagte Beckenknochen umgaben ihn. Es mussten hunderte von menschlichen Skeletten sein. Vermutlich ein Schienbeinknochen, Dean konnte das Bruchstück nicht genau erkennen, hatte sich beim Sturz in dieses Verlies durch seinen Oberschenkel gebohrt.
Mit hetzendem Atem sah Dean nach oben. Das vergitterte Fenster bot die einzige Chance. Während sich sein Geist in einem Strudel von Furcht und Hoffnung befand, ruhten seine Augen auf dem schwachen Licht in 6 Meter Höhe. Er begann panisch zu strampeln, während ihm der reißendende Schmerz in seinem Bein langsam das Bewusstsein raubte …


Anmerkungen des Autors:

Manen*
Geister der Toten, auch einige Umweltgeister. Sie sind den Menschen meistens feindlich gesinnt und wurden daher mit verschiedensten Opfern und Riten milde gestimmt. Je nach Region wurden sie auch mit verstorbenen Vorfahren gleichgesetzt, die aus der Unterwelt aufstiegen und angemessene Sühneopfer erwarteten.

Succubus**
Weiblicher Alb (Elf), ein Albträume verursachender nachtaktiver Dämon, manchmal auch ein Waldgeist, Sylvan.
Das männliche Gegenstück wird Incubus genannt.
Die älteste Erwähnung von Dämonen dieser Art stammt aus Mesopotamien in denen diese Dämonen, die Menschen im Schlaf in Form von erotischen Träumen heimsuchten.
Sie ernähren sich von der Lebensenergie dieser Menschen, mit denen sie sich nachts paaren. Wenn sich ein Incubus oder Succubus mit einem Menschen paart, wacht dieser während des Aktes nicht auf und kann sich höchstens in Form eines Traumes an den nächtlichen Besuch erinnern.

Alles was zählt




Gemeinsam mit Bobby hatte Sam alles über Harvard zusammengetragen, bevor der alte Jäger in sein Zimmer gegangen war, um ein wenig zu schlafen. Nun saß Sam im flimmernden Schein des Laptops, zwischen ausgebreiteten Zeitungsausschnitten, Listen und Berichten. Selbst die Dielen, des schmucklosen Zimmers waren mit losen Blättern übersät. Das unermüdliche Klicken der Tastatur unter seinen Fingern wurde gelegentlich vom Knarzen des Stuhles unterbrochen wenn Sam den Rücken durchstreckte oder nach einem Pott Kaffee griff.
Im Grunde war es Sam gewöhnt nächtelang allein im Motelzimmer zu arbeiten, denn Dean vergaß bei seiner gelegentlichen Flucht aus dem Jägeralltag oft die Zeit in einer Bar. Sam mochte diese Stunden des Alleinseins. Sie verschafften ihm Abstand und er konnte seinen Gedanken nachhängen.
Er legte den Kugelschreiber weg, sah auf das Papier, hob den Kugelschreiber wieder auf und kritzelte noch ein paar Notizen. Die Arbeit war ihm in den letzten Stunden prächtig von der Hand gegangen. Harvards Geschichte erwies sich blutrünstiger und grausamer als ein Horror-Roman und Sam wurde langsam klar, dass er einer Tragödie auf der Spur war. Noch sah er sich der Herausforderung gegenüber gestellt alle Puzzleteile zusammen zu fügen. Der Schlüssel zum Geheimnis steckte in der dubiosen Liste, welche Dean in der Bibliothek gefunden hatte.
– DEAN –
Fast unbewusst glitt Sams Blick auf die Uhr. Es war 3:15 Uhr und allmählich beschlich dem jungen Jäger ein ungutes Gefühl. Hatte ihn sein Bruder wirklich verlassen?
Nur wenige Dinge spielten in Sams Leben eine so wichtige Rolle wie Dean. Schnaufend warf er den Kugelschreiber auf den Tisch und ging zu Fenster. Beim Anblick des verwaisten Parkplatzes nagte er an seiner Unterlippe. LIEBE – dieses Gefühl verlieh seinem Handeln Sinn und konnte gleichwohl den sinnlosesten Schaden anrichten. In ihrer beider Beziehung war sie die größte Verbündete. Weigerte sie sich aber zu lügen, dann wurde sie auch zu einem gemeinen Verräter.
Als Sam sich wieder dem Zimmer zuwandte, lies er in der Hoffnung das Scheinwerferlicht des Impalas würden bald den Raum fluten, die Vorhänge offen.
Müde schleppte er sich ins Bad. Sein Körper schmerzte bei jedem Schritt. Die Haut rund um sein Auge fühlte sich zum Zerreißen gespannt an. Sam betrachtete sich nur flüchtig im Spiegel. Sein linkes Jochbein schien in allen Farben des Regenbogens gefärbt. Dunkelblaue, beinahe schwarze Flecken faserten zur Schläfe hin in gelbgrüne Schlieren aus. Selbst seine Nase schien ein halber Bluterguss zu sein. Nachdenklich drückte er sich ein Eis-Paket auf die linke Gesichtshälfte. Wenn Dean nur halb so schlimm aussah wie er, konnte er doch unmöglich die Stadt verlassen haben.

