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Kapitel 1: Der Olymp hat gesprochen

An einem verregneten Freitagabend überraschte mich mein alter Freund Simon mit seinem irrwitzigen Plan. Ich war soeben von der Arbeit nach Hause gekommen, hatte es gerade mal geschafft, meinen Rucksack abzustellen und mir einen Tee aufzubrühen, da klingelte schon das Telefon.

 

„Hey Thomas!“ Vernahm ich Simons Stimme an meinem Ohr, kaum dass ich den Hörer abgenommen hatte. Er klang sichtlich erregt vor Freude. „Hör mal, ich habe eine Idee!“

 

Wenn Simon von einer Idee sprach, konnte es sich nur um etwas total Verrücktes handeln. Wir kannten uns nun schon seit mehr als zwanzig Jahren, hatten seinerzeit Seite an Seite die Schulbank gedrückt, gingen miteinander durch Dick und Dünn – sprich: Wir waren die besten Freunde, wie sie im Buche stehen. Zu unserer Clique zählten noch der Hannes und der Klaus, ebenfalls alte Freunde aus Kindertagen. Der Hannes war inzwischen schon lange mit seiner wundervollen Frau Anja verheiratet und hatte mit ihr drei Kinder. Anja war jung, schön, eine überaus tüchtige Hausfrau und exzellente Köchin. Mit ihrem hohen Grad an Attraktivität hatte sie eine reiche Auswahl an potentiellen Partnern. Die Männer auf der Straße drehten sich nach ihr um, lächelten ihr zu und der eine oder andere brachte sogar den nötigen Mut auf, sie anzusprechen. Doch sie hatte nur Augen für ihren Hannes und ihm allein gehörte ihr Herz, wofür wir anderen Drei ihn insgeheim beneideten. Aber das Junggesellenleben hatte schließlich auch so einiges zu bieten, weshalb wir es tunlichst vermieden, es aufzugeben.

 

Jeder in unserer Vierer-Clique hatte seine eigene Position inne. Hannes war, wie unschwer zu erkennen ist, der hart schuftende Familienvater. Er fütterte allein seine Familie durch, während seine Frau sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder kümmerte. In seinem Job in der Produktion verdiente er allerdings weniger, als ihm und seiner Frau recht gewesen wäre. Daher wurde in dieser Familie gespart, wo es nur ging. Nicht selten kam es vor, dass Simon, Klaus oder ich ihm Geld liehen, welches er zwar jederzeit pünktlich, aber mit einer gewissen Wehmut in den Augen zurückzahlte. Viel Freizeit blieb Hannes aufgrund seiner beruflichen und familiären Situation nicht. Doch wenn er mal mit seiner Frau Anja allein essen oder ins Kino gehen wollte, konnte er sich immer darauf verlassen, dass jemand von uns Dreien so lange seine Kinder hütete.

 

Klaus war vor einigen Jahren einer Freikirche beigetreten und fühlte sich sehr glücklich damit. Seit seiner Kindheit war er streng gläubiger Christ, kannte die Bibel nahezu auswendig und versäumte es an Sonn- und Feiertagen niemals, den Gottesdienst aufzusuchen. Zu seiner Herkunftsfamilie hatte er schon seit Längerem kaum noch Kontakt, da sie am anderen Ende von Deutschland lebte und er sich zudem nicht so gut mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder verstand. Doch in der Gemeindekirche hatte er eine ältere Dame kennengelernt, die für ihn beste Freundin und zugleich auch wie eine Art Mutterfigur war. An den Wochenenden besuchte er sie oft in ihrem kleinen, gemütlichen Haus, wo sie zusammen Schach spielten und über Gott und die Welt plauderten. Da sie eine fabelhafte Köchin war und es sich nicht nehmen ließ, Klaus nach allen Regeln der Kunst zu bekochen, verließ er jedes Mal satt und in bester Stimmung ihr Haus.

 

Im Mittelpunkt von Simons Leben stand ohne jeden Zweifel das Übersinnliche. Er saugte jedes Buch über esoterische und spirituelle Themen wie ein Schwamm auf und versuchte sich auch an den darin beschriebenen Praktiken. Von Meditation und Yoga bis hin zu schamanischen Ritualen und Astralreisen gab es nichts, was er noch nicht ausprobiert hatte. Außerdem glaubte er fest daran, dass jeder seine Lebensumstände durch eine entsprechende Bewusstseinsarbeit gezielt verändern kann und dass man auf die Zeichen des Universums zu achten habe, die uns jederzeit umgeben, wenn man im Einklang mit der Welt leben möchte. Klaus, Hannes und ich hatten zu den Sphären, in denen Simon sich Tag für Tag und Nacht für Nacht bewegte, nur sehr wenig bis gar keinen Zugang, und so manches Mal konnten wir es uns nicht verkneifen, hinter seinem Rücken über seinen für uns seltsam anmutenden Glauben ein wenig zu lästern. Doch da er sich mit dieser Weltanschauung anscheinend glücklich fühlte und uns seine Überzeugungen nicht aufzudrängen versuchte, unterließen auch wir es, ihn eines Besseren zu belehren. Selbst Klaus, unser „Cliquen-Papst“, wagte es nicht, Simon etwas entgegen zu setzen, auch wenn er mir mal im Vertrauen gebeichtet hatte, dass er Esoterik für Teufelszeug hielt. Wir waren einfach schon zu lange und zu eng miteinander befreundet, als dass wir unsere gute Verbindung durch Meinungsverschiedenheiten gefährden wollten. Außerdem versetzten die für unsere Ohren außergewöhnlichen spirituellen Theorien, welche Simon uns hin und wieder darbot, unser aller Leben in Schwung und boten eine angenehme Abwechslung zum trüben Alltagsgrau. Auch wenn wir nicht so recht an den Wahrheitsgehalt dieser Theorien glauben wollten, so erzeugten sie in uns dennoch einen angenehmen Nachhall, der unsere Fantasie umherschweifen ließ und unser Leben bunter machte.

 

An dieser Stelle sollte ich vielleicht einige Worte zu meiner Person verlieren. Ich bin weder gläubiger Christ noch Esoteriker und weise auch sonst keinerlei Besonderheiten auf, würde ich behaupten. Im Großen und Ganzen bin ich ein ganz gewöhnlicher Mensch. Falls es so etwas überhaupt gibt. Jede Woche arbeite ich vierzig Stunden im Supermarkt. Nach Feierabend lese ich die Tageszeitung und schaue mir Sportsendungen im Fernsehen an. Meine Urlaube verbringe ich meist an der Ostsee, lasse mir dort die frische Brise um die Nase wehen und schaue dem Spiel der Wellen zu. Sehr viel mehr gibt es zu mir eigentlich nicht zu sagen. Deswegen schwenke ich nun zurück zu dem Punkt, wo diese Geschichte begonnen hat, und zwar zu jenem Tag, als Simon mich abends anrief, um mir von seinem originellen Plan zu erzählen.

 

„Hör mal, ich habe eine Idee!“

 

Schweigend wartete ich darauf, dass Simon fortfuhr. Doch am anderen Ende der Telefonleitung breitete sich Stille aus. Anscheinend wartete Simon darauf, dass ich ihn aufforderte, weiter zu sprechen.

 

„Na dann mal los! Worum geht’s?“ Fragte ich meinen Freund.

 

„Du kennst doch die Skulptur, die neulich bei uns im Stadtpark aufgestellt worden ist.“

 

Vage erinnerte ich mich daran, dass ich bei meinen Spaziergängen eine Veränderung im Park bemerkt hatte. Stimmt! Dort war tatsächlich eine neue Skulptur aufgestellt worden. Direkt zwischen den Rosenbüschen. Allerdings hatte mein Blick sie nur kurz gestreift und ich hatte ihr keine besondere Beachtung geschenkt, da ich mich für Kunst nicht sonderlich interessiere. Zudem war es mir ein Rätsel, warum man sie überhaupt im Park aufgestellt hatte, da sie mir als wirklich absolut uninteressant erschien. Es handelte sich um einen unregelmäßig behauenen, etwa zwei Meter hohen Gesteinsbrocken, der überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür bot, was der Künstler damit zum Ausdruck bringen wollte. Das ist zumindest meine bescheidene Meinung als Laie. Ein Kunstkenner würde darin möglicherweise sehr viel mehr Bewundernswertes erkennen als ich. Die Rosenbüsche, die um den Gesteinsbrocken herum wuchsen, erschienen mir um einiges malerischer, ja gar poetischer.

 

„Ja, ich bin einige Male daran vorbeigelaufen. Was ist damit?“ Fragte ich Simon.

 

„Ich weiß jetzt, was es damit auf sich hat.“ Antwortete dieser. Und nach einer bedeutungsschwangeren Pause fügte er mit ernster Stimme hinzu: „Ich habe davon geträumt.“

 

Aha, dachte ich. Simon hat wieder einen seiner prophetischen Momente. Gespannt wartete ich darauf, dass er weitersprechen würde.

 

„Es war eigentlich kein richtiger Traum. Sondern eine Astralreise. Ich habe dir schon von diesem Phänomen erzählt. Man verlässt den physischen Körper, während dieser schläft, und wandelt mit seinem Astralkörper durch die Welt. Das mache ich ja nun schon seit einigen Jahren und letzte Nacht erlebte ich es wieder. Dabei passierte etwas höchst Sonderbares.“

 

Nun, für mich war die Vorstellung, den physischen Körper zu verlassen und mit dem Astralkörper durch die Welt zu reisen, schon sonderbar genug. Da fragte ich mich, womit mein Freund Simon dies noch toppen wollte und spitzte meine Ohren.

