Cover

1

Im Licht des Vollmondes tapste ich vorsichtig aus meinem Zimmer, die Treppe hinunter und in Richtung Haustür. Der Boden knarrte unter meinen Füßen, obwohl ich ein Fliegengewicht und mit meiner Größe eher ein Zwerg war. Aber das Haus war alt und meine Eltern arm, sodass sie froh über ein Dach über dem Kopf waren. Von der schweren Arbeit, die sie als Bauern täglich verrichteten, waren sie jedoch sehr müde und schliefen tief und fest. Das erlaubte mir, mich jede Nacht nach draußen zu schleichen, meine selbst gebauten Bogen und Pfeile aus dem Versteck unter einem Baum zu holen und mich im naheliegenden Wald mit Rylan zu treffen. Es war Sommer und die Nacht lau, sodass ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, mein Nachthemd gegen richtige Kleidung zu tauschen. Ich liebte das Gefühl des Windes auf meiner Haut und in meinen Haaren, so fühlte ich mich lebendig und frei. Als ich am Treffpunkt ankam, war Rylan noch nicht da. Um meine kostbare Zeit nicht zu verschwenden, legte ich den Bogen an, nahm einen Pilz ins Visier, der an einem Baum wuchs, der sich in etwa zwanzig Meter Entfernung befand und atmete tief ein und aus. Dank des Lichts des Vollmondes konnte ich den Pilz genau ausmachen und mich auf mein Ziel konzentrieren. Ich ließ den Pfeil los – und traf. Zufrieden ließ ich den Bogen sinken und machte mich daran, den Pfeil aus dem Pilz zu ziehen. Als ich ihn gerade zurück in meinen Köcher steckte, wurde ich von hinten gepackt. Ich stieß einen erstickten Schrei aus, doch entspannte mich sofort, als mir durch die Haare gewuschelt wurde und ich ein fröhliches „Alles Gute zum Geburtstag, Cecily“ hörte. Grinsend drehte ich mich um und schaute in strahlend braune Augen. Rylan überragte  mich um mehr als einen Kopf und war ein Schrank, fast doppelt so breit wie ich. Er war zwanzig Jahre alt und somit schon offiziell Jäger. „Ry, du bist zu spät“, begrüßte ich ihn. Er zuckte entschuldigend mit den Schultern, grinste jedoch weiterhin breit und nahm meine Hand. „Komm mit, heute werden wir die Zeit nutzen und deinen Geburtstag feiern“, sagte er und zog mich hinter sich her. Selbst wenn ich versucht hätte, mich zu wehren, wäre ich bei dem Versuch dabei kläglich gescheitert. Wäre ich gestürzt, hätte er  mich wahrscheinlich selbst über den Waldboden hinter sich hergezogen. Dennoch versuchte ich Protest einzulegen. Ich konnte meinen Geburtstag nicht leiden und würde besonders diesen achtzehnten einfach verdrängen. Aber Rylan schenkte dem keinerlei Beachtung und rannte mit mir im Schlepptau auf eine Lichtung, die sich auf einer leichten Erhebung befand. Er setzte sich ins Gras und zog mich ebenfalls zu Boden. Ich legte widerwillig meinen Bogen ab, nicht ohne ihn zuvor noch einmal böse angeschaut zu haben. „Wer weiß, wie viele Geburtstage wir noch miteinander verbringen können, Cecily“, sagte er und schaute mir dabei tief in die Augen. Ich meinte, etwas Traurigkeit darin sehen zu können und wusste, dass er in meinen dasselbe entdecken konnte. Wir wussten beide, was mich am morgigen Tag erwarten würde. Unsere Stadt Lapis war wie alle anderen neun Städte von drei Wesen besiedelt. Die Menschen wie meine Eltern und auch Rylan wohnten im Außenring von Lapis und waren entweder Bauern, Jäger, Krieger oder Handwerker. Sie waren die unterste Schicht der Hierarchie, dennoch galten sie für mich als diejenigen, die die meiste Freiheit erlebten. Regiert wurde die Stadt von Imperiden, die im Innenring von Lapis lebten mit dem Palast, der Perle, im Zentrum. Die Imperiden pflegten den Kontakt zu anderen Städten und regelten das Leben und das Zusammenspiel von ganz Lapis. Sie genossen dazu auch Luxus, ein Wort das uns Menschen fremd war. Sich gegen sie zu wehren war unmöglich, denn sie unterschieden sich durch eines von uns Menschen: Magie. Jeder Imperide hatte sein eigenes Element, seine eigene Stärke. Die mächtigsten unter ihnen, die Königsfamilie, besaßen sogar die Kontrolle über mehr als nur ein Element, so sagte man sich. Und dann gab es noch Mädchen wie mich, die Vertiden genannt werden. Wir stammen von einfachen Menschen ab und leben mit diesen, bis wir mit zwanzig Jahren zur Initiation abgeholt werden. Die meisten trifft das völlig unerwartet, denn niemand weiß, ob er zu den Vertiden zählt. Allein einige ausgebildete Imperiden können diese aufspüren. Zumindest war das bisher immer der Fall. Gedankenverloren lasse ich eine kleine Flamme zwischen meinen Fingern tanzen. Ich hatte mein Element schon vor zwei Jahren entdeckt. Es ist ungewollt passiert. Mein Vater hatte meinen damaligen Bogen entdeckt und ihn zerstört, da es uns Bauern nicht erlaubt ist zu jagen. Ich war so wütend gewesen, dass ich meine Haarspitzen in Flammen gesetzt hatte. Seitdem habe ich gelernt, mein Element zu kontrollieren und vor jedem geheim zu halten. Vor jedem, bis auf Rylan. Ihm hatte ich alles anvertraut. Er war seit Kindertagen mein bester Freund und übte mit mir auf meinen Wunsch hin Jagen und Kämpfen. Ich blickte auf und sah, dass auch er das Spiel mit der Flamme zwischen meinen Fingern beobachtete. „Du bist wirklich sehr gut geworden“, meinte er. Ich nickte. „Morgen zählt es. Morgen muss ich die Flamme so gut unter Kontrolle haben, dass ich sie unterdrücken kann, egal wie sehr sie hervorgelockt wird.“ Denn morgen wird es soweit sein, morgen steht meine Initiation an. Auf Befehl des Königs werden dieses Jahr bereits Mädchen ab dem achtzehnten Lebensjahr zur Prüfung gebracht. Der Anlass ist unklar, allerdings wird im Außenring viel getuschelt. Glaubt man den Gerüchten, möchte der König seine Imperiden-Krieger stärken, um bald in den Krieg ziehen zu können. Das ist die Aufgabe der Vertiden: Ihre Fähigkeit wird ermittelt, dann trainiert und sie werden auf das Leben im Innenring vorbereitet. Dann werden sie je nach ihrer Fähigkeit einem Imperiden zugeteilt – ihrem Partner auf Lebenszeit. Die Fähigkeiten der Vertide und des Imperiden ergänzen sich, sodass beide durch die Partnerschaft gestärkt werden. Ich schauderte bei dem Gedanken daran, dass ich ebenfalls eine solche Partnerschaft eingehen würde, wenn ich es morgen nicht schaffte, meine Fähigkeit zu verbergen. Ich wollte nicht in den Innenring ziehen, ein Leben beginnen, von dem ich nichts kannte und meine Familie und Rylan zurücklassen. Ich spürte etwas Kaltes an meinem Arm, das mich aus meinen Gedanken riss. Als ich meinen Arm zurückziehen wollte, hielt Rylan ihn fest, denn er war gerade damit beschäftigt, etwas dort zu befestigen. Als er fertig war, schaute ich mir meinen Arm und das eben dort angebrachte Armband etwas genauer an. Es war ein einfaches Armband, wie man es bei den Handwerkern kaufen konnte, aus schwarzem Garn geknüpft mit einer orangen Perle daran. Es war wunderschön. Ich hatte noch nie Schmuck, dafür war einfach kein Geld übrig. Als ich zu Rylan aufschaute, spürte ich die Tränen in meinen Augen. Ich war normalerweise nicht sentimental, aber durch die Angst vor dem morgigen Tag und die Freude über das Geschenk hatte ich mich nicht unter Kontrolle. „Dankeschön Ry“, stieß ich hervor, bevor meine Stimme brach. „Ich wollte doch nicht, dass du weinst“, sagte Rylan erschrocken und nahm mich in seine Arme. Kein Wunder war er verunsichert, schließlich hatte er mich noch nie weinen gesehen. Kein einziges Mal bei unseren vielen Kämpfen und meinen unzähligen Verletzungen hatte ich einen Mucks von mir gegeben. Und jetzt saß ich hier und weinte dank eines Armbandes. Ich lachte an seiner Brust und wischte meine Tränen ab. „Das war aber ein schneller Stimmungswechsel“, kommentierte er meine Reaktion und schaute auf mich herab, sein Blick dabei immer noch ernst. Ich konnte nicht widerstehen und wuschelte ihm durch seine braunen Haare, die von unserem Sprint zuvor noch etwas verweht waren. „Ich bin ein Mädchen, wir können so etwas“, sagte ich grinsend und richtete mich wieder auf, sodass ich ihm gegenüber saß. „Ich habe noch nie Schmuck besessen, das bedeutet mir wirklich viel.“ Noch einmal betrachtete ich das Armband. Es ähnelte meinen Augen, die ebenfalls komplett schwarz waren, bis auf einen orangen Ring um die Pupille – passend zu meinem Element, der Flamme. Ich erregte oft Aufmerksamkeit damit, denn in Kombination mit meinen langen blonden Haaren war das eine sehr ungewöhnliche Kombination. „Es hat mich an deine Augen erinnert“, sagte Ry im selben Moment. Ich lächelte ihn daraufhin an. Morgen musste einfach alles nach Plan laufen, ich konnte ihn nicht verlieren. Während wir sonst nachts stundenlang trainierten, lagen wir diese Nacht nebeneinander im Gras, redeten über unsere gemeinsame Kindheit und über den Sternenhimmel, aber niemals über Morgen. Nicht darüber, dass sich morgen alles ändern könnte.  

2

Meine Mama hatte keine ruhige Minute an diesem ersten Sonntag im August. Im Gegensatz zu mir wusste sie noch nicht, ob es heute an unserer Tür klopfen würde und sie mich in die Obhut der Imperiden geben musste. Ihr hatte ich nichts von meiner Flamme erzählt. So hübsch wie heute sah ich selten aus: Ich trug einen ärmellosen Einteiler mit kurzen Beinen, hatte meine Haare zu einem lockeren Dutt zusammengefasst und meine Wimpern etwas getuscht, was ich ansonsten nur an Feiertagen tat. Aber ich wollte vorbereitet sein und mich an die Vorschriften halten, sodass ich nicht auffiel. Gepäck musste ich keines vorbereiten. Es war nicht gestattet, Eigentum mit in den Innenring zu bringen. Ich räumte den Tisch ab, nach dem wir zu Mittag gegessen hatten. Mein Vater war ruhiger als sonst, so zeigte sich die Anspannung bei ihm. Wir im Außenring erfuhren selten, was genau die Vertiden nach der Initiation erwartete. Die große Ungewissheit machte uns alle unsicher, sowohl die Eltern als auch die Vertiden selbst. Während meine  Eltern zusammen am Tisch saßen, spülte ich das Geschirr und trocknete es ab. Ich konnte nicht ruhig sitzen.

 

Als es an der Tür klopfte, ging ich an meiner Mama vorbei zur Tür, streifte im Vorbeigehen ihre Schulter zur Beruhigung. Ich atmete tief ein und öffnete dann die Tür. „Cecily Dilea, wir dürfen Sie herzlich im Kreis der Vertiden begrüßen. Sie haben kurz Zeit, sich von ihrer Familie zu verabschieden und werden sich dann mit uns zum Innenring begeben.“ Der Imperide war groß, machte einen ernsten, aber keinesfalls unfreundlichen Eindruck. Er sah relativ jung aus, vielleicht war das hier ebenso neu für ihn wie für mich. Ich spielte meine Rolle, indem ich große Augen machte und die Hand vor den Mund schlug. Hinter mir hörte ich, wie meine Eltern ihre Stühle zurückschoben und aufstanden. Ich wich ein paar Schritte vor dem Imperiden zurück und schaute mich zu meinen Eltern um. Meine Mama kämpfte mit den Tränen, so trat ich zu ihr und umarmte sie. „Mama, es wird alles gut. Mir wird es gut gehen, Papa wird auf dich aufpassen.“ „Mein Mädchen!“, war alles, war sie über die Lippen brachte, bevor ihre Stimme brach. Ich trat einen Schritt zurück und wischte ihr eine Träne von der Wange. Dann wandte ich mich meinem Papa zu. So oft ich diese Situation auch überdacht hatte, war es nun doch schwer, das Geplante durchzuführen. Ich hatte einen Kloß im Hals, als mein Papa mich in die Arme nahm. „Mein Mädchen, du bist klug. Du wirst das alles schaffen. Ich wünsche dir nur das Beste und hoffe, dass wir von dir hören werden. Mach dir um uns keine Sorgen.“ Die Worte gaben mir Kraft. Natürlich hatte ich vor, bald hierher zurückzukehren, wenn ich die Imperiden erfolgreich überlisten konnte. Aber sollte dies nicht funktionieren, würden mir die Worte meines Vaters weiter im Gedächtnis bleiben. Ich nickte meinem Papa zu, kehrte dann meinen Eltern den Rücken zu und trat zum Imperiade. „Ich bin bereit.“

 

„Wir werden bald den Innenkreis erreichen, Cecily. Die Initiationsgebäude befinden sich direkt an der Grenze, sodass wir bald dort ankommen werden. Du wirst zuerst alleine in einen kleinen Raum gebracht, in dem du deine Kleidung wechseln kannst. Deinen Schmuck darfst du anbehalten und mit in den Innenring nehmen. Anschließend verlässt du den Raum durch die Tür an der gegenüberliegenden Seite. Dort befindet sich gleich der Prüfungsraum. Du bist eine der ersten und wirst es somit bald hinter dir haben“, erklärte mir der Imperide und lächelte mir leicht zu, wahrscheinlich um mich zu beruhigen. Nervös spielte ich an meinem Armband, allerdings schaffte er es tatsächlich, mir durch seine Erklärungen etwas von der Anspannung zu nehmen. „Die Prüfung wird zwar anstrengend für dich, aber dir kann nichts passieren und du kannst nichts falsch machen. Es gibt also keinen Grund zur Angst. Du wirst durch einen Imperiden, dessen Element der Geist ist, in verschiedene Situationen gebracht und dein Verhalten dabei analysiert. Es findet hierbei alles in deinem Kopf statt, nur dein Geist wird vom Imperide beeinflusst und gelenkt, dessen solltest du dir bewusst sein. Somit bist du in vollkommener Sicherheit, allerdings musst du bereit sein, dich deinem Prüfer komplett zu öffnen.“ Er schaute mir direkt in die Augen und verlieh so seinen Worten Nachdruck. „Wirst du nicht kooperieren und dich wehren, ist es dem Imperiden erlaubt, dich zu…überzeugen, mitzuspielen.“ Er bedachte mich mit einem Blick, der sagte, dass er mir riet, diese Situation zu umgehen. Genau das könnte das Problem an meinem Plan werden. Wie konnte ich mich öffnen und doch meine Flamme unter Kontrolle halten? Das Unterfangen schien schwerer zu werden als vermutet. „Normalerweise dauert die Prüfung ungefähr eine Stunde, aber es wird dir nicht so lange vorkommen. Danach wirst du auf dein Zimmer gebracht, bis deine erste Trainingsstunde ansteht und es heute Abend Essen gibt, wo du zum ersten Mal auf die anderen Vertiden triffst. Allerdings werdet ihr dieses Jahr nicht so viel Zeit haben, euch kennenzulernen. Der König hat die Initiationszeit verkürzt, sodass ihr nur zwei Tage anstelle von zwei Wochen im Trainingszentrum sein werdet. Das restliche Training wird in den Häusern der Partner stattfinden.“ „Wieso ist dieses Jahr denn alles anders?“, fragte ich den Imperide, da ich wirklich neugierig war und mich so von meiner Aufregung ablenken konnte. Allerdings zuckte der Imperide nur mit den Schultern. „Der König gibt nicht viel über seine Pläne preis. Allerdings ist es bekannt, dass Sinistra immer mehr an Stärke gewinnt und sich die Überfälle auf andere Städte häufen. Deshalb ist es wichtig, so viele Partnerschaften wie möglich zu schließen und dies so schnell wie nur möglich, damit Lapis bei einem eventuellen Angriff durch Sinistra gewappnet ist.“ Ich nickte, das hatte ich mir gedacht. Allerdings schienen mir zwei Tage zur Vorbereitung auf das neue Leben doch wenig. Hoffentlich würde ich diese nicht benötigen und sofort wieder zurück nach Hause geschickt werden. „Wir sind da“, sagte der Imperide schlicht und öffnete die Tür. Ich stieg aus, kniff die Augen gegen die Sonne zu und hielt mich am Auto fest. Wir hatten im Außenring weder Autos noch große Gebäude wie dieses, welches vor mir stand. Für mich sah es futuristisch aus, mit seinen Antennen auf dem Dach und dem kleinen Bildschirm vor jeder einzelnen Tür. Stumm folgte ich dem Imperiden zu meiner Tür. Als ich vor dieser stand, ging der Bildschirm plötzlich an. „Leg deinen Zeigefinger auf das Feld“, wurde ich angewiesen. Ich tat wie geheißen, spürte ein Kribbeln an meinem Finger und zuckte zusammen, als die Tür vor mir von alleine aufschwang. „Ich wünsche dir einen angenehmen Aufenthalt und eine schöne Zeit, Cecily“, verabschiedete sich der Imperide von mir. Ich hob zum Abschied kurz die Hand und trat dann in den Raum.  

 

Der Raum war klein, es befanden sich nur eine Bank und ein Stuhl darin. Auf dem Stuhl fand ich die Klamotten, auf die ich schon hingewiesen wurde. Ich schloss die Tür hinter mir, setzte mich auf die Bank und betrachtete die Klamotten. Es war ein schwarzes knielanges Kleid, welches meine Schultern freiließ und um meinen Hals befestigt wurde. Daneben standen schicke schwarze Riemchensandalen und eine Haarbürste. Ich schaute auf und bemerkte einen großen Spiegel direkt vor mir. Ich stand auf und betrachtete mich genau darin. Wenn mein Plan nicht aufging, musste ich mich nun von meinem alten Ich verabschieden. Ich prägte mir noch einmal jedes Detail ein, atmete tief durch und zog mich dann um. Das Kleid war hübsch und stand mir gut, das musste ich zugeben. Meine Haare hatte ich gebürstet und zu einem lockeren seitlich geflochtenen Zopf gebunden. Die Sandalen passten wie angegossen. So schick wie heute habe ich noch nie ausgesehen. Meinen Einteiler legte ich zusammengefaltet auf die Bank, strich noch einmal darüber, schloss für einen Moment die Augen. Dann straffte ich die Schultern und trat durch die Tür am anderen Ende des Raumes.