*** *** ***

Ein schabendes Geräusch an seinem linken Ohr schreckte Dean auf. Als er die Augen wieder öffnete war auch das spärliche Licht über ihm erloschen. Wahrscheinlich war es bereits Nacht. Vorsichtig bewegte sich der Jäger, unterließ aber den Versuch mit verzerrtem Gesicht, als das Pochen in seinem Oberschenkel zum reißenden Schmerz wurde. Ihm kam der Gedanke, dass es besser war das Knochenfragment in seinem Fleisch zu belassen – auch wenn die Vorstellung ihm Übelkeit verursachte, würde es verhindern, dass er verblutete.
Dean seufzte.
Wie konnte er nur so dumm gewesen sein. Jetzt als er sich irgendwo im Nirgendwo befand, schienen seine Gedanken wieder klarer zu werden. Die Wut verpuffte und Dean hatte das Gefühl aus einem Rausch zu erwachen. Diese Erkenntnis war erschreckend. Was war er nur für ein miserabler Jäger, einer Sirene auf den Leim zu gehen. Ja – eine Sirene … vielleicht auch ein Succubus, das musste Anna sein, denn niemals hatten sie sich wegen einer Frau gestritten.
Seine Flucht endete also im Desaster und wenn nicht ein Herumtreiber vorbeikam, würde er wohl die ganze Nacht, wenn nicht länger hier festsitzen. Sam hatte zum Schluss recht behalten. Offensichtlich war es ihnen beiden nicht gestattet Cambridge zu verlassen.
„Klugscheißer“, murmelte Dean und lächelte bitter. Es tat ihm leid so ausgerastet zu sein. Nicht weil ihm sein unüberlegtes Handeln in diese peinliche Situation gebracht hatte, sondern weil er, wie schon so oft, vor einer Konfrontation mit Sam geflohen war. Viel hätte Dean jetzt für sein Handy gegeben. Leider war es ihm beim Sturz aus der Tasche gefallen und zerbrochen. Abgesehen von der Tatsache, dass es unmöglich war in dieser grabesgleichen Dunkelheit alle Einzelteile zu finden, war es Dean zuwider zwischen den Gebeinen danach zu suchen.
Die Luft war inzwischen kalt geworden, doch darum kümmerte sich Dean nicht. Er musste jetzt einen klaren Kopf behalten, die richtigen Entscheidungen treffen und gewappnet sein, sollte dieses … Ding zurückkehren. Sicher würde Sam nach ihm suchen. Bis dahin galt es zu überleben.
Dean zündete sein Feuerzeug. Er würde es nur so lange wie nötig brennen lassen - nur so lange bis er sein Bein versorgt hatte. Es gab ohnehin nichts außer Berge von bleichen Knochen zu sehen.
Vorsichtig klemmte er das Feuerzeug zwischen die Rippen eines Brustkorbes ganz in seiner Nähe und begann seinen Gürtel zu öffnen. Jede Bewegung rang ihm ein leises Stöhnen ab. Als er den Gürtel durch die Schlaufen seiner Jeans zerrte, entwich ihm, trotz aller Mühe sich zusammenzureißen, ein Schrei. Vorsichtig legte er den Gürtel um seinen Oberschenkel und zog die Schlaufe fester. Er klemmte sich die Brieftasche zwischen die Zähne um nicht erneut zu schreien.
Schließlich sank er zurück und löschte das Feuerzeug. Seine Ohren wurden erfüllt von fremdartigen Geräuschen, leisem Schaben und schrillen Pfiffen.