 

„Während meiner Astralreise verließ ich meine Wohnung, flog über die Dächer der Stadt hinweg und landete schließlich im Stadtpark neben der Skulptur. Der Vollmond stand hoch am Himmel und tauchte alles in sein mystisches Licht. Hin und wieder hörte ich eine Eule rufen. Außer mir war keine Menschenseele im Park. Ich war vollkommen allein. Die Blätter der Bäume raschelten leise im Wind. Plötzlich ging ein leichtes Beben durch den Erdboden. Ich spürte es deutlich unter meinen Füßen. Dabei erzitterte die Skulptur und leuchtete auf einmal weiß von innen heraus. Auch wenn sie kein Gesicht hatte, schien sie mich aus unsichtbaren Augen anzustarren. Ich fühlte mich regelrecht beobachtet und wäre am liebsten davongelaufen. Doch mein astraler Körper war wie gelähmt und ich konnte ihn nicht um einen einzigen Millimeter bewegen. So blieb mir also nichts anderes übrig, als auszuharren und abzuwarten, was weiter geschehen würde.“ Simon legte eine kurze Pause ein, in der er das Erlebte noch einmal im Geiste Revue passieren ließ. Nachdem er sich wieder gesammelt hatte, fuhr er fort: „Der Stein erstrahlte also in einem besonderen Licht. Und dann sprach eine tiefe, männliche Stimme zu mir, die aus seinem Inneren dröhnte:

 

,Seid gegrüßt, edler Wanderer zwischen den Welten. Dieser Augenblick ward lange vorherbestimmt. Im Namen des Zeus, unseres hoch gepriesenen Göttervaters, soll ich Euch ausrichten, dass Ihr dazu auserwählt seid, dass Eurer innigster Wunsch erfüllt wird. Dazu handelt wie folgt: Grabt während einem der nächsten sieben Monde ein Loch vor dieser Nachbildung des Olymp und bettet darin eine Opfergabe, welche über den Inhalt Eures lang ersehnten Wunsches Auskunft gibt. Schüttet das Loch anschließend wieder mit Erde zu und ebnet den Boden. Innerhalb von weiteren sieben Monden wird Euch Euer Wunsch gewährt.‘

 

Daraufhin erlosch das Leuchten im Stein und ich hörte wieder die Eule rufen. Möglicherweise handelte es sich dabei um das Haustier der Göttin Athene aus der griechischen Mythologie. Im nächsten Augenblick verschwamm die Szenerie um mich herum immer mehr vor meinen Augen, ich spürte, wie es mich in meinen physischen Körper zurückzog, und erwachte kurz darauf in meinem Bett.“

 

Simon legte erneut eine Pause ein, während der er über etwas nachzudenken schien. Nach etwa einer halben Minute entschloss ich mich dazu, die Stille zu durchbrechen.

 

„Und du bist dir sicher, dass das nicht bloß ein Traum war?“

 

Sofort regte sich Simon Stimme am anderen Ende der Leitung: „Ja, das bin ich! Absolut! Da du bislang nie eine Astralreise erlebt hast, fällt es dir schwer, mich zu verstehen. Aber ich schwöre dir bei den Göttern, dass das etwas ganz anderes war als ein Traum. Während des gesamten Erlebens behielt ich mein Tagesbewusstsein bei. Mir war vollkommen klar, dass mein physischer Körper im Bett liegt und schläft, während mein Astralkörper unterwegs ist. Und was ich erlebte, wirkte viel realer als diese Realität hier, in der wir uns gerade befinden. Es fühlte sich alles sehr viel echter an, ja hyperreal.“

 

„Und nun möchtest du dir also vom Göttervater deinen größten Wunsch erfüllen lassen.“

 

„Hmm ja, also…“ Druckste Simon herum.

 

„Los, raus mit der Sprache! Du kannst es mir ruhig sagen.“

 

„Nun, einen Versuch ist es doch wert, oder? Zu verlieren habe ich dabei nichts.“

 

„Und wie genau möchtest du das anstellen?“

 

„Du weißt doch, wie unzufrieden ich mit meinem Job im Callcenter bin. Die ständig klingelnden Telefone, die motzenden Kunden… Ich kann das alles nicht mehr hören, weißt du.“

 

Dafür hatte ich durchaus Verständnis. Ich bewunderte Simon dafür, wie er bereits seit Jahren diesen Knochenjob durchzog, der zudem sehr schlecht bezahlt war. Allerdings hatte er bislang keine Alternative gefunden, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

„Mir kam die Idee, eine Zahlenfolge für die kommende Lotterie auf ein Stück Papier zu notieren und den Zettel anschließend vor der Skulptur im Park zu vergraben…“

 

„…damit du das große Los ziehst, Lotto-Milliardär wirst und zeit deines Lebens nie wieder zu arbeiten brauchst.“ Setzte ich Simons Gedanken fort.

 

„Nun ja, ich muss ja nicht sofort Milliardär werden. Millionär würde mir, zumindest für den Anfang, schon voll und ganz genügen. Erstmal.“ Lenkte Simon bescheiden ein.

 

Für jemanden, der sich als spirituellen Menschen bezeichnete, hatte mein guter Freund Simon da aber ganz schön hochtrabende Wünsche, wie ich befand. Durch und durch materialistisch. Einerseits war ich überrascht. Zugleich beruhigte mich das aber auch, da dies davon zeugte, dass Simon nicht vollkommen abhob. In seinem Fall bestand allem Anschein nach durchaus noch Hoffnung, dass er eines Tages wieder auf den Erdboden zurückfand. Früher oder später. Spätestens dann, wenn er der Verführung des Geldes erlag und sich ein Leben in Saus und Braus ermöglicht hatte. Doch soweit musste er es erstmal schaffen. Und ich hatte ernsthafte Zweifel daran, dass sein Vorhaben ihn zum gewünschten Ziel führen würde. Was faselte er da von Astralreisen? Und vom Göttervater Zeus? Das alte Griechenland ist doch schon seit Jahrhunderten passé und wir sind moderne Menschen. Für uns gelten ganz andere Regeln. Wobei ich als bekennender Atheist sowieso nicht daran glaube, dass selbst damals irgendwelche Götter existiert, geschweige denn den Menschen Wünsche erfüllt hätten. Das war doch alles Fantasterei! Und ein Traum war nun mal nur ein Traum. Und blieb ein Traum. Doch wenn Simon sein Glück versuchen wollte, warum nicht? Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Schließlich kam niemand dabei zu schaden.

 

„Okay, also von mir aus mach das. Ich wünsche dir viel Erfolg! Und falls es dir wirklich gelingt, reich zu werden, denk an deinen besten Freund Thomas, der ebenfalls nicht in seinem Traumjob arbeitet und ein paar Kröten gebrauchen könnte.“ Fügte ich halb im Scherz hinzu.

 

„Aber natürlich teile ich mit dir das Geld! Das ist doch sonnenklar! Es wäre aber schön, wenn du mich bei der Umsetzung meines Plans unterstützt und Schmiere stehst, während ich den Zettel vergrabe. Das Loch sollte ja schon etwas tiefer sein, damit nicht das nächste daher laufende Tier den Zettel ausgräbt. Und die Erde an dieser Stelle ist sehr hart. Ich müsste sie erstmal mit Wasser angießen und aufweichen, bis ich überhaupt graben kann. Wenn währenddessen jemand vorbeiläuft und mich da vor der Skulptur herumhantieren sieht, wäre das äußerst ungünstig. Daher wäre es gut, wenn du danebenstehst, den Rundumblick behältst und mir rechtzeitig Bescheid gibst, wenn du jemanden in sichtbarer Nähe bemerkst.“

 

Ok, das leuchtete mir ein. Der Stadtpark war zwar nicht allzu stark besucht, schon gar nicht in den Morgenstunden. Aber wenn man zu zweit arbeitete, war man auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Außerdem wollte ich was vom Gewinn abhaben. Und wer weiß, ob Simon mir von dem ganzen Plan erzählt hätte, wenn er keine Hilfe benötigt hätte. Möglicherweise hätte er lieber das ganze Geld für sich behalten und weihte mich nur deswegen ein, weil er Unterstützung brauchte. Im nächsten Moment bekam ich so eine Art Bestätigung dafür.

 

„Ich würde dich aber sehr darum bitten, mit niemandem darüber zu sprechen. Auch nicht mit Klaus und Hannes. Vorerst sollte das alles unter uns bleiben. Wenn der Plan aufgeht, sehen wir weiter…“

 

Nun ja, inzwischen hätte es mich nicht mal mehr gewundert, wenn Simon allein mit dem Geld abhauen würde, ohne mir auch nur einen müden Groschen zu hinterlassen. Doch da ich ohnehin nicht daran glaubte, dass diese ganze Aktion etwas bewirkte, Göttervater hin oder her, und mich ein gewisser jugendlicher Abenteuereifer gepackt hatte, machte ich mir nicht allzu viele Gedanken deswegen. Ein bisschen Abwechslung in meinem eintönigen Leben konnte ja nicht schaden. Und wenn am Ende doch Geld dabei für mich herausspringen sollte, umso besser. Also sagte ich Simon zu und wir verabredeten uns miteinander für den morgigen Tag. In den frühen Morgenstunden, wenn die meisten Menschen noch schliefen, wollten wir uns vor dem Steinklotz im Park treffen und mit unseren Ausgrabungsarbeiten beginnen. Simon würde alle dafür nötigen Instrumente mitbringen.

 

Nachdem ich aufgelegt hatte, trank ich meinen inzwischen erkalteten Tee aus und aß dazu ein Käsebrot. Normalerweise hätte ich mich jetzt vor den Fernseher gesetzt und mir einen Film angeschaut. Doch da ich morgen sehr früh aus den Federn musste, entschied ich mich dafür, zeitig schlafen zu gehen. In meiner Aufgabe als Späher wäre meine Aufmerksamkeit in höchstem Maße gefordert. Dafür musste ich bestens gerüstet sein und durfte mir keine Müdigkeit leisten.