 

3

 

 

„Herzlich willkommen, Cecily Dilea“, begrüßte mich eine tiefe sanfte Stimme. Ich schätzte den Imperiden vor mir auf ungefähr dreißig und er strahlte eine seltsame Ruhe aus. Ob das schon eine Demonstration seines Elements war? Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich blieb stehen, wo ich war. Der Raum war nicht viel größer als mein Umkleidezimmer zuvor. In der Mitte befand sich ein Stuhl, direkt daneben befand sich der Imperide. Außer einer weiteren Tür gegenüber war der Raum leer. „Ich bin Kilian und werde die Prüfung mit dir absolvieren. Setz dich bitte auf den Stuhl, dann können wir das so schnell wie möglich hinter uns bringen. Du wirst keine Schmerzen haben, aber eventuell ein paar unangenehme Situationen während der Prüfung erleben. Es kann dir aber nichts passieren. Das wurde dir aber bestimmt schon gesagt.“ Ich nickte, während ich auf den Stuhl zutrat und mich setzte. Kilian lächelte mir zu. „Schließe deine Augen und versuche, deinen Geist für mich zu öffnen. Das geht am einfachsten, wenn du dir vorstellst, du würdest im Dunkeln nach Licht suchen und dieses dann in dich aufnehmen.“ Ich tat wie geheißen, nun musste ich aufpassen. Ein Gefühl der Entspannung überkam mich, als ich die Augen schloss. Das Licht sah ich sofort und stellte mir vor, wie es mich wärmt. „Sehr gut, Cecily“, hörte ich Kilian von fern. „Wir können schon beginnen.“ Er war also bereits in meinen Geist eingedrungen. Das Dunkel in meinem Geist verschwand und wich einer anderen Szenerie. Ich befand mich in einer Wüste, die Sonne schien unbarmherzig vom Himmel. Sofort verspürte ich unglaublichen Durst. In meiner Hand spürte ich eine Tasse – aber sie war leer. Frustriert warf ich sie auf den Boden und schaute mich um. Es war kein Schattenplatz zu entdecken, geschweige denn Wasser. Ich lies mich auf den Boden fallen und griff nach der Tasse. Es war eindeutig, was von mir erwartet wurde. Es wurde getestet, ob das Wasser mein Element war. Gut, das war einfach, denn ich wusste bereits, dass ich hier nichts ausrichten konnte. Ich starrte die Tasse an, stellte mir vor, wie Wasser das Gefäß füllte, wie es sich auf meiner Zunge anfühlen würde. Zumindest musste ich den Prüfer überzeugen, dass ich tatsächlich auf der Suche nach meinem Element war. Ich dachte an den Bach vor unserem Bauernhof, an den Regen, in dem ich so gerne tanzte und an das Wasser der Dusche. Die Tasse blieb leer. Wie lange musste ich diese Situation noch durchhalten, bis der Prüfer mich in die nächste schickte? Frustriert ließ ich mich nach hinten in den Sand fallen und schaute in den Himmel. Ich versuchte an den Regen zu denken, wie er vom Himmel fiel und unsere Felder fruchtbar hielt, wie er nun mein Gesicht benetzten würde und meine Kehle hinunter rinnt. Ich war wirklich schrecklich durstig. Dann kann die Erlösung, die Situation verschwamm und eine neue erwartete mich. Nummer eins war geschafft. Die Szenerie, die sich mir bot, war völlig anders als die letzte. Hier gab es Wasser im Überfluss, wenn auch nicht zu trinken. Ich befand mich auf einem Meer, weit und breit war kein Land zu sehen. Unter mir ein Floß und ein Segel, doch es war windstill, sodass ich auf der Stelle trieb. Das Durstgefühl war immer noch vorhanden. Zu ihm hatte sich noch Hunger gesellt, sodass mein Magen unangenehm knurrte. Wind, das war die nächste Aufgabe. Ich atmete tief ein und aus, stellte mir vor, wie mein Atem in das Segel blies, es antrieb bis zum Land, wo Wasser und Essen auf mich warteten. Ich dachte an die letzte Nacht zu Hause, als ich mit Rylan durch den Wald rannte und der Wind durch meine Haare strich und um meine Beine wirbelte. Ich rief mir das Gefühl von Freiheit ins Gedächtnis, das mich damals überkommen hatte. Mit ausgestreckten Armen stand ich auf dem Floß, konzentrierte mich darauf, jeden Hauch eines Windes an meinen Fingerspitzen zu spüren. Vergeblich. Kein Lüftchen war zu spüren. Frustriert atmete ich nochmals auch und versuchte, mir den Wind vorzustellen, in den sich mein Atem verwandeln sollte. Als sich die Situation zu drehen begann, war ich erleichtert. Die Magenschmerzen waren kaum auszuhalten gewesen. Doch was mich als nächstes erwartete, ließ mich erschaudern. Völlige Dunkelheit und Eiseskälte. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und konzentrierte mich. Das war meine Prüfung - Feuer. Mir war bewusst, dass ich meine Gedanken auf die Flamme lenken musste, da Kilian diese überprüfte. Also stellte ich mir ein Feuer vor, das mich wärmte und mir Licht schenkte. Allerdings lenkte mich ein Geräusch von meiner Konzentration ab. Um mich herum knackste es immer wieder und auch ein Atmen war zu hören. Ich war also nicht alleine. Angst kroch mir in die Glieder, ich war noch nie ein Freund der absoluten Dunkelheit gewesen. Hektisch blickte ich mich um, wobei das vergebens war. Es war stockfinster. Schritte näherten sich, woraufhin ich zurückwich. Dann ertönte hinter mir ein Geräusch, was mich herumwirbeln ließ. Ich zitterte am ganzen Körper. „Cecily, wenn du dich nicht ausreichend darauf konzentrierst, mit Hilfe des Elements die Aufgabe zu lösen, kann ich dich nicht in die nächste Situation schicken“, erinnerte mich Kilian, dessen Stimme klang, als würde er in weiter Ferne stehen.  Ich war beinahe am Verzweifeln. Auf der einen Seite wollte ich meine Flamme so gerne hervorrufen, auf der anderen Seite gäbe es dann kein Zurück mehr. Ich würde mein Leben mit meiner Familie und Rylan hinter mir lassen müssen, wenn ich dies tat. Die Kälte schüttelte mich und die Dunkelheit machte mich verrückt. Ich spürte, wie Kilian geschickt versuchte, die Situation noch unangenehmer für mich zu machen, denn er merkte natürlich, dass ich mir nicht wirklich Mühe gab, das Element Feuer hervorzurufen. Ich versuchte es noch einmal, lenkte meine Gedanken auf die Wärme und das Licht, das mir das Feuer spenden würde. Allerdings zahlte sich das Training zu Hause aus, wo ich die Flamme auch in solchen Situationen zurückgehalten hatte. Es funktionierte. Kilian musste merken, wie sehr ich mich auf das Feuer konzentrierte, aber kein Licht zu sehen war. Doch dann knackte es direkt hinter mir. Ich wirbelte herum und starrte in Kilians Gesicht. Dieser schaute erstaunt auf meine Hände – und das Feuer, das mir die Sicht auf ihn ermöglicht hatte.  

 

Als ich die Augen öffnete, tippte Kilian bereits hektisch auf einem Gerät herum, das ich noch nie gesehen hatte. Er legte es weg und stand auf. „Du hast es geschafft“, sagte er abwesend, schaute aber erneut auf das Gerät und schien etwas zu lesen. Dann blickte er wieder zu mir. „Cecily, du hast bemerkt, dass das Feuer dein Element ist.“ Ich nickte. Vorbei. Es war vorbei. Ich hatte es nicht geschafft, die Prüfung durchzuhalten und Kilian zu täuschen. Heute Abend würde Rylan vergeblich alleine im Wald auf mich warten, nur um festzustellen, dass ich nicht kam. Dass sich das jahrelange Training nicht gelohnt hatte. „Cecily, hör mir zu“, fokussierte mich Kilian auf sich und kniete sich neben mich. „Dein Element, die Flamme, ist äußerst selten. Seit Jahren konnte weder ein Imperide noch eine Vertide dieses Element kontrollieren. Du wirst also die folgenden Tage alleine unterrichtet werden. Auch solltest du nicht unbedingt vor den anderen Vertiden damit prahlen, wenn du dir keine Feinde machen möchtest. Wir erleben hier jedes Mal den Konkurrenzkampf der Mädchen, mit dem nicht alle klar kommen.“ Überrascht schüttelte ich den Kopf. „Das kann nicht sein. Ich bin ein normales Mädchen“, stammelte ich. Kilian stand auf, kontrollierte noch ein letztes Mal das Gerät und streckte mir dann eine Hand entgegen. Ich nahm sie an und ließ mir auf die Beine helfen. „Ich bringe dich zu deinem Zimmer, wo du dich erst einmal ausruhen kannst und später dann zu deinem Unterricht abgeholt wirst.“ Wie benebelt folgte ich Kilian, nahm nichts um mich herum wahr, bis er vor mir eine Tür öffnete und erklärte, dass er mich nun in meinem Zimmer alleine ließ. Ich setzte mich auf mein Bett ohne ein Gefühl für die Zeit. Das Armband um mein Handgelenk hielt ich umklammert. Mit meinen Gedanken war ich bei Rylan. Wie gerne würde ich ihm erklären, wieso ich gescheitert war. Er wird unendlich enttäuscht sein. Meine Schuldgefühle übermannten mich. Ich ließ mich auf das Bett nach hinten fallen und meinen Tränen freien Lauf.  

 

Ich wurde aus dem Schlaf gerissen, als es an der Tür klopfte. Die Aufregung und die schlaflose letzte Nacht hatten wohl doch ihre Spuren hinterlassen. „Cecily Dilea, es ist Zeit für deine erste Trainingsstunde“, hörte ich einen Imperiden durch die Tür sagen. Ich setzte mich auf, und warf einen Blick in den Spiegel, der auf der anderen Seite des Raumes angebracht war. Meine Frisur war völlig zerstört und meine Augen verschlafen. Da ich daran sowieso nichts ändern konnte, schwang ich mich mit einem Seufzen aus dem Bett und öffnete die Tür. Der Imperide nickte mir kurz zu, drehte sich dann um und begann, den Gang entlang zu gehen. Ich verstand, dass ich ihm folgen sollte, schloss die Tür hinter mir und tappte hinter ihm her. Bereits nach den nächsten paar Treppen und Abbiegungen würde ich nicht mehr alleine zurück zu meinem Zimmer finden. Das Gebäude hatte zwar schon von außen groß ausgesehen, doch im Inneren glich es für mich einem Labyrinth. Fast wäre ich in den Imperiden gestolpert, der abrupt vor mir stoppte. „Wir sind da. Nach deinem Unterricht werde ich hier wieder auf dich warten.“ Mit diesen Worten öffnete er mir die Tür und wartete darauf, dass ich eintrat. Langsam betrat ich das Zimmer und nahm jede Kleinigkeit in mich auf. Die Decke war verglast, ansonsten gab es keine Fenster. Der Raum schien nur behelfsmäßig eingerichtet, denn es befanden sich nur ein Tisch und zwei Stühle in der Mitte, die verloren wirkten. Ich zuckte zusammen, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Nun war ich alleine – alleine mit dem Imperiden, der vor mir neben dem Tisch stand. Er war älter als meine Eltern, hatte graue Haare und war der kleinste Mann, der mir je begegnet war. Meine Großeltern hatte ich zwar nie kennengelernt, jedoch hatte ich mir einen Opa immer so wie ihn vorgestellt. Er schaute mich freundlich an. „Hallo Cecily, ich heiße Henio und werde dich auf das Leben im Innenring vorbereiten. Ich bin der letzte im Ring, der dasselbe Element kontrollieren kann wie du. Noch nie war ich hier und sollte jemanden ausbilden, also ist das hier für und beide neu.“ Er wies mich mit einer Geste an, mich zu setzten, der ich sofort nachging. Henio machte einen sympathischen Eindruck wie alle Imperiden, denen ich bislang heute begegnet war. Im Außenring hatte ich nur ein paar Mal mit ihnen Kontakt gemacht, was jedes Mal eine unangenehme Situation war. Imperiden betraten den Außenring nur, um ihre Aufgaben als Wächter und Ordnungshüter zu erfüllen. Demnach traten sie nur auf, wenn es Ärger gab und erfüllten ihre Pflichten mit großer Härte. Sie waren gefürchtet und man ging ihnen besser aus dem Weg. Hier allerdings war ich mit großer Freundlichkeit empfangen worden und konnte gar nicht anders, als mich bei Henio wohl zu fühlen. „Wir werden heute damit anfangen, dass du lernst, dein Element gezielt herbeizurufen. Der Anfang ist das Schwerste. Wir werden sehen, wie lange wir dafür benötigen und dann den Rest der Übungsstunde spontan gestalten.“ Ich nickte Henio zu und lächelte. Es gab kein Zurück mehr für mich, also hatte ich keinen Grund, mich zu verstecken. Ich konnte zeigen, wie gut ich bereits war und ließ die Flamme zwischen meinen Fingern erscheinen, ohne dass mein Lehrer mich dazu aufgefordert hatte. Henio starrte überrascht auf meine Hände. „Du… Du kannst es bereits“, stieß er erstaunt hervor und schaute mir in die Augen. „Bist du ein Naturtalent oder hast du bereits trainiert?“ „Ich habe mein Element bereits vor ein paar Jahren durch Zufall entdeckt und meine Fähigkeit heimlich trainiert“, gab ich zu und ließ die Flamme zwischen meinen Fingern tanzen. Henio schüttelte den Kopf. „Von so etwas habe ich noch nie gehört. Vor der Initiation sollte keine Vertide in der Lage sein, Kontrolle über ein Element zu erlangen. Schon gar nicht über die Flamme. Das Feuer ist sowohl das mächtigste Element sowie auch das, welches am schwersten zu kontrollieren ist. Legenden erzählten nur von einer einzigen Vertide, die überhaupt die Flamme kontrollieren konnte. Ansonsten war das Feuer ein Privileg der männlichen Imperiden. Aber du… von so etwas wurde noch nie berichtet.“ Henio war durcheinander. Seine Verwirrtheit amüsierte mich und ich konnte ein zufriedenes Lächeln nicht zurückhalten. „Zeig mir, was du bereits kannst“, forderte er mich auf. Nichts lieber als das. Ich liebte meine Flamme, sie war ein Teil von mir. Ich stand auf, streckte meinen rechten Arm nach vorne und ließ die Flamme dort zuerst ruhig tanzen, bis sie immer größer wurde und wuchs. Sie tanzte immer wilder, ihre gelben Spitzen waren kaum mit den Augen zu verfolgen. Dann nahm ich die zweite Hand dazu und ließ einen Teil der Flammen auf diese überspringen. Wenn man genau hinschaute, konnte man erkennen, dass die Flammen meine Haut nie direkt berührten. Sie umspielten meine Handflächen und meine Finger, wärmten diese, aber verletzten sie nie. Ich zwang die Flamme dazu, sich zu beruhigen und zu schrumpfen. Dann formte ich mit meinen Händen einen Feuerball, der zwischen meinen Handflächen vor meinem Gesicht tanzte. Ich führte meine Hände unter dem Ball zusammen und zwang ihn in die Luft, sodass er nun knapp unter der Decke schwebte. Anschließend konzentrierte ich mich, nahm meine letzte Kraft zusammen und verfolgte mit den Augen, wie das Feuer meinem Befehl gehorchte: Der Ball platzte, die Flammen sanken in einem Feuerregen zu Boden. Erschöpft ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen. Die Kontrolle über die Flamme kostete mich sehr viel Kraft, Schweiß stand auf meiner Stirn und ich atmete schwer. Mit einem Blick prüfte ich die Reaktion von Henio. Er hatte die Arme verschränkt und beobachtete mich interessiert. „Du bist ein Ausnahmetalent, Mädchen. Diese Kontrolle hätte ich von einer Vertiden nach ungefähr zehn Jahren erwartet, wenn überhaupt. Denn die Vertiden sind im Normalfall nicht so sehr auf ihr Element angewiesen wie die Imperiden, die es im Kampf benötigen. Demnach bauen diese ihre Fähigkeiten nicht in diesem Maß aus. Aber du kommst hierher, an dem Tag, an dem ich dir helfen soll, dein Element hervorzurufen, und zeigst mir, dass du es bereits perfekt unter Kontrolle hast. Natürlich musst du noch an deiner Ausdauer arbeiten, aber das ist deine eigene Aufgabe, da kann ich dir kaum behilflich sein.“ Mein Lehrer schüttelte erneut ungläubig den Kopf. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“, fragte ich ihn. Er grinste mich an. „Wir werden uns zwar auch morgen nochmals treffen, allerdings uns im Gegensatz zu den anderen nicht darauf konzentrieren, dein Element hervorzulocken, sondern darauf, dich auf das Leben im Innenring vorzubereiten. Dort herrschen andere Sitten und Regeln als im Außenring. Ich vermute, dass du mit deiner Flamme einen Partner zugewiesen bekommst, der von größerer Macht ist, sodass du dich an die Gewohnheiten der höheren Häuser am besten so gut wie möglich vorbereitest.“ Bei dem Gedanken daran, übermorgen meinem Partner und damit einem neuen Leben gegenüber zu stehen, bekam ich Bauchschmerzen. „Erzähl mir vom Leben im Innenring“, forderte ich ihn auf, zu beginnen. Heino lächelte. „So einfach mache ich es dir nicht. Während ich dir sage, wie dein Leben von nun an aussehen wird, möchte ich, dass du die Flamme klein in deiner Hand brennen lässt. Du musst sie unter Kontrolle haben, darfst sie weder wachsen noch erlöschen lassen. Konzentriere dich auf meine Worte, denn selbst wenn du abgelenkt bist, solltest du dein Element kontrollieren können.“ Die Aufgabe forderte meine Ausdauer, das wusste ich. Mit einem Blick auf meine Hände rief ich die kleine Flamme und ließ sie ruhig tanzen. Nach ein paar Sekunden schaute ich zu Henio. „In Ordnung, wir können loslegen.“

 

