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Inhalt

Mit den Augen eines Baumes

 

Baum und der Künstler

 

Baum auf dem Meeresgrund

 

Träumender Baum

 

Baums geheime Welt

 

Baum auf Reisen

 

Baums verzauberter Spiegel

 

Der Baum im fernen Hof

 

Baum unterm Sternenzelt

 

Baumherz

 

 

 

 

Mit Zeichnungen von Angelino Dali.

 

https://www.deviantart.com/angelinodali

 

https://www.instagram.com/angelino.dali/?hl=de

Mit den Augen eines Baumes

Heute erlebe ich einen besonders freudigen Tag in meinem achthunderjährigen Dasein auf diesem Planeten und in diesem wunderschönen Park. Die wärmende Maisonne scheint vom Himmel herab und funkelt zwischen meinen Blättern, die im Wind mit einem leisen Rascheln tanzen. Meine Wurzeln nehmen dankbar das Wasser auf, das bei einem starken Regenguss soeben aus den Wolken herab fiel und die Erde durchtränkte. Von den Wurzeln her fließt das Wasser weiter in meinen Stamm, in meine Äste und Zweige, auf denen viele kleine, bunte Vögel sitzen und miteinander ein fröhliches Lied anstimmen. Sie sind ebenso wie ich glücklich darüber, hier sein und das Leben genießen zu dürfen. 

 

Eben noch war mein stetiges Zuhause, der Park, menschenleer. Alle ergriffen die Flucht, als es zu regnen anfing. Ich verstehe nicht so recht, warum. Vor einigen hundert Jahren noch da taten sie dies nicht. Damals tanzten und sangen sie noch im Regen, sich dabei an den Händen haltend. Wasser ist doch etwas so erfrischendes, das uns von unserem Kummer und unseren Sorgen reinwäscht und diese hinweg spült. Vielleicht verstecken sich die Menschen vor dem Regen, weil sich sein Geruch und sein Geschmack im Laufe vieler Jahre stark verändert haben, als wäre ihm etwas beigemischt worden, das nicht zu ihm gehört. Ich sehe ganz weit hinten am Horizont Rohre in den Himmel ragen, aus denen schwarzer Qualm aufsteigt. Vielleicht verleiht dieser dem Regen seinen bitteren Beigeschmack. Früher war der Regen viel köstlicher und gab mir mehr Kraft.

 

Jetzt, wo der Himmel sich mehr und mehr klärt und die Sonne wieder scheint, beginnt sich der Park allmählich wieder mit Besuchern zu füllen. Sie kommen, einer nach dem anderen, hierher, um sich mit der Natur zu verbinden und um Ruhe und Entspannung zu finden. Ich freue mich über ihre Ankunft und heiße sie herzlich willkommen. Die meisten beachten mich nicht oder schauen mich nur kurz an. Doch so manches Mal tritt der Eine oder Andere ganz nah an mich heran, umarmt meinen Stamm zärtlich und drückt sich mit seinem Körper sanft an mich. Dies sind die schönsten Augenblicke meines Lebens, auch weil sie so selten und deswegen so kostbar sind. In solchen Momenten spüre ich besonders stark, dass ich geliebt werde und das jemand dankbar für mein Dasein ist. Während ich die Liebe des mich umarmenden Menschen aufnehme und sie ebenso wie das Wasser in meinen Stamm, meine Äste, Zweige und Blätter fließen lasse, sende ich gleichzeitig aus meinem tieftsten Baumherzen Gefühle der Liebe an meinen Menschenfreund zurück. Eine Weile lassen wir diesen Prozess laufen, tanken einander in tiefer Verbundenheit mit Lebensenergie auf, genießen die intensiven, kraftspendenden Momente und lächeln im Herzen einander zu. 

 

Menschen sind so besondere, wundervolle Wesen. Sie tragen so viel Liebe und Weisheit in sich, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie können sich selbst und anderen so viel mehr geben, als sie es tun. Ich spüre, dass sie das Geben mit einem Verlust gleichsetzen. Sie denken, dass wenn sie etwas verschenken, dadurch etwas bei ihnen weniger wird. Deswegen kommt es dazu, dass sie eine Gegenleistung erwarten. Wenn sie etwas geben, erwarten sie dafür etwas zurück. Ich als achthunderjahre alter Baum weiß, dass Geben und Nehmen dasselbe ist, wenn es in Liebe geschieht. Wer liebevoll gibt, der beschenkt sich im gleichen Moment selbst. Es entsteht kein Verlust sondern alle daran Teilhabenden gewinnen gleichermaßen. Dies erlebe ich Jahr für Jahr, Tag für Tag, Stunde um Stunde in jedem Augenblick meines Daseins. Die Sonne schenkt mir ihr wärmendes Licht und ich erfreue sie dabei mit meinen in ihren Strahlen leuchtenden Blättern. Den Vögeln biete ich in meiner Krone Schutz vor wilden Tieren und sie zwitschern mir zum Dank ein Liebeslied. 

 

Geben und Nehmen sind in Wirklichkeit Eins. Wer etwas gibt und eine Gegenleistung dafür erwartet, der gibt nicht wirklich. Leider verstehen heutzutage viele Menschen das nicht, weil sie ihren natürlichen Ursprung vergessen haben. Doch ich bin zuversichtlich, dass der Tag kommen wird, an dem sie alle sich daran erinnern werden, ein Teil der Natur zu sein. Wann dieser Tag kommen mag, ob morgen oder auch erst in einigen Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten und ob ich dann noch hier sein werde, das ist mir nicht bekannt. Doch die Hoffnung darauf schenkt mir Kraft und meiner Baumseele Erfüllung. Bis dahin werde ich weiterhin meine Bestimmung verrichten und allen, die sie annehmen wollen, meine grenzenlose Liebe schenken, den Pflanzen, den Tieren und den Menschen. Und ich bin glücklich über jedes offene Herz, das die Liebe mit mir teilen mag.

Baum und der Künstler

 An einem sonnigen Tag im Monat Juni kam ein großer Mann mit seinem kleinen Sohn in den Park. Baum sah sie von Weitem gemütlich in seine Richtung schlendern. Der große Mann wirkte etwas erschöpft und schaute oft zum Boden herab, während der kleine Junge munter den Weg entlang hüpfte, sein Gesicht der Welt zugewandt. 

 

"Schau mal, Papa, was dort für ein schöner großer Baum steht!" Rief der kleine Junge mit Begeisterung in der Stimme.

Der Mann schaute vom Boden auf und erblickte Baum.

"Du hast Recht, mein Sohn. Dieser Baum ist wirklich ein seltenes Prachtexemplar." Sagte der Mann.

Der kleine Junge rannte nah an Baum heran, umarmte ihn fest und schaute mit leuchtenden Augen hoch hinauf in seine Krone, als würde er ihm ins Gesicht blicken.

"Schau her, Papa, was für einen kräftigen Stamm er hat und wie grün seine Blätter sind!"

"Ja, mein Sohn. Dieser Baum ist wirklich beeindruckend. Er mag einige Jahrhunderte auf seinem Buckel haben."

Der Junge lief ein Mal um den Baum herum, schaute sich Baum dabei genau an. Als er wieder neben seinem Vater stand, sagte er verwundert:

"Papa, der Baum hat aber doch gar keinen Buckel. Wie kann er nur so gerade stehen, wenn er schon so alt ist? Oma ist doch noch keine hundert Jahre alt und ihr Rücken ist krumm wie eine Gurke. Ohne Stock kann sie gar nicht mehr gehen."

"Oma ist ja auch ein Mensch und kein Baum. Menschen altern schneller als Bäume und bekommen einen krummen Rücken." Erklärte ihm sein Vater.

"Warum ist das so?" Fragte der kleine Junge neugierig.

"Das weiß ich nicht, mein Sohn. Wahrscheinlich muss das einfach so sein."

 

Doch der kleine Junge spürte, dass das nicht stimmte und dass sein Vater einfach nicht wusste, warum Bäume länger lebten und dabei einen geraden Stamm behielten, während Menschen früher und buckelig in den Himmel reisten. Daher beschloss er, Baum selbst zu fragen. Er blickte zu ihm mit großen Augen hinauf.

"Hallo Baum, warum bist du so groß und stark?"

"Aber mein Sohn, was tust du da?" Schrie sein Vater entsetzt. "Du kannst doch nicht mit einem Baum sprechen. Was sollen die Leute denn denken, wenn sie dich mit ihm reden hören?"

Der kleine Junge war verwirrt.

"Was ist denn daran schlimm, Papa?"

"Mit Bäumen spricht man einfach nicht. Sie stehen nur rum und sind stumm."

 

Der kleine Junge wusste, dass das nicht stimmte. Baum sprach sehr wohl zu ihm und hatte viele Geschichten zu erzählen. Doch die Menschen interessierten sich nicht für ihn und seine Geschichten. Sie schauten, wenn sie an ihm vorbei gingen, lieber auf ihre kleinen viereckigen elektronischen Geräte und tippten darauf herum, anstatt sich im Herzen mit Baum zu verbinden. Deswegen fühlte Baum sich etwas traurig und allein. Dem kleinen Jungen tat Baum Leid, wie er so einsam und verlassen dastand. Und er spürte, dass Baum ein großes gütiges Herz hatte. Also setzte er sich neben seinen Vater auf die Bank, die direkt vor Baum stand, und hörte seiner Baumseele zu.

 

"Danke, dass du hier bist, kleiner Freund." Flüsterte ihm Baum ins Ohr.

Der kleine Junge schaute zur Seite auf seinen Vater. Doch dieser hatte anscheinend nichts gehört. Mit geschlossenen Augen saß er da und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen, während er sich mehr und mehr entspannte und sich vom Stress der anstrengenden Arbeitswoche reinwusch.

Der kleine Junge unternahm den Versuch, mit Baum zu sprechen, ohne seine Lippen dabei zu bewegen. Er dachte seine Worte und sendete sie Baum zu.

"Baum, kannst du mich hören?" Fragte er vorsichtig.

"Natürlich höre ich dich. Schön, dass du mich besuchen kommst."

Hoch erfreut darüber, dass es funktionierte, machte der kleine Junge weiter.

"Baum, warum bist du schon so alt und fliegst immer noch nicht in den Himmel?"

"Weil ich bereits im Himmel bin und der Himmel in mir ist, kleiner Freund."

Der Junge sann über seine Worte nach. 

"Und wie machst du das, im Himmel zu sein?"

"Das ist es ja, ich mache gar nichts. Ich bin einfach. Die Menschen denken oft, sie müssten etwas tun, um in den Himmel zu kommen. Und während sie am Tun und Machen sind, werden sie müde, alt und buckelig. Weil sie nicht wissen, dass sie bereits den Himmel in sich tragen oder genauer gesagt: Selbst der Himmel sind. Sie suchen etwas im Außen, das sie nur in sich selbst finden können. Wenn all ihre körperlichen Energiereserven verbraucht sind, fliegen sie in den Himmel zurück. Sie können es aber auch schon sehr viel früher und brauchen nicht dafür zu sterben, wenn sie die Tür zum Himmel in sich öffnen."

 

Der kleine Junge wusste, dass Baum die Wahrheit sprach.

Plötzlich bewegte sich sein Vater etwas neben ihm und gähnte leise. 

"Hmm, wie wäre es, wenn wir beide ein Bild zeichnen?" Fragte er.

"Ja, gerne, Papa. Du weißt doch, wie sehr ich das Zeichnen liebe."

Der Mann nahm aus seinem Beutel je einen Block Zeichenpapier, gab einen davon seinem Sohn und legte eine Schachtel Buntstifte auf die Bank zwischen ihnen.

"Was wollen wir heute zeichnen?" Fragte er.

"Jetzt zeichnen wir Baum." Gab sein Sohn entschlossen zur Antwort.