*** *** ***

Seit zwei Stunden lag Sam wach und beobachtete wie schwarzer Regen gegen die Scheibe prasselte. Das monotone Trommeln war jedoch nicht der Grund für seine Unruhe. Dean war nicht nach Hause gekommen.
Nach Hause! Was für ein Unsinn! Sams Gedanken drehten sich im Kreis. So etwas existierte nicht im Leben eines Jägers. Jäger wie sie, lebten in Extremen, waren Außenseiter und Einzelgänger – aber dennoch voller Sehnsucht nach einem Zuhause.
Knurrend warf sich Sam auf die andere Seite. Das Bett knarrte. Ein Blick auf die leuchtenden Ziffern einer Wanduhr verriet ihm, dass bald die Sonne aufgehen würde.
Sie hatten kein Zuhause – sie hatten nur sich. Wahrscheinlich mussten sie sich erst zu Tode sorgen um diese Kostbarkeit schätzen zu können. Vielleicht war es notwendig immer wieder eine schmerzhafte Trennung zu erleben um voller Hoffnung auf ein nächstes Mal zu sein, nicht gelähmt, sondern inspiriert und von neuer Kraft…

Ein leichter Luftzug streichelte seinen Nacken, als hätte jemand eine Tür geöffnet.
Schlagartig richtete sich Sam auf. Zwei Scheinwerfer fluteten das trostlose Zimmer und zogen seine Aufmerksamkeit auf das Fenster. Hinter der Scheibe schlingerten vereinzelte Nebelfetzten über den nass glänzenden Asphalt. Aber kein Impala rollte auf den Parkplatz. Nur die kahlen Bäume und Sträucher an seinem Rande bewegten sich im Wind. Allerdings erfüllte, irgendeine fremde, in diesem Moment zum Vorschein tretende Resonanz Sams Innerstes. Sekunden spalteten sich zu Bruchteilen, die den Müßiggang seiner Gedanken aufwirbelten.
Sam bemerkte wie sich ein feuchter Film über seine Haut legte. In verkrampfter Haltung zwang er sich ruhig zu bleiben. Während Schweißperlen seine Haut kitzelten wurde sein Körper trotz der Hitze unter der Bettdecke kalt. In Sams wachsamen und weit aufgerissenen Augen spiegelte sich nur das Licht einer Nachttischlampe im sonst pechschwarzen Zimmer.
Sam hörte ein leises Röcheln ganz dicht an seinem Ohr und ein weiterer Luftzug ließ sein Haar vibrieren. Gleichzeitig schlich eine unerklärliche Trägheit in ihm hoch, er fühlte sich wie mit Blei ausgegossen. Seine Bettdecke wurde immer schwerer und in diesem Moment wurde ihm bewusst wie schutzlos er ohne Dean war.