„Der Innenring selbst ist in unterschiedliche Bezirke gegliedert, da es unter den Imperiden verschiedene Ränge gibt. Im Zentrum befindet sich die Perle, der Palast. Der König, die Königin, die zwei Prinzen sowie einige ranghohe Imperiden bewohnen diesen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass du mit deinem Element in den Palast einziehen wirst. Um eine Flamme würden sich einige Imperiden bemühen. In direkter Umgebung um die Perle befinden sich die sogenannten hohen Häuser. Dort wohnen die Imperiden, die einen besonderen Dienst für Lapis geleistet haben, bekannte Künstler sowie die besten Kämpfer. Der Großteil des Innenrings besteht aus niederen Häusern. Dort leben unsere Buchhalter, Lehrer und Wächter. Auch die Bäckereien, Schneidereien und weitere Geschäfte befinden sich dort, weshalb im Innenring immer viel los ist. Wenn du dich dorthin begibst, musst du deine Flamme verborgen halten. Es ist verboten, die Elemente in der Öffentlichkeit zu präsentieren, um den Frieden in der Stadt zu erhalten. Die Vertiden, die in ein niederes Haus ziehen, arbeiten in den Geschäften ihrer Partner und unterstützen das Familienleben. Bei den hohen Häusern und im Palast fallen der Vertide andere Aufgaben zu. In diesen Haushalten sind Menschen angestellt, welche sich um die Alltagsaufgaben kümmern. Die Vertide übernimmt hier zum einen eine repräsentative Rolle. Die hohen Häuser pflegen viel Kontakt untereinander und mit Imperiden anderer Städte. Bei diesen Treffen ist es wichtig, dass die Vertide ihr Haus angemessen vertritt. Vielleicht verstehst du nun, weshalb gute Manieren und ein gepflegtes Auftreten wichtig sind. Bevor die Vertide allerdings der Öffentlichkeit vorgestellt wird, erhält sie in ihrem Haus angepassten Unterricht. Die andere Aufgabe der Vertide ist es, mit ihrem Partner zu trainieren, ihre Elemente zu stärken und zu kombinieren.“ Nach diesen Worten schaute Henio auf meine Hand, in der meine Flamme ruhig tanzte. „Mit dem Training wirst du kaum Probleme haben und ich vermute, dass dieser Teil deiner Aufgaben der am besten gefallen wird. Aber auch das wird dir in deinem Haus genauer erklärt werden.“ Auf diesen Teil meiner Aufgaben war ich tatsächlich gespannt. Irgendwie durchlebte ich die ganze Prozedur momentan nur wie in einem Traum und konnte mir nicht vorstellen, dass sich mein Leben ab morgen für immer änderte. „Wann werde ich denn meinen… Partner“, ich stockte bei dem Wort, es fühlte sich unangenehm und falsch aus, „denn kennenlernen?“ „Morgen Abend wirst du das Initiationsgebäude bereits verlassen. Wir haben heute bereits die Ergebnisse und eine erste Einschätzung aller Vertiden in kurzen Steckbriefen zusammengefasst. Der Stand nach der ersten Übungsstunde wird noch nachgereicht. Dann werden sich die interessierten Imperiden, die im geeigneten Alter sind, bis morgen Mittag um zwölf Uhr für ihre ausgewählten Partnerinnen bewerben. Bei mehrfachem Interesse, was aufgrund der geringen Anzahl an Vertiden selbstverständlich immer vorkommt, entscheidet der Rang, in welches Haus die Vertide einzieht.“ Meine Flamme hatte während Henios Erklärung begonnen, immer wilder zu tanzen. Meine Aufregung wirkte sich natürlich auch auf mein Element aus. Mit einem aufmerksamen Blick zeigte mir mein Lehrer, dass er meine fehlende Kontrolle bemerkt hatte. Ich versuchte, mich zu beruhigen und meine Konzentration auf die Flamme zu lenken. Mit meiner Gedankenkraft beruhigte ich auch sie und erreichte, dass sie zu einem langsameren Tanz zurückkehrte. Henio nickte und fuhr mit seiner Erklärung des Innenrings fort. Er erzählte von wöchentlichen Märkten zwischen den niederen Häusern, wo sich die Vertiden trafen, von Beziehungen zu anderen Städten, die ich nur vom Namen her kannte, von prächtigen Bällen in der Perle und der Königsfamilie. Es waren viel zu viele Informationen für mich auf einmal. Alleine die ganzen Namen fielen mir nun schon nicht mehr ein. Im Außenring  waren König Geron und Königin Alena mit ihren beiden Söhnen Aspen und Neo selbstverständlich bekannt, doch niemand hatte sie jemals gesehen noch hatte ich ihre Stammbäume studiert. Mein mangelndes Hintergrundwissen erschwerte es, den verworrenen Beziehungen, die Henio mir erklärte, zu folgen. Ich war nie die Sorte Mädchen gewesen, die sich für ihre Königsfamilie und den Klatsch interessiert hatte. Lieber übte ich mich mit Rylan im Kampf und Bogenschießen als mich mit alten Büchern oder den neuesten Geschichten im Dorf zu beschäftigen. Henio seufzte über mein Unwissen, die vielen Fragen und verwirrten Blicke von mir. „So gut du deine Flamme auch trainiert hast; Dein Wissen über dein zukünftiges Leben lässt wirklich zu wünschen übrig. Da haben wir morgen noch einiges vor uns“, tadelte mich Henio. Ich seufzte, denn solche Formalitäten langweilten mich. „Aber nun lass uns Schluss für heute machen, du bist bestimmt hungrig. Deine Ausdauer scheint erschöpft, wobei ich sehr stolz bin, wie gut und wie lange du deine Flamme unter Kontrolle hattest.“ Erst auf Henios Worte hin bemerkte ich, wie erschöpft ich wirklich war und ließ meine Flamme sofort verschwinden. Ich wischte mir mit einer Hand die Schweißtropfen von der Stirn, die sich dort gebildet hatten, ohne dass ich es bemerkt hatte. Mein Körper fühlte sich plötzlich sehr schlapp und wie auf Kommando knurrte mein Magen. Henio lächelte mir zu. „Das war ein Zeichen. Wir beide sehen uns morgen, du wirst wieder hierher gebracht werden. Ich wünsche dir einen schönen Abend, Cecily.“

4

 

Als ich hinter dem Imperiden, der mich vom Übungsraum abholte, den Speisesaal betrat, staunte ich nicht schlecht. Der Raum war riesig mit einer Decke, die an die zehn Meter hoch sein musste. Tische und Bänke standen aneinander gereiht und fast alles war besetzt. Es herrschte eine fröhliche und aufgeregte Stimmung, die mich sofort packte. Auch mein Magen meldete sich wieder zu Wort, weshalb ich dem Imperiden kurz zulächelte, der sich von mir verabschiedete, und mich dann an einer Reihe von Vertiden anstellte, die anscheinend auf das Essen warteten. Kaum hatte ich mich hinter ein Mädchen eingereiht, drehte dieses sich auch schon um und plapperte sofort los. „Hallo, ich bin Milena. Deine Augen habe ich schon bemerkt, seit du den Raum betreten hast. Die sind ja unglaublich! Ich kann gar nicht wegsehen!“ Etwas verlegen lächelte ich sie an. Sie war ungefähr so groß wie ich, hatte dunkelbraune Haare und grüne Augen. „Dankeschön. Und ich bin Cecily“, stellte ich mich vor. Ich war nicht sehr gesprächig, vor allem nicht, was Mädchen anging. Im Dorf hatte ich nie besonders gute Erfahrungen mit Mädchen gemacht und mit Rylan nur einen männlichen Freund gehabt. Das Mädchen vor mir war mir aber zu meiner Überraschung sofort sympathisch, da ihre Augen vor Aufregung funkelten und ihr breites Grinsen mich ansteckte. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Seit wann ließ ich mich denn so schnell anstecken? Ich schob es auf den Hunger und wie als Antwort knurrte dieser sofort, was mir ein Kichern von Milena einbrachte. „Ich bin auch am Verhungern! Die Übungsstunde war so anstrengend, das hat alle meine Kräfte aufgezehrt. Ich möchte nur noch essen und danach schlafen. Hast du es denn geschafft, dein Element hervorzurufen?“ Milena redete ohne Punkt und Komma. Es war beinahe schwer, ihr bei ihrem Gedankengang zu folgen und fast hätte ich die Frage am Schluss nicht wahrgenommen. „Ähm, ja ich bin auch ziemlich erschöpft, aber ich konnte mein Element hervorrufen. Hat bei dir auch alles funktioniert?“, fragte ich sie zurück. Als Antwort bekam ich nur ein Nicken, denn Milena war an der Reihe, ihr Essen auszuwählen und ließ sich eine beachtliche Portion auf ihr Teller geben. Ich staunte bei der Auswahl, die sich mir bot. Von zu Hause war ich es gewohnt, dass wir sparen mussten und es meist nur Nudeln oder Brei gab. Hier aber gab es Fleisch in unterschiedlichsten Variationen, Nudeln mit verschiedenen Soßen, allerlei Gemüse und Salat. Ich war überwältigt und zeigte wahllos auf verschiedene Dinge, als ich an der Reihe war. Mit einem vollen Teller trat ich von der Theke weg und entdeckte Milena, die ein paar Schritte entfernt auf mich wartete. Schnell ging ich zu ihr und gemeinsam suchten wir uns einen freien Platz zum Essen. Mit uns am Tisch saßen bereits einige Mädchen, die sich aufgeregt unterhielten und dabei ihr Essen komplett vernachlässigten. Ich hatte nicht vor, es ihnen nachzumachen und machte mich sofort daran, den Mais auf meinem Teller zu verputzen. Ich kaute und nahm nur am Rand wahr, wie sich die Mädchen Milena und mir vorstellten. Ihre Namen konnte ich mir sowieso nicht merken. Sie erzählten von ihren Prüfungen und Übungsstunden, alles drehte sich um das neue Leben. Und alle schienen sich darauf zu freuen. 

 

Ein Mädchen, groß, blond und schlank, prahlte besonders mit den Ergebnissen ihrer Prüfung und ihrer Übungsstunde. „Mein Prüfer war so begeistert von mir und meinte, ich würde auf jeden Fall in ein hohes Haus kommen. Auch im Training konnte ich mein Element schon nach vier Versuchen hervorrufen! Die Tropfen tanzten zuerst nur auf meiner Hand, dann regnete es von der kompletten Decke. Mein Lehrer war überrascht und erzählte mir, dass er so etwas noch nie erlebt hatte.“ Ihr Element war also das Wasser, schlussfolgerte ich. Zudem schien Kilian recht gehabt zu haben: Einige Mädchen prahlten, wofür sie von einigen anerkennende, von anderen jedoch böse Blicke ernteten. Ich fokussierte meine Konzentration auf das Essen vor mir, denn ich folgte dem Rat von Kilian und hielt mich aus den Gesprächen heraus. Milena hatte ihre Portion bereits verputzt und hielt sich den Bauch. „Ich glaube, ich muss mich in mein Zimmer rollen“, sagte sie an mich gewandt und warf mir einen leidenden Blick zu. Dieser verwandelte sich kurz darauf in ein Grinsen, als sie hinzufügte: „Das hat sich aber wirklich gelohnt, denn so gut habe ich noch nie in meinem Leben gegessen. Ich hoffe, dass das im Innenring Standard ist.“ Ich nickte ihr zu und erwiderte ihr Lächeln. „Da kann ich dir nur zustimmen. Zum Glück sind wir nur zwei Tage hier, sonst würde ich hier mit einigen Kilo mehr das Gebäude verlassen.“ Bald hatte auch ich meinen Teller leer und war bereit für mein Bett.

Gerade wollte ich mich von Milena verabschieden, als ich mich bei den Worten der blonden Vertide von vorhin versteifte. „Habt ihr schon gehört, dass dieses Mal eine Feuer-Vertide dabei sein soll? Nachdem ich meinen Übungsraum unter Wasser gesetzt hatte, vertraute mir mein Lehrer an, dass ich mit meinen Fähigkeiten eventuell in die Perle einziehen könnte, denn beide Prinzen sind ja bekanntlich auf der Suche nach einer Partnerin. Allerdings sei auch eine Vertide mit im Rennen, die die Flamme beherrscht. So etwas gab es erst ein Mal! Natürlich ist sie selten und die hohen Häuser werden sich um sie streiten. Aber die beiden Prinzen sind nun mal Wasser-Imperiden und würden sich wohl kaum eine Feuer-Vertide aussuchen, oder was meint ihr? Feuer und Wasser, wie soll sich das denn gegenseitig stärken können?“ Blondie schüttelte den Kopf und hob danach ihr Kinn an, was selbst ohne ihre Worte dazu geführt hätte, dass ich sie für eingebildet gehalten hätte. „Morgen werden wir ja sehen, wer sich einen Prinzen geangelt hat“, fügte sie mit einem selbstsicheren Grinsen hinzu. Mir hatte das Gesagte aber eher eine Gänsehaut beschert. War es wirklich möglich, was sie gesagt hatte? Könnte es sein, dass ich in die Perle einziehe? Bei dem Gedanken wurde mir schlecht und ich musste mich konzentrieren, das eben Gegessene bei mir zu behalten. Ich hoffte wirklich, dass Blondie Recht hatte und die Prinzen nicht auf die irrsinnige Idee kamen, Feuer und Wasser zu kombinieren.

 

Gemeinsam mit Milena begab ich mich auf mein Zimmer, welches ich dank der Wegbeschreibung meines Imperiden zuvor nach ein paar falschen Abzweigungen glücklicherweise fand. Milena plapperte auf dem ganzen Weg fröhlich vor sich hin und ich musste sie trotz ihrer Bedenken nicht zu ihrem Zimmer rollen. Das Gespräch mit der Vertide tat mir gut und nahm mir etwas von der Anspannung. Nachdem wir uns verabschiedet hatten und ich mich schließlich im Bett befand, kamen allerdings meine Zweifel und Ängste wieder zurück. Bei dem Gedanken an die Königsfamilie zitterte ich. Mein Zuhause war ein einfaches Bauernhaus gewesen, das Palastleben und das vornehme Verhalten waren mir fremd. Ich konnte mich zwar anpassen, aber selbst diese Verwandlung würde ich weder schaffen noch schaffen wollen. Ich wollte mich selbst in meiner Partnerschaft nicht verlieren. Und eine Cecily, die die Partnerin eines Prinzen war, konnte unmöglich etwas mit der Cecily gemeinsam haben, die ich war. Bei diesem Gedanken stockte ich. Es sollte wohl besser heißen: Diese Cecily konnte unmöglich etwas mit der Cecily gemeinsam haben, die ich bis gestern gewesen war.

5

 

Als ich am nächsten Morgen am Frühstück im Speisesaal saß, musste ich mich mit größter Mühe zusammenreißen, dass ich nicht mit meinem Kopf in die Müslischale kippte. Die letzte Nacht hatte ich kaum schlafen können. Als die Müdigkeit groß genug war, um die Angst zum Schweigen zu bringen, besuchten mich Albträume in meinem Schlaf. Immer wieder schreckte ich auf und als der Imperide am Morgen an meine Zimmertür klopfte, war ich bereits wach und nassgeschwitzt. Milena bemerkte sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte und warf mir immer wieder besorgte Blicke zu, nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich nicht schlafen konnte. Sie war ansonsten bestens gelaunt und freute sich auf ihre Übungsstunde. „Kannst du es glauben, dass wir heute Abend schon unser neues Zuhause sehen werden? Ich hoffe, dass wir beide nicht allzu weit entfernt wohnen und uns treffen können“, plapperte sie schon wieder vor sich hin. Der Gedanke daran, heute Abend bereits in meinem neuen Haus zu sein, sorgte bei mir allerdings nicht für die Freude, wie es das bei Milena tat. Ich schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen und gleichzeitig auf Milenas Frage zu antworten. Nun wollte ich mich zuerst einmal auf meine Übungsstunde konzentrieren und nicht an den Abend denken. Ich verabschiedete mich von ihr und räumte mein Geschirr ab. Den Weg zu meinem Zimmer fand ich fast, ohne mich zu verlaufen.

Ich setzte mich auf mein Bett und entwirrte meine Haare, die ich zuvor nur kurz zu einem behelfsmäßigen Dutt zusammengefasst hatte. Als sich mein Arm dabei vor meinem Gesicht befand, fiel mein Blick auf das Armband, das ich von Rylan geschenkt bekommen hatte. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen, als ich an die letzte Nacht zurück dachte, als wir den Sternenhimmel betrachtet hatten. Ich nahm das Armband ab und hielt es in meinen Händen. Es war wirklich wunderschön verarbeitet und die Perle glänzte in verschiedenen Tönen von orange. Ich drehte es in meinen Fingern und stockte, als ich auf der Rückseite einen winzigen Zettel entdeckte, der in das Garn mit eingewoben war. Mit zitternden Fingern zog ich das Papier vorsichtig heraus und faltete ihn auf.  

 

Pass auf dich auf. Wir sehen uns.

 

Die Worte waren so klein geschrieben, dass ich sie gerade noch lesen konnte, und füllten doch den gesamten Zettel aus. Mein Herz schlug schneller, als ich sie immer und immer wieder las, jedes Detail in mich aufsog. Der erste Satz war unmissverständlich. Aber der Sinn des zweiten Satzes erschloss sich mir nicht. Wann sollten wir uns wiedersehen? Er durfte den Innenring nicht betreten und mein Leben spielte sich ab jetzt in diesem ab. Oder meinte er das Geschriebene nur als Aufmunterung und war optimistisch? Eines zeigte mir dieser Zettel aber sicher: Rylan hatte nie damit gerechnet, dass ich die Prüfer überlisten konnte. Er hatte sich damit abgefunden, dass er mich verlieren würde. Er hatte mich bereits aufgegeben. Mit dieser Erkenntnis überkam mich Traurigkeit. Und gleichzeitig auch Wut. Selbstverständlich hatte er mit seiner Vermutung Recht gehabt, denn ich hatte meine Flamme gezeigt. Aber mein Freund hatte nicht an mich geglaubt. Ich hatte das Feuer jahrelang trainiert und hatte es gut unter Kontrolle. Das wusste Rylan. Dennoch hatte er mich schon aufgegeben. Mit einem Stechen in der Brust steckte ich den Zettel zurück ins Armband und ließ es auf dem Bett liegen, als ich meine Haare zu einem Zopf flocht. Ich konnte mich nicht überwinden, es wieder an meinen Arm zu binden. Im Moment überwog einfach die Wut, die ich für Rylan empfand. Ich hatte es verdient, dass man an mich glaubte.

An die Übungsstunde mit Henio ging ich schon mit wenig Motivation heran. Es war dasselbe Spiel wie gestern. Ich hielt die Flamme klein und ruhig unter Kontrolle, während mein Lehrer mich über mein gewünschtes Verhalten an den verschiedenen Häusern aufklärte und mir die Geschichte Lapis‘ erzählte. Diese hatte ich zwar schon einmal gehört, denn jede Mutter war dazu aufgefordert worden, ihr Kind über die Geschichte unserer Stadt zu informieren, aber Henio wusste jedes Detail. Auch über Sinistra, die Stadt des Grauens, klärte er mich auf. Das war das Thema, welches mich tatsächlich interessierte. Wir im Außenring fürchteten Sinistra zwar, kannten die Gründe dafür allerdings nicht. Durch Henio erfuhr ich, dass der König von Sinistra nicht allen Imperiden seiner Stadt wohlgesonnen war. Er hatte einen kleinen Kreis aus mächtigen Männern um sich geschart, mit denen er seine Angriffe auf die anderen Städte plante. Zudem schwor ihm ein Heer von Imperiden die Treue. Alle anderen, Menschen und schwächere Imperiden, hielt er in Sklaverei. Der König war bekannt für seine Grausamkeit und sein Sohn schien dabei in seine Fußstapfen zu treten. Durch ihre regelmäßigen Angriffe auf die anderen neun Städte verbreiteten die Sinistra überall Furcht. Ihnen reichte es nicht, eine Stadt zu schwächen. Ihr Ziel war es, Gefangene zu nehmen und somit ihre Stadt zu stärken. „Aber wieso gelingt es einer Stadt, sich alleine gegen alle anderen zu stellen? Wieso sind die Sinistra so mächtig?“, fragte ich schockiert. Henio seufzte und lehnte sich im Stuhl zurück. „Der König von Sinistra ist sehr stark. Man sagt, er besitze die Kontrolle über alle fünf Elemente. Er allein hat einen mächtigen Schutzwall mithilfe aller Elemente errichtet, sodass es sowohl für die Gefangenen unmöglich ist, die Stadt zu verlassen, als auch für Angreifer kaum möglich, in Sinistra einzudringen.“ Meine Augen wurden groß. Alle fünf Elemente? Davon hatte ich noch nie gehört. Einen Kampf gegen den König zu gewinnen, schien kaum möglich zu sein. Nun konnte ich mir auch denken, wieso wir im Außenring größtenteils in Unwissenheit gelassen wurden. Wenn sich bereits die Imperiden so sehr vor den Sinistra fürchteten, dann würde im Außenring, wo es keine Magie gab, Panik ausbrechen, wenn sie von der Macht des Königs von Sinistra erfuhren.