 

Im Traum flog ich auf seidenen Schwingen durch den Nachthimmel. Über mir die Sterne, unter mir das weiche Gefieder von Athenes Eule, die mich weit wegtrug, hinfort in andere Gefilde. Hin und wieder stieß sie einen Schrei aus, wie zur Ermahnung, mich besser an ihren Ohren festzuhalten. Wie es möglich war, dass ich Platz auf einem Eulenkörper fand, stand im Traum nicht zur Debatte. Es erschien mir einfach als das Natürlichste von der Welt, so als wäre es nie anders gewesen. Die Eule und ich bei unserem nächtlichen Flug durch Raum und Zeit – ein Bild für die Götter. Und tatsächlich ragte in der Ferne alsbald der Olymp auf, der Wohnsitz der Götter aus der griechischen Mythologie. Ich konnte ihn zwar nur schemenhaft erkennen. Doch ich wusste, dass dieser Berg der Olymp sein musste. In meinem Traum wirkte er um einiges erhabener und majestätischer als der langweilige Steinklotz im Stadtpark. Harfen- und Flötenmusik umhüllte ihn und ertönte immer lauter, je näher wir ihm kamen. Es mischte sich zunehmend ein unangenehmes Geräusch darunter, das mir, auch wenn ich es nicht klar zuordnen konnte, sehr bekannt vorkam. Als ich mich schließlich in meinem dunklen Zimmer wiederfand, hörte ich meinen Wecker klingeln, der mich sehr unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. Die Harfen- und Flötenklänge waren in der äußeren Welt schlagartig verstummt. Doch in meinem Inneren hallten sie weiterhin nach und begleiteten mich als Ohrwurm in den kommenden Stunden durch den Tag.

Kapitel 2: Wer sich selbst eine Grube gräbt

Simon war als Erster am Treffpunkt. Mit seinem Rucksack auf dem Rückweg tigerte er um den Steinklotz herum, schaute nach links und nach rechts, um die Lage zu sondieren. Es war vier Uhr morgens und die Sonne im Begriff, aufzugehen. Vorsichtshalber hatte ich den ganzen Stadtpark abgeschritten, war jedoch keiner Menschenseele begegnet. Die Welt schlief noch und wir waren somit ungestört.

 

Als Simon mich bemerkte, zeichnete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ab und er winkte mir eifrig zu.

 

„Guten Morgen und danke, dass du pünktlich gekommen bist! Am besten legen wir sofort los. Lauf einfach ein bisschen umher und schau dich um. Sobald du jemanden siehst, sag mir Bescheid. Alles klar?“

 

Nachdem er den Boden vor der Skulptur mit Wasser aus einem Kanister begossen hatte, holte er einen Klappspaten aus seinem Rucksack und begann in Windeseile ein Loch zu graben. Währenddessen behielt ich den Überblick über den Stadtpark, soweit meine Augen reichten. Zu so früher Stunde war überhaupt nichts los. Der Zeitpunkt für unser Vorhaben war optimal gewählt. Es war hell genug, dass der Einsatz einer Taschenlampe nicht erforderlich war, aber noch zu früh für Parkbesucher. Die einzigen Augenzeugen, die unserem Treiben Beachtung schenkten, waren die Vögel, und diese würden uns gewiss nicht verraten. Zudem waren sie viel zu sehr damit beschäftigt, den neuen Tag mit ihrem himmlischen Gesang zu begrüßen.

 

„So, das Loch ist fertig!“ Ließ mich Simon wissen, nachdem einige Zeit vergangen war. „Nun grabe ich den Zettel mit den Zahlen ein und dann sehen wir zu, dass wir davonkommen!“

 

Das waren gute Neuigkeiten. So langsam wurde mir nämlich doch ein wenig mulmig zu Mute. Früher oder später würden die ersten Gassigänger auftauchen und wie sollten wir uns denen erklären? Falls sie überhaupt fragten. Vielleicht riefen sie sofort die Polizei, ohne lange um den heißen Brei herum zu reden. Oder filmten uns mit ihren Handys, so dass wir unsere seltsame Aktion am nächsten Tag auf Youtube oder TikTok wiederfinden würden. Das hätte noch gefehlt! Reich zu werden, war ja nicht verkehrt. Doch ans Berühmtwerden hatten wir nicht gedacht. Schon gar nicht auf diese zweifelhafte Art und Weise.

 

Als Simon fertig war und den Spaten zusammenklappte, spürte ich, wie mich Erleichterung durchflutete. Die Stelle, an der er gegraben hatte, war zwar noch etwas feucht vom Wasser. Doch mit etwas Glück würde der Fleck in wenigen Stunden trocknen und bis dahin niemandem auffallen. Immerhin hatten wir Anfang Juli und laut Wetterbericht sollte es ein sehr heißer Sommertag werden. Bereits jetzt in den frühen Morgenstunden war es ziemlich warm.

 

Auf dem Rückweg gingen wir zu mir. Ich hatte zwar schon länger nicht mehr meine Wohnung aufgeräumt. Aber das war Simon von mir ja gewohnt. Er legte zwar sehr viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung, redete aber niemandem in seine Lebensweise hinein, wofür ich ihn sehr schätzte. Stattdessen packte ihn jedes Mal der Putzfimmel, wenn er meine Wohnung betrat. Und ich ließ ihm dabei natürlich freie Hand, da ich mir dadurch eine Menge unliebsame Arbeit ersparte und ihn seine Aufräumaktion glücklich zu machen schien. Er hatte mir schon oft erzählt, wie erleichtert und gereinigt er sich fühle, wenn er sauber machte. Das wäre nahezu wie eine Form der Meditation für ihn. Dann hatten sich also die Richtigen gefunden: Simon, der Ordnungsfreund, und ich, der Chaot.

 

Doch ich ließ Simon natürlich nicht ohne eine Dankesbekundung stehen und bereitete, während er den Putzlappen schwang, ein köstliches Frühstück für uns beide zu. Dazu briet ich Eier mit Paprika an, ohne Speck, auf Simons vegetarische Ernährungsweise Rücksicht nehmend. Dazu gab es belegte Brote mit Käse, Marmelade, Honig, für mich auch Wurst. Reichlich Obst und Gemüse gab es auch und als Getränke standen verschiedene Teesorten, Kaffee, Saft, Kakao und Wasser zur Auswahl. Simons Augen glänzten vor Freude, als er den reichlich gedeckten Frühstückstisch sah, bedankte sich überschwänglich für die Gaumenfreuden und biss mit sichtlichem Genuss in ein Marmeladenbrot. Auch ich ließ es mir schmecken. Erst, als wir schon einigermaßen gesättigt waren, und Simon sich zufrieden über den Bauch strich, kamen wir miteinander ins Gespräch.

 

„So, der erste Schritt ist getan! Die Zahlen sind vergraben. Wie es der Olymp befohlen hat. Während der nächsten sieben Monde kommt, mit etwas Glück, die Lieferung. Ich schlage vor, dass wir tatsächlich erst nach dem siebten Mond, also nach Tag sieben, nachschauen gehen, ob das Geld da ist. Dazu hebe ich das Loch wieder aus und du stehst erneut Schmiere. Wir könnten natürlich auch schon früher vorbeischauen, aber da dies jedes Mal mit dem Risiko verbunden ist, von Passanten entdeckt zu werden, warten wir besser bis zum letzten Tag ab.“ Schlug Simon vor.

 

„Und du bist dir wirklich sicher, dass wir nicht vorher einen Lottoschein mit den von dir notierten Zahlen bei der Lotterie einreichen müssen? Ich meine, woher weißt du, dass das Geld an Ort und Stelle unter der Erde deponiert sein wird? Wer sollte es denn dorthin bringen? Die Götter des Olymp etwa? Wenn ich das richtig verstanden habe, handelt es sich bei ihnen um feinstoffliche Wesen. Wie sollen sie denn dann materielle Dinge ins Hier und Jetzt zaubern? Wäre es da nicht viel naheliegender, dass wir Lotto mit deinen Zahlen von dem verbuddelten Schein spielen?“

 

Simon überlegte. „Ich verstehe deinen Gedankengang. Aber an dieser Stelle tritt die Logik außer Kraft und es geht darum, sich von der Intuition leiten zu lassen. Und diese sagt mir glasklar und unmissverständlich, dass wir nicht Lotto zu spielen brauchen, ja, es gar nicht dürfen, sondern nach sieben Tagen einfach den Koffer mit dem Geld ausbuddeln und gut ist. Mach es doch nicht unnötig kompliziert.“

 

Unnötig kompliziert? Ich lachte kurz auf und verschluckte mich dabei fast an meinem Wurstbrot. Einen Lottoschein abzugeben wäre doch sehr viel einfacher gewesen als noch mal die ganze Aktion von gerade eben zu wiederholen. Doch wie Simon bereits gesagt hatte: Mit Logik hatte das Ganze nichts zu tun. Also beließ ich es dabei und folgte meiner Intuition, die mir zuflüsterte, dass es nichts bringen würde, Simon zu widersprechen. Aus meiner bescheidenen, unspirituellen Sichtweise heraus betrachtet, würde es unsere Gewinnchancen erheblich erhöhen, wenn wir einfach Lotto spielten, anstatt wie kleine Kinder in der Erde herum zu buddeln. Doch da ich ohnehin nicht daran glaubte, dass die Götter des Olymp uns reich beschenken würden, war es mir letztendlich einerlei, wie wir weiter vorgingen. Lotto spielen konnte man zur Not ja auch später noch.

 

Das Wochenende verging so ruhig und entspannt wie immer. An beiden Tagen suchte ich das Freibad in der Nachbarschaft auf, um mich von der Sommerhitze abzukühlen. Auf dem Hin- und Rückweg kam ich an der Skulptur im Park vorbei. Außer dass die Erde inzwischen getrocknet war, hatte sich nichts verändert. Was hätte auch passieren sollen? Schließlich hatte außer uns niemand einen Grund, dort zu graben. Insgeheim fragte ich mich, ob Simon vorzeitig bei der Skulptur aufkreuzen würde, um den Schatz allein zu bergen. Aber was solls, er würde doch sowieso nichts finden. Da war ich mir absolut sicher.

 

Meine Arbeitswoche im Supermarkt zog sich dahin wie zäher Kaugummi. Ich konnte das Wochenende kaum erwarten. Auch weil ich wegen der Hitze in den Nächten kaum Schlaf fand und deswegen immer völlig übermüdet auf der Arbeit erschien.