Der Mann lächelte. "Das habe ich mir schon gedacht, dass du den Baum zeichnen möchtest. Also gut, legen wir los."

 

So saßen sie beide nebeneinander und brachten jeder seine Version von Baum zu Papier. Der Mann war ohne jeden Zweifel ein begnadeter Künstler. Das Talent zum Zeichnen war ihm in die Wiege gelegt worden. Bereits, als er noch ein Kind war, bewunderten die Menschen seine Bilder und ihre Seelen atmeten bei ihrem Anblick auf. Später besuchte er über viele Jahre eine Zeichenschule, wo er unterschiedliche Zeichentechniken erlernte. Sein Stil nahm in all der Zeit an Präzision und Detailreichtum zu. Mit seinem geschulten Auge konnte er die kleinsten Dinge erkennen, die für andere auf den ersten Blick unsichtbar erschienen, und diese auf dem Papier wiedergeben. Doch je mehr er sich der exakten Wiedergabe der äußeren Beschaffenheit von Pflanzen, Tieren und Menschen zuwandte, desto mehr verließ der unergründliche Zauber, welcher die Seelen und Herzen der Menschen berührt hatte, seine Werke. Sie waren äußerlich bis ins kleinste Detail beschrieben und analysiert, ohne einen Hauch von Innenleben. Dadurch wirkten sie leblos und kalt, wie Objekte. Die Menschen wandten sich von seiner Kunst ab, was ihn verzweifeln ließ, weil ihm nicht bewusst war, woher diese Kehrtwende rührte. Er hatte sich doch in all den Jahren so viel Mühe gegeben und an seinem Stil gefeilt, sich unzählige Gedanken darüber gemacht, wie er ihn verbessern konnte...und daraufhin genau das Gegenteil von dem, was er tief in seinem Innersten wollte, erreicht.

 

"Papa, ich bin fertig mit meinem Bild!" Rief sein Sohn auf einmal freudig

"Na dann lass mal sehen, kleiner Mann."

Begeistert hielt ihm sein Sohn das Bild von Baum hin. Es war eine einfache Kinderzeichnung. Baum war schlicht mit den allernotwendigsten Strichen darauf abgebildet, gerade genug, um zu erkennen, dass es sich dabei um einen Baum handelte. Seinen Stamm hatte der kleine Junge mit einem braunen Buntstift ausgemalt. Im grünen Laub der Krone saß ein blauer Vogel mit geöffneten Schnabel, als würde er ein Lied singen. Um Baum herum hatte der Junge ein großes strahlendes Herz gemalt. 

 

Diese Zeichnung war, äußerlich betrachtet, alles andere als ein Kunstwerk im üblichen Sinne. Und doch trug sie den Zauber in sich, der es vermag, die Seelen und Herzen der Menschen zu berühren und sich an ihr wahres Wesen zu erinnern.

 

Der Mann saß schweigsam mit der Zeichnung in der Hand da und ließ sie auf sich wirken. In ihm war auf einmal alles still und ruhig geworden. Die Gedanken in seinem Kopf waren verstummt, der Sturm in seinem Inneren hatte sich gelegt. Als er das Rascheln der grünen Blätter in seinem Herzen vernahm und den blauen Vogel in seiner Seele singen hörte, erinnerte er sich daran, wie es war, im Himmel zu sein. Mit einem Lächeln der freudigen Erkenntnis auf den Lippen schloss er seine wachen Augen und flog mit dem singenden blauen Vogel in himmlische Gefilde davon.

 

Baum auf dem Meeresgrund

Heute möchte ich von einem rätselhaften Vorfall berichten, der sich im vergangenen Sommer ereignet hat. Ein Freund von mir, der in einem gemütlichen Häuschen im Harz direkt am Waldrand wohnt, lud mich im Urlaub für zwei Wochen zu sich ein. Als großer Naturfreund und natürlich auch, um meinen Freund nach längerer Zeit wieder zu sehen, nahm ich seine Einladung sofort und ohne zu zögern an. Während ich die letzten Tage vor Urlaubsbeginn im Büro verbrachte, träumte ich bereits von meinem Aufenthalt im Grünen, von der klaren Bergluft und den dichten Wäldern. Den Harz hatte ich zuletzt in meiner Kindheit besucht, gemeinsam mit meinen Eltern. Das lag nun schon etliche Jahrzehnte zurück. Wie mochte sich die Landschaft inzwischen wohl verändert haben? Würde ich die Bäume, Sträucher und Berge wieder erkennen? Und würden sie sich ebenso an mich erinnern können? Während ich, in Gedanken versunken, darüber nachsann, erntete ich einen bösen Blick meines Kollegen, dem aufgefallen war, dass ich das Tippen auf der Tastatur eingestellt hatte und mich stattdessen entspannt im Bürostuhl zurück lehnte. Anscheinend befürchtete er, ich würde ihm einen Haufen Arbeit hinterlassen, wenn ich bereits jetzt schon in meiner Fantasie in den Urlaub flog. Um ihn zu beruhigen, schob ich mich mit dem Bürostuhl also wieder dicht an die Tischplatte heran, schaute auf den Monitor des Computers und fuhr fort, zu tippen. Nur noch drei Tage - dann wäre ich in den Bergen.

 

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Bald darauf war es soweit und ich saß im Zug, der mich zu meinem Freund in die Wälder hinaus brachte. Die Reise verlief überaus angenehm. Wunderschöne Naturlandschaften zogen draußen vor dem Fenster an mir vorbei. Das Abteil des Zuges, in welchem ich saß, war bis auf ein Rentnerehepaar komplett leer. Die ältere Dame hatte sich und ihrem Mann heißen Tee aus einer Thermoskanne eingeschenkt, den sie nun in aller Seelenruhe tranken, während sie hin und wieder in ihre Käsebrote bissen. Das Aroma der Kräuter aus dem Tee erfüllte das gesamte Zugabteil mit einem feinen, frischen Duft. Vermutlich bauten sie die Kräuter selbst in ihrem Garten an.

 

Nach wenigen Stunden erreichte der Zug den Bahnhof. Das Rentnerehepaar stieg gemeinsam mit mir aus. Anscheinend wollten die beiden ebenso wie ich im Harz Urlaub machen. Oder aber sie kehrten aus ihrem Urlaub hierher in ihre Heimat zurück. Ich half dem älteren Mann und der älteren Dame dabei, ihren Koffer aus dem Zug zu heben, wofür sie sich mit einem Lächeln bedankten und mir einen Beutel frischer Kräuter schenkten. Über diese liebevolle Geste freute ich mich natürlich sehr.

 

Die Junisonne schien vom blauen Himmel herab und tauchte den fast menschenleeren Bahnsteig in ein ungewöhnliches Licht. Mein Freund lehnte, einen Strohhut auf dem Kopf, an einem der Pfeiler und kam mit einem Lächeln auf mich zu, als er mich erblickte.

 

„Schön, dich zu sehen. Hattest du eine angenehme Reise?“ Fragte er mich.

 

„Ja, die hatte ich in der Tat. Es war so still im Zug, dass man den Tee dampfen hören konnte.“ Gab ich zurück.

 

„Welchen Tee? Soweit ich weiß, bist du kein ausgesprochen großer Teetrinker, sondern hast mehr für Cola übrig.“ Lächelte er mich von der Seite an.

 

„Es war ja auch nicht mein Tee, sondern der von einem Rentnerehepaar, das mir während der Fahrt Gesellschaft leistete. Sie stiegen mit mir gemeinsam aus und ich trug ihren Koffer nach draußen. Zum Dank schenkten sie mir einen Beutel voll von diesem Tee, den sie im Zug getrunken haben.“

 

„Zeig mal her!“ Bat er mich.

 

Ich drückte ihm den Beutel in die Hand. Er schaute hinein, schnupperte an den Kräutern und zog ein einzelnes Blatt heraus, um es genauer in Augenschein zu nehmen.

 

„Das ist überaus sonderbar…“ Ließ er verlauten, während er das Blatt untersuchte. „Wie du weißt, interessiere ich mich seit eh und je für Pflanzen und habe etliche Bücher über die verschiedensten Arten gelesen. Doch diese hier ist mir noch nie begegnet. Darf ich ein Blatt davon behalten? Ich würde es mir gerne zu Hause näher anschauen.“ Er warf mir einen fragenden Blick zu.

 

„Aber natürlich. Von mir aus kannst du auch den ganzen Beutel haben. Das ist ja wohl das Mindeste, was dir zusteht, dafür, dass ich bei dir in dieser wunderschönen Gegend Urlaub machen darf.“

 

„Alles gut. Ich möchte nur dieses eine Blatt. Das genügt mir vollkommen. Die Beiden aus dem Zug haben dir den Tee geschenkt. Also ist er dein.“

 

Während wir den Bahnhof verließen und anschließend in seinem Wagen eine längere Strecke bis zu seinem Haus mitten am Waldrand fuhren, sprachen wir miteinander über die unterschiedlichsten Dinge, ohne die Kräuter noch einmal zu erwähnen.

 

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Nun war ich bereits seit mehreren Tagen bei meinem Freund zu Besuch, als mir eines schönen Morgens der Beutel mit den Kräutern wieder einfiel. Während mein Freund die frischen, selbst gebackenen Brötchen aus dem Ofen holte und den Küchentisch mit selbst eingekochter Marmelade, Käse und Frühstückseiern seiner Hühner eindeckte, goss ich für uns beide eine Kanne des aromatischen Tees auf.

 

„Hier bitte, ich habe auch für dich einen Tee zubereitet.“ Bot ich ihm die Tasse an.

 

„Vielen Dank. Das ist wirklich freundlich von dir. Doch du kennst mich ja. Wie heißt es so schön? Der Bauer isst nicht, was er nicht kennt. Und in meinem Fall betrifft das auch das Trinken. Ich habe überall im Internet nach dieser Pflanze gesucht und auch Menschen aus der Nachbarschaft, die Experten in Kräuterkunde sind, danach befragt. Doch niemand konnte mir eine Antwort geben. Womöglich muss der Name für dieses Kraut erst noch erfunden werden.“ Er lachte. „Jedenfalls bin ich lieber vorsichtig und lasse dich erst einmal probieren.“ Zwinkerte er mir zu. „Beim nächsten Mal traue ich mich dann vielleicht auch.“

 

„Na gut.“ In meiner Stimme schwang etwas Enttäuschung mit. „Dann muss ich heute wohl die ganze Kanne alleine leer machen.“

 

„Du wirst es überleben…hoffentlich.“ Neckte mich mein Freund.

 

So saßen wir also am Frühstückstisch in der sonnendurchfluteten Küche und verputzen frisch gebackene Brötchen mit Käse und Marmelade, deren köstlicher Duft sich mit dem feinen Aroma des Kräutertees vermischte. Ich hielt die Vorsicht meines Freundes für übertrieben, ja sogar für überflüssig. Die beiden Rentner aus dem Zug waren bestimmt keine bösartigen Menschen und meinten es gut mit mir. Zudem hatten sie diesen Tee ja selbst vor meinen Augen getrunken und fühlten sich allem Anschein nach pudelwohl. Aber so war mein Freund nun mal. Da konnte man nichts machen. Immerhin blieb auf diesem Wege mehr von dem schmackhaften Tee für mich, auch wenn ich diesen sehr gerne mit ihm geteilt hätte.

 

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Einige Stunden waren inzwischen vergangen, ohne dass mir der mysteriöse Tee auch nur den geringsten Schaden angerichtet hätte. Ganz im Gegenteil zeigte er sogar eine überaus belebende Wirkung auf mich. Voller Tatendrang beschloss ich, ein wenig allein durch den Harz zu wandern, und fragte meinen Freund, ob er mir für meinen Ausflug eine besondere Strecke empfehlen könne.