Irgendjemand war in das Zimmer eingedrungen.
Die Gestalt tauchte am Fußende seines Bettes auf. Es war nur ein Schemen. Kopf und Rumpf verschmolzen zu einem Geschöpf ähnlich einer schwarzen Eule, ein Schatten – weiter nichts.
„Warum hast du mich verletzt und warum hältst du mich hier fest?“ keuchte Sam. Er erkannte keinen Mund, nur kreisrunde Augen starrten auf ihn herab. Wie Scheinwerfer stießen sie mit grellen Farben in seinen Verstand: „Sag mir deinen Namen, Jäger.“


Es rumpelte, als Sam aus dem Bett stürzte und auf den Boden schlug. Verwirrt rieb er sich die Augen. Hatte er geträumt? Die Luft entwich mit einem Pfeifen seinen Lungen und ein unerklärlicher Schmerz schwoll an als er aufstehen wollte. Einer schwarzen Woge gleich überrollte er Sam, zwang ihn gnadenlos in die Knie.
Sam keuchte, röchelte und kauerte auf dem Boden. Blut lief aus einer neuen Platzwunde an seiner Stirn und ihn überkam ein Verdacht der seinen Puls verdoppelte und zu viel Blut durch seinen Körper pumpte. Obwohl Sam die Luft dafür fehlte, riss er den Kopf in den Nacken und schrie auf, denn er spürte einen weiteren Stich im Oberschenkel, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, das Pochen einer aufgeplatzten Lippe, Schürfwunden an Knien und Fingerknöcheln. Sams Körper rebellierte. Er fühlte sich, als ritten die Dämonen der Hölle einen Tanz mit ihm. Langsam robbte er in Richtung Bad und versuchte dabei die Schmerzen zu ignorieren.


*** *** ***

Als Dean wieder zu sich kam, war er sich seines Wachzustandes nicht bewusst. Finsternis umgab ihn. Eine Stunde lag er mit aufgerissenen Augen da, bevor er bemerkte, dass sie offen waren. Nur allmählich gewöhnte er sich an die Dunkelheit und erinnerte sich daran in einem Schacht gefangen zu sein. Er befand an einem Ort, den er weder lokalisieren noch identifizieren konnte und die Zeit rauschte an ihm vorbei während er schlief. Es dauerte noch eine Weile bis es Dean möglich wurde, die getrocknete Schicht Speichel aufzubrechen, die seine Lippen verklebte. Er keuchte auf. Irgendwie gelang es ihm nicht zu schreien. <Blos keine hysterischen Ausbrüche>, dachte er.
Am liebsten wollte er wieder einschlafen – aber er musste über diese bizarre Situation nachdenken solange er noch klar denken konnte. Sein Verstand versuchte das Thema von sich zu schieben. Er würde niemals jemanden davon erzählen, sollte er hier heraus kommen und er wusste, er würde versuchen sich selbst zu belügen – aber er wusste auch, dass ihm dies nicht gelingen würde. Wut und Verzweiflung brandeten wieder heran und erweckten das dumpfe Pochen in seinem Bein. Dean fühlte sich so elend. Die Luft war muffig und trocknete einige Tränen, die ihm plötzlich in die Augen schossen. Das Einzige was er hören konnte waren dieses Kratzen, Trippeln und Schürfen in den Wänden- und das Klappern seiner eigenen Zähne. Er schlotterte wie ein verängstigtes Kind.

Stunden vergingen und mit dem Fieber kamen auch Übelkeit, Durst und Angst. Dean konnte die Dunkelheit nicht länger ertragen. Er stützte sich auf einen Ellenbogen und tastete nach dem Feuerzeug in seiner Tasche. Einen Augenblick später, als er einen flüchtigen Blick zur Seite warf, sah er ein paar runde nachtschwarze Augen im flackernden Licht. Etwas entfernt von ihm hockte ein kleines Wesen. Es war nur ein Schemen – roh und skizzenhaft. Grau in Grau verschmolz es mit den tanzenden Schatten in seinem Gefängniss.
Verwirrt kniff Dean die Augen zusammen. „Verschwinde“, krächzte er, „du lächerliches, bescheuertes kleines Ding!“ Er wischte unkontrolliert mit der Hand in die Richtung als wollte er eine lästige Fliege vertreiben. Das Wesen huschte wieselflink über einige Knochen und verschwand im Gemäuer. Zufrieden legte sich Dean zurück, bedeckte die Augen mit seinem Arm und versuchte sich an seine Wut zu klammern, denn mit dieser Wut im Bauch fühlte er sich tapfer.