 

Dann war es endlich soweit und der Samstag stand vor der Tür. In der Nacht hatte es ein starkes Gewitter mit einem hefigen Regenschauer gegeben, der etwas Erfrischung brachte. Die Temperatur war deutlich herunter gekühlt, was ich sehr begrüßte. Auch an diesem Samstagmorgen hatte mich mein Wecker in aller Herrgottsfrühe aus den Federn gescheucht. Doch nachdem ich Simons Bitte erfüllt und meine Rolle als Wachhund gespielt hatte, würde ich umgehend in meine Wohnung zurückkehren und weiterschlafen. Das stand für mich fest. Möglicherweise würde ich bis zum kommenden Morgen im Bett bleiben, so müde war ich. Aber jetzt ging es erstmal raus in die große weite Welt. Hinter der Fensterscheibe sah ich leichten Regen auf die Erde fallen.

 

Simon war natürlich wieder als Erster am Treffpunkt, was mich wenig überraschte. Ich ging davon aus, dass er bereits nach dem Geld geschaut hatte, aber nicht fündig geworden war. Andernfalls hätte er sich vermutlich mit der gesamten Summe aus dem Staub gemacht.

 

„Tja, das beste Wetter haben wir uns ja nicht unbedingt ausgesucht. Und man kann nur hoffen, dass das Geld wasserdicht verpackt ist. Aber immerhin können wir davon ausgehen, dass uns bei diesem Mistwetter niemand stören wird.“

 

Da hatte Simon Recht. Also ran an die Arbeit und danach auf dem schnellsten Wege nach Hause ins Trockene. Während Simon sich ans Graben machte, schaute ich dem Regen zu, wie er die Welt reinwusch, mich inklusive, da ich außer Jeans und T-Shirt nichts am Leibe trug. Der letzte Regen war schon länger her, mehrere Wochen. Es war also höchste Zeit, dass die Pflanzen und Tiere wieder was zu trinken bekamen. Das Gras war schon völlig vertrocknet, ähnelte Heu.

 

Durch den Regenguss sah nun alles wieder frischer und lebendiger aus. Und die Luft duftete nach zartem Blattgrün und feuchtem Erdboden. Die Vögel hatten sich vor dem Regen versteckt und hielten ihre Schnäbel. In der Ferne allerdings hörte ich eine Eule rufen. Ob das Athenes Vogel war? Vielleicht hatte ich mir den Eulenruf, völlig übermüdet wie ich war, aber auch nur eingebildet.

 

In der vorigen Nacht hatte ich wieder von ihr geträumt. Sie hatte sich aus Geldscheinen ein Nest gebaut und schlief darin. Dann kam jemand vorbei, scheuchte sie auf, woraufhin sie aufsprang und heftig mit ihren Flügeln um sich zu schlagen anfing. Dadurch gerieten die Geldscheine um die herum in Bewegung, flogen auf und ab. Der Luftzug, der dabei entstand, wurde immer stärker und entwickelte sich zu einem Orkan. Die fliegenden Geldscheine wirbelten immer wilder um die um sich schlagende Eule herum und alles geriet dermaßen in Bewegung, dass man weder die Eule noch die Geldscheine klar erkennen konnte. Als sich der Sturm nach einer Weile legte, fiel eine einzelne braune Feder zu Boden. Sowohl die Eule selbst als auch das Geld waren verschwunden, hatten sich in Luft aufgelöst.

 

„Thomas! Das Geld ist weg!“ Rief Simon entsetzt.

 

„Pssst, nicht so laut! Wie meinst du das?“ Geld unter der Erde zu finden, hatte ich ohnehin nicht erwartet. Daher war ich nicht im Geringsten überrascht.

 

„Schau selbst! Da ist nichts!“

 

Ich blickte in die Grube herab, welche Simon soeben gegraben hatte. Ja, es war wirklich eine Grube und kein bloßes Loch mehr. Und in ihr herrschte gähnende Leere. Nicht einmal der Zettel mit den Lottozahlen darauf, welchen er vor genau einer Woche an Ort und Stelle verbuddelt hatte, war zu sehen.

 

„Aber warum bist du dir so sicher, dass jemals Geld an dieser Stelle lag?“

 

„Nun, erstens ist mein Zettel verschwunden. Also muss jemand hier gewesen sein. Und zweitens…“ Er hielt mir einen erdverschmierten Hundert-Euro-Schein vor die Nase. „Was sagst du dazu?“

 

„Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass du den eben da drin gefunden hast, oder?“

 

„Genau das ist es ja! Es war hier ein einziger Geldschein versteckt. Ich gehe davon aus, dass der Dieb ihn vergessen hat.“

 

So so, der Dieb also… Ich glaubte Simon kein Wort. Da konnte er noch so verdattert gucken. Allem Anschein nach wollte er mich einfach auf den Arm nehmen. Vermutlich hatte er wirklich daran geglaubt, durch dieses Ritual vom Olymp beschenkt zu werden, und wollte nun, da sein Plan nicht aufgegangen war, seinen Stolz wahren, indem er mir die Geschichte mit dem Dieb auftischte und mir als fragwürdiges Beweismittel einen Geldschein zeigte, den er in Wirklichkeit selbst mitgebracht hatte. Aber was, wenn ich dem Irrtum erlag und sein Wunsch tatsächlich erfüllt worden war, er das Geld bereits vor Stunden oder Tagen ausgegraben und sicher verwahrt hatte und, um mit mir nicht teilen zu müssen, einen auf ahnungslos machte…

 

Ich kannte Simon seit über zwanzig Jahren und hatte ihn immer für eine ehrliche Haut gehalten. Doch wie sagt man so schön? Bei Geld hört die Freundschaft auf. Und hier ging es nun mal um nichts anderes als Geld. Doch da ich Realist bin, schien mir diese Möglichkeit zu abstrus. Das konnte einfach nicht sein. Götter, Zahlen, Astralreisen… Wo sollte das alles noch hinführen? Mit Sicherheit nicht auf den Olymp. Selbst in dem Falle, dass es besagte Götter wirklich geben sollte, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie war es dann möglich, dass jemand außer uns von dem Geld wusste und es ausgegraben hatte? Ich hatte niemandem von unserem Vorhaben erzählt, aber vielleicht ja Simon? Ach, was mache ich mir so viele Gedanken wegen so etwas Lächerlichem, sprach ich innerlich zu mir selbst. Und zu Simon gewandt sagte ich:

 

„Bei aller Freundschaft, entweder nimmst du mich gerade gewaltig auf den Arm oder ich weiß nicht, was das Ganze soll. Aber dass jemals Geld dort vergraben gewesen ist, das glaub ich nicht im Traum! Sei also bitte so nett und sag mir die Wahrheit. Eine Chance gebe ich dir und werde dir auch nicht böse sein, wenn du mir sofort beichtest, dass du dir das alles nur ausgedacht hast.“

 

Simon blinzelte verdattert mehrmals mit den Augen. „Du meinst allen Ernstes, ich habe mir das alles nur ausgedacht? Warum sollte ich so etwas denn tun? Was hätte ich davon?“

 

„Nun, entweder wolltest du mich verschaukeln. Aber ich vermute eher, du hattest wirklich deinen komischen Traum oder deine Astralreise - nenn es, wie du willst - und bist davon ausgegangen, auf diesem Wege zu Reichtum zu gelangen. Jetzt, wo nichts draus geworden ist, obwohl du so überzeugt davon warst, willst du vor mir nicht als naiver Verlierer dastehen, der an allen möglichen Hokuspokus glaubt. Und deswegen tust du so, als wäre dein Plan sehr wohl aufgegangen, dass dir aber jemand anders, dein so genannter Dieb, zuvorgekommen ist. Falls dem wirklich so sein sollte: Woher wusste jemand, dass er hier fündig werden kann? Und warum hinterließ er einen Hundert-Euro-Schein? Den hätte er doch sicher eher mit eingesackt, als ihn seinem Schicksal zu überlassen, oder? Kannst du mir folgen?“

 

Simon seufzte und machte ein trauriges Gesicht. „Du meinst also allen Ernstes, ich würde dich belügen? Damit liegst du zwar vollkommen falsch. Aber was soll ich denn machen, wenn du mir nicht glaubst… Ich dachte eigentlich, nach zwei Jahrzehnten unserer Freundschaft würdest du mich besser kennen. Was du mir unterstellst, enttäuscht mich zutiefst! Und weißt du, was eine Ent-Täuschung ist? Das Ende einer Täuschung!“

 

„Da liegst du absolut richtig! Und ich werde mich von dir nicht mehr täuschen lassen! Machs gut, ich hab die Nase voll!!!“ Wütend stapfte ich im strömenden Regen davon. Simon verlackmeierte mich doch von vorn bis hinten. So etwas lasse ich mir nicht bieten. Von niemandem. Zwanzig Jahre Freundschaft hin oder her. Vielleicht waren zwanzig Jahre auch einfach lange  genug und an diesem Punkt musste endlich mal ein Schlussstrich gezogen werden. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn mich Menschen anlügen. Und wenn sie sich einen dummen Scherz mit mir erlauben und weiterhin einen auf unschuldig und ahnungslos machen, wenn ich sie zur Rede stelle, geht mir das erst recht gegen den Strich. Sollte doch der Simon sehen, wo er blieb. Mit seinem schmutzigen Geld und seinem blöden Klappspaten. Ich hatte genug. Und ich würde Klaus und Hannes auf jeden Fall von diesem Vorfall berichten. In allen Details. Sollten sie doch sehen, was für einer der gute Simon in Wirklichkeit war. Da wären die beiden sicher baff. Aber erstmal musste ich nach Hause, mich meiner nassen Kleidung entledigen und lange schlafen. So lange, bis ich alle Filme im Traumkino durchhatte. Doch auf gar keinen Fall wollte ich von der Eule träumen. Und auch nicht von Geld. Davon hatte ich vorerst genug. Wenn auch nicht auf meinem Konto.