„Zudem entzieht er seiner Partnerin alle Energie. Von ihr hat man schon lange nichts mehr gehört, was daran liegt, dass auch sie gefangen gehalten wird. Der König von Sinistra nutzt sie und ihre Magie komplett aus, was ihn zum stärksten Imerpide aller zehn Städte macht. Es ist verboten, seine Partnerin derart auszunutzen. Da sich dem König von Sinistra allerdings niemand in den Weg stellen kann, kann er sich seiner und ihrer Macht bedienen.“ Erschrocken löschte ich meine Flamme, als sie wild vor meinem Gesicht tanzte. Sie hatte sich aufgebäumt und sich von der Angst ernährt, die sich bei mir eingeschlichen hatte, während ich Henios Worten gelauscht hatte. Sie lebte von meinen Gefühlen, aber das war genau das, was ich unterdrücken musste. Dennoch konnte ich bei der schrecklichen Erzählung von Henio nicht ruhig bleiben. Wenn sich die neun Städte nun mit ihrer verstärkten Vertiden-Auswahl und dem Schluss vieler Partnerschaften für einen Krieg gegen Sinistra wappneten – war es dann nicht auch möglich, dass es in diesem Ausnahmezustand zur Ausnutzung der Vertiden kam? Ich zitterte, am ganzen Körper, denn ich kannte die Antwort. Henio bemerkte meine Angst und legte beruhigend seine Hand auf meine. „Wir sind nicht wie sie. Du brauchst dich nicht zu fürchten.“ Seine Worte trugen wenig dazu bei, mir die Angst zu nehmen. Schließlich war er selbst einer der höheren Imperiden und würde mich das glauben lassen, was er wollte. Ich schluckte und nickte ihm aber zu, denn es hatte keinen Sinn, das nun weiter auszudiskutieren. Mir selbst schwör ich aber, dass ich stark sein würde. Ich würde trainieren und mich stärken, sodass mich niemand ausnutzen konnte. Das würde ich nicht zulassen. Ich würde keine Gefangene sein.

Den Rest der Übungsstunde verbrachte ich weiterhin Henio lauschend, während die Flamme in meiner Hand tanzte. Ich hörte meinem Lehrer kaum zu, sondern konzentrierte mich auf die Kraft, die in meinem Element lag. Die Flamme wärmte mich, schlängelte sich um meine Finger und spielte mit ihnen. Aber vor allem spürte ich im Inneren, dass die Flamme mich drängte. Sie drängte mich, sie frei zu lassen, damit sie sich zu ihrer ganzen Größe entfalten konnte. Die kleine Form als brav tanzende Flamme gefiel ihr nicht. Sie war zu mehr bereit und viel zu mächtig, um in einen so kleinen Käfig gesperrt zu werden. Ich spürte, dass sie auf der Lauer lag, bereit zu einem großen Feuer.  

6

 Vor dem nächsten Tagespunkt hatte mich niemand gewarnt. Nach dem Mittagessen wurde ich in einen Raum gebracht, der nur aus Spiegeln bestand; Selbst die Decke war verspiegelt. Die Frau, welche eben in einem riesigen Kleiderschrank verschwunden war, sah aus wie eine Puppe. Sie trug ein hübsches Kleid, hatte eine hoch aufgesteckte Frisur, bei der ich bezweifelte, dass sie allein aus ihren eigenen Haaren bestand, und ihr Gesicht war unter der ganzen Schminke kaum zu sehen. „Ach Mädchen, bei dir wusste ich sofort, was du angezogen bekommst. Wenn ich es nur finden würde“, kamen die Worte aus dem Schrank bei mir an. Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Hoffentlich würde sie mich nicht in ein Püppchen verwandeln, wie sie es war. Als ich zuvor den Raum betreten hatte, war ich überrascht, eine menschliche Frau hier vorzufinden. Normalerweise war es Menschen nicht gestattet, den Innenring zu betreten. Lächelnd hatte sie sich mir als Lia vorgestellt und mir erzählt, dass sie schon seit langer Zeit im Innenring lebte und jedes Jahr die Vertiden bei ihrer Initiation vorbereitete. Anscheinend hatten einige Menschen doch mehr Kontakt zum Innenring, als ich es vermutet hatte. Laut Lia reisten sogar einige ausgewählte Menschen regelmäßig zwischen dem Innen- und Außenring, um Geschäfte zu erledigen. Sie waren aber dazu verpflichtet, darüber zu schweigen.

 

„Na wer sagts denn“, hörte ich Lia freudig sagen und sah sie wieder aus dem Schrank auftauchen. Triumphierend hielt sie etwas in die Höhe, das nach einer Mischung aus Einteiler und Kleid aussah. Sofort befahl sie mir, mich umzuziehen. Als ich anschließend in den Spiegel schaute, staunte ich nicht schlecht. Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt war. Das Kleidungsstück war schwarz und trägerlos. Auf den Beinen schlängelten sich Flammen, die bis zur Taille reichten. Hinten war von der Taille an der Teil angesetzt, der mich an ein Kleid erinnerte. Ein leichter Stoff fiel über meine Rückseite und bescherte meinem Po Kurven, die er nicht besaß. Die Beine waren sehr kurz, wurden von dem Stoff hinten um einige Zentimeter überdeckt. Auch Lia schien begeistert. „Die Farben schmeicheln deinen Augen wirklich wunderbar! Das schwarz und orange findet sich in diesen genauso wieder. Ich wusste von Anfang an, dass ich dich nicht in ein Kleidchen stecken konnte, dafür hast du viel zu viel Stärke in dir. Darauf müssen wir setzen und werden dich nicht durch zu viele Spielereien verniedlichen.“ Erleichtert schenkte ich ihr ein echtes Lächeln. „Danke Lia, das hier ist einfach perfekt. Und ich muss dir sagen: Gegen ein Kleid hätte ich mich wirklich geweigert“, gab ich zu, als Lia mich bereits zu einem Stuhl leitete. Sie lachte und drückte mich nach unten in den Stuhl. „Gegen das Make-Up und die Frisur darfst du dich leider nicht wehren“, warnte sie mich vor und begann sich sofort, an meinen Haaren zu schaffen zu machen. Nach einer gefühlten Stunde, schmerzendem Ziehen an den Haaren und Hustenanfällen durch Puder stand ich nun in der Mitte des Raumes und durfte mich selbst betrachten. Lia versuchte, neben mir ruhig zu stehen, aber sie hüpfte immer noch um mich herum und zupfte hier und da. Ein Lächeln stand auf ihrem Gesicht, sie war anscheinend zufrieden mit ihrem Kunstwerk. Als ich mich von oben bis unten im Spiegel betrachtete, war ich begeistert. Lia hatte meine schwarzen Augen betont und meinen Lippen einen leichten orangenen Stich verpasst, sodass sie meine Augenfarbe und das Outfit komplettierten. Meine Haut sah sehr gesund aus mit einem gesunden Ton, der normalerweise nicht zu mir gehörte. Die Haare waren zu einem strengen hohen Zopf gebunden, fielen dann aber in schönen Wellen, was einen schönen Kontrast bot. Lia hatte es geschafft, mich herauszuputzen, aber gleichzeitig mich selbst nicht überschminkt. Ich konnte die kämpferische, freie Cecily erkennen, die es liebte, im Wald zu jagen und gern im Regen tanzte.

 

Als sie mein Lächeln sah, umarmte mich Lia stürmisch. „Es gefällt dir, ich wusste es!“ Tatsächlich war ich wirklich beeindruckt und fühlte mich in meiner Haut sogar wohl. Das hatte ich nie für möglich gehalten. „Dankeschön Lia. Mir gefällt es wirklich sehr und ich fühle mich nicht, als würde ich eine Maske tragen, wie ich es zuvor befürchtet hatte.“ Lia hörte gar nicht auf zu hüpfen und schäumte vor Freude. "Etwas fehlt aber noch“, murmelte sie vor sich hin, als sie sich schon auf die Suche nach diesem Etwas begeben hatte. Ich folgte ihr mit meinem Blick und war überrascht, als sie ein Armband hervorzog. Es war meines, das ich heute Morgen auf meinem Bett liegen gelassen hatte. „Schmuck darf nicht fehlen, mein Schätzchen“, erklärte sie mir, als sie das Armband an meinem Handgelenk befestigte. Es ergänzte das Outfit wirklich perfekt, allerdings brachte es mir erneut ein mulmiges Gefühl ein. „Nun ist alles perfekt. Ich habe mich gefreut, dich kennenlernen zu dürfen, kleine Flamme“, verabschiedete sich Lia und verließ den Raum.

 

Mir war klar, dass ich nun nichts mehr verbergen konnte. Alle Vertiden würden auf den ersten Blick erkennen, was mein Element war. Ich atmete tief durch. In ein paar Minuten würde ich dieses Gebäude verlassen und in mein neues Zuhause ziehen. Welches das war, würde ich gleich erfahren. Bitte nicht die Perle, bitte nicht. Ich zitterte erneut am ganzen Körper. Das hatte ich nicht unter Kontrolle. Ich hatte keine Kontrolle mehr über mein Leben und musste mich fügen. Das machte mir große Angst. Einzig und allein über meine Flamme hatte ich die Kontrolle. Klein ließ ich sie auf meiner Handfläche tanzen und spürte, wie ihre Wärme mich allmählich beruhigte. „Cecily Dilea, es ist soweit.“ Ein Imperide hatte das Zimmer betreten, ohne dass ich es bemerkt hatte.

 

Ich löschte meine Flamme und folgte ihm in den Speisesaal. Dieser war nun allerdings komplett leer geräumt und wirkte noch größer als bereits zuvor. Auf der einen Seite des Saals standen bereits einige Vertiden, die unruhig kicherten oder ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerten. Alle waren in hübsche Kleider gesteckt worden. Viele symbolisierten ihr Element durch wasserblaue Stoffe, die sich wie Wellen aufbauschten oder schlichte Braune Teile und farbenfrohes Make-Up, welches an eine Blumenwiese erinnerte. Sie sahen alle wunderschön aus. Als ich auf die Reihe zutrat, bemerkte ich, dass ich viele Blicke auf mich zog. Natürlich realisierten sie, dass auch ich passend zu meinem Element gekleidet worden war. Ich stellte mich neben Milena, die mich erschrocken anschaute. „Du bist die Flamme! Cecily, wieso hast du mir das denn nicht erzählt? Du siehst wunderschön aus, ich bin wirklich neidisch“, redete sie los, wie ich sie kannte. Auch sie sah wunderschön aus. Ihre braunen Haare fielen in freien Wellen herab und ihre Augen waren  schön groß geschminkt worden. Sie trug ein fliederfarbenes Kleid, welches nicht zu auffällig war. Ihr Element konnte ich nicht erkennen. „Wir haben nie über unsere Elemente gesprochen, Milena. Was ist denn dein Element?“, fragte ich sie, nun wirklich neugierig. Sie lächelte, als sie mir antwortete. „Ich kann den Geist kontrollieren.“ Ebenfalls eine mächtige Gabe. Es gab also wirklich die Chance, dass wir beide in nicht allzu weit entfernte Häuser einziehen würden. Meine Aufmerksamkeit wurde auf einen Imperiden gelenkt, der in die Mitte des Raumes getreten war. Erst jetzt bemerkte ich, dass unserer Vertiden-Reihe eine weitere Reihe gegenüber stand. Imperiden. Wir standen unseren zukünftigen Partnern gegenüber. Auf mein Zittern hin nahm Milena meine Hand. „Keine Angst. Wir werden uns nicht aus den Augen verlieren, ja?“ Ich nickte. Dann begann der Imperide in der Mitte zu sprechen, begrüßte die Imperiden und kündigte feierlich den Einzug der Vertiden in ihre neuen Häuser an. Seiner Rede folgte ich nicht, viel zu sehr war ich damit beschäftigt, den Boden zu betrachten, meinen Atem zu beruhigen und nicht umzufallen. Mir war übel und schwindelig. Milenas sanfter Händedruck half mir dabei, mich zu beruhigen. Irgendwann bemerkte ich, dass bereits eine Vertide nach der anderen vortrat, auf der gegenüberliegenden Seite dies auch ein Imperide tat und das Mädchen sich anschließend zu diesem begab. Ein Element nach dem anderen wurde aufgerufen, momentan die Wasser-Vertiden. „Flavia Reco“, verkündete der Sprecher und die blonde Vertide, die beim Abendessen mit ihrem Element geprahlt hatte, trat mich hoch erhobenem Kopf aus der Reihe nach vorne. „Sie wird eine Partnerschaft mit Prinz Neo, Wasser, eingehen.“ Auf der anderen Seite trat ein großer Mann aus der Reihe, ich schätzte ihn auf etwas älter als zwanzig. Er hatte hellbraune Haare und dunkle Augen. Für einen Prinzen wirkte er auf den ersten Blick etwas schüchtern. Im Saal wurde es laut, denn einige Imperiden und auch Vertiden begannen zu tuscheln. Blondie hatte es also wirklich in die Perle geschafft, wie sie es sich erhofft hatte. Mit einem Siegerlächeln ging sie auf Prinz Neo zu, der ihr zur Begrüßung zunickte und dann wie die Partner zuvor mit Flavia im Schlepptau den Saal verließ.  

 

„Das nächste Element ist Feuer“, verkündete der Sprecher nun und mir wurde plötzlich heiß. Hoffentlich brannte ich nicht meine Haarspitzen an, wie damals zu Hause. Ich schluckte einmal, denn ich wusste, welcher Name gleich genannt werden würde. „Cecily Dilea“, klang mein Name durch den Saal. Es war mucksmäuschenstill. Milena drückte meine Hand ein letztes Mal, bevor ich sie losließ und einen Schritt nach vorne machte. Ich spürte alle Blicke auf mir und konzentrierte mich auf einen Punkt über den Köpfen der Imperiden, um keinem ins Gesicht schauen zu müssen. „Ihr Partner war leider verhindert, deshalb wird ein Stellvertreter sie empfangen. Sie wird eine Partnerschaft mit Prinz Aspen, Wasser, eingehen.“ Da waren sie, die gefürchteten Worte. Ich konnte mich nicht bewegen, das Zittern kehrte zurück. Nicht in die Perle, nicht in den Palast. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr, als ein Imperide, der die Vertretung für Prinz Aspen war, hervortrat. Ich spürte, wie Milena mir einen kleinen Schubs nach vorne gab und zwang mich, ein Bein vor das andere zu setzen. Wie zuvor bei Flavia wurde es laut im Saal. Ich konnte nicht klar denken, spürte nur die Angst in mir. Als ich endlich vor dem vorgetretenen Imperiden stand, hatte ich das Gefühl, einen Marathon hinter mir zu haben. Er verneigte sich vor mir und drehte sich um. Eine unmissverständliche Aufforderung, ihm zu folgen. Ich tat es, ohne zurück zu schauen. Die Blicke der Imperiden und Vertiden brannten mir immer noch im Rücken.

7

 

Ich war ein einziges Nervenbündel, als ich dem Imperiden, der mich abgeholt hatte, gegenübersaß. Meinen Schätzungen nach war er um die dreißig, war breit gebaut, hatte smaragdgrüne Augen und hellblonde Haare. Ich bewegte mich im Auto parallel zur Straße und mir wurde erklärt, dass man so ein langes Auto Limousine nannte. Außer dem Fahrer, dem Prinz-Stallvertreter und mir war das Auto allerdings leer, weshalb ich darauf schloss, dass man ein so großes Gefährt nur benutzt hatte, um die anderen Häuser zu beeindrucken. „Hallo Cecily, mein Name ist Mentis und ich bin der Leibwächter von Aspen.“ Überrascht wanderte mein Blick vom Fenster zum Impertiden. Seine Stimme war sehr freundlich. Ich hatte nicht gedacht, dass er sich die Mühe machen würde, ein Gespräch mit mir zu beginnen, da dies für ihn sicher nur ein Botengang war. „Aspen war leider … verhindert“, grummelte er und sah dabei etwas verärgert aus. Ich nickte und zuckte mit den Schultern. „Das ist kein Problem“, sagte ich. Ich dachte, dass es am besten sein würde, mich erst mal ruhig und gehorsam zu geben. Außerdem strahlte Mentis eine Ruhe aus, die auch mich ergriff und mein Zittern etwas beruhigte. „Der junge Prinz ist sich oft seiner Verantwortung nicht bewusst. Er nimmt sich viele Freiheiten, was ihm oft Ärger mit seinem Vater einbringt. Du darfst dich nicht von ihm und seiner Art unterkriegen lassen. Er ist wirklich ein anständiger Mann, wenn man ihn näher kennenlernt“, warnte mich Mentis vor. Das entlockte mir ein Lächeln. „Das klingt, als sollte ich es kaum erwarten können, ihn kennenzulernen“, sagte ich etwas frech und hielt mir sofort die Hand vor den Mund, als ich meine ausgesprochenen Worte hörte. Mentis aber lachte nur und pflichtete mir bei. „Ich frage mich immer wieder, wieso ihn der König nicht schon längst aus der Perle verbannt hat. Er ist das Gegenteil von seinem älteren Bruder. Neo beschäftigt sich gerne mit Verhandlungen und Handelsbeziehungen. Er ist eher der ruhigere und seine Handlungen sind gut überlegt. Aspen dagegen … Aber ich überhäufe dich wahrscheinlich gerade mit Informationen. Wir sollten die Zeit hier auf dem Weg zum Palast besser dazu nutzen, dich auf den Rest des Tages vorzubereiten.“ Ich konnte Mentis Worten nur schwer folgen, denn die Anspannung saß noch immer in mir. Allerdings nickte ich ihm zu, sodass er mir erklärte, dass ich in der Perle zuerst die Königsfamilie und meinen Partner kennenlernen würde. Das Treffen würde öffentlich stattfinden, sodass ich mich auf eine beachtliche Menschenmasse einstellen sollte. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass ein Prinz eine Partnerschaft einging. Zum Glück redete Mentis schnell weiter, sodass ich die aufsteigende Angst niederkämpfen konnte. Anschließend würde ich mein Zimmer beziehen und meine zwei Zofen kennenlernen. Wenn ich Hunger hatte, würden diese mir noch etwas zu Essen bringen, bevor ich den Abend dann für mich alleine hatte. Ich konnte es kaum erwarten, den offiziellen Teil überstanden zu haben und mich in meinem Zimmer zu befinden. „Ab morgen wirst du Unterricht erhalten. Das Verhalten im Palast wirst du gemeinsam mit der Partnerin von Prinz Neo erlernen, eure Elemente werdet ihr allerdings getrennt trainieren.“ Bei dem Gedanken an gemeinsamen Unterricht mit Flavia machte ich nicht gerade Freudensprünge. Mir war schon jetzt klar, dass sie sich schneller als ich an das Leben im Palast anpassen würde. „Natürlich wirst du auch von Beginn an mit Aspen trainieren, damit sich eure Elemente aneinander gewöhnen. Offiziell wird eure Partnerschaft in drei Tagen besiegelt werden.“ Ich musste zugeben, dass ich mich darauf freute, mit meinem Element zusammenzuarbeiten. Und ich war gespannt darauf, wie es im Zusammenspiel mit Wasser funktionieren sollte. Wie Flavia es bereits erwähnt hatte: Es war nur schwer vorstellbar, wie sich zwei gegensätzliche Elemente ergänzen und einander stärken sollten.

„Wir sind da“, riss mich Mentis aus meinen Gedanken. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Limousine vor einem prächtigen Gebäude gehalten hatte. Ich konnte durch die Fenster nicht die ganze Höhe erfassen und auch in der Länge war kein Ende zu sehen. Mentis war bereits ausgestiegen und hielt mir die Tür auf. „Willkommen in deinem neuen Zuhause“, sagte er lächelnd und nahm meine Hand, als ich etwas wackelig aus dem Auto stieg. Eine Woge von Ruhe überkam mich, als seine Finger die meinen berührten und ich schaute Mentis in die Augen. Er war ein Geist-Imperide. Im Moment war ich tatsächlich dankbar dafür, dass er mich beruhigte. Ich ließ seine Hand los und drehte mich zum Gebäude. Die Perle war von einer hohen Mauer umgeben, welche man nur durch das Tor, das sich vor mir befand, überwinden konnte. „Wir werden hier auf die Partnerin von Prinz Neo warten. Wenn sich das Tor öffnet, wirst du gemeinsam mit ihr hindurchgehen. Links und rechts sind bereits einige Bewohner der Perle sowie weitere des Innenrings. Genau vor euch wird euch die Königsfamilie erwarten. Wenn ihr vor sie tretet, vergesst den Knicks nicht. Der restliche Ablauf wird vom König geleitet und bestimmt. Halte sich einfach an seine Anweisungen“, riet Mentis mir. Würde er mich nicht mit seiner Kraft kontrollieren, wäre ich bereits zusammengebrochen. Ich wollte nicht im Mittelpunkt stehen. Mit großen Menschenmassen kam ich nicht zurecht.