 

„Ungefähr drei Kilometer von meinem Haus entfernt gibt es ein hübsches kleines Fleckchen mitten in der Natur, an dem man ungestört die Stille genießen kann. Geh nur an der Kirche und dem Haus mit dem Wetterhahn oben auf dem Dach vorbei und dann immer weiter gerade aus in den Wald hinein. Dann gelangst du zu einem Teich mitten im Wald. Er ist von riesigen Trauerweiden umsäumt, und manchmal schwimmen Enten darin. Nur baden ist verboten. Also komme mir nicht auf dumme Gedanken.“ Scherzte er.

 

Bevor ich mich auf den Weg machte, gab mir mein Freund eine Landkarte sowie einen Kompass mit.

 

„Jetzt bist du auf der sicheren Seite und kannst dich eigentlich nicht verlaufen. Falls doch, komme ich dich suchen. Da draußen in der Pampa gibt es keinen Handyempfang. Du kannst die Technik also direkt hier liegen lassen. Sie wird dir im Wald nichts nützen.“

 

Es war früher Nachmittag, als ich mich auf den Weg machte. Die Sonne brannte, im Unterschied zu den vorherigen Tagen, mit überraschend ungestümer Kraft vom Himmel herab, und die Hitze staute sich im Haus meines Freundes. Doch im Schatten der Bäume würde ich mich abkühlen können. Wasser hatte ich genug mitgenommen und auch einige belegte Brötchen vom Frühstück in den Rucksack eingepackt. Voller Vorfreude auf meine Wanderung machte ich mich auf den Weg und winkte meinem Freund, der an der Haustür stand und mir nachschaute, mit einem Lächeln zu.

 

Die Wanderung gestaltete sich doch etwas anstrengender als angenommen. Zum Einen lag das an den hier und da liegen Ästen, die vermutlich beim letzten Sturm abgefallen waren. Zum Anderen hatte ich nicht auf den Ratschlag meines Freundes gehört, anstatt von Sandalen besser doch festes Schuhwerk anzuziehen. Es war einfach zu heiß für Wanderschuhe. In Sandalen war das Wetter gerade so noch erträglich. Aber sie erschwerten das Vorankommen in diesem holprigen Gelände. Die aus der Erde ragenden Wurzeln knarrten unter jedem meiner Schritte.

 

Doch letzten Endes erreichte ich mein Ziel. Aus dem Wald heraus trat ich auf eine Lichtung, wie sie idyllischer nicht hätte sein können. Vor mir lag der von meinem Freund erwähnte Teich. Seine Oberfläche war klar und ruhig. Nicht der leiseste Windhauch versetzte sie in Bewegung. Um den Teich herum standen mächtige Trauerweiden, deren grünende Zweige bis ins Wasser hinabreichten. Ich war ganz allein. Selbst die Enten waren ausgeflogen. Lediglich aus dem Wald drang der Gesang der Sommervögel an mein Ohr.

 

Ich trat dicht ans Ufer heran und sah zu, wie das Licht der Sonne die Wasseroberfläche, auf der sich das Abbild der Trauerweiden spiegelte, zum Glänzen brachte. Sie schienen sich überhaupt nicht zu bewegen, als wären sie in tiefen Schlaf gefallen. Ich fragte mich, ob ein Teil ihres Wesens im Teich weiterlebte und ihr Spiegelbild auf seiner Oberfläche eine Art Verbindungslinie zwischen ihrem Leben diesseits und jenseits des Wassers darstellte. Womöglich führte auch ein Teil von mir, der ich in diesem Moment in den Teich hinabschaute, auf seinem Grund eine Art Parallelexistenz. Wer konnte das schon so genau wissen? Ich zumindest hatte dies noch nicht überprüft.

 

Während ich so dastand und die sich spiegelnde Wasseroberfläche genauer betrachtete, fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte. Sowohl mein Spiegelbild als auch das der Trauerweiden konnte ich klar und deutlich erkennen. Doch es zeigte sich mir etwas im Teich, was hier auf dieser Lichtung eindeutig nicht zu sehen war. Verdutzt schaute ich mich um. Nein, da war tatsächlich nichts. Nicht hier auf der Erde. Aber dort im Wasser sehr wohl. Mehrmals blickte ich auf den Teich und dann wieder zu den Weiden hinüber. Vielleicht erlag ich auch einfach einer optischen Täuschung?

 

Auf der Wasseroberfläche erschien klar und deutlich das Spiegelbild einer prächtigen Eiche vor meinen Augen. Sie schien sehr alt zu sein. Und doch strotzte sie nur so vor Lebenskraft. Die leuchtenden grünen Blätter an ihren Zweigen raschelten leise, während sie von einer Windböe sanft berührt wurden. Allerdings war es hier auf der anderen Seite des Wassers nach wie vor windstill. Der Wind wehte also anscheinend nur in der Welt jenseits des Teiches.

 

Zuerst war mir das Spiegelbild der Eiche gar nicht aufgefallen. Nur schemenhaft konnte ich ihre Umrisse erkennen. Doch je länger ich hinschaute, mich in ihre Erscheinung vertiefte, desto mehr nahm das Leuchten ihrer grünen Blätter zu, ebenso wie sich deren Rascheln verstärkte, während ich ihm mein Gehör schenkte. Das war wirklich sonderbar. Doch ich ließ es geschehen, da all dies ein Gefühl des tiefen Wohlbehagens und einer allumfassenden Vertrautheit in mir auslöste, wie ich es nie zuvor gekannt hatte.

 

Meine Seele schwang sich empor und tanzte einmal um den Teich herum, flog von Baumkrone zu Baumkrone, um sich anschließend in der Mitte des Gewässers in seine Tiefe fallen zu lassen. Währenddessen rauschte das Wasser durch mich hindurch und ich hörte das Rascheln der Eichenblätter in meinem Herzen. Der Teich verwandelte sich in ein Meer, in einen riesigen Ozean der Erfüllung, dessen Grund ich mit geschlossenen Augen entgegen trieb. Als meine Füße den Meeresboden berührten, öffnete ich meine Augen.

 

Ich befand mich weder in einem Teich, noch in einem Meer. Keinerlei Fische oder andere Meereslebewesen kreisten um mich herum, wie ich es vermutet hatte. Ich stand mitten in einem Park vor einem riesigen Baum, der mich mit dem Rascheln seiner Blätter, die im Licht der Sommersonne funkelten, begrüßte. Es war die prachtvolle Eiche, die sich mir auf der Wasseroberfläche gezeigt hatte, um mich in ihre Welt zu locken. Auf ihren Zweigen hatten sich unzählige kleine Sommervögel niedergelassen, die vereint ein Lied zum Himmel hinauf sangen.

 

Die ganze Szenerie umgab etwas Traumartiges. Und doch schien mir die Realität, in die ich hinab getaucht war, wirklicher zu sein als die Welt auf der anderen Seite des Teiches, aus der ich kam. Solch leuchtende Farben wie hier hatte ich nie zuvor gesehen. Zudem war das Rauschen des Windes in meiner Welt nicht von sanften Harfentönen begleitet. Ich wusste nicht, auf was für eine Daseinsebene ich geraten war. Doch es durchströmte mich tiefe Dankbarkeit dafür, hier zu sein und dieses Glück mit anderen teilen zu dürfen. Denn ich war nicht allein.

 

Gegenüber dem Stamm der alten Eiche stand eine Holzbank, auf der ein Mann mit einem kleinen Jungen, anscheinend seinem Sohn, Platz genommen hatte. Sie schienen mich gar nicht wahrzunehmen, so sehr vertieft waren sie darin, den Baum vor sich zu zeichnen. Ich schlich für sie unbemerkt zu ihnen herüber und stellte mich hinter ihre Bank, um ihnen beim Zeichnen über die Schulter zu schauen. Niemand der beiden störte sich daran.

 

Der Mann schien ein begnadeter Künstler zu sein. Präzise in allen Details brachte er die Erscheinung der prächtigen Eiche zu Papier, während sein Sohn eine einfache Kinderzeichnung von ihr anfertigte. Zum Schluss malte der Kleine ein riesiges Herz um den Baum herum. Dann legte er Stift und Papier zur Seite und rannte auf den Baum los, um ihn zu umarmen. Ich lächelte freudvoll der Welt um mich herum zu und wollte schon weitergehen, als ich die Stimme des Jungen hinter meinem Rücken hörte.

 

„He warte! Baum hat ein Geschenk für dich! Ich soll es dir übergeben!“

 

Als ich mich umdrehte, stand der Junge vor mir, wobei er etwas in der mir entgegen gestreckten kleinen Hand hielt: Einen goldenen Schlüssel.

 

„Bitte. Das ist für dich. Damit du Baum niemals vergisst. Wenn du dich einsam fühlst oder Hilfe brauchst, erinnere dich an ihn. Er ist immer an deiner Seite.“

 

Mit strahlenden Augen überreichte mir der Junge den goldenen Schlüssel und ich nahm ihn vorsichtig an mich. Daraufhin drehte sich der Junge um und rannte zu seinem Vater zurück, um wieder neben ihm auf der Bank Platz zu nehmen. Die beiden lächelten mir zu und ich erwiderte ihr Lächeln. Auf dem Grunde meines Herzen wusste ich, dass auch die Eiche uns aus ihrer tiefsten Baumseele heraus ihr Lächeln schenkte. Sie zeigte es uns, indem sie ihre leuchtend grünen Blätter für uns rascheln ließ, das zunehmend lauter wurde, um mich herum wirbelte, die Umgebung um mich immer schneller kreisen ließ, bis ich die Schranke von Raum und Zeit zurück in meine Welt passierte.

 

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„Hey, du bist ja ganz nass!“ Vernahm ich plötzlich die Stimme meines Freundes dicht an meinem Ohr. Ich schlug die Augen auf und sah ihn im Licht des Vollmondes neben mir knien. „Du warst seit gut acht Stunden verschwunden. Als die Dämmerung einsetzte, habe ich mich auf den Weg gemacht, dich zu suchen. Immerhin hattest du mir vorher gesagt, wohin du möchtest. Sonst hätte ich dich vermutlich sehr viel länger suchen können. Was ist passiert? Bist du etwa ins Wasser gefallen?“ Lachte er.

 

Meine Kleidung war in der Tat komplett durchnässt. Nicht eine einzige Faser war trocken geblieben. Doch ins Wasser war ich gewiss nicht gefallen, sondern freiwillig auf den Grund des Teiches hinab getaucht, um das Geheimnis der alten Eiche zu ergründen. Allerdings war mir jede Erinnerung daran, wie ich wieder nach oben getaucht war, abhanden gekommen. Anscheinend hatte mich auch niemand aus dem Wasser gezogen, da sich weit und breit keine Menschenseele außer meinem Freund in der Nähe befand. Und dieser war soeben erst auf der Bildfläche erschienen. Sollte ich ihm von meinem sonderbaren Erlebnis erzählen? Wohl lieber nicht. Er würde bloß denken, dass ich ihn auf den Arm nehmen wollte. Also entschied ich mich für eine andere Antwort, um es uns beiden leichter zu machen:

 

„Tja, sieht ganz so aus, was.“ Ich schaute an mir herab, während ich mich aufrichtete. Dann warf ich ihm einen verschmitzen Blick zu. „Alles gut. Es ist nichts weiter passiert. Mir fiel nur vorhin aus Versehen mein Glücksbringer in den Teich und das konnte ich ja kaum so sein lassen. Also habe ich mich auf einen kleinen Tauchgang begeben. Doch es ist ja heiß heute, selbst zu so später Stunde noch, und meine Kleidung trocknet sicher schnell.“

 

Mit dem „Glücksbringer“ meinte ich natürlich den goldenen Schlüssel, den mir der Baum auf dem Meeresgrund geschenkt hatte. Seit diesem Moment trage ich ihn immer bei mir, um die Wunder dieser Welt auf ewig in Erinnerung zu bewahren. Ich weiß auch, dass ich nach dem Schloss, zu welchem dieser Schlüssel gehört, weder in Häusern noch in Baumärkten zu suchen brauche. Denn die richtige Tür, welche sich mit dem goldenen Schlüssel öffnen lässt, befindet sich im gesamten Universum nur an einem einzigen Ort: In mir selbst. Und ich kann sie jederzeit öffnen und hindurch schreiten, auf den Meeresboden jenseits von Raum und Zeit hinabtauchen, um dort dem prächtigen Baum zu begegnen, der von nun an bis in alle Ewigkeit in mir lebt und seine Blätter für mich rascheln lässt.