Kapitel 3: Athenes Lächeln

Diesmal war es nicht der Wecker, der mich aus dem Land der Träume rüttelte, sondern das Telefon. Warum hatte ich vor dem Schlafengehen nicht daran gedacht, den Stecker aus der Wand zu ziehen? Dann hätte ich jetzt meine Ruhe und könnte weiterhin mit der blonden Traumfrau am Palmenstrand liegen. Als ich die Augen öffnete und aus dem Fenster sah, war immer noch Tag. Oder schon wieder? Womöglich hatte der Sonntag längst begonnen. Doch nein, hätte ich wirklich mehr als vierundzwanzig Stunden durchgeschlafen, würde ich mich nicht so gerädert fühlen. Also waren wohl erst wenige Stunden vergangen. Wenn überhaupt.

 

Auf dem Display meines Telefons leuchtete Klaus Name auf. Okay, immerhin nicht Simon. Das war schon mal gut. Um mit Simon zu sprechen, war ich jetzt wirklich nicht in der Stimmung.

 

„Hallo Thomas. Ich hoffe, ich störe dich nicht?“ Klaus` Stimme war so sanft wie eh und je.

 

„Alles gut. Ich habe zwar gerade zum ersten Mal in dieser Woche anständig geschlafen und hatte zudem einen wunderschönen Traum, der nun mitten im Geschehen abgebrochen ist durch deinen Anruf. Aber ich nehme es dir nicht übel.“ Ich versuchte, einigermaßen freundlich zu klingen. Klaus konnte ja nun wirklich nichts für meine miserable Laune.

 

„Du, ich hab gehört, es gäbe da eine Unstimmigkeit mit Simon…“ Wagte er sich vorsichtig vor.

 

„Eine Unstimmigkeit – ist gut. Ich bin schwer enttäuscht von Simon.“

 

„Genau dasselbe behauptet Simon über dich. Er meint, du hättest ihn sehr enttäuscht. Nun, ich will mich ehrlich gesagt nicht in eure persönlichen Belange einmischen. Wir sind erwachsene Menschen und es geht mich nichts an. Aber da wir alle vier schon so lange miteinander befreundet sind und in all den Jahren keinen richtigen Streit miteinander hatten, bin ich nun gewissermaßen von dieser Situation überrascht, um nicht zu sagen erschüttert. Vielleicht wollt ihr ja noch mal miteinander über die ganze Angelegenheit sprechen? Wie gesagt, ich will mich wirklich nicht einmischen. Aber ich fände es schon sehr schade, wenn unsere Vierer-Clique auseinanderbricht. Und der Simon ist wirklich am Boden zerstört wegen eurem Streit.“

 

„Der Simon ist ein verdammter Lügner! Und ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben! Sag ihm das und lass mich in Ruhe weiterschlafen!“ Wütend knallte ich das Telefon auf den Tisch. Ein Wunder, dass es ganz blieb. Bevor ich ins Bett zurück ging, zog ich das Telefonkabel aus der Wand. Meinen wohlverdienten Schlaf würde ich mir kein zweites Mal rauben lassen.

 

Kaum hatte ich meine Augen geschlossen, fand ich mich am Strand wieder. Die Wellen rollten im ewig gleichen Rhythmus vor und zurück, die Blätter der Palmen schaukelten im Wind. Neben mir war jemand. Sicher meine Traumfrau. Ich spürte den Stoff ihres Gewandes an meiner Haut. Doch halt! Im letzten Traum hatte sie einen Bikini getragen. Warum hatte sie sich auf einmal was übergezogen? Diese Entwicklung gefiel mir ganz und gar nicht. Irgendwas stimmte nicht, ging nicht mit rechten Dingen zu. Außerdem hörte ich auf einmal eine Eule rufen. Und als ich meinen Kopf zur Seite wandte, sah ich dort nicht meine Traumfrau neben mir im Sand liegen, sondern die Göttin Athene höchstpersönlich! Mit ihrer Eule auf dem Bauch, der sie das samtene Gefieder kraulte, was diese sichtlich genoss. Ich hätte gern mit der Eule die Plätze getauscht. Denn diese Athene war durchaus eine atemberaubende Schönheit. Nun ja, sie war schließlich eine Göttin. Sie strahlte nahezu von innen heraus und blendete mich mit ihrem Licht, so dass ich meine Augen etwas mit der Hand gegen ihren strahlenden Glanz abschirmen musste.

 

„Es betrübt uns Götter des Olymp, dass Ihr nicht bekommen habt, wonach Ihr Euch sehnt. Doch seid Ihr Euch wirklich sicher, dass materieller Reichtum Eurem innigsten Herzenswunsch entspricht? Denkt noch einmal gut darüber nach. Und was Simon betrifft, so versichere ich Euch, dass er stets ehrlich zu Euch war und ist. Söhnt Euch bitte miteinander aus. Und bewahrt Euch Eure einzigartige Freundschaft. Das ist mein weiser Rat an Euch.“ Athene schenkte mir ein so bezauberndes Lächeln, dass ich alles für sie getan hätte, und sei es, das Kriegsbeil mit Simon zu begraben. Ihre Eule gab einen wohlwollenden Laut von sich, so, als würde sie meinen Entschluss gutheißen. Das Meeresrauschen in meinen Ohren wurde immer lauter und lauter, bis es mich ganz zu durchdringen schien. Die Szenerie um mich herum verschwamm immer mehr, bis ich nichts mehr klar erkennen konnte. Und schließlich hüllte mich Schwärze ein. Endlose, undurchdringliche Dunkelheit, die sich bis an den äußersten Rand des Universums auszudehnen schien, bis ich mich selbst darin verlor.

 

Als ich aufwachte, war die Sonne bereits untergegangen. Bis auf den Traum, in welchem mir Athene erschienen war, konnte ich mich an keinerlei weitere Träume erinnern. Vermutlich hatte ich die ganzen Stunden darauf in besagter Dunkelheit verbracht und das hatte meinem müden Hirn allem Anschein nach unsagbar gutgetan. Denn ich fühlte mich so wunderbar wach und erfrischt wie schon lange nicht mehr. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es drei Uhr nachts war.

 

Ich hatte noch den ganzen Sonntag vor mir und machte mir in Gedanken einen Plan. Zunächst würde ich duschen, dann frühstücken, anschließend eine Runde raus gehen, fernsehen und so gegen zehn Uhr würde ich versuchen, Simon telefonisch zu erreichen. Nein, ich würde persönlich bei ihm vorbeigehen. Das wäre besser. Mit einer Tüte selbst gebackener Bio-Kekse. Die mochte er ganz besonders gern. Und dann würde ich mich ausgiebig bei ihm dafür entschuldigen, dass ich ihn als Lügner bezeichnet hatte. Ich wusste zwar immer noch nicht so recht, ob er ehrlich zu mir gewesen war oder nicht. Und einem Traumgebilde, sei es auch in Gestalt einer Göttin, traute ich ebenso wenig über den Weg. Doch da mir meine heftige Reaktion Simon gegenüber unendlich leidtat, bis an den äußersten Rand des Universums und darüber hinaus, beschloss ich, einen Schritt auf ihn zuzugehen und die Möglichkeit zuzulassen, dass er mir doch die Wahrheit gesagt hatte. Letzten Endes wusste ich nicht, was wirklich passiert war, und ich empfand es als unfair, Simon etwas in die Schuhe zu schieben, was er womöglich gar nicht getan hatte. Womöglich würde sich alles mit der Zeit von allein aufklären.

 

Simon schenkte mir sein strahlendstes Lächeln, als er mich vor seiner Wohnungstür stehen sah.

 

„Wie schön, dich zu sehen, Thomas! Komm bitte herein und fühle dich wie zu Hause!“ Schwungvoll öffnete er die Tür.

 

Simons Wohnung war natürlich, wie immer, picobello aufgeräumt. Kein einziges Staubkorn war auf seinen weißen Möbeln zu finden. Da hätte man noch so emsig suchen können. Die Fenster waren geputzt, die Böden geschrubbt, die Teppiche gesaugt. Die Wände im Wohnungsflur zierten Tücher und Bilder mit spirituellen Symbolen, über die ich mich an dieser Stelle aus Unwissenheit nicht näher auslassen kann. Aber sie waren farbenfroh und strahlten Heiterkeit aus. Als ich am Schlafzimmer vorbei ging, sah ich einen riesigen Traumfänger von der Decke herabbaumeln.

 

In der sonnendurchfluteten Küche ließen wir uns am Küchentisch nieder. In der Luft lag ein angenehmer Duft. Räucherstäbchen vermischt mit dem Aroma der unzähligen Gewürze, welche auf den Regalbrettern standen. Im Hintergrund lief leise Meditationsmusik, die ich als beruhigend empfand. Klangschalen, Harfe, Flöte… Es erinnerte mich an die Musik aus meinem Traum neulich, in welchem ich mit Athenes Eule durch den Sternenhimmel zum Olymp geflogen war.