 

Neben mir fuhr ein Auto vor. Anscheinend war Prinz Neo bereits ausgestiegen, denn es verließ nur Flavia die Limousine. Sie trug ein wallendes blaues Kleid, ihre blonden Haare waren weit aufgetürmt und sie war stark geschminkt. In Gedanken dankte ich Lia, dass sie mich nicht in so eine Puppe verwandelt hatte. „So sieht man sich wieder, Flamme“, begrüßte sie mich mit einem Grinsen, welches mich eher an ein Zähnefletschen eines Wolfes erinnerte. Es blieb weder Zeit, ihr eine bissige Antwort zu geben, noch mich ein letztes Mal zu Mentis umzudrehen. Das Tor war geöffnet.

 

Der Blick, mit dem Flavia mich nun anschaute, musste dem ziemlich ähneln, den ich ihr zuwarf. Aufregung spiegelte ich in beiden wieder. Wobei in meinem vermutlich etwas mehr Angst und Unwohlsein lag. Sie hatte im Gegensatz zu mir ihren Partner bereits kennengelernt. Wir drehten uns gemeinsam zum Tor und schritten dann nebeneinander, wie uns geheißen wurde, auf den Palast zu. Ich zwang meinen Atem dazu, ruhig zu werden. Meine Hände zitterten, allerdings war diesmal keine Milena da, die sie drücken konnte. Hier musste ich alleine durch. Als wir durch das Tor den Innenhof der Perle betraten, verdrängte ich die Menschenmassen, die sich dort angesammelt hatten. Ich ignorierte die vielen Blicke auf mir, die doch so viel mehr waren, wie ich nach Mentis Beschreibung erwartet hatte. Stattdessen konzentrierte ich mich aus das Gebäude vor mir. Die Perle machte ihrem Namen alle Ehre. Der Palast schimmerte in einem matten Farbton, der an ein Schmuckstück erinnerte. Er war in ein warmes weiß getaucht, gespickt mit etwas rosa. Die unzähligen Türme waren an einem Zentralgebäude angebaut, sodass dieses einem Kunstwerk glich. Die Wände wurden von vielen Fenstern geschmückt, von denen einige nun geöffnet waren und Zuschauer ihren Kopf nach draußen steckten. Vor mir befand sich der Eingang zur Perle. Eine breite Treppe führte in wenigen schmalen Stufen zu einer prächtigen Tür, neben der sich auf beiden Seiten Springbrunnen befanden. Ich war so sehr damit beschäftigt, über die Schönheit des Gebäudes zu staunen, dass ich gar nicht merkte, dass Flavia und ich unser Ziel beinahe erreicht hatten: Ein paar Schritte vor uns standen Mentis und ein anderer Imperide. Vor lauter Aufregung fragte ich mich nicht erst, wie es Mentis so schnell und ohne mein Bemerken hierher geschafft hatte, sondern blickte auf den Boden, bis Flavia und ich zwischen den beiden Imperiden zum Stehen kamen. Ich war froh, dass ich mich noch an Mentis Anweisung zuvor erinnerte und fiel zusammen mit Flavia in einen Knicks. Nachdem ich mich aufgerichtet hatte nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und schaute nach oben zur Königsfamilie. König Geron war eine beeindruckende Person. Mit seiner Größe, den breiten Schultern und kurzen braunen Haaren strahlte er seine Macht förmlich aus. Ich schätzte ihn auf ungefähr fünfzig, wobei er keineswegs schwächer wirkte als seine beiden Söhne. Königin Alena war eine Vertide, was ihr bei mir bereits einen Pluspunkt eingebracht hatte. Sie wirkte im Vergleich zu ihrem Partner ziemlich jung. Sie hatte eine umwerfende Ausstrahlung: Mit ihrer Größe wirkte sie stark, behielt ihre Eleganz aber durch ihre schlanke Gestalt. Sie hatte freundliche blaue Augen und lange blonde Haare. Auf ihrem Gesicht zeigte sich ein herzliches Lächeln, als sie zuerst mich und anschließend Flavia musterte.

 

Neo hatte ich bereits von weitem vorhin gesehen, als er Flavia zugeteilt bekommen hatte. Er lächelte Flavia an. Neben dem Rest seiner Familie ging er beinahe unter. Er strahlte weder die Stärke seines Vaters noch die Schönheit seiner Mutter aus. Er wirkte tatsächlich eher wie jemand, der über Büchern saß, wie Mentis mir geschildert hatte. Bevor ich den Blick zu der letzten der vier Personen schweifen ließ, die sich am oberen Ende der Treppe befanden, spannte ich meine Schultern an und richtete mich auf, damit ich neben Flavia nicht allzu eingeschüchtert wirkte. Dann erlaubte ich mir den Blick auf meinen zukünftigen Partner. Er war groß. Größer als Neo und Alena. Weder in punkto Breite noch Größe reichte er allerdings an seinen Vater heran. Er stand einen Schritt weiter hinten als der Rest seiner Familie und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Als ich schließlich den Blick weiter nach oben wandern ließ, bohrten sich zwei eisblaue Augen in meine. Das einzige, was sie ausstrahlten, war Kälte. In Kombination mit seinem rabenschwarzen Haar, welches er nicht vollständig wie sein Bruder gebändigt hatte, wirkte er auf seine ganz eigene Art mächtig: Er machte mir Angst. Das Zittern, das mich erneut überkam, galt ihm. Ich hatte Angst vor meinem Partner.

8

„Meine geschätzten Bewohner von Lapis, heute ist ein wichtiger Tag für die gesamte Stadt. Mehr unserer Kämpfer als gewöhnlich konnten ihre Partnerin begrüßen. Auch meine beiden Söhne, Prinz Neo und Prinz Aspen werden Partnerschaften eingehen, die bedeutend für uns sind. Ich darf Flavia Reco und Cecily Dilea bei uns in der Perle begrüßen.“ Es folgte Applaus, dann fuhr König Geron fort: „Flavia hat eine erstaunliche Kontrolle bei der Entdeckung ihres Elements Wasser gezeigt und war mit Abstand die stärkste Wasser-Vertide, die wir seit Jahren gesehen haben. Sie wird Prinz Neo mit demselben Element stärken.“ Der König bedachte Flavia mit einem Blick, in dem etwas mitschwang, was ich als Stolz deuten würde. Flavia wuchs neben mir um einige Zentimeter. Ihr gefiel es, im Rampenlicht zu stehen und sie strahlte den König mit ihrem Lächeln an. Auch Neo schenkte der Blondine neben mir ein schüchternes Lächeln. Ich nahm das alles in mich auf, nur um dem Blick meines Partners entgehen zu können. Als der König dann die Aufmerksamkeit auf mich richtete, zwang ich mich, stillzustehen und nicht unter den Blicken zu schrumpfen. Ich hatte schließlich allen Grund, in meinem Outfit selbstbewusst aufzutreten. Die Augen des Königs nahmen gefangen, bevor er anfing zu reden. „Das komplette Gegenteil haben wir mit Cecily ausgewählt. Ihr Element ist die Flamme.“ Ich hört, wie ein Raunen durch die Menge ging. Als ob sie sich dies nicht schon durch meine Kleidung bemerkt hatten, dachte ich mir. „Da Prinz Aspen bereits ein starker Kämpfer ist, haben wir es gewagt, sie als seine Partnerin auszuwählen. Wenn es gelingt, die beiden Elemente geschickt zu kombinieren, erhoffen wir uns davon Großes.“ Die Augen den Königs hielten meine länger fest, als sie es sollten. Es lag eine stille Warnung in ihnen. Mit einer Feuer-Vertide hatte er es noch nicht zu tun gehabt. Ich vermutete, dass das Unbekannte ihm nicht gefiel. Ich war stolz, dass ich seinem Blick standhielt. Allerdings wagte ich es nicht, zu Aspen zu schauen.

 

Zu meinem Glück fuhr der König mit der Präsentation von Flavia und mir fort. Ich kam mir vor, als wäre ich ein Haustier, mit dem sein Herrchen vor anderen prahlen möchte. Es war mir einfach nur unangenehm. „Ich bin mir sicher, wir alle hier sind auf die Fähigkeiten der beiden Vertiden gespannt. Selbstverständlich hatten sie aufgrund der neuen Regelung erst zwei Tage Zeit, sich an ihr Element zu gewöhnen. Allerdings bin ich mir sicher, dass die zwei erfolgreichsten der Initiation uns sicher einen Vorgeschmack darauf geben können, was wir von ihnen erwarten dürfen.“ Die Worte des Königs waren herausfordernd. Wir mussten uns also gleich vor der ganzen Menge beweisen. Flavia trat als erste vor. Mir war es Recht, dass sie das Privileg der Ersten in Anspruch nahm.

 

Ich beobachtete sie ganz genau, als sie tief durchatmete und ihre Augen schloss. Sie hob ihre beiden Hände, sodass ihre Handfläche zum Boden zeigte. Einige Sekunden passierte überhaupt nichts, ihr Gesicht war angespannt. Dann fiel ein Tropfen von ihren Händen zum Boden. Ich hörte ein amüsiertes Schnauben und musste nicht zu meinem Partner aufschauen, um zu wissen, dass er die Darbietung von Flavia lächerlich fand. Die Vertide neben mir kniff die Augen zusammen, als sie sich anstrengte. Dann nieselte es leicht von ihren Handflächen. Mit jeder Sekunde wurden es immer mehr Tropfen, bis sich ein starker Regen den Weg von ihren Händen zum Boden suchte. Abrupt hörte er auf, als Flavia laut ausatmete. Sie war erschöpft. Und ich erstaunt. Henio hatte mir zwar erklärt, dass die Vertiden zu Beginn weniger Kontrolle hatten als ich, allerdings hatte ich von Flavia, die in so hohen Tönen gelobt worden war, einiges mehr erwartet. Der Regen war zwar beeindruckend gewesen, allerdings hatte sie das Wasser nur produziert und dann die Kontrolle abgegeben. Der Regen verließ ihre Hand und tat dann, was Regen nun mal so tat. Es kostete mich kaum Mühe, ein Feuer entstehen zu lassen. Aber es nicht aus meiner Kontrolle zu lassen und ihm Formen zu geben, welche unnatürlich für die Flamme waren, war eine ganz andere Liga.

 

Flavia war bereits wieder neben mich getreten, als der Applaus für ihre Darbietung langsam abebbte. Ohne meinen Willen traten meine Beine nach vorne, auf den Platz, wo zuvor Flavia gestanden hatte. Der triumphierende Blick, den sie mir zuvor zugeworfen hatte, war mir nicht entgangen. Vielleicht war er der Auslöser gewesen, dass ich meinen Kopf hob und Prinz Aspens Augen fand. Sie hatten genau den amüsierten, herablassenden und gelangweilten Ausdruck, den ich nach seiner Reaktion auf Flavias Darbietung erwartet hatte. Ich wusste, dass ich gut war. Die Flamme gab mir Mut und Selbstbewusstsein. Und sie drängte mich, sie freizulassen. Ich hatte nicht vor, mein gesamtes Talent bei dieser lächerlichen Präsentation preis zu geben. Allerdings wollte ich den Blick, den Aspen mir zuwarf, nicht auf mir sitzen lassen. Ich hielt seine Augen fest, als ich die Flamme auf meiner Hand erscheinen ließ. Spielerisch zwang ich sie, sich zwischen meinen Fingern hindurch zu schlängeln. Ich ließ sie wachsen und um meinen Arm kreisen, sodass sie für alle gut sichtbar war. Die Stille, die folgte, genoss ich mehr als einen Applaus. Auch Aspens Blick hatte sich verändert. Ich hatte ihn zwar nicht umgehauen, aber nun lang statt Langeweile eine stille Herausforderung und Interesse in seinem Ausdruck. Die Herausforderung nahm ich mit einem leichten Grinsen an, zwang das Feuer zurück in meine Handfläche und ließ es, wie zuvor im Übungsraum bei Henio, einen Ball formen. Das Erschaffen dieser unnatürlichen Form hatte mich immer sehr viel Energie gekostet. Aber ich spürte erste Fortschritte, die das Training mit Henio mit sich gebracht hatte. Spielerisch konnte ich die Kugel in die Luft steigen und sie dabei noch weiter wachsen lassen. Ich wusste, dass momentan alle Augen der anwesenden Menschen auf den Feuerball fixiert waren. Einen Moment lang hielt ich inne und ließ die Kugel auf Augenhöhe der Königsfamilie schweben. Sie war direkt über mir. Und mit einem deutlichen Grinsen im Gesicht ließ ich den Feuerball platzen. Es regnete Feuer über mich, doch es verbrannte mich nicht. Viel mehr liebkoste es meine Haare und meine Haut. Die teilweise erschrockenen, aber größtenteils anerkennenden Schreie und der folgende Applaus waren nur halb so zufriedenstellend wie der Blick zu meinem Partner. Die Herausforderung in Aspens Blick war nicht gewichen, doch hatte die sich verändert. Er konnte sein Grinsen nicht verbergen und ich wusste, dass er nun die Herausforderung in uns beiden sah. In der Kombination von Wasser und Feuer.

9

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett sinken. Nach der Verabschiedung durch den König nach meinem Auftritt hatte mich Mentis zu meinem Zimmer gebracht. Schockiert musste ich feststellen, dass das Gebäude noch verzweigter war als das Initiationsgebäude. Glücklicherweise hatte Mentis mir erzählt, dass ich den Weg zu Beginn noch nicht alleine finden musste, sondern dass er mich zu meinen Terminen abholen würde. Schon bei dem Gedanken an das bevorstehende Programm war mir unwohl. Am größten war meine Angst vor dem gemeinsamen Verhaltensunterricht mit Flavia. Ich wusste jetzt schon, dass ich darin katastrophal abschneiden würde. Morgen früh würde ich direkt nach dem Frühstück zu dieser Tortur abgeholt werden. Ich seufzte und dachte an meine Familie. Wie meine Eltern wohl die letzten Tage ohne mich verbracht hatten? Hatten sie sich bereits damit abgefunden, dass sie nun zu zweit das Haus bewohnten und nur noch zwei Personen am Esstisch saßen? Ich hoffte es, denn die Alternative wäre, dass sie trauerten. Und das war das letzte, was ich wollte. Ich dachte zurück an die Worte, die mein Vater mir zum Abschied gesagt hatte: Mach dir um uns keine Sorgen. Als ob das so einfach wäre! Schließlich waren sie meine Familie und nun war ich alleine, auf mich gestellt. In ein Leben gezwängt, das ich nie wollte. Ich hatte versagt. Mein Plan, auf den ich mich jahrelang vorbereitet hatte, war gescheitert. Aber wunderte mich das? Nicht einmal Rylan hatte an mich geglaubt. Schmerzhaft wurde mir der leichte Druck des Armbandes um mein Handgelenk bewusst. Auf der einen Seite wollte ich es mir am liebsten vom Arm reißen und Rylan vor die Füße werfen. Die Enttäuschung über ihn kochte erneut in mir auf. Auf der anderen Seite hatte ich nicht die Kraft dazu, das letzte Stück Erinnerung an den Außenring abzulegen. Ich betrachtete mein Handgelenk mit einem kritischen Blick, als es an meiner Zimmertür klopfte.

 

Keine Sekunde später standen zwei Mädchen in meinem Zimmer. Sie konnten kaum älter sein als ich, überragten mich aber beiden um einen Kopf. „Guten Abend, Cecily. Wir freuen uns, dass wir uns dir als deine Zofen vorstellen dürfen. Ich bin Flora und das ist meine Zwillingsschwester Amari“, stellte sich das braunhaarige Mädchen vor. Sowohl sie als auch ihre blonde Zwillingsschwester wirkten etwas schüchtern, aber freundlich. Beide lächelten mich an und ich war in diesem Moment dankbar für die unterschiedlichen Haarfarben. Anhand ihrer Gesichtszüge hätte ich die beiden nicht voneinander unterscheiden können. „Wir werden dir bei allen Fragen behilflich sein und dir das Essen auf dein Zimmer bringen, wenn du möchtest. Außerdem werden wir dir beim Anziehen und Schminken helfen und alles erledigen, wozu du keine Zeit hast“, erklärte Amari mir. Erst jetzt fiel mir der Teller auf, den sie in ihrer Hand hielt. Der Geruch, der nun das Zimmer füllte, schien meinen Magen zum Leben zu erwecken. Plötzlich hatte ich tierischen Hunger. „Es freut mich, euch kennenzulernen“, antwortete ich und ging auf Amari zu, um ihr den Teller aus der Hand zu nehmen. „Vorsicht, er ist...“, versuchte meine Zofe mich noch zu warnen, allerdings war es schon zu spät. Die Hitze des Tellers brannte sich in meine Hände und ich stellte ihn ruckartig auf dem Tisch ab. Zum Glück war nichts übergelaufen. „Ich sollte euch beide in Zukunft besser ausreden lassen“, sagte ich entschuldigend und lächelte, sodass sich die erschrockenen Gesichter meiner Zofen beruhigten. Flora konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, überspielte es aber damit, dass sie zu reden begann. „Morgen früh werden wir dich um sieben Uhr wecken und dich ankleiden. Anschließend wirst du sofort zur Unterrichtsstunde von Ms. Minson gebracht. Dort findet das Frühstück in Kombination mit der ersten Übungsstunde statt.“ Ich verdrehte die Augen, als ich sagte: „Das klingt ja nach einem guten Start in den Tag.“ Mit einem Lächeln im Gesicht machten sich die Zwillinge daran, meine Frisur zu entwirren und mich abzuschminken.

Als ich endlich alleine war und mich über mein Abendessen hermachte, kam die Angst vor diesem neuen Leben zurück. Alles in mir wehrte sich dagegen, ruhig in diesem Zimmer zu sitzen und auf morgen zu warten. Ich wollte zurück. Es kostete mich alle Mühe, nicht wie eine Verrückte im Nachthemd durch die Perle zu rennen. Wobei ich zugeben muss, dass das Nachthemd edler war als jedes Kleidungsstück, das ich je besessen hatte. Es war komplett schwarz, nicht zu weit geschnitten, dass es wie ein Sack ausgesehen hätte, und von Spitze an den kurzen Ärmeln und dem Rock eingesäumt. Besonders der Stoff gefiel mir. Er war seidig weich – nicht dass ich jemals Seide berührt hätte, aber so stellte ich es mir vor – und schmiegte sich meinen Kurven an. Ob ich es wollte oder nicht, dachte ich mir, als ich mich in mein Bett legte und den Gedanken daran verdrängte, dass meine komplette Familie in dieses einfache Bett für mich gepasst hätte; Ob ich es wollte oder nicht; Ich fühlte mich bereits nicht mehr wie ein Mädchen aus dem Außenring. Ich war nun die Partnerin des Prinzen von Lapis.