 

Oft denke ich an das Rentnerehepaar aus dem Zug zurück und frage mich, wie es den Beiden wohl geht und ob sie mit dem Baum auf dem Meeresgrund ebenso Bekanntschaft gemacht haben. Auch wenn sich meine Annahme, mein sonderbares Erlebnis aus dem vergangenen Sommer wäre auf den übermäßigen Genuss des mysteriösen Kräutertees an jenem Morgen zurück zu führen, nicht bewahrheitet hat, so spüre ich doch, ohne es näher erklären zu können, dass die Beiden meine Verbindung zu der alten Eiche teilen. Manchmal frage ich mich, ob sie die Kräuter in der Dimension jenseits des Teiches gesammelt haben, da sie in unserer Welt anscheinend vollkommen unbekannt sind.

 

Mein Freund hat den Tee übrigens einige Tage nach mir, als er sich von meiner anhaltenden Lebendigkeit überzeugen konnte, doch probiert und trinkt ihn seither voller Begeisterung an jedem Morgen. Auch mich haben das Aroma der Kräuter und ihr außergewöhnlich guter Geschmack wie auch ihre belebende Wirkung vollkommen überzeugt, so dass ich mir von nun an öfters diesen Tee gönne, anstatt wie früher zur Cola zu greifen. Doch ich fand mich nie wieder auf dem Meeresboden wieder. Und mein Freund scheint auch nichts Derartiges erlebt zu haben, obwohl er manchmal drei Tassen dieses Tees am Tag zu sich nimmt. Vielleicht hüllt er sich aber, seine Erlebnisse betreffend, ebenso wie ich in Schweigen, weil er befürchtet, nicht ernst genommen zu werden.

 

Gemeinsam mit meinem Freund habe ich eine kleine Firma gegründet, um auch andere Menschen am Genuss und an der belebenden Wirkung dieses edlen Getränks teilhaben zu lassen. Mein Freund war bereits vorher erfahrener und erfolgreicher Geschäftsmann, weswegen es für ihn ein Leichtes gewesen ist, unsere Idee in die Tat umzusetzen und die Menschen zu begeistern.

 

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Während draußen ein Schneesturm tobt und ich mich am Kaminfeuer wärme, nehme ich einen großen Schluck des Kräutertees zu mir, lasse ihn auf der Zunge zergehen und genieße ihn mit allen Sinnen. Es ist später Abend und ich bin bereits schläfrig. Doch eine Tasse davon gönne ich mir noch, bevor ich ins Traumland reise. Mal schauen, was mich heute dort erwartet und ob mich die prachtvolle Eiche erneut in ihre wundervolle Welt einlädt. Oder ob sie meiner Seele mit dem Gesang der Sommervögel auf ihren Zweigen einfach tiefe Erfüllung schenkt.

Träumender Baum

 Während dieser wundersame Frühlingsabend im Monat Mai langsam sein Gesicht der Nacht zuwandte und der Himmel sein strahlendes Blau zunehmend gegen eine dunklere Nuance eintauschte, stand Baum wie jeden Tag an seinem Platz im Park und gab sich dem Anblick der untergehenden Sonne hin, die mehr und mehr am Horizont verschwand. Er genoss das zauberhafte Schauspiel der Natur, konnte sich nicht satt daran sehen und war glücklich darüber, ein Teil davon zu sein.

 

Im Park hielten sich zu dieser späten Stunde kaum noch Menschen auf. Die meisten von ihnen waren bereits in ihren Häusern und Wohnungen verschwunden, aßen zu Abend oder bereiteten sich auf die Nachtruhe vor. Baum fühlte sich allein ein wenig einsam, da er die Menschen liebte und ihr Dasein im Park genoss. Doch er wusste, morgen würde ein neuer Tag anbrechen und die Menschen wieder zu ihm in den Park locken. 

 

Baum liebte alle, die Kleinen und die Großen, die Jungen und die Alten, die Leisen wie die Lauten. Es bereitete ihm große Freude, den Kindern beim Spielen zuzusehen. Sie steckten voller Leben, rannten schreiend um ihn herum und versteckten sich in seinen Blättern, die bis zum Boden reichten. Er legte seine Zweige wie Arme um sie und freute sich, von ihnen wahrgenommen zu werden. 

 

Vor seinem Stamm war vor vielen Jahrzehnten eine Bank aufgestellt worden, auf der im Laufe der Zeit viele unterschiedliche Menschen Platz genommen hatten, um darauf zu verweilen, auszuruhen, ein Buch zu lesen oder über etwas nachzusinnen. Sie alle genossen die tiefe Verbundenheit mit Baum, ob sie sich dessen bewusst waren oder nicht. Ihnen allen schenkte er Ruhe, Kraft und Lebensfreude. 

 

Dadurch, dass ihn immer wieder neue Gäste besuchten, lernte Baum viel über die Menschen, über ihre Sorgen, Ängste, Wünsche und Träume. Er spürte, dass die meisten Menschen, die bei ihm auf der Bank  verweilten, unzufrieden waren und etwas dafür tun wollten, um glücklich zu werden. Baum machte mit seiner bloßen Präsenz jedem Einzelnen von ihnen deutlich, dass das Glück bereits in ihnen ist und sie es einfach nur im Sein anzunehmen brauchen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Doch die Meisten verstanden nicht, was er zum Ausdruck bringen wollte, wie er so dastand und nichts tat, als einfach Baum zu sein. Viele Menschen, den Kopf voll mit Gedanken, beachteten ihn nicht einmal. So konnte er nichts weiter tun, als ihnen Schatten zu spenden und ihnen aus seinem tiefsten Baumherzen heraus Liebe zu senden. 

 

Doch er spürte und sah in den Augen der Menschen, dass sie sich in ihrem Wesen veränderten, während sie Zeit mit ihm verbrachten und den Moment mit ihm teilten. Manch einer, der bei seiner Ankunft auf der Bank zunächst grießgrämig dreingeschaut hatte, lächelte ein Weilchen später auf einmal. Die Gemüter der Menschen entspannten sich in Baums Dasein, nahmen seinen Frieden und seine Liebe, die er ihnen schickte, in sich auf, und sendeten ihm im gleichen Atemzug, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, Gefühle der liebevollen Verbundenheit zurück. Baum war sehr glücklich darüber, dass die Menschen seine Gaben annahmen, und ihre Fröhlichkeit war das schönste Geschenk für ihn.

 

Inzwischen war es Nacht geworden. Über Baums Krone stand der Vollmond und tauchte ihn in sein weißes Licht. Unzählige Sterne, die von fernen Welten erzählten, funkelten hoch oben am Himmel. Der Schrei einer Eule durchbrach die nächtliche Stille. Auf Baums Zweigen waren viele kleine Vögelchen eingeschlummert und träumten gemeinsam einen süßen Vogeltraum, in welchem sie frei durch die Lüfte flogen und sich dabei den frischen Wind um den Schnabel wehen ließen. Baum bedeckte die kleinen Vögel sanft mit seinen Blättern und schaute ihnen beim Schlafen zu. Morgen würden sie sein Baumherz erneut mit ihrem Gesang erfreuen. 

 

Baum wurde allmählich schläferig, gähnte leise und ließ dabei seine Blätter rascheln. Ein besonderer Tag war wieder einmal zu Ende gegangen. Ein Tag, der wie jeder andere auch, Hoffnung und Zuversicht in sich barg. Baum war glücklich darüber, diesen Tag erlebt und ihn mit seinen großen und kleinen Freunden verbracht zu haben, mit den Pflanzen, Tieren und Menschen, die diesen Park mit ihm teilten. Nun war es Zeit, ins Land der Träume zu reisen. Baum schloss müde seine Augen.

 

Eine Nachtigall flog heran und setzte sich auf Baums Ast. Nachdem sie mit ihren Beinchen ein wenig hin und her getreten war und es sich so richtig gemütlich gemacht hatte, stimmte sie ein wundersames Lied an, das sie in Baums Seele erklingen hörte. Es war das Lied der liebevollen Verbundenheit aller Lebewesen, von der Baum träumte. Baum vernahm im Traum den lieblichen Gesang der Nachtigall und lächelte sich glücklich in die von ihm und den anderen Naturgeschöpfen erträumte friedvolle Welt hinein.

Baums geheime Welt

 Als meine Freundin aus ihrem Urlaub auf den Kanarischen Inseln zurückkehrte, brachte sie ein sonderbares Bild mit, das während ihrer Reise auf ungewöhnliche Weise in ihren Besitz gelangt war. Sie hatte es bei einem Einkaufsbummel durch die Stadt zufälligerweise in der dunklen Ecke eines kleinen Antiquariats entdeckt. Vergessen stand es dort in einer Nische zwischen der Wand und einem altertümlichen Schrank. Neugierig zog sie es heraus und wischte mit der Hand vorsichtig, um es nicht zu beschädigen, die dünne Staubschicht vom Gemälde.

 

Ein riesiger Baum mit kräftigem Stamm und leuchtend grünen Blättern war darauf zu sehen. Offensichtlich stand er in einem Park. Auf seinen Ästen und Zweigen hatten sich unzählige kleine Vögel niedergelassen. Auch wenn das Bild keinen Laut von sich gab, glaubte meine Freundin fast, die Vögel singen hören zu können. So klar und deutlich, um nicht zu sagen realistisch, war die Szenerie auf dem Gemälde dargestellt. Der Künstler, der es gemalt hatte, verfügte über ein nahezu überirdisches Talent und sie hätte zu gerne seinen Namen in Erfahrung gebracht. Doch leider enthielt das Bild keine Signatur. Zutiefst beeindruckt von seinem Werk ging sie, das Bild in den Händen haltend, zur Kasse.

 

„Hallo. Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen?“ Wandte sie sich an die Verkäuferin, eine Dame in den späten Fünfzigern.

„Aber selbstverständlich.“ Gab diese zur Antwort.

„Von welchem Künstler stammt dieses wunderschöne Gemälde?“

„Oh, da kann ich Ihnen leider nicht weiter helfen, tut mir Leid. Mit Kunst kenne ich mich überhaupt nicht aus.“

„Schade. Ich würde das Bild trotzdem gerne mitnehmen. Wie viel kostet es?“

 

Die Verkäuferin musterte meine Freundin einen Augenblick lang, ließ ihre Augen dann zum Bild wandern und sah anschließend erneut meine Freundin an, wobei sie ein nachdenkliches Gesicht machte.

 

„Wissen Sie was.“ Brachte sie schließlich heraus. „Nehmen Sie es umsonst mit, wenn sie wollen. Das Bild liegt hier schon so lange herum und niemand interessiert sich dafür. Eigentlich ist es nichts wert und hätte längst weg geschmissen werden sollen.“

 

Über diese Antwort war meine Freundin höchst erstaunt, da ihr das Gemälde sehr kostbar zu sein schien. Der Baum mitsamt den kleinen Vögeln auf ihm wirkte außergewöhnlich lebendig. Sie rechnete jeden Moment damit, dass sich seine Blätter im Wind wiegen und mit einem leisen Rascheln den zarten Gesang der Vögel begleiten würden. Doch sie war schließlich glücklich darüber, für dieses unbeschreiblich schöne Bild nichts bezahlen zu müssen. Also bedankte sie sich, wünschte der Verkäuferin alles Gute und verließ das Antiquariat.