Als Dean die Augen erneut öffnete war er allein. Er zündete das Feuerzeug und suchte in dem Gewirr von Knochen, das sich an den Wänden stapelte, nach dem kleinen Geschöpf. Er konnte es nicht finden, erkannte aber nach einer Weile einen Körper. Im Gegensatz zu den anderen losen Gebeinen bildeten seine Knochen noch ein zusammenhängendes Skelett.
Der Mann war bereits eine Weile tot. Sein Schädel lag frei. Ein dunkelblonder Haarschopf, vibrierte um mehrere Zentimeter vom eigentlichen Haaransatz entfernt, auf seinem Haupt. Die Nase war nur noch eine kleine dreieckige Aussparung in seinem Gesicht und die Augenhöhlen sahen aus wie Schüsseln voll schmierigem Fett.
Mit einem kurzen Aufschrei löschte Dean das Licht. Dieser entsetzliche Totenschädel sollte ihn nicht pausenlos anstarren. Er machte ihm Angst.

*** *** ***

Angst summte in seinen Knochen.
Nachdem Sam die Tür hinter sich geschlossen hatte, öffnete er mit zitternden Händen den Wasserhahn, stellte den Regler auf heiß und starrte auf den gesprungen Spiegel über dem dreckigen Waschbecken. Konnte er tatsächlich Deans Schmerzen fühlen? Blaugrauen Augen blicken leer zurück. Ihr Leuchten hatten sie schon vor langer Zeit verloren.
Schwerfällig glitt Sams Hand unter den Wasserstrahl. Dunst stieg empor, ganz leicht konnte er darin den metallischen Geruch seines Blutes wahrnehmen. Es tropfte in das Becken und gurgelte, mit Wasser vermischt, den Abfluss hinunter. Ungläubig beobachtete Sam den blassroten Strudel.
Plötzlich wankte der Boden unter ihm. Er taumelte zurück und fiel. Sam ließ es zu, dass der Abgrund ihn verschlang. Wind umschmeichelte sein Gesicht, liebkoste es, wie es keiner zuvor getan hatte, bis er auf dem steinharten Boden aufschlug. Gelähmt starrte er auf die Scheinwerferaugen über sich.
Schmerzen trieben ihn an den Rand einer Ohnmacht, in die er dankbar eintauchen wollte, doch dann hörte er die Stimme. Die Stimme, die es ihm nicht ermöglichte, sich in die Dunkelheit zu flüchten. „Willst du dass dein Bruder lebt?“

Fakten

 

Ihm war kalt. Er fühle sich innerlich so verdorrt, wie ein sterbendes Blatt. „Ich lebe – und doch fühle ich mich tot“, dachte Sam.  Niemals hätte er geahnt, dass er so etwas verspüren könnte, aber jetzt fühlte er es mit aller Härte. Er blinzelte gegen das Licht der aufgehenden Sonne und richtete sich stöhnend auf. An Schlaf war nicht zu denken gewesen. Grauenvoll langsam tickte die Zeit in Form von abgehackten Uhrschlägen an ihm vorbei, erfasste die Welt, die Stadt und seine Gedanken.

Als Bobby später an die Tür klopfte, war Sam bereits tief in seinen Recherchen versunken. Müde sah er den Alten an.

„Ist er nicht zurückgekehrt?“ Ungläubig starrte Bobby auf das leere Bett. Sams leises Seufzen war ihm Antwort genug.

„Hast du etwas herausgefunden?“, wollte Sam wissen. Ungeduldig strich er sich die Haare von der Stirn.

Bobby setzte sich Sam gegenüber auf einen Stuhl. Er musterte ihn eine Sekunde lang. Es waren nicht die Blutergüsse in seinem Gesicht oder das zugeschwollene Auge, das ihn beunruhigte, sondern der Schmerz des Verlustes in seinem Blick.