 

Als meine Zofen am nächsten Morgen an meiner Tür klopften, war ich schon längst wach. Die Nacht war schrecklich gewesen. Seit ich von Zuhause entfernt war, hatte ich nicht mehr ruhig schlafen können. Das spiegelte sich an diesem Morgen auch in meiner Laune wider. Meine Zofen schienen dies bemerkt zu haben und hielten sich mir Gesprächen zurück. Es war aber wider meiner Erwartungen kein unangenehmes Gefühl. Vielmehr genoss ich das Schweigen und meine Zofen schenkten mir immer wieder ein Lächeln, während sie meine Haare zu einem Zopf flochten, mir ein schlichtes Make-Up auflegten und mich dann in ein Kleid steckten, gegen das ich mich nur deswegen nicht wehrte, weil ich zu müde war. Als ich mich im Spiegel anschaute, erkannte ich mich nicht wieder. Das Kleid war grün, was zwar einen schönen Kontrast zu meinen rotblonden Haaren bot, aber viel zu aufgebauscht. Ich konnte mich kaum bewegen und fühlte mich eingezwängt. Das Atmen fiel mir schwer, doch Amari bestätigte mir, dass das so sein musste, wenn ich das Kleid trug. Allerdings war ich in keinem Zustand, in dem ich die Kraft hatte, mich zu wehren. Wie eine Marionette ließ ich mich von den Händen der Zofen in die Obhut von Mentis übergeben. Dieser warf mir nach einem „Guten Morgen“ einen fragenden Blick zu, als ich ihm nicht antwortete. Als ich aus dem Zimmer trat, sah ich aus den Augenwinkeln, dass Amari und Flora mit den Schultern zuckten, um Mentis zu verstehen zu geben, dass auch sie nicht wussten, was mit mir los war. Ich ignorierte es und folgte dem Imperiden schweigend durch die Perle.

10

 „Da ist sie ja, meine Flamme. Vielen Dank, Mentis, dass du sie hergebracht hast. Wie reizend du aussiehst, mein Mädchen“, wurde ich von einer übermütigen Stimme begrüßt. Die eigenartige Gestalt, die vor mir auftauchte, riss mich aus meinen Gedanken. Ms. Minson war eine alte Dame mit grauen Haaren und grünen Augen. Sie war sehr dünn und in ein ebenso lächerliches Kleid gesteckt wie ich. Sie wirkte wie eine Porzellanpuppe mit ihren roten Wangen. „Ich freue mich, dass ich dich endlich kennenlerne, meine Kleine. Ich bin sicher, dass wir eine Menge Spaß miteinander haben werden“, flötete sie weiter. Ich merkte, dass Mentis neben mir nur schwer ein Lachen zurückhalten konnte. „Ich werde euch nun alleine lassen und bin mir sicher, dass sie mit Cecily heute sehr viel Spaß haben werden“, brachte Mentis nicht sehr ernsthaft hervor. Er schenkte mir ein amüsiertes Lächeln, bevor er den Raum verließ. Mir blieb keine Zeit, mich über seine Frechheit aufzuregen, denn Ms. Minson hatte sich bereits bei mir untergehakt und zog mich hinter sich zu einem gedeckten Tisch. „Ich bin mir sicher, dass meine beiden Mädchen bereits sehr hungrig sind“, fuhr sie mit ihrer melodischen Stimme fort. Erst jetzt bemerkte ich Flavia, die dasselbe Kleid wie ich trug. Der einzige Unterschied zu meinem grünen Kleid war, dass ihres in den verschiedensten Blautönen schimmerte. Sie stand mir gegenüber am Tisch, vor uns beiden waren je ein Stuhl und ein Gedeck auf dem Tisch aufgebaut. „Heute werde ich euch beibringen, wie ihr euch beim Essen mit der königlichen Familie verhalten solltet.“ Als ich um meinen Stuhl herumgehen und mich setzen wollte, wurde ich überraschend zurückgezogen. „Aber nein, mein Schätzchen. Wir Damen setzen uns doch nicht einfach hin. Wenn ihr nur mit der königlichen Familie speist, kann es sein, dass die Prinzen ihre Aufgabe nicht ausführen und ihr gezwungen seid, euch selbst zu setzen. Dann stellt ihr euch aber zuerst hinter den Stuhl und zieht ihn geräuschlos zurück, sodass ihr euch problemlos setzen könnt. Ihr dürft euer Kleid nicht vergessen, denn es ist nicht einfach, sich mit dem voluminösen Rock an den Tisch zu setzen, wenn der Platz zwischen dem Stuhl und dem Tisch zu gering ist.“ Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, musste ich mit einem Blick auf meinen aufgebauschten Rock zugeben. „Allerdings wollen wir lieber die offizielle Prozedur üben. Denn eigentlich ist es Pflicht eurer Partner, euch einen Platz anzubieten. Vergesst nicht, ihm dankend zuzunicken, wenn er dies tut.“ Und um die Situation gleich zu üben, zog Ms. Minson den Stuhl neben mir zurück und wies mir mit einer kleinen Geste an, mich zu setzen. Etwas überfordert mit dem Kleid raffte ich den Stoff des Rockes etwas zusammen und war gerade dabei, mich zu setzen, als ein empörtes Schnauben meiner Lehrerin mich erschreckte und ich das Gleichgewicht verlor. Ich schwankte und verfing mich im Stoff meines Kleides, was mich zu Fall brachte. Mit einer Hand traf ich auf die Kante der Sitzfläche meines Stuhles und stieß meinen Kopf am Tisch. Es ertönte schallendes Gelächter von Flavia. Ein erschrockenes Gesicht von Ms. Minson tauchte neben mir auf. „Oh nein, ich wollte dich doch nicht erschrecken, mein Mädchen. Das tut mir schrecklich leid!“ Sie war tatsächlich aufgewühlt und half mir auf die Beine. „Aber du hast vergessen, mir dankbar zuzunicken, kleine Flamme. Das hat mich einfach so aus der Reihe geworfen, dass ich das nicht unbemerkt habe lassen können.“ Nun musste auch ich lachen. Ich hatte das Nicken vergessen. Deshalb das ganze Schlamassel. Ms. Minson fand die Situation nicht annähernd so lustig wie Flavia und ich. „Prinz Aspen wird nicht begeistert von meiner Leistung sein. Bevor ich seinem Mädchen etwas beibringen konnte, habe ich ihr bereits eine Schramme verpasst“, schnatterte sie aufgebracht und betrachtete meine Schläfe. Anscheinend hatte der Zusammenprall mit dem Tisch seine Zeichen hinterlassen. Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, meine Lehrerin zu beruhigen. „Lassen sie es mich noch einmal versuchen“, munterte ich sie auf. Diesmal nickte ich ihr mit einem dankbaren Lächeln zu und setzte mich so elegant ich konnte. Wahrscheinlich sah ich dabei eher lächerlich aus, allerdings war ich froh, dass der zweite Versuch ohne Verletzungen gelang.

 

Nach weiteren anstrengenden Lektionen, Stunden voller Anweisungen und manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreichen Ausführungen dieser von mir war ich erleichtert, als Ms. Minson die Übungsstunde beendete. „Meine Mädchen, wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Wieso ruhte ihr Blick bei diesen Worten denn nur auf mir? „Aber wir haben noch ein paar Tage vor uns und ich bin mir sicher, dass wir wunderbar elegante Täubchen aus euch machen werden.“ Ihr Optimismus war wirklich beachtenswert. Mit einer Umarmung verabschiedete sie sich von Flavia und mir. An der Tür wartete bereits Mentis auf mich mit einem Grinsen im Gesicht. „Darf ich dich auf dein Zimmer begleiten, mein Täubchen?“ Zur Antwort boxte ich ihm auf die Brust.

Als ich eine halbe Stunde später an meinem Spiegel vorbeilief, gefiel mir das, was ich sah, um Welten besser als die Puppe, die ich zuvor war. Ich trug ein ärmelloses, schwarzes enganliegendes Tshirt und eine kurze schwarze Sporthose. Erneut staunte ich über die Stoffe, die sich so leicht anfühlten, dass ich beinahe das Gefühl hatte, nackt zu sein. Um meine Haare oder Make-Up zu verändern war keine Zeit, denn Mentis drängte mich. Anscheinend war ich bereits spät für mein Training. Das Tempo, das er auf dem Weg zum Trainingsraum vorlegte, war ordentlich. Mit meiner Größe und den entsprechend kurzen Beinen konnte ich ihm kaum folgen und musste immer wieder ins Joggen verfallen. Als ich endlich in der Arena stand, war ich bereits außer Atem. „Dankeschön Mentis. Wenigstens bin ich nun schon mal warm“, zischte ich ihm zu.  Allerdings ging er nicht auf mich ein. „Dein Trainer Mr. Arma wartet bereits“, sagte er mir und verließ dann die Arena.

 

Die Trainingshalle war riesig. Die runde Fläche war von Rängen umgeben, auf denen einige Imperiden Platz genommen hatten. Ich hatte also Zuschauer, stellte ich unzufrieden fest. Der Boden der Arena war blau, an einem Ende befand sich ein Springbrunnen. Das Element der Prinzen herrschte hier deutlich vor. Ich schritt auf den Imperiden zu, der auf mich zu warten schien. Seinen Ausdruck konnte ich nicht deuten, als er mir die Hand entgegenstreckte. Ich nahm sie an und er stellte sich mir als Virtus Arma vor. „Ich bin keine Flamme wie du, aber du kannst dir sicher vorstellen, wieso wir keinen ausgebildeten Feuer-Trainer haben. Dennoch habe ich mich ausführlich mit deinem Element beschäftigt und bin mir sicher, dass ich dich angemessen ausbilden kann.“ Ich nickte und war gespannt, was er mit mir vorhatte. „Du hast gestern schon bewiesen, wie erstaunlich gut du dein Element bereits beherrscht. Laut den Informationen, die wir über dich erhalten haben, trainierst du dein Element schon seit ein paar Jahren, stimmt das?“ Zum ersten Mal zeigte Virtus eine Regung, Neugierde schwang in seiner Stimme mit. Ich nickte erneut. „Schon seit ungefähr zwei Jahren weiß ich von der Flamme und habe mit ihr geübt.“ Virtus schien zufrieden und erläuterte den Plan, den er heute mit mir ausführen wollte. „Die Kontrolle über dein Element hast du bereits erstaunlich gut erlangt. Ich möchte deswegen, dass du heute deine Flamme frei lässt. Nur so können wir herausfinden, wie stark sie bereits ist.“ Skeptisch schaute ich zu Virtus. „Ich spüre jedes Mal, wenn ich sie kontrolliere, wie sie mich drängt, ihr die Kontrolle zu überlassen. Sie ist stark, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ihr diese Freiheit zu geben“, gab ich zu bedenken. Aber mein Trainer winkte ab. „Ich habe einige Imperiden hierher bestellt, wie du sicher schon gesehen hast“, erklärte er mit einem Nicken in Richtung der Ränge. Ich folgte seinem Blick und bemerkte nun, dass sie ungefähr zwanzig Männer dort ihre Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hatten. Sie waren also nicht nur Zuschauer, sondern hatten eine Aufgabe. „Sie werden dein Feuer rechtzeitig löschen, wenn du nicht mehr in der Lage dazu sein solltest.“ Irgendwie wirkten diese Worte nicht so beruhigend wie sie es sollten. Dennoch war ich tatsächlich ebenfalls neugierig, wie sich meine Flamme ohne meine Kontrolle ausbreiten würde. Ich ließ das Feuer klein auf meiner Handfläche entstehen und spürte sofort, wie die Flamme mich drängte, als hätte sie von dem Plan meines Trainers gehört. Virtus stand neben mir und gab mir Anweisungen. „Versuche, die Flamme zuerst von dir wegzuschieben. Nur so kann sie sich ihre Freiheit nehmen.“ Ich konzentrierte mich seine Worte und ließ die Flamme als Feuerball wie gestern in die Luft wandern. Immer noch hatte ich die Kontrolle, doch es kostete mich viel Kraft, das Feuer zu bändigen. „Nun musst du dich ihr öffnen. Entspanne dich, überlass ihr die Kontrolle. Sie ist ein Teil von dir und war viel zu lange eingesperrt. Wir passen auf, solange die Flamme frei ist.“

 

Ich atmete tief durch. Er hatte Recht. Ich wusste, dass die Flamme mich als einen Käfig sah. Sie war zu groß für mich geworden. Und mit der Erkenntnis brach sie aus ihrem Gefängnis aus. Ich erschlaffte plötzlich und ging zu Boden. Schwer atmend folgte mein Blick dem wilden Feuer, das die Luft über mir zum Flimmern brachte. Es breitete sich rasend schnell aus, fraß sich durch die Luft, als ob sie trockenes Gestrüpp wäre. Unglaublich, dass ich es geschafft hatte, diese Macht brav auf meiner Handfläche tanzen zu lassen. Kein Wunder drängte das Element mich immer zur Freiheit. Fasziniert von den wütenden Flammen in allen erdenklichen Gelb- und Orangetönen bemerkte ich die aufgeregten Rufe der Imperiden erst, als sie schon damit beschäftigt waren, die Flamme von allen Seiten mit Wasser und Wind zu bändigen. Nur langsam hatten sie Erfolg. Virtus lief unruhig neben mir hin und her und schüttelte den Kopf. „Das hatte ich nicht erwartet. Damit hatte ich nicht gerechnet“, murmelte er vor sich hin, würdigte mich aber keines Blickes, sondern starrte zum Feuer hinauf. Ich fühlte eine seltsame Leere in mir, gepaart mit einer eisigen Kälte. Die Abwesenheit des Feuers spürte ich deutlich.

 

Als sich Stille in der Arena ausbreitete und ich eine Wärme in mir aufkommen sah, wusste ich, dass die Imperiden es geschafft hatten, meine Flamme zu bezwingen. Zwanzig Männer waren dazu nötig gewesen. Vor meinem Gesicht erschien eine Hand, doch ich ignorierte sie uns stand ohne Hilfe auf. „Wie schön, dass du meine Warnung ernst genommen hast“, sagte ich zu Virtus, wobei Ironie in meiner Stimme mitschwang. Mein Trainer blickte mich nur ungläubig an. „Von einer Virtude habe ich noch nie so etwas gesehen“, war alles, was er zu mir sagte.

 

„Dann wurde mir also zumindest keine schwache Partnerin zugeteilt“, erklang eine Stimme. Aspen betrat die Arena und schritt auf uns zu. Auch er trug eine ähnliche Kleidung wie ich, das Oberteil eng anliegend, sodass sich das Spiel seiner Muskeln deutlich abzeichnete. Ich wandte meinen Blick ab, um ihm ins Gesicht zu schauen und seine Laune zu analysieren. Allerdings konnte ich in seinen Augen nichts lesen. Er warf mir nur einen kurzen Blick zu, bevor er sich an Virtus wandte. „Ich habe keine Ahnung, wie du die Flamme mit meinem Wasser kombinieren möchtest, ohne dass ich sie lösche oder sie meine Tropfen verdampft. Aber du wirst uns das sicher gleich zeigen.“  Aspens Stimme klang herausfordernd und mir war klar, dass er sich nicht selbst für mich als seine Partnerin entschieden hatte. Und momentan war er überhaupt nicht damit zufrieden, dass er für das Experiment ausgewählt worden war – für die Kombination von Flamme und Wasser.

11

Schwer atmend stand ich Aspen gegenüber, Schweißtropfen bildeten sich bereits auf meiner Stirn. Die letzte halbe Stunde war nicht gut verlaufen. Von Anfang an hatte ich gemerkt, dass der Prinz nicht zur Kooperation bereit war. Virtus hatte auf alle erdenklichen Arten versucht, unsere Elemente zu verbinden. Zuerst sollte ich meine Flamme seinem Wasser unterordnen und es erhitzen, sodass darauf eine tödliche Welle wurde. Allerdings endeten alle Versuche entweder damit, dass Aspens Wasser mein Feuer gnadenlos löschte oder dass die Welle durch die Hitze verdampfte. Noch weniger erfolgreich waren wir allerdings damit, unsere Elemente gemeinsam gegen Virtus zu richten. Sein Element war die Erde. Einen Schutzwall, den er vor sich erbaute, sollten wir mit vereinten Kräften niederreißen. Da sich weder Aspen dazu anschickte, mit mir zu kommunizieren, noch ich eine Ahnung hatte, wie ich mit ihm gemeinsam angreifen sollte, ließ ich einen Feuerball auf den Wall zurasen. Leider war das Timing erdenklich schlecht, denn im selben Augenblick erreichte eine Wasserfontäne des Prinzes den Wall. Der einzige Effekt, den die Elemente erzielten, war eine Dampfwolke. Nachdem die Sicht wieder frei war, stand der Erdwall immer noch ohne einen Riss.

 

Genervt ging Aspen auf Virtus zu, der verzweifelt seine Mauer wieder verschwinden lassen hatte. „Das macht doch keinen Sinn! Wasser ist dazu da, das Feuer zu besiegen. Wer kam auf die idiotische Idee, mir eine Flamme zuzuordnen?“ Zu sagen, dass der Prinz wütend war, war eine Untertreibung. Er diskutierte mit Virtus, wobei ich ihrem Gespräch aber nicht folgte. Ich trocknete meine Stirn und versuchte, mich zu beruhigen. Schon von Beginn an war mir klar gewesen, dass der Prinz nicht mit mir zusammenarbeiten wollte. Das hatte sowohl meinen Ehrgeiz als auch meine Wut angefacht. Das Training hier war momentan das einzige, auf das ich mich gefreut hatte. Ich war nur deswegen von meiner Familie getrennt worden: Um seine Partnerin zu werden. Und nun gab er mir das Gefühl, dass ich nutzlos war. Ich kochte vor Wut.

 

Überraschung war in seinen eisblauen Augen zu sehen, als ich mich neben Virtus vor Aspen stellte. Überraschung, die sich innerhalb einer Sekunde wieder in Zorn verwandelte, als ich nur einen Satz zu ihm sagte. „Schon von der ersten Minute an hast du dich dagegen gesträubt, mit mir zusammenzuarbeiten.“ Er realisierte erst jetzt, dass ich sein Spiel bemerkt hatte und auch Virtus schien erstaunt zu sein. In unendlich unangenehmen Augenblicken herrschte Schweigen, bis Aspen sich umdrehte und die Arena verließ. „Bis morgen“, hatte er zuvor noch zu uns gesagt. Virtus zuckte mit den Schultern, als ich ihn fragend anschaute. „Dir ist bestimmt schon zu Ohren gekommen, dass der junge Prinz nicht einfach ist.“ Ich musste an die Worte von Mentis denken und grinste. „Das habe ich bereits gehört. Aber wieso wehrt er sich denn so gegen das Training?“

 

„Prinz Aspen ist ein Einzelkämpfer. Er weiß, wie stark er ist und hat sich schon immer dagegen gewehrt, eine Partnerin zu akzeptieren. Es scheint für ihn wie ein Eingeständnis der Schwäche zu sein, wenn er sich mit einer Vertide verbindet. Aus diesem Grund hat er sich auch geweigert, sich mit der Auswahl an Mädchen zu beschäftigen. Ein Kreis aus ranghohen Männern des Hofes, dem ich auch angehörte, hat sich beraten und kam zu dem Schluss, dass es möglich wäre, eine Flamme geschickt mit dem Wasser zu kombinieren. Als Aspen davon erfuhr, stellte er sich natürlich gegen die Entscheidung, allein deswegen, weil sie über seinen Kopf hinweg getroffen worden war. Sein Aufstand hat also nichts mit dir zu tun sondern damit, dass er einfach zu stolz ist.“ Virtus schien zugleich peinlich berührt und wütend. Ich konnte ihn in dieser Situation gut verstehen, das Verhalten seines Schützlings war nicht angebracht. „Wir werden morgen weiter trainieren, Cecily. Ich bin gespannt darauf, wie wir es schaffen, deine Flamme mächtiger zu machen. Und natürlich hoffe ich, dass unser Prinz morgen einen besseren Tag erwischt“, fügte Virtus mit einem Seufzen hinzu.