 

In ihrem Hotelzimmer angekommen, stellte sie das Bild an die Wand und setzte sich ihm gegenüber aufs Bett, um das Kunstwerk in aller Ruhe noch einmal in Augenschein zu nehmen. Es war bereits Abend geworden und die Sonne im Begriff, hinter dem Horizont zu versinken. Eine frische Brise wehte durch das geöffnete Fenster herein und ließ den dünnen hellblauen Vorhang im Wind tanzen.

 

Von den Farben auf dem Gemälde ging ein geheimnisvolles Leuchten aus. Erst dachte meine Freundin, sie würde sich das nur einbilden. Doch das bunte Licht strahlte mehr und mehr aus dem Bild heraus und tauchte das Hotelzimmer zunehmend in seine Farben.

 

Gleichzeitig zog das Bild meine Freundin magisch an und in sich hinein, wie ein Sog, gegen den sie sich zu wehren nicht im Stande war. Die Gedanken in ihrem Kopf lösten sich allmählich in Luft auf. Sie war sich kaum dessen bewusst, was sie tat. Es zog sie unaufhaltsam in eine andere Dimension jenseits ihrer Wirklichkeit hinein und zum Baum auf dem Bild hinüber.

 

Sie erhob sich vom Bett und ging dem Baum Schritt für Schritt entgegen. Er wirkte so echt, plastisch, als würde er, zum Greifen nah, mitten im Raum stehen. Seine grünen Blätter bewegten sich sanft, als der Wind, der durch das Fenster hereinwehte, sie berührte. Meine Freundin konnte ein leises Rascheln, das von ihnen ausging, vernehmen. Im nächsten Moment hörte sie auch schon die Baumvögel singen, erst ganz leise und mit jedem ihrer Schritte Richtung Baum immer lauter werdend. Der Wind streifte ihre Haut und schob sie mehr und mehr dem Baum entgegen, der sie zu sich in seine geheime Welt hinter dem Bild einzuladen schien.

 

Bald schon stand sie direkt vor ihm und spürte, wie von ihm Wellen der Liebe und des Friedens ausströmten, die ihr Herz berührten und ihre Seele ausfüllten. Die Melodie, welche durch das Rascheln der Blätter und das Singen der Vögel erzeugt wurde, drang bis in ihr tiefstes Innerstes vor und schwang dort eine Saite an, die, vor langer Zeit in Vergessenheit geraten, geduldig darauf gewartet hatte, wieder in ihr zu erklingen. Als die freudigen Töne in ihrem Herzen mit dem Gesang der Vögel und dem Blättergeraschel eins wurden, spürte sie eine friedvolle Verbundenheit mit allem um sich herum, die bis in die unergründlichsten Weiten des Alls hinaus reichte und die Gemüter der Wesen in den entferntesten Galaxien mit ihrem Zauber berührte, wodurch auch in ihnen Funken der Hoffnung und der Zuversicht entfacht wurden. Wie ein Lauffeuer machte die himmlische Melodie mit unbändiger Kraft ihre Runde durch das gesamte Universum, so dass schließlich alles in blendend hellem Licht erstrahlte. Das Licht hatte gesiegt und die Mächte der Finsternis an den Rand des Universums verbannt, wo sie nun, ihrer Kraft beraubt, in tiefen Schlaf versanken.

 

Plötzlich wachte meine Freundin in ihrem Bett auf. War dies alles etwa nur ein Traum gewesen? Nein, das konnte nicht sein. Dazu hatte sich ihr ungewöhnliches Erlebnis viel zu real angefühlt. Realer als die Realität selbst, die sie bislang gekannt hatte.

 

Als sie einen Blick auf das Gemälde warf, stellte sie fest, dass das eigentümliche Leuchten aufgehört hatte. Der Baum stand reglos in seliger Ruhe an seinem Platz im Park, umringt von den bunten kleinen Vögeln, die es sich auf seinen Zweigen gemütlich gemacht hatten. Kein Laut drang aus dem Bild zu ihr herüber. Doch in ihrem Inneren konnte sie die lichtvolle Melodie, welche sie zusammen mit den anderen Wesen erschaffen hatte, nach wie vor hören. Diese würde bis in alle Unendlichkeit durch die Weiten des Alls schweifen und die Seelen aller Planetenbewohner aus ihrem Traum zu neuem Leben erwecken.

 

Damit auch mir diese wundervolle Erfahrung zu Teil wird, hat mir meine Freundin das Gemälde geschenkt. Ich nehme die eingerahmte Schwarz-Weiß-Aufnahme von New York, die seit etlichen Jahren über meinem Schreibtisch hing, von der Wand, und hänge stattdessen das farbenfrohe Baumbild auf. Heute Abend, wenn die Sonne untergeht, werde ich mich auf die Reise in die Realität jenseits des Bildes begeben. Baums Welt wartet auf mich schon sehr lange, das spüre ich. Jetzt bin ich endlich dazu bereit, in sie einzutreten, voller Vorfreude darauf, was ich dort erleben werde.

Baum auf Reisen

 Wenn Baum seine Augen schließt, kann er an andere Orte reisen. Ob dies nur in seinem Geist geschieht oder ob er dabei tatsächlich an einen anderen Platz auf der Erdkugel, wenn nicht gar in eine andere Dimension des Universums gelangt, ist ihm nicht bekannt. Was er dabei erlebt, empfindet er nämlich als so real, dass er nur annehmen kann, dass sich in solchen Momenten sein Baumkörper mitsamt seines dicken Stammes, seiner starken Äste, der vielen Zweige und grünen Blätter daran sowie natürlich auch seiner Wurzeln im Erdreich auflöst, um sich an dem Ort, zu dem er reist, zusammenzufügen und wieder zu Baum zu werden. Oft behält er dabei seine gewohnte Gestalt, und selbst die Vögel, die kurz zuvor auf seinen Ästen und Zweigen Platz genommen haben, reisen unverändert mit. Manchmal aber verändert sich sein Baumkörper so sehr, dass er sich kaum wieder zu erkennen vermag. Sein Stamm hat auf einmal eine andere Farbe angenommen, ist schlanker, breiter, kürzer oder höher als sein Stamm als Parkbaum. Seine Blätter haben nun eine andere Form und sind nicht mehr grün, sondern violett, gelb, rot, orange oder sogar blau. An seinen Ästen und Zweigen wachsen unterschiedliche Früchte, darunter Kokosnüsse, Bananen, Kirschen, Äpfel, und Birnen. Und selbst die kleinen Vögel aus dem Park, die in seiner Krone mit ihm gereist sind, haben ein neues Gesicht erhalten, sich in Papageien, Kolibris, Pfirsichköpfchen, Kanarienvögel, Tukane, Zebrafinken und Paradiesvögel verwandelt. Baum fragt sich, ob sie davon etwas bemerken. Doch sie scheinen sich nicht darum zu kümmern und singen ihre Lieder so fröhlich wie zuvor, wenn auch mit veränderter Stimme. Das Einzige, was sich verändert hat, ist ihre äußere Gestalt. Im Wesen sind sie dieselben geblieben.

 

Baum liebt das Reisen an andere Orte, da ihm dies die Möglichkeit bietet, seinen angestammten Platz im Park zu verlassen, den er seit achthundert Jahren bewohnt und wie seine Westentasche kennt. Nicht, dass er seinen Platz im Park nicht mögen oder gar den Wunsch verspüren würde, ihn dauerhaft verlassen zu wollen. Hier fühlt er sich sehr wohl. Er liebt sein Zuhause im Park. Es ist still und friedlich. Er bekommt das genau richtige Maß an Sonne und die notwendige Menge an Regen ab, um weiterhin wachsen und gedeihen zu können. Niemand stört ihn. Er kann das Treiben im Park in aller Ruhe mit seinen vielen Augen beobachten und darüber nachsinnen. Tags kommen immer Menschen in den Park, oft solche, die er schon kennt. Sie scheinen Gefallen am Park und an Baum gefunden zu haben und suchen ihn immer wieder auf. Manche setzen sich auf die Bank vor Baum oder umarmen ihn sogar. Das sind die schönsten Momente in Baums Leben. Er lernt von den Menschen viel über die Welt und das Dasein und sendet ihnen aus seinem tiefsten Baumherzen heraus Liebe, um ihnen den Tag zu versüßen und sie ihre Sorgen vergessen zu lassen. 

 

Manchmal sieht Baum im Park auch neue Gesichter und freut sich darüber, dass weitere Menschen den Weg hierher finden, in diese Oase der Entspannung und Erholung, die Baum mit seinem Wesen bereichert. Er erblickt von Zeit zu Zeit auch neue Tiere, die sich im Park und auch in Baum selbst ein Zuhause einrichten. Einmal hatte in seinem Stamm ein Eichhörnchen gewohnt. Die Erinnerung an ihre fröhliche Lebensgemeinschaft macht ihn heute noch glücklich. Es war ihm eine große Freude, dem Eichhörnchen und seinem Nachwuchs eine Behausung und Schutz vor anderen Tieren bieten zu können. Eines Tages waren die kleinen Eichhörnchen herangewachsen und hatten allesamt Baum verlassen. Von Zeit zu Zeit kommen sie ihn aber noch besuchen und erzählen ihm Geschichten aus ihrem bewegten Leben, während Baum schweigend da steht und ihnen staunend zuhört.

 

Gelegentlich juckt Baums Stamm, weil sich Insekten darauf niederlassen und herumkrabbeln. Das ist furchtbar kitzelig und bringt Baum zum Lachen, so dass er es nicht lassen kann, unentwegt seine Blätter rascheln zu lassen, was Verwunderung bei den Menschen auslöst, die sein Lachen nicht hören und keinen Wind vernehmen, der seine Blätter bewegt. So sehr Baum das Lachen in seiner tiefsten Baumseele auch genießt, so dankbar und erleichtert fühlt er sich dennoch, wenn ein Specht vorbeigeflogen kommt und die Insekten von ihm herunter pickt. 

 

Nachts schlafen die kleinen Vögel geborgen in seiner Krone und singen ihm im Traum ein zauberhaftes Lied, das Baum sanft in den Schlaf wiegt. Sobald er die Augen schließt und den Vogelstimmen folgt, reist Baum an einen anderen Ort in eine andere Zeit oder Welt oder auch in eine Dimension jenseits von Zeit und Raum. Baum hat den Tag in stetiger Erfüllung verbracht und freut sich nun darauf, mit seinem bewussten Sein andere Gefilde zu betreten und neue Erfahrungen zu machen, die ihm zu neuen Erkenntnissen verhelfen.

 

Bei seiner heutigen Traumreise steht Baum als Palme an einem tropischen Strand. Das Blau des Meeres, der weiche Sand, die unzähligen Pflanzen, die vielen bunten Vögel - alles erstrahlt in ungewöhnlich stark leuchtenden Farben. Vielleicht mag das an der Sonne liegen, die hier mit einer höheren Intensität vom Himmel herab scheint als im Park und die gesamte Szenerie in ihr funkelndes Licht taucht. Vielleicht ist es auch der anmutige Gesang der exotischen Vögel, der Baum die Welt mit anderen Augen sehen lässt. Oder aber die Berührung des samtenen Sandes, der sich um seinen Stamm herum anschmiegt, versetzt ihn in einen Zustand, in welchem er die Schönheit der Welt in ihrer Vollkommenheit erfährt. 

 

Baum ist schon an viele Orte gereist. Er war auf Bergen und in Tälern, an Seen und Flüssen, in Wäldern und Städten. Doch nirgendwo war es so schön wie hier. Die unberührte Natur läd ihn geradezu zum Verweilen ein und er genießt es aus tiefster Baumseele heraus, hier zu sein. 

