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Katerchen wird Künstler

Ein Sonnenstrahl kitzelte Katerchens Nasenspitze und ließ ihn aus dem Schlaf hochschrecken. Er hatte gerade davon geträumt, dass er bei den Mäusen zum Essen eingeladen war. Im Traum waren sie sehr freundlich zu ihm gewesen und hatten ihre Schokotropfenkekse mit ihm geteilt. Diese mochte er besonders gern. Doch in Wirklichkeit waren die Mäuse, die im Mauseloch neben dem großen Esszimmertisch in der Küche hausten, sehr geizig und behielten all die leckeren Kekse für sich allein. Nicht einen einzigen Schokotropfen gaben sie ihm ab. Das Katzenfutter, das Katerchens Besitzerin, eine ältere Dame, ihm jeden Tag in den Napf füllte, war zwar auch in Ordnung, schmeckte aber nicht annährend so gut wie die knusprigen Kekse.

 

Ein neuer Tag hatte begonnen. Katerchen legte sich in seinem weich gepolsterten Katzenkörbchen auf den Rücken, reckte und streckte seine schwarz-braun gestreiften Pfoten in alle vier Himmelsrichtungen und gähnte ausgiebig. Er war noch etwas müde. Doch der Schlaf würde bald verfliegen, und Katerchen würde sich zu neuen Abenteuern aufmachen.

 

Gemeinsam mit der älteren Dame und den Mäusen lebte er in einem kleinen, gemütlichen Häuschen im Dorf, wo jeder jeden kannte. Das Holzhaus, das sie miteinander teilten, war zwar schon sehr alt, aber vor nicht allzu langer Zeit erneuert worden. Katerchen liebte den aromatischen Buchenduft, den es verströmte.

 

Vor der Haustür gab es einen wunderschönen Garten, in welchem viele bunte Blumen und die unterschiedlichsten anderen Pflanzen wuchsen, wie etwa ein Apfelbaum, eine Süßkirsche, ein Birnenbaum, Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und allerhand Heilkräuter, welche Katerchens Besitzerin gepflanzt hatte. Diese tat sie sich entweder frisch ins Essen hinein oder bewahrte sie getrocknet in Gläsern auf, die auf einem Regal in der Küche standen. Manchmal kam auch das Kaninchen Lilly im Garten vorbei gehoppelt und knabberte frech die Kräuter ab. Selbst an den Schnittlauch machte das gefräßige kleine Wesen sich heran, ließ allerdings von ihm ab, sobald es von den obersten Spitzen gekostet hatte. Löwenzahn schmeckte dem Häschen eben doch besser.

 

Katerchen und Lilly waren schon sehr lange miteinander befreundet uns tollten oft zusammen im Garten herum. Mal spielten sie Fange miteinander, mal Verstecken oder dachten sich ganz neue Spiele aus. Ihre Lieblingsbeschäftigung war es jedoch, die Mäuse aus ihrem Versteck hinter der Wand zu locken und anschließend ihre Schokotropfenkekse zu stibitzen. Das gefiel den Mäusen natürlich gar nicht. Doch irgendwoher beschafften sie sich bald darauf eine neue Ladung an Keksen. Katerchen und Lilly hätten nur zu gern gewusst, wo sich das geheimnisvolle Kekslager befand. Doch die geizigen Mäuse wollten es ihnen nicht verraten. Sie wollten all die leckeren Kekse für sich allein beanspruchen. Jeden einzelnen davon.

 

Während Katerchen sich an diesem frühen Morgen nun zu seiner vollen Größe aufrichtete und seinen Schlafplatz, das Katzenkörbchen, verließ, hörte er, wie etwas gegen das Fenster klopfte. Neugierig schaute er in die Richtung, aus welcher das Geräusch kam. Draußen auf dem Fensterbrett saß Rosa, das Rotkehlchen, und schlug eifrig mit seinem Schnabel gegen die Fensterscheibe. Es schien Katerchen dringend etwas mitteilen zu wollen. Katerchen sprang mit einem Satz auf die kleine Kommode vor dem Fenster und legte mit seiner Vorderpfote geschickt den Griff am Fenster herum, so dass es aufsprang.

 

„Katerchen, Katerchen!“ Rief Rosa, das Rotkehlchen hoch erregt. „Sieh nur, meine Flügelspitzen! Sie sind ganz grün!“

 

Katerchen warf einen Blick auf Rosas Flügelspitzen. Tatsächlich – etwas hatte sie grün gefärbt.

 

„Oh, wie ist denn das passiert?“ Fragte Katerchen mit vor Erstaunen hoch gezogenen Augenbrauen.