 

Ich hatte bereits in meinem Zimmer zu Abend gegessen und stand in meinem Nachthemd am Fenster, als es an meiner Zimmertür klopfte. Erstaunt schaute ich mich um, ob Flora oder Amari etwas in bei mir vergessen hatten. Allerdings war der Raum blitzblank aufgeräumt. „Ja?“, fragte ich und bat somit meinen Besucher herein. „Entschuldigung, dass ich dich so spät noch einmal störe, Cecily“, sagte Mentis, als er mein Zimmer betrat. Er war noch in seiner Uniform, die mich etwas an die Jägerkleidung von Rylan erinnerte. In meinem dekorativ eingerichteten Zimmer wirkte er in seiner schwarzen Lederuniform so fehl am Platz, dass ich grinsen musste, als er unwohl von einem Bein auf das andere trat und seinen Blick überall durch das Zimmer wandern ließ, nur mich nicht anschaute. „Hätte ich gewusst, dass du bereits in deiner Nachtkleidung bist…“, begann er, doch ich unterbrach ihn durch mein Lachen. „Ich bin ja nicht nackt, Mentis“, sagte ich und setzte mich auf mein Bett. Trotzdem bedachte er mich keines Blickes, als er mir die Nachricht überbrachte, wegen der er mich aufgesucht hatte. „In zwei Tagen wird die offizielle Festigung deiner Partnerschaft mit Prinz Aspen stattfinden. Dann wird der Bund zwischen euch geschlossen und ein großes Fest mit den Imperiden der hohen Häuser gefeiert. Dein Unterricht bei Ms. Minson wird deshalb morgen bereits früher beginnen, sodass sie dich und Flavia auf die wichtigsten Dinge vorbereiten kann.“ Das kam unerwartet. Ich hatte zwar gewusst, dass es noch einen offiziellen Akt geben würde, allerdings hatte ich erst später damit gerechnet. „Wie ist es denn…“, begann ich unschlüssig. „Spürt man es, wenn der Bund geschlossen wurde?“ In diesem Moment schaute mich Mentis direkt an. Irgendetwas in seinen Augen war anders, sie glitzerte. „Du wirst ein Band spüren. Es ist, als wärst du nicht mehr alleine. Dein Partner und du werdet durch den Bund zu einem Team. Aber du wirst das vermutlich erst verstehen, wenn es soweit ist.“ Zweifelnd dachte ich darüber nach, wie schrecklich es wohl sein würde, mit dem Prinzen dauerhaft verbunden zu sein. Vielleicht war das Band ja nicht so stark, wenn man sich nicht leiden konnte und keiner der Partner die Partnerschaft wirklich wollte. Das hoffte ich zumindest. Als hätte Mentis meine Sorge bemerkt, lächelte er mir traurig zu. „Glaub mir, es ist ein gutes Gefühl, seinen Partner zu finden. Du wirst das Band akzeptieren, genauso wie deinen Partner. Das liegt einfach in der Natur der Vertiden und Imperiden. Und wenn das Band weg ist…“, er wandte den Blick ab und schaute aus dem Fenster. „Wenn du deinen Partner verlierst, dann ist das ein Verlust, den du kaum ertragen kannst.“ Ich senkte meinen Kopf. Es war eindeutig, dass er von sich selbst redete. Der Schmerz schwang in seiner Stimme mit. „Gute Nacht, Cecily“, verabschiedete sich Mentis leise, bevor er mein Zimmer verließ. Ich kuschelte mich in mein Bett und versuchte, alle Gedanken, von denen es viel zu viele gab, aus meinem Kopf zu verdrängen. Da es aber unmöglich war, weder an meine Familie, noch an das bevorstehende Fest, meinen unausstehlichen Partner oder Mentis schmerzhaften Verlust zu denken, erwartete mich die nächste schlaflose Nacht.  

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Jetzt bin ich leider erst einmal im Urlaub. Vielleicht schaffe ich es ja, mich an ein neues Kapitel zu setzen. Ansonsten: Bis bald :)

12

 

„Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, eins-zwei...“ „Aaagh“, unterbrach ich Ms. Minsons Zählerei, als ich über meinen eigenen Fuß stolperte und mich mein Tanzpartner in letzter Minute an der Taille fasste, bevor ich umfallen konnte. Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln und sah entschuldigend zu Ms. Minson, die sich heute als meine Tanzlehrerin versuchte. Heute übten Flavia und ich mit zwei Imperiden, die ebenfalls im Palast wohnten, Tänze, die wir bei der morgigen Feier präsentieren sollten. Da die Füße unserer königlichen Partner wahrscheinlich zu kostbar für dieses harte Training waren, mussten sich diese armen Kerle von uns die Füße platttreten lassen. Weder Flavia noch ich waren im Außenring mit hohen Schuhen bekannt gemacht worden, weshalb wir nun schon seit Stunden mit diesen das Stehen, Gehen, Knicksen und schließlich das Tanzen übten. Ich gestand es wirklich nicht gerne ein, aber diese Übungsstunde war härter als so manche Kampfeinheit mit Rylan gewesen. Meine Füße schmerzten und meine Oberschenken brannten. Sogar mein Rücken fühlte sich erschöpft an. Ich hörte jedes Mal erwartungsvoll auf, wenn Ms. Minson der Meinung war, wir würden einen Tanz gut genug beherrschen und könnten die Übung abbrechen. Meine Hoffnung, endlich diese Teufelsschuhe loszuwerden, wurde allerdings bisher immer enttäuscht, wenn der nächste Tanz angekündigt wurde.  

 

„Meine kleine Flamme, vergiss doch deine Füße nicht! Du darfst nicht träumen oder dich in den Augen eines attraktiven Partners verlieren, während du tanzt“, schimpfte Ms. Minson mich. Als ich wieder sicher stand und nicht mehr umzufallen drohte, ließ mein Tanzpartner von mir ab. Zwar vermied ich es, ihm in die Augen zu schauen, doch aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie er sich auf Ms. Minsons Kommentar hin ein Lächeln verkniff. Ich verdrehte die Augen und entschuldigte mich bei meiner Tanzlehrerin. Dann ging es von vorne los: Uns wurden die Grundschritte eines Tanzes erklärt und ohne große Umschweife Musik eingelegt, zu der wir tanzen sollten. Überraschenderweise machte mir das Tanzen an sich Spaß. Mein Partner war wirklich sehr geschickt und lenkte mich mit kleinen Hilfen dorthin, wo er mich haben wollte. Die Schritte konnte ich mir ohne Probleme merken und fühlte mich beinahe, als würde ich über den Boden fliegen. Naja, wären da nicht diese schmerzhaften Schuhe.

 

Der Rest des Unterrichts bestand aus Anweisungen für die Zeremonie und das Verhalten das gesamte Fest über. Dass sich meine Gedanken um alles drehten, außer das, was mir eben erzählt wurde, kam der schlaflosen Nacht zu Schulden. Na gut, vielleicht auch etwas der Tatsache, dass ich endlich meine Schuhe ausziehen hatte dürfen und sich langsam ein wohliges Gefühl in meinen Füßen ausbreitete. Es tat wirklich gut, meine Zehen wieder bewegen zu können. Dass ich bei meiner Unaufmerksamkeit ertappt worden war, merkte ich, als ich zwei Augenpaare auf mir bemerkte. Eines davon war belustigt mit einem Hauch von Verachtung, das andere voller Empörung. „Liebes, wie willst du denn die Zeremonie morgen überstehen, wenn du mir nicht zuhörst?“, erklang Ms. Minsons aufgebrachte Stimme, welche zum letzteren Augenpaar gehörte. „Ich versuche doch nur, dich so gut wie möglich vor Blamagen zu bewahren. Denn jeder Fehltritt wird morgen beobachtet werden und tagelang in aller Munde sein! Schließlich sind die Partnerschaften im Königshaus etwas Besonderes. So viele Augen werden auf dich gerichtet sein, Schätzchen.“ Ms. Minson schüttelte den Kopf und begann, weiter den Ablauf der Zeremonie zu beschreiben. Ich versuchte nun wirklich, ihr zuzuhören, schließlich war ich die letzte, die Gesprächsthema sein wollte. Allerdings konnte ich meine Augen kaum offen halten und so zogen auch die folgenden Anweisungen an mir vorbei.

 

„Mir war von Anfang an klar, dass du gerne im Rampenlicht stehst. Aber wieso du dich morgen unbedingt blamieren möchtest, ist mir unklar. Schon bei einfachen Tischregeln fällt es dir schwer, dich an sie zu halten. Dass du es für unnötig hältst, bei den Informationen für die Zeremonie aufzupassen, finde ich ziemlich provokativ. Naja, auf jeden Fall wünsche ich dir viel Glück dabei, morgen nicht über deine Füße zu stolpern.“ Zwar waren der Weg, den Flavia und ich nach der Übungsstunde gemeinsam gingen nur sehr kurz, allerdings schaffte sie es, mich in dieser Zeit so wütend zu machen, wie ich es seit langem nicht mehr war. Sicherlich trug mein Schlafmangel auch etwas dazu bei, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Als ich klarstellen wollte, dass ich ihr das Rampenlicht gerne überließ, hatte sie mir bereits mit dem Imperiden, der sie abholte, den Rücken zugekehrt. Ich warf ihr einen bösen Blick hinterher und schaute erst auf, als Mentis sich räusperte. „Ist alles in Ordnung, Cecily?“, fragte er mit einem belustigten Unterton in der Stimme. „Na klar, ich habe nur das Bedürfnis, jemand bestimmtes zu verbrennen“, grummelte ich vor mich hin. Wie schon am Tag zuvor begleitete mich Mentis zum Umziehen und dann in die Arena. Alleine war ich immer noch total hilflos und hätte den Weg nicht gefunden. Außerdem genoss ich es, mit Mentis durch die Perle zu gehen. Er zeigte immer mal wieder aus einem der großen Fenster, um mir etwas zu erklären oder erzählte mir die Geschichte, die hinter einer Skulptur steckte. Ich lauschte gerne seinen Erzählungen und stellte mir sie bildlich vor. Wie viel Geschichte in diesem Gebäude steckte war einfach faszinierend. Auch der Garten war wunderschön. Ich konnte den Tag kaum erwarten, an dem ich ihn erkunden konnte. Sogar ein Wald gehörte zur Perle, hatte Mentis mir erzählt. Nach dem Trubel der Tage der Partnerschaftsfeier würde er mich mit nach draußen nehmen.

 

Außer Atem ließ ich mich auf die Knie sinken. Virtus hatte mir einiges abverlangt und nach den harten Übungsstunden mit Ms. Minson, die ich bereits in den Knien hatte, war ich erschöpft. Zudem war es schwer, meine Flamme im Zaum zu halten. Nachdem ich ihr am Tag zuvor die Zügel überlassen hatte, konnte ich sie nun kaum bändigen. Ich hatte das Gefühl, sie wollte mich und somit ihre Grenzen testen. Das machte meine Ausdauer nicht lange mit. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und schaute in Virtus Gesicht. „Noch eine Übung, dann lassen wir es für heute gut sein. Schließlich hast du morgen einen anstrengenden Tag vor dir, für den du ausgeruht sein solltest.“ Ich nickte und ließ mir von ihm aufhelfen. „Du ahnst nicht, wie viel lieber ich den Tag morgen mit dir hier verbringen würde“, seufzte ich. Daraufhin lachte Virtus, ging aber nicht weiter darauf ein, sondern gab mir Anweisungen für die nächste Übung. Er war zwar ein freundlicher Trainer, allerdings war sein Unterricht hart und verlangte mir einiges ab. Aber genau das wollte ich doch, rief ich mir ins Gedächtnis. Bevor ich den Anweisungen folgen konnte, ließ mich ein lautes Geräusch zusammenzucken und ich drehte mich um. Heute hatte ich die Arena nicht für mich alleine. An einem Ende trainierte Aspen, am anderen kämpften Flavia und Neo. Ich stand in der Mitte, von Wasser umgeben. Virtus hatte mir bereits gerate, mich davon nicht beirren zu lassen. Ich kämpfte meinen Kampf und sollte alles andere ausblenden. Das tat ich nun auch. Ein letztes Mal rief ich alle meine Kräfte zusammen und beschwor die Flamme auf meiner Hand. Von Beginn an ließ ich nur die Form einer Kugel zu, keine tanzenden Fäden. Wie befohlen ließ ich die kleine Kugel in die Luft sausen. Nicht in der Art, wie ich sie bereits zuvor schweben lassen hatte, sondern schickte sie mit voller Wucht auf einen Schutzschild zu, den Virtus in zehn Metern Höhe aus Erde errichtet hatte und wie eine zweite Decke über mir schwebte. Als die Kugel auftraf, bildete sich bereits die nächste in meiner Hand. Der zweite Ball war etwas größer, aber auch schneller. Ich konnte schon eine kleine Delle im Erdwall entdecken. Immer größer und schneller ließ ich meine Feuerbälle werden. Sie richteten erheblichen Schaden in meinem Ziel an und ich hörte, dass Virtus mir etwas zurief. Allerdings konnte ich ihn nicht verstehen, er klang gedämpft. Ich war voller Anspannung, komplett auf mein Feuer konzentriert. Um mich herum nahm ich nichts anderes mehr wahr. Für mich gab es nur noch mein Element und mein Ziel. Ich spürte, dass die ganze Kraft, die mein Körper noch bieten konnte, in meiner Aufgabe steckte. Irgendetwas in mir zwang mich dazu, nicht aufzuhören und machte die Erfüllung meiner Aufgabe zur höchsten Priorität. Ich wusste, dass es zu viel war und dass ich es lassen sollte. Ich musste aufhören und mein Feuer zur Vernunft bringen. Aber es ging nicht. Ich hatte nicht die Macht, es zurück zu drängen. Es hatte bereits die Kontrolle übernommen.

 

Plötzlich wurde es kalt um mich herum. Nein, ich wurde selbst kalt. Ich prustete das Wasser aus meinem Mund. Wasser? Ich schüttelte den Kopf und öffnete die Augen. Mir war vorhin nicht einmal aufgefallen, dass ich sie geschlossen hatte. Nun sah ich, dass alle Augen in der Arena auf mich gerichtet waren. Auf mich, die klitschnass in einer Pfütze stand. Zitternd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper und schaute Virtus mit großen Augen an. „Was ist passiert?“ Anstatt eine Antwort von ihm zu bekommen, kam Aspen auf mich zu und zog meinen Blick auf sich. „Ich würde sagen, du hast die Kontrolle verloren und ich habe dafür gesorgt, dass du keinen größeren Schaden anrichtest“, wandte er sich an mich. „Denn Wasser ist dazu da, das Feuer in Schach zu halten und es zu bremsen.“ Dieser Seitenhieb auf Virtus war keinem entgangen. „Und genau deswegen werde ich dein Training hiermit beenden und dich auf dein Zimmer bringen. Heute ist es zu gefährlich, dich weiter trainieren zu lassen, solange du dich nicht kontrollieren kannst. Ich werde dich auf dein Zimmer bringen, damit du morgen noch Haare auf dem Kopf hast und sie dir heute nicht alle noch abfackelst.“ Grob packte mich Aspen am Arm und zog mich aus der Arena. Keiner widersprach dem Prinzen. Während ich ihm hinterherstolperte und das Kichern von Flavia hörte, fragte ich mich, wo ich meine Gegenwehr gelassen hatte. Unter normalen Bedingungen hätte ich es nicht zugelassen, dass man so mit mir umging. Allerdings hatte mich die Aktion gerade eben so sehr ausgelaugt, dass mein Energielevel momentan beinahe bei null lag. Ich fühlte mich wie eine leere Hülle, als ich mich die Korridore entlang ziehen ließ. Doch selbst ohne Kraft arbeitete mein Gehirn noch gut genug, um die wichtigste Information aus dieser Situation zu ziehen: Mein zukünftiger Partner war ein selbstverliebter, eingebildeter Idiot.

13

Aspen eilte vor mir den Korridor entlang, sodass es mir schwer fiel, mit seinen großen Schritten mitzuhalten. Außerdem waren meine Füße bereits durch die Tanzstunden lädiert, weshalb jeder Schritt schmerzte. Hatte er es so eilig? „Wenn wir in dem Tempo weiter rennen, dann brauche ich bald eine Verschnaufpause“, keuchte ich, allerdings folgte darauf keine Reaktion vom Prinzen. Verärgert darüber, dass ich ignoriert wurde, entzog ich ihm meinen Arm und blieb stehen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihm einen bösen Blick zu, als er sich überrascht zu mir umdrehte. „Ich bin kein Hund, den du in sein Körbchen schicken oder an der Leine hinter dir herziehen kannst“, protestierte ich nun doch, als ich das letzte Bisschen meiner Kraft zusammenraffte. Es  kostete mich alle Mühe, seinem Blick standzuhalten. Seine Augen funkelten aufgebracht, das Blau tanzte förmlich in ihnen und er kniff den Mund zu einer Linie. Plötzlich packte er mich erneut am Arm und zog mich an die Wand. Ich stieß mit dem Rücken gegen die Tapete und beobachtete, wie er sich vor mir aufbaute. So nah wirkte er für mich noch größer und breiter, dass ich unwillkürlich flacher atmete. Ich hätte keine Chance gegen ihn, das war mir klar. Dennoch hob ich meinen Kopf – und ich musste ihn wirklich weit in den Nacken legen – um Aspen in die Augen zu schauen. Du darfst keine Angst zeigen, war die erste Lektion, die Rylan mir in unseren Trainingsstunden beigebracht hatte. Selbst wenn die Situation aussichtslos war, durfte man dem Gegner nicht die Genugtuung geben, ihm die Angst zu präsentieren. Und ich wusste genau, dass Aspen mich mit seiner Körperhaltung einschüchtern wollte. Ich hielt seinem Blick stand. Wie lange wir uns so gegenüberstanden und mein herausfordernder Ausdruck auf den warnenden Blick des Prinzen traf, wusste ich nicht. Doch ich war stolz auf mich, dass ich meine Augen nicht abwandte und ich war sicher, einen Hauch Überraschung darüber in Aspens Ausdruck aufblitzen zu sehen.