 

Ein Schmetterling flattert heran und setzt sich auf einem von Baums Blättern nieder. Baum heißt seinen neuen Freund willkommen und lächelt ihm im Herzen zu. Der Schmetterling fühlt sich sehr wohl in Baums Nähe und schließt seine Augen, um ein Nickerchen zu machen. Während Baum ihm selbstvergessen beim Träumen zuschaut, wird auch er müde und fällt in tiefen Schlaf, um dem Schmetterling ins Land der Träume zu folgen und ihn dort beim freien Flug über das weite Meer zu begleiten.

Baums verzauberter Spiegel

Als ich am Wochenende auf dem Dachboden des alten Landhauses, das mir meine Großtante nach ihrem Tod vererbt hatte, aufräumte, fand ich dort einen sonderbaren Spiegel. Einsam und verlassen stand er hinter Kisten, von einem alten Laken zum Schutz vor Staub umhüllt. Eingefasst in einen Rahmen aus goldenen Blüten und Blättern, schien er aus einer anderen Epoche zu stammen. Er war so groß, dass ich mich darin komplett erkennen konnte, und wies trotz seines Alters keinerlei Gebrauchsspuren auf. Was mich jedoch am meisten an ihm faszinierte, war seine eigentümliche Ausstrahlung, die mich in den Bann zog.

 

Je weiter ich an den Spiegel heran ging, desto mehr regte sich ein Gefühl von Nachhausekommen in mir. Es fühlte sich für mich so an, als würde sich auf der anderen Seite des Spiegels ein mir sehr vertrauter Ort befinden, den meine Seele zwar seit Urzeiten kannte, der jedoch in Vergessenheit geraten war. Dieser Ort war nicht von dieser Welt, sondern lag irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit. Und dennoch erschien er mir in diesem Moment, wo ich vor dem nostalgischen Spiegel stand, zum Greifen nah.

 

Das leise Rauschen der Wellen, das aus dem Spiegel zu mir herüber drang, lockte mich näher. Die Welt auf der anderen Seite, meine einst verlorene Heimat, die ich durch einen unerwarteten Zufall nun wieder gefunden hatte, rief nach mir, lud mich zu sich ein. Zaghaft folgte ich ihrem Ruf, legte mein Ohr an die Spiegelfläche, um der Brandung zu lauschen. Mit geschlossenen Augen genoss ich das Lied, welches das Meer für mich sang, gab mich dem Spiel der Wellen hin, tauchte in sie hinein und aus ihnen wieder auf, sah die Sonne weit über mir stehen und spürte ihre Wärme auf meiner Haut.

 

So träumte ich vor mich hin, während ich, mein Ohr an den Spiegel gepresst, vor ihm stand. Ein Teil von mir war bereits hinüber geflogen, in mein verloren geglaubtes Paradies, hatte seine ersten Schritte dort schon getan. Doch als ich meine Augen wieder öffnete, war ich zurück im Hier und Jetzt, welches mir nach meinem kleinen Ausflug nun nicht mehr genügte und mein Wesen nicht mehr erfüllte. An diesem Ort konnte ich nicht mehr bleiben. Ich musste hinüber… Musste fort… Zurück nach Hause…

 

Eine leichte Brise umweht mich, während ich die geheimnisvolle Welt hinter dem magischen Spiegel betrete. An meinen Füßen spüre ich den weichen, von der Sonne erwärmten Sand, wie er bei jedem meiner Schritte durch meine Zehen rinnt. Vor mir am Strand steht eine Palme, auf deren Ästen viele bunte Vögel sitzen: Papageien, Tukane, Zebrafinken, Pfirsichköpfchen, Paradiesvögel, Kolibris und Kanarienvögel. Gemeinsam stimmen sie ein Lied von Liebe und Harmonie an, das mein Innerstes sanft berührt und mich all meine Sorgen und meinen Kummer vergessen lässt.

 

Ich falle am Ufer in den weichen Sand und schaue auf das Blau des Ozeans hinaus. Grenzenlos scheint er zu sein. Ein Ende kann ich nicht ausmachen. Sein Wasser strömt in leichten Wellen zu mir heran, um gleich darauf wieder entspannt in die Ferne zurück zu treiben. Ich weiß nicht warum, doch der Anblick der Wellen schenkt meiner Seele einen allumfassenden Frieden, den ich vorher niemals gekannt habe.

 

Langsam schließe ich, mich dem Gesang der Vögel und dem Rauschen der Wellen hingebend, meine Augen. Doch was ich hinter meinen geschlossenen Lidern erblicke, ist nicht abgrundtiefe Schwärze, sondern der Baum am Strand. Die Palme mitsamt ihrer gefiederten Musikanten, offenbart sich mir nun in ihrer wahren Gestalt. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um eine Strandpalme, sondern um eine stattliche Eiche, die seit achthundert Jahren in einem Park steht und sich dort, umgeben von Menschen, Tieren und anderen Pflanzen, des Lebens erfreut. Tag für Tag beobachtet sie in sich ruhend das Treiben um sich herum und heißt unzählige Besucher willkommen, die an ihr vorbei schlendern oder sich auf die hölzerne Bank, die vor ihrem Stamm aufgestellt wurde, niedersetzen, um nach einem ausgedehnten Spaziergang oder einem anstrengenden Arbeitstag Entspannung zu finden. Die weise, alte Eiche schenkt ihren Besuchern aus ihrem tiefsten Baumherzen heraus alles, was sie benötigen, um zu neuer Kraft und Leichtigkeit zurück zu finden, und wird dafür reich beschenkt, mal mit einem freudvollen Lächeln, ein anderes Mal sogar mit einer liebevollen Umarmung, woraufhin sie die leuchtend grünen Blätter an ihren Zweigen zum Dank leise rascheln lässt.

 

Hier an ihrem angestammten Platz im Park empfindet die Eiche – ich möchte sie von nun an einfach „Baum“ nennen – grenzenlose Glückseligkeit, da alles um sie herum in Einklang ist und Ausgewogenheit zwischen Geben und Nehmen besteht. Die vielen kleinen Parkvögel, darunter Meisen, Drosseln, Amseln und Finken, erfreuen Baum jeden Tag aufs Neue mit ihren anmutigen Liedern. In Frühlingsnächten lässt sich so manches Mal eine Nachtigall in seiner Krone nieder und wiegt ihn mit ihrem himmlischen Gesang sanft in den Schlaf, woraufhin Baum sich im Traum in anderem Gewand an anderen Orten wieder findet. Heute träumt er davon, eine Palme am tropischen Strand zu sein, und nimmt mich mit auf die Reise in seine wundersame Welt hinter dem verzauberten Spiegel, auf der ich ihn gerne begleite.

 

Baum fühlt sich, anders als ich, überall zu Hause. Ob er sich als Eiche im Park, als Palme am Strand oder als Tanne in den Bergen aufhält – es macht für ihn keinen Unterschied. Die Vögel auf seinen Ästen und Zweigen reisen stets mit ihm zusammen und passen dabei ihre äußere Gestalt ebenso den neuen Gegebenheiten an, ohne ihr wahres Wesen dadurch zu verlieren. Sowohl Baum selbst als auch seinen gefiederten Freunden bereitet es unfassbare Freude, die Welt auf diese Weise zu erkunden.

 

Ich bin dankbar dafür, dass ich auf ihrer heutigen Traumreise dabei sein darf. Denn tief in mir spüre ich, dass ich viel von Baum lernen kann. Schließlich hat er in seinem achthundertjährigen Dasein auf diesem Planeten bereits die unglaublichsten Dinge gesehen und erlebt, die sich Ring um Ring in sein Stamminnerstes eingeprägt haben. Die vielen Erfahrungen, aus denen er gelernt hat, haben ihn nicht nur groß und stark, sondern auch weise werden lassen. Egal wo er auch sein mag und was um ihn herum geschieht, ob die Sonne vom blauen Himmel hernieder scheint und seine Blätter in ihren Strahlen leuchten lässt oder ob ein Sturm seinen kräftigen Stamm umweht, seine Zweige im Wind schüttelt und der Regen wie aus Eimern auf ihn hernieder prasselt – er bewahrt stets seine Baumseelenruhe und lässt die Dinge geschehen, ist dankbar für jeden einzelnen Moment und im Frieden mit sich und der Welt.

 

Heute bin ich Baums Gast und lausche seinen klugen Worten, die im Rascheln seiner Blätter zart erklingen. Leise dringen sie in meine Seele vor und wecken jenen Teil in mir auf, der seit Jahren und Jahrzehnten in Schlaf gehüllt war. Schicht um Schicht löst sich durch die Melodie der raschelnden Blätter, vereint mit dem Chor der Vögel und der Hymne des Meeres, die Müdigkeit in meinem Inneren auf. Langsam werde ich wach und spüre, dass sich etwas verändert hat, in mir und auch um mich herum.

 

An meinem Rücken sind Schmetterlingsflügel gewachsen, die mich sanft emporheben und im leichten Flug Baums üppiger Krone entgegen tragen. Nachdem ich dort, mit meinen Fühlern Baums Zweige und Blätter streichelnd, ein Weilchen verweilt bin, zieht es mich weiter nach oben, in das strahlende Blau des Himmels hinauf. Baum schaut mir hinterher, während ich ihm mit meinen Flügeln zum Abschied winke.

Der Baum im fernen Hof

 Die Frühlingssonne durchflutete meine Küche mit ihrem heiteren Licht, das jegliche Schwere von mir abfallen ließ, während ich, am Esstisch sitzend, die Stille dieses Morgens in mich aufnahm.

 

Das einzige Fenster in meiner Küche zeigte zum Hof hinaus, der klein und übersichtlich war. Es gab dort nichts Besonderes zu sehen, nur ein paar Mülltonnen. Richtete ich meinen Blick jedoch in die Ferne, konnte ich ein gelbes Wohnhaus mit einem Hof ausmachen, der mir sehr viel reizvoller als der hiesige Hof zu sein schien. In der Mitte dieses Hofs stand ein prächtiger Baum mit starkem Stamm und leuchtend grünen Blättern. Er wirkte, selbst aus der Ferne betrachtet, ungewöhnlich vital. Einige Vögel hatten sich in seiner Krone niedergelassen und zwitscherten gemeinsam munter ihre Frühlingslieder. Dies taten sie mit solch einer Inbrunst, dass ich ihren Gesang selbst in meiner Küche, die so weit entfernt von diesem Ort zu sein schien, vernehmen konnte.

 

Neben dem Baum stand eine Bank aus dunkelbraunem Holz. Seltsamerweise hatte ich in all den Jahren, in denen ich in dieser Wohnung lebte, niemanden darauf sitzen sehen. Überhaupt erblickte ich nie auch nur einen einzigen Menschen in diesem Hof. Er wirkte einsam und verlassen und war doch voller Leben, weit mehr als der kleine, dunkle Hof, der zu meiner Wohnung gehörte. Hier kehrten immer wieder meine Nachbarn ein, um ihren Müll in die Tonnen zu werfen. Der Hof in der Ferne wirkte sehr viel gepflegter, freundlicher und einladender, und dennoch ließ sich anscheinend nie jemand dort nieder, um auf der Bank zu verweilen und den kleinen Vögeln zuzuhören.