 

Nachdem Simon die mitgebrachten Kekse in einer Schale arrangiert hatte, setzte ich meine Entschuldigung an: „Simon, dass ich gestern so garstig zu dir war, tut mir aufrichtig leid. Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist. Aber diese ganze Situation ist einfach so verquer! Ich weiß zwar immer noch nicht, was wirklich passiert ist. Aber ich möchte dir gerne glauben. Immerhin bist du nun schon so lange mein Freund und nie stand etwas zwischen uns. Das sollte es auch jetzt nicht.“

 

Simon ließ meine Worte mit gesenktem Blick auf sich wirken. Dann schaute er mir in die Augen, legte seine Hand auf meine und sagte: „Thomas, lass uns diese Sache bitte einfach vergessen. Es war wohl einfach eine dumme Idee von mir, dich dort mit rein zu ziehen. Ich schwöre dir hoch und heilig, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe. Und ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass jemand mit unserem Geld auf und davon ist. Aber sei es drum. Diese ganze Angelegenheit soll unsere Freundschaft bitte nicht trüben. Und um ein Zeichen zu setzen, möchte ich dir den Hundert-Euro-Schein, den ich unter der Erde fand, geben, damit du ihn behältst. Kauf dir davon etwas Schönes, das dich glücklich macht. Dann hat sich diese Sache letzten Endes doch gelohnt. Aber ansonsten war das ein ganz dummer Plan, angefangen bei dem Punkt, dass ich mir Geld gewünscht habe. Was ist Geld schon wirklich wert? Ja klar, man braucht es in dieser Welt, um sich seine Existenz zu sichern. Aber muss man denn dazu wirklich reich werden? Ganz bestimmt nicht! Und mein dämlicher Wunsch, Millionär zu werden, hätte, auf einem unvorhersehbaren Umweg, beinahe unsere Freundschaft zerstört. Da sieht man, wohin meine Habgier geführt hat! In den Abgrund! Ich werde nie wieder solch egoistische Wünsche formulieren. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt!“

 

„Aber was ist mit deinem Job? Du quälst dich doch Tag für Tag im Callcenter mit den unzufriedenen Kunden. Als Millionär hättest du das nicht nötig.“

 

„Man braucht nicht viel Geld zu besitzen, um glücklich in seinem Leben zu sein. Der passende Job tuts schließlich auch! Und schau mal, was ich gestern im Briefkasten gefunden habe!“ Er schob mir einen bedruckten Zettel zu. „Das Yoga-Studio hier um die Ecke sucht neue Mitarbeiter. Du weißt doch, dass ich im Mai mit meiner Ausbildung zum Yoga-Lehrer fertig geworden bin. Nun bietet sich mir die Chance, meine Berufung auszuleben! Besser könnte es nicht sein!“ Er strahlte über das ganze Gesicht und ich freute mich aufrichtig für meinen Freund.

 

„Hey Simon, das ist ja großartig! Dann kannst du deinen nervenaufreibenden Job im Callcenter endlich an den Nagel hängen!“ Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen… „Simon, hör mal, damit würde sich doch dein innigster Herzenswunsch erfüllen, nicht wahr? Ich meine… Dann hat es ja doch noch geklappt mit den Göttern… Dein größter Wunsch war von Anfang an nicht das viele Geld, sondern das Ausleben deiner Berufung, der Jobwechsel… Und nun wird er dir erfüllt…“ Stotterte ich ungläubig.

 

Simon lächelte mich an. „Wenn man dich so reden hört, könnte man fast meinen, du wärst in die Liga der Esoteriker gewechselt. Nun glaubst du also doch noch an das Versprechen der Götter, was?“ Zwinkerte er mir zu.

 

„Nun ja…“ Begann ich etwas verlegen. „Etwas merkwürdig ist das Ganze ja schon. Aber eine Sache wundert mich nun doch: Du hattest doch gar nichts als Opfergabe vergraben außer dem Zettel mit den Lottozahlen. Und dieser hat doch nichts mit deinem Wunsch, deine Berufung ausleben zu dürfen, zu tun. Warum läuft es nun dennoch darauf hinaus? Und was hat es mit dem Geldschein zu tun, den du gefunden hast?“

 

Simon schaute mich einen Moment lang an, bevor er sprach: „Ach Thomas. Die Wege des Herrn, der Götter und des Universums sind unergründlich. Aber eins weiß ich genau: Wenn wir uns etwas von ganzem Herzen wünschen und es nichts in uns gibt, was sich gegen die Erfüllung dieses Wunsches stellt, dann wird er wahr. Das habe ich schon oftmals erlebt und kenne auch noch andere Menschen, denen es ebenso ergangen ist. Der Trick dabei ist, dass wir uns darauf fokussieren, was wir in unserem Leben haben oder erleben wollen, und nicht auf das, was uns stört und zur Last fällt. Geh tief in dich hinein und stell dir vor, wie dein Leben aussehen würde, wenn du glücklich wärst. Fokussiere dich allein darauf und gib negativen Gedanken und destruktiven Gefühlen, die dich von der Erfüllung deines Wunschlebens abhalten, keine Chance. Kreiere dein Leben im Geist und es wird Realität. Du bist der Erschaffer deiner Lebensumstände. Nur du und niemand sonst.“

 

Okay, das war mir alles eindeutig etwas zu abgehoben. Aber ich wollte Simon nicht reinreden. Das war nun mal sein Glaube und er tat damit niemandem weh. Also sollte er seinen Glauben von mir aus gerne behalten. Eines war mir jedoch immer noch unklar…

 

„Ok ok, eine Sache verstehe ich aber immer noch nicht: Was hat es mit dem Hundert-Euro-Schein, den du in der Grube gefunden hast, auf sich?“

 

Simon überlegte. „Tja, lieber Freund. Darauf vermag ich dir leider keine Antwort zu geben. Mit meinem Herzenswunsch hat das, wie wir nun im Nachgang wissen, nichts zu tun. Vielleicht aber ja mit dem deinigen? Schau einfach mal, was du mit dem Geld anfängst. Vielleicht wird es dich zu deiner Bestimmung führen.“ Er lächelte mich geheimnisvoll an.

 

„Na gut, wenn es dir wirklich nichts ausmacht, behalte ich das Geld. Schaden kann es ja nicht. Ich danke dir. Nicht nur für das Geld, sondern in erster Linie für unsere Freundschaft!“

 

„Ich habe dir zu danken, lieber Freund! Und jetzt lass uns deine köstlichen Kekse essen!“

 

Von diesem Moment an wussten wir beide, dass wieder alles gut zwischen uns war.

 

Während wir die Kekse knabberten und uns über Belanglosigkeiten unterhielten, fiel mir etwas ein: „Du hast doch gestern Klaus von unserem Streit erzählt. Was hast du ihm eigentlich genau gesagt? Hast du ihm alles berichtet, was vorgefallen ist...von Anfang an?“

 

„Ja, das habe ich. In allen Details. Von meiner Astralreise, der Skulptur, unseren archäologischen Ausgrabungsarbeiten…“ Simon schmunzelte.

 

„Und was hält Klaus davon?“ Fragte ich neugierig.

 

„Nichts. Wortwörtlich. Was soll jemand wie Klaus schon davon halten? Allenfalls nichts Gutes. Du weißt, wie er zu solchen Dingen steht. Aber unser guter Freund Klaus hat ein großes und gütiges Herz und nimmt mich in seinen Augen armen Sünder so, wie ich bin. Vermutlich betet er sogar für die Vergebung meiner Sünden. Das würde ich ihm durchaus zutrauen.“ Schmunzelte Simon. „Ich habe schon ordentlich Mist gebaut. Das hätte alles nicht sein müssen. So ein Theater wegen Geld.“

 

„Immerhin ist auf diesem Mist etwas Gutes gewachsen. Du hast die Aussicht, bald als Yoga-Lehrer zu arbeiten.“

 

„Nun, das ist gut möglich, dass ich das sehr bald tun werde. Ich gehe morgen auf jeden Fall im Yoga-Studio vorbei, um mich dort vorzustellen. Meine Bewerbungsunterlagen nehme ich mit. Aber selbst, wenn ich dort eingestellt werde, wissen wir nicht, ob unsere Buddelei dies bewirkt hat. Am Ende war es doch nur meine reine Herzenskraft, mit der ich die Realisierung meines Wunsches manifestierte, wer weiß…“

 

Doch ausgerechnet in mir, dem Skeptiker, regte sich die Gewissheit, dass die Dinge nicht so einfach standen und dass sehr wohl viel mehr dahintersteckte. Athenes Eule war mir mehrfach im Traum erschienen und schließlich auch Athene höchstpersönlich. Diese Träume fühlten sich irgendwie anders an als die gewöhnlichen. Handelte es sich dabei vielleicht um Astralreisen? O je, jetzt fing ich auch schon damit an… Und dann war da auch noch der mysteriöse Geldschein, der aus dem Nichts im Erdloch erschienen war. Würde er uns des Rätsels Lösung näherbringen? Vor meinem geistigen Auge lächelte Athene mir geheimnisvoll zu.

Kapitel 4: Zu-Fälle

Am frühen Nachmittag verabschiedete ich mich von Simon und machte mich auf den Weg zum Stadtpark. Ein buntes Treiben herrschte auf den Straßen. Die Wolken hatten sich inzwischen wieder verflüchtigt und machten der strahlenden Sonne Platz. Das Wetter war inzwischen wohltemperiert und daher gab es keinen Grund mehr, über Hitze zu klagen.

 

Vor dem Eingang des Stadtparks hatte ein Eisverkäufer sein Lager aufgeschlagen. Familien tummelten sich drumherum und es gab eine kleine Schlange. Doch das war mir egal. An einem so zauberhaften Sommertag konnte man auch ruhig mal anstehen und dabei das angenehme Wetter genießen. Als der Kunde vor mir dran war, zückte ich schon mal mein Portmonee aus meiner hinteren Hosentasche, um das nötige Kleingeld zusammen zu suchen. Plötzlich berührte mich eine Hand leicht am Arm.

 

„Entschuldigen Sie bitte. Das ist Ihnen gerade aus der Hosentasche gefallen.“

 

Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht einer umwerfend schönen Frau. Mit ihren blauen Augen, so tief und unergründlich wie der Ozean, und ihrem langen rehbraunen Haar konnte sie Athene glatt das Wasser reichen. Ja, halluzinierte ich womöglich? War es wirklich schon so weit mit mir gekommen, dass ich die Götter vom Olymp herabsteigen sah? Mitten am helllichten Tage?

 

Erst jetzt bemerkte ich, dass die Frau mir einen Hundert-Euro-Schein entgegenhielt. „Der ist Ihnen gerade hinten herausgefallen, als sie nach Ihrem Portmonee griffen.“ Erklärte sie mir.

 

Seit wann gibt eine Frau einem Mann sein Geld zurück, das er verloren hat? Heißt es denn nicht sonst immer, Frauen würden den Männern das Geld aus der Hosentasche ziehen? Diese Frau konnte es wahrlich mit einer Göttin aufnehmen, anmutig, liebreizend und ehrlich, wie sie war.