 

„Pass auf, kleine Flamme“, begann er mit leiser, warnender Stimme, die mir eine Gänsehaut bescherte. Dennoch unterbrach ich ihn sofort. „Ich heiße Cecily, das solltest du dir am besten bis morgen merken. Nicht, dass dir bei der Zeremonie ein Ungeschick passiert“, stichelte ich. Ich wusste nicht, was mich dabei ritt, doch das Adrenalin, das momentan durch meinen Körper rauschte, trug bestimmt seinen Teil dazu bei. Aspen grinste, wobei darin keine Freundlichkeit lag und der Ausdruck eher einem Zähnefletschen glich. Anscheinend wurde er nicht gerne unterbrochen. „Es wird so ablaufen, kleine Flamme“, fuhr er unbeirrt fort, als hätte er nicht gehört, was ich gesagt hatte. „Wir werden morgen zwar den Bund schließen, weil das von uns verlangt wird, aber wir werden uns nicht in das Leben des anderen einmischen. Ich werde deine Hilfe nicht benötigen, weder als Freundin noch als Kampfpartner. Bisher bin ich gut alleine zurechtgekommen und werde das auch weiterhin tun. Ich bin mir sicher, dass du damit kein Problem hast. Schließlich kannst du so in der Perle wohnen, hübsche Kleider tragen und das gute Essen genießen, ohne einen Finger krümmen zu müssen. Du hast jetzt das, was sich jedes Außenring-Mädchen wünscht. Du hast den Hauptgewinn, auf den es jede angesehen hat. Also sei brav und überzeuge Virtus davon, dass es keinen Sinn hat, unsere Elemente verbinden zu wollen. Es ist schwachsinnig und war von Anfang an zum Scheitern verdammt. Ich werde dich jetzt auf dein Zimmer bringen, dann kannst du dich auf deinen großen Auftritt morgen vorbereiten. Sicherlich kannst du es kaum erwarten, bis der ganze Innenring deinen Namen und dein hübsches Gesicht kennt.“ Wahrscheinlich lag es an dem herablassenden Ton, in dem Aspen zu mir gesprochen hatte, dass ich beinahe platzte. Er verlangte von mir, dass ich ein Schoßhündchen wurde, das zwar hübsch anzuschauen war, aber nur zu Vorführungszwecken diente und ansonsten abgestellt wurde? Ich wäre das Mädchen an seiner Seite bei Festmählern und Bällen, die restliche Zeit aber sollte ich brav verschwinden. Das sollte mein neues Leben sein? „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr du dich bereits in mein Leben eingemischt hast? Es wurde komplett auf den Kopf gestellt, ich habe mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde verloren. Und das alles nur, um dein Vorzeigepüppchen zu werden? Ich hasse es, im Rampenlicht zu stehen und du zwingst mich dazu. Ich hasse es, hohe Schuhe zu tragen und von einem aufgeplusterten Kleid in das nächste gesteckt zu werden. Aber hier werde ich dazu gezwungen! Du meinst, jedes Mädchen träumt davon, in der Perle zu wohnen? Dann hast du dich aber geschnitten. Ich habe mich bis zur letzten Sekunde an die Hoffnung geklammert, in ein normales Imperiden-Haus zu kommen, wo ich meine Aufgabe erfüllen kann und mich dabei nicht selbst verliere. Aber nein, ich werde die Partnerin eines Prinzen, der mir sagt, ich solle mich aus seinem Leben heraushalten und meine Aufgabe vernachlässigen, wo doch ich mein ganzes Leben dafür aufgeben musste. Ich soll brav Tee trinken und in viel zu kitschigen Kleidern posieren, wie eine Marionette! Das Training mit der Flamme macht mich stark und zeigt mir, dass ich immer noch ich selbst bin. Ich werde Virtus nicht davon überzeugen, dass wir die Übungsstunden absagen sollen und ich werde nicht dein Püppchen werden!“

 

Überrascht bemerkte ich, dass ich zum Schluss fast geschrien hatte. Ich war alles losgeworden, was mir auf der Zunge brannte und merkte, wie die aufgestaute Kraft langsam schwand. Die Stille, die nun zwischen Aspen und mir lag, war unheimlich. Hatte ich ihn zu sehr aufgebracht? Würde er handgreiflich werden? Seine Arme hingen ruhig seitlich herab. Mein Blick wanderte zu seinen Händen, die er zu Fäusten geballt hatte. Seine Knöchel waren bereits komplett weiß vor Anspannung. Ich schluckte und bereitete mich vor, einem potentiellen Schlag auszuweichen. Meine Chancen standen allerdings nicht gut, er war viel zu nah und außerdem viel zu stark für mich. Selbst als er zu reden begann, lies ich meinen Blick nicht von seinen Fäusten ab. „Man schlägt keine Schwächeren.“ Aus seinem Tonfall war alle Wut gewichen, er klang ruhig, als er die Worte sagte. Verwundert schaute ich auf. Auch seine Augen hatten sich beruhigt und funkelten nicht mehr wild. Er sah mich direkt an, mit einem Ausdruck, den ich von ihm nicht kannte. „Ich würde dir nicht wehtun, egal wie sehr du mich provozierst, kleine Flamme“, fuhr er in diesem ruhigen Tonfall fort, drehte sich dann um und setzte den Weg zu meinem Zimmer fort. Verwirrt folgte ich ihm, ohne ein Wort. Was war das eben gewesen?

 

14

 

Der Tee, den mir Flora und Amari gegen meine Müdigkeit gebracht hatten, schien zu helfen, dachte ich mir, als ich mich nun im Spiegel betrachtete. Die schlaflosen Nächte zehrten an mir und ich fühlte mich wie eine Hülle der alten Cecily. Das Ganze raubte mir meinen Verstand und mein Durchsetzungsvermögen. Die alte Cecily hätte sich dagegen gesträubt, so auszusehen wie das Bild, welches mir der Spiegel bot. Ich trug ein ärmelloses Kleid, welches aber am Hals hoch aufgeschlossen war.  Bis zur Taille war es hauteng, sodass ich keine Unterwäsche darunter tragen durfte. Das allein wäre unter anderen Umständen schon Grund genug gewesen, dass ich einen Aufstand veranstaltet hätte. Das Kleid fiel dann in weiten Wellen über meine Beine, endete aber bereits über meinen Knien. Ich war dankbar dafür, dass es dadurch unmöglich war, über mein Kleid zu stolpern. Das Highlight waren erneut die Farben. Während der eng geschnittene obere Teil pechschwarz war, fielen die bauschigen Wellen in verschiedenen Orange- und Rottönen. Das wäre ein weiterer Grund gewesen, sich tierisch aufzuregen. Ständig wurde ich auf mein Element reduziert. Für die Perle war ich einfach nur die Flamme. Und als ob es noch nicht jedem klar wäre, dass ich das Feuer kontrollieren konnte, mussten die Kleider auffällig darauf hinweisen.

Mein Blick wanderte weiter nach unten. Schon jetzt quälten mich diese Teufelsschuhe. Sie waren rot und so hoch, dass ich trotz Ms. Minsons gestrigem Training Probleme hatte, in ihnen zu gehen. Schon jetzt war mir bewusst, dass diese Schuhe mir den heutigen Tag noch schlimmer machen würden, als er bereits war. Mit einem Seufzer wandte ich den Blick schließlich nach oben. Meine Haare waren zu einer Hochsteckfrisur zusammengefasst worden, aus der sich allerdings ein paar Strähnen gelöst hatten und mein Gesicht weich umspielten. Meine Augen waren nur dezent betont worden und auch mein Schmuck war unauffällig. Ich trug eine schmale silberne Kette und das passende Armband dazu. Diesen Part an mir hatten meine Zofen am besten gestaltet. Sie selbst schienen begeistert von ihrem Kunstwerk und hüpften andauernd um mich herum, zupften hier und kämmten da noch etwas. Als es an der Tür klopfte, warfen sie sich einen hektischen Blick zu und bewegten sich nur noch schneller um mich. „Ich bin gleich so weit“, ließ ich Mentis durch die Tür hindurch wissen und drehte mich zu meinen Zofen um. „Dankeschön ihr beiden, ich denke, dass das genügt“, sagte ich, um ihnen freundlich klar zu machen, dass sie ihre Bemühungen beenden sollten. Ich sah, dass Flora bereits den Mund öffnete, um mir etwas zu entgegnen, aber ich hatte mich schon umgedreht und ging zur Tür. Ja, der Tee schien mich wirklich etwas aufzuwecken. „Wir sehen uns“, sagte ich zum Abschied und trat aus meinem Zimmer. Ich fragte mich, ob sie die Zeremonie wohl verfolgen würden.

 

„Wow“, wurde ich von Mentis begrüßt, während ich ihm ein Lächeln schenkte. „Ich finde es schrecklich“, erwiderte ich. „Aber du siehst heute sehr schick aus“, gab ich zu, als ich seine Kleidung musterte. Er trug eine dunkelblaue Hose und ein weißes Hemd dazu, was ihn viel jünger wirken ließ. Im Vergleich zu seinem Auftreten in der üblichen Uniform sah er heute festlich, aber auch freundlicher aus. Heute war ein Tag zum Feiern, das spiegelte sich in seiner Kleidung wider. „Bei deinen Komplimenten werde ich noch ganz rot“, lachte Mentis. Mich überkam eine Leichtigkeit, wie ich sie schon lange nicht mehr gespürt hatte und ich musste erneut lächeln. Mir war klar, dass Mentis meinen Geist stimulierte, aber da er es nur zu meinem Besten tat, ließ ich es dankbar zu. Etwas Beruhigung konnte ich in diesem Moment gut gebrauchen. Wir liefen den Weg schweigend nebeneinander her. Wir schwiegen, weil es gut tat. Die Ruhe, die uns umgab, stimmte mich ruhig. Ich konzentrierte mich darauf, ein Bein vor das andere zu setzen, ohne zu stolpern und Mentis passte seine Geschwindigkeit mir an. Ich weiß nicht, wie oft wir abbogen, wie viele Treppen wir überwanden oder wie viele Türen Mentis mir öffnete. Auf jeden Fall verging die Zeit für meinen Geschmack zu schnell, sodass ich mich bald vor einem großen Tor widerfand. Wir hatten die Perle nicht verlassen, die Zeremonienhalle befand sich im Gebäude. Ich hatte sie noch nie zuvor betreten, aber Ms. Minson hatte von ihr geschwärmt. „Ich bin bei dir“, sagte Mentis, als wir schließlich zum Stehen kamen. Er hatte seine Hand auf meinen Arm gelegt, erst jetzt bemerkte ich das Zittern. Er strich mir mit seinen Fingern über meinen Arm und ich sah ihn dankbar an. Meine Nerven gingen mit mir durch, da war es gut, jemanden zu haben, der an meiner Seite stand.

 

Ich drehte mich um, als ich Stimmen auf uns zukommen hörte. Flavia gab dem Leibwächter, der ihr und Neo zugeteilt war, Anweisungen. „Und nicht vergessen, immer einen Schritt hinter mir laufen, sodass du die Sicht von der Seite auf mich nicht verdeckst“, erinnerte sie ihn gerade. Dann schaute sie zu mir und musterte mich von oben bis unten. „Selbst mit hohen Schuhen bist du immer noch ein Zwerg“, begrüßte sie mich und stellte sich neben mich. Sie war über einen Kopf größer als ich. Unsere Kleider waren vom Schnitt her identisch, wobei ihres in einem einheitlichen Hellblau gehalten war. Außerdem strahlte sie in diesem mit ihrer Größe eine gewisse Anmut aus, während ich eher aussah wie eine kleine Ballerina. Ihre blonden Haare fielen in Wellen über ihre Schultern und sie war um einiges stärker geschminkt als ich. Neben ihr fühlte ich mich wie ein Kind, nicht wie eine Vertide, die in ein paar Minuten die Partnerin eines Prinzen werden würde. Sie war sich dessen bewusst und grinste. „Hoffentlich hast du dein Feuer heute besser unter Kontrolle, nicht dass Aspen dich wieder löschen muss“, forderte sie mich heraus. Ich spürte, dass Mentis mich beruhigte. Er glättete die aufbrausenden Wogen meines Geistes und schenkte mir innere Ruhe. Flavia antwortete ich nicht, sondern konzentrierte mich stattdessen auf die riesige Tür vor mir. Ich atmete tief durch und drückte ein letztes Mal Mentis Hand, bevor ich sie los ließ und mich auf meinen Platz stellte. Gleich würde die Tür geöffnet und die Zeremonie beginnen.

 

Die Zeremonienhalle war umwerfend. Während ich durch die Menschenmenge schritt, konnte ich mich auf nichts anderes konzentrieren als auf die detailverliebte Gestaltung der Halle. Die Decke war verglast, sodass die Strahlen der aufgehenden Sonne mein Gesicht wärmten. Nichts als weißer Marmor war zu sehen – der Boden, die Säulen, der Thron, die Figuren, die den Raum ausschmückten. Selbst der Aufbau des Raumes war atemberaubend. Nachdem wir die Tür passiert hatten waren Flavia und ich auf einem weinroten Teppich zuerst geradeaus gegangen und waren nun dabei, eine riesige Treppe, die sich von links nach rechts durch den ganzen Raum zog, hinabzugehen. Die Zuschauer hatten sich auf den Stufen verteilt, als wären sie Ränge. So konnten sogar die hintersten sehen, was geschah. Es war mucksmäuschenstill im Raum. Nur die vom Teppich gedämpften Schritte von Flavia, mir und den zwei Leibwächtern knapp hinter und waren zu hören. Erleichtert setzte ich meinen zweiten Fuß ans Ende der Treppe. Die erste Stolperfalle hatte ich erfolgreich gemeistert. Nun wandte ich meinen Blick nach vorne. Wenige Schritte trennten mich von meinem Platz, von der freien Stelle neben Aspen. Er stand wie auch Neo mit dem Rücken zu mir, sodass ich nur seine breiten Schultern in einem dunkelblauen Hemd, das Mentis‘ sehr ähnelte, erkennen konnte. Dazu trug er eine eng geschnittene schwarze Hose, wie auch sein älterer Bruder. Dieser trug im Gegensatz zu Aspen allerdings ein hellblaues Hemd. Ich setzte meinen zweiten Fuß zum anderen und kam neben dem Prinz zu stehen. Hinter mir spürte ich immer noch Mentis‘ Anwesenheit, die mich beruhigte. Der erste Auftritt war geschafft.

 

König Geron trat vor und begann seine Rede. Während er davon erzählte, wie wichtig Partnerschaften seien und in was für einer schwierigen Zeit wir uns befanden, nahm ich jedes kleine Detail des Raumes in mich auf. Links und rechts vom König befanden sich kleine Brunnen, die Fenster an den seitlichen Wänden enthielten leicht bläuliches Glas und Muster, die mich an Wellen erinnerten. Sowohl vor Aspen und mir als auch vor Neo und Flavia stand etwas, das mich an den Sockel einer Figur erinnerte. Die Seiten waren liebevoll dekoriert worden, während die Fläche oben einfach glatt war. Ich wusste, dass Ms. Minson in ihrem Unterricht gestern über dieses Ding gesprochen hatte, doch ich konnte mich weder daran erinnern, was es war, noch wofür es gut sein sollte. Ich warf einen verstohlenen Blick zu Flavia. Sie schien auf den König fixiert und hatte ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht. Sie genoss es, hier zu stehen und die Blicke der vielen Imperiden hinter sich in ihrem Rücken zu wissen. Als mein Blick zu Neo wanderte, war ich erstaunt. Er schaute Flavia an, auf seinem Gesicht ebenfalls ein Lächeln. Freute sich denn ein Prinz tatsächlich auf seine Partnerin? Flavia war wirklich eine Schönheit und soweit ich es gestern mitbekommen hatte, harmonierten sie auch im Training. Ich vermutete, dass Neo sich seine Partnerin selbst ausgesucht hatte und Flavia nicht wie ich ihrem Partner von Fremden zugeteilt worden war.

 

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich das Paar neben mir bewegte. Neo legte eine Hand auf den Sockel, Flavia die ihre auf seine. „Mögen sich eure Elemente verbinden sowie ihr euch selbst verbinden werdet. Das Band möge euch stärken und euch auf ewig zusammenhalten“, sprach der König. „Imperide, rufe dein Element zum Bündnis.“ Gespannt beobachtete ich, wie sich um Neos Schulter Wasser zu bilden begann. Es wand sich um seinen Arm, immer weiter in Richtung seiner Hand, die er auf den Sockel gelegt hatte. Als es schließlich seine Finger erreichte, richtete sich das Wasser nach oben und es schien, als würden Flammen aus Wasser auf dem Sockel tanzen. Die Augen des Prinzen waren dabei ununterbrochen auf Flavia geheftet. „Vertide, rufe dein Element zum Bündnis“, verkündete der König. Dasselbe Schauspiel, wie es sich eben bei Neo abgespielt hatte, wiederholte sich. Als Flavias Wasser allerdings ihre Fingerspitzen erreichten, die auf Neos lagen, vereinigten sich die Wasserflammen und bauten sich immer höher auf. Unter den Zuschauern waren erstaunte Ausrufe zu hören. „Das Band wurde geschlossen“, endete der König, als das Wasser abrupt verschwand. Ich allerdings konnte meinen Blick nicht von dem Paar abwenden. Der Imperide und die Vertide  schauten sich still an, auf beiden Gesichtern konnte ich Erstaunen erkennen. Keiner bewegte sich, ihre Hände lagen noch immer auf dem Sockel. Spürten sie das Band etwa so, wie Mentis es mir beschrieben hatte? Wie würde es sich wohl bei mir anfühlen, fragte ich mich. Am liebsten würde ich es nie erfahren. Doch es gab keinen Ausweg. Es wurde ernst. Der König trat vor Aspen und mich.

 

Ich bemerkte, wie mein Herz schneller schlug. Der König war ein beeindruckender Mann, in dessen Gegenwart ich sofort Gänsehaut bekam. Ich wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen sondern erinnerte mich daran, alles einfach so zu machen, wie es Flavia getan hatte. Neben mir spürte ich eine Bewegung, als Aspen seine Hand auf den Sockel legte. Dass meine Hand wie verrückt zitterte, als ich sie auf seine legte, bemerkten er und ich gleichzeitig. Egal, wie sehr ich versuchte, mich zu beruhigen – das Zittern blieb. Ich spürte, dass sich Aspens Hand leicht bewegte und im nächsten Augenblick, dass er seinen Daumen über meine Hand geschoben hatte und sie kurz drückte. Ich bin mir sicher, dass ich über diese Geste ziemlich überrascht gewesen wäre, wären die Umstände andere gewesen. Gerade eben konnte ich mich aber auf nichts konzentrieren außer die vielen neugierigen Blicke der Imperiden in meinem Rücken, den musternden Blick des Königs, die Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Körper zog und die hohen Schuhe, die mir plötzlich wie Stelzen vorkamen, auf denen ich umzufallen drohte. Wie von selbst schloss sich meine Hand etwas enger um die von Aspen, als würde ich daran Halt suchen, um nicht umzukippen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass der König den Prinz bereits aufgefordert hatte, sein Element zu rufen, doch ich spürte etwas Kaltes an meinen Fingerspitzen, als Aspens Wasser dort tänzelte. Es war unruhiger als das von seinem Bruder und machte wilde Bewegungen. „Vertide, rufe dein Element zum Bündnis“, sprach der König nun zu mir. Mein Blick war starr auf meine Hand gerichtet, als ich meine Flamme hervorlockte. Ich spürte ihre Wärme an meiner Schulter und sich dann den Weg über meinen Oberarm, den Ellbogen und Unterarm zu meiner Hand bahnen. Sie schien heute erstaunlich zahm und drängte mich zu nichts. Fast so, als wüsste sie, dass sie heute besser nicht mit mir spielte. Die Flamme umspielte meine Hand und wanderte dann zu meinen Fingerspitzen.

 

Im Saal wurde es laut, lauter als zuvor, als sich Flavias und Neos Elemente verbündet hatten. Sie waren Wasser und Wasser, nichts spektakuläres. Aber das, was sich an Aspens und meinen Fingerspitzen abspielte, war unglaublich. Sein Wasser und mein Feuer wanden sich umeinander, legten sich eng aneinander und wuchsen so in die Höhe. Ein unfassbares Spiel von Blau und Rot, Fuchs und Hase, Katz und Maus. Fasziniert von diesem Anblick folgte ich den Elementen, bis sie wie zuvor plötzlich verschwanden. Meine Augen waren immer noch an die Stelle geheftet, an der sich eben Aspens und meine Elementensäule befunden hatte. War es doch möglich, Feuer und Wasser zu vereinen, fragte ich mich. Die letzten Worte des Königs hörte ich nicht, denn ich spürte ein Augenpaar auf mir. Nicht auf die Art und Weise, wie ich die vielen hundert zuvor in meinem Rücken gespürt hatte. Dieses hier war nicht unangenehm. Ich drehte meinen Kopf nach links und schaute zum Prinz auf. Seine unruhigen blauen Augen hielten meine fest, als ich es spürte. Da war etwas in meiner Brust. Es war ein sanftes Ziehen, ein Kribbeln und Flattern. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich das Gefühl für die Schmetterlinge im Bauch gehalten. In Aspens verwunderten Augen sah ich, dass er dasselbe spürte wie ich – unser Band.  

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Tag der Veröffentlichung: 12.08.2016

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