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Into the darkness

Heute ist mein letzter Tag. Mit dieser Erkenntnis sitze ich an meinem Fenster. Heute stellen Sie die Maschinen ab.

 

Leider sitze ich nicht wirklich am Fenster, denn das kann ich nicht mehr. Aber ich stelle mir vor ich würde es tun und dass kann ich mittlerweile so gut, weil ich darin so geübt bin, dass es sich realer anfühlt als das Bett mit den Schläuchen an das ich in Wirklichkeit gefesselt bin. Ist das die Wirklichkeit? Wenn ja, dann ist heute mein letzter Tag. Ich habe gehört wie sie darüber sprachen. Habe es fast gefühlt als die Tränen meiner Mutter meine Haut berührten, während meiner Vater den Arm um Sie legte und der Chefarzt seine oft genutzte Rede vom Stapel ließ. Die Kosten, die ich verursache, dass die Kasse nicht mehr zahlt, dass es sowieso keinerlei Zeichen von Bewusstsein mehr gegeben habe in den letzten Jahren. Ich wünschte ich hätte mich bewegen können, zeigen können dass ich noch da bin, aber das kann ich nicht. Alles was ich noch kann ist träumen. Ich träume davon am Fenster zu sitzen. Wenn ich dort sitze, beobachte ich die alte Trauerweide, die dort unten steht. Ich beobachte die Raben, die dort leben. Und in meiner Traumvorstellung stelle ich mir dann vor ich könne mein Bewusstsein übertragen. In einen dieser starken, schwarzen, gefiederten Körper. Aber natürlich kann ich das nicht. Dennoch kann ich es mir vorstellen. Wie ich mit Ihnen fliege, den Wind unter den Federn, wie ich esse und schmecke, wie sich meine Muskeln im Sturzflug anspannen.

 

In meiner Anfangszeit hier habe ich mir oft vorgestellt, wie ich mich bewege, wie ich Ihnen zeige, dass ich da bin, nicht nur mein Körper, sondern ich. Ich habe es mir tausendfach vorgestellt, wie ich es schaffe mit Ihnen zu kommunizieren, mich Ihnen mitzuteilen, aber ich konnte meine Vorstellungen nicht verwirklichen. Das war deprimierend. Wenn man sich vorstellt man sei ein Rabe und könne fliegen und dann kann man es doch nicht, dann ist es in Ordnung, denn es ist einfach nicht möglich und es war auch nie möglich, aber wenn man sich vorstellt man hebe eine Hand oder man öffne ein Auge, man atme aus eigener Kraft und diese Dinge sind unmöglich? Diese Alltäglichen Dinge? Irgendwann habe ich aufgegeben und da hörte ich zum ersten Mal die Raben. Seit diesem Tag fliege ich täglich mit Ihnen.

 

Und heute, heute ist mein letzter Tag. Ich sitze also am Fenster und ich beobachte das Spiel des Windes in der Trauerweide. Heute werde ich mit meinen Raben über das Krankenhaus fliegen. Ich höre schon die Schritte meiner Eltern. Die Verabschiedung scheint beendet zu sein, jetzt wird sicherlich bald jemand kommen um die Geräte auszuschalten. Also breite ich die Schwingen aus. Ich sitze auf meinem liebsten Ast und mache mich bereit zum Flug. Weil ich es kann, stelle ich mir heute vor es sei Nacht. Eine dunkle, tiefe Vollmondnacht. Ich lasse mich vom Wind davon tragen. Weit in die Dunkelheit, into the darkness.

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Tag der Veröffentlichung: 03.11.2013

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