 

„Oh, ich danke Ihnen vielmals!“ Erwiderte ich etwas verlegen, während ich das Geld an mich nahm. „Darf ich Ihnen zum Dank ein Eis spendieren?“

 

Die Frau überlegte, dann zeigte sich ein vorsichtiges Lächeln auf ihrem Gesicht. „Also gut. Ich nehme Ihre Einladung gerne an. Danke.“

 

Der Kunde vor mir trottete mit seinem Eis davon. Ich war als nächster an der Reihe. Nachdem ich für uns beide Eis bestellt hatte, überlegte ich, wie ich die Frau in ein Gespräch verwickeln konnte. Denn es lag mir fern, mich allzu schnell von ihr zu verabschieden. Sehr gerne hätte ich sie besser kennengelernt. An ihrem Hals trug sie eine silberne Kette mit einem Anhänger, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war ein fein verästelter schwarzer Baum auf türkis schimmerndem Grund. Als wir unser Eis bekommen hatten und ein Stück zur Seite getreten waren, sprach ich sie darauf an.

 

„Sie tragen da einen wirklich hübschen Anhänger. Anscheinend mögen Sie Bäume?“

 

Sie lächelte. „Oh ja! Da haben Sie vollkommen Recht! Bäume faszinieren mich bereits seit meiner Kindheit. Damals bin ich gern auf sie geklettert und habe mir die Welt von weiter oben angeschaut. Auch heute tue ich das noch ab und zu. Wenn ich Probleme habe, hilft mir diese Art von Weitblick, eine neue Perspektive auf die Situation zu gewinnen.“

 

„Ich weiß genau, was Sie meinen! So ähnlich geht es mir, wenn ich im Urlaub am Ostseestrand liege und auf das Meer hinausschaue, dessen Ende man nicht erkennen kann. Es fühlt sich für mich so an, als würden die Wellen all meine Sorgen mit sich hinaustragen und in ihrem Wasser auflösen. Das wirkt ungemein befreiend!“

 

„Dann sind Sie also auch ein Naturfreund, nicht wahr? Am Meer bin ich auch für mein Leben gern. Doch noch mehr reizen mich die Berge. Ich bin freischaffende Künstlerin und finde immer wieder neue Motive für meine Bilder in der Natur. Außerdem stelle ich Schmuck her. Diesen Baum-Anhänger habe ich auch selbst gemacht.“ Sie berührte die Kette an ihrem Hals.

 

„Sie haben großes Talent! Sagen Sie, hätten Sie was dagegen, wenn ich mir auch Ihre anderen Werke anschaue? Künstlerisches Schaffen hat mich schon immer fasziniert. Vielleicht haben Sie ja eine Homepage oder eine Ausstellung? Ich bin übrigens der Thomas.“ Ich reichte ihr meine Hand.

 

„Und ich bin die Katja.“ Sagte sie, während sie meine Hand sanft drückte. „Wollen wir du zueinander sagen? Und ja, eine Homepage habe ich. Moment…“ Sie kramte in ihrer Handtasche. „Hier, das ist meine Visitenkarte. Da steht alles drauf. Bitteschön.“

 

„Danke sehr.“ Ich nahm ihre Visitenkarte in Empfang und schaute sie mir an. „Die ist aber wirklich hübsch gestaltet. Man sieht sofort, dass man es mit einer Künstlerin zu tun hat.“ Auf dem Kärtchen war ein Kolibri neben einer exotischen Blüte abgebildet. Die Abbildung war so detailgetreu gestaltet, dass man sie auf den ersten Blick mit einer Fotografie hätte verwechseln können. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass es sich dabei um eine Zeichnung handelte. Neben Katjas vollem Namen, Anschrift und Telefonnummer enthielt sie auch den Link zu ihrer Homepage.

 

„Vielen Dank. Freut mich, dass sie dir gefällt, Thomas.“ Katja klang etwas verlegen. „Nun denn, ich muss jetzt erstmal los, bin noch mit einer Freundin verabredet. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.“

 

„Die Freude ich ganz meinerseits! Ich werde mir deine Homepage anschauen. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“

 

„Gerne!“ Sie winkte mir zu und verschwand in der Menschenmenge, während ich mit meinem Eis in der Hand dastand und ihr sehnsüchtig nachschaute. Was für eine bezaubernde Frau! Auch wenn wir uns gerade zum ersten Mal begegnet waren, hatte ich mich schon ein bisschen in sie verliebt. Und anscheinend war ich ihr sympathisch. Andernfalls hätte sie mir wohl kaum ihre Visitenkarte gegeben. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und einen Blick auf ihre Homepage zu werfen. Doch erstmal musste ich mein Eis schleunigst aufessen. Es war nämlich schon etwas angeschmolzen und tropfte an der Waffel herunter.

 

Zu Hause angekommen setzte ich mich sofort an den Rechner und rief Katjas Homepage auf. Auf der Titelseite war die Zeichnung von ihrer Visitenkarte abgebildet, und wenn man herunterscrollte, konnte man weitere ihrer Werke bewundern. Diese Katja war überaus vielseitig. Neben Aquarellmalerei und Kohlezeichnungen beschäftigte sie sich auch mit dem Töpfern und dem Anfertigen von Schmuck. Die Motive entsprangen so gut wie immer der Natur und der Tierwelt. Auch wenn ich mich mit Kunst nicht auskenne, so berührten ihre Werke, anmutig wie sie selbst, sofort mein Herz. Vor allem ein Landschaftsgemälde, das einen Bachlauf vor einer Baumgruppe zeigte, hatte es mir angetan und ich beschloss, es käuflich zu erwerben, nicht zuletzt, weil mir aus einem der Bäume eine Eule entgegenblickte. Womöglich Athenes Haustier?

 

Wie ich sah, hatte Katja zudem mehrere Lehrbücher über verschiedene Zeichen- und Maltechniken geschrieben. Einige davon waren für Anfänger geeignet und mich packte plötzlich die Lust, das Zeichnen und Malen zu erlernen. Das wäre doch ein wesentlich erfüllenderes Hobby als tagein tagaus vor dem Fernseher abzuhängen, wie ich es sonst tat. Man wurde aktiv und kreativ, erschaffte Neues, was vorher noch nicht dagewesen war. Vielleicht würde mir Katja sogar privaten Unterricht geben? Ich würde sie auf jeden Fall fragen und natürlich entsprechend entlohnen.

 

Am meisten freute es mich aber, dass sich mir auf diesem Wege nun die Gelegenheit bot, erneut Kontakt zu Katja aufzunehmen. Morgen Abend würde ich sie anrufen und ihr einige Fragen stellen. Heute war sie mit ihrer Freundin unterwegs und wollte den Abend womöglich ruhig ausklingen lassen. Also beließ auch ich es dabei und schaute mir auf Youtube Videos über Künstler und deren Kunstwerke an. Katja hatte eindeutig frischen Wind in mein eingestaubtes Leben gebracht. Und wie hatte alles begonnen? Mit dem Geldschein aus dem Erdloch, der mir vorhin aus der Hosentasche gefallen war. Hätte Simon mir diesen nicht gegeben, hätte ich Katja wohl gar nicht kennengelernt. Es war schon interessant, wie das Leben einem manchmal mitspielte! Das musste ich unbedingt Simon erzählen! In meiner Ungeduld rief ich ihn sofort an.

 

„Hey Simon! Du wirst nicht glauben, was mir soeben passiert ist!“

 

„Auf jeden Fall klingst du sehr erfreut. Also kann es sich dabei nur um etwas Schönes handeln.“ Das Lächeln in Simons Stimme war unverkennbar.

 

„Und ob! Etwas überaus Schönes, das mit dem Geldschein aus dem Erdloch zu tun hat!“

 

„Was? Wirklich? Hast du dir davon was Tolles gekauft?“

 

„Nein. Den Hundert-Euro-Schein habe ich nach wie vor nicht angebrochen. Aber hör selbst, was sich ereignet hat…“ Ich erzählte ihm, was sich vor wenigen Stunden vor der Eisdiele abgespielt hatte. „Das kann doch kein Zufall gewesen sein, oder? Du gibst mir das Geld und kurz darauf lerne ich Katja kennen!“

 

Simon schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Es war ein Zu-Fall. Aber nicht in dem Sinne, dass sich das Ganze ohne besonderen Grund ereignet hat, wie das Wort ,Zufall` für gewöhnlich interpretiert wird. Sondern die Begegnung mit Katja fiel dir zu. Aus einem bestimmten Grund. Und so begeistert und verliebt, wie du von Katja erzählst, klingt es fast so, als hätte sich dein Herzenswunsch erfüllt.“

 

„Hmm ja, was du da sagst, das leuchtet mir ein. Du weißt ja, dass ich schon sehr lange Single bin. Seit meiner schmerzvollen Trennung von Tina damals vor 7 Jahren ist mir keine Frau mehr begegnet, die solche starken Gefühle in mir ausgelöst hat. Die eine oder andere Liebelei war schon dabei, aber ernsthaft binden wollte ich mich nicht mehr. Bis ich heute Katja begegnet bin. Es hört sich vielleicht total verrückt an, aber bei dieser Frau könnte ich mir sogar vorstellen, sie zu heiraten. Und das, obwohl ich sie eigentlich noch gar nicht kenne. Und es fühlt sich alles so richtig an.“

 

„Dass es sich richtig anfühlt, ist der beste Beweis dafür, dass du auf dem richtigen Weg bist. Anscheinend hat sich auch für dich ein lang gehegter Herzenswunsch erfüllt. Und das Geld vom Olymp hat auf dem direkten Wege dazu beigetragen.“

 

„Langsam fang ich doch noch an, an deine Astralreisen und Götter zu glauben!“ Lachte ich glücklich auf. „Das ist doch alles total abgefahren, oder? Erst buddeln wir vor der Skulptur herum und dann werden auf einmal Träume wahr. Für dich erscheint auf der Bildfläche die Chance, deinen nervenaufreibenden Job gegen deinen Traumberuf einzutauschen, und bei mir ist es meine Traumfrau in Person. Das ist doch absolut irre, oder was meinst du?“