Räuspernd schob Bobby einige Ordner über den Rand des Tisches und schenkte ihrem Aufprall am Boden keine weitere Beachtung: „Wo nimmt Harvard als private Stiftungsuniversität seine finanziellen Mittel her?“, polterte er hinaus. „Die US Finanzkrise hat auch den Vermögensfond Harvards getroffen – und das nicht zu knapp. Der Gesamtwert ist um mehr als ein Viertel eingebrochen. Trotz der Verluste ist Harvard aber weiterhin die vermögendste Hochschule der Welt.“ Bobby hob die Schultern: „Wie machen die das?“ Sam richtete sich auf. Schnaufend verschränkte er seine Hände hinter dem Kopf. „Wie alle Universitäten Bobby“, erklärte er. „Ich schätzte der größte Teil der Einnahmen stammt aus den zahlreichen Patenschaften und Kooperationen mit Firmen, gesellschaftlichen Gruppen, aus Vermächtnissen reicher Freunde und vor allem aus den Erträgen des Stiftungsvermögens. Studiengebühren stellen wahrscheinlich nur ein paar Prozent der Gesamteinnahmen dar.“ Neugierig betrachtete er Bobbys Liste. „Was hast du da?“ „Die Liste, die Dean aus der Bibliothek mitgebracht hat, ist eine Spenderliste – schätze ich.“ Bobby reichte Sam das Dokument und räusperte sich lautstark. Aufmerksam studierte Sam den Inhalt. „Das sind Körperspenden“, murmelte er und blätterte langsam zurück. „Das ist mir auch schon aufgefallen“, schnaufte Bobby.

Sam hob den Kopf und betrachtete gedankenversunken die verstaubte Deckenlampe. Er lächelte bitter als er zurück auf Bobby sah: „Körperspender und deren Hinterbliebene erhalten für diese Spende zwar kein Geld, aber lohnend ist das Ganze trotzdem nicht für das Institut. Zumal es viele Vorschriften zu beachten gibt. Außerdem…“, Sam sah zum Fenster hinaus als erwartete er jeden Augenblick, dass der Impala auf den Parkplatz rollte. Dann fuhr er schnaufend fort: „Heutzutage möchten die Institute in zunehmendem Maße dauerhafte anatomische Präparate. Hierfür werden der präparierte Körper oder Teile davon mit Kunststoff durchtränkt, der anschließend aushärtet.“  

„Ich will ja auch nicht behaupten, dass daran etwas illegal ist“, erkläre Bobby, „aber schau dir mal die Namen der ersten Einträge an. Ist ein komischer Zufall – oder?“ Sam rieb sich die Schläfen als er auf das Papier starrte. Nach wenigen Sekunden schon hob er den Kopf und flüsterte: „Bobby – Könnest du eine Liste der Kooperationen mit anderen Firmen auftreiben?“

„Klar“, Bobby erhob sich, „ich wollte eh noch mal zum Stadtarchiv.“

Sam starrte auf den letzten Eintrag. Als er hastig nach einem Kugelschreiber griff um seine Gedanken zu notieren beschleunigte sich sein Puls.

 

*** *** ***

 