 

Der Hof in der Ferne zog mich seit meinem Einzug in diese Wohnung magisch an und mit unerklärlicher Kraft in seinen Bann. Jedes Mal, wenn ich aus dem Küchenfenster im vierten Stock zu ihm herab blickte, überkam mich eine nie gekannte, mit nichts zu vergleichende starke Sehnsucht. Warum das so war, konnte ich mir nicht erklären. Immerhin war es ja nur ein Hof, wenn auch ein ungewöhnlich schöner und sonniger. Vor allem seine friedvolle Atmosphäre hatte es mir angetan. Wann auch immer ich zu ihm herüber blickte – mir bot sich, mit wenigen Unterschieden, immer dasselbe Bild: Der robuste, vor Lebendigkeit sprühende Baum und unter ihm die gemütlich wirkende Holzbank. In der warmen Jahreszeit besuchten den Baum Tag für Tag unzählige Vögel, und es fühlte sich so an, als würden sie ihre Lieder nur für ihn und mich singen. Niemand sonst außer uns beiden schien ihrem Gesang sein Gehör zu schenken und ihn bis in die Seele dringen zu lassen. Wenn im Herbst die Vögel den Baum verließen, um in wärmere Gefilde zu ziehen, stand der Baum, in sich gekehrt, allein da, verlor nach und nach seine bunt gewordenen Blätter, und ergab sich mehr und mehr dem baldigen Winterschlaf. Während der Schnee seine kahlen Äste und Zweige sanft bedeckte, schlummerte seine Baumseele leise vor sich hin, vom Frühling träumend, der in einigen Monaten wieder Einzug halten und die Welt in sein zauberhaftes Licht tauchen würde. Im Winter war ich immer ganz froh, dass der Baum, von keiner Menschenseele gestört, schlafen konnte. Es kam ja nie jemand in den Hof.

 

Doch jetzt, im Monat Mai, hätte ich den Hof in der Ferne nur zu gern besucht und mich auf die Bank neben den Baum gesetzt. Er schien mich direkt zu sich zu rufen, wie er so einsam und verlassen vor mir lag. Es gab nur einen einzigen Grund, weswegen ich ihn bislang nie betreten hatte: Der Zugang zum Hof in der Ferne hatte sich mir noch nicht gezeigt. Etliche Male war ich die Straße hinauf und hinunter gegangen, hatte dabei alle vor mir liegenden Hauseingänge betreten – doch immer gelangte ich dabei in einen anderen Hof, aber nie in diesen, was mich sehr verwunderte. Denn irgendwo musste der besagte Hof doch sein. Eine der Haustüren musste doch zu ihm führen. Und doch war dies nicht der Fall. Dieses unergründliche Mysterium machte den Hof in der Ferne umso anziehender für mich. Nahezu in Verzweiflung geriet ich, weil ich die Tür zu ihm nirgends finden konnte. Ich ging sogar so weit, die Anwohner der umstehenden Häuser nach dem Eingang zum Hof zu befragen. Doch niemand hatte von so einem Hof auch nur gehört. In ihren Höfen gäbe es nur Mülltonnen, aber keinen Baum, bekam ich jedes Mal zur Antwort. Doch ich gab nicht auf. Denn ich wusste, dass sich mir der versteckte Zugang zum geheimnisvollen Hof schon offenbaren würde, wenn ich nicht nachließ, sondern meine Suche nach ihm fortsetzte.

 

Eines Nachts gelang es mir schließlich, den geheimnisvollen Hof zu betreten. Während mein Körper schlafend im Bett lag, geschah etwas Seltsames. Ich öffnete meine Augen und sah mein Schlafzimmer vor mir. Der Vollmond schien zum Fenster herein und tauchte es in sein mystisches Licht. Als ich mich vom Bett erhob und einige Schritte machte, fühlte sich dies merkwürdig an. Es war kein Laufen, sondern vielmehr ein Schweben. Verblüfft warf ich einen Blick auf mein Bett zurück, auf welchem ich meinen schlafenden Körper liegen sah. Ich wusste nicht, was mir da gerade geschah. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Doch es ging mir gut und es fühlte sich richtig für mich an. Also beschloss ich, die Ruhe zu bewahren und neugierig zu untersuchen, was sich mir darbot.

 

Vom Schlafzimmer aus schwebte ich also in die Küche hin zum Fenster. Der Vollmond stand direkt über dem Baum im fernen Hof und leuchtete ungewöhnlich stark, so dass ich die Szenerie sehr gut erkennen konnte. Mit einem Mal wollte ich nur noch dorthin. Sofort. Und schon schwebte ich durch das geschlossene Küchenfenster hindurch und hinüber zum Ort meiner Sehnsucht. Das geschah so schnell, dass ich es kaum fassen konnte. Beim Baum angekommen, ließ ich mich auf der Bank nieder. Was ich erlebte, fühlte sich an wie ein Traum und wirkte doch so real, viel echter als alles, was ich zuvor erlebt hatte. Mein Glück, endlich hier zu sein, konnte ich kaum fassen.

 

Im Hof war es so ruhig. Nur die Rufe einer Eule unterbrachen von Zeit zu Zeit die nächtliche  Stille. Der Baum hatte eine unbeschreiblich wohltuende Ausstrahlung. Es fühlte sich an, als würde er Wurzeln in mir schlagen und mich mit einer heilenden Quelle verbinden, die alle Last und allen Schmerz aus meiner Seele fortspülte. So saß ich also selbstvergessen mit geschlossenen Augen da und ließ es geschehen. Raum und Zeit lösten sich nach und nach immer mehr auf, als hätten sie niemals existiert. Da war nur reine, heilende Energie, und ich ließ sie durch mich fließen, badete und verschmolz mit ihr, bis nichts mehr von mir übrig war und ich mich im Nichts auflöste.

 

Geweckt wurde ich durch den Gesang einer Nachtigall. Als ich meine Augen aufschlug, lag ich wieder in meinem Bett in meinem Zimmer. Es war noch immer dunkel, und die Finsternis dieser Nacht im Monat Mai wurde nach wie vor nur durch das Licht des Vollmonds erhellt.

 

Ich hatte es endlich geschafft, wurde mir bewusst. Ich war endlich an den Ort meiner tiefen Sehnsucht gelangt und hatte mich in meinem Inneren mit ihm verbunden. Nun brauchte ich ihn nicht mehr im Außen zu suchen. Denn ich würde ihn ab sofort stets in mir tragen. Der Baum hatte sich mit mir verwurzelt. Wenn ich meine Augen schloss und in mich hineinhöre, kann ich das Rascheln seiner Blätter hören. Ebenso hallt der Gesang der kleinen Baumvögel in meinem Innersten nach und lässt mich an ihrer beschwingten Lebensfreude teilnehmen, wo auch immer ich mich gerade aufhalten mag. Ich bin nun selbst zum Baum geworden mitsamt seiner Stärke und Kraft. Und ich lade jeden, der meinen Weg kreuzt, dazu ein, auf der Bank neben mir zu verweilen und in den gegenwärtigen Moment der Stille einzukehren, um den Weg in das verloren geglaubte Paradies in sich selbst zurück zu finden.

Baum unterm Sternenzelt

Am späten Abend sitze ich vor dem geöffneten Schlafzimmerfenster und schaue in die hereinbrechende Nacht hinaus. Es ist ruhig im Hof. Keine Menschenseele stört die wohltuende Stille, die mich und den Baum, der unten neben der Bank seinen angestammten Platz hat, umgibt. Jetzt im Sommer hat er sich eine üppige Krone wachsen lassen, deren grüne Blätter in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne glänzen. Die vielen kleinen Vögel auf seinen Ästen und Zweigen stimmen im Abendrot zu einem letzten gemeinsamen Lied an, bevor sie sich zur Nachtruhe betten und ihre kleinen Köpfe unter ihre Flügel stecken.

 

Im Haus gegenüber erkenne ich am Fenster eine Gestalt. Eine Frau in mittleren Jahren sitzt so wie ich am Fenster und schaut zum Hof hinüber. Ebenso wie ich ist sie in die Betrachtung des gegenwärtigen Moments versunken und lässt das dahinscheidende Sonnenlicht in ihre Seele dringen, auf dass es alles Dunkle und jegliche Sorgen aus ihrem tiefsten Innersten vertreiben mag. Ich frage mich, ob es das erste Mal ist, dass wir diesen magischen Augenblick miteinander teilen, oder ob wir bereits andere Abende, jeder für sich in seinen eigenen vier Wänden von seinem Fenster aus, miteinander verbracht haben. Vorher ist die Frau mir zumindest nie aufgefallen. Womöglich habe ich sie nur nicht bemerkt. Wer mag sie wohl sein? Was für ein Leben mag sie führen? Welche Freuden und welcher Kummer mögen ihr auf ihren Wegen begegnen? Ob sie wohl dasselbe wie ich empfindet, wenn sie die abendliche Ruhe und die Gegenwart des Kraft spendenden Baumes genießt? Oder ist ihr dies einerlei und sie möchte vor dem Schlafengehen einfach frische Luft schnuppern? Vielleicht stellt sie sich die gleichen Fragen über mich und mein Leben. Oder aber, sie hört mit leerem Kopf und offenem Herzen einfach nur dem zauberhaften Gesang der kleinen Vögel zu.

 

Meine Arme streift ein zarter Windhauch. Am Tage war es recht heißt gewesen, die Sonne brannte mit aller Inbrunst vom Himmel herab. Deswegen begrüße ich die abendliche Abkühlung umso mehr. In der Ferne kann ich die Autobahn wie einen unaufhaltsam fließenden Strom rauschen hören und stelle mir dabei vor, als kleiner Tropfen im unermesslich großen Ozean zu treiben. Ich lege meine Arme aufs Fensterbrett und bette meinen Kopf darauf, schließe meine Augen und lasse mich vom Lied der Vögel und der brummenden Autobahn in den Schlaf wiegen, der mich, ohne lange auf sich warten zu lassen, alsbald überflutet.

 

Als ich erwache, steht bereits der Vollmond am Himmel. Die Blätter des Baumes funkeln wie Diamanten in seinem Licht. In der Sommerluft liegt ein himmlischer Duft nach Blumen und Früchten, der mich mit seinem exotischen Aroma betört und in mein tiefstes Innerstes dringt. Aus welchen paradiesischen Gefilden dieser wohl in die irdische Sphäre hinüber geweht sein mag? Einen tiefen Atemzug nehmend, lasse ich ihn in mich hineinströmen, genieße ihn mit jeder Zelle meines Seins. Die Geräusche der Autobahn sind inzwischen verstummt. Anstatt ihrer ist eine eigentümliche Stille eingekehrt, die mich und alles um mich herum in einen schützenden Schleier einhüllt.

 

Das Fenster auf der anderen Seite des Hofes steht weit offen. Ich kann den weißen Vorhang sacht im Wind flattern sehen. Doch die Frau, mit der ich vor kurzem noch zusammen den Sonnenuntergang genossen habe, ist verschwunden. Womöglich hat sie sich in der nächtlichen Dunkelheit aufgelöst, um Eins mit ihr zu werden, um ein Teil dieses magischen Moments zu sein.

 

Im nächsten Augenblick wird mir bewusst, dass ich nicht allein bin. Als ich in den Hof hinunter schaue, erkenne ich schemenhaft eine Figur auf der Bank neben dem Baum sitzen. Sie ist zierlich und hat langes Haar. Eindeutig eine Frau. Die Frau, die in der Wohnung gegenüber lebt. Weshalb kam diese nun hierher? Was hat sie zum Baum im Hof geführt? Ist sie auf der Suche nach Trost und neuer Hoffnung? Oder möchte sie einfach, im Licht des Vollmonds badend, die Stärke und Vitalität des Baums spüren und sich mit seiner Kraft verbinden? Doch die Frage, die mich am meisten beschäftigt, auf die ich jedoch keine Antwort finde, ist eine ganz andere – wie ist es der Frau gelungen, den Hof zu betreten, da er doch nicht zu ihrem Wohnhaus gehört und die Tür stets abgeschlossen wird? Es ist natürlich möglich, dass sie sich bei einem meiner Nachbarn den Schlüssel geliehen hat. Doch das halte ich für unwahrscheinlich. Wer würde denn so etwas tun? Schließlich geht es nur um einen Hof, wenn auch um einen außergewöhnlich schönen, sauberen und gepflegten – das gebe ich ohne Umschweife offen und ehrlich zu. Dieser Umstand bewog mich seinerzeit, in diese Wohnung einzuziehen und sie mein neues Zuhause zu nennen.