 

„Auch ich bin überwältigt von den Ereignissen. Vor allem auch von der Geschwindigkeit, mit der sie eintreten. Es geht Zack auf Zack. Und wir beide finden aus unserem Freudentaumel gar nicht mehr heraus, was?“

 

„Das will ich auch nicht! So gute Laune hatte ich schon ewig nicht mehr und das kann gut und gerne so bleiben! Wollen wir übermorgen Abend noch mal miteinander telefonieren? Dann kannst du mir erzählen, was bei deiner Vorsprache in der Yoga-Schule herauskam, und ich berichte dir von meinem Telefonat mit Katja.“

 

„Alles klar, so machen wir das! Bis übermorgen Abend! Ich rufe dich gegen zwanzig Uhr an, okay?“

 

„Super! Also bis dann und dir viel Glück morgen bei deinem Gespräch! Ich drücke dir fest die Daumen, dass du den Job bekommst!“

 

„Vielen Dank! Irgendwie bin ich mir bereits jetzt schon sicher, dass das klappen wird. Er ist mir einfach zu-gefallen. Wie dir Katja zu-gefallen ist. Ich wünsche dir morgen Abend ein wunderschönes Telefonat mit ihr.“

 

„Das werde ich haben! Bis bald!“ Wir legten auf, und ich ging zu Bett.

 

Im Traum lag ich wieder am Palmenstrand und blickte auf den Ozean hinaus. Von Athene war diesmal nichts zu sehen. Aber hoch oben in der Palme sah ich Katja sitzen und mir zuwinken. Auf ihrer Schulter hatte sich ein Kolibri niedergelassen.

Kapitel 5: Wunschlos glücklich

Die folgenden Wochen und Monate vergingen wie im Flug. Simon wurde beim Yoga-Studio eingestellt und konnte somit seinen alten Job im Callcenter aufgeben. Katja und ich lernten uns besser kennen und wurden ein Paar. Bei uns allen ging es im Leben deutlich bergauf und wir waren, zumindest für den Moment, wunschlos glücklich. Ende Sommer sollte sich etwas Merkwürdiges ereignen: Simon, Klaus und ich bekamen jeweils einen Brief aus Monaco. Der Absender war Hannes.

 

Wir hatten uns schon gewundert, warum sich dieser für längere Zeit zurückgezogen hatte und nichts mehr von sich hören ließ. Anfangs hatte er uns auf seinen Rückzug vorbereitet, indem er behauptete, er hätte viel zu tun mit seiner Arbeit und seiner Familie und würde sich von selbst wieder melden, wenn er die Zeit dazu fände. Das leuchtete uns zwar ein. Doch als er sich zwei Monate später immer noch mit keinem von uns treffen wollte und auch nicht mehr auf unsere Anrufe reagierte, fingen wir an, uns Sorgen zu machen. Schließlich standen wir drei eines Tages in gesammelter Formation vor seinem Wohnhaus, nur um festzustellen, dass das Klingelschild mit seinem Namen entfernt worden war. Hannes war mit seiner Familie ausgezogen, ohne uns darüber in Kenntnis zu setzen. Höchst seltsam. Was hatte das zu bedeuten? Wir konnten nur hoffen, dass es ihm gut ging, wo auch immer er sich jetzt aufhielt. Etwas sauer waren wir verständlicherweise auch darüber, dass er sich so klammheimlich aus unser aller Leben geschlichen hatte. Vielleicht gab es ja einen guten Grund dafür und wir würden ihn noch erfahren.

 

Im September erreichte uns dann schließlich Hannes Post aus Monaco. Alle 3 Briefe waren identisch. Er erklärte uns darin, was passiert war. Eines schönen Sommertages hielt er sich mit seiner Frau und seinen Kindern im Stadtpark auf, als sein jüngster Sohn, der Tobi, ein vierjähriger Knirps, plötzlich angerannt kam, atemlos vor ihm stand und mit dem Zeigefinger Richtung Skulptur deutete, wo Simon und ich in jener Woche unser Glück versucht hatten.

 

„Papa, Papa, schnell! Da liegt was im Gebüsch!“ Hatte der Kleine gerufen.

 

Zunächst dachte sich Hannes nichts dabei und wollte seinen Sohnemann schon abwimmeln. Vermutlich hatte er bloß ein Spielzeug oder ein totes Tier gefunden. Doch als der Kleine nicht lockerließ und ihn am Arm zerrte, beschloss er, nachzusehen. Und sein Fund sollte sein Leben von Grund auf verändern. Denn im Gebüsch hinter der Skulptur unter den Blättern versteckt lag ein prall gefüllter Geldkoffer! Hannes schnappte sich ihn, ohne zu zögern.

 

Von da an ging alles sehr schnell. Nach Rücksprache mit seiner Frau beschloss Hannes, mit seiner Familie nach Monaco überzusiedeln und von nun an ein Leben in Saus und Braus zu führen. Geld dafür hatte er ja jetzt genug. Inzwischen hatten sich die beiden dort ein schönes Haus mit großem Garten gekauft und ließen es sich gut gehen. Geldsorgen gehörten längst der Vergangenheit an. Nun wussten wir drei Bescheid, warum Hannes sich in der letzten Zeit rar gemacht hatte. Sein größter Wunsch hatte sich plötzlich erfüllt und er hatte seitdem alle Hände mit der Umstrukturierung seiner Lebensumstände zu tun gehabt. Nun lud er uns ein, ihn zu besuchen. Und er versprach auch, jedem von uns eine hübsche Summe Geld zu überweisen. Er ist eben ein echter Freund, wie er im Buche steht. Und selbst im Geldrausch und Glückstaumel hat er uns, seine alten, bewährten Freunde, nicht vergessen.

 

Simon und ich rätselten eine Zeit lang darüber nach, ob bei Hannes` Wunscherfüllung womöglich ebenfalls der Olymp seine Finger im Spiel hatte. Dafür sprach, dass die Götter, oder wer auch immer, den Geldkoffer ausgerechnet bei der Skulptur versteckt hatten. Aber vielleicht verhält es sich auch ganz anders. Letzten Endes spielt das keine so große Rolle. Hauptsache, wir sind alle glücklich und zufrieden. Die Ereignisse der letzten Monate lassen uns mit einigem Staunen zurück. Doch ich habe keinen so großen Bedarf, sie zu hinterfragen. Denn was soll ich mir unnötig darüber den Kopf zerbrechen, wenn selbst Simon sagt, dass die Wege des Herrn, der Götter und des Universums unergründlich sind? Lieber widme ich Katja meine Zeit und bin dankbar dafür, dass sie in mein Leben getreten ist. Der Hundert-Euro-Schein aus dem Erdloch hängt übrigens eingerahmt über meinem Schreibtisch. Ich hüte ihn wie einen Talisman und wage es nicht, ihn anzubrechen, da ich befürchte, dass meine Glückssträhne andernfalls ein Ende nehmen könnte.

 

Für Hannes, Simon und mich hat sich in den letzten Sommermonaten jede Menge zum Guten gewendet, während bei Klaus scheinbar alles beim Alten geblieben ist. Doch seinen Worten zufolge liebt er sein Leben so, wie es ist, und wünscht sich keine Veränderung. Auch gut. So kennt man den guten alten Klaus seit jeher: Selbstgenügsam und bescheiden.

 

Athenes Eule kam bislang nicht mehr in meinen Träumen vorbeigeflogen. Doch als ich Katja unsere unglaubliche Geschichte in allen Details erzählte, regten meine Worte ihre Fantasie an und inspirierten sie zu einem neuen Gemälde, das sie mir zum Geburtstag geschenkt hat: Athenes Eule, wie sie im Vollmondlicht über dem Olymp kreist. So manches Mal, wenn ich kurz vor dem Schlafengehen vor das Gemälde trete, kommt es mir fast so vor, als würde die Landschaft darauf lebendig werden und die Eule nach mir rufen…

 

 

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Was Thomas, Simon, Klaus und Hannes nicht wussten und nie erfahren würden: Das Mitglied einer Bankräuberbande war auf seiner Flucht gefasst worden. Während des Verhörs hatte der Mann bekannt gegeben, wo sich das gestohlene Geld befand, weil er sich dadurch eine mildere Strafe erhoffte. Und nun dürft Ihr, werte Leser, raten, wo er das Diebesgut versteckt hatte! Ja genau, im Gebüsch hinter der Skulptur im Stadtpark! Der Mann wollte sich mit dem Geld allein aus dem Staub machen, ohne die Beute mit seinen Kumpanen zu teilen. Als ihm die Polizei unmittelbar nach dem Bankraub auf den Fersen war, fand er auf die Schnelle kein besseres Versteck dafür. Der Koffer hätte ihn nur verdächtig erscheinen lassen, also musste er sich ihm vorerst entledigen. Als er bei seiner Flucht durch den Park an der Skulptur vorbeikam, fand er in der Eile keine andere Möglichkeit, als den Koffer im Gebüsch zu verbergen. Kurz darauf wurde er von der Polizei verhaftet. Und Hannes Sohn Tobi entdeckte den Koffer noch am gleichen Tag. So ging die Verbrecherbande leer aus.

 

Möglicherweise hatten die Götter des Olymp das alles so eingerichtet. Vielleicht handelte es sich aber auch nur um eine Verkettung skurriler Zufälle. Doch Eines ist gewiss: Das Leben unserer vier Freunde war in diesen Sommermonaten in andere, glücklichere Bahnen gelenkt worden. Selbst für Klaus sollte sich noch so einiges ändern und sein innigster Wunsch erfüllt werden, von welchem er in all seiner Bescheidenheit bis dahin noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Doch dazu vielleicht an anderer Stelle mehr…

 

 

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Texte: © Träumerin
Tag der Veröffentlichung: 16.04.2025

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