 

„Das weiß ich auch nicht. Hilfst du mir, es heraus zu finden?“ Ein flehender Blick lag in Rosas Augen.

 

„Natürlich! Auf geht’s!“ Katerchen sprang aus dem Fenster in den Garten und tigerte, begleitet von Rosa, die über ihm her flog, die Straße entlang.

 

Es dauerte nicht lange, dann hatte er die Ursache für Rosas Flügelfärbung auch schon entdeckt: Der Nachbar strich gerade seinen Gartenzaun. Ein Eimer mit grüner Farbe, in welchen er seinen Pinsel immer wieder eintunkte und damit anschließend über den Zaun fuhr, stand neben ihm.

 

„Schau mal dort drüben.“ Rief Katerchen Rosa zu und deute mit seinem Kopf in die Richtung des Nachbarn.

 

„Du hast Recht. Auf diesem Zaun habe ich soeben gesessen, um einem Nachtigallmännchen, das mit zauberhafter Stimme sang, zuzuhören. Dabei sind meine Flügelspitzen wohl grün geworden.“ Sie wendete ihren kleinen Kopf abwechselnd links und rechts nach hinten, um ihre Flügel näher zu betrachten. „Doch wie werde ich die Farbe nun wieder los? Wenn mich das Nachtigallmännchen so sieht, schäme ich mich in Grund und Boden.“ Verzweifelt schaute sie Katerchen an.

 

„Das Grün steht dir doch ganz gut.“ Katerchen lächelte verschmitzt. „Aber wenn dir das nicht gefällt, finden wir bestimmt etwas, womit wir die Farbe wieder ab bekommen.“

 

Und schon machte Katerchen sich auf die Suche. Auf Samtpfoten tapste er auf der Wiese durchs Dorf von Nachbar zu Nachbar und schaute dabei in die Gärten. Drei Häuser weiter pflückte ein junges Mädchen gerade die Kirschen vom Baum und wusch sie anschließend in einem Eimer Wasser.

 

„Oh Kirschwasser…“ Katerchen lief sofort das Wasser im Munde zusammen. Kirschwasser, sein absolutes Lieblingsgetränk, hatte er schon seit einer Woche nicht mehr zu sich genommen, weil sich keine Gelegenheit dazu angeboten hatte. Wie hypnotisiert lief er auf den Eimer zu.

 

„Da bist du kleiner Banause ja wieder.“ Das Mädchen im hellblauen Sommerkleid lächelte ihn an und hockte sich neben ihn hin, während er gierig aus dem Eimer trank. „Vom Kirschwasser kannst du nie genug bekommen, was?“ Sie streichelte ihm durch sein gestreiftes Fell und kraulte ihn hinter den Ohren. Das Wasser in Katerchens Bauch gluckerte, während er weiter trank.

 

Schließlich passte nichts mehr in ihn hinein und er ließ sich erschöpft auf den Rücken fallen. Als das Mädchen ihn an seinem flauschig weichen Bauch streicheln wollte, wischte er ihr mit seiner Pfote eins aus. Nur ganz vorsichtig, ohne die Krallen dabei auszufahren, um ihr das Signal zu geben, dass er jetzt erstmal seine Ruhe braucht. Das Mädchen verstand ihn und schaute ihm einfach zu, wie er auf der Wiese liegend, alle Viere von sich gestreckt, in die Sonne blinzelte.

 

„Heh Katerchen! Meine Flügelspitzen hast du wohl vergessen, was?“ Rosa hatte sich auf seinen Bauch gesetzt und ihn vorsichtig mit ihrem kleinen Schnabel an sein Näschen gepickt.

 

Katerchen öffnete seine grünen Augen und schaute Rosa mit einem müden Blick an.

 

„Noch einen kleinen Moment. Ich bin total verkatert von dem vielen Kirschwasser.“

 

„Das dachte ich mir.“ Zwitscherte das Rotkehlchen. „Aber du hast mir doch versprochen, mir zu helfen.“

 

Katerchen kam plötzlich etwas in den Sinn.

 

„Heh, Rosa, wie wär’s, wenn du einfach ein Bad im Kirschwasser nimmst? Dann wirst du die Farbe bestimmt ganz schnell los.“

 

Das Rotkehlchen schaute erst auf den Eimer, dann auf Katerchen.

 

„Das ist eine hervorragende Idee!“

 

Im nächsten Moment planschte sie auch schon im Kirschwasser und ließ es aus dem Eimer nur so heraus spritzen. Das Mädchen war ganz entzückt von diesem Anblick. So etwas hatte sie noch nie gesehen: Ein in ihrem Eimer badendes Rotkehlchen.

 

Als sie fertig war, sprang Rosa aus dem Eimer heraus und setzte sich neben Katerchen aufs Gras.

 

„Sind meine Flügel wieder sauber?“ Fragte sie ihn und drehte sich dabei ein Mal im Kreis herum.“

 

Katerchen legte sich auf die Seite und betrachtete Rosa genau. Blitzblank saß sie vor ihm.

 

„Ja, alles ist wieder in Ordnung, Rosa. So kannst du dich bei deinem Nachtigallmann sehen lassen.“ Lächelte er ihr zu.

 

Rosa war sichtlich erleichtert.

 

„Danke, dass du mir geholfen hast. Du bist ein überaus freundliches Katerchen. Wenn ich mal etwas für dich tun kann, gib mir Bescheid.“ Sie flog davon.

 

Katerchen lag noch eine Weile in der Sonne und ließ sich von dem Mädchen streicheln. Das grün eingefärbte Kirschwasser konnte er nun freilich nicht mehr trinken. Doch er hatte für heute ohnehin schon genug davon bekommen.

 

Einige Zeit später verließ er den Garten des Mädchens und spazierte in der Umgebung umher. Dabei kam er an dem Haus mit dem grün gefärbten Zaun vorbei und blieb stehen. Der Nachbar, der vorhin noch am Zaunstreichen gewesen war, hatte inzwischen eine Staffelei in seinem Garten aufgestellt und stand nachdenklich vor der Leinwand. Er schien zu überlegen, was er malen wollte.

 

Katerchen war neugierig geworden, sprang in hohem Bogen über den Zaun hinweg in den Garten und lief auf den Künstler zu. Dieser schien über den unerwarteten Besuch nicht im Geringsten verwundert zu sein – so sehr war er in seine Gedanken versunken. Katerchen und der Künstler sahen sich einige Momente lang in die Augen. Dann fuhr der Künstler plötzlich aus seiner Starre hoch und rief aus:

 

„Ah! Jetzt hab ich’s!“

 

Und schon ließ er den in Farbe getauchten Pinsel emsig über die Leinwand gleiten.

 

Katerchen konnte darauf zunächst nur viele farbige Muster, die keinen Sinn für ihn ergaben, ausmachen. Doch mit jedem weiteren Pinselstrich fügte sich das Ganze zu einem Bild zusammen.

 

Schließlich war der Künstler fertig, ging einige Schritte von der Leinwand zurück und betrachtete lächelnd sein Werk. Katerchen fiel mit einem Ausdruck der Verblüffung im Gesicht die Kinnlade herunter und er öffnete, wobei er seine Augenbrauen erstaunt hoch zog, seinen kleinen Mund: Auf der Leinwand war eine Katze abgebildet, die ihm sehr bekannt vorkam. Sie hatte schwarz-braun getigertes kurzes Fell und trug ein blaues Band mit einem Glöckchen um den Hals.

 

„Das bin doch ich!“ Entfuhr es ihm in seiner Katzensprache. Der Künstler vernahm nur ein lautes „Miau“.

 

Doch eins verunsicherte Katerchen: Die Katze auf dem Bild hatte eine grüne Schwanzspitze!

 

Schnell drehte er sich um und nahm seine eigene Schwanzspitze in Augenschein – sie war in der Tat grün. Vermutlich war sie, als er über den frisch gestrichenen Zaun sprang, im letzten Moment daran lang gewischt. Doch Katerchen machte sich daraus nichts. Ihm kam sogar eine wunderbare Idee. Auf dem Bild des Künstlers fehlte noch etwas: Nämlich die Wiese, auf der Katerchen saß. Katerchen tapste zur Leinwand hinüber, stellte sich rückwärts vor ihr auf und malte mit seiner farbigen Schwanzspitze die Wiese einfach dazu!

 

„Na du bist mir aber ein tierischer Künstler!“ Lachte der Mann, nahm Katerchen auf den Arm hoch und streichelte ihn. Dass sein T-Shirt dabei grüne Flecken bekam, störte ihn nicht im Geringsten. Darauf waren ohnehin schon Kleckse in den unterschiedlichsten Farben, die sich im Laufe seines künstlerischen Schaffens darauf angesammelt hatten.

 

So wurden Katerchen und der Künstler Freunde und malten von nun an immer wieder zusammen Bilder – der Künstler mit seinem Pinsel und Katerchen mit seiner Schwanzspitze.

 

Impressum

Texte: © Träumerin
Bildmaterialien: © Träumerin
Cover: © Träumerin
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2022

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