 

In der warmen Jahreszeit verbringe ich viele Stunden auf der Bank neben dem Baum, mal mit einem Buch in der Hand, mal mich mit ausgestreckten Beinen einfach nur der Ruhe und Entspannung hingebend. Immer wieder bin ich erstaunt darüber und dankbar dafür, wie viel Geborgenheit und Lebensfreude mir die Nähe des Baumes schenkt. Ob ich guter Dinge bin oder ob ein Schatten auf meiner Seele liegt – er ist immer für mich da und hört den Regungen meines Herzen aufmerksam zu, teilt meine Freude und meinen Schmerz gleichermaßen und unvoreingenommen. Mit seiner reinen Präsenz spendet er mir neue Lebensenergie, was ich ihm mit einer wärmenden Umarmung danke. In all den Jahren ist er ein guter Freund für mich geworden – vielleicht sogar der beste, den ich jemals hatte.

 

Die Frau auf der Bank öffnet ihre geschlossenen Augen und hebt ihren Kopf zur Baumkrone empor. Unsere Blicke kreuzen sich. Doch sie scheint durch mich hindurch zu schauen, als wäre ich durchsichtig, was mich sehr verwundert. Diese Nacht wirft ein Rätsel nach dem anderen auf, deren Lösung irgendwo fern hinter dem Horizont zu finden ist. Vielleicht träume ich das alles auch nur. In Momenten wie diesen ist es schwer auszumachen, wo die Wirklichkeit aufhört und wo das Reich der Träume anfängt. Womöglich habe ich seine Schwelle schon längst überschritten, ohne es gemerkt zu haben.

 

Ein schriller Ton lässt mich plötzlich aufhorchen. Mein Telefon hat geklingelt. Mitten in der stockfinsteren Nacht. Wer mag das wohl sein? Wer möchte zu so später Stunde mit mir sprechen? Im Flur angekommen, nehme ich den Hörer ab und spitze meine Ohren. Worte sind überflüssig. Sie würden alles nur komplizierter machen. Deswegen sage ich nichts, sondern höre einfach nur zu, was sich am anderen Ende der Leitung abspielt. Alles, was ich vernehmen kann, ist im Wind raschelndes Laub. Je länger ich mich seinem Rauschen hingebe, desto lauter wird es, bis ich nicht mehr genau weiß, ob es aus dem Telefonhörer oder aus meinem tiefsten Inneren erklingt. Der Baum im Hof ruft mich zu sich, um sich mit ihm zu verbinden. Immer mehr gelange ich zu der Wahrnehmung, selbst ein Baum zu sein.

 

Ich sehe die Frau aus der gegenüberliegenden Wohnung auf der Bank neben meinem Stamm sitzen. Ruhig und friedlich schauen ihre Augen mich an. Ein liebevolles Lächeln liegt auf ihren Lippen. Sie hat mich und damit auch sich selbst in ihrer reinsten Essenz erkannt. Gemeinsam blicken wir hinauf zu den Sternen und träumen uns in eine andere Welt hinein, während eine Nachtigall, die sich auf einem meiner unzähligen Zweige niedergelassen hat, ihren Schnabel zum Lied öffnet.

Baumherz

 Es war Winter geworden. Baum stand wie immer an seinem angestammten Platz im Park und genoss die frische, klare Luft, die seine kahlen Zweige umwehte und seinen alten, weisen Baumgeist belebte. Die Menschen im Park waren dick angezogen, um sich vor der Kälte zu schützen. Sie trugen Mäntel, Schals und Mützen, um ihre Körper warm zu halten. Baum hingegen störte die Kälte überhaupt nicht. Denn er fürchtete sich im Unterschied zu den Menschen nicht vor ihr, sondern wusste ihre kühlende Wirkung, die ihm einen klaren Kopf verschaffte, zu schätzen.

 

Eine leichte Decke aus Schnee hatte sich auf seine Äste und Zweige gelegt, auf denen sich gelegentlich Vögel niederließen. Im Winter bekam er oft Besuch von Raben, die ihm ins Ohr krächzten, damit er auch ja nicht einschlief und das Treiben der Menschen um ihn herum außer Acht ließ. Es fanden sich aber auch Spatzen in seinem Geäst ein, die munter von Zweig und Zweig hüpften.

 

Als Baum gerade mal wieder die Augen schloss, um ein kleines Nickerchen zu machen, drang die Stimme von Herrn Rabe besonders laut an sein Ohr.

 

„Diese Raben lassen einem alten, müden Baum aber auch gar keine Ruhe.“ Murmelte Baum vor sich hin und öffnete langsam wieder seine Augen. Als er sah, warum Herr Rabe ihn geweckt hatte, war er ihm jedoch sehr dankbar.

 

Vor Baum stand ein Mann in mittleren Jahren. Anders wie die übrigen Menschen im Park war dieser Mann nur leicht bekleidet. Er trug statt einem dicken Mantel nur eine Windjacke und keine Mütze oder dergleichen. Ebenso wie Baum schien er Gefallen an der Kälte zu finden. Er nahm eine bestimmte Stelle an Baums kräftigem Stamm in Augenschein und berührte sie vorsichtig, mit einem Anflug von Wehmut, mit seiner Hand. Ein Herz war darauf eingeschnitzt.

 

Baum wusste genau, wer dieser Mann war. Denn er kannte ihn schon lange. Bereits als Kind hatte der inzwischen erwachsen gewordene Mann mit Baum Freundschaft geschlossen, als er unter seinem Blätterdach spielte. In seiner Jugend kam der Mann seinen Freund, den Baum, oft mit einer jungen Dame besuchen. Sie saßen stundenlang bis in die tiefen Abendstunden hinein vor Baum auf der Bank und genossen die Zweisamkeit. Denn sie ahnten nicht, dass Baum sie mindestens genauso gut sehen und wahrnehmen konnte, wenn nicht sogar noch besser, als sie ihn. Aus Anstand und um sie in ihrer Zweisamkeit nicht zu stören, schloss er aber meist seine Baumaugen und bat die Vögel, lauter zu singen, um die Worte des Pärchens zu übertönen. Manchmal öffnete er aus Neugier seine Baumaugen aber doch und warf einen verschmitzten, hoch entzückten Blick auf das junge Paar. Gelegentlich konnte er es dabei nicht unterlassen, seine Blätter vor Freude rascheln zu lassen.

 

Eines Tages schnitzte der junge Mann ein Herz in Baums Rinde und verzierte es mit seinen Initialen und denen seiner Freundin. Baum konnte sich noch genau an den wunderbar warmen Frühlingstag erinnern, als dies geschah. Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel und die Vögel sangen ihre schönsten Lieder für die beiden.

 

Es war Baum von Anfang an vollkommen klar, dass diese beiden Menschen eine besondere, einzigartige Verbindung miteinander hatten. Ihre Seelen kannten sich sehr viel länger, als ihnen bewusst war. Baum war glücklich darüber, dass sie sich auf Erden wieder gefunden hatten. Doch er wusste ebenso, dass in Kürze eine längere Phase der Trennung folgen würde. Wobei sie sich jedoch nur auf der körperlichen Ebene voneinander entfernten, nicht jedoch in ihren Herzen. Die Seelenverbindung der beiden war zu stark, als dass sie jemals hätte reißen können.

 

An einem Spätsommertag beobachtete Baum, wie sich die beiden jungen Leute miteinander stritten. Baum wusste, dass es dabei um reine Belanglosigkeiten ging, die man schnell aus der Welt hätte schaffen können. Doch keiner der beiden wollte nachgeben, weder der junge Mann noch die junge Frau. Beide waren in diesem Moment voll mit Ängsten und ernsthaft wütend aufeinander. Sie waren nicht bereit, die Quelle der Liebe, die unaufhaltsam in jedem von uns sprudelt, wahrzunehmen, sondern gaben sich stattdessen trüben Gedanken hin. Schließlich trennten sie sich, mit den Worten, dass sie einander nie wieder sehen wollten, und zogen in gegensätzliche Richtungen von dannen.

 

Es brach Baum fast das Herz, die beiden im Streit entzweit zu sehen. Sie waren doch von Anbeginn aller Zeit füreinander bestimmt. Doch genau das schenkte Baum Zuversicht, dass sie sich eines Tages wieder begegnen und miteinander versöhnen würden. Das Schicksal würde sie zusammen führen, auch wenn bis zu ihrem nächsten Wiedersehen Tage, Wochen, Monate und Jahre vergehen würden.

 

Baum sah die beiden jungen Menschen heranwachsen. Sie besuchten ihn oft, ein jeder für sich allein. Niemals kreuzten sich dabei ihre Wege, was sonderbar anmuten mag. Doch für ihr Wiedersehen war es einfach noch nicht an der Zeit, auch wenn es sich ein jeder von ihnen insgeheim sehnlichst herbei wünschte. Ihr Zorn aufeinander war längst verflogen. Doch in ihren Leben sollte sich noch einiges ereignen, bis sich ihre Wege wieder kreuzen würden.

 

Als der Mann sich nun an diesem klaren Wintertag an Baums Stamm lehnte und das eingeschnitzte Baumherz berührte, lief eine Träne über seine Wangen. Er schloss die Augen und gab sich den traumgleichen Erinnerungen aus seiner Jugend hin, als er mit seiner Freundin auf der Bank vor Baum gesessen und ihre liebevolle Verbundenheit genossen hatte. Er konnte einfach nicht glauben, dass dies alles unwiederbringlich vorbei sein sollte und dass er seine Jugendliebe nie wieder sehen würde, auch wenn die beiden inzwischen zwanzig Jahre von jenen glücklichen Tagen trennten.

 

Während er mit geschlossenen Augen da stand und ihm eine Träne nach der anderen übers Gesicht lief, spürte er plötzlich, wie etwas Warmes seine Hand berührte. Verwirrt öffnete er seine Augen.

 

Und da stand sie: Die Liebe seines Lebens, die er zwanzig Jahre lang vermisst hatte. Er konnte es kaum glauben, wusste nicht, ob er sich ihre Erscheinung nur einbildete. Doch sein Herz sagte ihm, dass sie es war, die junge Dame aus seiner Jugend, mit der er die schönsten Tage seines Lebens verbracht hatte.

 

Sie lächelte ihm liebevoll zu und sagte: „Ich habe dich so vermisst. Endlich bist du wieder da.“

 

Ihm fehlten die Worte. Er war so überrascht, dass er nichts sagen konnte, und nahm sie einfach nur in den Arm, drückte sie fest an sich.

 

„Hey, nicht so doll, sonst bekomme ich keine Luft.“ Flüsterte sie ihm zärtlich ins Ohr.

 

So standen sie beide da, eng umschlungen und konnten vor lauter Glück kein weiteres Wort über die Lippen bringen. Das war auch nicht nötig. Die beiden Seelen, die im Herzen niemals voneinander getrennt waren, hatten sich nach zwei Jahrzehnten wieder gefunden. Worte hätten die wundersame Stille, die sie umgab, bloß gestört. Für sie war im gegenwärtigen Moment nur Eines wichtig: Miteinander vereint zu sein.

 

Baum lächelte den beiden im Herzen glücklich zu und ließ etwas Schnee von seinem Ast auf sie herunter rieseln, als würde er wie bei einer Hochzeit Blumen über sie streuen, um ihre Wiedervereinigung zu zelebrieren. Von nun an würden der Mann und die Frau auf ewig zusammen bleiben und Baum gemeinsam besuchen kommen. Und er würde sie im kommenden Frühling erneut mit dem Rascheln seiner Blätter begrüßen und die vielen kleinen Vögel für sie singen lassen.

 

Impressum

Texte: © Träumerin
Bildmaterialien: © Angelino Dali
Cover: © Träumerin
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2022

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