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Dreimal

Dreimal… Wenn Viktoria nur bis drei hätte zählen können… Sie kannte nur eins, zwei und viele. Natürlich wusste sie auch, dass zwei ein Paar sein konnte, ein paar aber nicht für die Zahl zwei stehen musste.

Dreimal… Wenn sie sich nur auf zwei geeinigt hätten oder Viktoria zugegeben hätte, dass sie nicht bis drei zählen konnte, dann wäre nichts passiert. Aber es war ihr peinlich gewesen. Sie war schließlich bereits sechs und konnte trotzdem nicht weiter zählen als bis zwei. Es lag nicht daran, dass sie dumm gewesen wäre oder aus anderen Gründen beeinträchtigt. Nein, es lag daran, dass die Schule den Bomben zum Opfer gefallen war.

Die Macht der Zerstörung war überall gegenwärtig. Viktoria war ein Kind des Krieges. Der Krieg herrschte schon lange, so lange sich Viktoria erinnern konnte gab es keinen Frieden. Sie wusste nur, dass dieses Wort bedeutete, dass man nicht ständig von Soldaten kontrolliert würde, wenn man ins Dorf musste um die kleinen Lebensmittelrationen abzuholen. Ihre Mutter hatte ihr einmal erzählt, in Friedenszeiten könnte man draußen spielen ohne sich vorher nach Flugzeugen umschauen zu müssen.

Wenn sie bis drei hätte zählen können, hätte sie vielleicht noch mehr über den Frieden lernen können. Da sie nicht gelernt hatte bis drei zu zählen, war das letzte, das sie von ihrer Mutter lernte Abschied zu nehmen.

Als Viktoria zaghaft gefragt hatte, ob man nicht auch zwei nehmen könne, hatte ihre Mutter geantwortet: „Die meisten Menschen klopfen einmal, viele auch zweimal, aber kaum jemand klopft dreimal an eine Tür. Wenn es also an der Tür klopft, sei ein Schatz und öffne nur, wenn es dreimal klopft. Wenn nicht, sei ganz still, verstecke dich, wenn es geht und öffne nicht die Tür. Nein geh noch nicht, versprich mir erst, dass du mir gehorchst. Versprich es.“

Natürlich hatte Viktoria es versprochen. Sie wollte ihre Mutter nicht enttäuschen. Sie ging ins Dorf um die tägliche Ration abzuholen. Alles lief normal. Sie kam ins Dorf, wurde kontrolliert, bekam ein paar Kartoffeln und eine Scheibe Brot und ging zurück um ihrer Mutter etwas zu essen zu bringen. Ihre Mutter wäre selbst ins Dorf gegangen aber als sie noch als Krankenschwester im Dorf gearbeitet hatte, löste sich ein Schuss und der Sohn eines Lebensmittelgeschäfts zerschoss ihr so die Kniescheibe. Man brachte sie zurück ins Forsthaus und versorgte sie.

Nach ein paar Wochen, für Viktoria waren es einfach viele Tage, konnte ihre Mutter sich wieder bewegen. Sie humpelte, aber sie war dazu in der Lage ihr Bett zu verlassen. Seitdem hatte Viktoria viele Aufgaben übernommen, die ihre Mutter nicht mehr erledigen konnte.

Viktoria konnte nicht wissen, dass jemand bei ihrer Mutter gewesen war, während sie ins Dorf ging. Sie konnte auch nicht wissen, dass dieser jemand ihrer Mutter mitgeteilt hatte, dass Viktorias Vater endlich gefunden wurde. Man hatte ihn erschossen im Wald gefunden, er hatte auf einem Pfad gelegen, auf dem Soldaten im Gleichschritt gegangen waren. Man würde einen Boten schicken um das Dorf zu evakuieren, aber man habe keine Zeit mehr Elisabeth ins Dorf zu transportieren bevor der Spähtrupp das Dorf erreicht habe. Vielleicht hätten sie und ihre Tochter Glück und man marschiere an ihrem Häuschen vorbei. Viktoria konnte auch nicht wissen, dass ihre Mutter ihr deshalb dieses Versprechen abnahm als sie mit der winzigen Lebensmittelration wieder das Forsthaus betrat.

 

In der Nacht dann klopfte es. Eins, Zwei, noch mal, noch mal. Viktoria hatte es gehört. War das Dreimal? Sie wusste es nicht. „Es ist Vater. Er hat überlebt, er hat nach Haus gefunden. Es waren dreimal. Ich muss öffnen. Und wenn es nicht dreimal waren?“ Die Euphorie siegte über die Vorsicht. Viktoria öffnete die Tür. Sie war nicht leise, sie versteckte sich nicht. Und es hatte nicht dreimal geklopft. Aber das konnte sie nicht wissen. Dann ging es schnell, das Haus wurde gestürmt, überall Soldaten, ausländische Stimmen, Hektik, Wirrwarr, ein Schuss. Einer der Soldaten blickte ihr in die Augen. Er hob die Waffe, sah sie weiter an, dann senkte er sie wieder und rief den anderen etwas zu das Viktoria nicht verstand. Zwei Tage blieben die Soldaten in der Forsthütte, bis sie sich auf den Weg zum Dorf machten. Viktoria ließen sie zurück.

Die Soldaten hatten sie nicht in das obere Stockwerk gelassen, Viktoria erinnerte sich an den Schuss und hoffte das es nur das Knie war, oder ein Warnschuss.

Langsam stieg sie die Treppe hinauf. Sie näherte sich dem Zimmer ehrfürchtig, sie klopfte an die Tür und trat ein. Ein Blick genügte um ihr zu zeigen, dass sie nun nur noch eins tun konnte, Abschied nehmen.

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Tag der Veröffentlichung: 02.11.2013

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