Schrille Schmerzen, wie von spitzen Nadeln schossen durch sein Bein. Deans Geist befand sich in einem Strudel aus Furcht, vermischt mit dem Funken Hoffnung, dass Splitter, loser Kies oder knorrige Wurzeln dafür verantwortlich waren. Auf jeden Fall trat und strampelte er panisch, während er noch halb bewusstlos war. Dann wand er sich zur Seite und kroch weg von der faulenden Nonne auf ihrem Knochenthron. Der kantenlose Schacht selbst bot seinen Augen kein Ziel. Die Mauern waren mit Moos überzogen – so viel konnte er ertasten und durch dünne Risse im Gemäuer spürte er kalte Luft hereinströmen. Dean begann zu schreien. Aber die Dunkelheit war ein Lautfresser. Kaum brüllte er hinein, war es so als hätte er nie einen Mucks von sich gegeben. In seinem Kopf vervielfältigten sich die Geräusche seiner Angst: Das rastlose Hämmern seines Herzens, das schnorchelnde Schlottern seines Schleims im Hals und das ständige Wispern aus dem Mauerwerk. Mit schlüpfrigen Händen fuhr er sich über das Gesicht in der Hoffnung die Tote würde verschwinden, sich auflösen wie ein böser Fiebertraum – oder wenigstens ihren leblosen Blick abwenden. Stattdessen schien sie auf ihn zu zufließen, wie ein schmutziger kleiner Bach aus grauschwarzem Pelz. Dean wich weiter zurück, musste aber feststellen, dass dieses Rinnsal aus glitschigen Bälgern ihm folgte.  Er konnte nicht wegschauen. Nicht, dass ihn das Grauen hätte erstarren lassen: Er musste es einfach sehen. Ein Wesen löste sich aus dem pelzigen Band und sprang ihm auf den Oberschenkel. Es war nichts besonders Auffallendes an ihm. Es war klein – nahezu winzig. Der ausgemergelte Körper war mit struppigem Fell bespannt. Hinter der ersten Kreatur tauchten weitere auf um sich flink aus der Masse zu lösen. Sie schienen von überall herzukommen. Manche von ihnen waren fast nackt. Flecken des Verfalls und Krankheit durchsetzten ihren Pelz. Stellenweise waren ihre Leiber mit eitrigen Schorf überzogen. Der Anführer dieser absonderlichen Gesellschaft hatte jetzt Deans Oberkörper erreicht und seine zartgliedrigen Pfötchen fingerten an der Knopfleiste seines Hemdes in einer Art und Weise, die auf Sinneslust schließen ließ. Zungen tänzelten aus Mündern und Speicheltröpfchen benetzten Deans Gesicht. Die schwarzen Augen der Ungeheuer rollten vor Hunger und Aufregung flackernd hin und her. Deans Augen schnellten auf. Sein Körper war schweißnass. Sein Bewusstsein wurde erfüllt heiserem Quieken, mit dem er ohne die geringste Hoffnung auf Gnadenfrist zusammengesperrt war. Nichts konnte seinen Kopf zum Schweigen bringen und nichts, so schien es, konnte ihm die Welt wiederbringen. Als der Schmerz zurückkehrte – zusammen mit dem quirligen Wuseln auf seinem Körper wurde Dean bewusst, dass der Wahnsinn nach ihm griff: RATTEN - schoss es ihm durch den Kopf.  Sein Sinn und Verstand zerkrachten an dieser Erkenntnis. Seine ganze Existenz, alles, bis auf die simpelsten animalischen Reaktionen wurde zerschmettert und die Trümmer in die verlorensten Nischen und Winkel seines Gedächtnisses geschleudert.

 

*** *** ***

 

Als Bobby nach wenigen Stunden zurückkehrte, war das Zimmer verweist. Verwirrt sah sich der alte Jäger um. Sams Laptop flimmerte, vergraben unter einem Stapel Ordnern und der Boden verschwand unter Schichten loser Blätter. Bobby eilte zum Schrank. Die Reisetasche stand noch im Fach, registrierte er kurz. Wobei sein wahres Interesse der Rückwand des Kleiderschrankes galt. Bobby schnaufte erleichtert: Auf Sam war Verlass. Ganz nach Jägergewohnheit hatte er alle Fakten im Laufe der letzten Stunden minutiös zusammengetragen und ins Holz gepinnt. Anscheinend war Sam auf ein Muster gestoßen, auch wenn es sich dem alten Jäger im Augenblick noch nicht erschloss.  Grübelnd verfolgte er Sams zu Papier gebrachte Recherche bis ihn zwischen all den Listen, Daten und Namen ein unscheinbarer Fetzen Papier ins Auge stach. In liederlich hin gekritzelten  Buchstaben stand dort nur ein Wort: Kuchisake-onna

Bobby stand da wie angewurzelt. „Verdammter Idiot“, fauchte er.

Impressum

Texte: Cover und InhaltbyEG Shadow
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /