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Der Kristallschlüssel

 

 

 

 

 

DER KRISTALLSCHLüSSEL

 

 

 

Ein fantastischer Roman,

von Micha Breest

 

 

 

 

 

 

 

„Yeah! Time!“

(David Bowie)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für

Daniel

3.2.1974 – 7.9.2009

 

 

(...und für den schönsten Schmetterling, der je die zarten Flügel flattern ließ im Wind.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

PROLOG:

 

Aetas Vigil war.

Er suchte den, der die Pfade seiner Eltern beschritt. Vater Mundus und Mutter Hora sandten ihn.

Der drei Meter große, silbergrau schimmernde, Muskel bepackte Körper, mit nichts weiter außer einem schwarzen Lendenschurz bekleidet, bewegte sich langsam vorwärts. Ruhig, konzentriert, stetig im gleichen Maße. Als könne er noch Hundert Jahre so weiter schreiten ( - Er konnte. - )

Dann blieb er stehen.

Weit entfernt vernahm er das Donnergrollen eines unsichtbaren Gewitters.

Alles an ihm war silbergrau, selbst seine Augäpfel. Nur die Peschschwarzen Pupillen die ins Leere starrten,als würden sie einen tausend Kilometer entfernten Punkt fixieren, hoben sich farblich ab.

Die großen anliegenden Ohren an seinem nahezu Quadratischen Schädel zuckten.

Aetas Vigil lauschte.

 

 

 

 

 

 

 

*

 

 

Paris 1847

 

Der schönste Schmetterling, der je die zarten Flügel flattern ließ im Wind, hob und senkte die Flügel. Die Morgensonne ließ den Perlmuttschimmer ihrer zarten Schwingen durch das Fenster reflektieren und flirrend durch den Raum schweben. Wie ein winziger Regenbogen tanzten alle Farben des Lichts über Elises Wange und kitzelten sie wach. Ihr Mundwinkel, nur der Linke, zog sich im Halbschlaf leicht nach oben. Das tat er immer, wenn sie an etwas Schönes dachte.

In Elises Traum hüpfte eine grau getigerte Katze, mit wild zuckenden Schwanzende, hinter dem wunderhübschen Schmetterling her.

 

-

 

Rumänien, in den Karparten, 1847

 

Victor Brasav war Holzfäller. Genau wie sein Bruder Igor und ihr Vater und selbstredend auch der Großvater und dessen Vater. Wenn man Victor Brasav glauben sollte, waren die Brasavs bereits Holzfäller, als es noch gar keine Bäume auf der Welt gab.

Victor hatte sich ziemlich hoch in die Berge gewagt, obwohl sich dort seit ein paar Monaten ein stattliches Rudel Wölfe etabliert hatte. Das hatte ihm Drago erst vor ein paar Tagen in der Taverne erzählt. Und der musste es wohl wissen.

Außerdem war er bereits näher am Schloß als es die anderen Holzfäller wagten. Doch er musste schließlich gleich Drei Söhne satt bekommen. Düster ragte das Gemäuer hoch über ihm auf. Finstere Wolken zogen über es hinweg und ließen seine Türme immer wieder in dunklem Nebel verschwinden.

Victor markierte die Bäume, die am nächsten Tag von ihm, seinem Bruder und Drei weiteren Helfern gefällt, entastet und hinunter ins Tal abtransportiert werden sollten.

Er band gerade einen roten Stofffetzen an eine kräftige Buche, als er in seinen Bewegungen erstarrte. Er riss seine Augen auf und jegliche Farbe wich schlagartig aus seinem Gesicht. Ihm wurde schwindelig, seine Knie wurden weich wie Butter und knickten ein wenig ein. Wie bei einer Marionette, der ein Puppenspieler für einen kurzen Moment zu viel Faden gegeben hatte.

Da blitzte etwas auf. Oben, im Schloß.

Zwei nebeneinander liegende Fenster entließen einen feinen hellen Nebel aus Licht in die von tiefgrauen Regenwolken durchsetzte Dämmerung.

Victor schluckte trocken. Den Blick starr auf das Licht gerichtet, griff er an seinen Hals und zog eine goldene Kette hervor. Er umschloss das daran baumelnde Kreuz eisern mit seiner Faust. Das Metall presste sich schmerzhaft in seine Handfläche. Doch das war für Victor völlig ohne Belang, er spürte es nicht einmal. „Er ist zurück gekehrt. Vlad Dracul ist in sein Schloß zurück gekehrt.“ erklärte er sich selbst tonlos, weil er nicht glauben konnte ( - wollte... - ) was er sah. „Der Herr steh uns bei...“ stammelte er. Victor ließ die restlichen roten Stofffetzen einfach fallen, drehte sich um und rannte.

 

*

 

Süd-Chicago, USA, Oktober 2008

 

Der Regen hatte ein paar Minuten zuvor aufgehört aber immer noch zogen dicke graue Wolken über die Dächer der sanierungsbedürftigen Altbauten der Chipak-Lane hinweg. Es sah fast so aus, als wollten selbst jene düsteren regenschwangeren Urgewalten diesen Teil der Stadt schleunigst hinter sich lassen.

In diesem Viertel sah man keine Geschäftsleute ( - nur solche, die sich so nannten... - ) und auch keine Touristen.Die meisten Bewohner dieses Teils der Stadt waren Schwarze.Die Arbeitslosen- und die Kriminalitätsrate bewegten sich seit Jahren stetig proportional zueinander nach oben.Was immer ein sicheres Zeichen für ganz mieses Karma in den städtischen Regierungskreisen ist. Entweder das, oder Unfähigkeit. Sucht euch was aus. Hugh Hefner würde hier nicht einmal durchfahren, geschweige denn eine Nacht verbringen. Die Mädchen die hier aufwuchsen landeten auch nicht in der Playboy Mansion, sondern allenfalls an einer der angerosteten Stangen in „Bernie´s Hot-House“ und später in einem der beiden schmuddeligen Hinterzimmer, um einem der abgebrannten Betrunkenen die letzten Fünf Dollar für einen halb gefaketen Blowjob aus der Tasche zu ziehen. -Hot girls and hot Coffie- stand in fast vergiblten Buchstaben über dem Eingang, gleich unter der irre machend flackernden Leuchtreklame. Schräger Elektropop aus den 80ern schepperte durch die Ritzen der Wände, deren Fugen und Isolierung im Laufe der fast Vierzig Jahre seit Bernie das „Etablissement“ übernommen hatte,genauso ihren Saft und ihre Spannkraft verloren hatten wie Bernie selbst.

Die musikalische Untermalung, zu der die Mädchen, - wobei diese Bezeichnung für einige unter ihnen bereits seit Zwanzig Jahren nicht mehr passend klang-, sich mehr oder weniger aufreizend bewegten, verlor sich jedoch in den Seitenstraßen recht schnell. Man hätte beim direkten Vergleich keinen großen Unterschied mehr zu dem Geräusch erkennen können, dass eine ziemlich magere grau getigerte Katze ein paar Meter weiter verursacht hatte, als sie von einem in einer kleinen Gasse abgestellten Chevy-Van auf ein Stück rostiges Wellblech am Boden gesprungen war. Ein Gewitterfeuerwerk ertönte. Nicht von den sich verziehenden Wolkenkolossen verursacht, sonder von dem scheppernden Blech auf dem Betonboden. Wie der billige Trick eines Puppenspielers der Kinderaugen erschrocken zusammenzucken und erstaunt drein blicken lässt, sorgte das Getöse dafür, dass die Katze panisch das Weite suchte.

 

-

 

Er wusste, dass ihn hier so schnell keiner suchen würde.

Wesslie lag zusammengerollt in dem dunklen Gang zwischen den beiden Appartement-Häusern, neben einem überquellenden Müllcontainer, auf einem ausgeklappten Karton mit der Aufschrift "Sony KDL-Flatscreen TV". Eine gammelige alte Decke mit mehreren kleinen Löchern und Rissen bedeckte den Jungen notdürftig.An einer Ecke machten sich kleine weiße Schimmelkreise daran, den wärmenden Schutz des Jungen zu annektieren. Er war kurz eingenickt und wurde von der immer schwerer werdenden Decke und einem lauten scheppernden Getöse in der Nähe aufgeschreckt.

Die Decke war plötzlich so schwer, da er seit mindestens einer halben Stunde im strömenden Regen gelegen hatte, bis die Nässe zu ihm durchgedrungen war.

Neben ihm an der Wand stand eine PET Cola-Flasche mit einem Rest Wasser. Die erste Seite einer halb in einer Pfütze liegenden Ausgabe der "Chicago Sun-Times" zierte ein zwei Jahre altes Klassenfoto Wesslies. Darunter stand in fetten schwarzen Buchstaben: "Brandstifter!" Es folgte ein reißerischer Bericht der mit folgenden Worten begann:

"Wer hat diesen Jungen gesehen? Der Dreizehnjährige W. ist seit Dienstag nachdem er das Kinderheim St. Joseph in der Fleetstreet im Keller des Hauses in Brand setzte, flüchtig. Das Tatmotiv des als sehr verschlossen geltenden Einzelgängers ( - sind sie das nicht immer? - ) ist bisher unbekannt.

Es gab vier Tote und zahlreiche Verletzte…"

Stöhnend und zitternd drehte sich Wesslie auf den Rücken sein Gesicht schmerzte immer noch höllisch. Wenn er es berührte konnte er die Unebenheiten und die nässenden, teilweise eitrigen Wunden fühlen. Er hatte Fieber seit gestern Abend. Das wusste er. Er wusste auch, dass er eigentlich in ein Krankenhaus musste. Die nun entzündeten Wunden würden von alleine nicht heilen. Doch er durfte sein Versteck nicht verlassen. Man suchte nach ihm und würde ihn sofort verhaften wenn er zu einem Arzt gehen würde. Für Brandstiftung würde er sicher ins Gefängnis kommen. Vielleicht bekämen sie ihn sogar wegen Mordes dran.

Er bereute seine Tat keineswegs. Sie hätten alle den Tod verdient, so wie sie ihn behandelt haben, vor allem der Pfaffe. ( - Ja, … vor allem der Pfaffe! - )

Mühsam stützte er sich auf und trank hastig einige Schlucke aus der Plastikflasche.Sein Kopf war heiß, er schwitzte,... oder war das der Regen? Es waren allerhöchstens 6 Grad, und er hätte sich am liebsten die Kleider vom Leib gerissen. Es ging ihm gar nicht gut, nein, gar nicht gut. Laut Stöhnend und ächzend, als wäre er ein Greis der sein Leben lang hart geschuftet hätte, richtete er sich langsam auf. Ihm war zum heulen zumute, doch er lächelte verbissen. Das Beste wäre es, dachte er, ich lege mich einfach wieder hier in den Dreck, in den Müll, und verrecke. Niemand mochte ihn. Niemand wollte ihn. Schon seine Eltern wollten ihn nicht. Sie hatten ihn als Baby ins Heim gebracht. Beide oder nur seine Mutter. Er hatte keine Ahnung. Woher auch,er war ein Säugling gewesen. Wäre er das nicht gewesen, hätte er sie...

Die alte Wut stieg in ihm hoch. Er ballte die Fäuste. Schmerz durchzuckte seinen rechten Handrücken. Er schloss die Augen und ließ sich an dem Müllcontainer herunter rutschen bis er kraftlos vor sich hin starrend hocken blieb mit dem festen Willen nie wieder aufzustehen.

Ein Geräusch schreckte ihn auf.

"Sssssssrt" machte es halblaut, gefolgt von einem leisen Knistern.

Er öffnete die Augen. Ein spitzer Schrei entfuhr ihm und er wich, die Hände aufgestützt,sich mit den Füßen abstoßend zurück an die Mauer. Direkt vor ihm stand ein großer, ganz in Schwarz gekleideter Mann. Seine Kleidung schien nicht aus einem der Kaufhäuser zu kommen in denen es die abgewetzten Klamotten gab, die er an sich trug. Ein vielleicht maßgeschneiderter Anzug.Aber er sah etwas seltsam aus, nicht der Mode entsprechend jedenfalls.

Er hatte einen auffällig gezwirbelten schwarzen Schnurrbart und dunkle Augen. Irgendwie war alles an ihm schwarz und düster, was natürlich durch ihren Aufenthalt in dieser, von düsteren Schatten durchwobenen Gasse noch erheblich verstärkt wurde. Sofort schoss Wesslie ein Bild in den Kopf.... Als er Fünf Jahre alt war, hatte er ein Buch. Das heißt, genau genommen war es Eddie Brix Buch, doch da Eddie ein Arschloch war und ihn ohne jeglichen Grund getreten hatte, hatte er ihm das Buch geklaut. Er hatte es hinter seinem Nachtschrank versteckt und nur hervor geholt, wenn niemand mehr in der Nähe war. Er konnte zwar noch nicht lesen, aber Nachts schaute er sich die Bilder an, immer und immer wieder. Das Buch hieß: „Der Zirkus ist da.“ Lustig angezogene Affen, majestätische Löwen,ein Zebra, witzige Clowns die sich gegenseitig mit Farbe bekleckerten und eine Reihe weißer Pferde mit roten Federn auf ihren Köpfen waren darin zu bestaunen.Und der Zirkusdirektor, ein großer, schlanker Mann, ganz in schwarz, mit einem Zylinder und einem großen gezwirbelten Schnurrbart.

Dieser Zirkusdirektor machte einen edlen, respektvollen Eindruck auf Wesslie, doch er war ihm auch immer etwas unheimlich gewesen, besonders Nachts, alleine, im Dunklen. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er alles was in seinem Zirkus vor sich ging mit seinen dunklen Augen ganz genau erfasste, und wehe einer hielt sich nicht an das Programm. Sein Programm... .

Hinter dem Unbekannten schwebte ein lila leuchtender, etwa zwei Meter langer, vertikal verlaufender Riss in der Luft. Die Naht war tiefschwarz und bewegte sich leicht wabernd hin und her. Als wäre die Welt nur eine bemalte Leinwand und jemand hätte mit einer Rasierklinge einen Schnitt hinein gemacht.

Angstvoll starrte der Junge den Mann mit dem finsteren Blick an, unfähig etwas von sich zu geben. Der Schreck hatte ihm die Kehle zugeschnürt.

"Hab keine Angst Wesslie." begann der Mann zu sprechen.

"Ich bin hier um dir zu helfen. Du kannst mich begleiten und mir zu Diensten sein. Einen armen verstoßenen Jungen mit einer solch ausgeprägten kriminellen Energie kann ich für meine Pläne gut gebrauchen." sagte er grinsend. "Wie sieht es aus? Ich werde dich heilen, dir Obdach, Nahrung und Geld geben. Du musst nur immer für mich da sein wenn ich dich brauche. Für kleine Gefälligkeiten. Verstehst du das mein Junge?" Der Mann blickte Wesslie durchdringend an.

"Was..., wer seid ihr? Was ist das lila Ding dort, wieso redet ihr so... und wieso kennt ihr meinen Namen?" schossen die Fragen aus dem verwirrten Jungen.

Der Mann warf seinen Kopf in den Nacken und lachte kurz und heftig auf um gleich darauf wieder zu verstummen.

"Du stellst viele Fragen mein Junge. Gewöhn dir das ab!" fuhr er in an. Wesslie zuckte zusammen. Sogleich setzte der Mann wieder ein freundliches Lächeln auf.

"Wesslie, ich möchte das du kurz über etwas nachdenkst."

Während er redete schritt er nun, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf und ab.

"Du liegst krank im Dreck. Du wirst wegen Mordes gesucht.

Niemand auf Gottes weiter Welt mag dich." gab er seufzend gen Himmel blickend zu Protokoll.

Er machte eine Pause.

"Außer mir!" fuhr er, fast zärtlich,fort. " Es gibt noch ein paar andere armselige Burschen auf meiner Liste die ich als Helfer gebrauchen könnte. Mir ist es einerlei, aber du musst dich jetzt entscheiden ob du diese Welt, die dich so behandelt nun verlassen willst, oder ob du weiterhin hier im Dreck liegen bleiben möchtest." Er beugte sich zu ihm hinab und sah ihm tief in die ängstlichen Augen.

"Wie ist deine Antwort?"

Wesslie überlegte. So etwas gab es eigentlich nur in Comics.

So etwas konnte nicht wirklich sein. Andererseits, hatte er vielleicht so viel erdulden müssen um jetzt belohnt zu werden? Der Mann hatte Recht. Was hatte er schon zu verlieren. Hier würde er, selbst wenn er nicht in dieser Gasse verrecken würde kein wirkliches Leben haben.Natürlich war dieser Mann nicht ganz dicht, aber er schien Geld zu haben, und … Macht! Ja, das spürte er. Wahrscheinlich war er eine Art Gangsterboss, auch wenn das heute nicht mehr so hieß wie in den alten Filmen aus einer Zeit als er noch lange nicht auf der Welt war ( - ...ausgesetzt wurde! - ) Und er musste irgendwas tun, vor allem wegen der Wunden, sonst holte er sich noch eine beschissenen Blutvergiftung. Diane Miller aus der Brandstreet hatte mal eine und hätte fast den Löffel abgegeben. Man musste ihr das linke Bein bis zum Knie abnehmen, weil ihre Eltern in so einer Sekte waren, die keine Ärzte und auch keine Antibiotika erlauben. Am Ende wurde Diane von einer ganzen Mannschaft Polizisten, mit Gewalt ins Krankenhaus geschafft.

Trotzdem zögerte er noch ein wenig. Der Mann wurde scheinbar ungeduldig. Seine Mine verhärtete sich zusehends.

Wesslie wollte sich später nicht einmal vorwerfen müssen vielleicht die Chance seines Lebens verpasst zu haben.

Er antwortete kurz entschlossen:

"Also gut ich gehe mit euch Herr...?"

"Hahaha!"Wieder erklang das kurze laute Lachen. "Herr reicht schon, mein Junge. Das gefällt mir!"

"Gut… Herr, und wo gehen wir hin?"

"Die Frage, Wesslie, ist nicht wohin wir gehen sondern wonach wir gehen."

Wesslie runzelte fragend die Stirn, ergriff aber die Hand die ihm der "Herr" entgegenstreckte und ihm aufhalf.

Er führte den Jungen zu dem lila Riss, schob mit der freien Hand eine Seite soweit herüber, wie einen Vorhang, dass die nun entstandene schwarze Öffnung breit genug war. Sein Griff wurde fester und er verschwand, Wesslie hinter sich herziehend, in dem dunklen Loch.

 

-

 

Ihr grau getigertes Fell stellte sich Haar für Haar auf.

Sie hatte schon so einiges gesehen, in ihrem Leben. Die Geschickteste war sie nicht mehr, das hatte sie vorhin selbst einmal mehr bemerkt. Früher, als sie noch jung und kräftiger war, wäre ihr das nicht passiert. Keine Maus bleibt an ihrem Platz, wenn man sich so anschleicht.

Was solls, die alte Frau an der Ecke, mit den dutzenden von Eimern mit Blumen in allen Farben, deren geballte Geruchsintensität sie einmal so sehr verwirrt hatte, dass sie fast von einem alten Dodge überrollt worden war, verhinderte dass sie verhungern musste. Sie hatte sich damals schützend vor sie gestellt. Seitdem bekam sie hier jeden Morgen um 8 Uhr ihre 200 Gramm Schale feinstes Futter.Es war nicht viel, für eine herum stromernde Katze wie sie. Erst recht nicht wenn man immer seltener eigene Jagderfolge zu verzeichnen hatte,aber es sicherte ihr Überleben.

Doch das war nicht das einzige Mal, dass sie dem Tod knapp entkommen war.

Das erste Mal natürlich als sie gerade Sieben Wochen alt gewesen war, und der Mann der nach Schweinen roch sie in den Sack gesteckt hatte. Zusammen mit ihren Drei Geschwistern. Sie kann sich nicht erinnern was dann geschah, aber am Ende waren ihre Geschwister nass und tot, und sie war ebenso nass, aber nicht tot. Und dann hatte eine kleine Hand sie aus der stinkenden Mülltonne gefischt, mitten raus aus ihren inzwischen kalt gewordenen Brüdern. Ja, sie war die einzige Weibliche gewesen. Und dann, das beißende unsichtbare Ding das vor ein paar Jahren dafür gesorgt hat dass ihr Schwanz nun Drei Zentimeter kürzer war. Sie war so schnell sie ihre Füße trugen nach Hause gerannt und das Mädchen das sie damals aus der Mülltonne gefischt hatte, brachte sie zu Dr. Hunter ( - was für ein Name für einen Tierarzt... - ), der ihr das schmerzende aufgeplatzte Ende ihres Schwanzes amputieren musste. Vielleicht tat sie sich auch deshalb manchmal etwas schwer mit dem springen... . Und dann das Schlimmste..., als das Mädchen starb. Sie hatte es in sich gehabt, das hatte sie gerochen, schon lange bevor es alle anderen wussten.

Ihre Eltern hatten danach viel zu viel mit sich selbst zu tun, als sich um eine Katze zu kümmern. Sie fütterten sie nur noch alle Zwei bis Drei Tage. Und dann waren sie plötzlich weg. Neue Leute zogen in die Wohnung die so lange

ihre Heimat, ihr Zuhause gewesen war. Diese Leute nannten sie nicht Mietzi, wie das liebe Mädchen, sondern „Scheißvieh“ und warfen Steine nach ihr. Nach Drei Wochen gab sie auf und verzog sich in die umliegenden Straßen. Sie war wieder bei den Mülltonnen gelandet... .Oh ja, sie hatte schon so einiges durch und gesehen, aber so etwas seltsam verrücktes noch nicht.

Es gab einmal eine Band mit dem Namen: Curiosity kills the cat.“. Nun denn..., aber was kann eine Katze schon tun wenn sie Neugierig ist? Es war fast wieder weg. Die beiden Menschen waren einfach hineingeschlüpft wo in ihren ganzen 10 Jahren niemals etwas zum hineinschlüpfen gewesen war. ...Es war vielleicht grad noch so hoch wie sie, und sie war etwa Fünf, vielleicht Sechs Meter entfernt...,. - Ihr Kopf klebte am Boden, ihr kurzer Schwanz zuckte ohne erkennbares Muster hin und her als stände er unter Strom.Ihre instinktiven Gehirnimpulse arbeiteten auf Hochtouren.

- … das reicht für eine Katze immer noch locker.

 

-

Auf der anderen Seite standen Wesslie und der Mann in Schwarz nun in einer Art schwebendem blaßviolettem Gang der nach rechts und nach links führte.

Der Mann fuhr mit einem Gegenstand den Riss entlang, welcher sich daraufhin augenblicklich schloss. Dieser Gegenstand war ein Zehn Zentimeter langer Daumendicker Kristall um den sich eine dünne lilafarbene Röhre wand, wie die Natter um den Aesculapstab. Der Kristall war von außerordentlicher Reinheit und steckte in einem T-förmigen schwarzen Einsatz. In der Hand des Mannes sah er aus wie ein umgedrehtes Kreuz.

Nun tippte er auf einer Art Touch-screen Tastatur auf der Unterseite der schwarzen Einfassung Zahlen und Buchstaben ein.

(- War da was? Irgendwas oder ...irgendwer? War an Wesslies rechten Hosenbein vorbeigehuscht... -)

"Bleib bei mir und werde nicht langsamer!" raunte der “Herr“ ihn an und ging los.Hastig taperte er hinter dem Mann her.

Sie schritten einige Minuten durch den Gang. Wesslie spürte einen fast Gummiartigen Untergrund. Außer dem schwachen Leuchten des Kristalls in der Hand des Mannes, gab es nur schwaches Licht von in unregelmäßigen Abständen, vertikal verlaufenden Linien an den Wänden, die ebenfalls leicht lila glimmten. Er konnte wahrnehmen, dass die Gänge unterschiedliche Durchmesser hatten und sich manchmal ein wenig zu bewegen schienen. Aber das konnte auch an seinem Zustand liegen. Schließlich hatte er Fieber. Plötzlich bekam er den Gedanken, dass er sicher gleich aufwachen würde und über sich selbst lachen müsste. Was für ein Traum... .

Das Leuchten des Gegenstandes wurde immer wieder leicht reflektierten, als wären sie in einem alten Erz-, oder Silberstollen. Allerdings fühlte es sich für Wesslie irgendwie eher so an, als würde er durch die Eingeweide eines vorsintflutlichen riesigen Monstrums wandern und jeden Moment von einem Schwall stinkender Brühe erfasst um in einen See aus Magensäure gespült zu werden und um dort bei lebendigem Leib, vor schmerzen schreiend seiner eigenen Zersetzung beizuwohnen. Alle paar Meter passierten sie jetzt einen lila wabernden, aber geschlossene Längsstreifen. Sie waren wie der in seiner Gasse, wie der durch den er von dem ( - Zirkusdirektor..., da war er wieder... - ) von dem Mann gezogen wurde. Hin und wieder gingen erneut andere Gänge in verschiedene Richtungen ab ( - Ein Irrgarten. - )

"Diese Abzweigungen in die du so interessiert hinein starrst sind tabu.“ Anscheinend beobachtete der „Herr“ ihn sehr genau. „Dort hast du nichts verloren. Es lauern dort mitunter Gefahren, die du nicht einschätzen kannst. Merk dir das für den Fall das du einmal alleine durch die Tunnel gehen musst. Aber das wird in den nächsten Jahren nicht geschehen. Du musst zuvor noch viel lernen und deine Loyalität beweisen.“

Die Fläche mit der Tastatur auf der Unterseite des Kristalls begann mit einem Mal in Abständen von etwa einer Sekunde einen Piepton von sich zu geben. Der Mann verringerte sein Schritttempo. Die Abstände des Piep-Geräusches wurden immer kürzer bis sich ein durchgehender Ton einstellte.Als hätte er gerade am Sandstrand von Venice beach mit einem Metalldetektor einen Schatz,...oder einen alten Löffel, aufgespürt. In diesem Moment blieb er stehen und drehte sich zu dem Streifen neben dem er jetzt stand. Er berührte eine Stelle an dem Kristall und der Touch-Screen Bildschirm wurde von einem Deckel automatisch verschlossen.

Er hielt den Kristall an den Streifen.

Das Geräusch das ihn vorhin aufschrecken ließ ertönte erneut."Ssssssssrt". Gefolgt von dem Knistern. Wieder schrieb er mit dem seltsamen Ding in seiner Hand eine vertikale Linie in die Luft, genau an dem schwarzen Streifen entlang. Dieser begann noch heller lila zu leuchten und ließ sich dann wie einen Vorhang öffnen.
"Komm!" sagte der Mann in schwarz und sie durchschritten den Riss.

 

*

 

Paris, Frankreich August 1847

 

Die strahlenden Gesichter von Josephiné und Jacques bewegten sich aufeinander zu, bis sie sich in einem anrührenden Kuss miteinander verbanden.Lautstark setzte sich die Orgel in Gang und ließ das Gotteshaus, etwas zu drohend für solch einen glückseeligen Anlass, erzittern.

Die Gäste klatschten,Madame Clodette, die Le Clerk Zwillinge - natürlich beide -, und selbstredend Jerome´ Detrout brachen in Tränen aus, die über seine leicht mit Rouge versehenen, glatten Wangen kullerten. Zart, mit einem abgespreizten kleinen Finger, tupfte er sie sich mit einem blaßrosa Tüchlein ab. Jerome´ Detrout machte keinen Hehl daraus das er dem eigenen Geschlecht zugetan war und seine offenbar in ihm steckende Weiblichkeit stellte er manchmal, mit Vorliebe auf solch Gefühlsbeladenen Feierlichkeiten, ziemlich kokett zur Schau. Was nicht allen gefiel, aber insgesamt waren die Franzosen da sehr offen und fortschrittlich. Sie hatten als erstes europäisches Land bereits 1791 sämtliche Strafen für gewissen Umgang unter Gleichgeschlechtlichen Personen, ersatzlos gestrichen. In Deutschland oder England, - Oscar Wilde würde bald ein Lied davon singen, bzw. ein Buch darüber schreiben können -, hätte man Jerome´längst ins Zuchthaus geworfen.

Der alte Pater Frere´ der in der ehrwürdigen Kirche Eglise du val-de-grace die Trauung vollzogen hatte lächelte wohlwollend, als das frisch vermählte Paar die Kirche verließ um den Gästen ins Freie zu folgen.

Es war ein herrlicher Augusttag, und die Sonne strahlte als wäre sie selbst die Brautmutter. Der mächtige, wie aus einem Märchen entwendete und ein paar Meter neben der Kirche wieder eingepflanzte uralte Tulpenbaum diente als Sonnendach für die zahlreichen Gäste. An seinem Fuß hatte man kleine Tische mit weißen Deckchen aufgestellt. Köstliche Pralines und Champagner standen bereit. Gleich würde beides von den hungrigen und durstigen Kirchgängern dankbar angenommen werden. Es wäre sicher nicht gelogen, zu behaupten dass ein paar der Gäste nur deswegen so früh erschienen waren. Die Wiese war erst vor ein paar Tagen ge-Schaft, oder wie manche scherzhaft sagten „ge-mäht“ worden, und war daher noch schön kurz.

Zwei Schmetteringe mit zarten Flügeln und Mustern in Schwarz und Orange, der eine leuchtend intensiv, der andere etwas matter, flatterten aufgeregt in der Luft und tanzten miteinander. Ein Pärchen, das anscheinend eine Doppelhochzeit an diesem würdevollen Ort für passend hielt, dachte Elise glücklich schmunzelnd. Dabei zog sie ganz leicht den linken Mundwinkel nach oben, was sehr süß bei ihr aussah, fand ihr Vater jedenfalls. Sie kam mehr nach ihm, im Gegensatz zu ihrer Schwester, die Maman sehr ähnlich sah. Einzig das hellblonde Haar hatten sie gemein. Elise liebte Schmetterlinge, obwohl das gar nicht zu ihrem Wesen passte, irgendwie..., doch jetzt wäre sie gerne

Barfuß auf der kurz geschnittenen Wiese mit den kleinen fliegenden Elfen umher gehüpft.

Doch jetzt hatte sie erst einmal etwas anderes zu tun. Eilig kramte sie mit beiden Händen in den Seitentaschen ihres Kleides, die eigentlich für ein Ziertüchlein oder eine Puderdose gedacht waren. Da Elise weder das Eine noch das Andere benutzte, hatte sie Platz für je eine Hand voll ungekochten Reis.

Da kamen die Beiden ja.

Elise empfing ihre Schwester und ihren „stabil“ gebauten Ehemann am Fuß der breiten Treppe mit einem ebenfalls breiten Grinsen und warf sogleich den Reis mit Schwung über das überraschte Paar.

"Hey, was soll das denn?" fragte die hellblonde, gertenschlanke, Josephiné lachend. Ihr glattes schmales Gesicht hatte einen makellosen Teint, ihre hellblauen Augen leuchteten und sie zeigte ihr gütiges Lächeln.Es muss Stunden gedauert haben ihre Haare so wunderbar aussehen zu lassen, dachte Elise. Aufwendig gedrehte Locken türmten sich in die Höhe und an den Seiten auf, alles lag perfekt. Elises, ebenso blonden, aber kräftigeren Haare waren heute natürlich auch frisiert. Aber sie lagen relativ glatt und hatten nur im Nackenbereich, zum Haarende hin ein paar Wellen bekommen. Und dazu hatte ihre Mutter sie regelrecht genötigt. Ihr selbst lag nicht viel an solchen Dingen. Wäre Maman nicht gewesen, wäre Elise schon des öfteren ungekämmt und noch halb im Unterrock in die Stadt marschiert. Doch der Anblick ihrer geliebten Schwester ließ sie nun verzückt die Hände vor dem Kinn zusammenlegen. ...Und das Kleid erst einmal.Es war rein weiß, ausladend und mit allerlei Spitzen versehen.Es stand ihr ausgezeichnet. Elise war stolz auf ihre große Schwester.

"Das ist ein chinesischer Brauch. Er soll für zahlreiche Kinderlein sorgen. Hat mir Ling-Sung erklärt", antwortete Elise ihrer Schwester fröhlich.

Ling-Sung war Gärtner in dem recht wohlhabenden Hause der Familie.

Jacques riss gleichzeitig Mund und Augen auf, während er wie ein Schuljunge den Zeigefinger hob als wolle er Einspruch erheben. Oder zumindest das „zahlreich“ im Bezug auf die “Kinderlein“,noch einmal in Ruhe durch zu diskutieren.Er hatte einen maßgeschneiderten dunklen Anzug an. Darunter ein strahlend weißes Seidenhemd. Nun..., bis auf den kleinen dunkelbraunen Fleck unten links, der ihm einen Klaps auf den Hinterkopf seitens Josepine eingebracht hatte. Jacques hatte kurz vor dem losgehen, schon fix und fertig umgezogen und ausstaffiert, unbedingt noch kurz etwas zu Charlotte, ihrer Köchin und Hausdame, sagen müssen, etwas wichtiges, wegen der Feier. Wie sein Finger dabei unentwegt zwischen Soßentopf und Mund hin und her wandern konnte war ihm selbst rätselhaft gewesen, aber sie sei wirklich gut gelungen, die Soße, das müsste er schon sagen. Darauf folgte von ihm nur noch ein „Au!“. Gut dass das Sakko, wenn es geschlossen war, den Fleck verbarg.Aber lange konnte Josephine Jacques nicht böse sein. Er war ein herzensguter Mensch mit einem freundlichen runden Gesicht und, sagen wir, kräftiger Statur. Er mochte es gerne gemütlich. Sport oder lange Wanderungen waren ihm ein Greuel. Als Architekt verbrachte er viel Zeit, sitzend vor dem Reißbrett, am liebsten mit einer Tasse Kaffe, oder einem kleinen Cognag, und Buttercremetörtchen. Das lag ihm. Er hatte schwer zu zähmendes, wuscheliges dunkles Haar und gute braune Augen, wie die von Elise. Das hatte Josephine gleich bemerkt und das hatte ihre Entscheidung für Jacques, sicher auch unbewusst ein wenig beeinflusst.Und er liebte Josephine über alles, das merkte man sofort. Elise mochte ihn sehr.

Ihre Mutter, die ein gutes Bild von dem abgab, wie wohl Josephine´ in Zwanzig Jahren aussehen mochte, seufzte und bedachte Elises Aktion mit einem Kopfschütteln. Josephiné war spindeldürr wie ihre Mutter ( - So bezeichnete es ihr Großvater Roman... - ). Elise war nicht dick, jedoch hatte sie mehr von dem kräftiger gebauten Zweig ihrer Familie väterlicherseits abbekommen. Womit sie durch die breiten Hüften, die rundlichen roten Wangen und den üppigen Busen allerdings auch wesentlich weiblicher aussah als ihre Mutter und ihre Schwester ( - Auch das sagte ihr Großpapa, und sie mochte ihn dafür noch mehr als sowieso schon. - ).

Ihr Vater konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, woraufhin die Frau Mama ihn mit einem strengen Seitenblick zur Contenance ermahnte.

Alle Gäste hatten sich vor der Treppe aufgebaut und jubelten dem Brautpaar fröhlich zu. Ein paar der Gäste schienen sich bereits heimlich an dem Champagner bedient zu haben und jubelten dementsprechend noch fröhlicher und lauter als die übrigen.

Nun war Josephiné an der Reihe etwas zu werfen. Sie holte ein hellblaues Strumpfband aus ihrem hübsch bestickten Handtäschen hervor und warf es in Richtung der aufgereiht stehenden Junggesellen welche sich an vorderster Front versammelt hatten. Einige wichen dem Band tunlichst aus. Einige andere gerieten dagegen in ein regelrechtes Handgemenge im Kampf um die Chance mit Ergatterung des Kleinods der nächste potentielle Bräutigam zu werden.

Nach dem kurzen Champagnerempfang fuhr die ganze Gesellschaft zum Haus der Familie wo die Haushälterin, heute mit Hilfe einiger anderer für diesen Tag engagierter Dienstboten, ein feudales Mahl aufgefahren hatte.

Es wurde vorzüglich geschlemmt, viel gelacht und erzählt. Gläser klirrten und ein Trinkspruch folgte dem nächsten, wobei die Sprüche, - und das liegt in der Natur von Trinksprüchen -,mit fortschreitender Zeit unverständlicher, dafür aber lauter vorgetragen wurden. Monsieur Beck schaffte es sogar seinen Toast zwei Mal vorzubringen, ohne das ein gutes Drittel der Anwesenden es bemerkt hatte. Irgendwo hörte man Mademoiselle Chloe´gespielt empört „Monsieur Detroux!“ ausrufen. Worauf Jeromes fröhlich gackerndes Lachen erschallte, was sich sofort unaufhaltsam verbreitete. Wie die Wellen an der Oberfläche eines Teiches in den ein Stein plumpst. Es trifft einen und man lacht mit, ob man will oder nicht. Das ist eine schöne Gabe,dachte und lachte auch Elise, die neben ihrem Großvater saß.

Ihre Großeltern väterlicherseits, Roman und Francine, waren extra aus Reims angereist. Elise liebte ihren Großvater. Er stammte ursprünglich aus Rumänien. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte er in Cluj-Napoca, der Hauptstadt Siebenbürgens gewohnt. Dann hatte es ihn auf der Suche nach Arbeit nach Frankreich verschlagen. In Paris fand er eine gut bezahlte Anstellung als Maurer. Er verliebte sich in eine Französin, Elises Großmutter, heiratete sie und baute schließlich einen eigenen Baubetrieb auf, den Elises Vater als erstgeborener Sohn vor fünfzehn Jahren übernommen hatte. Großvater Roman hatte immer darauf gedrängt den beiden Enkeltöchtern auch seine Muttersprache zu lehren.Ihr Vater ließ daher einmal in der Woche eine Dame die aus Bodzavasar, südöstlich der Karparten stammt ins Haus kommen, die diese Aufgabe übernommen hatte.Gottlob hatte Elise, im Gegensatz zu Josephine´die ihr dafür im musischen und häuslichen haushoch überlegen war, ein gewisses sprachliches Talent und vor allem Interesse. Entsprechend rasch machte sie Fortschritte. Daher konnte sich Elise nun eine ganze Weile mit ihrem Großvater, zu dessen Freude, auf Rumänisch unterhalten.

Zum Abend hin begann ein rauschender Ball, für den das Esszimmer zunächst geräumt werden musste um Platz zu schaffen. Elises Vater nagte sicher nicht am Hungertuch, aber einen Palast besaßen sie auch nicht. Derweil hatten sich die Männer ins Raucherzimmer ihres Vaters zurückgezogen und die Damen machten einen Spaziergang durch den Garten, auf den ihre Maman besonders stolz war, auch wenn der größte Verdienst hier sicherlich Lin-Sung zuzusprechen war, der gerade jedoch den Musikern half, ihre Instrumente herein zu tragen und zu positionieren, damit der Klang auch den Raum befriedigend ausfüllt.

Elise nutzte das momentane Gewimmel und zog sich, in ihren Augen gerade noch rechtzeitig, vor Beginn der Tanzveranstaltung zurück. Sie hatte kein sonderliches Interesse daran sich von einem der anwesenden feinen Herren zu einem Menuette auffordern zu lassen.

Vor allem nicht von Jean de Focard, diesem hässlichen arroganten Gnom. Seit er am frühen Nachmittag zufällig im Rahmen der Rangeleien das Strumpfband ergattert hatte schielte er unablässig zu ihr hinüber. Wenn sich ihre Blicke beim Umherstreifen mal wieder in seine verirrten grinste er sie sogleich an, wobei er auf das blaue Band deutete welches er dann eilig mit zwei Fingern demonstrativ hochhielt. Jean de Focard war nicht nur hässlich, dafür konnte er ja nichts. Er hielt jedoch offenkundig nicht viel von Reinlichkeit oder Duftwassern. Sie fand das er stank, jawohl das tat er. Es hatte schon was wahres, wenn man sagte, man könne diesen oder jenen nicht riechen. Jean de Focard konnte Elise jedenfalls nicht riechen. Außerdem war er ein Widerling der den Bediensteten nachstellt. Das wusste sie von Monique Hulot, der Tochter ihrer Nachbarn, die wiederum die selbe Klasse wie die Nichte Jeans besuchte.

In einem unbeobachteten Augenblick hatte Elise den Rückzug durch die Küche angetreten. Mit einem vor den Mund gehaltenen Zeigefinger gab sie Madame Turodon, ihrer Hausdame die gerade dabei war erneut silberne Tabletts mit kleinen Häppchen anzurichten, zu verstehen dass sie über ihre Flucht Stillschweigen bewahren solle.Madame Turodon stämmte beide Fäuste in ihre Seiten und die kräftige Dame baute sich selbstbewusst vor Elise auf. Sie war vergangenen Herbst Sechsundfünfzig geworden und nun schon seit mehr als Dreißig Jahren im Haus ihrer Familie tätig.Nachdem sie kurz prüfend die Augen zusammen kniff, setzte sie ernst an: „Moment, junge Dame!“ Elise zuckte kurz zurück. Doch schon zeigte sich wieder das altbekannte freundliche Grinsen. Mit einem Augenzwinkern steckte sie ihr einen noch warmen Schokoladenkeks in die Hand. Bevor Elise auch nur danke sagen konnte scheuchte Madame Turodon sie verschwörerisch um sich blickend zu der kleinen Tür die durch den duftenden Kräutergarten in den eigentlichen Garten ihres Elternhauses führte.

Leise schlich sie abseits der, von Likör und Champagner, lustig zwitschernden Damenriege,in das kleine Gartenhäuschen das ihr Vater im letzten Jahr zu ihrer Freude am unteren Ende des Grundstücks, hinter ein paar leuchtend rot blühenden Sommerfliederbüschen errichtet hatte. Duftende Margeriten-Bäumchen und violette Gladiolen wuchsen in dem kleinen Beet das davor angelegt war.Er hatte es mit Natursteinen gemauert und für Fenster, Tür und das Dach gutes Eichenholz verwandt. Zwei kleine Fenster, halb eingewachsen von einer gelb blühenden Kletterrose, die gerade dabei war auf das leicht schräge Dach vorzustoßen, ließen einen kurzen Blick in das Innere zu. Hier fand sich nichts was an ein Herrenhaus erinnerte. Hier war alles klein und schlicht.Ein einfacher Sessel mit Beistelltisch, eine Kommode und ein kurzes Regal mit allerlei Schnickschnack, Figuren und Tinnef, den ihr Vater manchmal von Kunden geschenkt bekam, der aber von Mutters kritischen Augen keinen Zuspruch fand,ein Bärenfell auf dem dunklen Bootsdielenboden in der Mitte der vielleicht Fünfzehn qm großen Hütte,( - aus den selben genannten Gründen - ), und eine Kerze in einem aufwendig gestalteten Porzelanständer mit goldenen Verzierungen auf dem Tisch, das war auch schon alles.

Hier hatte sie ihre Zuflucht gefunden. Viele Stunden hatte sie dort bereits verbracht.

Knarrend öffnete sie die kleine Tür und huschte rasch hinein.Mit einem wohligen Stöhnen ließ sie sich in ihren geliebten Korbsessel mit den weichen, weißen Kissen sinken. Unter der Platte des kleinen Tisches neben ihr befand sich ein Schubfach. Sie öffnete es und zog ein Buch hervor.

Elise verschlang die hier versteckten Bücher regelrecht, wann immer sie sich davonstehlen konnte. Doch nicht etwa romantische Abenteuer fesselten sie an ihren Sessel. Es waren durchweg wissenschaftliche Abhandlungen die in ihr Begeisterung hervorriefen. Motorbetriebene Kutschen, Apparate die Bilder von allem und jedem machen konnten, Elektrizität, Mechanik. Das war ihre Welt. In der neusten Ausgabe des "Moniteur Universel" hatte sie gestern erst von einem groß angelegten Treffen von mehr als einhundert Wissenschaftlern im Rumänischen Bukarest in zehn Tagen gelesen. Das war ihr Wunschtraum. Mehr als alles in der Welt wollte sie dorthin.

Es sollten sogar Frauen anwesend sein hieß es. Natürlich machte sich die Zeitung über diese Tatsache lustig.

Von wegen man würde dort sicher neue Verfahren des Bestickens von Tüchlein oder der Bereitung von Creme Brulee

erfahren. Aber das ärgerte Elise nur noch formal. Sie war diese Einstellung ja gewohnt.

Gestern hatte Elise, am Abend als alle schon schliefen, ihrer Schwester ganz leise, als würde sie ein Verbrechen planen, von der Tagung in Bukarest erzählt und wie gerne sie dort hin wollte.

Außerdem würde sie so endlich einmal das Heimatland ihres Großvaters kennenlernen. Am liebsten hätte sie ihm gleich davon erzählt. Er hätte sich sicher gerne mit ihr auf den Weg gemacht. Aber sie wusste dass dies unmöglich war.

Großpapa war fast achtzig und schon die Reise von dem nicht weit entfernten Reims hatte ihn und Großmutter sehr angestrengt. Beide hatten sie sich auch bereits erschöpft in ihre Schlafgemächer zurückgezogen.

Josephine brachte sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, wie sie es ausdrückte.

"Elise! Vater würde so etwas nie erlauben. Das weißt du.

Erstens ist die Reise viel zu lang. Stell dir nur mal vor was alles geschehen könnte. Und überhaupt. Du bist eine Frau!"

Daraufhin hatte Elise natürlich wie üblich mit den Augen gerollt. Sie hasste es das ihre eigene Schwester sich so in ihre Stellung fügte.

Trotzig war sie in ihr Zimmer verschwunden ohne sich von Josephiné und Jacques zu verabschieden die seit gestern in ihrem eigenen Haus unweit des Arc de Triumph wohnten.

Vor vier Jahren war sie fast jeden Tag an dieser Stelle gewesen und hatte interessiert dabei zugeschaut wie das bombastische Bauwerk errichtet wurde.

Elise brachte die nächsten Stunden damit zu, im Schein der Kerze,Seite um Seite ihrer neuesten Literarischen Errungenschaft zu verschlingen.

Es war schon sehr spät geworden und stockfinster als Elise gähnend wieder ins Haus zurückging. Eine Kutsche fuhr gerade vor und sie konnte gerade noch hinter einem blühenden Hortensienbusch abtauchen, bevor die de Focards mit ihrem "Gnomen-Sohn" einstiegen und davon fuhren.

"Puh! Na so ein Glück!" sagte sie sich selbst und legte voller Erleichterung ihre Hand aufs Dekollete´, als sie die Treppe zum Haus hinauf lief.

Nur noch vereinzelte Gäste befanden sich, nun deutlich ruhiger geworden, im Inneren.

Elise sagte brav Gute Nacht und begab sich zur Nachtruhe in ihr Schlafgemach.

 

*

 

Am nächsten Morgen hatte sich Elise gerade von ihren Großeltern verabschiedet,und war wieder ins Haus gelaufen um bei Madame Turodon vielleicht noch einen ihrer verführerischen Zitronentörtchen von der Hochzeitsfeier zu ergattern. Sie wusste das gestern ein paar davon übrig geblieben waren. Ja ja, sie sollte etwas Obacht geben. Solche Törtchen und ähnliche Leckereien denen Elise so schlecht widerstehen konnte schlugen sich immer sehr rasch und sehr ordentlich auf ihren Hüften nieder. Aber wenn es doch soo gut schmeckt... Ihr lief beim Weg in die Küche bereits das Wasser im Mund zusammen, da rief ihre Maman sie zu sich als sie gerade das Nähzimmer passierte und machte ihr eine überraschende, wenn auch für sie selbst nicht sehr schockierende Mitteilung.

"Meine liebe Elise,“ sagte sie mit Tränen in den Augen. Sie saß auf ihrem mit rotem Samt bezogenen Stuhl, ein Kleid auf ihrem Schoß, eine Nadel zwischen den Fingern.„Großmama Marie-Claire, meine Maman, sie ist verstorben!

Du weißt sie war lange krank und nun hat der Herr sie zu sich genommen."

Elise war bestürzt, jedoch nicht sonderlich traurig.

Sie hatte Großmama Marie-Claire kaum gekannt. Die Mutter ihrer Mutter lebte alleine in Dijon und der letzte Besuch war drei Jahre her. Die störrische alte Dame war mit nahezu jedem in der Familie in Streit geraten und somit pflegte man nur geringfügigen Kontakt. Seit einem guten Jahr war sie erkrankt und ihr Zustand hatte sich immer nur, von Monat zu Monat weiter verschlechtert, bis ihre Organe schließlich aufgaben und sie aus einem Mittagsschlaf nicht wieder erwacht war.

"Papa und ich müssen als nächste Verwandte nun nach Dijon reisen um alles nötige zu veranlassen. Wir werden sicher drei Wochen dort sein.Ich weiß dass das gerade jetzt wo Josephine nicht mehr hier wohnt schwierig sein wird, aber uns bleibt leider keine Wahl. Madame Turodon wird solange auf dich achtgeben und dich versorgen.Und wenn es sonst Probleme gibt, wendest du dich an deine Schwester und Jacques. Du weißt ja wo ihr Haus ist.“

"Maman!" fiel Elise ihr ins Wort."Ich bin bereits achtzehn Jahre alt und kann sehr wohl auf mich selber Acht geben. Ich brauche doch kein Kindermädchen mehr! Sehr viel anderes könnte ich noch wenn ihr mich nur machen lassen würdet!"

" Ich weiß Elise." gab ihre Mutter seufzend zurück." Genau das ist auch der Grund warum jemand darauf schauen sollte was du so treibst. Ich weiß sehr wohl um deine Wünsche und Träume, aber unsere Möglichkeiten als Frau in der Gesellschaft sind nun einmal klar definiert und daher begrenzt. Das musst du akzeptieren. Sieh das endlich ein, junge Dame." sprach ihre Mutter klar aus.

Mit diesen Worten im Kopf verließ Elise zornig schmollend den Raum.

"Meine Rolle als braves Frauchen soll ich spielen! Ha! Schön dumm bleiben soll ich! Im Kämmerchen hocken und Wolle spinnen! Euch allen werde ich es zeigen, euch allen!" brummelte sie vor sich hin und stapfte energisch davon.

In dieser Nacht war an einschlafen nicht zu denken. Pausenlos wälzte Elise sich hin und her, dachte über ihre Mutter nach, über tosende Maschinen, über Hochzeiten, über Großvater und über sich selbst. Bis sie schließlich vor Erschöpfung einnickte. keine Stunde später,gegen Drei Uhr setzte sie sich kerzengerade aufrecht in ihrem Bett hin. Sie war hellwach und hatte glasklare Gedanken. Dann sprang sie auf, kramte Papier und eine Feder aus ihrem Sekretär, der gleich neben ihrem Bett stand. Hastig schrieb,rechnete und zeichnete sie, hüpfte noch mehrmals aus dem Bett in den nächsten Zwei Stunden, um Karten und Bücher unter ihrem Bett hervor zu holen, um neues zu notieren, nach zu sehen und zu ändern.

Als die Sonne bereits ein erstes zartes Glitzern über den Horizont schickte und die Märkte vom emsigen Treiben der Händler und Zuarbeiter zu leben begann, sank sie endlich erschöpft und beseelt in ihre Kissen zurück. „Ja!“ sagte sie, mit geschlossenen Augen „Ich werds euch allen zeigen!“

 

-

 

Tags darauf stand sie mit Madame Turodon auf der Treppe vor dem Haus und winkte ihren Eltern hinterher, die in einer Kutsche mit Zwei glänzenden schwarzen Pferden davonfuhren.

An diesem Abend blieb sie wach und wartete darauf dass Madame Turodon endlich zu Bett ging.

 

-

 

Als die Glocken Ein Uhr schlugen und sonst nirgends mehr ein Geräusch zu vernehmen war, zog Elise die Reisetasche, welche sie schon am Morgen heimlich gepackt hatte unter ihrem Bett hervor. Auf Zehenspitzen bewegte sie sich, wie ein Geist die große Treppe hinunter. Wenn jetzt Madame Turodon aufwacht, kann ich alles vergessen, alle meine Träume werden für immer dahin sein. Sie wird mich niemals gehen lassen, das könnte sie gar nicht. Nicht auszudenken was für ein Donnerwetter es zuerst von ihr und später von ihren Eltern geben würde. Sie hätte auf ewig ihre Chance verpasst, jemals auch nur in die Nähe eines Wissenschaftlers oder einer tollen neuen Erfindung zu gelangen. Sie zitterte und schwitzte, blieb immer wieder ängstlich stehen und lauschte. „Reiß dich zusammen!“ ermahnte sie sich, atmete ein paar Mal tief durch, bis sie ruhiger wurde und schlich weiter zur Haustür. Rasch zwängte sie sich durch den schmalen Spalt den sie die Tür geöffnet hatte und schlich hinaus.Nun noch schnell an den Hecken vorbei bis zum Tor. Leise öffnete sie das eiserne Hoftor und huschte hindurch. In diesem Augenblick verfing sich ihr Kleid in einer der Streben des Gitters und blieb hängen. Da sie nicht rechtzeitig stoppen konnte, riss das Kleid seitlich gute dreißig Zentimeter auf.

"Dumme Gans!" fuhr sie sich selber an."Willst über eintausend Kilometer reisen und kommst nicht mal bis zum Tor hinaus!"

Wutschnaubend schlich sie zurück zum Haus. So konnte sie unmöglich losziehen. Hastig eilte sie, sich selbst stumm verfluchend wieder hinauf in ihr Zimmer um sich umzukleiden, als ihr eine gute Idee in den Kopf schoss. Auf Zehenspitzen schritt sie zum Schlafzimmer ihrer Eltern, ging zur Kleiderkammer und holte sich die alte braune Wildlederhose ihres Vaters heraus mit der er früher manchmal auf die Jagd gegangen war.

Zurück in ihrem Zimmer zog sie sich um. Sie zog den Gürtel zu, betrachtete sich kurz in ihren neuen Beinkleidern im Spiegel, bemerkte das ihr Hintern darin noch kräftiger wirkte als sonst, schüttelte begleitet von einer abwertenden Handbewegung den Kopf und huschte wieder nach unten. Allerdings musste sie kurz vor Verlassen des Hauses noch ein drittes Mal kehrt machen da sie dieses Mal ihre Reisetasche in ihrem Zimmer stehen gelassen hatte. Dafür hatte sie sich selbst draußen vor der Haustpür so laut geohrfeigt, dass ihr kurz das Herz stehen blieb, weil sie fest davon überzeugt war damit Madame Turodon nun endlich wach bekommen zu haben.Doch das Glück war ihr hold, die Hausdame hatte einen gerechten und tiefen Schlaf.

Jetzt endlich gelang ihr der Ausbruch aus dem Elternhaus und sie machte sich auf zum Bahnhof um ihre erste Etappe der wohl mindestens Fünf Tage dauernden Reise, mit der Dampfbahn zu beginnen. Sie hatte sich natürlich in der „Nacht des großen Plans“ wie sie es nannte, eingehend über die Reiseroute informiert. Zweimal würde sie für stundenlange Passagen auf die Kutsche umsteigen müssen. Alleine die letzte Strecke vom ungarischen Budapest bis nach Bukarest in Rumänien, das unter osmanischer Kontrolle stand, würde über einen Tag dauern und sie ordentlich durchschaukeln. Sie hoffte dass nicht gerade jetzt wieder einmal die Streitigkeiten zwischen dem rumänischen Volk und den Besatzern des Landes eskalierten. Österreich, Russland und das Osmanische Reich teilten sich das Land und der Ruf der rumänischen Bevölkerung nach einem eigenständigen Staat wurde in letzter Zeit immer lauter. Mit dem von Österreich besetzten Ungarn verhielt es sich genauso. Der Adel der beiden Königshäuser befand sich in ständigem Zwist.

Doch das alles war sie bereit auf sich zu nehmen um sich ihren Traum zu erfüllen.

Auf dem Gang zum Bahnhof machte sie noch bei dem Haus ihrer Schwester halt, stand auch hier Todesängste aus entdeckt zu werden, und schob einen Brief unter der Tür hindurch in dem sie ihren Plan erläuterte, dann lief sie eilig weiter.

Nachdem sie zwei quälende Stunden frierend an den Gleisen gewartet hatte.So früh am Morgen war es noch recht frisch. Die Reste der kühlen Nacht zogen sich nur sehr langsam zurück, und nahmen nur mühsam ihren Dunst mit. Endlich kam ihr Zug. Wild stobend rollte er heran. Imposant schob er sich laut kreischend an ihr vorüber, bis er unter Zischen und qualmen zum Stillstand kam. Sie bestieg den ihr nächtsgelegenen Wagon und ließ sich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend in einem Abteil nieder.Außer ihr saß lediglich eine weitere Dame, offensichtlich gehobenen Standes, denn sie musterte Elise Beinkleider mit affektiertem Missfallen, und erwiderte Elises freundlichen Guten Morgen Gruß nur sehr formell. Aber das kratzte Elise nicht im Geringsten, solange diese Dame nicht in irgendeinem Bekanntschaftsverhältnis mit ihren Eltern steht und sie diese informieren könnte... „Ach was, dumme Gans, das wäre ein allzu blöder Zufall.“ beruhigte sie sich wieder ein wenig. Aber die Aufregung kribbelte durch und durch.Zum ersten Mal in ihrem Leben unternahm Elise alleine eine weite Reise. Dazu auch noch eine mit einem derartigen Ausmaß und ohne Erlaubnis ihrer Eltern. Zum Zweiten hatte sie ein wenig Angst, oder sagen wir eher Respekt vor Zügen,

obwohl sie diese riesigen Maschinen absolut interessant und faszinierend fand. Immer noch hatte sie das furchtbare Unglück vom 8. Mai 1842 im Kopf. Ihr Vater hatte Geburtstag an diesem Tag und eigentlich wollte die ganze Familie einen Frühlingsausflug nach Versailles machen an jenem Tag. Zum ersten Mal nicht mit der Kutsche, sondern mit der Eisenbahn. Doch Gottlob wurde ihr Vater am Morgen krank und musste das Bett hüten. Am nächsten Tag erfuhren sie dann von der Katastrophe. Der Zug war entgleist und als die hölzernen Waggons sich gegen die verunglückte Lok geschoben hatten wurden diese durch die glühenden Kohlen im Nu in Brand gesetzt. Und da es zu der Zeit noch üblich war die Abteile nach der Abfahrt zu verschließen sind bei dem tragischen Unglück Fünfzig Menschen jämmerlich verbrannt. Sie war damals Dreizehn und dieses Erlebnis zusammen mit dem Gedanken, dass sie alle hätten umkommen können wenn Vater nicht erkrankt wäre, hatte sich in ihrem Gedächtnis festgesetzt.

Doch ihr Entschluss stand jetzt nun mal fest und ihre Angst musste sie bei Seite schieben wenn sie ihr momentanes Ziel und alles was ihr für ihr weiteres Leben so wichtig war erreichen wollte.

Eine schrille Pfeife ertönte und riss Elise aus ihren Gedanken.

Es zischte unter ihr. Ein Rucken ging durch den ganzen Zug und ließ sie kurz vor und zurück schaukeln. Es ging los.

Mächtige Dampfwolken stoben hinauf in den Himmel als sich die Eisenbahn mit viel Getöse langsam in Bewegung setzte.

Nun gab es kein Zurück mehr.

Elises Herz hüpfte.

 

*

 

Indianapolis, USA, 2476

 

Der Herr marschierte geradewegs auf einen silbernen Hochschrank zu, der zusammen mit ähnlichen Schränken und Aufbauten die Wand an seiner Seite auffüllte, blieb davor stehen und sagte laut und deutlich:"Öffnen!". Der Schrank ging auf. Er griff zwei kleine Flaschen mit einer klaren Flüssigkeit heraus.

Wesslie stand immer noch vor dem Riss, den der Mann mit der schon gesehenen Bewegung mit dem Kristall verschloss.

Ein schwarzer Streifen blieb zurück.

Er hielt Wesslie eine der Flaschen hin.

"Trink. Diese Art zu reisen macht durstig, nicht war?"

Tatsächlich war der Hals des Jungen ziemlich trocken.

Er trank die leicht säuerliche Flüssigkeit. Als er die Flasche abgesetzt hatte wurde er sich wieder seines Zustandes bewusst. Kolossale Adrenalinschübe aufgrund der unerwarteten Ereignisse der letzten Minuten hatten ihm vorgegaukelt das es ihm besser ging. Wie in Trance war er dem seltsamen Mann gefolgt, war fasziniert von den wabernden Öffnungen mitten im...Nichts, von den beängstigenden Gängen, … und von Ihm.

Nun kam das Fieber und der Schmerz mit aller Macht zurück. Ihm wurde schwindelig.

Kleine silberne Sterne tanzten vor seinen Augen, während sein Magen sich zu einem krampfenden Knoten zusammenzog. Ihm wurde übel, richtig übel. Wie damals,ja..., er war vielleicht Neun oder Zehn Jahre alt gewesen. Zach Hornsteen hatte ihn überredet mit ihm Pilze sammeln zu gehen. Nicht das sie etwas zum Abendessen beisteuern wollten, solche Pilze suchte Zach nicht. Er suchte „Psyllos“, wie er sie nannte. „Die machen dich glücklich.“ hatte er gesagt, „lassen dich fliegen wohin du willst.“ hatte er ihm zuzwinkernd versichert. Wesslie wusste nicht genau was er damit meinte, aber es hörte sich gut an. Glücklich war er nicht oft,... er fragte sich, ob er das überhaupt schon einmal war. Auf der kleinen Wiese an der Ostmauer wuchsen eine Menge der kleinen bräunlichen Lamellenpilze. „Einfach runterschlucken.“ Zach kaute und schluckte bereits fröhlich grinsend. Später war klar, dass sie neben den „Psyllos“, auch ein paar weniger harmlose Vertreter versehentlich mit verspeist hatten. Sie hatten beide Drei Tage in der Krankenstation gelegen und sich die Seele aus dem Leib gekotzt und geschissen. Da war ihm genauso übel, ja... . Schwankend bewegte er sich auf einen in der Nähe an einem kleinen runden,vercromten Tisch stehenden, ebenfalls vercromten Stuhl zu. Er zitterte und sein Magen wanderte eine Station tiefer, füllte seine Gedärme mit flüssigem heißen Blei. Mit einer Hand, mehr suchen als zielend, versuchte Wesslie nach der Lehne zu greifen, verfehlte diese jedoch knapp. Das Gewicht seines Oberkörpers konnte von seinen schwachen entkräfteten Muskeln nicht mehr gehalten werden.Sein Darm und die Wunden in seinem Gesicht, würden jeden Moment hellauf in Flammen stehen.Ich muss Zach in seinen dämlichen kleinen Arsch treten und ihm sagen das er einen Scheiß von Pilzen versteht, dachte er wütend. Er ruderte halbherzig mit dem Arm, ließ die Flasche fallen, die er immer noch mit der anderen Hand umklammert gehalten hatte. Sie schlug mit einem dumpfen klingeln auf und rollte, sich schluckweise entleerend als würde der Boden ebenfalls seinen Durst stillen wollen, davon. Wesslie sah sich selbst dabei zu wie er über den Boden rollte und alles aus ihm heraus floß. Seine Kraft,seine Hoffnung,sein ganzes verficktes Leben. Er war eine beschissene Flasche die in der Scheiße lag und leerer und leerer wurde. Er verlor das Bewusstsein bevor er auf dem Boden aufschlug.

 

*

 

Paris, Frankreich, 1847

 

Josephiné rannte die Treppe hinauf. Vorbei an Charlotte, dem Hausmädchen, dass vor Schreck fast das silberne Tablett fallen ließ welches sie gerade nach unten trug.

Die junge Braut stürmte ins Schlafzimmer und knallte lautstark die Tür hinter sich zu, was den im Bett sitzenden frisch gebackenen Ehemann zusammenzucken ließ und zu einer schmerzverzerrten Grimasse nötigte, was wiederum den soeben erhaltenen Kaffee aus seiner Tasse überschwappen ließ. Das Getränk ergoss sich über Jacques Hand und tropfte auf die Bettdecke, wo es braune, schnell wachsende Muster hinterließ.

Aus einem anfänglichen, langgezogenen:"Oahhh." verursacht durch die Explosion in seinem eh schon durch Kopfschmerz geplagtem Schädel,als die Tür zuschlug, wurde Sekundenschnell ein:"Autsch, Aahh! Verdammt!!". Er hatte sich an dem heißen Kaffee gerade die Hand verbrüht.

Es war 10 Uhr am Morgen, Wolken zogen am Fenster des Schlafzimmers vorüber. Das gefiel Jacques sehr gut. Nicht das er trübes Wetter bevorzugen würde, jedoch waren es eventuell gestern ein paar Cognag zu viel gewesen.So kann es an einem Kartenspielabend schon Mal enden, besonders wenn man unentwegt verliert..., oder gewinnt. Im Grunde gab es aber immer einen Grund es zu übertreiben wenn er mit seinen beiden ehemaligen Schulkameraden einen „Herrenabend“ verbrachte. Jedenfalls würden gleißende Sonnenstrahlen seinen Schädel mit ziemlicher Sicherheit in tausend kleine Stücke sprengen, da war Jacques sich so gut wie sicher. Missmutig wedelte er, immer noch zusammen gekniffen vor sich hin schauend, mit der schmerzenden Hand in der Luft herum.

Josephine ging nicht wie sonst auf das Fluchen ihres Mannes ein. Sie setzte sich auf den Rand des in dunkelbraunem Holz gehaltenen, mit reichlich goldenen Verzierungen versehenen Bettes: " Jacques,“ begann sie, und legte eine Hand auf seinen Arm. Ihr Blick war sehr ernst.„Unsere Hochzeitsreise muss leider, statt an die heimische Küste, in die Berge Rumäniens gehen. Meine dumme kleine Schwester hat einen riesigen Fehler gemacht und ich habe als die Ältere die Verpflichtung diesen Fehler wieder auszubügeln. Ich bete zu Gott dass es mir bis zur Rückkehr unserer Eltern gelingen wird! Um Himmels Willen...“ sie sprang auf. „Charlotte!", sie rief laut nach dem Hausmädchen. Jacques kniff ein weiteres Mal schmerzverzerrt die Augen zusammen, versteckte sein Gesicht hinter dem Kopfkissen und biss verzweifelt hinein. „Charlotte!!“ dröhnte es erneut in seinem Schädel. Herrgott, dachte er, wir residieren doch nicht in Versailles! Charlotte ist bloß eine kurze Treppe entfernt! „Ich brauche das lockere,leichte Kleid, das ich in der Bretagne gekauft habe,das blaue … und kein Korsett!“. Rief Josephine weiter lautstark.„Ich muss beweglich bleiben..., und für Jacques auch etwas lockeres.... Den roten Hut..., nein, den blauen...“ ratterte sie immer weiter, während ihr Mann sie mit nur halb geöffneten Augen verdutzt anstarrte.

Jacques versuchte das was da an Worten aus dem Mund seiner Angebeteten kam zu sortieren und irgendwie in Einklang zu bringen. Was seinem noch mächtig umnebelten, verkatertem Gehirn,äußerst schwer fiel. Außerdem hatte er noch nicht gefrühstückt. Ohne Frühstück war Jacques nur ein halber Mensch.

"Könntest du mir vielleicht ein paar mehr Informationen zukommen lassen warum wir eine derart drastische Änderung unseres Reiseziels vornehmen müssen?" fragte er leicht gereizt und strich sich eine Haarsträhne seiner wuscheligen Frisur aus dem Gesicht.

Josephiné ergriff die Hände ihres Mannes, was kurz und heftig an der rötlichen Stelle des Kaffeeunfalls brannte, Jacques aber nicht monierte. Sie erklärte ihm hastig, dass sie soeben im Flur vor der Haustür einen Brief gefunden habe.Er musste in der Nacht unter der Tür durchgeschoben worden sein. Mit zitternden Händen las Josephine Jacques vor was ihre Schwester eilig zusammengekritzelt hatte. Offensichtlich hatte sie sich zu ihrem Vorhaben sehr kurzfristig entschlossen. In dem Brief teilte ihre Schwester Elise ihr mit dass sie jetzt mit 18 Jahren so gut wie erwachsen und somit soweit sei eigene Entscheidungen zu treffen was ihren weiteren Lebensweg angehe. Sie sei nicht länger bereit sich den Zwängen der Gesellschaft, - insbesondere der Gesellschaft der Männer -, zu unterwerfen. Der Besuch der großen Versammlung der Wissenschaftler aller bekannten zivilisierten Länder in Bukarest würde ihr erster Schritt in diese Richtung sein. Sie beschrieb noch kurz ihre Reiseroute und betonte, dass Josephiné sich keine Sorgen machen müsse. Madame Turodon solle sie doch bitte beruhigen und einschwören das diese nichts verraten möge. Bis zur Rückkehr ihrer Eltern sei sie ja wohlbehalten wieder zurück."

Josephine´ faltete den Brief zusammen nachdem sie ihn Jacques vorgetragen hatte und sah ihn nun erwartungsvoll an.

Dieser lächelte jedoch nur freudig und ließ dann nach einem munteren in die Hände klatschen ein:"Na dann ist doch alles in bester Ordnung." verlauten. Er lächelte weiter. Bis er in Josephine´s Gesicht erkannte, dass er wohl eher etwas mehr Anteilnahme und Engagement zeigen sollte, wenn er nicht den Rest des Tages, nicht nur draußen sondern auch hier im Haus mächtig dunkle Wolken über sich her ziehen lassen wollte.

"Jacques! Wie kannst du...Es geht um meine kleine Schwester die jetzt Mutterseelen alleine...!" ( - Der Himmel verfinsterte sich bereits... - )

"Ja,ja. Schon gut. Schon gut! Wir werden uns gleich morgen Früh auf den Weg..."

"Jacques!!!" ( - Es donnerte. Der Himmel über ihm stand kurz davor sämtliche Schleusen zu öffnen... - )

Jacques hob abwehrend die Hand.JETZT hatte er verstanden.

"Also gleich. Ich ahnte es bereits."

Jacques kleidete sich an während Josephiné sich umzog und eilig die beiden Koffer fertig packte, mit denen Charlotte bereits zu Gange war.

Fünfzehn Minuten später saßen sie in einer Kutsche auf dem Weg zum Bahnhof.

Bei einem kurzen Zwischenstopp in ihrem Elternhaus konnte Josephiné Madame Turodon tatsächlich zur Verschwiegenheit verleiten. Obwohl diese schon kurz davor war die Gendamerie zu verständigen da sie das Verschwinden von Elise natürlich auch schon bemerkt hatte und sich sehr sorgte. Den Abstecher zu Madame Turodon hatte Jacques absolut befürwortet. Natürlich hätte man auch das Hausmädchen schicken können, jedoch war es Josephine lieber, persönlich mit ihr zu reden und Jacques, der immer noch nicht gefrühstückt hatte, labte sich während der aufgeregten Unterhaltung der beiden Frauen an Madame Turodons berühmten Croissants und heißer Schokolade.

 

-

Im Zugabteil gingen Josephiné die furchtbarsten Geschichten durch den Kopf. Von ihrer Schwester die ausgeraubt und missbraucht,von wilden Tieren zerfleischt oder einfach von einer geheimnisvollen Krankheit dahingerafft wurde. Unruhig rutschte sie, an ihren Fingernägeln kauend, auf ihrem Sitz hin und her. Jacques war emotional nicht ganz so aufgewühlt.

Er döste bereits wieder, den Kopf an das Fenster des Zugabteils gelehnt,ruhig vor sich hin. Was Josephiné, die dies mürrisch beobachtete, schließlich dazu verleitete ihn unsanft in die Seite zu knuffen.

Jacques öffnete erschrocken die Augen."Waaas?"fragte er verständnislos.

"Was? Wie kannst du jetzt schlafen? Machst du dir keine Sorgen? Ich komme fast um!" regte sie sich auf und wedelte mit ihren Händen in der Luft herum.

"Josephine, meine Liebe" sagte er sanft und sah sie direkt an "sicher mache ich mir auch Sorgen. Aber erstens ist deine Schwester weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen. Ich bin mir sicher dass es ihr gut geht. Und zweitens, was können wir denn jetzt tun? Soll ich dem Zug voraus laufen? Ich ruhe mich aus um bei der Ankunft bei Kräften zu sein und du solltest das auch tun."

Mit diesen Worten lehnte er sich wieder zurück und schloss erneut die Augen.

Josephiné schmollte noch ein wenig. Natürlich hatte Jacques recht, aber sie konnte sich unmöglich entspannen bei den vielen Gedanken die in ihrem Kopf herumkreisten.

Um sich ein wenig abzulenken schaute sie aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Der Himmel hatte sich etwas aufgelockert und ließ die Lavendelfelder auf ihrer Seite mit den Strahlen der Sonne in einem kräftigen violett glänzen. Ein wilder Wind, der anscheinend selbst nicht so recht wusste in welche Richtung er sich aufmachen sollte, umspielte die duftenden Ähren. Wie fliegende Teppiche erschienen ihr die sich wiegenden, wogenden Felder.

Mächtige Dampfwolken in die Luft pustend, stampfte und schnaufte die Eisenbahn weiter und weiter gen Osten.

 

*

 

Inianapolis, USA, 2476

 

Wesslie hörte Stimmen aus weiter Ferne. Wie durch einen Berg Watte flogen sie ihm entgegen und umkreisten ihn.

"Die Medizin wird ihm automatisch zugeführt. Nach zehn Tagen können sie den Apparat entfernen. Ich schätze er wird in den nächsten Stunden aufwachen und sich besser fühlen.

Lassen sie ihn ordentlich viel trinken und schonen sie ihn noch etwas bevor sie ihn wieder arbeiten lassen."

"Danke Doktor Rey. Guten Heimflug."

Die Watte wurde wieder dichter und Wesslie schlief erneut ein.

Als er das zweite Mal Stimmen hörte, waren diese klar und deutlich zu vernehmen. Er öffnete die Augen und sah den Herrn durch die Tür in einem größeren Raum vor einem kleinen Bildschirm sitzen. Er lachte das Hologramm eines Kopfes an der aus dem Monitor herausragte.

"Ja, ich habe jetzt eine eigene Agentur. Du kannst Frauen und Männer für jeden Zweck bekommen. Kunstgegenstände und alles mögliche Andere." teilte der Herr dem Kopf mit.

"Glückwunsch, du hast den Ehrgeiz deines Vaters geerbt. Wenn du irgendwann mal eine Blondine hast sag Bescheid. Ich zahle den vierfachen Preis." kam es zurück.

"Ja natürlich Hakan, das werde ich tun."

Beide lachten und beendeten das Gespräch.

Der Herr sagte:"Abschalten!" zu dem Bildschirm, welcher daraufhin schwarz wurde und in dem großen vercromten Schreibtisch versank an dem er saß.

Wesslie hob den Oberkörper, schwang die Beine aus dem Bett und blieb zunächst ein paar Sekunden sitzen. Sein Kreislauf schien die Bewegung, aus dem liegen ins sitzen, nicht rechtzeitig mitbekommen zu haben und blieb noch ein wenig in der horizontalen. Ein heftiges Kribbeln erfüllte seinen Schädel, durchflutete ihn und verschwand schließlich. Als hätten ein paar Hundert Ameisen nach einem Ausflug in sein Gehirn, es gerade erst wieder über einen äußerst verzwickten Irrgarten, über den Ausgang an den Füßen verlassen.Er stand langsam auf. Er fühlte sich besser, nicht sehr gut, aber viel besser. Sogar recht fit gegen die letzten Tage. Erfreut ging er zu dem Mann hinüber.

Dieser drehte sich blitzschnell mit seinem, offensichtlich elektronischen Drehstuhl herum und lächelte ihn an. Plötzlich musste er an Kaptain Kirk denken. Hatte der nicht auch so einen Stuhl, an Bord der Enterprise? Aber jetzt hatte der seltsame Zirkusdirektor das Kommando auf der Brücke übernommen. Kurz hörte er ihn in Gedanken „Scotti, beamen.“ sagen.

"Hallo Wesslie, dir geht es jetzt schon viel besser, nicht wahr?“ ,kam statt dessen aus dessen Mund. „Dort drüben ist ein Badezimmer. Mach dich etwas frisch und zieh die Kleider an die auf der Anrichte neben der Tür liegen. Wir wollen einen Ausflug machen.Na los, du hast lange genug gefaulenzt.“ sagte er auffordernd und ließ den Stuhl wieder herumfahren.

Der Junge ging in das Bad und sah in den Spiegel der sich erhellte sobald er davor stand. Die Narben in seinem Gesicht waren nicht mehr eitrig. Sie fühlten sich trocken an. Auch der Schmerz war von ihm gewichen. Aber die Spuren des Feuers hatten sein Gesicht für immer furchtbar entstellt. Gedankenverloren starrte er eine Weile in die hässliche Fratze während langsam Tränen in ihm aufstiegen.

Doch wie es immer bei ihm war wurden diese schnell durch das Gefühl rasender Wut vertrieben. Seine Fingernägel gruben sich krampfend in seine Handinnenflächen als er die Fäuste ballte. Doch er riss sich zusammen. Hier, wo immer auch hier war, würde für ihn ein neues Kapitel beginnen. Der Herr hatte ihn erlöst und er war ihm dankbar dafür. Verstehen konnte er noch nicht, aber er hatte von ihm schon jetzt mehr bekommen als von irgendjemand zuvor in seinem Leben. Er würde im folgsam dienen. Dieser Herr war besser und größer als der Herr des Pfaffen und der Nonnen die ihn nur straften und verachteten. Verschwommene Bilder kamen in ihm hoch. Bilder die er jetzt nicht sehen wollte. Er schob sie beiseite, bevor sie wie ein Virus seine Kehle hinab kriechen und sich in ihm breit machen konnten.

Wesslie zog sein Hemd aus und wollte sich waschen. Der Hahn an dem Becken hatte keinen Knauf oder Hebel. also hielt er die Hände einfach darunter. Ein roter Lichtstrahl wanderte über seine Hände. Dann lief das Wasser. Es hatte die angenehmste Temperatur die er sich vorstellen konnte. Weder zu kalt noch zu warm. Als würde der Hahn wissen was er wünscht. Er suchte nach Seife, bis er feststellte dass das Wasser auf seiner Haut bereits schäumte. Beim zweiten Mal war es wieder klar. Er war begeistert und erstaunt zugleich.

Er zog sich an und verließ den sterilen Raum.

Der Herr stand in dem größeren Raum und wartete schon auf ihn.

"Bevor wir losgehen muss ich dich ein wenig vorbereiten, damit du mir nicht vor Schreck in Ohnmacht fällst.“ begann er. „Diese Wohnung ist keineswegs Fensterlos, wie du vielleicht denkst. Ich werde sie gleich öffnen und du solltest wissen, dass es hier etwas anders aussieht als in deinem Chicago."

Er schritt auf und ab, den Kopf gesenkt. Nun blickte er Wesslie scharf in die Augen.

"Punkt Eins: Ich habe dich gerettet. Dafür bist du mir etwas schuldig. Die Dinge laufen hier etwas anders. Du musst meinen Anweisungen genauestens folgen! Ist Dir das klar?! Sonst bist du schneller wieder da wo ich dich aus der Gosse gefischt habe, als du There´s no place like home, auch nur ein einziges Mal sagen kannst!“

"Das tu ich gerne Herr. Ich weiß dass ihr mich gerettet habt. Ich tue alles was ihr verlangt. Ich möchte sicher nicht zurück, nein! Niemals..."

"Das weiß ich mein Junge, das weiß ich." Erwiderte er sanft.

"Herr…" fragte Wesslie, "Wo sind wir?"

"In Indianapolis. Aber ich sagte dir bereits. Es ist nicht so wichtig wo wir sind. Es ist wichtig wann wir sind."

Seine Stimme schwoll theatralisch an:"Wir schreiben das Jahr 2476!" platzte er heraus.

Wesslie grinste, da er einen Scherz vermutete. Das Grinsen gefror ihm allerdings als der Mann mit einem Fingerschnipsen drei große Stahlplatten in der Wand nach oben gleiten ließ und den Blick aus den so entstandenen Fenstern freigab.

Dem Jungen verschlug es die Sprache. Was er sah erinnerte ihn an manche Science-Fiktion Filme die er gesehen hatte, aber irgendwie auch wieder nicht.

Sie passierten eine sich von alleine hebende Glastür und standen im Freien auf einer mehrere Meter breiten Plattform die anscheinend das ganze Gebäude umgab. Um sich herum sah er überall ähnliche Gebäude in mal helleren, mal dunkleren metallenen Farbtönen. An einigen Stellen wuchsen Türme mit gigantischen Turbinen aus der Tiefe hinauf bis über die höchsten Gebäude hinaus. Alle sechs bis sieben Stockwerke umschlossen diese Plattformen die einzelnen Bauten. Auf ihnen herrschte reger Betrieb. Personen und auch teilweise Menschen ähnlich ausschauende Maschinen oder Roboter wuselten durcheinander. Mit leuchtenden Buchstaben beschriftete Tafeln hingen an einigen der Eingänge oder flogen einfach durch die Gegend um sie jedem vor das Gesicht zu halten der ihren weg kreuzte. An jeder Ecke der Plattformen befand sich eine Stange auf der ein großes "F 4" prangte.

Ein stromlinienförmiges Fluggerät von der Größe eines Busses schwebte mit auf der Unterseite befindlichen breiten, rechteckigen Düsen herbei und hielt an der Stange. Offensichtlich handelte es sich hier auch tatsächlich um eine Art Bus. Mehrere Leute stiegen aus und ein. Andere kleinere, aber auch größere, Fluggeräte bewegten sich auf für ihn nicht erkennbaren aber scheinbar geordneten Bahnen auf mehreren Ebenen in der Luft. Tief unten am Boden waren Menschen und Fahrzeuge nur noch wie Ameisen zu sehen.

"Wau, das ist krass!" entfuhr es ihm.

"Das ist alles unglaublich. Sind wir echt in der Zukunft. Ich meine wie ist das möglich. Die Flugdinger die Häuser und dieser Himmel.Wie kann das alles?... ich meine..., Zeitreisen! Das ist doch nicht wirklich möglich, oder?"

Er deutete in die Luft. Über ihnen erstreckte sich ein hinreißendes strahlendes Blau wie er es nur von am PC bearbeiteten Postkarten kannte.

"Das ist moderne Technik, Junge. In meiner Kindheit hatte alles noch einen Graustich und manchmal gab es Störungen im Programm, dann konnte man das Ödland sehen. Kein schöner Anblick. Alles so deprimierend da draußen. Na ja, jedenfalls haben sie irgendwann den Anbieter gewechselt. Seitdem gibt es kaum noch Probleme. Sieht hübsch aus nicht war." fragte der Mann.

" Ich verstehe nicht. Was bedeutet das? ... Der Himmel ist nicht echt? Was ist mit der Welt geschehen?" wollte Wesslie wissen.

"Das was geschehen musste. Schon deine Generation ahnte das. Aber die Zeichen und Warnungen wurden nie wirklich ernst genommen. Der Mensch neigt nun mal zu der Ansicht dass alles so weiter läuft wie gewohnt. Tut es aber nicht!

Es kam eins zum anderen. Als das Öl versiegte fand der Mensch noch Ersatz. Als Treibstoff war man schon länger zu Solarenergie, Strom und anderen Alternativen übergegangen.

Statt Plastik wurde ein Ersatz aus synthetischem Kautschuk mit verschiedenen chemischen Zusätzen verwendet.

Dann starben immer mehr Tierarten aus. Zunächst verschwanden die meisten essbaren Fische durch Überfischung und neue Seuchen, aber auch andere Meeresbewohner. Haie, Wale, Robben. Korallen! Vor allem die Korallen. Ganze Riffe verschwanden, - woran die Schmuckindustrie nicht ganz unschuldig war -. Landtiere wie Elefanten, Löwen, Tiger, Bären, Wildschweine jede Menge Amphibien, Affenarten, Vögel und, und, und. Viele Pflanzen verschwanden. Ganze Landstriche verödeten bereits damals.

Sämtliche Naturresourcen wurden ausgebeutet. Den meisten Menschen ging es immer schlechter. Arbeit wurde immer geringer entlohnt. Neue Krankheiten, vor allem psychische, befielen etliche. Sämtliche Länder klammerten sich bis zuletzt an das irrsinnige Relikt, dass Wirtschaft ständig wachsen muss, wie ein Junkie an seinen nächsten Schuss. Mehr, mehr, mehr, - statt besser -.

Alles wurde immer schlimmer. Mit diesem Clown Trump, begann irgendwann so etwas wie die Apokalypse. Er brauchte nur Zwei ebenso irre Psychopaten zum streiten im Sandkasten, und schon knallte es überall auf dem Planeten. Der Hunger auf dem „Schwarzen Kontinent“, verursacht durch die ausbleibenden Ernten, über Jahre, ließ die Welt zusammen wachsen. Aber nicht im positiven Sinn. In dem Sinn, dass sie sich alle gegenseitig die Köpfe einschlugen. Die ganze Welt führte Krieg gegen sich selbst. Doch im Grunde war es letzten Endes dann auch egal. Denn eines schönen Tages...Buuum!" Er beschrieb mit beiden Armen einen ausladenden Kreis in der Luft und fuhr fort."Ist es passiert. Als ob es tatsächlich doch einen Gott geben würde, der sich gedacht hatte:

"So! Ich denke es reicht. Die Menschheit wird aus ihren Fehlern nicht lernen. Spulen wir diesen Film einfach mal ein ganzes Stück vor. Er beginnt mich zu langweilen!"

Die letzten großen Eisberge schmolzen innerhalb eines halben Jahres!"

Wesslie fiel ihm ins Wort:

"Die Erderwärmung wegen des CO2´s. Ja das hatten wir im Unterricht. Aber es sollte neue Gesetze geben zur Verringerung des CO2 Ausstoßes. Umweltprojekte, alternative Energien und so."

"Das war doch alles Blödsinn!" erhob sich die Stimme des Mannes.

"Das Problem ist die Sonne mein Junge!" fuhr er ruhiger fort. "Es hätte sich auch dann nichts geändert wenn ihr den CO2 Ausstoß mit sofortiger Wirkung verboten hättet! Im Laufe der letzten Jahrhunderte ist die Sonne einfach durch gewaltige Eruptionen immer größer und heißer geworden." Er machte eine kurze Pause.

"Das kommt in den besten Sonnensystemen vor." fügte er mit gespielter Betroffenheit höhnisch hinzu. Etliche Landstriche wurden durch Naturkatastrophen einfach hinweg gefegt, unbewohnbar gemacht.“fuhr er fort.

„Die Katastrophe kam als die Pole verschwanden. Eine biblische Flutwelle überrollte den Erdball und verschluckte den halben Planeten. Großbritannien, Norwegen, Schweden, die Niederlande, Italien, große Teile Russlands und Indiens, Japan, Korea, natürlich Grönland, Südafrika, Saudiarabien, die ganze Westafrikanische Küste, Argentinien, halb Brasilien, Neuseeland, Zwei Drittel von Australien..."

"Und die USA, wurde sie verschont?" fiel ihm Wesslie ins Wort.

"Verschont? Kalifornien, Washington, Louisana, halb Oregon und Texas, Florida, New York, Carolina, Virginia, Pennsylvania, Maine…alles wurde überflutet. Millionen starben.

Dann folgte das trockene Jahrhundert. Mein Urgroßvater konnte von seinem Haus aus noch das Meer sehen. Wir reden wohlgemerkt von Indianapolis! Dann kehrte sich alles um. Das Wasser wich immer schneller zurück. Die Temperaturen stiegen von Jahr zu Jahr um etwa Drei Grad. Es gab kaum noch bewohnbare Gegenden. Die Menschheit konzentrierte sich darauf die Großstädte am Leben zu erhalten. Alles Wissen wurde in dieses Projekt gesteckt. So entstanden in den letzten einhundertfünfzig Jahren Städte wie diese. Es gibt etwa zweihundert davon auf dem Erdball. Alles andere ist zu Ödland geworden in dem man keine Woche überleben kann.

Die Turbinen halten die Temperaturen bei angenehmen Fünfundzwanzig Grad. Drei Monate im Jahr fahren wir sie auf Minusgrade herunter. Die Pflanzen brauchen das, weißt du?

Außerhalb der Städte herrschen 57 Grad. Tendenz steigend!

Na ja, irgendwann wird uns das alles sowieso um die Ohren fliegen. Hahahahaha!" schloss er mit einem verächtlichen Lachen.

Wesslie war erschrocken und wusste nicht was er von all dem halten sollte. Ändern konnte er jedoch eh nichts. Dank seines Alters war er noch in der Lage das Unglaubliche schneller als die meisten Erwachsenen zu akzeptieren. Er nahm es hin wie er sein ganzes bisheriges Leben alles hingenommen hatte. Sich weiter umschauend erblickte er einige Männer mit gelben Overalls die in einer Art Parkanlage mit der Gartenpflege beschäftigt waren. Auf einer anderen Plattform wurden von gleich gekleideten Männern und Frauen Scheiben geputzt.

"Was sind das für Leute? Die mit den gelben Anzügen." fragte er.

"Das sind Saranen. Sie verrichten Dienste für die der Einsatz mit Robotern oder ähnlichem nicht lohnt. Sie sind billiger. Es gibt genug von ihnen. Sie gehören jemandem der ihnen Unterkunft und Verpflegung gewährt. Dafür müssen sie ihm dienen."

"Also…wie ich!"

"Ja im Grunde schon. Du bist mein Sarane."

"Und…, kommen die alle auch aus anderen Zeiten?"

"Was? Oh nein, nein. Die sind von hier. Seit Generationen gehören sie der Kaste der Saranen an. Der untersten aller Kasten. Die meisten Menschen gehören ihr inzwischen an. Sie haben sich aus den ehemaligen Arbeitslosen in der alten Zeit entwickelt. Irgendwann hörte man einfach auf sie zu unterstützen und zwang sie unter empfindlichen Strafen zu den Frondiensten. Ganze Industriezweige entließen ihre Arbeiter und vergaben keine Stellen mehr. Wozu auch? So war es doch viel billiger. Die nächste Kaste ist die der Lohn-Arbeiter. Von ihnen gibt es aber nicht mehr viele. Sie sind in Vertrauensstellungen tätig, als Berater oder im Kunsthandwerk z.B.. Danach folgt die Kaste der Geschäftsleute und die der Wissenschaftler. Sie stehen auf einer Stufe und ich, mein Junge, gehöre beiden an.

Als nächstes gibt es die Krasöre, reiche Nichtstuer wenn du mich fragst. Aber…" erläuterte er mit erhobenem Zeigefinger, "meine besten Kunden. Benimm dich wenn wir auf einen treffen. Du erkennst sie an ihrer Hochnäsigkeit.

Als letztes kommen die Stadtler, das Parlament sozusagen, mit dem Stadler-Meister an der Spitze. Aber die reden nur viel und tun wenig. Die eigentliche Macht liegt bei den reichen Krasören die ihre Scharen von Saranen unterjochen und entscheiden wer lebt und wer sterben soll.( - ...manches ändert sich nie... - ) Aufständische werden als Kämpfer in die Arena geschickt. Jeden Sonntag werden blutige Kämpfe ausgetragen. Zehn in einen Ring. Mit Keulen und Messern, wie im alten Rom. Wer übrig bleibt dem wird verziehen und er darf wieder seinen Dienst aufnehmen. Wer sich weigert zu kämpfen stirbt sofort."

"Was?! Das ist aber nicht erlaubt. Oder?Es gibt keine Polizisten die etwas dagegen unternehmen?" fragte Wesslie erstaunt.

"Die Polizei existiert in dem Sinne schon lange nicht mehr.

Jeder Krasör hat seinen eigenen Wachschutz aus Menschen und hochentwickelten Robotern."

Gegenüber sah Wesslie einen großen Laden aus denen Menschen mit Taschen hinaus kamen, gefolgt von ein bis zwei Personen mit Waffen im Anschlag. Der Laden selber wurde von acht großen Kerlen in einer Art Rüstung mit schweren Gewehren und von zwei auf Rädern befindlichen kleinen Geschütztürmen beaufsichtigt.

"Ist dort drüben eine Bank?" wollte Wesslie wissen.

"Nein." lachte der Mann. "Das ist der Lebensmittelladen!"

Nahrung ist äußerst knapp. Synthetisches Zeug kriegst du noch relativ günstig. Aber echtes gutes und vor allem gesundes Essen ist mehr als rar. Die wenigen Felder und Gewächshäuser in der Stadt geben nicht viel her. Wenn die Ernte einmal mies ist müssen viele hungern. Aber die Krasöre haben ihre Lösung des Problems schon gefunden. Sie verdoppeln die Zahl der Kämpfenden und schon passt es wieder." sagte er breit grinsend. Wesslie war verwirrt.

"Aber Herr. Das scheint mir keine besonders schöne Welt zu sein. Es muss doch auch gute Dinge, bessere Dinge geben in der Zukunft. Also ich meine jetzt."

"Natürlich mein Junge." säuselte der Herr. Er tänzelte spielerisch umher, klatschte wie ein Schulmädchen mehrfach in die Hände und rief aus:"Wir haben den Schnupfen besiegt! Was sagst du nun?" Sofort beendete der Mann seinen Tanz und hatte wieder seine ernste, harte Miene aufgesetzt.

"Lass uns hineingehen." sagte er und schritt voraus.

Drinnen hatte Wesslie eine weitere Frage.

"Wieso holen die Menschen nicht das was sie brauchen aus anderen Zeiten, wie ihr es tut?" Der Mann hob die Hand und flüsterte verschwörerisch: "Weil sie es nicht können Wesslie. Ich sagte dir ja, ich bin Geschäftsmann und Wissenschaftler. Gemeinsam mit zwei Kollegen habe ich die Möglichkeit entwickelt, mittels des Kristallschlüssels in der Zeit zu reisen. Ich schlug sofort vor diese fantastische Entdeckung zu nutzen um daraus Gewinn zu schlagen. Meine Kollegen waren allerdings der Meinung man müsste diese Entdeckung der gesamten Menschheit kostenfrei zur Verfügung stellen. Zu meinem Bedauern hatten Beide einen äußerst tragischen Unfall der sie das Leben kostete!" - Er hielt sich eine Hand vor den Mund und legte eine überzogene Trauermiene auf seine Gesichtszüge -. Eine Sekunde später fuhr er breit lächelnd fort:" Ich stimmte daraufhin noch einmal über meinen Vorschlag ab und was soll ich sagen…. Er wurde ohne Gegenstimmen angenommen.“ strahlte der Mann in Schwarz Wesslie an. Das ist jetzt drei Monate her und mein Geschäft mit Kunstschätzen und besonderen Saranen läuft so gut, dass ich Hilfe benötige. Ein Lehrling muss her dachte ich mir. Natürlich nicht aus dieser Zeit. Schließlich soll niemand von meinem kleinen Geheimnis wissen. Ich sah mich in den Zeiten um nach einem Jungen den nichts hält, den keiner vermissen würde, der nicht vor kriminellen Machenschaften scheut und es gewohnt ist ihm aufgetragene Aufgaben zu erledigen. Ich entdeckte zufällig dich und hier bist du." Er machte "Tataaa!" und deutete auf Wesslie als würde er ihn einem Publikum vorstellen.Es fehlten nur noch eine Fanfare und ein Haufen Luftschlangen die um seinen Kopf fliegen.

„Jetzt lass uns mit der Arbeit beginnen.“ sagte der Mann nüchtern. „Ich habe einen Auftrag. Hakan Sori will eine blonde Frau. Das wird mir eine Stange Geld einbringen. Er wird sich mehr als wundern wenn ich ihm eine bringe und mir nicht den vier- sondern den achtfachen Preis zahlen."

Der Junge schaute verdutzt.

"Wieso soll eine blonde Frau so viel einbringen?"

"Schau dich mal draußen um. Wenn du eine siehst tauschen wir augenblicklich die Rollen und du wirst mein Herr. Versprochen! Wenn du soweit bist folge mir. Wir wollen los." Er ging auf die Wand zu aus der sie vor ein paar Tagen durch den lila Riss gestiegen waren.

"Sag Wesslie, warst du schon mal in einem deutschen Mädchenpensionat so um 1937? Das wird dir gefallen.“ lächelte er aufmunternd, während er den Kristallschlüssel hervor holte.

 

*

 

 

Graz, Österreich, 1847

 

Elise war jetzt seit drei Tagen unterwegs. Immer nur ein paar wenige Stunden Schlaf waren ihr während der Reise vergönnt gewesen. Zu unbequem waren ihre Transportmittel gewesen.

In der Eisenbahn ging es ja noch einigermaßen, aber bei den holprigen Kutschfahrten war an Tiefschlaf nicht zu denken.Und wenn sie doch einmal vor Erschöpfung eingenickt war, wurde ihr kurzer Schlummer meist durch eine heftige Kopfnuss beendet, die ihr die Kutschwände bei jedem Schlagloch verpassten.

Nun stand sie völlig übermüdet vor einem kleinen Gasthof in Graz. Auf diese Etappe ihrer Reise hatte sie sich am meisten gefreut. Morgen Vormittag würde sie einige Stunden durch die Stadt wandern bevor sie am Mittag den nächsten Zug nach Budapest nehmen musste. Die Übernachtung in der Herberge würde ihre Reise zwar um einen Tag verlängern aber sie hatte ein richtiges Bett dringend nötig, um für die nächste lange Kutschfahrt von Budapest bis an den Fuß der Karpaten gerüstet zu sein. Dort wollte sie eine weitere Rast einlegen um am folgenden Tag über den Südausläufer der Karpaten mit Hilfe eines Führers, den sie dort schon auftreiben würde, auf dem Rücken eines Pferdes zurückzulegen. Seufzend stieg sie die Treppe bis zur Tür des Gasthofes hinauf.Ihre Augen hatten tiefdunkle Ränder, ihre Wangen waren fahl und ihr Rücken schmerzte so sehr, dass sie sie sich gebückt am Geländer weiter ziehen musste um die stufen zu erklimmen. Hätte sie vorher geahnt welche Strapazen die lange Reise mit sich zog, wer weiß ob sie diese überhaupt angetreten hätte. Zuhause hatte sie in ihrer Zeitschrift von einem Herrn Lilienthal gelesen der im nächsten Jahr eine Flugmaschine testen wollte an der er gerade baute. Der Mann hätte sich ruhig etwas eilen können dann könnte sie jetzt vielleicht wie ein Vogel fliegend, in der Hälfte der Zeit, ihr Ziel erreichen.Der Gedanke ließ sie schmunzeln und dabei wieder ihren linken Mundwinkel nach oben ziehen.

Elise öffnete die Tür und trat ein. Eine Dame mittleren Alters, in einem mit weißen Stickereien besetzten blauen Kleid, schaute zunächst etwas verstört auf Elises Beinkleider, begrüßte sie jedoch herzlich mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht.

"Grüß Gott wertes Fräulein. Wie kann ich euch dienen?"

"Guten Tag. Könnte ich bei euch wohl ein Zimmer für die Nacht bekommen?" antwortete Elise so gut sie es hin bekam. Ihre Schulfreundin Marlies, die aus Metz in Lothringen stammte hatte ihr den Dialekt aus ihrem Heimatort beigebracht. In den Pausen unterhielten sie sich oft kichernd in dem seltsamen Gemisch aus französisch und deutsch. Auch wenn man in Österreich etwas anders sprach, konnte man mit dem was sie von Marlies gelernt hatte ganz gut zurecht kommen.

"Sicher, kommt näher. Nehmt doch im Hinterzimmer Platz während ich euch die Schlafstube bereite." winkte die nette Dame sie heran.

Elise bedankte sich und betrat den hinteren Raum. Mehrere Sessel standen im Halbkreis um einen Kamin herum. Sie waren hübsch und bequem gestaltet. Edles Nussbaumholz mit dicker Polsterung mit Streifen und Blüten in verschiedenen Rosatönen. An der Wand unter dem hellen Seitenfenster stand ein entsprechendes Sofa mit dreifach geschwungener Rückenlehne. Sie ließ sich in einem der Sessel nieder und betrachtete die vielen Gemälde an den Wänden, welche mit einer hübschen Ziertapete im gleichen Muster wie das der Sitzmöbel versehenen waren. Großartige Landschaften und Frauen und Männern in farbenfrohen festlichen Kleidern wechselten sich ab. Am besten gefiel ihr jedoch das Bild eines Gebirgsenzians über dem ein leuchtend weißer Schmetterling schwebt.

Einige Minuten vergingen bis die Dame des Hauses erschien und sie auf ihr Zimmer geleitete.

"Wenn ihr hungrig und durstig seid könnte ich euch ein Mahl bereiten, mögt ihr?" fragte die Hausherrin freundlich.

"Oh, das wäre zu freundlich. Gerne." Elises Magen machte bereits seit ein paar Stunden Geräusche, die man sonst nur von unfreundlichen Hunden hörte.

"Ich werde euch etwas zurecht machen und auf euer Zimmer bringen. Nun ruht euch aus."

Die Dame verschwand geschäftig um keine Zwanzig Minuten später später mit einem Tablett zurückzukehren. Sie stellte es auf den kleinen Tisch am Fenster der Kammer.

"So bitte sehr junges Fräulein. Grammelknödel mit Schweinebraten und ein Viertel Schilcher. „Lasst es euch schmecken." sagte die Dame sichtlich stolz.

Elise freute sich auf das was sie da auf ihrem Teller hatte. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie schluckte, bedankte sich überschwenglich, setzte sich und machte sich sofort gierig darüber her. Es mundete ihr hervorragend. Der Schilcher, der offensichtlich ein delikater Rotwein war, tat ihr ebenfalls gut und verlieh ihrem aufgedrehten Geist die nötige Bettschwere. Gähnend erhob sie sich und entkleidete sich. Auf dem Nachttisch stand eine Schale mit Wasser bereit.Sogar ein Stück Seife und ein weißes Tuch lagen dort. Sie wusch sich von Kopf bis Fuß und trocknete sich dann rasch ab. Sie holte ein kleines Heft aus ihrer Reisetasche und schob diese dann schwungvoll unter das Bett, woraufhin auf der anderen Seite augenblicklich ein emailierter Nachttopf hervor schoß. Elise gluckste los, rannte um das Bett herum und schob den Topf lachend wieder unter das Bett. Als sie es sich im Bett gemütlich gemacht hatte, die Kerze auf dem Nachttisch entzündet war, seufzte sie zufrieden. Hach wie schön, dachte und fühlte sie. Sie schlug ihr Heft auf und begann über einem Mann namens Wilhelm Bauer, und seine Ideen zu lesen. Eine Konstruktionszeichnung eines Metallkörpers, etwas größer als eine Badewanne, war auf der nächsten Seite abgebildet. Interessiert begann sie zu lesen, dass dieses Ding doch tatsächlich Personen unter Wasser befördern könne. Weiter kam sie jedoch nicht, das war zwar höchst interessant, aber ihre Augen wollten nicht recht mitspielen. Andauernd wollten sie zufallen. „Na gut...“ sagte sie zu sich selbst. „Gute Nacht Elise.“ Sie legte das Heft beiseite.Zufrieden und sauber schlief sie sofort ein und trat ein in die Welt der Träume.

 

-

„Mau.“ machte es hinter Elise. Sie erschrakt, fasste sich jedoch sofort wieder. Sie saß vor dem Gartenhäuschen auf der kleinen, leicht verwitterten Holzbank und las. Sie sah sich um und sah eine recht magere, grau getigerte Katze hinter sich unter der Hecke hervor schauen, die vorsichtig auf sich aufmerksam machte und nun die Reaktion ihres Gegenübers abwartete. „Keine Angst kleiner Liebling.“ sagte sie leise und ruhig. „Komm her kleine chou chou.“

Chou chou hob langsam eine Vorderpfote, um sich ganz vorsichtig ein paar Zentimeter in Richtung der guten Frau mit der freundlichen ruhigen Stimme zu machen. Ein Schatten schob sich mit einem Mal über Elise,über die Katze, über den ganzen Garten. Chou chou duckte sich und kroch rückwärts wieder zurück ins Unterholz.Elise sah nach oben, der Himmel verdunkelte sich mehr und mehr. Doch das war kein Gewitter, es war..., pure Dunkelheit, pure bösartige Dunkelheit. Sie bekam Angst. Sie starrte zur Hecke, dahin wo Chou Chou gestanden hatte, ihr kleiner Liebling. Das war sie jetzt, und sie war ihr guter Mensch. Sie stand auf und kroch durch die Hecke ins Unterholz.

 

-

Elise erwachte sehr früh am Morgen durch Glockengeläut.

Sie gähnte und streckte sich lang aus in ihrem warmen, bequemen Bett. Die Sonne lachte bereits sanft durch das Fenster in die Stube hinein. Sie hatte einen aufwühlenden Traum gehabt, das spürte sie. Jedoch konnte sie sich nur noch daran erinnern, das eine Katze ( - Chou Chou - ) darin vorkam,... aber auch irgendetwas bedrohliches... .Was solls, denk an die Katze, die war süß, ermunterte sie sich selbst. Sie sprang fröhlich auf, kleidete sich geschwind an und hüpfte munter die Treppe hinunter. Nach den ersten Stufen bremste sie abrupt ab und rief sich ihre gute Erziehung ins Gedächtnis zurück. Den Rest der Treppe schritt sie etwas gesitteter hinab. Unten nahm sie den leckersten Kaffee ihres Lebens, schmeckenden Kaffee und frisch gebackenes, noch warmes Brot mit Butter und Mirabellenmarmelade zu sich. Sie hätte sich hineinlegen können, so lecker war das alles.

Nach dem Frühstück zog sie sich den langen warmen Mantel über, den sie sich für die Reise in weiser Voraussicht eingepackt hatte. Die Luft war kühl geworden und sie wollte sich nicht erkälten. Außerdem hatte sie den Blick der Dame gestern sehr wohl bemerkt, und in dem Mantel fiel ihre lederne Hose nicht gleich so sehr auf.Immerhin war sie in Graz und nicht schon in den zerklüfteten Bergen der Karparten.

Elise spazierte eine Weile den Fluss Mur entlang, bestaunte den prachtvollen Schlossberg und kam schließlich zum Glanzlicht ihres Ausflugs. Die Technische Universität.

Sie nahm auf einer Bank vor dem beeindruckenden stattlichen weißen Gebäude platz und beobachtete die Menschen die dort ein und ausgingen. Bestimmt waren einige bedeutende Wissenschaftler unter ihnen. Sie konnte jedoch niemand spezielles, den sie vielleicht aus ihren Zeitschriften kennen würde, entdecken. Schade dass sie nicht hineingehen und sich die eine oder andere Vorlesung anhören konnte. Wieder wurde sie wütend über die Regeln der Männerwelt. Sie glaubte nicht dass ihre Mutter recht hatte. Eines Tages, war sie sich sicher, würden auch Frauen solche Schulen besuchen dürfen. So hoffte es jedenfalls.Sie senkte den Kopf und eine Welle der Verzweiflung überrollte sie. Das ist ungerecht, so ungerecht...

Ein junger Mann, vielleicht Anfang Dreißig , trat an ihre Bank heran. Verbeugte sich galant und sprach sie an.

"Guten Morgen Fräulein. Ich möchte nicht stören. Aber dürfte ich mich wohl einen Augenblick nieder setzen. Ich bin viel gelaufen und würde meinen Beinen gerne eine Pause gönnen."

"Ja natürlich. Nehmt Platz. Die Bank ist groß genug." antwortete Elise, ohne den Mann weiter zu beachten

"Ich danke euch vielmals. Ihr habt außergewöhnlich ansprechendes blondes Haar, junge Dame." sagte der Mann ohne Umschweife.

"Mein Herr! Ich muss doch sehr bitten!“ , erwiderte Elise erschrocken. Derartige Direktheit eines fremden Herren entsprach sicherlich nicht der Etikette. „Vielleicht ist es besser ihr geht doch eures Weges!" fügte sie schroff hinzu und wendete sich demonstrativ mit einem heftigen Ruck ab.

"Ich bitte untertänigst um Verzeihung. Ich wollte euch nicht zu nahe treten. Mein Interesse an schönem Haar ist sozusagen beruflicher Natur." erklärte der schlanke Herr in schwarz mit dem auffällig gezwirbelten Schnurrbart. „ich bitte euch, verehrte Dame.“

"Nun gut, es sei verziehen." antwortete Elise in der Annahme einen Friseur bei einer Pause von seinen Hausbesuchen neben sich zu haben. Obwohl jener hier, ein recht erfolgreicher sein musste, nach seiner Garderobe zu urteilen jedenfalls. Er trug eine edle, wenn auch für Elises Geschmack etwas zu sehr in Schwarz gehaltene Garderobe.

"Ihr interessiert euch für prächtige Bauwerke?" fragte er unbekümmert.

"Eher für...“, Elise zögerte. „Ich möchte euch warnen, macht euch jetzt nicht lustig über mich. Eher für die Wissenschaft!" sagte sie mit leicht provokantem Blick in seine Richtung und wartete auf die übliche Reaktion.

"Wüsste nicht was daran lustig sein sollte, wenn sich jemand für die Wissenschaft interessiert. Wie kommt ihr darauf." fragte der Mann in Schwarz.

"Na da seid ihr der Erste. Von wo seid ihr das es euch nicht verwundert das ich als Frau dieser Passion anhänge?"

Der Herr sog kaum merklich etwas Luft durch seine geschlossenen Lippen in seine Lunge. Er hatte gerade bemerkt, dass er sich besser informieren musste, über die Zeiten in denen er verkehrte.

"Aus Australien." log er. In der Hoffnung die Frau wüsste nichts über diesen Kontinent.

"Australien. Das ist sehr weit weg. Gibt es dort zu viele Friseure?" fragte sie amüsiert.

"Wie meinen?...Aah!... Ja so ist es. Hier gibt es mehr zu verdienen." lachte er.

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und betrachteten die Universität.

Nun drehte sich der Mann zu ihr und sprach:

"Sagt Fräulein. Was haltet ihr von einem Ausflug. Ich kenne einen Herrn der sich mit allerlei wissenschaftlichen Dingen beschäftigt. Er würde sich über einen Besuch sicher freuen?"

"OH, meint ihr? Hat er nichts gegen neugierige Frauenzimmer wie mich, die ihm Löcher in den Bauch fragen würden?“ fragte sie sichtlich aufgeregt.

"Aber nein. Da bin ich sicher." lächelte er.

"Schön dann..." begann Elise.

In diesem Augenblick läutete der Glockenturm Elf Uhr.

Erschrocken sprang sie auf.

"Verdammt! Oh, verzeiht meine Ausdrucksweise, aber ich muss euer Angebot ärgerlicher Weise ablehnen. Meine Eisenbahn fährt in einer halben Stunde ab. Leider muss ich nun gehen. Es tut mir leid. Gehabt euch wohl."

Damit verabschiedete sie sich und eilte davon.

Der Mann blieb noch kurz auf der Bank sitzen. Er presste die Lippen aufeinander und schlug sich mit einer Hand klatschend auf seinen Oberschenkel.

"Das wäre ein nettes Mitbringsel gewesen." dachte er sich.

Nun ja, man kann nicht alles haben,schließlich hatte er hier im Schmuckbereich ein paar Besorgungen zu machen und blonde Frauen bekomme ich woanders, ups..., wannanders noch wesentlich besser und einfacher, sagte er sich.

 

*

 

 

Neuzelle, Deutschland 1937

 

Zentralpunkt der, sich über ein weitläufiges Areal erstreckenden Klosterschule, war eine ansprechende hell getünschte Kirche mit mattgelben Säulenfragmenten an den Außenwänden des Gotteshauses.

Wesslie und der Mann in Schwarz entstiegen dem wabernden Riss abseits des Gebäudekomplexes, im Schatten einiger hochgewachsenen Pappel.

Der Herr schloss den Riss mit dem Kristallschlüssel und sie stiegen eine kleine Anhöhe hinauf, um weiter hinten auf die Rückseite der Anlage zu gelangen.

Durch einen schmalen Durchgang gelangten sie in den Innenhof. Der Herr blieb kurz stehen um sich zu orientieren. Zuhause hatte er die historischen Fotografien der Anlage genau studiert, um seine Zeit hier nicht mit unnützer Sucherei zu vergeuden. Zielgerichtet führte er Weslie zur Seite des Haupt-Schulgebäudes. Er deute ihm mit einer Handbewegung an, sich etwas gebückt an der Außenwand entlang zu bewegen. Damit niemand im Inneren auf Zwei vorbeihuschende Haarschopfe aufmerksam wird, wenn er verträumt aus einem der Fenster schaute, die sich in einer Reihe die ganze Seitenmauer entlang zog. Unterhalb von einem dieser großen Fenster, hockte sich der Mann hin und winkte Wesslie nah zu ich heran. Er hockte sich neben den Herrn und hörte ihm zu.„Wirf einen Blick hinein.“ flüsterte er. Wesslie erhob sich und wurde sogleich von dem festen Griff der Hand seines neuen Herrn wieder herunter gerissen.„Aber sieh dich vor, wir wollen nicht entdeckt werden!“ fuhr er ihn ernst an.

Wesslie hob erneut den Kopf. Allerdings wesentlich vorsichtiger. Ganz behutsam legte er den Kopf etwas zur Seite und schielte mit einem Auge hinein. Im Klassenraum schrieb eine Frau mit einem streng hoch gesteckten Dutt und einem Uniformhaften hellen Kleid, gerade etwas an die Tafel des offensichtlichen Klassenraumes. Sie drehte sich nun zu ihrer Klasse um. Über ihrem Kopf, da wo vor einiger Zeit noch ein kleines Kreuz hing,wie es sich für eine Klosterschule gehört, befand sich nun ein Bild Adolf Hitlers. Mit ernster Mine sah die Lehrerin der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, oder wie es im Protokoll der Einfachheit halber hieß NPEA, ihre Schüler fordernd an.Die ca. fünfundzwanzig Mädchen im Alter von vielleicht siebzehn, achtzehn Jahren saßen ruhig und gerade an ihren Pulten und schauten aufmerksam nach vorne. Alle trugen die gleichen schwarzen Röcke, weiße Hemden und eine Art schwarzer Krawatte. Und erstaunlicherweise waren sie ohne Ausnahme allesamt blond.

An der Wand gegenüber der Fensterseite befand sich eine große Malerei auf der Mädchen wie die im Klassenzimmer zu sehen waren wie sie im Gleichschritt mit erhobenen Hakenkreuzfahnen durch eine blühende Landschaft marschierten.

Die Lehrerin schaute nach rechts. Wesslie duckte sich blitzartig und wäre fast Rückwärts über die Füße seines Herrn gestürzt. Sein Herz pochte heftig. Er betet, dass die Frau sich nicht in seine Richtung gedreht hatte, weil sie ihn bemerkt hatte.Doch die Lehrerin hatte sich lediglich einem Mädchen zugewandt, dass an dem Fenster saß vor dem Wesslie sich draußen positioniert hatte.Es hatte den Finger gehoben, um die vorher gestellte Frage zu beantworten.

"Und?" fragte dieser in freudiger Erwartung."Was hast du gesehen?"

"Wie ihr gesagt habt. Jede Menge blonder Mädchen. Nur blonde Mädchen, genauer gesagt" grinste er.

"Gut, wirklich gut." gab er zurück und rieb sich vergnügt die Hände. „Wir ziehen uns einstweilen etwas zurück und warten auf den Unterrichtsschluss. Dort drüben verläuft ein Pfad durch einen kleinen Park mit Bänken und lauscigen Plätzchen. Sicher werden einige der Gören sich hier in den Pausen herumtreiben und sich den neusten Tratsch weiter geben. Geduckt entfernten sie sich wieder von dem Hauptgebäude.

Sie begaben sich in den Park und legten sich hinter einem imposanten Rhododendronbusch in einer, vom Schulgebäude nicht einsehbaren Ecke, am Wegesrand auf die Lauer.

Wesslie hatte einen ganzen Haufen durchweg hübscher Mädchen in dem Klassenraum gesehen. Sein Hormonhaushalt war bei dem Anblick, und bei dem Gedanken ein oder Zwei dieser Mädchen zu rauben, zu entführen, völlig aus den Fugen geraten. Ein bisher unbekanntes Gefühl, ein Streben, ein Verlangen danach Macht auszuüben, über diese Mädchen, kroch in ihn hinein und durchfuhr sein Gehirn gleichermaßen wie seine Eier. Er hatte plötzlich den schier unwiderstehlichen Drang eine dieser „Gören“ ( - oder gleich Beide - ) zu ficken. Sein Schwanz wurde hart. Er hockte sich hin, damit dem Mann neben ihm nicht auffiel wie ausgebeult seine Hose war. Er war jetzt Achtzehn, und er hatte noch nie eine Frau gefickt. Er hatte es sich natürlich immer wieder vorgestellt und sich selbst befriedigt. Mit Hilfe von den Pornoheften die er dem Hausmeister geklaut hatte, oder seiner Fantasie. Eine Zeit lang hatte er jeden Abend eine junge Frau mit langen Schwarzen Haaren beobachtet. Sie fuhr jeden Morgen um 7 Uhr 15 mit dem Bus, gegenüber des Kinderheims. Er hatte sie durch sein Fenster beobachtet und sich im Stehen einen runter geholt. Aber wirklich getan hatte er es bisher nicht. Und er wollte es, endlich! Während seiner „Lehrzeit“ bei seinem Herrn hatte er keinen großen Kontakt mit Frauen gehabt. Höchstens mal bei den Besuchen in der Arena. Und er hatte keine Erfahrungen, wie man eine Frau ansprechen sollte, um Sex von ihr zu bekommen. Außer man bezahle dafür. Was Nutten waren wusste er natürlich auch, und wahrscheinlich würde sein „Erstes Mal“ bei einer Nutte sein, wenn er nicht bald anders an eine ran käme. Er konnte nicht mehr lange warten, das spürte er... . Vielleicht könnte er tatsächlich eine dieser blonden..., wenigstens mal kurz. Wenigstens ein einziges Mal richtig. Am liebsten von hinten, das stellte er sich besonders geil vor. Und er würde es ihr ordentlich besorgen, fest und hart, bis sie schrie... . Aber der Herr brauchte diese Frauen, wollte sie verkaufen. Und irgendwie wusste Wesslie, dass seine Kunden es nicht schätzen würden, wenn man die Ware schon vor dem Verkauf benutzt hätte. Er schaute schräg zu seinem Herrn hinüber, der den Weg in den Park im Auge behielt. Wesslie schüttelte den Kopf, als würde er ein lästiges Insekt los werden wollen das daruf hockte. Er verwarf seine geilen Gedanken vorerst. Es würde sich schon noch eine Gelegenheit ergeben... . Vielleicht könnte er bald ein Exemplar mit leichten Mängeln abbekommen. Vielleicht eine Brünette, sozusagen Ausschussware, feixte er mit sich selbst.

Ein durchdringendes Läuten schrak ihn auf und kurz darauf verließen die Schülerinnen das Gebäude. Sie stürmten allerdings nicht ins Freie, wie er es von den Schulen seiner Zeit kannte. Diese Mädchen schritten gesittet und geordnet durch die doppelte Flügeltür, auf den mit Kopfsteinpflaster befestigten Hof. Einige der Mädchen machten sich tatsächlich auf den Weg in den Park und spazierten fröhlich miteinander schnatternd voran, um sich im Park selbst in kleinen Grüppchen zu zerstreuen.

-

Helga und Margarethe entfernten sich etwas von den Anderen. Sie kamen beide aus dem gleichen Heimatort Frankfurt. Ihre Begeisterung hatte sich in Grenzen gehalten als ihnen letztes Jahr eröffnet wurde dass sie zusammen mit anderen „guten deutschen Mädeln“ ausgewählt seien eine von Hitlers Eliteschulen für Mädchen zu besuchen. Aber sie waren froh wenigstens zu zweit zu sein. Es ist immer schwer in einer neuen Schule Freunde zu finden. Nun spazierten sie durch den Park und tuschelten aufgeregt über ihre Pläne für den Nachmittag. Seit einer Woche waren ihnen die beiden Jungen in der Stadt aufgefallen. Sie arbeiteten in dem Gemüseladen am Markt, den sie in ihrer Freizeit, jeden Freitag besuchen durften. Sie sahen sich ähnlich, waren also bestimmt Brüder. das Alter durfte nahe ihrem liegen, vielleicht Ein Zwei Jahre älter, was sie natürlich noch interessanter machte.

"Der Große ist süß finde ich." sagte Helga.

"Das passt mir gut." erwiderte Margarethe. "Mir gefällt der andere besser."

Beide kicherten hinter vorgehaltener Hand.

"Ob es nicht langsam auffällt das wir so viel Obst und Gemüse kaufen?"

Wieder mussten beide gackernd loslachen.

Gerade hatten sie den hübschen Rhododendron mit den duftenden rosafarbenen Blüten passiert, als sie plötzlich, nur ganz schemenhaft und viel zu spät um reagieren zu können, einen Schatten hinter sich huschen sahen. Zeitgleich spürten beide Mädchen einen kurzen heftigen Stich im Nacken. Wie von einer fiesen Pferdebremse. ( - war da ein Zischen gewesen? Gibt es hier Schlangen?! - ) Helga und Margarethe wollten aufschreien doch ihre Kehlen waren augenblicklich wie zugeschnürt. Kein Laut drang über ihre Lippen. Ihre Gesichtsmuskeln fielen aus, sodass ihre Münder aufklappten wie bei einem Nussknacker der nach seiner nächste Walnuss giert. Die Schultern sackten nach unten und innerhalb eines Sekundenbruchteils versagten ihre Arme und Beine den Dienst. Sie fielen. Etwas...( - Jemand - ), fing sie auf. Helgas Kopf sank nach hinten und sie sah kurz einen Jungen mit einer entsetzlich entstellten Fratze. Sie musste an Edgar Allen Poe denken, als sie langsam das Bewusstsein verlor... . Ein großer pechschwarzer Rabe landete in ihrem Kopf und legte seine Flügel aus Angst und Dunkelheit über sie.

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"Schau zu und halte die Augen offen!" flüsterte der Mann Wesslie zu.

Sobald sie fallen hilfst du mir sie ins Gebüsch zu ziehen. Alles muss äußerst schnell passieren. Hast du verstanden?" wollte der Herr noch einmal versichert haben.

Wesslie nickte bejahend.

Als die Mädchen knapp an ihrem Versteck vorüber waren sprang der Herr auf den Weg und drückte beiden gleichzeitig eine Art Röhrchen von hinten an den Hals. Es zischte leise und die beiden sackten augenblicklich in sich zusammen.

Wesslie war längst herbeigeeilt, hatte eines der Mädchen aufgefangen, wie der Mann in Schwarz das Andere. Gemeinsam zerrten sie ihre Opfer hastig hinter den Strauch.

Sie blieben dort bis der Schulgong ertönte, der die Schülerinnen zurück zum Unterricht rief. Als sie allesamt verschwunden waren schleppten sie die beiden Mädchen eilig, bevor das Verschwinden ihrer Opfer auffiele und ein Suchtrupp los geschickt würde, zu dem schwarzen Streifen durch den sie gekommen waren. Sofort holte der Mann den Kristallschlüssel heraus und schnitt einen lila Riss in die Luft. Sie wuchteten die Mädchen gemeinsam hindurch und der Riss schloss sich von innen wieder.

In dem schimmernden Röhrengang legten sich beide Männer je eines der Mädchen über die Schulter und marschierten los. Wesslie stöhnte. So ein lebloser Körper ist schwerer als man denkt, dachte er. Auch wenn die beiden hier schlank und rank waren „ Lass sie nicht fallen Wesslie.“ ermahnte ihn der Herr, als hätte er Wesslies Gedanken gelesn. „Wenn die süßen Äpfelchen braune Stellen kriegen will sie nachher keiner mehr kaufen und vernaschen.“ hauchte er ihm ernst, mit erhobenem Zeigefinger zu.

 

*

 

Indianapolis, USA, 2476

Zurück in der Wohnung des Herrn warf dieser sich gleich auf den Schreibtischstuhl, nachdem sie die beiden jungen Frauen weggeschlossen hatten und sagte laut:

"Anrufen! Hakan!"

Wenige Augenblicke später erschien das bekannte Gesicht wieder im Raum.

"Hakan. Hör auf mit dem was du gerade tust und komm zu mir.

Es lohnt sich!"

Er lies Hakan keine Zeit zu antworten sondern beendete das Gespräch sofort wieder, was Hakan mit offen stehendem Mund verwundert zurück ließ.

Wesslie dachte an die beiden Mädchen und empfand kurz so etwas wie Mitleid. Dies änderte sich jedoch schlagartig als er an die vielen Mädchen im Heim dachte.

Sie hatten ihn ständig ausgelacht weil er nicht so gut mitkam im Unterricht, weil er schüchtern war und weil...weil er eben anders war. Lissi Jones hatte ihm zwar erlaubt unter ihren Rock zu fassen, aber er wusste auch dass Lissi sich von fast jedem hatte unter den Rock, und an ihre schon richtig großen Titten fassen ließ. Sie war schon 14 gewesen und offensichtlich frühreif, wie man so schön sagte. Außerdem ging danach ja dann alles in eine ganz andere Richtung... . Diese beiden hier hätten ihn sicherlich nicht an ihre Röckchen gelassen. Sie hätten ihn ausgelacht, wie alle, überlegte er wütend. Er zitterte und war drauf und dran sie zu schlagen.Es juckte ihm dermaßen in den Fingern.Der kleine Anflug von Mitgefühl bekam nicht den Hauch einer Chance sich in diesem Jungen noch zu etablieren.

Der Herr riss ihn aus seinen Träumen.

"Lass uns die Zwei Hübschen etwas zurecht rücken. Damit sie gut aussehen wenn Hakan kommt“ kam der Mann zu Wesslie und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

*

Noch immer stand Hakan stumm da, die Hände wie zum Gebet vor seiner Brust gefaltet.

"Wo zum Teufel hast?...“ setzte er an zu fragen. „...Nein, ich will gar nicht wissen wo du die her hast. Hölle! So was! Das ist.....Wieviel willst du für die beiden haben?" Hakans Augen huschten zwischen den beiden hübschen Mädchen und dem Herrn hin und her.

"Nun, ich denke Sechstausend währen angemessen." sagte der Herr beiläufig während er an einem Glas nippte.

"Sechstausend? Wo soll ich Sechstausend hernehmen. So auf die Schnelle! Ich gebe dir vier. Soviel zahle ich sonst für acht Frauen."

"Aber nicht für blonde Frauen, Hakan. Du kannst für jede von ihnen fünftausend verlangen. Mindestens! Und ich hatte die ganze Arbeit. Ich will kein Gerede, daher verkaufe ich über dich. Aber wenn dir meine Preise nicht passen führe ich das Geschäft vielleicht doch selber durch!"

"Schon gut, schon gut. Sechstausend." winkte er ab.

Zerknirscht zog Hakan eine Karte aus dem Beutel den er bei sich trug. Er führte sie in das kleine Gerät ein das der Herr ihm entgegen hielt, tippte etwas ein und zog sie missmutig wieder hinaus.

Der Herr wies Wesslie an die Mädchen auf ein ferngesteuertes Gefährt zu verladen das Hakan mitgebracht hatte und sie gut abzudecken. Wesslie steuerte das Fahrzeug nah an ihre Opfer heran, während der Mann in Schwarz mit Hakan zu einer kleinen Bar neben seinem Schreibtisch schritt. Das Geschäft sollte mit einem kräftigen Brandy besiegelt werden.

Beim aufladen der Mädchen fasste Wesslie beiden jungen Frauen ganz bewusst an wo er es gerne wollte und sie es ihm niemals erlauben würden. An die kleinen festen Brüste und den schmalen knackigen Hintern der einen, und danach die drallen Titten und den kräftigeren runden Arsch von Margarete. Er war sich jedenfalls relativ sicher, dass das Margarete war. Er beließ es dabei und griff Margarete in den Schritt als er sie rüber hob, genau wie zuvor bei Helga. Schön fest, so das er ihre Spalten an seinem Zeigefinger spüren konnte. Sein Schwanz hatte sich halb aufgerichtet und es zuckte ein wenig unschlüssig in ihm herum. Er fasste noch einmal kräftig zu. Sehr kräftig. Griff nach den Titten, den Fotzen den Ärschen. ( - Fester Weslie!Fester!! - )Seine Fantasien verselbständigten sich. In ihnen drehte es sich längst nicht mehr nur um seinen milchigen Saft auf oder in den zuckenden sich windenden nackten Leibern der Mädchen. In seinen Fantasien vermischte sich sein Saft mit dem von Helga und Margarete. Doch dieser Saft war rot. Und er floß in Strömen...

„Wesslie, beeil dich ein bisschen.“ riß es ihn zurück in die Welt. „Irgendwann werden die beiden Hübschen nämlich auch wieder aufwachen und es wäre mir nicht unbedingt recht wenn das noch hier passiert. Außerdem,ist Hakan auch ein Geschäftsmann, und Zeit ist immer noch Geld. Nicht wahr Hakan?“ Der Herr und Hakan standen lachend am Panoramafenster und prosteten sich mit kleinen goldenen Bechern zu.Sie hatten heute beide ein sehr lukratives Geschäft gemacht.

Weslies linke Hand war zur Faust geballt und durfte wohl einen blauen Fleck an Helgas Schambein hinterlassen haben. Die rechte Hand hatte sich in Margaretes Genick gekrallt. Ein kleines Büschel Haare blieb zwischen seinen Fingern zurück, als er sie zitternd los ließ. Ein Büschel Haare mit der dazugehörenden blutigen Kopfhaut. Sein Schwanz war kerzengerade aufgerichtet und hart wie Beton.

Erschrocken tupft er die Stelle hinten am Hals des Mädchens mit der Innenseite seines Ärmels ab. Sie ist nicht sehr groß, und der blaue Fleck? Ist vielleicht längst verschwunden wenn jemand anderes danach sieht. Und wenn nicht? Mein Gott, das kann schließlich auch während der ganzen Aktion passiert sein... .

Hakan verabschiedete sich und verließ die Wohnung durch die Tür die zur Außenplattform führte. Er betätigte die Fernbedienung des Wagens, sodass dieser ihm mit den beiden Frauen wie ein treuer Hund folgte.

"Das war ein guter Einstand Junge. Gute Arbeit. Lass uns ein wenig feiern gehen bevor wir deine Ausbildung fortsetzen. Ich lade dich zum Essen ein!" trällerte der Herr.

 

*

 

Rumänien, Südosten,1847

 

In einer kleinen Stadt am Fuß der Karpaten.

 

Nachdenklich starrte die blond gelockte Französin mit dem hellblauen Sommerkleid vor sich hin. Der Mann mit dem Fuhrbetrieb, wenn man das so nennen konnte, - Ein Mann, Eine Kutsche – redete gerade mit Jacques, beziehungsweise Er mit ihm. Nachdem sie an dem groben Kerl gescheitert war, hatte Jacques sie sanft beiseite geschoben und den Kutscher erneut ins Gebet genommen. Sein Betrieb umfasste die kleine Weide links, den Stall direkt daneben und das Wohnhaus zu ihrer Rechten. Ein kleines, aber stabil aussehendes Gebäude mit rot getünschten Wänden und dunkelbraunem Schrägdach. Ein großer grauzotteliger Hund lag schlafend auf der kleinen Veranda. Er hob kurz den Kopf, als sie ihn ansah. Seine Nase fing ihren Sechs Meter entfernten Geruch auf, deklarierte ihn als unbedenklich, legte seinen Kopf zurück auf seine übereinander geschlagenen Vorderpfoten, ließ einen langen entspannten Seufzer hinaus und schloss wieder die Augen. Der Kamin rauchte nicht, obwohl Josephine trotz dicker Jacke bereits fror. Das erinnerte sie daran, dass ihnen die Zeit davon lief. Je weiter sie noch Richtung Osten zogen, desto mehr würden die Temperaturen sinken. Der Sommer war hier schon vorbei.

 

-

Josephiné und ihr frisch gebackener Ehemann Jacques hatten die Hoffnung eine Spur zu finden schon fast begraben.

Nach einer äußerst strapaziösen Fahrt, fünf Tage kreuz und quer durch die Schweiz, Österreich, Ungarn und Transylvanien waren sie schließlich den letzten Tag, mit der Postkutsche reisend, bis hierher gelangt.

Nichts deutete bisher auf den Verbleib von Elise hin.

Sie waren ratlos und verzweifelt.

Nun keimte die Hoffnung jedoch erneut auf, wie ein junger Sprössling der nach tagelanger Abwesenheit der Hausdame das erste Wasser empfängt und es durch die Wurzeln in die schon halb eintrocknenden Triebe lenkt.

Der alte Mann, den sie am Ortseingang getroffen hatten, war sich sicher die Dame auf dem Portrait zu erkennen. Er hatte ihr Anfang der Woche den Weg zum Kutscher gezeigt, nicht ohne sie davor zu warnen die Route über den Pass zu nehmen.

"Das ist sein Reich dort oben und junge Fräuleins sollten sich von diesem Berg fernhalten!" hatte er ihr versichert.

Doch Josephines Schwester hatte nur gelacht.

Sie hielt nichts von Aberglauben und übersinnlichen Geschichten. Elise hatte genug von den Sprüchen der Männer. Sie musste sich schon allerhand anhören wegen ihrer Neigung zur Wissenschaft. Selbst ihr Vater beanstandete immer wieder ihre "lächerlichen Anwandlungen" wie er es nannte.

Allein ihr Onkel Frederick der in England lebte, mit dem sie regen Briefkontakt pflegte, hatte Verständnis für ihren Wissensdurst und war begeistert von ihrem Interesse an technischen Abläufen und Entwicklungen. Er selbst würde auch an dem Treffen teilnehmen und seinen glühenden Glaskolben vorstellen der die Kerzen ablösen sollte. Schon Sechs Jahre zuvor hatte er ein Patent dafür angemeldet, aber noch keinen echten Durchbruch damit erzielt, was Elise ganz und gar nicht verstehen konnte.

Ein anderer Erfinder hatte sich angemeldet, der ein Verfahren entwickelt haben soll, Räder mit einem luftgefüllten Stoff zu umhüllen. Das würde die langen Kutschfahrten sicher angenehmer gestalten, hatte sich Elise erfreut.

Josephiné und Jacques begaben sich gleich zum Kutscher, der am Ortsausgang seine Stallungen hatte.

Die vier schwarzen Pferde auf der angrenzenden Weide fraßen das sattgrüne Gras. Eines von ihnen rieb sich genußvoll an einem der Apfelbäume die dort vereinzelt standen. Vergnügt kam eines der anderen Pferde angetrabt, als es mitbekommen hatte dass sein Artgenosse der seinen Juckreiz an der Rinde des Baumes befriedigte, damit auch einige reife Früchte ins Gras fallen gelassen hatte.

Der Hausherr war am Eingang einer kleinen Scheune dabei gewesen ein paar Säcke zu verschnüren. Gerade verscheuchte er ein neugieriges Huhn, dass in den Säcken leckere Körner vermutet hatte. Aufgebracht flatternd und kreischend verzog es sich Richtung Misthaufen.

Mit pochendem Herzen fragte Josephiné den stattlichen glatzköpfigen Mann ob er ihre Schwester Elise gefahren hätte. Der Mann warf einen kurzen Blick auf das Bild, spuckte aus und drehte sich zur Seite um die Säcke zu stapeln.

Dieser Kerl widerte Josephine an. Auch wenn es ihr schwer viel bewahrte sie Ruhe. Kurz bevor sie ein zweites Mal ansetzen wollte, sprach er ohne sich umzudrehen:"Ja, hab die Madame gefahren, aber nur bis zur Taverne in dem kleinen Dorf oberhalb des alten Forstes. Sie wollte dort Rast machen und übernachten und am nächsten Tag mit einem der Dorfbewohner weiter. Hab ihr gesagt, sie sollte lieber sehen vor der Nacht über den Pass zu kommen, wollt aber nicht hören. War störrisch wie mein alter Esel, die Madame. Ist ihr Leben hab ich ihr gesagt, ist ihr Leben. Hab sie gewarnt vor ihm, ja das hab ich! Aber wenn sie glauben ich kutschiere sie auch da hin, können sie das gleich vergessen. Für diese Woche war ich genug unterwegs!“ polterte er und ging in die Scheune um einen weiteren Sack herbei zu schaffen.

Jacques schob sich an seiner vor Zorn bebenden Frau vorbei, legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und sprach den Kutscher noch einmal an. „Guter Mann, ihr habt sicher recht getan und gesprochen.“ Josephine warf ihm einen böse funkelnden Blick zu. Jacques wich dem aus, bevor er sich an ihm fest saugen konnte. Er trat ein Stück näher an den wuchtigen Mann heran und hauchte ihm leise und verschwörerisch zu: „ Da dies hier die Schwester jener störrischen Eselin ist, und nebenbei außerdem noch meine frisch angetraute Ehefrau, die mindestens ebenso störrisch sein kann, wäre ich ihnen wirklich aufs äußerste und tief verbunden, wenn sie die Güte hätten uns unter Umständen, natürlich gegen einen entsprechenden Obulus, doch noch baldmöglichst, ebenfalls zu jener Gaststätte zu fahren.

Der Kutscher schaute, die Augen rollend, hinauf zur Sonne und erwiderte schließlich:"Gut gut, ihr Städter scheint alle nicht sehr an eurem Leben zu hängen, mir solls recht sein, aber euern Obulus könnt ihr behalten, ich bevorzuge es mich bezahlen zu lassen. Aber wenn sie heute noch fahren wollen dann sofort. Bei Einbruch der Dunkelheit möcht ich auf keinen Fall mehr da oben sein, nein das möcht ich nicht, nicht für alles Geld der Welt!“ sagte der Mann bestimmend. „ ...und ich tue das nur, weil ich auch eine Frau habe!“ warf er noch leise hinterher.

 

-

 

Die Reisenden trafen am frühen Abend erschöpft an der kleinen Taverne am Dorfplatz ein. Ein einfacher Brunnen mit Pferdetränke war der Mittelpunkt des kleinen Versammlungsortes mit Feldsteinboden, den die vielleicht Einhundert Seelen hier errichtet hatten. Gegenüber der Taverne stand das größte Gebäude des Dorfes, und das einzige das bis auf das Dach, komplett gemauert war. Das, und eine massige, mit Schnitzereien reich verzierten Tür ließ erkennen, das hier wohl der Vorsteher des kleinen Ortes zu wohnen schien.Die anderen Häuser, die sich rings um den Dorfplatz an den Drei bis Vier abgehenden schmalen unbefestigten Wegen zusammengequetscht hatten, waren klein und etwas windschief. Man konnte erkennen, dass die Bewohner mit dem zurecht kommen mussten was Gott ihnen zugestand. Sie waren teils aus grobem Stein,- Granit aber auch Sandstein -, viel aus Kiefernholz. Kleine schlichte Fenster, Türen und Fassaden. Auf den Dachschindeln machte sich Moos breit. Aus ein paar wenigen der kleinen schmalen Schornsteine quoll etwas Rauch. Er schien sich ebenfalls in der Dorfmitte zu versammeln, um dann gemeinsam in die hinter dem großen Haus drohend aufragenden Gebirgszüge zu entschwinden. Gegenüber des Steinhauses, auf der anderen Seite des Dorfplatzes stand ebenfalls ein größeres Zweistöckiges Haus. Dies war offensichtlich die Gaststätte des Ortes. Ein paar Meter vor dem Gebäude hatten die Bewohner, sicherlich schon vor etlichen Jahre, wie man am Verwitterungsgrad der schweren Holzbalken sah,eine etwa Zwei Meter hohe Tribüne errichtet. In ihrer Mitte befand sich eine Bodenklappe,über der ein düster drohend aufragender Galgenbaum thronte. Man kümmerte sich hier also anscheinend selbst um seine Angelegenheiten. Der Wind wirbelte den Rauch noch einige Male im Kreis herum, bevor er ihn mit sich nahm.

Josephine blickte ihm nach..., sie erschauderte beim Anblick des Galgens. Ihr Herz wurde schwer. Elise... mein Schwesterchen... . Sie wollte sich einfach in den Dreck werfen und in Tränen ausbrechen, so verzweifelt und erschöpft war sie. Doch das würde niemand etwas helfen, das wusste sie, und schließlich ging es um ihre Schwester. Sie schluckte schwer, seufzte, aber packte den Griff ihrer Tasche fester.

Jacques schluckte ebenfalls schwer. Eigentlich sollte er jetzt ganz woanders sein, dachte er. Vornehmlich mit meiner Josephine in unserem Haus in Paris. Mit der Familienplanung beschäftigt vielleicht. Er grinste versonnen in sich hinein.... Dann fiel ihm wieder Elise ein und der Reis. Elise war eine starke Person und Persönlichkeit. Das wusste er. Er selbst hatte einmal gesehen das sie sich durchaus zur Wehr setzen konnte. Bei einem Gruppenfoto aller Schüler ihres Jahrgangs wurde Elise einmal von einer Wespe in den Nacken gestochen. Alle Schüler standen brav und still in Drei Reihen vor dem Fotographen. Hinter Elise stand damals ein Junge namens Frederic, den Nachnamen hatte er vergessen. Dieser Frederic war bekannt dafür gewesen, immer wieder andere, vor allem jüngere, Mitschüler zu necken und zu ärgern. Kein besonders netter Sproß jedenfalls. Nun, in dem Moment in dem Elise von der Wespe gestochen wurde und der Schmerz sich in ihrem Nacken ausbreitete, drehte sie sich ruckartig um und sah Frederic. In der vermeintlichen Annahme, dieser hätte sie bösartig gezwickt, schlug Elise ihm mit böse funkelnden Augen, ohne Vorankündigung so kräftig auf die linke Wange, dass nicht nur Frederic zur Seite kippte und ihm augenblicklich die Tränen in die Augen schossen, sondern gleich noch Zwei weitere Schüler von ihm mitgerissen wurden und allesamt im Gras landeten.

Doch jetzt, wenn er sich so umsah, bekam er doch langsam ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Und bis seinem Magen irgendwas mulmig wurde, da musste schon so einiges im argen sein..., aber bleib ruhig Jacques, sagte er sich, bleib ruhig. Es reicht wenn Josephine sich verrückt macht.Also bleib ruhig.

Über dem Eingang der Gaststätte baumelte ein Wappenförmiges Holzschild mit schon leicht verblasster Schrift. "Zum Gehenkten" stand in roten Buchstaben darauf geschrieben.

Der Kutscher reichte ihm jetzt seinen Koffer und nahm seinen Lohn entgegen. Sofort stieg er wortlos wieder auf seinen Kutschbock.Er drehte eine Runde über den Platz und gab den Pferden die Peitsche sobald er die Dorfgrenze hinter sich gelassen hatte.

Die Reisenden traten an die Tür der Taverne, öffneten die knarrende schwer gängige Tür und traten ein. Im Inneren waren an allen Fenstern und über der Theke Knoblauchkränze aufgehängt.Der Raum wurde durch das flackernde Kerzenlicht auf den Tischen nur dürftig erhellt. Der Wirt stand an seiner, von Flecken, Kerben, Wachs und Becherringen übersäten Theke. Hinter ihm befand sich ein fast leeres Regal. Lediglich ein paar Becher, mindestens Zwei davon mit einer deutlichen Macke, und Drei identische Tönerne Flaschen standen dort. Der Wirt hätte der große böse Bruder des mürrischen Kutschers sein können. Er war noch massiger, hatte ähnlich grobe Gesichtszüge und ebenfalls eine Glatze. Aber er hatte tiefdunkle Augenbrauen und eine höhere Stirn. Und er machte auf Anhieb, was Josephine kaum für möglich gehalten hätte, einen noch unsympatischeren Eindruck als der furchtbare Kutscher.

Im Hintergrund heulte weit entfernt ein Wolf, während düstere Wolken im fahlen Licht des langsam erscheinenden Mondes vorüber zogen und gespenstische Schatten über den Boden kriechen ließen.

Die Nacht brach langsam über das kleine Bergdorf herein.

Ein Gewitter zog innerhalb weniger Minuten auf und begann sogleich mit seinem Spektakel aus Licht und Lärm. Die schweren Wolken entledigten sich ihrer Last. Die Tropfen prasselten in einem anschwellenden Stakkato auf die Dächer.

Ein Blitz erhellte kurz die Nische zwischen dem Gasthof und dem hohen Stapel Feuerholz auf seiner Rückseite unter dem Giebel und gab den Blick frei auf die schwarz gekleidete gebeugte Gestalt, die sich dort versteckt hielt. Voll gierigen Verlangens spähte der Beobachter mit dem durch Brandnarben entstellten Gesicht durch eines der kleinen Fenster. Doch er wusste das er sich nicht an den Neuankömmlingen vergehen durfte.

Schließlich wandte er sich qualvoll ab und hastete ins Unterholz. Er musste zu seinem Herrn, die frohe Nachricht überbringen. Vielleicht würde er ihn diesmal entlohnen für seinen Gehorsam und seine Treue. Doch nun schnell schnell, der Weg ist lang bis zum Schloss, hoch oben am Steilpass und der Herr kann sehr ungeduldig sein. Das Weib gestern hatte ihm unerwartete Probleme bereitet doch diesmal würde er besser Acht geben.

 

*

 

Indianapolis, USA, 2480

Die Menge tobte. Ekstatisches Kreischen und Johlen erfüllte die Arena.

Wesslie saß mit dem Herrn ganz vorne, etwas erhöht auf einem der Logenplätze. Auf einer vor ihm schwebenden Ablage stand eine Schale mit kross gebratenen, undefinierbaren aber leckeren Fleischstücken. Daneben eine weitere, jedoch kleinere Schale mit einem fast schon zu scharfen blaugrünen Dip.

Wesslies Augen leuchteten. Das war wie einem dieser Filme ab achtzehn die er manchmal in Chicago gesehen hatte.

Damals...

Das war jetzt vier Jahre her.

Jedenfalls hatte er bei einer seiner Exkursionen, die er fast täglich vom Kinderheim aus startete,etwas Erfreuliches entdeckt. Bei diesen Ausflügen war er natürlich immer alleine unterwegs gewesen. Die anderen wollten ihn, den komischen Sonderling, nicht dabei haben wenn sie spielten. So hatte er sich in seiner Freizeit davon gestohlen und war im Viertel herum gestreift. Meist trieb er sich in verlassenen Abrisshäusern oder auf Baustellen herum, an denen Ausdrücklich: Betreten des Grundstücks verboten! Eltern haften für ihre Kinder! Stand. Na dann seht mal zu das ihr meine Eltern findet, hatte er hämisch grinsend gedacht. Hier war er immer auf der Suche nach fantastischen Abenteuern, wie in den Comics und Filmen.

Nie hätte er angenommen dass er tatsächlich mal in ein solches hineingeraten würde... .

Hin und wieder gönnte er sich einen Hot Dog an der Ecke oder auch einen Kinobesuch. Dafür musste er natürlich erst mal Geld herbeischaffen.

Wesslie schlich sich dafür, bei sich bietender Gelegenheit unbeobachtet in eines der Zimmer seiner Mitbewohner und durchsuchte diese mit äußerster Sorgfalt und Akribie. Die Geldverstecke fand er immer. Dafür hatte er Talent.

An einem Samstag im August 2007 hatte er allerdings keinen Cent in der Tasche. Also schlenderte er am späten Nachmittag einmal wieder ziellos durch die Straßen. Irgendwann überkam ihn das Verlangen eine der alten Feuerleitern hinauf zu klettern, die sich anscheinend aus ihrer Verankerung gelöst hatte, oder sie war einfach weggerostet und hatte die Leiter nach unten rutschen lassen. Für Instandsetzungsarbeiten hatte hier niemand etwas über. Und falls ein wagemutiger Mieter tatsächlich einmal den Schneid gehabt hatte irgendwelche wohnlichen Mängel beim Hauseigentümer anzuzeigen und ihn zur Beseitigung selbiger aufzufordern, bekam er ziemlich schnell Besuch von Zwei bis Drei Typen mit Baseballschlägern, die diese Art von Beschwerden auf ihre Art bearbeiteten.

Er stieg hinauf bis zum Dach eines Fünfstöckigen, ziemlich abgewrackten, aber noch bewohnten Backsteinbaus. Von dort oben konnte er einige Straßen überblicken. Er begann damit eines seiner Lieblingsspiele zu spielen. Wesslie hieß jetzt nicht mehr Wesslie sondern "Jo Gun". "Auftragskiller Jo Gun"!

Er griff sich eine herumliegende abgebrochene Antennenstange und robbte über den kalten Beton zur Kante des Dachs. Nun legte er auf einige der unten umher wuselnden Passanten an. Immer wieder machte er dabei Schuss- und Ladegeräusche nach.

Eine Weile später erkannte er ein Stück weiter das alte "Horizon Kino". Ein paar Mal war er dort gewesen und hatte sich Filme angesehen. Hier liefen zwar nicht die großen Blockbuster, eher B-Movies, aber dafür war der Eintritt auch wesentlich günstiger als in den großen Kinos die weiter nördlich lagen. Auf dem Dach des Kinos konnte er einen Zugang mit einer Holztür entdecken, die nicht sonderlich stabil aussah. Wesslie legte sein "Gewehr" beiseite und rappelte sich hoch. Von seinem Dach aus konnte er ohne große Probleme mit ein paar Sprüngen zu dem Dach des Kinos gelangen.Die Gebäude wuchsen hier quasi ineinander. Trotzdem war er plötzlich auf einer feuchten Moosbewachsenen Mauerzinne ausgerutscht und um ein Haar über den Rand, gute Vier Stockwerke hiabgestürzt. Sein Herz pochte wie irre in seinem Kopf und in seinem Hals, während seine Beine zitterten. Er hatte sich gerade noch an einer, an der Außenmauer angebrachten Satellitenschüssel festklammern können. Der Empfang ist dahin, scherzte er Eine Minute später erleichtert.Ein Sprung und Zwei Kletterpassagen weiter war er angekommen und untersuchte die Holztür. Sie war wirklich nicht gerade massiv. Ein kräftiger Tritt gegen die unteren Bretter und schon hatte er eine Öffnung durch die er ins Innere kriechen konnte.

Wesslie versuchte mit dem wenigen Licht das nun in den Raum fiel etwas zu erkennen. Die kleine Kammer hatte einen Holzfußboden. Die Dachabdeckung war scheinbar undicht. Dunkle und von Schimmel durchzogene Flecken hatten sich oben an der Decke und auf dem Boden gebildet. Es roch muffig. Einige alte Weinkiste aus Holz, gefüllt mit rostigem Werkzeug, stand in einer Ecke. Daneben ein niedriges Sideboard dessen helle Farbe halb abgeblättert war. Auf der anderen Seite standen zwei Farbeimer, daneben ein Topf mit einem großen Pinsel der so eingetrocknet war, dass man damit jemanden hätte erschlagen können. Auf der Seite vor ihm lehnte ein verbogener Wäscheständer an der Wand, an dem tatsächlich eine einzelne blaue Socke baumelte.Die einzige Tür des Raumes war die, durch die er hineingekrochen war. Seufzend ging er zu dem Sideboard und öffnete es in der Hoffnung einen vergessenen Schatz oder wenigstens eine Waffe zu finden die einer von Al Capones Männern hier auf der Flucht deponiert hatte, bevor ihn die Cops wegen Steuerhinterziehung einkassiert hatten ( - was für ein Witz!... - ).

Er zog voller Erwartungen die erste Schublade auf. Leer!

Na dann bestimmt in der Zweiten. Die klemmte. Er ruckelte und zerrte bis ihm die Finger weh taten und er sie endlich soweit geöffnet bekommen hatte um mit schräg gehaltenem Kopf hinein sehen zu können. Auch leer!

Plötzlich hörte er ein Knarren. Zunächst dachte er es käme von der Tür und ein grantiger Hausmeister würde ihn nun anschreien und mit einem Arschtritt davon jagen. Doch da war nichts. Als er bemerkte dass das Knarren nicht von der Tür sondern von unter ihm kam war es bereits zu spät.

der Boden gab nach und er stürzte in ein dunkles Loch. Er schrie, aber dann war er auch schon gelandet. Einen Moment lang blieb ihm durch die Stauchung seines Körpers die Luft weg. Sein Hintern schmerzte wie nach einer der Züchtigungen durch den Pfaffen. Staub wirbelte überall um ihn herum. Seine Nase juckte und kribbelte, der Staub trieb ihm schmerzhaft in die Augen und brannte noch mehr, als er instinktiv versuchte sie mit den Händen sauber zu wischen. „..Tschhi,...Tschi!“ Wesslie musste kräftig niesen.

Als der Schmerz langsam nachließ, sah er sich um. Über ihm klaffte ein großes Loch in der Decke. Er war auf dem eigentlichen Dachboden des Kinos gelandet. Es war dunkel, nur ein sehr kleines Dachfenster gegenüber von ihm, ließ schemenhaft ein wenig erkennen. Auch hier keine Tür. In der einen Ecke war wahrscheinlich einmal eine. Aber der Durchgang war zugemauert. Einige alte leere Holzkisten standen herum. Er schob die größte unter das Loch und stapelte eine weitere etwas kleinere darauf um wieder nach oben gelangen zu können.

Sein Glück das die alten Dinger hier standen sonst hätte er hier oben verhungern und verdursten können, dachte er. Nach ihm hätte sicherlich niemand gesucht.

Gerade als er hinauf klettern wollte sah er einen Lichtschimmer am Boden und Musik drang an sein Ohr, ganz entfernt, aber er hörte sie.

Interessiert ging er zu der Stelle und entdeckte ein kleines Astloch im Boden. Sein Auge ganz nah daran geführt sah er unten den Kinosaal und die Leinwand. das Loch war allerdings recht klein, sodass es schwierig war alles zu erkennen und unbequem war es auch. Wesslie dachte nach.... Es war bereits spät, er musste zurück. Für heute.

Wesslie verließ den Dachboden über seine selbst errichtete Treppe, verschloss den Zugang auf dem Dach provisorisch mit den Brettern die er dort herausgetreten hatte und begab sich wieder zurück ins Heim.

Am folgenden Tag machte er sich erneut auf den Weg. Diesmal hatte er sich mit einer dicken Decke, stibitzt aus der Waschküche, und einer groben Feile aus dem Werkzeugkasten des Hauswarts Mr. King bewaffnet.Das war ein Risiko gewesen, aber das Werkzeug in der Dachkammer die er gestern entdeckt hatte, war nicht mehr zu gebrauchen. Gut das Wesslie ein guter Beobachter war. Er wusste das der Hauswart jeden Tag um 9,um Zwölf und um 16 Uhr im Werkzeugschuppen verschwand. Er wusste auch das er dort nicht sein Werkzeug in Schuss hielt oder gar säuberte, sondern seinem besten Freund Jim oder Jack einen Besuch abstattete. Sein Werkzeugkoffer blieb dabei immer dort wo er gerade beschäftigt gewesen war. Wozu auch das schwere Ding hin und her schleppen. Bei der 12 Uhr Runde schlug Wesslie zu. Die Kiste stand in der Waschküche neben der „zufällig“ defekten Waschmaschine, - er hatte bloß ein Kabel lösen müssen -. Während Mister King im Werkzeugschuppen auftankte, schnappte Wesslie sich die Feile und machte sich durch die Gartentür aus dem Staub.

Auf dem Dachboden machte er sich mit der Decke eine einigermaßen bequeme Liegestatt zurecht und feilte eine größere Öffnung aus dem kleinen Astloch, durch die er nun eine gute Sicht auf die Leinwand hatte.

Gespannt wartete er auf den Film. Heute lief "Hostel" ein Film ohne Jugendfreigabe, der schon letztes Jahr in den großen Kinos gelaufen war. Wesslie sah sich den Film mit einer Mischung aus Faszination und Ekel an. Einige der wirklich brutalen Gewaltexzesse in diesem Film führte er nachher in Gedanken an dem Pfaffen und ein paar seiner Mitbewohner aus. Das verschaffte ihm eine seltsame Art der Befriedigung. Es erregte ihn. Er spürte wie es zwischen seinen Beinen heiß und hart wurde.

Von diesem Tag an verbrachte er viele Stunden auf dem Dachboden des Kinos und erfreute sich an etlichen Filmen die er aufgrund seines Alters sonst nie zu Gesicht bekommen hätte.

Was er hier in der Arena jetzt erlebte war wie in den Filmen, nur besser weil die Menschen da unten wirklich kämpften. Es floss echtes Blut. Die Schmerzensschreie waren real und die Kämpfer, bis auf den Letzten natürlich, starben wirklich. Die Arena selbst war nach seinem römischen Vorbild erbaut, nur nicht so groß wie in diesen alten Kostümfilmen, so das man gut alles, wirklich alles sehen konnte. Die Wände erhoben sich vielleicht Vier Meter von dem Sand bedeckten Boden.

Mit Keulen, Äxten, Schwertern und Eisenstangen gingen die Männer und Frauen aufeinander los. Ein Mann hatte soeben einem anderen beide Arme mit einer Spaltaxt abgetrennt. Einer der im Sand liegenden Arme hielt immer noch einen mit Fünfzehn Zentimeter langen Nägeln durchsetzten schmalen Holzbalken umklammert. Eine junge Frau in tiefbraune Lederfetzen gesteckt, prügelte mit einem Metallrohr wie wild auf den Kopf eines am Boden liegenden ein. Ein Messer steckte schräg in ihrer linken Brust. Manche versuchten voller Angst und Panik aus der Arena zu entkommen indem sie die Wände zu erklimmen begannen. Manche wenige schafften es sogar bis nach oben, wo sie dann unter dem Gelächter des Publikums von Wächtern wieder hinunter auf den Kampfplatz geworfen wurden. Einer der Kletterer stürzte so unglücklich, dass sein rechtes Bein einfach seitlich wegbrach und der Oberschenkelknochen sich dabei durch die Haut bohrte. Kreischend versuchte der Mann den offenen Bruch, im Sand liegen zu schützen indem er die Hände völlig sinnlos wie ein Dach darüber hielt. Ein mächtiger Schlag eines Beils in seinen Hals, so das der Kopf seitlich wegklappte, beendete das Geschrei. Der Herr war offensichtlich ebenfalls vergnügt bei der Sache. Hin und wieder stubste er Wesslie schmunzelnd an um ihn auf eine besonders brutale oder "lustige" Szenerie aufmerksam zu machen. Wesslie befand sich in einem Rausch. Er liebte es.

Als die Kämpfe nach Zwei Stunden vorüber waren stand nur noch ein schwarzer Hüne mit Stiernacken und riesigem Bizeps in der Arena und wurde frenetisch bejubelt.

"Das ist meiner!" erläuterte der Herr Wesslie, kräftig aplaudierend. " Ich habe ihn aus dem Kongo. 1612. Ein Prachtkerl, nicht wahr?" sagte er stolz.

*

Nach der Show führte der Herr Wesslie zu einem eigentümlich aussehenden Wohnmobil das in einem abgetrennten VIP-Bereich abgestellt war. In einigem Abstand standen weitere, allerdings wesentlich unauffälligere Exemplare um die sich allerhand fröhliche, aber auch eine Menge weniger positiv gestimmte Menschen versammelt hatten um ihren Sieg oder eben ihren Verlust bei den Wetten zu begießen.Das Teil zu dem der Herr und Wesslie nun vordrungen war unglaublich. Es war hauptsächlich weiß, mit wenigen schwarzen geschwungenen Mustern lackiert, wie eine ziemlich edle Yacht in St.Tropez oder Miami. Im Urzustand erinnerte es wahrscheinlich immer noch mehr an ein mächtig großes Wohnmobil,oder nach der Schnauze zu urteilen eher wie ein Extra-extravaganter Camping-Luxus-Liner den man auf einen übergroßen, Lamborghini geschweißt hatte. Aber so wie es jetzt da stand, alle speziellen Anbauten ausgefahren, passte der Yacht-Vergleich doch sehr gut. Die Maße betrugen wohl gute Zwölf Meter in der Länge und Sechs in der Breite, was auf jeden Fall nur durch ausfahrbare Seitenwände erreicht worden sein konnte. Dieses Monster, so wie es hier stand, hätte auf keine Straße, und erst recht um keine Kurve gepasst.Sechs Achsen mit Doppelbereifung auf jeder Seite befanden sich unter dem Ungetüm, was auf mindestens Zwanzig Tonnen Gewicht schließen ließ. Auf dem Dach hatte sich eine Flybridge ausgefahren, von der aus man das Gewimmel ringsum beobachten, oder in den am Heck befindlichen wohltemperierten Pool hüpfen konnte. Zwei mit knappem Bikinis bekleidete schwarzhaarige junge Frauen schwammen in dem durchsichtigen Bassin und bespritzten sich gegenseitig neckisch mit Wasser, während sie ihre Sektgläser mit einer Hand linkisch nach oben reckten um deren Inhalt zu retten. Seitlich am Dach des Geschosses, gleich unterhalb der „Kommandobrücke“ war eine Terrasse nebst exotischem Mini-Garten mitsamt Palme, Orchideen und sogar einem Papagei an einer dünnen Kette, der nicht besonders glücklich aussah, eingerichtet. Ein älterer dicklicher Mann mit hellem glänzenden Anzug, grau melierten Haaren und schwarzer Sonnenbrille, eine Ray Ban wie die von den Blues Brothers, saß dort oben. Er blickte hinab, sah die beiden und winkte sie lässig herbei.

Eine Wendeltreppe baute sich wie aus dem Nichts vor ihnen auf und gab den Weg nach oben frei.

Der Herr stieg, gefolgt von Wesslie nach oben. Wesslie bemerkte leicht besorgt, als er nach hinten schaute, wie die Treppe sich hinter ihnen sogleich wieder zusammenschob und verschwand. Er ging einen Schritt schneller. Der Mann mit der Sonnenbrille bot ihnen bequem gepolsterte Sitzplätze unter der Palme an.

"Wie gehts Partner? Wen hast du da mitgebracht?"

fragte der Mann, mit einem kurzen Nicken in Wesslies Richtung.

"Joseph, das ist Wesslie. Ein zuverlässiger loyaler Freund.

Wesslie, das ist mein Geschäftspartner Joseph." stellte der Herr sie einander vor.

Hände wurden geschüttelt. Dann winkte Joseph eine ebenfalls nur mit einem Bikini bekleidete recht kleine Frau herbei, deren Aufgabe es anscheinend war, wenn nötig Stundenlang, nur darauf zu warten von Joseph herbei gewunken zu werden.

"Bring uns drei Fasikis, aber mit viel Eis und viel Rum!"

Die Frau ging mit einem freundlichen Kellnerlächeln davon, nicht ohne das Joseph ihr im weggehen noch rasch einen Klapps auf den ansehnlichen Hintern versetzte. Was bei der kleinen Bediensteten nicht die geringste Reaktion hervorrief. Sie war es gewohnt so behandelt zu werden, sie nahm das hin. Sie könnte genauso gut auf der anderen Seite der Mauern der Arena stehen statt hier. Das verwehren eines Klappses auf ihren Po würde dafür ausreichen, das wusste sie. Und Joseph würde dafür sorgen dass sie dort landet, sollte sie ihn auch nur böse ansehen dafür.Was ihn nicht davon abhielt ihr Verhalten so dermaßen falsch zu deuten, dass er dem Herrn nun verschwörerisch zwinkernd zuflüsterte: „ Die steht auf mich, die Kleine.“ Er würde sie sich heute Abend noch schnappen und ihr geben was sie wollte. Und sie wollte es. Wollte es von ihm, sinnierte er lächelnd.

"Was sagst du zu meinem Afrikaner Joseph?“, wurde er aus seinen Träumen gerissen. „Habe ich dir zu viel versprochen?" fragte der Herr.

"Ich bin sehr zufrieden, wie immer.“ sagte er freudig und breitete seine Arme dabei bekräftigend aus. „Bring mir ruhig mehr von der Sorte. Aber zunächst habe ich einen anderen Auftrag.Man sagt du kannst alles besorgen. Bisher konntest du das auch. Und ich will gar nicht wissen wo du die alle herzauberst. Ich würde gerne etwas mehr Pep in meine Arena bringen. In den Archiven bin ich auf die Geschichten des römischen Reiches gestoßen. Der Einsatz von Tieren bei den Kämpfen war dort äußerst beliebt. Also habe ich mich gleich mal informiert und mir ein paar interessante Viecher ausgeguckt. Am besten haben mir welche mit Namen Wolf gefallen. Die hätte ich gerne, sind nicht zu groß, nicht zu klein. Zieht den Tötungsakt etwas hin. Das mögen die Leute. Sind schon ewig ausgestorben, sagt man.

Aber wenn einer noch irgendwo auf der Welt einen auftreiben kann dann du. Hier, ich habe Bilder von diesen Wölfen. Vielleicht findest du zumindest etwas ähnliches."

Der Herr betrachtete die Bilder der Wölfe die sich in diesem Moment Dreidimensional vor ihm in der Luft abspielten.

Er zog eine Augenbraue hoch und sagte:

"Wie immer alles eine Frage des Preises Joseph!"

"Ich zahle dir Zweitausend für einen Wolf."

"Sagen wir Zweitausendfünfhundert und wir sind im Geschäft!"

Joseph streckte die Hand aus und der Herr ergriff sie.

"Abgemacht! Zweifünf."

"Wieviele willst du Joseph?"

"Wieviele? Willst du mich...“ lachte er los und verstummte gleich wieder, da er bemerkte dass der Herr keine Mine verzog. „Nein, du meinst es ernst. Gibt es irgend Etwas, das du nicht besorgen kannst?"

Der Herr schüttelte den Kopf.

"Nein Joseph, gibt es nicht!" sagte er völlig ernst.

Joseph nickte ihm ehrlich anerkennend zu.

Die Kellnerin brachte die Getränke, die mit kleinen Schirmchen welche ständig die Farbe wechselten, garniert waren und verschwand wieder.Nicht ohne einen weiteren, diesmal mit etwas mehr Schwung und Kraft verabreichten Klapps Josephs mitzunehmen.

Genüsslich schlürfend saßen alle Drei in dem Dachgarten und genossen den Sonnenuntergang.

Wenig später verabschiedeten sich der Herr und Wesslie höflich und traten den Heimweg an.

"Wir haben gerade einen Großauftrag an Land gezogen Wesslie.

Ich habe auch schon eine Idee wo wir ausgesprochen gut gebaute Exemplare von Wölfen herbekommen werden. Wir haben jetzt Zwei vordringliche Aufgaben.Ich werde uns eine meinem Stand entsprechende Ferienwohnung besorgen. Am besten in einer Zeit in der die Menschen noch abergläubig und leicht verwirrbar sind. dadurch haben wir mehr Freiraum um in Ruhe agieren zu können.

Du, mein lieber Wesslie wirst dir ein gutes Betäubungsgewehr besorgen und anschließend kurzzeitig einem Schützenverein beitreten. Ich bringe dich dafür in deine Zeit, heutzutage wird nichts mehr betäubt. Ist ja kaum noch was da und wenn wird es getötet und nicht betäubt."

"Herr, verzeiht wenn ich widerspreche, aber Unterricht im Umgang mit dem Gewehr wird nicht nötig sein. Ich habe bereits Erfahrung mit einem Luftgewehr gesammelt.

Wenn ihr wollt demonstriere ich es euch sobald die Waffe da ist." beteuerte Wesslie.

Der Herr blieb stehen und sah Wesslie leicht erstaunt an „Gut Wesslie. Wie du meinst. Ich lasse mich überraschen.“

 

-

 

Nach ihrer Rückkehr zog sich der Herr zurück um in seiner digitalen Bibliothek im Untergeschoss Erkundigungen einzuholen.

Er ließ sich gemütlich in einem hohen altmodischen Ohrensessel nieder den er einmal aus einem herrschaftlichen Landhaus in England 1912 entführt hatte.

Er liebte diesen Sessel.

Vor ihm erschien auf Knopfdruck ein frei schwebender Bildschirm.

"Rufe auf: Wölfe, Vorkommen, Lebensräume, Achtzehntes,Neunzehntes und Zwanzigstes Jahrhundert!" sagte er laut

Eine Liste erschien augenblicklich in der Luft.

Er nahm ein stiftartiges Gerät zur Hand aus dem ein rot leuchtender Laser strahlte. Der Stift sah ein wenig aus wie eine Miniaturversion eines Jedi-Ritter Schwertes. Er markierte mit seinem Laserschwert die oberste Zeile und murmelte dabei:

"Wie ich bereits vermutet habe."

Eine Landkarte erschien, auf der einige Stellen blau schraffiert waren. Daneben stand: schraffierte Flächen= Besonders hohe Wolfs-Population. Die größte dieser Flächen beschrieb einen Gebirgszug auf dem in großen Buchstaben KARPATEN geschrieben stand.

 

-

 

Wesslie lag noch eine Weile wach in seinem Zimmer auf dem großen Bett. Diese Welt gefiel ihm. Seit er vor vier Jahren hergekommen war hatte er angefangen Gefallen am Leben zu finden. Hier wollte er für immer bleiben und seinem neuen Herrn, der ihn aus der Scheiße gezogen hatte, weiterhin dankbar dienen. Gleich Morgen würde er sich um das Gewehr kümmern. Mit dem Schießen lernen würde es sicher schnell gehen. Er hatte ja tatsächlich bereits gewisse Erfahrungen gesammelt.

Als er zehn Jahre alt war hatte er vom Dachfenster des Waisenhauses aus beobachtet wie der Hauswart mit einem Luftgewehr auf die Krähen im Kirschbaum geschossen hatte.

Kurze Zeit später, als der Mann Besorgungen im Norden Chicagos machte, schlich er sich nach oben in den Zweiten Stock, in seine Kammer und fand recht schnell die Flinte, in eine Steppdecke gerollt, auf dem Kleiderschrank. Die Diabolos-Dose steckte zwischen den Socken in der Schublade der Kommode.

Wesslie warf das Gewehr aus dem kleinen Fenster des Zimmers in das darunter befindliche Beet. Inmitten der Wacholderbüsche konnte es niemand so ohne weiteres entdecken.

Dann schlenderte er, mit der Munition in der Hosentasche, bewusst unbekümmert zur Haustür und hinaus in den Garten. Spazierte um die Ecke, sah sich noch einmal unauffällig um und kroch in den Wachholderbusch. Fast hätte er die Flinte nicht gefunden. Er hatte bereits an seinem Verstand gezweifelt, als er sie endlich fand und mit Schweißperlen auf der Stirn herauszog. Das Gewehr hatte sich so geschickt an einem der oberen Äste angeschmiegt, dass es kaum noch von diesem unterschieden werden konnte. Er sah sich erneut um, bevor er es komplett aus dem Busch heraushob. Er presste es sich aufrecht, halb unter die dünne Jacke geschoben an seine linke Seite und marschierte irgendwie staksich, um das Gewehr möglichst nicht sehen zu lassen,in den hinteren, verwachsenen Teil der Gartenanlage.Zusätzlich wurde der Bereich noch etwas abgeschirmt, durch den Geräteschuppen, der an der Grenzmauer stand und mit seiner Rückwand an das verwilderte Stück anschloss. Hier sollte bald alles gerodet werden um eine Obstwiese anzulegen. Eine prächtige Möglichkeit die Heimbewohner tüchtig ackern zu lassen. Und bei entsprechender Pflege und sorgfältiger Ernte, würde das dem Heim nicht nur, zum Entsetzen der Kinder, jede Menge Pudding und Fruchtjoghurt einsparen, sondern vielleicht sogar noch eine zusätzliche kleine Einnahmequelle einbringen.

Aber jetzt wucherte hier alles. Sowohl die Gräser und Büsche in den verschiedensten Grüntönen, als auch auch ein paar dunkelrote Blutbuchensämlinge vom Nachbargrundstück. Ein paar wenigen Blumen, die sich ihren Platz hier selbst erwählt hatten behaupteten sich tapfer in dem, sie teilweise an Höhe weit übertrumpfenden Gras.

Wesslie hockte sich neben dem verrottenden Stamm eines vor Jahren umgestürzten Ahorns hin. Ein großer Graubrauner Baumpilz der seitlich an dem Stamm wuchs, diente ihm als Abstellfläche für die Patronen. Er kniete sich und legte das Gewehr über dem Stamm ab um ruhiger zielen zu können. Die ersten Schüsse gingen natürlich ins Leere. Wesslie versuchte es zunächst mit Bäumen und der Wand des Geräteschuppens. Er verfehlte so gut wie alles auf das er anlegte. Nach einer halben Stunde brachte er das Gewehr auf dem selbem Wege zurück.Nur das er es dieses Mal ja in die Kammer des Hauswarts bekommen musste und nicht umgekehrt. Und er konnte die Flinte sicher nicht einfach in den Raum hineinwerfen. Das war viel zu riskant. Irgendjemand könnte es hören, und je nach dem wie das Gewehr fiel, würde es vielleicht auf etwas landen dass dabei zerbrechen könnte. Oder noch schlimmer, es könnte einfach los gehen. Blöde Zufälle und Gemeinheiten gab es zu Hauf im Leben, das wusste Wesslie. Aber dann hatte er eine Idee. Er versteckte das Gewehr zunächst wieder im Wachholder, dann rannte er zurück zum Geräteschuppen und fand schließlich an der Wand hinter der Motorsense, was er gesucht hatte.Im Busch band er das Gewehr an ein Stück feste Schnur, legte es unter das Fenster und Band das andere Ende der Schnur um ein kurzes Stück Ast. Den Ast mit der Schnur warf er dann auf das Fensterbrett im Zweiten Stock, wofür er bloß Vier Versuche brauchte. Das war annehmbar. Dann gelangte er wieder unbemerkt in das Zimmer, zog das Gewehr an der Schnur nach oben und drapierte es wieder auf dem Schrank.Er achtete peinlich genau darauf dass alles so war wie er es vorgefunden hatte. Der Hauswart würde bald zurück kommen und durfte um Himmels Willen nichts merken.

Sein Plan ging auf. Der Mann schöpfte keinen Verdacht. Es gab eh keine Krähen zur Zeit, und keine Kirschen die sie klauen könnten.

Von da an lieh er sich immer wieder das Luftgewehr wenn er ein ausreichend großes Zeitfenster hatte und übte hinten im Garten. Irgendwann traf er die Bäume und später sogar kleine Äste. Er wurde immer besser.

An einem Tag im Juni wollte er es wissen.

Gut versteckt hinter einem Forsythienstrauch lauerte er auf ein Opfer.

Und da war es schon. Eine grau getigerte Katze taperte gemächlich durch das Gras. Sie blieb kurz stehen, schaute nach links und rechts. Ihre Ohren bewegten sich dabei wie Antennen die etwas orten wollten. Ihr Blick verfiel leicht ins schielen, als sie eine brummende Hummel gleich über ihrer Nase begutachtete. Sie schritt weiter, mit hoch erhobenem leicht zuckendem Schwanz.

Wesslie schwitzte vor Aufregung. Das Gewehr drohte fast aus seinen feuchten Händen zu rutschen.

Er drückte ab!

Die Flinte zuckte kurz.

Die Katze machte eine halbe Drehung und schrie auf, was Wesslie leicht verstört an den Schrei eines Babys erinnerte. Ein feiner Nebel aus Blutstropfen explodierte am Schwanzende des Tieres in der Luft. Noch in der Drehung, änderte das Tier instinktiv die Richtung, sprang sofort wieder auf und rannte wie der Teufel zu dem Loch in der Mauer durch das sie gekommen war.

"Yeah! Treffer!" stieß Wesslie hervor.

Das fühlte sich gut an.

In der folgenden Zeit schoss er noch auf Eichhörnchen, Vögel und eine weitere Katze, eine besonders hübsche Dreifarbige. Die ersten Male traf er die sich bewegende Ziele nur jedes Zweite oder Dritte Mal. Aber irgendwann war er so weit, dass er so gut wie immer sein Ziel erwischte.Der Dreifarbigen Katze traf er auf Anhieb in den Kopf. Der Diabolo hatte ihr rechtes Auge platzen und das Metallgeschoss in ihr Hirn eindringen lassen.Sie war sofort tot. Was Wesslie ein wenig schade fand. Er hätte gerne noch einmal dieses „Baby-Geschrei“ gehört.

Wesslie lächelte bei dem Gedanken an diese Erlebnisse.

Noch beim Einschlafen umspielte ein Schmunzeln seinen Mund.

 

*

 

Chicago, USA, 2008

Der Herr hatte zusammen mit Wesslie den Riss passiert.

Jetzt stand der Herr neben dem schwarzen Streifen und wartete.

Es missfiel ihm zwar, seine Zeit hier mit Warten zu verbringen, aber es war definitiv zu früh um Wesslie alleine loszuschicken. Er musste sich noch etwas mehr beweisen um sich dieses Vertrauen zu verdienen.

*

Wesslie kletterte an der Vorderfront des Gebäudes über die Regenrinne auf das Dach der Garage.

Hier im Mondschatten der Bäume konnte ihn niemand sehen.

Er ließ sich auf der Rückseite wieder hinab und schlich zu der Seitentür.

Ein rostfleckiger alter Buick kam die Straße hinaufgezuckelt. Wesslie warf sich flach auf den Boden und wagte es nicht zu atmen.

"Bitte keine Cops!" dachte er.

Die Scheinwerferkegel erhellten kurz die Einfahrt und das Schild über der Haupteingangstür, als der Wagen das Haus passierte.

"Städtischer Hundefänger" stand dort in Grauen Buchstaben.

Daneben war ein Comic-hafter Kopf eines gefährlich aussehenden Rottweilers abgebildet.

Der Wagen fuhr vorbei und ließ CCR genau auf Höhe des Hauses „...Dude, Dude, Dude, knocking at my backdoor,,,.“ durch das geöffnete Fahrerfenster trällern.Als hätte das Schicksal sogar einen Soundrack für diese Szene in Wesslies Leben geschrieben.

Wesslie, wartete noch einen Moment, bis die Scheinwerfer nicht mehr zu sehen waren. Er holte das Gerät hervor, welches der Herr ihm bei der Abreise gegeben hatte. Es erinnerte ihn stark an eine kleinere Ausführung des Akku-Schraubers von Mr. King, dem Hausmeister in dem Kinderheim.Nur ohne jeglichen Aufsatz zum bohren oder schrauben. Es hatte ulkiger weise sogar die selbe Farbe. Leuchtend Orange. ( - Nicht gerade die beste Wahl für ein Einbruchswerkzeug, ging es Wesslie durch den Kopf - ). Damit würde er durch jede Tür und jede Wand kommen, hatte der Mann in Schwarz ihm Augenzwinkernd versichert. Er zielte auf das Türschloss. Erwartungsvoll drückte er ab. Ein heller Strahl, gefolgt von einem leisen Rauschen ertönte und er konnte zusehen wie sich sämtliches Metall im Schlossbereich auflöste und an der Tür nach unten floss. Auf halber Strecke erkaltete das Material wieder und fiel mit einem "Klack!" zu Boden.

Bevor er sie jedoch öffnete warf er durch das Loch in der Tür eine kleine, ebenfalls von seinem Herrn erhaltene EMP-Granate, die mit ihrer elektromagnetischen Strahlung sämtliche Gerätschaften in dem Gebäude schachmatt setzen sollte. Ein fast putziges "Puff!" war zu vernehmen. Dann gingen alle Lichter und sämtliche anderen elektrischen Geräte im Inneren aus. Natürlich auch die Alarmanlage um die es ihm mit der Aktion ging.

Wesslie holte seine Maglite-Taschenlampe hervor, betrat das Gebäude und leuchtete die Wände und Schränke ab. Aha! Da war das was er suchte. Hätte ihn auch gewundert, wenn der amtliche Tierfang keins gehabt hätte. In dem verschlossenen Schrank mit den Panzerglasscheiben stand ein schickes Betäubungsgewehr. Darunter lagen drei Kartons mit einsatzbereiten Munitionspfeilen.

Er benutzte wieder den Metallzersetzer für das Schloss, griff sich den Inhalt des Schranks und verschwand so schnell wie er gekommen war.

"Na Wesslie, wie war dein Einkauf? Alle Weihnachtsgeschenke bekommen?" begrüßte ihn der Herr am Riss,während er gelangweilt mit einem Zahnstocher seine Fingernägel reinigte.

"Alles da!" erwiderte Wesslie stolz. Der Herr warf den Zahnstocher hinter sich. „ Gut Wesslie, wirklich gut. Leise und Schnell. So mag ich es.“ nickte er ihm zu. Er öffnete den Riss und schon waren sie wieder verschwunden.

 

*

 

Rumänien,Karpaten, 1846

 

"Sieh dir das an Wesslie! Na? Was sagst du?" Der Herr machte eine einladende Bewegung mit seinem rechten Arm.

Vor ihnen ragte ein verwinkeltes mächtiges Schloss auf. Ringsum erstreckten sich Schluchten und Berge, dicht bewachsen mit stattlichen Buchen und Kiefernwäldern. Ein breiter Bachlauf ergoß sich plätschernd aus den Gipfeln in die tiefen Senken, teilte sich und verschwand auf der Nordöstlichen Seite ins Dorf und auf der anderen weiter in Richtung Süden im dichten Wald.

Mit leuchtenden Augen sah der Herr Wesslie an.

"Das ist fantastisch. Hat was von Graf Dracula." entfuhr es Wesslie staunend.

"DAS, mein Freund,“ begann der Mann in Schwarz theatralisch .Seine Stimme schwoll dramatisch an. „DAS IST das Schloss von Graf Dracula!" verkündete der Herr und hielt sich dabei seine beiden Zeigefinger gekrümmt an die Mundwinkel.

Wesslie öffnete erschrocken den Mund.

"Keine Angst Wesslie. Der Herr dieses Schlosses ist seit mehreren hundert Jahren tot.“ fuhr er nun nüchtern, mit einer wegwerfenden Handbewegung fort. „Vlad ist sicherlich bei der Behandlung und Eliminierung seiner Feinde und Gefangenen, was die Grausamkeit und Brutalität angeht, wirklich teuflisch kreativ gewesen, aber die Geschichten über Vampire, das ist alles Blödsinn! Der Landesfürst hatte in der Mitte des Fünfzehnten Jahrhunderts hier residiert. Sein Name, Dracul, bedeutet Drache und rührte von einem uralten Orden her, dem schon sein Vater und seine Vorväter verpflichtet waren. Doch in Rumänien hieß er nur „Der Sohn des Teufels“ , nach Drac, rumänisch für Teufel. Und das war er. Ein Teufel. Er ließ Menschen mit sadistischer Freude ertränken, enthäuten, und verstümmeln. Er zwang Gefangene, die vor ihren Augen gekochten und gerösteten Mitgefangenen und sogar eigene Familienangehörigen zu essen. Aber am meisten lag ihm das Pfählen. Die Beine wurden dabei meist an Zwei Pferde gebunden und von diesen auseinander gehalten. Dann wurde ein spitzer Stab in den Anus oder die Scheide, bei der Frau, eingeführt und langsam vorwärts getrieben, bis er auf der anderen Seite wieder hinauskam. Ein Minutenlanger quälender Tod. Das war allerdings die sanfte Variante. Die Miese-Laune-Variante, -und Vlad hatte eigentlich fast immer miese Laune -,war eine weit grausamere. Die Todgeweihten wurden hierbei auf einen Stab, in genannten Öffnungen,gesetzt. Dann wartete man einfach bis das eigene Körpergewicht den Stab immer weiter in den Leib, durch die Gedärme hindurch, trieb. Das perfide bei der ganzen Sache war,dass der Stab nicht etwa ordentlich angespitzt, sondern extra fein abgerundet und eingeölt war. Das verlängerte das Leben der verendenden manchmal um mehrere Tage. Kein Wunder also, das die Geschichten über den „Sohn des Teufels“ durch Mund zu Mund Propaganda zu der Legende des ewig lebenden blutsaugenden Vampirs Graf Dracula wurde.

„Wir werden uns hier einen Stützpunkt einrichten. Die Dorfbewohner sind sehr abergläubig. Sie werden uns hier garantiert nicht in die Quere kommen.“ wies der Herr an.

„Wir müssen ein paar Möbel ranschaffen und Käfiganlagen für die Tiere.Von hier aus werden wir eine nicht enden wollende Flut an Wölfen zu Joseph schicken." er klatschte vergnügt in die Hände.

Mit einem unbeschwerten Hüpfer wie ein Kind rannte er vergnügt los in den Schlosshof. Bevor er in der Hauptpforte verschwand um ins Innere vorzudringen, rief er Wesslie breit grinsend zu:

"Ich nehme das oberste Turmzimmer! Erster!" Dann war er im Inneren verschwunden.

Wesslie stand schweigend da und sah sich, langsam um sich selbst drehend, um.

Ein wirklich imposanter Bau, das musste er zugeben.

Ein riesiges Eingangstor aus massigem Holz mit schmiedeeisernen Beschlägen und Scharnieren führte in den großen Innenhof. Ein Falke zog hoch über seinem Kopf vorüber. Aus dessen Perspektive erschien das Gemäuer noch mächtiger und geheimnisvoller. An der Seite zum steilsten Abgrund hin, ragten die weißen Mauern am höchsten hinauf. Dort befand sich ein runder Turm mit einem langen spitzen, mit rötlichen tönernen Ziegeln gedecktem Dach. Wie der Hut eines Zauberers stach er heraus.Etwas schräg daneben saß der höchste Punkt des Schlosses. Ein breiter rechteckiger Turm mit schrägem Dach auf der dem Hof gewandten Seite. ER überragte alles. Von hier konnte man auf viele Meilen alles sehen was sich aus jeder Richtung näherte. An der dem Berg zugewandten Seite erhoben sich dicht an dicht ineinander gesetzte kleinere Wohngebäude für Bedienstete. In dessen Zentrum lag der Hauptgebäudeteil. Alles in weiß mit Tonziegeln gehalten. Im geschlossenen Innenhof waren mehrere Türen die in die großzügigen Wohnbereiche des Schlosses führten. Ehemalige Stallungen und ein paar kleinere Anbauten aus Holz waren an den Rändern zu sehen.

Am Ende des Hofes, gleich bei den alten Stallungen,stand ein Brunnen. Alles deutete darauf hin, dass hier seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, niemand mehr gelebt hatte. Überall roch es etwas muffig, Staub und Spinnweben hüllte alles in eine stumpfe Hülle und ließ die gesamte Szenerie irgendwie unwirklich erscheinen. Moos und hellblaue Flechten krochen allerorts über das Gestein im Hof. Manche der Anbauten aus Holz waren so verwittert und baufällig, dass man mit dem bloßen Finger Löcher in ihre Wände bohren konnte. Einer, der auf der Wetterseite genau in einer zugigen Ecke stand, war komplett ineinander gefallen und sackte nun Jahr für Jahr ein Stück tiefer. Bis eines Tages nur noch ein paar Späne vom Wind weggepustet werden würden. Um das Schloß herum wucherte die Natur wie wild. Der Zuweg war nur noch halb so breit wie er eigentlich einmal war. Wo ehemals Kutschen mit Gefolge entlang fuhren, hatte nun lediglich noch ein einzelner Reiter mit seinem Pferd Platz. Schlingpflanzen kletterten die Mauern empor bis zur höchsten Stelle und aus dem Dach eines der kleineren Türme an der Seite, wuchs eine bereits gute Zwei Meter hohe Kiefer schräg und Krumm, bei jedem Sturm um Halt ringend.

Er wusste natürlich selbst dass diese Vampirgeschichten allesamt erfunden waren. Aber ein wenig mulmig war ihm trotzdem zumute als er die größte Tür im Innenhof passierte, durch die sein Herr gerade eben verschwunden war.

Im Inneren fand er eine Vorhalle mit Türen an den Seiten die zu verschiedenen Räumen führten. An beiden Seiten, ganz hinten, je eine Treppe in den Keller, ( - bzw. das Verließ, die Folterkammer - )Wesslie durchfuhr ein aufgeregtes Kribbeln. In der Mitte der Vorhalle führte eine breite Treppe aus Marmor hinauf.

Dort oben stand der Herr und winkte ihn aufgeregt herbei.

Wesslie stieg die Treppe nach oben zu ihm, und gemeinsam gingen sie weiter geradeaus, bis zu einer weiteren großen, beschlagenen Doppeltür aus massivem Holz. Links und Rechts von ihnen, entlang des Treppenaufgangs, säumten weitere, aber kleinere Türen die Wände. Wahrscheinlich reihten sich hier die Wohn- und Schlafzimmer aneinander. Der Herr öffnete die große Doppeltür und sie standen in einem riesigen Festsaal.

In dem großen Saal standen große Holztische, nein Tafeln. Als Tische konnte man das nicht mehr bezeichnen. Und Bänke, ebenfalls aus Holz und ohne Lehnen.

Ein mächtig großer Kamin war auf der einen Seite in die Wand gesetzt. Auf der anderen Seite erhellten einige große lange Fenster zum Innenhof den Saal. Jedes Zweite von ihnen war mit bunten Mosaiken und teils grausigen Bildern versehen, die Wesslie die Ausführungen seines Herrn, was den Grafen angeht, noch mehr glauben ließen.

"Wesslie! Besorg Feuerholz. Wir wollen es uns etwas hübsch und gemütlich machen und den Dorftrotteln den Eindruck vermitteln das der Schlossherr wieder daheim ist.“ wies er Wesslie an.

„Ich werde hier im Saal einen dauerhaften Durchgang einrichten und noch einen Zweiten unten im Hof, zur Sicherheit. Ist immer besser noch eine Karte im Ärmel zu haben. Wenn wir einmal überstürzt flüchten müssen könnte das durchaus sinnvoll sein. Außerdem ist das günstiger für den Transport der Wölfe.Wir werden ein paar Tage brauchen alles vorzubereiten.

Ich schätze nächste Woche können wir dann das erste Mal auf Wolfsjagd gehen! Ich schaue mich mal im Dorf unterhalb dieses Gebirgszuges um. Ein geldgieriger und gleichzeitig Ortskundiger Helfer wäre sicher von Vorteil.Wir müssen zusehen das wir hier oben sicher sind und zufrieden gelassen werden. Wir werden sicher einige Monate lang unsere Wochenendausflüge hierher machen. Das heißt wir brauchen jemanden der dafür sorgt dass hier erst gar niemand aufläuft und der uns warnt wenn sich trotzdem jemand auf den Weg macht. Mal sehen was sich machen lässt."

-

Wesslie verließ das Schloss und begab sich in den Wald.

Genug trockenes Holz lag hier Gottlob herum. Er sollte sich nach einer Karre umschauen wenn er das erste Bündel ins Schloss getragen hatte. Das würde seine Arbeit extrem erleichtern.

Er nahm sich vor, in den alten Stallungen im Innenhof nachzusehen bevor er das nächste Mal losging.

Der Herr war mit Wesslie vor die Tore des Schlosses getreten und hatte den Riss durch den sie gekommen waren verschlossen und komplett beseitigt, während Wesslie schon zwischen den Bäumen verschwunden war und deutlich vernehmbar knackendes knarrendes Holz aufklaubte.

Nun spazierte der Mann in Schwarz in den Hof und sah sich um.

Da war ein Schuppen, ein paar Anbauten, die allerdings nicht sehr vertrauenserweckend auf ihn wirkten. Was sich ihm bestätigte als er den bereits eingestürzten Teil sah. Der Stall mit Platz für vielleicht zehn Pferde, sah jedoch besser aus. Er war mit Ziegeln gedeckt,die hatten das Holz vor Regen und Schnee gut geschützt. Außerdem war er so gebaut, dass er sich selbst gut belüftete und trotzdem geschützt und trocken blieb.

Er ging hinein. In einer der hinteren Ecken lag eine von Weitem nicht gleich sichtbare Nische.

"Ein guter Platz!" stellte der Herr fest. Er zog den Kristall hervor. Auf der Unterseite öffnete er eine kleine Klappe. Eine Linse die ein schwaches rotes Leuchten entließ erschien. Er fuhr damit eine unsichtbare Linie in der Luft entlang. Ein schwarzer Streifen entstand und waberte leicht vor sich hin.

Der Herr machte sich nun auf den Weg in den oberen Festsaal und verfuhr dort genauso, am hinteren Ende, hinter einer kleinen Tribüne (wahrscheinlich für Musiker oder Redner..., oder eine kleine Folterung zur Aufmunterung der gelangweiten Partygäste...).

Die beiden Durchgänge waren installiert. Jetzt weiter zum nächsten Punkt der Tagesordnung.

Der Mann in Schwarz stieg in den Riss den er gerade im Saal geöffnet hatte. Er schloss ihn hinter sich. Drinnen im Tunnel ließ er die Abdeckung des kleinen Bildschirms an dem Kristall zurückgleiten. Er veränderte die noch eingegebenen Angaben auf dem Display.

Er ging los bis das konstante Piepsen wieder ertönte und ihm somit ansagte, dass er richtig sei.

-

Der zugehörigen Streifen an der Wand des Gangs wurde von ihm geöffnet und schon stand er zwischen einigen Kiefern

zwanzig Meter entfernt von dem ersten Haus des kleinen Dorfes das er aufsuchen wollte.

Er stieg den Hügel auf dem er stand hinunter, klopfte sich ein wenig den Mantel ab und schritt die Straße entlang bis zur Dorfmitte.

Er stellte den Kragen hoch. Ein kühler Wind wehte ihm die Haare zur Seite, während er weiter voran schritt. Der Herr blieb vor der Schenke am Dorfplatz stehen.

"Immer ein guter Ort um jemanden anzuwerben!" dachte der Mann. Er drehte sich noch einmal um und betrachtete seine Umgebung. Netter Ort, dachte er, und nette Sehenswürdigkeiten haben sie hier, fügte er breit lächelnd hinzu, als er den Galgen musterte.

Er wand sich dem Eingang zu und trat ein.

Die Taverne war noch nicht mit Gästen gefüllt. Hoffentlich musste er nicht zu lange warten bis das Geschäft losging und er den Ersten nicht mehr ganz nüchternen Waldschrat ansprechen konnte. Doch vielleicht war das gar nicht nötig, kam ihm der Gedanke als er den Wirt erblickte. Der stand, ein Glas eines alkoholischen Getränkes, wahrscheinlich Branntwein oder Pflaumenschnaps, vor sich, an der Theke und zählte Münzen. Er hatte sie fein säuberlich in Stapeln vor sich aufgebaut. Die Augen des Glatzkopfes hatten diesen Glanz den der Herr schon so oft gesehen hatte bei Menschen die für ausreichende Bezahlung zu so ziemlich allem bereit waren.

 

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Der Wirt blickte erschrocken auf. Mist!, fluchte er gedanklich, ich sollte nicht so nachlässig sein. Er war so ins zählen vertieft, dass er erst bemerkt hatte, dass ein Gast seine Schenke betreten hatte, als dieser ganz sicher schon mitbekommen hatte was er dort tat.Wie zufällig ließ er dennoch ein schmuddeliges Tuch über den Haufen glitzerndes Glück gleiten.

Hastig packte er die Münzen so unauffällig und leise es bei „hastig“ sein konnte, zurück in die schwere Schublade hinter sich, wo er sie zuvor herausgeholt hatte.Er drehte den Schlüssel und ließ ihn in seiner Hosentasche verschwinden.

"Einen schönen Tag wünsche ich, guter Mann!" begann der Herr fröhlich lächelnd um den ersten Kontakt aufzunehmen.

"...Tag!" antwortete der Wirt mürrisch und betrachtete den Herrn misstrauisch von oben bis unten. Als er registriert hatte, dass die Kleidung des unbekannten Gastes eine Qualität vorwies, die er niemals im Leben an sich selber im Spiegel betrachten können würde, wurde sein Gesicht schlagartig freundlicher.Dieser Kunde stank geradezu nach barer Münze.

"Was darf ich euch anbieten mein Herr? Ich hätte einen ausgezeichneten Wein, nur für besondere Gäste, wie ihr es zu sein scheint. Mit erlesenem Geschmack, aus den edelsten Früchten von den sonnigsten Bergen.“ bewarb er sein Angebot, wie in einem excellenten piekfeinen Restaurant, in dem man Drei Monate im Voraus einen Tisch bestellen muss. „Ist zwar etwas kostspieliger als das Gesöff welches die anderen Gäste bekommen, aber dafür lohnt es sich auch. Als wären sie seit langem die besten Freunde, beugte er sich ihm Augenzwinkernd zu und flüsterte ihm, - obwohl immer noch niemand im der Taverne war - , verschworen hinter vorgehaltener Hand ins Ohr„Was sagt ihr?" -

"Nun, wie ihr meint. Ich nehme eure Empfehlung an." antwortete der Herr höflich.

Der Mundgeruch des fetten Wirts war so übel, dass er die Luft anhalten musste, als dieser sich ihm zugeneigt und zugeflüstert hatte. Er roch als hätte er eine halb verfaulte Ratte gefrühstückt und als Nachtisch noch die Exkremente verputzt die das Tier vor seinem ableben im verlorenen Todeskampf von sich gegeben hatte.

Der Wirt grinste, holte von unter der Theke eine bauchige Flasche hervor und goss ihm ein Glas ein. Er wischte sich die juckende Nase mit dem Hemdsärmel ab, bevor ein träger Tropfen aus ihr herauslaufen konnte. Er verschloß die Flasche wieder, ließ sie aber auf der Theke stehen ( - solange niemand anderes hinein kam - )

Der Herr kostete und stellte erstaunt fest, dass der Mann nicht zu viel versprochen hatte. Das Getränk war tatsächlich von beachtlichem Geschmack.

Er lud den Wirt ein, ein Glas mit ihm zu leeren. Einmal um sein Vertrauen zu gewinnen und zum anderen um seinen furchtbaren Atem wenigstens ein wenig zu verdünnen. Nach einem weiteren Glas, sprach er ihn direkt an.

"Sagt, mein Freund. Wie ich zu Beginn feststellte habt ihr Freude am Geldzählen“ sprach er ihn sehr direkt an.

Der Wirt wurde erst bleich und schluckte kurz. Dann wechselte seine Gesichtsfarbe in rot. Mit weit geöffneten Augen stotterte er los: „ I.., ich hab k..keine Ahnung wovon..., ich w...,weiß nicht was sie...“ Der Herr unterbrach das Gestammel. „Wie würde es euch gefallen die erreichte Zahl mit einer Null zu versehen?" fuhr der Herr unbeirrt fort.

Der Wirt hielt inne und sah den seltsamen Mann in Schwarz eindringlich an. Dann lachte er laut auf.

"Wen soll ich dafür denn morden, werter Herr?" scherzte er (tat er das?)

" Um Gottes Willen, wo denkt ihr hin mein Bester. Niemanden sollt ihr morden.“ versicherte er mit überzogen entsetzter Mine.“

„Vorerst jedenfalls nicht.“ fügte er mit nun starrer Mine,kurz und leise hinzu. Als würde er mit diesem „vorerst“ nicht die zuvor mit Empörung getroffene Aussage komplett widerrufen.

„Zunächst sollt ihr nur das Gerücht verbreiten das wohlmöglich der Graf zurückgekehrt ist in sein Schloss oben in den Bergen. Ich habe dort einiges zu erledigen was nicht für neugierige Blicke bestimmt ist. Wenn ihr versteht.“ zwinkerte nun er dem Wirt zu und knuffte ihn zur Unterstützung seiner Augenzwinkernden Kumpelei kräftig in die Seite, so das der Wirt etwas verstört zusammenzuckte. „Sollte jemand jedoch seine Nase nicht aus Angelegenheiten die ihn nichts angehen heraushalten können, wäre es unter Umständen denkbar dass derjenige mundtot gemacht werden muss. Derartige Gefälligkeiten werden selbstverständlich gesondert vergütet. Es genügt wenn derjenige gut verschnürt meinem Gehilfen Wesslie übergeben wird, sollte solch ein Fall eintreten. Wesslie erkennst du sofort an seinen Brandnarben im Gesicht. Er wird sich dir noch rechtzeitig vorstellen. Ansonsten kenne ich dich selbstverständlich nicht und dieses Gespräch hat nie stattgefunden.Ich denke wir verstehen uns da, nicht wahr."

Der Wirt nickte hektisch.

"Hier schon mal eine Anzahlung." fügte er hinzu und legte zehn goldene Münzen vor dem Wirt auf den Tresen.

Sein Nicken wurde noch hektischer und schneller. Sofort umspielte ein vergnügtes Lächeln den Mund des Wirtes.
"Danke sehr mein Herr! Stets zu Diensten. Und sollte doch mal ein Kopf rollen müssen...! Hauptsache der Preis stimmt!"

Er kniff wieder ein Auge zu und schenkte dem Mann und sich selbst noch einmal nach. Er zitterte vor Aufregung, so dass einiges von dem Wein für spezielle Gäste daneben ging und in einem Rinnsal zur Thekenkante lief, wo es sich nun Tropfen für Tropfen dem Boden entgegen stürzte, um dort für immer kleine dunkle Punkte im Holz zu hinterlassen.

Der Herr leerte in einem Zug das Glas, hob die Hand zum Abschied und verließ ohne ein weiteres Wort das Lokal. Draußen sah er sich nach rechts und links um, bevor er ruhigen Schrittes wieder in den Wald, zu dem Riss zurückkehrte.

 

-

 

Sekunden später war er wieder im Festsaal, wo Wesslie gerade dabei war den Kamin anzuzünden.

Der Herr erzählte von seiner Begegnung und beschrieb Wesslie die Taverne, so wie den Wirt, damit er diesen später erkennen würde. Danach machten beide es sich eine Weile vor dem flackernden Feuer auf einigen Fellen gemütlich die Wesslie in einem der Räume gefunden und im Innenhof ordentlich ausgeschüttelt hatte.Sie aßen was sie in der Proviantbox mitgenommen hatten und tranken Quellwasser. Morgen würde er Wesslie zum Markt schicken. Wenn man schon einmal die Möglichkeit hat, gute leckere Sachen zu bekommen, sollte man das nutzen. Er schaute zu Wesslie herüber.Er war einfach eingeschlafen. Ein angebissener Kanten Brot lag direkt neben seinem Kopf am Boden, und eine schwarze Ameise versuchte den großartigen Futterfund irgendwie fort zu zerren.

...Die Nase vielleicht, ein wenig..., dachte er.

 

*

 

 

 

 

Rumänien, Karpaten, 1847

 

Elise hielt die Luft an! Sie hörte dass er jetzt ganz nah war. Vielleicht drei oder vier Meter neben ihr.Ihr Herz donnerte von innen so laut gegen ihre Brust das sie den Drang hatte sich die Ohren zuzuhalten. Um damit, unsinniger Weise, zu verhindern dass er es ebenso hören könnte wie sie.Wie ein Kleinkind das sich beim Verstecken spielen einfach die Augen zuhält, in der Annahme dann für die anderen Kindern ebenso wenig sichtbar zu sein

Das aufwühlende Rascheln seiner Schritte im Herbstlaub zog an ihr vorüber und entfernte sich zusammen mit dem Keuchen seines erschöpften Atems, bis er nicht mehr zu hören war.

Einige Sekunden unterließ sie es noch sich auch nur einen einzigen Millimeter zu regen. Dann begann sie zögerlich mit ihren Händen, zunächst nur das Gesicht, von dem Berg gelber und rötlicher Buchenblätter zu befreien.

Vorsichtig hob sie ihren Schädel einige Zentimeter und drehte ihr Gesicht langsam nach rechts. Er war nicht mehr zu sehen, nur noch ganz schwach zu hören. Er entfernte sich stetig weiter. Ein Glück. Sie wand ihren Kopf nach vorne, beobachtete die Bäume und ob sich irgendetwas dazwischen bewegte was hier nicht natürlicher Weise vorkam. Ein letzter Blick nach links. Auch hier alles ruhig.

Sie wuchs aus dem Waldboden heraus und stellte sich zitternd auf. Sie war erschöpft durch den langen Lauf.Ihre Seite stach als würde eine Klinge zwischen ihren Rippen stecken. Jedenfalls stellte sie es sich so in etwa vor. Jetzt wäre sie gern, was die anatomischen Voraussetzungen angeht, lieber ihre Schwester. Die hatte nicht so viel zu tragen.

Die Frau mit den farbenfrohen Blättern in ihrem wirren Blondschopf sah sich um. Ihr Verfolger lief in Richtung des Dorfes in dem sie übernachtet hatte. Sie versuchte sich zu erinnern was geschehen war, bevor sie in dem kleinen kalten Raum umgeben von feuchten steinernen Mauern, mit nur einem Fenster, mehr ein Guckloch,auf dem harten Boden erwacht war.

Sie hatte im Gasthof bereits ihr Zimmer zur Nachtruhe aufgesucht, als der Wirt an ihre Tür geklopft hatte und ihr überraschender Weise noch einen Schlummertrunk kredenzt hatte.Sie war angenehm überrascht gewesen von der Gastfreundschaft des Mannes, war er ihr doch eher grob und unflätig vorgekommen.Jedenfalls im Umgang mit dem Rest der Gäste. Bei ihr hatte er sich offensichtlich mühsam zurück gehalten und eine, an ihm albern wirkende Höflichkeit an den Tag gelegt. Ihr Bauch hatte sie davor gewarnt, diesem Mann zu trauen, indem er sich mit dem für sie unverkennbar flauen Gefühl zu Wort meldete. Doch sie war müde und erschöpft gewesen, und sie hatte nicht aufgepasst. Nicht auf ihren Bauch gehört.Wie dumm von ihr... .

"Oh nein...der Wirt! Der Trunk,...großer Gott!“ murmelte sie. „Dumme Gans!“ schallte sie sich, und verpasste sich selbst eine kräftige Ohrfeige. „Au!“ stieß sie aus. Erschrocken über ihre eigene Kraft und den dadurch in ihre Wange schießenden Schmerz.

 

*

 

Indianapolis, USA, 2484

 

Der Herr war wütend. Er warf die noch halb volle Flasche mit Wucht an die Wand. Scherben flogen in alle Richtungen und der Hundertdreisig Dollar teure Single Malt spritzte über die Vertäfelung bis zur Decke und floß dann wieder nach unten um am Boden eine Pfütze zu bilden deren Rinnsale sich wie die Arme eines Kraken, schlängelnd von ihrer Mitte entfernten um schließlich zu versiegen.

Der beißende Geruch eines hochprozentigen Torffeuers zog in Wesslies Nase der ruhig in einer Ecke des Raumes stand. Er wusste das man den Herrn in so einer Verfassung besser nicht unterbrach oder irgendwelche Kommentare abgab.

Der Grund des Wutausbruchs war ein vorangegangenes Gespräch mit Hakan gewesen. Der hatte seinen Herrn angerufen.

"Hallo Hakan. Wie geht’s, was machen Helga und... wie heißt sie noch gleich?“ fragte er in Wesslies Richtung ohne jedoch eine Antwort abzuwarten. „Was kann ich für dich tun mein Freund?"wand er sich wieder Hakan zu.

"Nun ja, ich habe mir so meine Gedanken gemacht.“ erwiderte Hakan vorsichtig. Er machte eine kurze Pause, die er offenbar benötigte, um noch einmal Luft zu holen und seinen Mut wieder zusammen zu sammeln, der offenbar seit der Herr das Gespräch angenommen hatte,versuchte sich unter seiner Angst zu verkriechen. Er schluckte hörbar und fuhr dann fort. „Seit Jahren bin ich als dein Vermittler tätig. Du besorgst Etwas,ich knüpfe Kontakte, kaufe es dir ab und verscherble es weiter.Du machst zwar eigene Geschäfte mit ein paar Krasören, jedoch legst du äußersten Wert darauf in Stadtlerkreisen anonym zu bleiben. Deinen guten Ruf zu wahren. Und ich weiß warum! Wenn die hohen Herren einmal beschließen sollten zur allgemeinen Beruhigung ein Bauernopfer zu bringen möchtest das nicht du sein, Richtig? Und ich weiß wer es statt dessen wäre... . Ich denke es wird Zeit meine Verschwiegenheit etwas mehr zu würdigen. Sagen wir du verkaufst ab sofort deine Ware an mich für die Hälfte des üblichen Satzes und dafür wahre ich weiterhin unser kleines Geheimnis. Überleg es dir und gib mir Bescheid! Immerhin laufen die meisten und die zahlungskräftigsten Kunden über mich. Der Verlust würde dich ruinieren!" Hakan stand zwar der Schweiß auf der Stirn, aber er meinte es offenbar todernst.

Hakan hatte das Gespräch beendet und ohne auf eine Antwort zu warten abgeschaltet.

Zurück blieb der zunächst ziemlich baffe Mann in Schwarz, der nun seiner Wut freien Lauf ließ.

"Was bildet sich dieser Narr ein? Was glaubt er mit wem er spricht?!" platzte er heraus. „Hast du bemerkt wie er sich gewunden hat?! Wahrscheinlich hat er einen Haufen Schulden beim Wetten gemacht. Mit Geld das ihm nicht gehört! Wäre nicht das erste Mal!“ Der Herr tobte. Mit geballten Fäusten marschierte er auf und ab. Er trat gegen einen hohen silbernen Kerzenleuchter, der scheppernd in die nächstliegende Ecke flog. Sie polterte, sich überschlagend und laut scheppernd über den Boden und kam erst an der Mauer zum liegen. Die Kerze blieb brennend in dem auf der Seite liegenden Leuchter stecken und brannte eine zerfließende Kerbe in sich selbst.

"Nun gut Hakan. Ich werde dir eine Lektion erteilen!“ toste er. „Der Mistkerl denkt er hat mich in der Hand. Aber da täuscht er sich gewaltig.“ Er lief innerlich brodelnd auf und ab. Wild mit den Händen gestikulierend. „ Ab jetzt werde ich mich auch selbst um die Stadtlerkunden kümmern. Scheiß auf den guten Ruf. Ich habe inzwischen genug verdient um mir einen schlechten Ruf leisten zu können! Und wenn einer dieser Würmer es wagen sollte mich an den Pranger zu stellen werde ich mit einer ganzen Armee aus allen möglichen Epochen der Weltgeschichte aufwarten und den Stadlermeister selbst mit seiner ganzen Mischpoke von Stadtlern aus der Stadt vertreiben. Die Zeiten des Verkriechens und der schamhaften Vorsicht sind endgültig vorbei!" Die dunklen Augen des Herrn glitzerten heimtückisch, und seine Stirn glänzte verschwitzt. - Manchmal ließ der Wahnsinn sich an der Oberfläche sehen. Ganz kurz, glänzend und glitzernd... -

Er trat an Wesslie heran, legte liebevoll einen Arm um ihn. Wesslie rührte sich kein Stück, er atmete nicht mal.

„Wesslie, mein treuer Freund. Wirst du mir helfen diesem fetten Schwein namens Hakan eine Lehre zu erteilen?" fragte der Herr mit rührselig hoffendem Blick.Wesslie sah seinen Herrn für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, dann blickte er wieder zu Boden.

"Sicher Herr. Was immer ihr wollt." erwiderte Wesslie ruhig.

Und er meinte es so.

Der Mann legte seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes."Statte unserem Ex!-Geschäftspartner heute Abend einen Besuch ab. Ich hätte gerne sein kleines graues Digital-Memo das er immer mit sich herumträgt. Er hat dort seine Kunden vermerkt. Das weiß ich von seiner Frau,...- frag nicht -...,“ winkte er ab. „Wir benötigen dieses Buch unbedingt um die nötigen Kontakte zu knüpfen.“ Er rieb sich die Hände, und seine Augen leuchteten kurz lüstern auf, als er an sein Tet a tet mit Hakans Frau dachte. „Ach...“ warf er wie nebenbei hinterher, „und töte Hakan!"

Wesslie nickte. Es würde nicht sein erstes Mal sein. Das war jetzt lange her...

Er hatte bereits den einen oder anderen Kontrahenten auf ihren Reisen beiseite geräumt in den letzten zwei bis drei Jahren. Der Herr hatte ihn nicht einmal dazu zwingen müssen. Wesslie hatte es gerne getan. Besonders wenn seine ständig in ihm schwelende Wut wieder einmal zu lodern begann hatte ihm das eine Art innere Befriedigung verschafft. Er brauchte dieses Gefühl inzwischen. Er war süchtig danach, wie die Junkies die am Bahnhof immer rumhingen. Damals, als das hier noch nicht seine Welt war. Ja, er brauchte es, und wie die Junkies brauchte er es immer öfter, er war richtig geil drauf.

 

*

 

Hakan hatte es sich auf seinem königsblauen Divan bequem gemacht. Das gleichfarbige Nackenkissen wo es hingehört, die Füße lang ausgestreckt. Die Schuhe..., irgendwo auf halbem Weg zum Divan. Die Flasche auf dem Tisch war fast leer.In Reichweite seiner Hände, stand ein silbernes Tablett auf dem Tisch. Verschiedene kleine feine Häppchen lagen dicht an dicht gedrängt und warteten auf ihre unabwendbare Vernichtung. Hakan griff nach seinem Becher und kleckerte auf dem Weg zum Mund sowohl auf den Tisch, den weißen Marmor-Fußboden als auch auf den blauen Divan. Seine Frau hätte ihn sicher später dafür umgebracht, wenn das nicht, nicht mehr nötig gewesen wäre.

Sie hatte den Divan erst vor Drei Tagen, genau hier an dem Fenster mit dem schönen Ausblick, aufstellen lassen. Sie hatte sich bereits vor ein paar Monaten in ihn verliebt, als sie mit Hakan im Flash-Market waren. Er hatte sich gesträubt, aber natürlich hatte sie ihn am Ende bekommen. So wie sie alles am Ende bekam was sie von ihm wollte. Das war der Hauptgrund warum sie ihn geheiratet hatte. Auch wenn sie wusste das Hakan manchmal die eine oder andere seiner Saranen vor dem Weiterverkauf fickte.Sowohl die weiblichen, als auch die männlichen...

Aber Hakans Frau war schon gegen Acht mit einer Freundin ausgegangen. Sie würde nicht vor Mitternacht zu Hause sein. Außerdem hatte er die roten Punkte auf den blauen Polstern nicht einmal bemerkt. Er rieb sogar gerade unbewusst einen Teil des Weins mit seinem rechten Unterarm immer tiefer in die Sitzfläche hinein, während er nach den bunten Häppchen auf dem Tisch griff und sie sich in den Mund stopfte. Er sah sich das Abendprogramm an. Ja, Fernsehn gab es nach wie vor und nach wie vor bestand das Programm nahezu jedes Senders aus stumpfsinniger Unterhaltung die einem vom selbständigen Denken abhalten sollte. Hakan drehte sich zur Seite um nach seiner Flasche zu greifen die er nach dem letzten Einschenken, mehr aus Versehen als gewollt, auf dem Boden abgestellt hatte.

War da nicht etwas gewesen, hinter ihm. Ein Schatten?...

Hakan schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. „Mach dich nicht verrückt.“ wies er sich zurecht. „Was soll dieser schwarze Lackaffe schon tun. Er wird schon klein beigeben. Hakans Schweigen kostete nun mal ab jetzt. Der Typ verdiente sich dumm und dämlich, und Hakan brauchte nun mal Kohle. Und zwar schnell. Natürlich hatte er schon wieder auf die falschen Kämpfer gesetzt, und diesmal war er so sicher gewesen. Und das bloß wegen diesem schwarzen Hünen. Und wer den an Joseph verkauft hatte, wusste er auch. Also war das nur recht es jetzt zurück zu fordern. Und seine Frau vertilgte ebenfalls Unmengen an Geld. Nein, so konnte er seinen Lebensstandart nicht mehr lange halten.

Da, schon wieder! Ob vielleicht.... Hakan fragte in den dunklen, nur durch den Fernseher etwas erhellten Raum hinein:"Ist da jemand?" Plötzlich wurde er unruhig. Nicht das doch..., der verrückte Typ war ihm immer schon etwas unheimlich gewesen. Aber Mord? Er war Geschäftsmann, Saranen-Händler, ja, aber ein Mord war...

Wieder ein Geräusch hinter ihm. Er schnellte herum. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf Hakans Stirn. Er fror.Nichts! Er drehte sich zurück, erschrak furchtbar und spürte einen Stich in der Herzgegend. Zehn Zentimeter von seinem Gesicht entfernt starrte ihn Wesslie mit gefühlloser, schrecklich vernarbter Miene und zugekniffenem Mund an.

"Oh mein Gott, W...Wesslie. Wie b..bist du...Du hast mich erschreckt. Verdammt ich glaub ich hab nen Herzinfarkt. Scheiße tut das weh." Er ließ seinen Blick hinunter zu seiner Brust sinken und wurde augenblicklich kreidebleich.

Mit offenem Mund schaute er auf den elegant verzierten Holzgriff und die breite Klinge, die tief in seinem Körper steckte. Blut lief in einem kleinen Rinnsal aus seinem Mundwinkel. Er blickte noch einmal nach vorne in das immer noch unbewegliche Gesicht Wesslies, dann setzte er sich auf und erhob sich. Er machte einen Schritt nach links, und schaute an Wesslie vorbei auf die dunklen Rotweinflecken auf dem blauen Divan. „Oweiha!“ leierte er, „....das wird meinem Honigtäubchen aber gar nicht gefallen.“ Dann kippte er augenblicklich zur Seite, krachte lautstark vor Wesslie, der Länge lang auf den Tisch und zermatschte mit seinem Kopf die restlichen Leckereien zu einer bunten breiigen Masse die nun unter seiner Wange hervorquoll.

Hakan schmeckte Lachs..., und Zwiebeln...,er dachte darüber nach ob es rote oder weiße Zwiebeln seien. Bevor er zu einem Schluss kam war er jedoch tot. Wesslie stellte amüsiert fest, dass er Hakans Kopf ganz Stilvoll auf einem Silbertablett serviert hatte. Zu gerne hätte er jetzt einen Fotoapparat gehabt um seinem Herrn einen Schnappschuss zu präsentieren, der ihm sicher gefallen hätte. Sie hatten einen sehr ähnlichen wunderbar grausamen Humor.

Er durchsuchte die Taschen seines Opfers, fand aber das Memo nicht. Er stöhnte kurz missmutig.Dann stöberte er die Schränke und die Schubladen durch. Als er den Sekretär aufbrach, fand er schließlich wonach er suchte. Wesslie steckte das Digital-Memo ein und verschwand genauso lautlos wie er gekommen war wieder hinaus in die Nacht.

 

*

Rumänien, 1847

Josephiné und Jacques hatten unter den forschenden, argwöhnischen Augen der Gäste und des Wirtes in einer Ecke des Gastraumes Platz genommen, Schatten flackerten mit den Kerzen um die Wette, die nur dürftiges Licht spendeten. Sie hatten den Wirt, als er an ihren Tisch trat, um Speisen und Trank gebeten und nach einer Unterkunft für die Nacht gefragt. Beides konnte der Mann ihnen anbieten, machte dabei aber nicht den Eindruck als habe er seinen Beruf aus Passion gewählt. Es schien ihm mehr unangenehme Pflicht Gäste zu bewirten und wohlmöglich noch freundlich zu ihnen zu sein. Mürrisch servierte er ihnen eine kräftige rote Suppe mit Fleischeinlage und recht trockenes Brot dazu. Die Suppe schmeckte hervorragend, allerdings war sie ungeheuer scharf. Josephine´aß fast nur von dem Brot und selbst davon nur einen Kanten. Zu groß war die Sorge um ihre Schwester. Jacques aß den Rest, also im Grunde alles. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und er musste seinen Gaumen immer wieder mit Wasser kühlen, aber er genoss es dennoch endlich einmal wieder ordentlich essen zu können. Zum Nachtisch tranken sie einen schweren süßen Rotwein, den Beide jetzt genossen bevor sie sich zurückziehen wollten, damit sie am nächsten Morgen ausgeruht wären. Jacques, nun satt und angenehm entspannt durch den Wein, sah sich erst jetzt wirklich in der Taverne um. Sie waren nicht die einzigen Gäste, jedoch sicher die einzigen die nicht aus diesem Dorf stammten.

Zwei der Anwesenden, saßen an einem Tisch im hinteren Bereich und spielten Karten. Sie waren offensichtlich Brüder denn sie hatten den gleichen dunklen Lockenkopf und identische breite Nasen.

Ein Tisch weiter, in einer Nische, saß eine alte Frau mit faltigem wettergegerbtem Gesicht, recht langer Nase und einem Schwarz-roten Kopftuch. Ihm schien es, als starrte sie unaufhörlich in ihre Richtung, anscheinend ohne sich darüber auch nur die geringsten Gedanken zu machen. Jacques sah ihr kurz in die Augen, ließ seine Blicke jedoch gleich weiter wandern. Unheimlich, dieses Starren... .

Zwei weitere Männer, die nach getaner Feldarbeit aussahen, hockten vor ihren großen Bierkrügen an der Theke. Zu guter Letzt saß da noch eine recht gut aussehende Frau mittleren Alters,zu Jacques Erstaunen Pfeife rauchend, am äußersten Ende der Theke.Sie hatte lange rote Haare die ihr unkontrolliert in wilden Locken um ihren Kopf herumwuchsen. Sie schaute vor sich hin und blies grauen Rauch zwischen ihren vollen dunkelroten Lippen hervor. Sie trug einen roten Rock und eine tief ausgeschnittene Bluse die sämtliche Jacques bekannten Farben in wilden Mustern miteinander tanzen ließ.Die Kleidung schmiegte sich eng an ihre Hüften und ihren üppigen Busen. Sie wankte ein wenig auf ihrem Hocker. Der Becher vor ihr schien nicht ihr erster heute gewesen zu sein. Eine ziemlich rassige Zigeunerin,dachte Jacques, während er sie beobachtete. Aber nicht ganz mein Typ, Josephine war sein Typ, oh ja, er liebte ihre kleinen süßen festen... „Au!“ schrak Jacques auf. Josephine hatte ihn unter dem Tisch gegen das Schienbein getreten und funkelte ihn nun böse an. „W...was hab ich getan?“ flüsterte er und sah sie verblüfft an. „Was guckst du die ganze Zeit zu dieser.., dieser Kurtisane hinüber?“ fragte Josephine pikiert.

„Oh Gott nein, meine liebste Josephine, nicht doch. Du weißt dass so etwas nicht meinem Geschmack entspricht.Genau genommen dachte ich tatsächlich gerade, was für ein Glück ich mit dir habe.Ich liebe dich Josephine´, mehr als mein Leben. “ Jacques fasste zärtlich Josephine´s Hände und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Jacques!“ entfuhr es ihr. Sie sah sich errötend um. „Die Leute...“ fügte sie hinzu, aber strahlte dabei äußerst freudig.

Langsam wurde es Zeit fürs Bett. Am nächsten Morgen wollten sie früh aufbrechen und sich auf die Suche nach Elise machen. Eines wollte Josephine allerdings unbedingt noch tun. Sie musste den Wirt fragen ob Elise hier gewesen war.

Sie winkte den Wirt herbei, welcher sich daraufhin nur sehr langsam in Bewegung setzte. Er musste unbedingt vorher noch Zwei Becher spülen und mit einem fleckigen Lappen trocken putzen. Man musste ja schließlich gewappnet sein, die Horden von Gästen und ihre Bestellungen bewältigen zu können. Als er mit sichtlichem Unbill letztendlich doch noch am Tisch ankam, begann Josephiné eilig zu sprechen.

"Diese Frau hier, habt ihr sie gesehen? Ich weiß dass sie hier im Ort war, also sagen sie mir die Wahrheit! Wo ist sie?" polterte sie los.

Der Wirt betrachtete das Portrait von Elise, das Josephiné von ihrem Onkel Piere´ geschenkt bekommen hatte.

Er hatte sie beide von einem der Straßenmaler in Paris malen lassen. Elise besaß auch eines, allerdings mit Josephines Abbild.

Der Wirt wollte gerade kopfschüttelnd abziehen, als Jacques ihm eine Münze vor die Nase hielt.

Mürrisch trafen sich ihre Blicke. Er griff danach und lies sie in seiner Schürze verschwinden. "War hier die feine Dame, ist vor Zwei Tagen aber wieder abgereist. Richtung Osten, wollte über den Pass. Mehr weiß ich nicht!"

Er drehte sich um und verzog sich wieder hinter seinen Tresen.Josephine und Jacques sahen ihm nach.

"Immerhin, Elise ist hier gewesen.“ sagte Jacques zu Josephine gewandt. „ Wir sollten uns jetzt zur Ruhe begeben und morgen ganz früh weiter reisen." fand er. Er strich Josephine zärtlich über die Wange und fügte hinzu:
"Siehst du. Sie lebt. Wir werden sie wiederfinden. Vielleicht schon Morgen."

Josephine lächelte. Sicher, noch konnte sie ihre kleine Schwester nicht in ihre Arme schließen, aber es war ein gutes Gefühl nach der langen Reise endlich wieder eine Nachricht zu erhalten die bestätigte, dass sie lebte.Oder zumindest noch gelebt hat, als sie hier war.

Josephine und Jacques standen auf, zahlten dem Wirt an der Theke die Getränke und das Essen und begaben sich in die obere Etage in das Zimmer das der Wirt ihnen zugewiesen hatte. Ein kleiner Raum mit Zwei Betten, einer kleinen Kommode mit Waschschüssel,einem Stuhl ohne Polster und einem wackligen Tisch, auf dem eine Laterne stand.

Kaum hatten sie die Tür geschlossen, klopfte es kurz aber kräftig.

Jacques öffnete und da stand die rothaarige Frau, ihre Pfeife an der Wand ausklopfend. Sie sah sich um und blickte Jacques dann tief in die Augen. Sie begann leise zu sprechen. "Die Frau...“ sie rülpste und schwankte leicht nach links. Jacques zog die Nase kraus, als ihm der beißende Branntweingeruch entgegen schlug „Die Frau die ihr sucht is midden in der Nacht versch-wunden, hab ich von Mutter Balasc´ erfahren, die Alte die unden sitzt. Und sie ist nisch die Erste, seit das Schloss wieder einen Bewohner hat. Die sagen Vlad ist zurück.., abba das glaubinisch“ Sie hielt kurz inne und rülpste erneut.Jacques wisch rasch ein Stück mit dem Oberkörper nach hinten.“Dann wärn wir längs alle gefählt.“ schob sie hinterher und lachte kurz gackernd auf. „Ich weiß gar nisch warum ich ihnen das erzähle, könnte mich Koff und Kragen kosten. Aber Mutter Balasc meinte es wär wischtisch...Ich verzieh mich jedenfalls Morgen widda von hier. Wollte gar nicht über Nacht bleiben, aber dann hat mich die Dunkelheit überrascht. Verdammter Schnaps! ließ mich die Zeit vergessen.“ Nun stand sie irgendwie leicht weggetreten da und schwankte verdächtig in Jacques Richtung.„Augenblick,“ ging Josephine nun dazwischen,die die ganze Zeit fassungslos zugeschaut hatte. Sie trat aber gleich wieder ein Stück zurück, als ihr die Alkoholfahne der Zigeunerin entgegen schlug.„Was sagt ihr da? Wer seid ihr überhaupt?“ bemerkte sie etwas hochnäsig. Ein bisschen Eifersucht hing trotz Jacques Liebesbezeugungen, doch noch in der Luft. Aber sie fing sich gleich wieder. Schließlich ging es um Elise.

„Ich heiße Vallerie, ich bersorge..., ähm VERsorge das Dorf einmal im Monat mit Milch und Käse von meinen Schafen die ich im Tal hüte. Das heisscht ich komm viel rum und höre vihel.“ bemerkte sie Wichtigtuerisch. „Ich an ihrer Stelle würde mir keine großen Hoffnungen machen, die anderen sind auch nicht wieder aufgetaucht." sagte sie schnippisch zu Josephine. Offensichtlich gefiel ihr die hochnäsige Art nicht, wie sie von der feinen Dame angefahren wurde.Plötzlich horchte sie auf und blickte zur Treppe.

Ein Geräusch von unten kommend ließ die Schäferin verstummen.

Sie schaute nervös zur Treppe. Hastig schlich sie davon und verschwand lautlos in einem der Nebenzimmer.

Ihre Gesprächspartner ließ sie verstört zurück.

Die Zigeunerin verschloss die Tür nun von innen hörbar mit einem Schlüssel.

Gleich darauf stand der Wirt freundlich lächelnd mit einem Tablett vor Josephines und Jacques Tür. "Ein Schlummertrunk aufs Haus die Herrschaften, damit sie schnell einschlafen und morgen früh ausgeruht sind." lächelte er angestrengt.

"Sagen sie..." begann Jacques, "die rothaarige Dame erzählte..."

"Vallerie?" grinste er los, "Sie ist etwas zu sehr dem Schnaps zugetan, sie dürfen sie nicht ernst nehmen.“ grinste er weiter. „Hat sie sie belästigt?" fragte er, und klang besorgt.

"Nein, nein, schon gut. Wir fanden sie nur etwas... seltsam" erwiderte Jacques und nahm dankend die beiden Becher an.

Er schloss die Tür und reichte Josephiné, die schon begonnen hatte sich auszukleiden und nun im Unterrock vor ihm stand, eines der Getränke.

Ein geruhsamer Schlaf würde ihnen beiden gut tun, dachte er und sie leerten die Becher. Über die Schäferin konnte sie auch morgen noch einmal reden. Vielleicht konnte sie ihnen morgen im nüchternen Zustand tatsächlich noch echte Informationen geben. Offensichtlich hatte das heute keinen Sinn mehr. Da waren sie sich einig, auch wenn Josephine die Frau gerne noch genauer befragt hätte. Aber dazu war sie wirklich momentan viel zu betrunken.

Sie begaben sich zu Bett und schliefen trotz der ganzen Aufregung augenblicklich sehr tief und sehr fest ein.

*

In der Nacht erwachte Vallerie. Selbst im seeligen Schlaf des Rausches waren ihre Sinne hellwach. Das war lebenswichtig wenn man die Nächte im Freien verbrachte.Mit oder ohne Schnaps. Fern ab der Dörfer und Städte,in den Tälern und in den Bergen. Dort wohnten Bären, Wölfe, Wildschweine, und mit Dachsen war auch nicht gut Kirschen essen. Dachse gehörten zu den wenigen Tieren die wirklich grundsätzlich immer schlecht gelaunt waren. Schon aus Prinzip. Aber am gefährlichsten war die Hornotter. Ihr selbst war zwar noch keine begegnet. Aber Slatan, der seine Herde weiter westlich trieb, hatte von einer Begegnung erzählt die ihn einen seiner tapferen beiden Ciobanesk gekostet hatte. Der gewaltige, Siebzig Zentimeter hohe grauschwarze Hirtenhund war innerhalb kürzester Zeit in elendigen Krämpfen gestorben. Und Slatan konnte nur, am Boden liegend, den guten alten Alenko in seinen Armen halten. Was unfreiwillig sicher komisch gewirkt hatte, da Slatan von der Masse her kaum die Hälfte von Alenko zu bieten hatte. Er musste zusehen wie von Minute zu Minute unaufhaltsam das Leben aus ihm wich. Solche Geschichten sorgten dafür das man wachsam blieb.

Valerie hörte dass jemand versuchte ihre Tür zu öffnen. Einen Moment hielt sie die Luft an, da sie sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, ob sie die Tür letzte Nacht abgeschlossen hatte. Puh..., die Tür blieb geschlossen, der Knauf drehte sich zurück. Sie sah sich um. Auch die Fenster waren verriegelt. Auf den Beweis hätte sie gerne verzichtet.Es kratzte und rüttelte nun an beiden! Kerzengerade setzte sie sich im Bett auf.

Das Knarren und Rütteln wurde stärker.

Vallerie hielt den Atem an. Sie kramte im dunklen nach ihrer Jacke, die sie...verdammt noch mal!...Ach da, halb unterm Bett. Sie suchte in den Taschen.

Ein Brett aus dem Fensterladen löste sich knarrzend aus der Verankerung.

...Wo war das verfluchte Messer?... Hätte sie Licht gehabt, hätte sie gesehen dass das Messer wahrscheinlich gestern (oder jetzt gerade, beim hervorholen?) aus der Jacke gefallen war. Es lag genau zwischen ihren Füßen auf dem Fußboden.

Das nächste Brett flog aus dem Fensterladen und eine von Brandnarben durchzogene Fratze erschien im flackernden Licht einer Laterne in der neu entstandenen Öffnung. Sie wollte schreien, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie sprang auf und augenblicklich schossen tausend kleine Blitze in ihre Schläfen. Sie ignorierte den Schmerz, hastete zur Tür und drehte den Schlüssel. Die Tür blieb zu. Jemand trat und schmiss sich dagegen. Die Tür blieb zu.

Der gesamte Fenterladen wurde dagegen gerade komplett aus den Angeln gerissen und flog hinaus in die Dunkelheit.Der Eindringling kletterte flink und wendig ins Innere. Im selben Moment flog nun auch die Tür mit Wucht auf und traf Valerie am Rücken. Sie wurde zurück gestoßen, fiel nicht, aber stolperte ein paar Schritte, mit den Armen rudernd, rückwärts in Richtung Wesslie. Der Wirt marschierte hinein. In der rechten Faust einen ordentlichen Holzscheit. Er warf die Tür hinter sich ins Schloß und fuhr sie mit erhobenem Zeigefinger bevormundend an.

"Hab dir gesagt, dass dein loses Mundwerk dich noch mal den Kopf kosten wird Vallerie!"

Valerie drehte sich, noch etwas nach Halt suchend, von einem zum anderen. Sie war gerade mit den Augen bei dem Scheusal, da spürte sie wie ihr Hinterkopf explodierte. Sie sah goldene Sterne tanzen, dann wurde alles schwarz.

Der Wirt hatte den Holzscheit nieder sausen lassen und sofort sackte die „Zigeunerhure“ zusammen. Das obere Ende des Scheits hatte sich rot gefärbt,ein paar der hübschen roten Haare klebten an seinem Ende und harmonierten wunderbar mit dem Rot des Blutes. Er überließ sie nun dem Scheusal, wie mit dem schwarzen Mann ausgemacht, auch wenn er sie liebend gerne noch auf seine Art körperlich gemaßregelt hätte. Wesslie schulterte sie etwas mühsam – sie war keine zarte Jungfrau, leider- und verschwand mit ihr durch das Fenster wo er im Nu von der Nacht verschluckt wurde.

 

*

 

Elise hatte sich für Süden entschieden.

Hauptsächlich weil es Richtung Süden bergab ging. Sie rannte und rannte, sprang über kleine Gräben und umgestürzte Bäume, trat mit dem linken Fuß bis zum Knöchel in ein Wasserloch, – gut das sie sich für die Lederstiefel entschieden hatte -, wurde am Hang immer schneller und schneller bis sie das Gefühl hatte das sie jeden Moment von ihren eigenen Beinen überholt werden müsste. Sie ließ in ihrem Lauf buntes Laub durch die Luft wirbeln und hinter ihr wieder auf dem Waldboden nieder trudeln. Äste und Zweige griffen nach ihren Händen und Armen, schlugen ihr ins Gesicht. Ein langer roter Striemen zog sich über ihre Wange und ihr linker Ringfinger hatte einen oberflächlichen Riss, an dem kleine Blutstropfen klebten die sich noch nicht entscheiden konnten ob sie hinabfallen, oder einfach verharren und langsam eintrocknen sollten.

Ihre Lunge brannte. Ihr Herz galoppierte mit ihren Beinen um die Wette.

Gerade hatte sie einen mehr als Mannshohen Felsvorsprung passiert, dem sie im vollen Lauf gerade noch ausweichen konnte ohne ins Straucheln zu kommen, als wie aus dem Nichts ein Waldschrat wie aus einem Bilderbuch das Kindern Angst einjagen soll, sein Gesicht mit Dreck und Moos beschmiert, unmittelbar vor ihrem Gesichtsfeld auftauchte. Ihr Herz hielt im vollen Galopp inne und ihre Augen quollen in Panik aus ihren Höhlen hervor. Ihr Mund öffnete sich ebenso weit wie ihre Augen und ließ einen spitzen Schrei hinaus. Genauso wie ein Zug unter vollem Dampf unmöglich vor dem unglückseligen Mitgied der Rinderherde, welches zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auf den Schienen steht, abbremsen kann, konnte Elise ihren Lauf bremsen. Sie konnte nur, - was ein Zug niemals konnte -, versuchen auszuweichen. Ein paar Zentimeter vor dem Schwarz-Grünen Gesicht, dessen Augen nun ebenso erschrocken aus ihren Höhlen hervorsprangen wie ihre eigenen, schaffte sie es tatsächlich noch in allerletzter Sekunde, scharf links auszubrechen. Allerdings wurde sie augenblicklich und jäh gestoppt, als sie mit ihrer Stirn, begleitet von einem dumpfen „Tock“, mit dem quer hängenden, kräftigen Ast einer massigen Buche in ihrer Bahn kollidierte.

Der dumpfe Schmerz des Aufpralls verbreitete sich innerhalb einer Millisekunde, von der Stirn aus um den kompletten Schädel herum,um dann geballt bis in den Mittelpunkt ihres Gehirns zu implodieren.Eine tiefschwarze Wolke umhüllte sie.

Dann kam das Nichts.

 

*

 

 

 

Drago lebte alleine in der Hütte am Ufer des kleinen Flusses, mitten im Wald.Der junge Mann war groß und schlank, aber muskulös. Nicht so muskulös wie man die Männer in Hundertfünfzig Jahren in den Fitnessstudios sehen würde, sonder so das man sah das er seit er laufen konnte mit anpacken musste. Seine Hände waren groß und schwielig, seinem Gesicht sah man an dass es Wind und Wetter täglich ausgesetzt ist, aber es hatte eine markante, maskuline Schönheit, mit einer Priese Schelmenhaftigkeit die im Hintergrund aufblitzte wenn man genau hin sah. Seine Haare waren dunkelbraun und fielen nur leicht gewellt auf seine Schultern. Ein mehrere Tage alter Bart spross um sein Kinn und die Wangen herum. Gekleidet war er in eine dunkle Wildlederhose und einer etwas helleren Jacke. Die Stiefel waren aus glattem glänzenden Leder und hatten Schnallen.Alles war offensichtlich von ihm und seiner Frau selbst hergestellt worden, und das ausgezeichnet. Von der Jagd bis zur letzten Naht.In Fünf Jahren hatte sie jedenfalls nicht einen Riss oder Verschleiß gezeigt.

Mit Zwanzig war er mit seiner Frau hierher gezogen. Sie war damals erst 16 und hatte Peschschwarzes Haar gehabt, das sie täglich kämmte und bürstete. Simi..., das war ihr Name..., war seine Sonne gewesen. Und so nannte er sie auch. Sie waren glücklich. Er Jagte, sie wusch und kochte, sie fingen gemeinsam Fische und sie schubste ihn lachend ins Wasser. Er stürzte sich auf sie und tauchte sie unter. Dann lachten sie beide und küssten sich... Sie standen bis zu den Hüften im eiskalten Wasser und küssten sich. Ihre Herzen hielten sie warm.

Zwei Jahre später starb sie.

Er hackte gerade das Holz der Kiefer die er vor ein paar Wochen gefällt hatte. Simi hatte ihn gebeten dies zu tun, da dieser Baum seinen Schatten allzu oft auf ihren Lieblings-Sonnen-Platz geworfen hatte. Simi liebte die Sonne. Und in ihr stand sie, vor der Hütte, winkte ihm zu und lächelte.

Dann fiel sie um.

Sie fiel einfach um.

Drago dachte sie scherzt und lachte laut los.

Als sie sich nicht bewegte, als sie nicht aufsprang um ihm fröhlich entgegen zu laufen,verstummte er.

Als einfach nur gar nichts sich bewegte, auch nicht nach den Vier Minuten die er reglos stehen geblieben war mit der Axt in der Hand, rannte er endlich los. Er warf sich zu Boden und riss ihren Oberkörper an seine Brust. Er rief ihren Namen, schrie ihn, immer wieder. Er schüttelte sie, schlug ihr ins Gesicht, zerrte sie zum Fluß, kühlte ihre Stirn. Er versuchte ihren unbändig hin und her, vor und zurück, fallenden Kopf ruhig zu halten um ihr Wasser einzuflößen. Legte sie auf den Rücken, schlug auf ihren Brustkorb, einmal feste, noch einmal feste, noch einmal, etwas weniger fest, noch einmal halbherzig, noch einmal..., auf halbem Weg bleibt sein Arm stehen, die Faust zittert. Das Gesicht erstarrt, bis auf den Mund der still vor sich hin bebt. Er sinkt zusammen. Ganz dicht legt er sich an ihre Seite, legt seinen Arm um sie, schiebt sein linkes Bein über ihre ausgestreckten, kuschelt sich an, wie des Nachts im Bett, wenn es kalt ist. Sein Kopf ruht an ihrem Hals. Er riecht sie, spürt ihre Haare..., und hört ganz weit entfernt wie sie lacht... .

Drago weint....

Die Tränen strömen aus ihm heraus, ergießen sich wie ein Sturzbach auf ihrer Haut, die langsam kälter wird, wie alles um ihn herum und in ihm.

Zwei volle Tage blieb er so dort mit ihr liegen.

 

-

 

Vier Jahre waren vergangen seitdem. Die Trauer hätte ihn fast umgebracht im ersten Jahr. Teils weil er sich auf nichts anderes konzentrieren konnte, in allem seine Simi sah, und deshalb Fehler machte. Und Fehler können in der Wildnis sehr schnell der Tot sein. Teils aber auch, da er Zwei , Drei Momente hatte, in denen er kurz davor war sich selbst ein Ende zu setzen.

Das Zweite Jahr war besser. Nicht gut, aber besser. Es gab noch oft genug furchtbare Augenblicke voller Trauer und Vermissens.

Im dritten Jahr begann er wieder zu leben. Und das verdankte er einem kleinen Vogel. Einem Mauersegler, um genau zu sein. Das junge Tier war anscheinend verfrüht aus seinem Nest in den Felsen gleich oberhalb der Hütte geflüchtet. Flußläufe mit solchen Nistmöglichkeiten, waren paradiesisch für Mauersegler. Der Kleine hatte noch keine richtigen Federn und lag eines Morgens direkt vor Dragos Füßen, als er nach draußen trat. Fast wäre der Vogel unter seinem Stiefel gelandet, hätte er nicht gleich loskrakelt dass er mächtigen Hunger hatte. Er wusste dass das Tier alleine nicht überleben konnte, dafür war er viel zu jung. Wäre es ein anderer Vogel gewesen, hätte er ihn abseits unter ein Gebüsch gesetzt. Die Eltern füttern ihre Kleinen dort problemlos weiter. Nicht so Mauersegler. Eine Chance wäre es gewesen ihn wieder in sein Nest zu setzen, aber das war in den Felsen für ihn nicht erreichbar. Mit Drago geschah etwas an diesem Tag. Er päppelte den Mauersegler auf. Er gab ihm Wärme, Wasser und Nahrung. Er redete mit ihm und streichelte sanft sein Köpfchen. Bis zu dem Tag, an dem er ihn in die Freiheit entließ. Gesund und kräftig. Das war für Drago ein unglaublich schöner Moment gewesen. Und er ließ an diesem Tag noch etwas anderes frei. Er ließ los. An diesem Tag rannen erneut Tränen seine Wangen hinunter.

Jetzt war er sechsundzwanzig, fast Siebenundzwanzig und lebte sein Leben alleine. Ab und an besuchte er seine Eltern oder suchte den Markt im nächsten größeren Ort, oder das Dorf auf, um Wild oder Felle zu verkaufen.

Am Morgen dieses Herbsttages trat er schon sehr früh, gähnend aus seiner Hütte. Er betrachtete eine Weile die neblige Schleier, die wie umher tanzende Geister die Umgebung bevölkerte. Der Fluß floss murmelnd vor sich hin. Die steinigen Ufer in leichten Kurven elegant umschlängelnd, ergoss er sich seit Jahrhunderten den Berg hinab, um in einen größeren Fluß zu gelangen, um dann am Ende in den unendlichen Ozean zu fließen, um dort anderen Srömen zu folgen. Und wer weiß..., um vielleicht irgendwann wieder an seinen eigenen Ursprung zurück zu kehren. Zurück auf Anfang. Noch mal von vorne... . Geht es den Menschen nicht auch manchmal so? fragte sich Drago. Er wusste es, er hatte neu angefangen. Sein Zweites Leben begonnen. Indem er ein anderes rettete, auch wenn es nur ein kleiner Vogel war. Das spielte keine Rolle. Es war ein Leben, und das hatte ihm gezeigt, dass er auch wieder leben musste. Neu beginnen musste. Das hätte Simi gewollt. Er stellte sich vor, wie sie irgendwoanders ihren Kopf schüttelte und „Das wurde aber auch Zeit!“ raunte. „Mach was aus deinem Leben DU hast es noch. Schätze das!“ sagte sie streng. Und warf noch hinterher „...und PUTZ DAS HAUS!“ schrie sie, lachte jedoch gleich darauf laut los.

Drago grinste. Er hielt sie in Ehren, aber er hielt sie nicht mehr fest.

Er war fröhlich heute früh. Das Wetter war perfekt und es war nicht so kalt wie die letzten Tage. Die Sonne würde gleich ihre langen Arme nach den Wäldern und Bergen ausstrecken und ihre tagaktiven Bewohner aus dem Schlaf kitzeln. Er schulterte seine Kompressionsbüchse, die er extra am Vorabend noch einmal gereinigt hatte. Hängte seine Ledertasche mit der kleinen Axt an der Seite und den gewachsten Trinkschlauch mit Wasser um und steckte das Messer in die Scheide an seiner Hose. Munter schritt er in nördlicher Richtung los.

Er hatte einen längeren Jagdausflug vor sich. Seine Vorräte waren zur Neige gegangen und es war an der Zeit sich für den nahenden Winter einzudecken. Nach seiner Rückkehr würde er das erlegte Wild zum größten Teil räuchern damit es bis zum Frühjahr nicht verderben würde. Einiges davon würde er auch pökeln. In Rumänien hatte man keinerlei Probleme an Salz heranzukommen. In Siebenbürgen gab es zahlreiche Salzseen, die das "weiße Gold" in rauen Mengen zur Verfügung stellten. Ja, zu dieser Zeit nannte man Salz tatsächlich noch so. „Weißes Gold“. Wie seltsam fremd wohl für Drago ein Blick in die Zeit Wesslies vorkäme, wenn er die inquisitorischen Berichte über das „böse“ Salz hören und lesen würde.

Doch bis zum pökeln war noch ein langer Weg. Zunächst einmal brauchte er das Fleisch. Er hatte vor ein Waldgebiet aufzusuchen, dass zwei Tage von seinem Heim entfernt lag. Rehe, Hirsche und Wildschweine lebten in dieser Region wesentlich zahlreicher als in dem Forst um seine Hütte herum. Er marschierte bis zum Abend Flußaufwärts bis er an eine Biegung kam die ihm geeignet erschien um für die Nacht zu campieren. Er sammelte rasch etwas Holz, solange er noch welches im trüben Licht der Dämmerung finden konnte und entzündete ein Feuer. Er richtete sich ein wenig sein Nachtquartier ein. Eine leichte Senke, Zwei Meter neben der Feuerstelle, stopfte er mit einer Menge Laub aus. Hier sollte sein Schlafplatz sein. Den Feuerplatz hatte er mit mittelgroßen Flußsteinen eingefasst. Einer davon war etwas niedriger, dafür großflächiger. Der konnte als „Grill“ dienen. Dann setzte er sich mit Schnur und Haken, aus seiner Tasche ans Ufer, auf einen erhöhten Felsen. Im Uferbereich hatte er einen fetten Wurm ausgegraben. Den sich windenden Wurm steckte er routiniert auf den Haken und warf die Schnur aus. Er hatte nicht einmal Zeit mit den Gedanken herum zu schweifen, was ja bekanntlich das tolle beim Angeln sein soll. Nach etwa Zwei Minuten biss ein kräftiger Barsch an der ihm fast die Angelschnur aus der Hand gerissen hätte, so überrascht war Drago über seinen raschen Fang. Er faste nach und zog die Schnur gleichmäßig, Stück für Stück aus dem Fluß. Endlich kam der zappelnde Fisch an die Oberfläche. Mit einem wohldosierten Ruck zog er ihn schließlich ans Ufer, und zu sich auf den Fels. Blitzschnell griff er zu, holte aus und schlug den Barsch mit Wucht auf den Fels. Das tötete ihn sofort.. Er zog sein Messer hervor und nahm ihn aus. Dann wusch er ihn im Flußwasser und legte ihn auf den Stein. Drago kramte in seiner Tasche. „Ah!“ rief er erfreut. Er zog etwas heraus. Eine kleine metallenen Flasche, ein Geschenk seines Vaters

gefüllt mit wirklich köstlichem, und wirklich hochprozentigem selbstgebrannten Pflaumenschnaps, zum Verdauen, natürlich... . „Aber dich hab ich gar nicht gesucht.“ sprach er mit sich selbst,- Eine Eigenart die nicht ausbleibt, wenn man viel alleine ist -. Er stellte die Metallflasche beiseite und durchwühlte weiter seine Tasche. Endlich zog er hervor was er gesucht hatte. Eine hölzerne Dose mit Butter. Aber keine einfache Butter. Diese Butter war mit Salz, Pfeffer, Salbei und Thymian, sowie einer guten Portion Knoblauch und einem Spritzer Zitronensaft verfeinert. Seine Mama hatte ihm die Zubereitung gezeigt, deshalb musste er immer an sie denken wenn er die leckere Butter benutzte. Er schabte ein wenig mit seinem Messer heraus und bestrich den Fisch damit. Dann wendete er ihn und verfuhr mit dieser Seite genauso. Augenblicklich breitete sich ein betörend köstlicher Duft um ihn herum aus, und genau so augenblicklich begann der Speichel in Dragos Mund zu fließen. Sein Magen knurrte lautstark. Als würde er den Fisch, beziehungsweise das Feuer antreiben, sich gefälligst zu beeilen ihn gar werden zu lassen.

Drago zog nun auch eine Decke aus seiner Tasche und legte sie neben dem Feuer auf seine Matratze aus buntem Herbstlaub. Ein paar Minuten später war der Fisch durch und Drago nagte jede Gräte schmatzend ab. Dazu vertilgte er noch ein großes Stück von dem Brot, das er mitgenommen hatte. Morgen stand ein harter Arbeitstag bevor. Er musste ein Floß bauen, das groß und stabil genug war, ihn und das Wild zu tragen. Vielleicht würde ihn das auch Zwei Tage kosten. Dafür konnte er wesentlich mehr mit einem Mal transportieren und war im nu, mit der Strömung des Flußes, zu Hause.

Es war bereits stockfinster, als er einen kräftigen Schluck aus der Flasche nahm,... und noch einen. Danach kroch er gähnend in seine Senke, unter die Decke,rollte sich darin ein, schloss die Augen und schlief bald ein.

 

-

 

Am nächsten Tag stand er schon in der Morgendämmerung, mit dem ersten Zwitschern der wenigen Vögel die sich noch nicht auf den Weg in wärmere Gefilde gemacht hatten, auf. Sein Mauersegler hatte den Kontinent bereits verlassen und befand sich gerade mit ein paar neuen Kumpels über Tansania. An seinem Geburtsort würde er sich nie lange aufhalten. Diese Vögel gehören zu den Unglaublichsten. Sie befinden sich Zehn von Zwölf Monaten quasi im Dauerflug. Über den Ozeanen und Wüsten segeln sie Tage um Tage und Nächte um Nächte ohne Pause hindurch. Die Wissenschaft nimmt an, wissen tut sie es nicht, aber sie nimmt tatsächlich an, dass Mauersegler während des Fluges schlafen können. Denn, schlafen muss nun mal jeder, früher oder später.

- Das die Nahrungszufuhr in diesem Modus ebenfalls gesichert ist, demonstrierte Dragos Schützling gerade wie aufs Stichwort. Er riss, während er über den Schwarzen Kontinent hinweg flog, den Schnabel auf und tauchte einfach mitten durch einen Verband fliegender Ameisen. Ein paar Loopings, waghalsige Haken und Kapriolen später, die jede noch so perfekte Flugshow blaß aussehen ließ, war sie satt. In einer kleinen Kurve kehrt sie zu ihrer Flugroute zurück und setzt sie unbeirrt fort.-

Drago schnappte sich die Axt und zog los, um passendes Holz herbei zu schaffen. Im nahen Wald fand er ausreichendes Material, so dass seine Wege nicht besonders weit waren. Das war besonders gut für die beiden Hauptstämme, die er mit ihren knapp Vier Meter Länge und gut 20 cm Durchmesser, mühsam aus dem Unterholz ans Ufer schleifen musste. Diese Stämme mussten so massiv und stark wie möglich sein. Sie würden bei den wenigen, aber sicherlich unvermeidbaren, Zusammenstößen mit dem steinigen Flußufer an den haarigen Stellen, die Hauptwucht des Aufpralls abfangen.Er legte sie gleich so auf die Felsen am Ufer, dass er die ersten Querhölzer nachher gut befestigen, und das halbfertige Floß problemlos in den Fluß schieben konnte, um im Wasser den Rest zu erledigen. So wanderte er nun mehrmals hin und her und schleppte Zwei Dutzend etwa drei Meter lange Hölzer von zehn bis fünfzehn Zentimeter Durchmesser heran. Fällen musste er die Bäume dafür nicht. Zum Floßbau nahm man üblicherweise Totholz. Das hatte einen wesentlich höheren Auftrieb. Natürlich mussten die Stämme alle relativ gleichmäßig gewachsen sein. Als er genug zusammen getragen und gezogen hatte, machte er sich daran mit der Axt und dem Messer, die Stämme vorzubereiten. Sämtliche Äste und Astansätze mussten gut entfernt werden, um später einen guten festen Verband zu haben. Das entrinden sparte er sich jedoch. Glatte Stämme waren schneller im Wasser, jedoch war das in einem Fluß, der mit ordentlichen 12 Stundenkilometern abwärts eilte,eher hinderlich. Er würde genug damit zu tun haben das Floß in der Spur zu halten, wofür er sich als Hilfsmittel einen besonders stabilen, frischen langen schlanken Stamm einer jungen Kiefer schlug. Die Fahrt war immer ein an Gefahr nicht zu unterschätzendes Abenteuer. Doch zum Einen konnte er so innerhalb von zwei Stunden den Weg Fluss abwärts zurücklegen für den er zu Fuß, flußaufwärts fast den ganzen Tag gebraucht hatte. Zum anderen war es natürlich nicht sein erster Jagtausflug dieser Art. Jeden Herbst, seit Sechs Jahren vollzog sich das nahezu selbe Szenario hier oben. Dabei war er Zwei Mal, an besonders unruhigen Passagen ins Wasser gestürzt, und er hatte einmal einen stattlichen Hirsch verloren, den er einfach nicht gut genug festgebunden hatte ( - das Jahr nach ihrem Tod..., das Jahr wo Simi noch überall war... - ). Worüber er Minutenlang lautstark geflucht hatte und so verärgert war, dass er vor lauter Wut seinen Lenkstab hinterher geworfen hatte. Was ihn noch mehr verärgerte und zum mühsamen anhalten zwang. Das war mit einem Stab schon schwer genug. Ein Floß einen Fluß hinab zu lenken war Erfahrung, ein Haufen Glück und ein guter Stab. Und solch einen musste er sich nun durch seine eigene dumme Unbeherrschtheit neu suchen.

Zum verbinden der Stämme nahm er getrocknete Tiersehnen die miteinander verknüpft waren. Vornehmlich Achillessehnen da diese am längsten waren,. Ein gutes Stück davon würde er auch auf dem Floß dabei haben. Als Not-Reperatur-Set.

Als die Sonne bereits Richtung Westen wanderte und ihr Licht von strahlend hellem Gelb ins sanfte Orange wechselte, näherte sich ihm aus dem Wald ein Mann mit einem langen braunen Wildledermantel, der beim Gehen um ihn herum schlenkerte. Er führte ein kräftiges schwarzen Pferd.

Rote Fransen hingen unter seinen Ohren. Das war ein Schutz vor bösen Geistern, der hier oben an keinem Pferd fehlte. Drago hatte jedenfalls noch keines ohne die Fransen gesehen. Es war ein Radautzer Shagya-Araber, die als Rappen äußerst selten waren. Extrem robuste starke Tiere, die gerne von Offizieren auf dem Schlachtfeld geritten wurden, aber genauso gut geeignet waren Munitionswagen zu ziehen.

Drago unterbrach sein Tun als er den Mann bemerkte und hob eine Hand zum Gruß. Der Mann mit dem schönen Tier winkte zurück, kam noch ein Stück näher und band sein Pferd dann an einem der Bäume an. Liebevoll klopfte er ihm auf den Hals und sagte „Warte kurz Radu.“ instruierte er ihn und wand sich um. Der kräftige, leicht untersetzte Mann mit zotteligem blonden Haarschopf unter seiner Fellmütze, schritt auf Drago zu und reichte ihm die Hand.

"Hallo Drago. Schon Erfolg gehabt?" fragte er fröhlich.

"Sei gegrüßt Vladimir.“ entgegnete Drago, erfreut seinem Freund zu begegnen. Es war selten, dass man auf menschliche Seelen traf, wenn man hier draußen lebte, und ergab sich eher zufällig. Wenn man der Spur eines Wildes folgte oder ohne es zu verabreden den gleichen Zeitpunkt gewählt hatte den nächsten Ort aufzusuchen um Geschäfte zu tätigen.

„Nein, ich ziehe morgen früh erst los. Bin ein wenig spät dran dieses Jahr.Aber in der Gegend hatte ich bisher jedes Mal Glück. Weiter oberhalb, vielleicht Zwei Stunden entfernt habe ich eine Menge Spuren entdeckt. Was gibt es neues im Dorf?" fragte er. Eine nette Unterhaltung war Drago ein willkommener Grund eine kurze Pause einzulegen. Er hatte nicht mehr viel zu tun am Floß. Es würde auf jeden Fall fertig werden bevor es zu dunkel sein würde um noch genügend zu sehen. „Setzt dich.“ warf Drago hinterher und deutete neben sich auf den Felsen, auf dem er sich jetzt nieder gelassen hatte. Er zog die metallene kleine Flasche hervor und reichte sie dem erfreut grinsenden Vladimir. Ein kräftiger Schluck rollte seine Kehle hinab und ließ ein kleines Freudenfeuer in seinem Magen und seinem Kopf entfachen. „Ahhh!“ gab er wohlig stöhnend von sich.

"Na ja, das Übliche.“, fuhr er fort, „ Die Alte Mutter Balasc´wird immer älter, obwohl sie schon steinalt war als ich noch unter meinem Radu hätte durchlaufen können. Und sie macht ihre Weissagungen immer noch ob man sie hören will oder nicht.Der Wirt ist wie gehabt sein bester Kunde und ein übler Gesselle. ...Ach, du wirst es nicht glauben, Marga ist schon wieder schwanger.“ plapperte Vladimir munter drauf los.

„Du meine Güte!“ rief Drago lachend. „Das ist Nummer Acht, richtig?“ fragte er.

„Nummer Neun!“ antwortete Vladimir und beide lachten noch lauter. „ Wie praktisch das ihr Mann Schreiner ist und dann bald wieder einen Auftrag für eine neue Schulbank bekommen wird.“ witzelte Drago. Das Lachen schwoll noch mehr an. Ein, Zwei kleine Tränen kullerte Vladimirs Wange hinab. Er konnte gar nicht mehr aufhören.

Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, fiel ihm noch etwas anderes neues ein.

„Ach ja, eine reiche französische Dame, namens Josephiné, ein hübscher Name, finde ich, sucht nach ihrer Schwester. Diese Josephine´ist mit ihrem Mann auf Reisen,seinen Namen hab ich aber vergessen.“

„Aha!Sie war also hübsch.“ zwinkerte Drago ihm zu und knuffte ihm leicht in die Seite.

„Oh ja!“ bestätigte Vladimir und driftete dabei gedanklich sichtlich etwas ab. Verschmitzt lächelnd fügte er hinzu „Hübsche blonde Person, zierliches schlankes Fräulein diese Josephiné. Ein bisschen wenig oben herum, wenn du verstehst was ich meine, hihi.“ kicherte Vladimir wie ein Schuljunge. „Ihre Schwester ist alleine unterwegs. Hast nicht zufällig ne blonde junge Frau gesehen?" fragte Vladimir nach.

"Nein, wäre mir aufgefallen hier im Wald, denke ich." sagte Drago feixend.

„Das wäre sie sicher.“ erwiderte Vladimir grinsend und revanchierte sich für das Seitenknuffen von vorhin.

Dann wurde er jedoch mit einem Mal ernst und rutschte etwas nervös hin und her auf dem steinernen Sitzplatz.

"Na ja, könnte tatsächlich was ernstes sein. Ich meine , nicht das uns das was anginge, aber ich denke das der aus dem Schloss sie hat.“ brachte er vorsichtig,mit gesenkter Stimme hervor. Als könnte jemand sie hier in der Wildnis, am rauschenden Fluß belauschen.

„Das Schloß ist wieder bewohnt?“ fragte Drago erstaunt. Niemand hatte sich bisher auch nur in die Nähe getraut. Dieses Schloß war tabu für die Menschen die hier lebten. Selbst Drago, der nicht an die teils wirren und finsteren Gruselgeschichten von dem unsterblichen Blutsauger glaubte, hatte dennoch einen, sagen wir gewissen Respekt vor diesem Ort.

„Ja, seit Drei Monaten vielleicht, genau weiß das keiner. Niemand hat sie im Dorf ankommen sehen, und du weißt das es keinen anderen Weg zum Schloß gibt vom Tal aus. Aber Viktor Brasav hat Lichter in dem Gemäuer gesehen. Er hat es geschworen, bei seinen Drei Söhnen. Und der alte Pavel sagt, er hätte eine dunkle Gestalt durch das Dorf schleichen sehen, neulich Nachts. Er wollte nur kurz austreten gehen, da sah er ihn vielleicht Fünfzig Meter entfernt am Dorfrand.Vor lauter Angst hat er sich gleich wieder nach drinnen verkrochen und bis zum Morgen im Schrank versteckt. Die Leute tuscheln jetzt, dass Fürst Dracul zurück gekehrt ist. Befürchtet haben sie es ja alle immer schon.“ schloss Vladimir seine Bedenken.

„Ach was.“ schnalzte Drago mit der Zunge, diese Theorie ablehnend. „Das kann nur ein Ausländer sein, der nichts von den Geschichten weiß, oder sie nicht ernst nimmt.“ Drago gab nicht viel auf das was die Leute im Dorf so redeten. Damals hieß es auch eine Zeit lang, er hätte seine junge Frau verhext. Menschen neigen oftmals dazu,für unerklärliches Leid einen Schuldigen zu suchen. Aber manche Dinge geschehen einfach, und manche Dinge kann man nicht erklären.

„Wie auch immer, selbst wenn es so sein sollte wie du sagst, ich halte mich lieber dort fern.“ befand Vladimir. „Drago, mein Freund, es war schön mit dir zu plaudern. Ich muss weiter. Sieh dich vor. Geh du auch nicht zu nah an das alte Gemäuer heran. Ist mein Rat jedenfalls. Machs gut Drago." sagte er wohlwollend.

"Du auch Vladimir. Machs gut, wir sehen uns. Früher oder später" lächelte Drago.

„Richtig Drago.“ lächelte Vladimir zurück.Wieder schüttelten sich die beiden Männer kräftig die Hände.

Vladimir stieg auf sein Pferd und ritt gemütlich davon.

 

Zwei Stunden später hatte Drago das Floß fertig gestellt und an dem Felsen am Ufer fest gezurrt. Das Feuer wurde von ihm neu entfacht. Für heute sollte der Rest vom Brot reichen, das er Stück für Stück auf einem spitzen Stock gespießt, über den Flammen ein wenig röstete. Die Nacht brach schnell und düster herein, bedingt durch ein paar kräftige graue Wolken, die sich über seine Raststätte schoben, aber sich Gott sei Dank nicht über ihm entleerten.

 

-

Tautropfen fingen ganz sachte an zu schimmern, als das erste fahle Licht des nahenden Tages langsam über die Welt kroch.

Er packte seine Sachen, schaufelte noch rasch mit den Füßen etwas Erde über die noch immer glimmende Glut vom Vorabend und zog los, hinauf in den Gebirgswald.

Um vom Wild nicht so leicht entdeckt zu werden musste er natürlich immer gegen den Wind auf sein Ziel zugehen. Zusätzlich, um besser getarnt zu sein wenn er seinen Kopf aus irgendeinem Gebüsch stecken würde um auf das Wild anzulegen, hatte er sich vor Aufbruch mit der Asche des Lagerfeuers schwarze Streifen ins Gesicht geschmiert. Um das ganze perfekt zu machen strich er mit seinen Finger anschließend noch einen stark bemoosten Baum entlang und füllte die Zwischenräume in seinem Gesicht mit Grün auf. Er war Zwei Stunden durchmarschiert und ging nun wesentlich langsamer. Er schlich fast. Er befand sich inmitten der Reviere des Wildes das er jagen wollte, also musste er sich so ruhig wie möglich vorwärts bewegen, um ein Tier zu entdecken, bevor es ihn entdecken konnte und wohlmöglich floh.

Nach einiger Zeit erblickte er in einigen Metern Entfernung eine kapitale Hirschkuh.Sie fraß unbekümmert auf einer kleinen Lichtung ein paar tapfere Gräser, die den sinkenden Temperaturen trotzten ( - ...um nun gefressen zu werden... - )

Ganz leise hockte er sich hin, bereitete routiniert seine Büchse vor, ohne das Tier dabei auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Er schlich sich im Zeitlupentempo an. Als er nur noch wenige Meter entfernt war kniete er nieder, legte an und erst als er sich sicher war einen tödlichen Treffer landen zu können, hielt er die Luft an und drückte ab.

Er hasste es wenn Jäger auf gut Glück schossen und Tiere deshalb nur verletzten. Oft genug hatte er, von anderen Jägern angeschossenes Wild leidend im Wald vorgefunden und erlöst.

Noch schlimmer fand er die "Jäger aus Spaß am töten" die es in letzter Zeit manchmal gab. Es waren reiche Personen aus den großen Städten. Sie hatten keine Ahnung von Wald und Wild. Sie hatten es auch nicht nötig zu jagen. Sie taten das aus Langeweile.Oft genug ließen sie die erschossenen Tiere einfach liegen. So etwas ließ Drago kochen vor Wut. Wenn er jagte, jagte er soviel wie er verwerten konnte. Und er verwertete alles. Das Fleisch, das Fell, die Knochen und Sehnen und auch das Horn. Und er achtete auf das Alter der Tiere, und ob es vielleicht eine Mutter war die Jungtiere zurück ließ. All das interessierte dieses Sportschützen nicht. Sie schossen auf alles was sich bewegte und hinterließen Chaos und unnötigen Tod.

Einmal hatte er einer dieser Jagdgesellschaften gehörig in die Suppe gespuckt indem er, bevor sie auf eine Gruppe Rehe feuern konnten, seinerseits einen Schuss in die Luft abgab.

Natürlich flüchtete das Wild sofort und der Frust bei den Herren war groß. Drago hatte sich hinter dem umgestürzten Baum köstlich amüsiert.

Die sonderbarste Begegnung mit Jägern hatte er jedoch erst vor ein paar Wochen gehabt. Er hatte beobachtet wie zwei Jäger auf der Lauer lagen. Ein Stück vor ihnen lag ein angeschossenes Reh welches klägliche Laute von sich gab. Doch die Jäger erlösten das arme Tier nicht. Sie blieben versteckt.

Drago hatte sich in seinem Versteck schon halb aufgerichtet und angelegt, um dem Reh gerade den Gnadenschuss geben, als ein Rudel Wölfe von entgegengesetzter Seite auftauchte. Sichtlich aufgeregt und erfreut, über dieses „Geschenk“ umrundeten die hungrigen grauen Jäger, mit gesenkten Köpfen und tropfenden Lefzen, das Reh. In Panik rollte es, am Boden liegend mit den Augen. Es versuchte verzweifelt den Kopf zu heben und Drei ihrer Beine strampelten wild in der Luft,kratzten tiefe Furchen in den Waldboden. Das vierte Bein schlackerte lose am Körper. Eine Gewehrkugel hatte gezielt ihr Schultergelenk zerschmettert. Aus dem Faustgroßen Einschußloch quoll das Blut nun stoßweise, im Takt des sich aufbäumenden Kopfes. Immer enger zogen die Wölfe ihren Kreis. Ihre Muskeln und Nerven aufs äußerste gespannt, warteten sie nur auf das für außenstehende nicht wahrzunehmende Zeichen ihres Rudelführers. Die Zunge des Rehs baumelte seitlich aus ihrem Maul heraus. Zähe Schleimfäden seilten sich ab. Blankes Entsetzen spiegelte sich in dem Blick des Tieres. Und noch etwas spiegelte sich darin. Ein graues Geschoss mit gierigen Reißzähnen, die sich im nächsten Augenblick in ihre Kehle gruben. Ein anderes Maul packte ihr bereits verletztes Vorderbein wie eine Bärenfalle, und ebenso effektiv. Der Wolf stemmte sich mit den Vorderbeinen nach hinten und zerrte ruckartig an dem sich Zentimeter für Zentimeter vom Körper des Rehs lösenden Bein. Schreien konnte es nicht mehr. Der Kehlenbiss hatte den nächsten Versuch den Schmerz und das Entsetzen hinaus zu brüllen, in einem Schwall aus hellem Blut ersticken lassen. Gierig machten sich nun alle Wölfe über den nur noch unwillkürlich zuckenden Leib her.

Dann fiel der erste Schuß.

Zuerst war Drago sich sicher, dass dieser Schuß sehr weit weg abgefeuert sein musste. Er hatte seltsam dumpf geklungen, als hätte Drago sich weichen warmen Wachs in die Ohren geschoben.

Drago war erschrocken und dachte im ersten Moment, Verdammt die haben mich entdeckt, und ich Idiot hab nur zu den Wölfen geschaut. Doch niemand sah in seine Richtung. Drago sah zurück zu den Wölfen und konnte sehen dass eines der Tiere am Boden lag. Die beiden Wölfe gleich neben dem gefallenen Rudelmitglied schauten verstört zu ihm. Ihre Mäuler trieften vor Blut. Doch bevor die Beiden Alarm geben konnten, fielen Drei weitere. Die Vier verbliebenen befanden sich nun endlich im Notfallmodus und rannten davon als wäre der Teufel hinter ihnen her. - Was er im Grunde eigentlich tatsächlich war... -

Drago schaute gebannt zu. Ließ das Szenario auf sich wirken. Verstehen konnte er das ganze nicht. Er blieb geduckt hocken und ließ seine Gedanken kreisen.

Die Schüsse waren wirklich sehr leise gewesen. Es musste sich wohl um eine ganz neue Waffe handeln die nahezu lautlos funktionierte. Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte wie dies von statten gehen sollte.

Die Männer schafften die Vier Wölfe zu einem Schlitten und zogen damit davon.

Drago fragte sich bis heute was die Männer mit den toten Wölfen vorhatten. Gegessen werden sie sie wohl kaum haben.

Außer dem Pelz waren die Tiere tot nutzlos und selbst diese waren nicht sehr gefragt.Das ganze blieb ihm ein Rätsel. Aber vieles, was die reichen Ausländer hier vollzogen, war ihm fremd und unerklärlich. Er beließ es dabei. Er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren... .

Die Hirschkuh fraß selig weiter. Ihre Muskeln glänzten fest und stark in den Sonnenstrahlen die sich wie Spots durch tanzende Staubteilchen fraßen und die kleine Lichtung zu einer Bühne machten.

Drago hatte allergrößten Respekt vor jedem Leben, daher war es für ihn nie Routine ein Tier zu erlegen. Doch er wusste das er das musste, um zu überleben. Doch er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, jedem Wild das er getötet hatte, still zu danken. Eine Eigenart die, was Drago nicht wusste, bei Naturvölkern die mit ihrer Welt im Einklang leben, selbstverständlich war. Diese Hirschkuh, vielleicht noch ein Reh dazu und er wäre für den Winter versorgt. Es war ein gewaltiger Vorteil, dass er mit seiner Hütte, direkt am Fluß lebte. Wenn der Winter länger anhalten sollte, oder ungewohnt hart werden würde, konnte er sich mit fischen „über Wasser“ halten.

Drago fokussierte seinen Geist auf seine Aufgabe. Der erste Schuß musste sitzen. Er wollte dass das Tier nicht unnötig leiden musste.

Was Drago nicht wissen konnte, war dass wenn der erste Schuss sofort tödlich war, er dem Tier sogar den Schreckmoment des Schussgeräuchs ersparte. Der Schall bewegt sich nämlich nur mit etwa 330 Metern in der Sekunde. Die Kugel seines Gewehrs bewegte sich jedoch wesentlich schneller vorwärts.

Der Schuss fiel und der Hirsch brach tot zusammen noch bevor das Geräusch des Knalls für seine Ohren wahrnehmbar wurde.

Drago baute aus Drei starken Ästen eine primitive Schlepptrage, packte die Hirschkuh darauf, zurrte sie fest und zog sie den Berg hinunter bis zurück zu seinem Lagerplatz am Fluss. Dort angekommen, hievte er das Tier auf das Floß und band es darauf fest. Er löste die Seile und ließ das Floß nun etwa Zwei Meter Richtung Flußmite treiben, befestigte es aber wieder ordentlich an den Uferfelsen und zog zusätzlich noch eine Sicherungsleine zu einem der Ufernahen Bäume.

Er wollte noch einmal losziehen und es wäre tragisch wenn in der Zwischenzeit ein paar Wölfe oder andere Raubtiere zufällig über seinen Fang stolpern würden. Daher ergriff er diese Vorsichtsmaßnahme. Es erschwerte den Zugriff für Räuber erheblich, wenn sie Zwei gute Meter Wasser zwischen sich und dem begehrten Fleisch hatten.

Ein zweites Mal ging er in den Wald. Der Tag war schon fortgeschritten und er wollte möglichst heute am frühen Abend noch den Heimweg antreten.

Er war schon wieder eine Weile unterwegs, vielleicht auf halber Strecke zu der Stelle wo er die Hirschkuh erlegt hatte, und bog gerade um einen Mannshohen Felsvorsprung.

Urplötzlich, wie aus dem Nichts, stürmte von der anderen Seite des Felsens eine blonde Frau im vollen Lauf, haargenau ihm entgegen. Drago war dermaßen überrascht, über die knappe Drei Meter vor ihr erscheinende weibliche Erscheinung, das er augenblicklich nur noch völlig steif und starr stehen bleiben konnte. Wäre ihm ein rasend, vor Wut grunzendes Wildschwein entgegen gekommen, ein knurrender tollwütiger Wolf, oder ein grimmig grölender Braunbär, hätte er sich sehr wohl bewegen können. Er hätte sich vor dem Wildschwein, rasch hinter dem nächsten Baum versteckt. Da die Tiere nicht viel besser sehen können als Maulwürfe, hätte das schon genügt um sicher zu sein. Den tollwütigen Wolf hätte er ins offene Messer rennen lassen. Einen gesunden hätte er einfach ruhig umgangen. Wölfe griffen Menschen nicht an. Nur Menschen die sich falsch verhielten. Selbst bei dem Bären hätte er sofort reagieren können. Und wenn er einfach die Beine in die Hand genommen hätte, was sonst bei Konfrontationen mit wilden Tieren nicht ratsam ist. - So macht man sich selbst zum jagdbaren Mittagsmahl - . Er hätte, so reagiert wie er es gewohnt war. Instinktiv.

Doch DAS war er definitiv nicht gewohnt. Er war unfähig sich zu rühren. Die Frau die hier für Drago einfach nicht hingehörte,( - er brauchte sich sicher nur kurz die Augen zu reiben dann wäre sie sogleich verschwunden - ),schrie los, drehte sich ruckartig zur Seite um ihm nicht direkt in die Arme zu laufen. Er spürte wie ihre wehenden Haare seine Wange streiften und ihre Schulter an seiner ganz dicht vorbei schrabbte. Sie kam allerdings nur einen knappen Meter weit und prallte dann mit ihrem Schädel gegen einen mächtig dicken Ast einer noch mächtigeren dicken Buche. Wie angeheftet blieb sie für den Bruchteil einer Sekunde mit ihrer Stirn an dem Ast kleben. Ihre Beine vollführten einen mächtigen Schwung in die Luft, als würde sie fröhlich schwingend auf einer Kinderschaukel sitzen. Dann krachte sie mit Wucht zu Boden, landete unsanft auf ihrem Steiss, und blieb leblos auf dem Rücken liegen. Gelbe und orangefarbene Buchenblätter stoben in einer tosenden Wolke auf und vermischen sich mit dem durch den Aufprall am Ast, nun auch von oben herab trudelnden Laub.

Drago stand immer noch starr da, dann „wachte er auf“ und eilte hektisch zu ihr.

"Hey! Äh...Hallo Fräulein!...Mist, Mist, Mist!" gab er unsicher und hektisch um sie herum hastend von sich.

Drago packte sie schließlich an der Schulter und legte einen Arm um sie. Er richtete ihren Oberkörper etwas auf, zog sie ein Stück zur Seite und lehnte sie an einen Baum. Drago ging zurück um seine Tasche und die Büchse zu holen, hastete jedoch, auf halbem Weg kehrt machend,stöhnend zu Elise zurück, als diese langsam seitlich weg kippte. „Puh!“ stößt er erlöst aus, als er sie gerade noch abfangen konnte, bevor sie mit dem Kopf auf einer starken Wurzel aufgeschlagen wäre, die sich halb aus dem Boden erhob und dann wieder in der Erde festgekrallt hatte.

"Junge Dame! Hört ihr? Kommt zu euch!" Er fasste die junge Frau bei beiden Schultern und schüttelte sie sanft. Dann etwas kräftiger. Ihr Kopf wackelte hin und her wie der einer Puppe.

Nichts geschah.

Er überlegte fieberhaft was nun zu tun sei. Ein paar Schweißperlen glitzerten auf Dragos Stirn. ER kniff die Lippen zusammen und wog die Idee die im gerade durch den Kopf schoss ab.

Drago hob die flache Hand. Er zögerte noch einmal kurz, schlug dann aber doch zu. Erst nur ganz leicht, fast zärtlich.Er verdrehte die Augen. Als würde er sich selbst gerade die rhetorische Frage stellen, ob sie mit diesem Mädchenhaften Handstreich wohl tatsächlich zu sich kommen würde. Der zweite Schlag fiel wesentlich kräftiger aus. Es klatschte laut in ihrem Gesicht.

Ihre ohnehin schon rosige Wange erstrahlte augenblicklich in leuchtend grellem Rot.

Sie rührte sich weiterhin nicht.

"Oh verdammt! Was hat die bloß hier zu suchen. Mist! Was mach ich denn jetzt?"

Drago ließ sie vorsichtig wieder zu Boden sinken, legte seine Jacke unter ihren Kopf, stand auf und ging ratlos umher.

"Ich kann sie doch nicht hier liegen lassen." lamentierte er.

Plötzlich blieb er stehen, riss erschrocken den Mund auf und rannte zu ihr zurück. Plötzlich bekam er unfassbare Angst und hatte ein ganz bestimmtes Bild vor Augen. Ein Bild das ihn schon sehr lange nicht mehr verfolgt hatte... . Schnell kniete er sich neben sie und tastete hastig nach ihrem Handgelenk. Er hielt die Luft an, fühlte. Er legte sein Ohr ganz dicht an ihren Mund, horchte. Nachdem er festgestellt hatte dass noch Blut durch ihre Adern floß und ihren Atem vernommen hatte atmete auch er erleichtert weiter.

"Sie lebt! Na wenigstens etwas.“ stellte er unglaublich erleichtert fest. „Nun gut ich werde wohl nicht umhin kommen sie vorerst mit hinunter zum See zu nehmen." war ihm nun klar.

Drago baute eilig eine weitere Schlepptrage. Doch diese polsterte er etwas besser aus. Dafür legte er noch einige belaubte Zweige auf die Längsstreben und platzierte dann die junge Frau vorsichtig darauf.

Soviel dazu, dachte er. Ein Reh würde er heute nicht mehr erlegen. Und die Frau musste versorgt werden. Das brachte alle seine Pläne durcheinander. Aber das Schicksal ist manchmal seltsam.

Das wusste Drago.

Und er wusste, dass man es annehmen musste.

Ob man wollte oder nicht, scherte das Schicksal nicht.

Bis zum Fluss zog er nun sie, statt eines geschossenen Wildes hinunter. Beim Lager angekommen versuchte er sie nochmals wach zu rütteln und zu rufen. Ohne Erfolg. Resigniert zog er das Floß mit dem Hirsch ans Ufer und legte die Bewußtlose dazu. Das noch warme Tier würde auch sie etwas wärmen. Drago löste die Seile und stieg ebenfalls darauf. Er lenkte das Floß mit dem festen Lenkstab in die Mitte des Flusses. Schlagartig setzte sich das Floß in Bewegung. Zügig ging es hinab Richtung Heimat.

Der Fluß verhielt sich relativ ruhig und das Floß lag gut im Wasser. ( - ...wenn man auf dem richtigen Weg ist, lässt das Schicksal einen auch durch... - )Ohne heikle Momente gelangte er am frühen Abend an seine Anlegestelle.Dort angekommen vertäute er das Floß an dem Steg den er vor Sechs Jahren am Ufer gebaut hatte. Er trug die Frau ins Haus und legte sie wie sie war in sein Bett.

Den Hirsch packte er in eine Kammer die an seine Hütte angebaut war. Erst mal wollte er den Hirsch zerlegen. Das war jetzt das Wichtigste. Schließlich ging es um sein Überleben für die nächsten Wochen. Die Frau war weiterhin bewusstlos. Wenn sie, nachdem er hier fertig wäre, immer noch nicht wieder bei sich wäre, würde er im Dorf Hilfe holen müssen. Mutter Balasc könnte vielleicht weiterhelfen. Einen Arzt konnte er dort nicht bekommen. Dafür müsste er eine größere Ortschaft aufsuchen, was viel Zeit in Anspruch nehmen würde.Er wäre sicher Vier Tage unterwegs.

Er legte erst einmal los.Nachdenken wie es weiter gehen sollte mit seinem neusten „Fang“ konnte er auch während der Arbeit. Die Axt war bereit, für die groben Teile und die Knochen. Das große Jagtmesser schärfte er zunächst, bevor er es ansetzte. Er zerteilte den Hirsch mit fachmännischer Routine. Anschließend lagerte er das Fleisch in Salz. Er wollte jetzt nicht mit dem räuchern beginnen. Dazu brauchte er mehr Zeit und er wusste weiterhin nicht was nun weiter wegen der Frau geschehen würde. Gute Drei Stunden später, nach getaner Arbeit, wusch Drago sich Hände und Arme im Fluss. Der Mond leuchtete und betrachtete sich selbst im Wasser. Unmengen von Sternen glitzerten und strahlten mit ihm um die Wette. Gesäubert ging er wieder hinein in die Hütte und verschloss die Tür für die Nacht. In seinem Schlafzimmer stand er jetzt und glotzte sie eine Weile an. Er hatte ein kleines Feuer in dem Kamin am Fußende entfacht. Angenehme Wärme verteilte sich wohlig im Raum.

Drago wollte sich nun daran machen,die doch ein wenig übel aussehende Wunde an ihrer Stirn zu säubern und mit Kräutern zu behandeln, damit sie sich nicht entzünden würde. Die Haut war ein wenig aufgeplatzt und ringsum erhob sich ein farbenfroher Hügel aus Blau, Grün und Gelb, der den rot schimmernden See im Tal in der Mitte umrahmte. Er suchte sich saubere Tücher, ein wenig Pflaumenschnaps zum desinfizieren und eine furchtbar riechende Kräuterpaste zusammen. Er setzte sich zu ihr auf den Bettrand und begann, vorsichtig den Dreck aus der Wunde zu entfernen.Ein neues Tuch wurde von ihm mit dem Schnaps beträufelte und er begann damit die Wunde ab zu tupften.

In dem Moment als das desinfizierende Brennen des Alkohols durch die Nervenenden in Elises Stirn schoss, fing die Frau augenblicklich an um sich zu schlagen und bohrte Drago dabei unkoordiniert mit einem ihrer Finger genau ins linke Auge. Drago schrie auf, machte einen Satz nach hinten, stolperte über einen Schemel und schlug der Länge lang hin. Das mit dem Pflaumenschnaps getränkte Tuch flog ihm aus der Hand und segelte schnurstracks, hinter ihm in den Kamin. Ein hohles „Wuusch!“ erfüllte den Raum, und eine breite Stichflamme schoss aus dem Kamin. Drago spürte einen Schwall heißer Luft an seinem Hinterkopf und ließ paar seiner Nackenhaare knisternd eine Wolke des unverkennbaren Geruchs verbrannter Haare in seine Nase schicken. Sein Auge brannte wie Feuer und schickte unaufhörlich helle stechende Blitze in seinem Kopf.

 

*

 

Inianapolis, USA, 2488

 

Wesslie hatte seinem Herrn nun Sieben Jahre treu gedient, hatte alles zu seiner Zufriedenheit ausgeführt was er verlangt hatte.Klar hatte er viel lernen müssen. Die Begebenheiten in den verschiedenen Zeiten. Vor allem in der jetzigen. Aber lernen musste man immer und überall, das war nichts neues. Neu war es für ihn, alles zu befolgen was sein Herr ihm auftrug und Einhundertprozentig loyal zu sein. Wesslie ließ sich nicht gerne vorschreiben was er wann zu tun hatte.Doch die Annehmlichkeiten die er dadurch hatte überwogen, so dass er das in Kauf nahm. Er war optimal versorgt, hatte einen eigenen Wohnbereich und, was das Wichtigste war, der Herr bezeichnete ihn vor seinen Kunden inzwischen als seinen persönlichen Assistenten. So wie der Mann in Schwarz dies betonte, schwang zwar ein Hauch Ironie mit und der Herr blieb selbstverständlich immer sein Herr. Trotzdem war das etwas ganz anderes als „Sarane“ genannt zu werden. Dies brachte ihn in eine Position die er bisher noch niemals genossen hatte. Er wurde respektiert. ER gab Saranen Anweisungen. Er hatte

seinen Job gut erledigt. Alle seine Jobs.

Heute sollte er ein Geschenk erhalten für seine Mühen und seine Loyalität. Er war aufgeregt wie ein Schulkind, obwohl er inzwischen ein kräftiger junger Mann war.

Der Herr war noch beschäftigt, in seinem Arbeitsraum im Untergeschoss.

Wesslie lag auf der Couch die er so liebte. Das Ding war unglaublich. Man konnte sich nicht nur jeden Tag eine neue Farbe aussuchen, um sich vielleicht auf Polstern passend zum Hemd herum zu räkeln.Sie passte sich außerdem,und das war wirklich der Oberhammer,bei jeder seiner Bewegungen automatisch an seine neue Position an. Darum hatte er es immer äußerst bequem.

Vor ihm lief ein Baseballspiel im Fernsehen. Das heißt, eigentlich lief es nicht vor ihm sondern um ihn herum.

Dank der ausgefeilten Technik dieser Zeit in der er nun seit Jahren zu Hause war stand seine Couch quasi mitten auf dem Spielfeld. Wesslie zuckte zusammen und ruckte blitzartig mit seinem Schädel zur Seite, als ein kräftig geworfener Ball von Greg Statiagno genau auf sein Gesicht zu saußte. Daran würde er sich nie gewöhnen. Schon komisch wie leicht man das menschliche Gehirn austricksen konnte.

„Ping“ machte es hinter ihm.

Er hörte wie die Tür des Aufzugs sich öffnete, blickte nach hinten und sah seinen Herrn auf sich zu kommen. In der Hand hielt er ein in quietschbuntes Geschenkpapier eingepacktes Päckchen. Teddybären, Bälle und Luftschlangen wirbelten auf dem Papier lustig tanzend durcheinander. Jeder Vierjährige wäre begeistert gewesen. Wesslie wurde jedoch heute Zwanzig. Jedenfalls hatten sie gemeinsam den Tag als seinen neuen Geburtstag erwählt, an dem er von seinem Herr befreit und nach Hause geholt wurde.

Feierlich überreichte der Herr Wesslie nun das Geschenk. „Herzlichen Glückwunsch mein lieber Wesslie.“ tönte er kräftig und strahlte dabei bis über beide Ohren. Der Herr schob sich, zur Bekräftigung seiner Gratulation, eine bunte Kirmeströte zwischen die Lippen, die sich nun nervtötend quäkend ausrollte.

"Mein lieber Wesslie,“ begann er ernst. „Du hast über die Jahre bewiesen das du ein nützlicher Helfer bist. Ich habe dich als dein Mentor bei mir aufgenommen und aufgezogen. Mit deiner bedingungslosen Folgsamkeit hast du bewiesen, dass du würdig bist, dieses Geschenk von mir zu empfangen.“ er stoppte seine Festrede einen Moment.

„Unter einer Bedingung allerdings.“ fuhr er fort.

„Du darfst es nur mit meiner Einwilligung benutzen und darfst nie vergessen immer schön alle Türen gleich hinter dir wieder zu verschließen."

Wesslie riss Augen und Mund gleichermaßen auf. Sollte es tatsächlich soweit sein? Sollte er heute, wie der Herr es ihm damals versprochen hatte, nun nachdem er sich als würdig und gut erwiesen hatte, endlich seinen eigenen...

Er fetzte das Papier auseinander, ließ es achtlos zu Boden gleiten und öffnete sehr langsam, bedächtig, die Schachtel. Er hielt den Atem an und schloß die Augen, bevor er den Deckel ganz abhob.

Wesslie holte tief Luft und öffnete sie.

Zum Vorschein kam eine weitere Ausgabe des Kristallschlüssels.

Mit immer noch offenem Mund starrte er auf sein Geschenk. Wesslie spürte wie seine Augen ein wenig feuchter wurden. Nur ganz wenig, aber er spürte es. Doch es waren keine Tränen der Wut, die sich hier ankündigten. Das fühlte sich anders an. Er trat vor seinen Herrn und einen kurzen Moment sah es aus, als würde Wesslie seine Arme ausbreiten wollen. Doch der linke Arm zuckte bloß ein wenig nach vorne. Einen Zentimeter vielleicht, oder Zwei. Dann sank er zurück und seine Rechte streckte sich dem Mann in Schwarz entgegen. Wesslie bedankte sich überschwenglich für sein Vertrauen ihn ihn, und die Einhaltung seines Versprechens. Auch eines der Dinge die Wesslie in seinem alten Leben nicht ein einziges Mal erfahren durfte. Der Herr war sichtlich stolz und erfreut über Wesslies Reaktion und erklärte ihm nun wie der Kristall zu handhaben sei und wie er die Daten zum erreichen seiner Ziele eingeben musste. Der Herr würde Wesslie nun bald auch einmal alleine in andere Epochen schicken um für ihn dort tätig zu sein. Wesslie war stolz wie noch nie zuvor. Und er würde sich als würdig erweisen. Er war gerade wieder eine weitere Stufe hinauf gestiegen. Hinaus aus dem Schatten all derer die ihn gemobbt und geärgert, ihn als Verrückten, Spasti oder irren Schwachkopf bezeichnet hatten. Ihre Lektion hatten die meisten ja bereits erhalten. Und das war gut gewesen, und richtig. Sonst wäre er schließlich jetzt gar nicht hier.

Das hier, das war sein Lohn für alles.

"Doch heute mein treuer Gefährte machen wir eine gemeinsame Reise. Könnte durchaus sein, dass ich dein Fingerspitzengefühl im Umgang mit störenden Subjekten brauche. Ein Krasör mit wichtigen Beziehungen zum Stadtler-Meister heiratet nächsten Sonntag. Er möchte seiner Angetrauten gerne Schmuck von ganz besonderer Eleganz zur Vermählung schenken. Er ist sehr reich und übertrug mir die Aufgabe etwas Passendes zu besorgen, egal zu welchem Preis. Niemand soll seiner Frau die Schau stehlen, verstehst du? Und ich denke ich weiß wo wir etwas wirklich Einzigartiges bekommen können. Sag Wessli, wy gawariti parusski?“

 

*

 

Rumänien, 1847

Im Dorf

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Das Licht hatte begonnen die Schatten länger werden zu lassen und sich aus dem Tal zurück zu ziehen um hinter den Bergen in die Tiefe zu stürzen.Die frühe Kälte des Herbstes löste es ab. Sie kroch aus den Bergen ins Tal hinab und legte sich klamm um die Häuser des kleinen Ortes.

In der Dorfmitte schaukelte das Schild mit der Aufschrift "Zum Gehenkten" sanft im Wind hin und her. Der Galgen tauchte in der Dämmerung langsam unter bis er kaum noch zu erkennen war.

Das ließ ihn noch drohender erscheinen als sonst.

Der Wirt stand in der noch leeren Gaststätte hinter dem Tresen und leerte zügig den Becher Branntwein welchen er in seiner Rechten hielt. Während die Linke damit beschäftigt war etwas klebriges gelbgrünes aus seiner Nase hervor zu holen. Den Fund eingehend betrachtend, testete er auch gleich dessen Konsistenz, indem er es zwischen Zwei Fingern hin und her rieb und schob. Dann schmierte er ihn an den selben Lappen, mit dem er vorhin noch die Becher und Gläser abgewischt hatte, und sicher nachher noch weitere putzen würde. Vor sich auf der Theke hatte er ein geöffnetes Kistchen mit Eisenbeschlägen stehen. Ein geöffnetes Vorhängeschloß lag auf dem Tresen. So nah bei der kleinen Kiste, dass der Wirt es rasch greifen und die Kiste verschließen konnte. Vor fremden neidischen Blicken und Fingern. In seinem eigenen Blick glänzte auch etwas, jedoch kein Neid, sondern Gier. Eine Gier die wenn sie von jemand Besitz ergreift, alles andere,- Moral, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit,Mitgefühl, Freundschaft,... ja, selbst Liebe -, hinten anstellt.Eine Krankheit die, wenn sie sehr mächtige Menschen befällt, schon ganze Völker vernichtet hat. Was er sah, verschaffte ihm ein ungeheures Glücksgefühl.

Das war sein „Stoff“, würde Wesslie sagen, der wie wir wissen, bei ganz anderen Dingen Glücksgefühle bekam.

Der Wirt betrachtete die Münzen, Diamanten und die feine Brosche. Eine hervorragende Arbeit. Sie war wirklich von außerordentlicher Eleganz und Schönheit. Sie war oval und glatt emailliert. Enthielt jedoch Vier Außwölbungen in der Fläche. Hier waren edle Perlen perfekt eingearbeitet. Er nahm sie in die Hand, betastete und liebkoste sie sanft wie eine Mutter ihr Kind. Solche Sonderzahlungen lobte sich der Wirt. Wieder einmal war er dankbar für die Begegnung mit dem Herrn in Schwarz, vor einiger Zeit in seiner Taverne. Wenn es so weiterginge, könnte er sich in Ein, Zwei Jahren von der Arbeit zurück ziehen und sich ein kleines Häuschen in Brasov leisten. Und vielleicht langte es noch für die eine oder andere Dirne, hin und wieder. Er grinste schelmig, und ein leichtes kribbeln in seinen Eiern und seinem Schwanz ließ ihn von Zwei Siebzehnjährigen, süß duftenden Frauen träumen, die es nicht abwarten konnten ihm die Kleider vom Leib zu reißen um sich schnell und hart von ihm besteigen zu lassen.

Mit einem Mal öffnete sich langsam, und fast lautlos,die Tür ( - die sonst immer knarrte... - ).

Jäh aus seinen Träumen gerissen steckte der Wirt das Schmuckstück hastig zurück in die kleine Kiste und versah sie so rasch mit dem Schloß wie er es tatsächlich ein paar Mal geübt hatte.

Die alte Frau mit der langen gebogenen Nase und dem schwarzen Kopftuch, die alle als Mutter Balasc´ kannten, trat ein. Sie stützte sich auf einen knorrigen Stecken, kam näher und bedachte den Glatzkopf mit einem mürrischen Nicken. Was weniger wie ein Gruß erschien, als wie eine offensichtlich Geringschätzung.

"Was ist Alte?" fragte er skeptisch. "Willst du mir die Zukunft voraus sagen. Hahaha!" fügte er rasch lachend hinzu.Und drückte damit unmissverständlich seinerseits, die Geringschätzung ihr gegenüber aus. Die Alte ignorierte die Reaktion des Wirtes. Sie wurde nicht zum ersten Mal ausgelacht (...oder schlimmeres...).

Mutter Balasc´ging ruhig auf ihn zu und starrte ihm ganz tief in seine Augen. Bohrte sich hinein, in seinen massigen glatzköpfigen Schädel, in seine Gedanken, in sein Innerstes selbst.

Der Wirt spürte einen leichten Schmerz in seinem Schädel aufkommen.Ihm war unwohl. Ein flaues Gefühl befiel seine Magengegend. Seine Stirn wurde kalt und ein paar kleine nasse Punkte traten aus den Poren hervor. Schnell wandte er sich ab und schnappte sich ein Glas das er längst geputzt hatte und wienerte es wie besessen. Das Tuch, an dem immer noch der inzwischen eingetrocknete Popel klebte, polierte und polierte.

"Du hast keine Zukunft Wirt!" begann die Alte bestimmt,

"Nur ein Schicksal!" fügte sie tonlos hinzu.

Der Wirt schnappte sich das nächste Glas und wienerte auch an diesem sinnlos herum. Er nahm all seinen Mut zusammen und drehte sich ruckartig um. Blieb dabei aber schräg stehen, als wolle er bereit sein, sich notfalls rasch wieder wegzudrehen. Genau wie mit dem Vorhängeschloß. Er war eben gerne auf alle Eventualitäten vorbereitet.

"Ich glaube nicht an deinen Hokus Pokus alte Vettel!“ brüllte er sie an. Speichelfetzen flogen aus seinem wütend verzerrten Mund. Mutter Balasc´stand reglos da.Ihre Augen trafen sich. Der Wirt schnaubte. „Ich bin nicht so leichtgläubig wie die anderen im Dorf!“ fuhr er fort. Seine Stimmlage veränderte sich jedoch während er sprach merklich. Als hätte er mittendrin selbst, seine Aussage in Frage gestellt, wurde er langsamer und vor allem leiser. Die Alte schaute nur. Der Wirt fand kein Glas mehr zum putzen und wand sich daher mit dem Tuch der Theke zu.

„Troll dich!“ sagte er so fest und bestimmt es ihm gerade noch möglich war. „Ich öffne heute später!" schob er hinterher, um der völlig unsinnigen Annahme zu entgehen, die Alte würde eine Grundsatzdiskussion beginnen wollen, über seine Schenkenzeiten und ihr Recht als Stammgast ( - ...Streng genommen war jeder ab Sechzehn im Dorf Stammgast... - ).

Er gab sich Mühe besonders abweisend drein zu blicken. Was, da sein Blick weiterhin auf den Tresen gerichtet war, jeglichen Nutzen verpuffen ließ.

Die verdammte alte Zigeunerin verpisst sich nicht, fluchte er innerlich.

Für den Bruchteil einer Sekunde schickte er seine Augen nach oben um einen kurzen Blick in ihr Gesicht zu wagen. ( - ...Hexenaugen! Verdammte Hexenaugen!... - )

Er schaute sie weiter an, vermied jedoch ihr direkt in die Augen zu sehen.

Mutter Balasc zog langsam ihr Kopftuch herunter, griff sich ans Haupt und rupfte eines ihrer grauen Haare aus.

Der Wirt beobachtete verwirrt die Szene.

Die Alte warf das herausgerissene Haar auf die Theke, direkt vor den Wirt.

"DAS!...“ begann sie nun ihrerseits laut und fest. Ihre Augen sogen sich wieder an seinen fest. „...ist dein Schicksal!" fuhr sie fort. Dabei zeigte ihr lang von oben herab deutender Zeigefinger, mit seiner feingliedrigen Spitze, ohne das sie hinsehen musste, genau auf das alte graue Haar ihres Hauptes. Dann drehte sie sich abrupt um und verließ, auf ihren Stock gestützt, etwas wacklig aber zügigen Schrittes das Haus.

Der Wirt sah ihr nach bis die Tür sich wieder geschlossen hatte. Mit einer wütenden Handbewegung wollte er gerade das graue Haar der Alten vom Tresen fegen als er in seiner Bewegung erstarrte. Seine Hand blieb wie angenagelt, in der Luft stehen und begann zu zittern, eh sie langsam hinunter sank und nutzlos an seinem Körper hinunter baumelte. Sein flaues Gefühl, das gerade wieder in seichte Gewässer driftete, machte eine Kehrtwende und steuerte geradewegs in einen übermächtigen Strudel tiefer Übelkeit. Sein Magen zog sich schlagartig zusammen und zog sämtliche Eingeweide in die Körpermitte. Sein Herz wurde ganz kurz von einer unsichtbaren Faust zusammengequetscht. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

Das graue Haar das vor ihm lag hatte seine Farbe soeben vor seinen Augen in ein schimmerndes Rot gewechselt.

 

*

 

Jekatarinenburg, Russland, 16.07.1918

 

Wesslie stieß mit der Schulter an die Wand als der Herr ihn durch den Riss in den Raum schob. Es handelte sich um eine kleine enge hölzerne Vorratskammer. Er klopfte sich den Staub ab, der bei dem Stoß auf seiner Schulter und seinem Kopf gelandet war.

Auf der einen Seite befand sich ein Regal mit allerlei Gläsern in denen Eigemachtes lagerte. Bohnen, Borretsch, Mirabellen, Marmelade und so weiter. Auf der anderen Seite hingen zwei große geräucherte Schinken. Am Ende der Kammer stand ein kleiner Tisch mit Drei kleineren Broten und einer Schale mit knackigen roten Äpfeln.

"Wo sind wir Herr?" fragte Wesslie.

"Jekaterinenburg, Wesslie!" sagte er.

"Das sagt mir nichts. Ist das in Russland?" überlegte Wesslie. Hörte sich so an. Viel wusste er allerdings nicht über Russland.

"Und ob das in Russland ist!“ freute sich der Mann in Schwarz. „Und das ist noch lange nicht das interessanteste. Wir werden gleich Ohrenzeugen von einem historischen Moment werden. … Man sollte Schulausflüge so in der Art machen...da würden die Schüler wirklich mal realitätsnahen Unterricht haben...“ er schweifte ab. „ Die Geschichte des Dritten Weltkriegs erlernen, indem man hautnah dabei ist.“ rief er, völlig von der Genialität seiner Gedanken überzeugt. Er schlug sich jedoch gleich eine Hand vor den Mund und machte dann, empört drein schauend mit dem Zeigefinger vor dem Mund „Pssssssst!!!“ und zwar zu Wesslie gewand, der noch nicht ein einziges lautes Wort von sich gegeben hatte. „Nun gut,“ fuhr er flüsternd fort, „der eine oder andere Schüler könnte wohlmöglich...verletzt, oder...tot zurückkehren. ...Wenn man die Leichen findet.“ fiel ihm ein. „Aber ein bisschen Schwund hat man ja immer.“ beendete er seine Ausführungen. „So, wo waren wir?... Ach ja, zieh das hier über Wesslie.“

Der Herr reichte Wesslie eine alte Jacke auf dessen Ärmel ein roter Stern aufgenäht war. Er selbst zog sich ebenfalls eine ähnliche Jacke über.

"Was nun?" fragte Wesslie unsicher, an dem Stern herumfühlend. Als würde er sich ihm dann erklären. Der Herr machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Er stand einfach nur da und lauschte.

"Wir warten!" zischte er. „Hab Geduld.“ fügte er sanfter hinzu.

Zehn bis fünfzehn Minuten verharrten sie in der Vorratskammer. Wesslie wollte sich gerade noch einmal richtig ausstrecken,dann geschah endlich etwas. Der Herr hob die Hand. Wesslie hielt in der Bewegung inne.

Schritte von ziemlich vielen Menschen waren auf der Treppe vor der Kammer zu hören. Sie marschierten an der Kammer vorbei und entfernten sich rasch nach oben. Dann wieder Ruhe. Wesslie sah den Herrn Stirn runzelnd an, sagte jedoch nichts( - Geduld... - ).

Minuten vergingen.

Er meinte ganz entfernt von oben zwischendurch Stimmen zu hören. Aber nur sehr schwach. Die meiste Zeit aber war Ruhe.

Wesslie erschrak jedoch plötzlich so sehr, dass er einen halben Meter zurück wich und erneut gegen die Holzwand hinter sich stieß. Der geringe Lärm den er dabei verursacht hatte machte rein gar nichts. Er hatte nämlich soeben mehrere Schüsse von oben gehört, die nach der langen Ruhe so laut in Wesslies Ohren klangen, als wären sie im Nebenraum abgefeuert worden.

Weiter oben konnte Wesslie jetzt Schreie im Haus hören.Schreckliche ( - Schöne! - ) Schreie.

Noch einmal zwei Schüsse.

Der Herr blieb bei der ganzen Sache ruhig und gelassen. Er schien gerade die Sauberkeit seiner Fingernägel zu überprüfen. Er grinste Wesslie schräg an. Natürlich hatte der Mann genau gewusst was sie hier erwarten würde.

Wieder Schritte. Näher kommend.Im Lauf die Treppe hinab.

Wesslie hielt die Luft an, als die Schritte an ihnen vorbei nach unten verschwanden. Dann wieder Ruhe.

"Jetzt!" sagte der Herr mit erhobenem Zeigefinger. „ Aber, weiterhin Pssst.“

Wesslie öffnete die Tür und sie traten hinaus in das Treppenhaus.

"Nach oben!" sagte der Mann.

Wesslie ging voran. Vorsichtig. Er wollte sich ungern durch eventuell knarzende Stufen ankündigen.Oben führte ein längere Flur an einigen Türen vorbei. Er sah kurz aus einem der Fenster.

Draußen war ein hoher Bretterzaun, anscheinend rund um das recht große Haus mit Stuckverzierungen an der Fassade, herum gebaut. Eilig zusammengezimmert, als Sichtschutz oder zur Abwehr von Eindringlingen, nahm Wesslie an. jedenfalls hatte hier weder ein Zaunbauer noch ein Schreiner seine Hände im Spiel gehabt. Und er passte nicht zu dem, doch recht ordentlichen Haus.

Der Herr stupste ihn an und deutete auf eine geöffnete Tür aus der Stimmen drangen. Er winkte Wesslie in diese Richtung. Als er los ging, hielt der Herr ihn am Ärmel fest. Er deutete ihm ruhig zu bleiben. Er zeigte auf den roten Stern auf seiner Jacke. Wesslie verstand. Wenn da drin noch einer von den Männern war, die hier oben vorhin auf jemand oder etwas geschossen hatten, würde er sie für Gleichgesinnte halten. Er erinnerte sich an den Unterricht, und das der rote Stern ein Zeichen war, für Russland. Und das er so auf der Kleidung aufgenäht war, bei den Gegnern der Zarenfamilie. Er ging zur Tür und sah hinein.Sofort fühlte er in seiner Tasche nach dem Gegenstand, den er gleich auf jeden Fall benötigen würde. Und das weckte in ihm ein ungeheuer wohliges Kribbeln.

Mehrere Personen, Männer und Frauen, lagen im hinteren Teil des Zimmers offensichtlich tot am Boden.

Überall war Blut. große dunkelrote Löcher klafften in den Leibern. Einer Frau fehlte ein Auge. Stattdessen quoll eine graue weiche Masse heraus. Ein Mann hatte seinen kompletten Hinterkopf verloren. Man konnte durch die Zahnlose Mundhöhle die Wand dahinter sehen. Ein blutiger Finger lag auf der Fensterbank. Der halbe Raum war mit roten Punkten unterschiedlichster Größe gesprenkelt. Eine der Frauen, fast noch ein Mädchen, stöhnte leise. Zwei Männer waren über sie gebeugt und zerrten an ihren Kleidern. Die rot getränkten Stellen ihres hübsch glänzendes Kleides vergrößerten sich mit jedem herum rucken an der Frau. Die Männer trugen wie er rote Sterne an ihren Jacken. Die Männer sahen erschrocken auf, ließen ihre Blicke aber erleichtert wieder sinken als sie die Jacken der beiden Hereinkommenden sahen. Die Gier hatte sie dazu veranlasst rasch weiter nach Wertsachen zu suchen, statt die beiden Männer etwas eingehender auf ihre Solidarität zu prüfen.

Wesslie sah seinen Herrn an. Der nickte ihm nur zu.

Wesslie wusste was nun zu tun war. Er zog eine Pistole mit Schalldämpfer aus seinem Gürtel und schoss beiden Männern ohne zu zögern in den Kopf. Noch mehr Blut spritzte an die hintere Wand und auf die Frau am Boden vor ihnen. Ihr Gesicht bekam augenblicklich einen Haufen hellrot glänzender Sommersprossen. Die beiden Kerle sackten sofort tot zusammen und fielen wie ein Vorhang, vor einer Bühne auf der das Mädchen mit den Sommersprossen gerade stirbt,jeder zu einer Seite weg. Und Wesslie schwamm immer noch in seinem Glücksgefühl. Die ganzen Toten, das ganze Blut, das war sein Vorspiel gewesen. Sein Schwanz hatte da schon ein wenig zu wachsen begonnen. aber als die beiden Köpfe platzten da stand er hammerhart. Er hätte liebend gern noch ein paar Köpfe mehr zum platzen gebracht.

Anerkennend klopfte der Herr Wesslie auf die Schulter und schob sich an ihm vorbei. Er hockte sich neben der immer noch vor sich hin stöhnenden jungen Frau und führte die Arbeit der nun toten Männer fort. Er trennte das blutige Kleid auf und zog aus dem darunter liegenden Korsett wunderschöne Diamantenbesetzte Schmuckstücke heraus. Gold, Silber, Edelsteine. Ein Diadem, Ketten, Broschen, Ringe und Armreife. Eilig verstaute er alles in einem braunen Stoff-Beutel. Nun stand er auf und strahlte über das ganze Gesicht.

Das Mädchen hob hinter seinem Rücken einen ihrer Arme. Eines ihrer Beine begann sich langsam aufzustellen. Wesslie sah sie teilnahmslos an.

"Das war wahrhaftig ein guter Fang, mein Freund. Lass uns verschwinden bevor die anderen zurückkommen und nach ihren Kumpanen suchen. " sagte der Herr, ohne auf das Mädchen zu achten.

Sie verließen das Zimmer und eilten die Treppe hinunter. da hörten sie bereits ein paar Stiefel von unten. Hastig bewegten sie sich wieder zu der Kammer. Gerade als sie wieder darin verschwunden und die Tür geschlossen hatten marschierten auch schon mindestens Drei Männer nach oben.

Wesslie hörte wie sie etwas riefen und wieder hinunter rannten.

"Ich würde zu gerne noch bleiben und schauen ob an den alten Geschichten über die Kleine Anastasia was dran ist.“ sagte der Herr, mehr zu sich selbst als zu Wesslie. „Aber meine Neugier zu stillen ist mir nicht das Leben wert. Lass uns nach Hause gehen, wir haben was wir wollten."

Sie traten durch den Riss.

 

 

 

*

 

Rumänien, 1847

Elise schlug um sich, wand sich hin und her als sie dieses furchtbare brennen an ihrem Kopf verspürte.

"Herrgottnochmal! Ahh...hören sie auf damit. Es reicht wenn einer von uns verletzt ist, Fräulein!" kam stöhnend und fluchend von irgendwo schräg unter ihr.

Erstaunt öffnete Elise ihre Augen und sah erst einmal niemanden. Sie hob ihren schmerzenden Kopf, der ihr doppelt so groß und schwer wie üblich erschien. Jetzt sah sie den großen Mann, der sie im Wald überrascht hatte. Sein Gesicht war jetzt wieder hautfarben. Er saß mit gespreizten Beinen am Boden und rieb sich sein Auge. Ein paar stumme Tränen liefen ihm die Wange herunter.

Seine schwarzen, wuschelige Haare rahmten seine markanten, attraktive Gesichtszüge ein.

Sie tastete mit zwei Fingern vorsichtig nach ihrer Stirn. Ihr Schädel schien sich hier unter qualvollen Schmerzen nach außen zu wölben. Oh ja, eine fette Beule thronte dort. Und etwas eingetrocknetes Blut konnte sie fühlen. Sie versuchte sich zu erinnern, aber ihr Geist hielt sich momentan noch etwas zurück. Er hatte genug damit zu tun, die Gegenwart zu begreifen und einigermaßen zu sortieren.

"Wer sind sie und wo bin ich?" stammelte sie. Urplötzlich riss sie gleichzeitig Mund und Augen weit auf. „Ohhh!!!“ stieß sie wütend aus.Die Fäuste geballt und mit stechendem Blick fuhr sie ihn anklagend an. „Habt IHR mich etwa nieder geschlagen, verschleppt, und wohlmöglich an mir verg...“ Sie stockte und schaute allen Ernstes an sich hinunter, ob sie ihre Beinkleider noch an habe. „ … Wenn ihr mich anfasst, werde ich mich mit Händen und Füßen wehren. ...Und ich werde soo laut schreien das...“

Drago unterbrach sie. „ Die nächsten menschlichen Ohren sind so weit entfernt das sie es nicht mal hören würden, wenn hier am Fluß die Schlacht von Navarino nachgestellt würde!“ entgegnete er zornig. Sein Auge konnte er immer noch nicht offen halten, ohne das ein schmerzhafter Reflex ihn zwang es sofort wieder zu schließen. In den kurzen Momenten die es zu sehen war, ohne selbst etwas sehen zu können, leuchtete es knallrot wie ein Grablicht. Er hielt die hohle Hand darüber. Das machte es seltsamer Weise etwas unempfindlicher.

"Ich war auf der Jagd als ihr mir über den Weg lieft und euch selbst zur Strecke brachtet. Ich war dafür gar nicht nötig.“ polterte er weiter. Was dachte sich diese feine Person aus der großen Stadt eigentlich, fragte er sich ärgerlich. Elise war jetzt still geworden und hörte ihm nur noch gebannt zu. Das brennen in seinem Auge ließ endlich nach, und er konnte es jetzt schon zwei Sekunden am Stück geöffnet lassen, bevor es sich wieder krampfartig zusammenzog. „Ihr ward bewusstlos, also brachte ich euch hierher, in meine Hütte am Fluss. Und es war bestimmt kein Spaziergang, euch den Berg runter zu schaffen. Gut das es nur abwärts ging.Und dann noch mit dem Floß...“

„Was soll das denn heißen?!“ ging sie entrüstet in die Luft. Ihre sowieso rosigen Wangen liefen knallrot an. Sie setzte sich gerade hin und zog unwillkürlich den Bauch etwas ein. „Das hört sich ja an, als hättet ihr einen Ackergaul den Berg runter geschleppt!“ sie funkelte ihn böse an.

„Hergott, ich wollte nur klar machen, dass ich euch genauso gut hätte im Wald liegen lasen können. Was zum..., wieso seid ihr überhaupt hier mitten in der Wildnis unterwegs?Seid ihr den ganzen Weg über die Berge zu Fuß gekommen?"

Sie setzte sich im Bett wieder etwas bequemer hin und stützte ihren schmerzenden Kopf in ihre Hände.

Langsam kamen ihre Erinnerungen zurück. Wie ein Film lief vor ihrem inneren Auge noch einmal ab was geschehen war.

Elise war gar nicht wirklich müde gewesen, als sie in dem Gasthof im Dorf auf ihr Zimmer gegangen war. Doch kaum hatte sie in ihrem Buch zu lesen begonnen, fielen ihr regelrecht die Augen zu. Sie schaffte es nicht einmal es zu schließen, es rutschte ihr einfach aus der Hand, und sie war nicht mehr fähig gewesen es davor zu bewahren auf den Boden zu fallen und dort aufgeschlagen liegen zu bleiben. Sie schlief ein.

Das nächste an das sie sich erinnern konnte war, dass sie in einem steinernen kalten Raum aufgewacht war. Sie hatte auf einer Holzpritsche gelegen. Ein kleiner Tisch und ein Stuhl standen in einer Ecke. Sonst nichts. Nicht mal ein Fenster. Sie war aufgewacht, weil sich jemand von außen an der Tür zu schaffen machte. Ein Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt und drehte sich knarrend. Ein verunstalteter Kerl, wahrscheinlich Brandnarben, kam herein. Er war noch recht jung, aber schaute sie so verachtend und böse an, wie jemand der bereits vor Jahrzehnten aufgehört hatte an irgendetwas zu glauben. Mit dem gemeinsten Lachen das Elise je gehört hatte, teilte er ihr mit das sein Herr am nächsten Abend kommen würde, um sie zu holen und dann würde sie diese Welt für immer verlassen.Dann hatte er wieder gelacht. Er schien sich wirklich regelrecht an ihrem Leid und ihrer Angst zu ergötzen. Mit diesen Worten hatte er ihr ein Stück Brot hingeworfen, das an einer Ecke bereits einen grünlichen Pelz trug, und einen Tonkrug mit Wasser auf den Boden gestellt.

Oh ja, natürlich hatte Elise Angst. Aber sie hatte auch Verstand. Wenn es so war, wie das Scheusal sagte, würde sie ihr Leben verlieren sobald dieser mysteriöse „Herr“ hier ankäme, - wo auch immer „hier“ sein sollte -. Sie hatte also nur genau diese eine Chance.

Dieses Ekel hatte ganz schön verdutzt aus der Wäsche geguckt als sie sich blitzschnell den Tonkrug geschnappt und ihm über den Schädel gezogen hatte. Das ebenfalls schon faulig riechende Wasser, lief seinen Schädel hinunter und spritzte an die offene Tür hinter ihm.

Das Scheusal war ins Trudeln geraten. Er bewegte sich einige Male mit jeweils Zwei bis Drei Schritten, schwankend hin und her, vor und zurück. Elise beobachtete hochgespannt, mit angehaltenem Atem den torkelnden, wie die Kugel in einem Roulettekessel, bis er endlich fiel und Elise sich schleunigst daran machte ihren Gewinn einzusammeln. Mit einem Satz war sie einfach über ihn hinweggesetzt und getürmt. Sie war gerannt und gerannt, bis sie endlich an ein Fensterloch in der Mauer kam. Der Hang darunter war recht steil und es waren erst Mal gute Drei Meter bis zum Boden.Sie zögerte. Es hatte vielleicht Fünf weitere Sekunden gedauert, bis sie sein wütendes Schreien vernommen hatte. Irgendetwas flog gegen eine Wand, dann kam das Schreien näher. Das Scheusal tobte. Hastig quetschte sie sich durch das schmale Fenster und ließ sich fallen. Gottlob landete sie so, dass zwar ein vibrierender Schmerz von ihren Fußsohlen bis in die Wirbelsäule hinauf schoss, sie aber unverletzt den Sprung überstehen ließ. Sie wandte sich um. Vor ihr ragte ein riesiges Schloß in die Höhe. Mit weißen Mauern und rötlichen Dächern. Es erschien unbewohnt. Irgendwie leblos. Aber offensichtlich war dem ja nicht so. Sie drehte sich wieder um und rannte los, den Hang hinab, so schnell ihre Füße sie trugen. Sie wusste das er ihr folgen würde.

Sie hatte vergessen wie lange sie schon lief, sie hatte das Gefühl für Zeit verloren. Aber eines war klar, lange konnte sie das nicht mehr durchhalten. Nicht in dem Tempo. Und die laufenden, springenden Schritte ihres Verfolgers waren immer noch deutlich zu vernehmen. Und er schien überhaupt kein bisschen müde zu werden. Sie keuchte und japste. Ihre Hände auf die Knie gestützt stand sie gebeugt da.Fast hätte sie sich übergeben. Denk nach! Schau dich um! Sie sah sich um. Bäume, Bäume, Bäume, stellte sie enttäuscht fest. Und Berge von Blättern, das man ganze Häuser darunter... . Elise grinste. Wenns für ein Haus reicht, wird’s für mich grad auch reichen, freute sie sich. Nah bei einer riesigen Buche, hatte sich ein passender Hügel Herbstlaub eingefunden. Ganz vorsichtig um keine Spuren zu hinterlassen, aber trotzdem zügig da die Schritte immer näher kamen,kroch sie unter den Blätterhügel. Bedeckt von einem knappen halben Meter Laub wartete sie mucksmäuschenstill. Und ihr Plan hatte funktioniert.Was sie mit sichtlichem Stolz,wie den ganzen Rest der Geschichte. dem fremden Mann nun erzählte. Er hatte ihr eine dampfende Tasse Tee ans Bett gebracht, die sie während sie erzählte Schluck für Schluck trank. Er schmeckte gut, etwas herb, aber gut. Die Kräuter mit denen er aufgegossen worden war taten ihr gut und entspannten sie.

Sie berichtete dem Mann auch was der eigentliche Grund ihrer Reise war.

Der Jäger, der sich als Drago vorstellte, kratzte sich

nachdenklich am Kopf. "Sagt, wertes Fräulein..."

"Tut mir den Gefallen und nennt mich Elise, wertes Fräulein liegt mir nicht besonders."

"Gut, Elise, sagt habt ihr eine Schwester die mit einem feinen Herrn liiert ist. Josepha oder so ähnlich?" Er sah sie fragend an.

"Josephiné!" schrie sie und sprang auf, saß jedoch gleich wieder, ohne ihr Zutun. Alles in ihrem Schädel begann sich zu drehen.

"Meine Schwester! Oh nein! Ich hatte ihr bereits in Paris geschrieben sie solle mir nicht folgen ich käme schon zurecht! ...Auch wenn ich die Jüngere bin." bemerkte sie trotzig und verschränkte die Arme vor ihrem Körper.

"Nun, anscheinend hat sie ihren Rat nicht befolgt“ stellte Drago fest. „Gestern im Dorf war eine feine Dame mit ihrem Mann, die laut der Beschreibung, die mir ein befreundeter Jäger gab, euch sehr ähneln muss. Bis auf nun ja, ihr seid im ganzen etwas …mehr,ähm….". Er druckste etwas herum und suchte Strohhalm greifend nach einem Ausweg.

"Schon gut, kommt zum Punkt!!!" Sie stützte ihre Hände in ihre breiten Hüften und funkelte ihn böse an.

Nehmt das nicht als Wertung, im Gegenteil, ich mag Frauen deren Kleider, oder in ihrem Fall Hemd und Hose etwas ausgefüllter sind und..." er betrachtete sie, wie sie da in ihrer dunkelbraunen Wildlederhose und ihrem grünen Hemd vor ihr stand und sich ein dunkler werdendes Rot zu den vorhandenen Farben dazugesellte.

"Untersteht euch, ihr werdet unschicklich. So etwas geziemt sich nicht!" brauste sie auf. „Was ist nun mit meiner Schwester. Hat sie sich vielleicht auch „selbst zur Strecke gebracht?“ fragte sie provozierend. Das Misstrauen von vorhin war neu aufgeflammt.

"Schon gut, schon gut! Sie fragte überall nach euch und sucht mit ihrem Mann eure Spur. Das ist alles was ich weiß! Hätts auch für mich behalten können..." Nun war Drago etwas beleidigt.

"Um Himmels Willen! Wisst ihr was das bedeutet?!“ schrie sie. „Ich muss zurück zum Schloss!“ stellte sie klar. „Ich bin mir sicher dass die beiden auch betäubt und verschleppt wurden. Sie sind in höchster Gefahr! Ich kann nur hoffen dass es noch nicht zu spät ist.“ Sie stand da und man konnte ihr ansehen wie ihr Gehirn arbeitete. „Drago.“ begann sie säuselnd. Ihre Stimme wurde etwas heller, wirkte plötzlich kindlicher. „Ihr seid ein wahrhaft tapferer Mann von kräftiger Statur, der es versteht den Gefahren des Lebens zu trotzen..."

"Ich bin ein einfacher Mann Elise, „ unterbrach er sie. „Aber ich bin kein dummer Mann. Warum sollte ich mit euch gehen, wer oder was der neue Schlossherr auch sein mag, er ist gefährlich. Menschen verschwinden dort, deshalb bleibe ich wie jeder andere vernünftige Mensch des Nachts weit weg von dort. Ich befand mich nur wegen der Jagd überhaupt so nah beim Schloss. Von irgendwas muss man ja leben."

Elise senkte enttäuscht den Blick. "Nun, dann werde ich mich alleine auf den Weg machen um zur Hilfe zu eilen und wenn es mein junges Leben kostet. Habt Dank für eure Pflege, die selbstredend ohne euer Zutun gar nicht von Nöten gewesen wäre, gehabt euch wohl. Ich ziehe von dannen und werde, wenn es sein muss, zusammen mit meiner Schwester vor den Herrn unseren Gott treten.", sprach sie und stapfte trotzig zum Ausgang. Sie verließ die Hütte, die Tür kräftig hinter sich zu schlagend. Sie ging zu dem nahem Ufer des Flußes, betrachtete wie das Wasser dahin floss, und aus ihren Augen floss ebenfalls etwas.

Die Tür öffnete sich wieder und hörbar stöhnend trat Drago mit seiner Flinte bewaffnet ins Freie, schulterte wortlos seinen Rucksack, warf Elise eine alte mit Pelz besetzte Jacke zu und marschierte Zähne knirschend in Richtung der Berge die zum Schloß führten.

Elise, beobachtete ihn verstohlen vom Ufer aus. Als er los ging, grinste sie erfreut und hastete ihm hinterher.

Sie zog vor bis sie an seiner Seite ging und hauchte ihm ein fröhliches Lächeln entgegen, welches er übertrieben gespielt erwiderte, bevor er wieder nach vorne schaute und weiter ging.

 

*

Indianapolis, USA, 2488

 

Wesslie stand versonnen auf der Plattform außerhalb der Wohnung und sah relativ unbeteiligt zu wie die verschiedenen Fluggeräte vorüber zogen.Ein knallbunter langezogener Gleiter, ein bisschen wie eine Stretch-Limousine auf Acid, zog geräuschlos am Gebäude vorbei.

Wesslie war hart.

Er hatte sich bewusst entschieden das zu sein.

Das war jedenfalls seine Meinung, die Meinung die er auch nach außen hin vertrat. Obwohl natürlich klar war,

dass diese Härte sein Panzer war, der ihn davor bewahrte die schreckliche Traurigkeit seines Schicksals hindurch zu lassen. Aber dieses Schicksal, dieses „alte“ Leben, waren Vergangenheit. Damit sollte man sich nicht aufhalten. Er hatte es weg gepackt ( - dachte er. Aber es ist nie weg wenn man es weg packt.. - ). Es gab jedoch Momente, nicht viele, ein bis Zwei Mal in einem Jahr vielleicht, da spürte er es. Da kam das hoch, was er nicht wieder an die Oberfläche lassen wollte.

Vor einigen Minuten hatte er eine Frau auf dem gegenüber liegenden Gebäude gesehen. Sie war ziemlich groß und hatte brünette Locken die ihr auf die Schulter fielen. Ihre riesige Brille sah aus wie aus den Siebzigern. Der Rahmen war mit Glitzersteinchen besetzt und lief nach oben hin spitz zu. Elton John wäre begeistert gewesen.

Sie schlenderte mit ihrem vielleicht sechs Jahre alten Sohn, Hand in Hand an ein paar Geschäften vorbei.

Die Beiden waren vor einem Schaufenster stehen geblieben und hatten wohl etwas Lustiges darin entdeckt. Die Mutter deutete hinein und blickte dann wieder den Jungen an. Sie lachten und strahlten sich einander glücklich an.

Wesslie spürte wie etwas sich in sein Herz hinein fraß und es zu zerdrücken versuchte. Eine Träne rollte seine Wange hinab und verlor sich in seinen Zwei Tage alten Bartstoppeln.

Er hatte das ungeheuer tiefe Bedürfnis seine Mutter kennen zu wollen. Er wollte wissen wie sie aussah, was sie für eine Frau war und warum sie ihn ins Heim gegeben hatte. Warum sie ihn einfach weg gegeben hatte.Vielleicht gab es eine Erklärung. Hatte sie keine andere Wahl? Oder ist er bloß ein lästiger schreiender Balg gewesen der im Weg war. hatte sie überhaupt etwas für ihn empfunden? Hatte sie ihn..., geliebt..., bevor sie ihn...weg warf?

Er wollte es wissen!Er musste es wissen! Und er jetzt hatte er endlich die nie geahnte Möglichkeit dazu.

Dank des Kristallschlüssels. Er konnte jetzt alles tatsächlich in Erfahrung bringen. Es wäre sogar möglich dass er seinen Vater sehen würde. Oh Gott! Ja, auch das wäre möglich... .

In Wesslies Kopf drehten sich die Gedanken rasend schnell im Kreis. Ihm war bewusst, dass der Herr ihm vertraute. Er hatte ihm den Schlüssel gegeben. Ihn ihm anvertraut. Er hatte daher nicht vor sich heimlich auf den Weg zu machen. Er würde seinen Herrn um Erlaubnis bitten. Allerdings würde dieser kein Verständnis für sein Vorhaben zeigen. Mit solch emotionalen Dingen hatte Wesslie sich nicht zu beschäftigen. Wesslie hatte ein einziges Mal, vor Jahren, nur eine kleine Andeutung gemacht, dass er sich gefragt hätte wer wohl seine Mutter gewesen sei. Das hatte der Herr sofort energisch als unsinniges Gedankenspiel abgetan. Er solle diesen Blödsinn lassen und sich auf seine Aufgaben konzentrieren. Gefühle waren bei ihrer Arbeit nur im Weg. Man konnte Menschen nicht entführen, verschleppen, verkaufen, und töten, wenn man sich irgendwelchen nutzlosen Emotionen hingab. Der Herr sollte nicht an ihm zweifeln, und das müsste er auch nicht. Wesslie sah die Welt längst genauso wie sein Lehrer sie ihm erklärt hatte.

Nur diese eine Sache, diese eine verdammte Sache, wollte er für sich klären.

Er musste einen anderen Grund vorschieben. Und den gab es. Einen belanglosen, aber der war echt und wenn er danach fragen würde, wäre das als würde er einfach nur nach einem freien Nachmittag fragen. Wesslie würde nicht einmal richtig lügen, weil er genau das tun würde was er ihm erzählen wollte. Er würde lediglich eine Kleinigkeit ungenannt lassen.

Wesslie drehte sich herum und ging nachdenklich zurück in die Wohnung wo der Herr am Schreibtisch saß und an der Sprechanlage herumfummelte.

"Herr." begann Wesslie zögernd.

"Ja Wesslie?" erwiderte der Herr freundlich, ohne von dem Gerät auf zu sehen. Er hatte gerade die hintere Klappe gelöst und schaute nun in die Anlage hinein wie ein Fünfjähriger in die Doktorarbeit eines Quantenphysikers.

"Wäre es möglich das ich heute einmal eine Reise in der Zeit für mich alleine unternehme? Zur Übung quasi. Ich weiß ja wie es funktioniert, aber ich dachte bevor ich einen richtigen Auftrag erledige, wäre ein Probelauf vielleicht ganz gut. Und...,ich würde gerne meiner alten Zeit noch einmal einen Besuch abstatten. Es wäre schön mal wieder einen Hot Dog von der Ecke zu essen oder was von Burger King. So nen Whopper mit extra Käse und ne große Pepsi dazu. Ein bisschen durch die alten Straßen zu latschen wäre auch nicht schlecht. Vielleicht nur für ein paar Stunden. "

"Hm, ja." sagte der Herr ein wenig abwesend, während er weiter versuchte zu ergründen warum diese blöde Kiste nicht funktionierte. Er würde wohl nicht umhin kommen einen Techniker holen zu lassen.Was einigermaßen peinlich war, für einen hochdekorierten Wissenschaftler, der im Stande war einen Zeitschlüssel zu konstruieren, aber keine Sprechanlage mit nur Zwei Funktionen in Gang brachte.

Jetzt sah er auf und blickte in Wesslies Richtung.

"Das ist eine hervorragende Idee. Mach das. das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden ist immer gut. Viel Vergnügen und lass es dir schmecken.Ich selber kann dieser Art der Nahrung nicht allzu viel abgewinnen. Irgendwann nehme ich dich einmal mit ins "Mugaritz" in Spanien. Ein vortreffliche Restaurant im schönen Baskenland.Das nenne ich Essen."

Er wand sich wieder dem Gerät zu, klemmte die Rückwand wieder fest und stellte es bei Seite. Noch einmal drehte er sich zu Wesslie.

"Drei Dinge Wesslie. Erstens: Lass dich nicht einfangen. Du wirst immerhin wegen Brandstiftung gesucht. Am besten kehrst du ein paar Tage oder Wochen vor deiner Tat zurück.

Zweitens: Such dir einen Platz zum Erscheinen aus, wo du keinen neugierigen Blicken ausgesetzt bist.Du weißt wie du den Schlüssel einstellen kannst.

Und Drittens, und das ist am wichtigsten: Vergiss nicht den Riss immer gleich zu schließen. Nicht auszudenken wenn jemand aus versehen dort hinein stolpert, und erst recht nicht auszudenken wenn jemand aus ihm heraus, in deine alte Welt steigen würde, der dort nichts zu suchen hat. Das könnte alles, wirklich alles verändern. In deiner UND in jeder andern Zeit. Vergiß das nie!"Er sah Wesslie durchdringend an.

"Ja sicher! Das mache ich Herr. Ihr habt es mir immer und immer wieder gesagt. Ich werde aufpassen. Ihr könnt euch auf mich verlassen. Bis nachher." versicherte Wesslie.

„Ich gehe davon aus Wesslie. Und ich werde es dir sicherlich noch öfter sagen.“ antwortete der Mann in Schwarz. „Ach!“ warf er hinterher, „ ruf mir einen Techniker für dieses blöde Ding hier, bevor du gehst, ja?“

 

-

 

Oh ja, er würde ein paar Wochen vor seiner Tat zurückkehren in seine Zeit. Viele Wochen!

Wesslie ging zu dem schwarzen Streifen,in dem Bereich der Wohnung von wo sie ihre Reisen immer begannen. Der Raum lag abseits und war nur durch ein verschiebbares Regal zu betreten. Natürlich wussten nur Wesslie und sein Herr von diesem Raum. Er betrat den Raum, schob das Regal zurück und zog den Kristall aus seiner Tasche. Er fuhr damit an der Linie entlang.

"Srrrrrrt"

Er ging hindurch,betrat den Gang und verschloss den Riss wieder sorgfältig, wie er es versprochen hatte.Dann gab Wesslie alle Daten so ein wie der Herr es ihm beigebracht hatte. Jetzt noch das Datum. Er stellte zunächst tatsächlich eine Zeit ein paar Tage vor dem Brand ein. Einen Sonntag Morgen Acht Uhr und Zehn Minuten. Der genaue Ort war auch klar. Dank des ausgeklügelten Systems welches der Herr ausgearbeitet hatte, war es möglich einen exakten Punk zum Erscheinen festzulegen. Nach Eingabe der richtigen Zeit sowie der Koordinaten, erschien auf dem Display ein Bild der gewünschten Stadt in die man grenzenlos hineinzoomen konnte. So konnte er sogar den Raum eines Hauses als Zielpunkt nehmen. So wie sie es schon in Jekatarinenburg und an anderen Orten, in anderen Zeiten getan hatten.

 

*

 

 

 

Chicago, USA, 2008

Kinderheim St.Joseph

 

"Klatsch!"

Der kleine dünne Stock fuhr auf die zierliche Hand des Jungen nieder. Er zuckte heftig zusammen, verkniff sich jedoch das Weinen, obwohl im danach zumute war und seine Augen zu schwimmen begannen. Den roten Striemen würde er am nächsten Tag noch sehen und spüren können.

Die "Aufseherin", wie sie alle Mrs Garfields nannten, ließ eine ihrer berüchtigten Schimpftriaden los.

"Jeremias Kruger! Her mit dem was du da unter der Bank versteckst! Sofort!" Sie ragte mehr über als vor ihm auf, und starrte ihn unerbittlich “von oben herab“ an. Die Hand mit dem Stock, die nun seitlich neben ihrem Körper ruhte bewegte sich bereits wieder in höhere Regionen.

Jeremias holte zitternd drei "Pokemon-Karten" hervor.

Blitzschnell wie eine schwarze Mamba, und genauso überraschend, langte die Aufseherin nach den Karten und riss sie ihm aus der Hand.

Das waren nicht irgendwelche Karten. Es handelte sich um Karten mit Werten über Hundertvierzig KP. Zwei davon waren Level X-Karten. Jeremias hatte sie gerade erst vor dem

Unterricht gegen acht seiner eigenen Karten eingetauscht.

Das war ein verdammt gutes Geschäft gewesen.Ein erdrückendes Gefühl völligen Ausgeliefertseins befiel ihn. Seine Stirn begann leicht zu glänzen. Flehend sah er Mrs Garfield an. Sie stand nur da, mit den Karten in ihrer Hand und dem Blick starr auf ihn gerichtet.

Natürlich wusste Mrs Garfield bereits in dem Moment, was sie mit den Karten machen würde, als sie sie dem dummen fetten Jeremias aus den Fingern gerissen hatte. Doch sie machte es gerne spannend,... interessant. Es gab ihr ein gutes Gefühl, ganz tief in ihr drin. Dieses Gefühl, darüber entscheiden zu können, ob sie Gnade walten oder Härte zeigen würde. Dieses Gefühl, wenn diese kleinen undankbaren,unnützen Bälger vor ihren Augen bettelten, und heulten. Oder aber tobten und sie beschimpften. Sie war sich nicht ganz sicher was ihr mehr lag. Wenn sie sich wehrten konnte sie noch zusätzliche Strafen aussprechen. Strafen die in jeder öffentlichen Schule einen Sturm der Entrüstung hervor gerufen hätte. Sämtliche Eltern wären auf die Barrikaden gegangen und sie wäre ihren Job los geworden. Schon vor Jahren. Aber, ach wie traurig, hatten diese Würmer hier ja keine Eltern. Hier hatten sie und der Pfarrer das Sagen. Und der wusste Gott sei Dank,( - ja, der war auf ihrer Seite, das war sicher... - ), auch das dieses armen Seelen eine harte Hand brauchten um den wahren Weg sehen und beschreiten zu können.

Und sie war davon überzeugt, dass die meisten dieser Kinder es nicht besser verdient hatten.

Sie gehörten für sie zum Bodensatz der Gesellschaft. Und es war nur recht, wenn sie ihnen hin und wieder deutlich machte das sie dort auch bleiben würden. Für den Rest ihres jämmerlichen Lebens.

Mrs Garfields zerdrückte die Sammelkarten in ihrer Faust. Ihr ganzer Körper bebte dabei vor boshafter Befriedigung, während sie Jeremias starr ansah. Jetzt rollten doch noch Tränen über das Gesicht des Jungen.

Ja, da war es, dieses (geile) Gefühl. Sie war der verlängerte Arm Gottes. Sie war trunken, sie war völlig stoned, von der boshaftesten Droge dieser Welt.

Macht!

Die Aufseherin drehte sich herum und schritt, wie ein Warlord zur Tafel.

Es reichte ihr noch nicht. Sie wollte noch einen kleinen Kick, den nächsten Flash.

Zu den bereits an der Tafel stehenden Hausarbeiten, die aufgrund der Fülle schon massenhaftes Stöhnen zur Folge gehabt hatte, schrieb Mrs Garfield nun noch eine weitere umfangreiche Aufgabe. Damit erledigten sich für die meisten Schüler ihre Wochenendpläne.Die ersten anklagenden Blicke wanderten in Richtung Jeremias.

Die menschliche Psychologie ist schon eine komplizierte Sache. Natürlich trug Jeremias in keinster Weise die Schuld an den diktatorisch erzieherischen Maßnahmen der Lehrerin. Aber trotzdem würden Josh, Karl und Denise ihm die Schultasche wegreißen und auskippen. Josh würde ihm seine Faust mit voller Wucht gegen den Wangenknochen donnern, wie er es im Kino bei Stirb langsam 4.0 gesehen hatte. Dann würde er erstaunt feststellen, dass kein Handknochen so hart wie ein Wangenknochen ist und sich seinen Mittelfinger brechen. Dem natürlich trotzdem zu Boden gegangenen, würde Karl dann mit seinen Boots in den Rücken treten. Was Karls Fuß gar nichts, aber Jeremias einen Unterteller großen Blau-Schwarzen schmerzhaften Fleck oberhalb der Nieren einbringen würde.

"So Kinder, packt eure Sachen zusammen und begebt euch in eure Zimmer.“ sagte Mrs Garfield herrisch und klatschte dabei antreibend in die Hände. „Ich möchte dass ihr alle in fünf Minuten in der Kapelle zum heutigen Gottesdienst erscheint.“ fuhr sie fort. Und wehe einer von euch enttäuscht unseren Herrn und Gott oder den Herrn Pfarrer, indem er oder sie zu spät kommt!" drohte sie beschwörend.

Die Kinder verließen den Klassenraum und gingen zügig, aber geordnet davon.

Mrs. Garfields räumte ihr Lehrmaterial, sowie den kleinen Stock, in ihren Aktenkoffer und schloss in mit Bedacht.

Als sie gerade den Raum verlassen wollte, meinte sie ein Geräusch zu hören. Sie stutzte kurz und sah sich im Klassenraum um.

Kopfschüttelnd, erklärte sie sich selbst, dass da nichts war. Sie rückte ihre Brille zurecht und verließ den Raum.

 

-

 

Pfarrer Harris war nicht gerne hierher gegangen.In dieses Kinderheim. In dieses Viertel der Stadt.Im Gegenteil. Er hasste es. Oh ja, das tat er wirklich. Auch wenn es sich für einen Pfarrer sicher nicht geziemte, zu hassen. Aber Pfarrer Harris Person enthielt noch einige andere Überraschungen, die so gar nicht in das Bild eines guten Pfarrers passten. Auch wenn dieses Bild sich erschreckend oft zeigt, wenn man die Fotokiste nur tief genug durchwühlt. Gerade in diesem Umfeld.

Früher hatte er prachtvolle Messen in der Holy Name Kathedral im Norden abgehalten. Ein prächtiges Gotteshaus mit Ruf und Namen. Er war gerne dort tätig gewesen.Bis diese dumme Geschichte mit dem Parker-Jungen herauskam. Er war einer seiner Messdiener gewesen, unschuldige Zehn Jahre jung,und so zart und fest zugleich. Harris dachte er würde es für sich behalten, wie die anderen vor ihm auch. Würde ihm abnehmen das es der Wille Gottes war. Das es sie reinigen würde. Das er als sein Vertreter auf Erden die Pflicht habe sie zu zügeln und sie Buße tun zu lassen.

In dem Alter sind sie noch so leicht zu lenken und “leicht-gläubig“ genug. Er konnte sie immer glaubhaft, - Glauben war immer das wichtigste dabei. - , von dem Nutzen seiner Handlungen überzeugen. Von dem Muss. Das würde Gott ihre Sünden vergeben lassen, sie ihm wieder näher bringen und ihnen einen Platz im Paradies sichern. Den naivsten unter ihnen machte er sogar weiß,der Herrgott selber hätte die Kinder auserwählt ihrem Pfarrer zu dienen indem sie sich hingaben, hatte er ihnen erzählt.

Und das schlimmste daran war, dass er es manchmal selber glaubte.

Vor allem ganz kurz bevor er sich dann entschloss es zu tun.Lange hatte er gezögert und mit sich gehadert,bevor er das erste Mal seinen inneren Zwängen erlegen war. Damals hatte er zunächst nur einen süßen Sommersprossigen Jungen in Unterhosen beim Umkleiden berührt und dabei bemerkt wie erregend das für ihn war. Er hatte sich gleich darauf, in der Toilette der Sakristei Erleichterung verschafft.Das war bereits Zwölf Jahre bevor der verdammte Parkerjunge den Wein bei der Frühmesse verschüttet hatte. Das Kind in den etwas zu weiten Messdienerkleid hatte ihn schuldbewusst von unten angesehen. Pfarrer Harriss wusste wie einfach im Geiste der Junge war. Das, und das Aussehen des Kindes, waren ausschlaggebende Gründe für ihn gewesen ihn „anzuwerben“. Als Messdiener. Vorgeblich. Die Wahrheit, auch wenn er sich dies in seinen Kämpfen mit sich selbst, in der Nacht, nicht eingestand, war dass er wie ein geiferndes Raubtier, nur darauf lauerte das sein Opfer einen Fehler machte. Und es hatte einen Fehler gemacht. Einen nichtigen kleinen Fehler. Der im Grunde überhaupt keiner war, nur ein Missgeschick. Nichts weiter. Doch der Pfarrer wusste seine Schäfchen zu händeln. „Das ist das Blut Jesu Christi!“ fuhr er ihn mit gespieltem Entsetzen an. Der Junge wusste natürlich längst, dank Pfarrer Harris Bibelstunden, das Gott ALLES sah. Und wenn Pfarrer Harris entsetzt war, dann war Gott es sicher auch... Und wenn Gott entsetzt war, war das so gut wie ein Freifahrtschein in die Hölle.

Das anfassen des harten Gliedes des Kirchenmannes war ihm seltsam vorgekommen. Die Erklärung, dass er nun den Geist des Herrn neu empfangen müsse, auf diese Art, schien ihm verrückt und ihm war in den Sinn gekommen, das doch die Kirche Homosexualität verboten hatte, und diese Männer doch wohl so etwas taten. Aber noch stärker waren die Worte seiner Eltern und überhaupt aller Menschen, dass der Herr Pfarrer ein Mann Gottes sei und das er das sagt und tut was Gott wünscht. Also hatte er sich ihm ergeben, selbst dann noch als er würgen musste, weil das große harte Ding in seinem Mund ihm in den Hals stieß. Selbst dann noch als der Pfarrer dabei seinen Finger ablutschte und ihn so tief in seinen Hintern steckte das er das Gefühl hatte, etwas würde zerreißen. Tatsächlich hatte er später einen roten Fleck in seiner Unterhose gehabt.Selbst dann noch, als der bittere schleimige Saft aus seinem Mund herauslief, und Pfarrer Harris sich hastig zurück zog. Erst Acht quälende schlaflose Nächte voller Zweifel und Ängste später, hatte sich Justin Parker seiner Mutter anvertraut, - wenigstens in groben Zügen -. Die dann die Lawine los trat. Es war nicht so, das Pfarrer Harris seine Taten nicht bereute. Meist dann,wenn er gekommen war. Wenn der Druck nicht mehr da war

(...bis das Verlangen wieder wuchs...und das tat es immer.) Er legte sich stundenlange Reuegebete auf, er kniete so lange in Demut auf dem harten Holzboden seiner Kammer, bis seine Beine so sehr schmerzten, dass sie das schlechte Gewissen damit betäubten. Er peitschte sich sogar um Vergebung bettelnd selbst den Rücken, wie die Teilnehmer einer mittelalterlichen Geißler-Prozession

( - Die Beichte war wirklich eine ganz vortreffliche christliche Einrichtung -).

Doch das Verlangen es wieder und wieder zu tun ließ sich nicht stoppen. Justin Parker hatte geredet. Seine Eltern hatten ihn zu sofort einem dieser verdammten Psycho-Ärzte geschickt. Dann hatte er alles bis zum letzten Detail erzählt.

All das hatte ihn schließlich seine Stellung gekostet.

Aber die katholische Kirche entlässt nicht. Sie versetzt! Es war schon erstaunlich. Von der Arbeitsweise her unterschieden sich Regierung, Mafia und Kirche nicht wirklich grundlegend voneinander. Es ging immer nur darum die eigenen Interessen zu schützen, koste es was oder wen es wolle.

Er konnte also im Grunde dankbar sein, hier gelandet zu sein.

Inzwischen hatte er die Vorteile auch zu schätzen und genießen gelernt. Weniger Messen abzuhalten und vor allem: Keine Eltern die lästige Fragen stellten. Mit dem Erziehungspersonal kam er gut klar.Vor allem mit Mrs Garfield. Sie lag sehr auf seiner Wellenlänge. Die wenigen anderen Hilfskräfte waren selbst als Arbeitskräfte nur hier gelandet, da ihnen an anderen Stellen schon mal die Hand ausgerutscht war, oder sie sich sonst etwas hatten zu Schulden kommen lassen. Man arrangierte sich untereinander. Niemand kontrollierte hier großartig.Und eine Krähe hackte der anderen kein Auge aus.

Trotzdem hasste er es. Die Holy Name Kathredale hatte Klasse. Aber das hier...!Die mickrige Kapelle mit der von der Wand abblätternden Farbe, mit dem billigen Sechzig Zentimeter großen Kreuz, an dem das letzte „I“ von „INRI“ völlig verblasst war, und den Dreißig Stühlen, die nicht einmal alle zueinander passten.In einem abgewrackten Waisenhaus, in einem noch abgewrackteren Viertel voller Neger und Nutten, Verbrechern und Kindern die …, besser nie geboren geworden wären.

Nun wurde es Zeit.

Harris zog sich das Messgewand über. Er bekreuzigte sich, ohne den Hauch eines schlechten Gewissens und machte sich auf den Weg zur Kapelle. Im Kopf ging er nochmal die heutige Predigt über die Zehn Gebote durch.

 

-

 

Wesslie erschien punktgenau in der Kammer mit den vielen Landkarten, die teilweise aufgehangen waren oder zusammengerollt an der Wand standen. Er stieß gegen eine der Rollen welche sogleich zu kippen begann. Blitzschnell reagierte er und fing sie gerade noch auf bevor sie mit Getöse zu Boden gehen konnte. Er blieb unbeweglich in halb gebeugter Position stehen und lauschte. Schweiß drang durch seine Poren an Stirn und Händen. Schritte ertönten. Wesslie hielt die Luft an. Die Schritte entfernten sich und die Tür des Klassenzimmers wurde geöffnet und gleich wieder geschlossen. Anscheinend hatte ihn niemand gehört.

Wesslie verließ ganz vorsichtig die Kammer und schlich zum Fenster.

Er wartete bis die Kinder auf dem schmalen Gehweg erschienen und die Ligusterhecke entlang zur Kapelle hinüber gingen. Sie traten durch die Schwarze große Holztür ein und verteilten sich auf den in Reih und Glied stehenden Stühlen. Dann erschien ER auf dem Weg.Er fuhr mit der Rückseite seiner Hand über den schlichten schwarzen Talar, um nicht vorhandenen Staub weg zu wedeln.

Ja, Pfaffe; dachte Wesslie; immer schön die weiße Weste präsentieren, du mieses perverses Dreckschwein!

Als der verhasste Pfaffe sich hastig die grüne Stola um den Hals gelegt hatte, endlich in dem Gotteshaus verschwunden war und die Tür hinter sich verschlossen hatte, machte Wesslie sich auf den Weg. Vorsichtig begab er sich zu Mrs. Garfields Büro. Mit einem schmalen Metalldietrich aus seiner Hosentasche hatte er die Tür rasch geöffnet. Auch das gehörte zu seinen Talenten. In seiner Zeit im Kinderheim hatte er Türen und Schränke mit Büroklammern, Draht oder Telefonkarten geknackt. Der Herr war regelrecht begeistert gewesen. Und Wesslie stolz.

Im Büro ließ er den akkurat aufgeräumten Schreibtisch außer Acht. Zielstrebig steuerte er auf den Aktenschrank zu. Verschlossen war er nicht. Gut, auch wenn auch dieses Schloss kein Hindernis für ihn gewesen wäre. Aber da er nicht wusste wie schnell er das finden würde was er suchte, kam ihm Zeitersparnis gelegen. Außerdem dauerte die Messe nicht länger als eine halbe Stunde. Pfarrer Harris war ein fauler Sack. Seine Predigten waren immer äußerst kurz. Und sie wiederholten sich in regelmäßigen Abständen. Was allerdings nichts machte. Es war eh immer der selbe Schwachsinn.

Von unten nach oben ging er die verschiedenen Aktenordner durch bis er den wahrscheinlich richtigen gefunden hatte. Auf seinem Rücken stand in krakeliger Schrift, Eingänge W-Z. Er zog in aus dem Regal und begann zu blättern.

"Walter, Wanda, Wendy,...Wesslie! Da war es..."Dritter Juni 1996, Dreiundzwanzig Uhr Siebzehn. Aufgefunden von Miss Anna Fergus vor dem Haupteingang. Ms Fergus hatte ein Klopfen am Hauptportal vernommen und ca eine halbe Minute später geöffnet. Es war zu diesem Zeitpunkt keine Person in der Nähe zu sehen.", stand dort handschriftlich vermerkt.

Das war alles. Aber mehr musste er auch gar nicht wissen. Er schaute auf die Uhr über der Tür des Büros. Er war gut in der Zeit. Aber er wollte raus hier, raus aus diesem seltsam kalten Büro, raus aus dem Waisenhaus( - ...Zu viele Erinnerungen... - ). Eilig rannte er zurück zum Kartenraum. Wobei ihn eine Sache, die ihm plötzlich in den Sinn kam,noch schneller werden ließ. Ihm war nämlich gerade bewusst geworden, dass auch ER in der Kapelle saß und gleich wieder ins Haus kommen würde. Es war ihm durchaus klar, dass er auf gar keinen Fall auf sein eigenes Ich aus 2008 stoßen dürfte. Je nach dem, wie er (ich...) reagieren würde, könnte es möglich sein, dass es „puff“ macht und er (nein, ich!) sich selbst auflösen und verschwinden würde.

Aber die Sorge war unbegründet. Das Haus blieb ruhig und leer. Sein anderes Ich kämpfte gerade damit, dass ihm nicht die Augen zufielen, bei dem langweiligen Geschwätz des Pfaffens.

Wesslie benutzte den Riss und reiste.

 

*

 

Aetas Vigil hatte Witterung aufgenommen. Er konnte ihn nun spüren. Seine Augen sahen die Spuren ebenfalls. Wie blau leuchtende wabernder Fäden zogen sie sich durch das Sein. Doch der, der das Sein in Gefahr brachte war klug. Er bewegte sich schnell. Verweilte nicht lange. Zu viele Wege in zu viele Richtungen des Himmels und der Zeit. Auch war er nicht mehr der Einzige. Eine zweite Spur war erschienen (- ...Eins nach dem anderen. -).

Aetas Vigil schritt weiter voran. Im unveränderten Tempo. keine Eile. Er würde ankommen wann und wo er ankommen musste. Er brauchte keine Zeit.

Er war Zeit.

 

*

 

Chicago, USA, 3.6.1997, 23:05 Uhr

Die ersten Straßenlaternen waren etwa Zehn Meter entfernt und leuchteten den Bereich nur sehr schwach aus.

Wesslie wartete einen Moment bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und kletterte dann zwischen den Bäumen und Sträuchern aus dem leuchtenden Riss. Das Grundstück, deren hinterste Ecke er sich als Ziel ausgesucht hatte, lag seit Jahren brach. Irgendwann hatte der Besitzer hier einmal Apfel- und Pfirsichbäume, in geraden Reihen gepflanzt. Anscheinend hatte er jedoch sehr rasch das Interesse verloren, oder er war nicht mehr in der Lage gewesen die Bäume zu pflegen und die Ernte einzufahren. Mit den Jahren konnte so ein regelrechter Urwald entstehen, dessen einzige Pfade von Füchsen oder Waschbären stammten, so dass man sie nur gebückt passieren konnte. Wesslie hatte den Riss verschlossen und tat nun genau das.Er schlug sich, im wahrsten Sinne des Wortes, mit einem abgebrochenen Stecken bis zur Mauer an der Ostseite durch. Hier waren ein paar der roten Ziegelsteine aus der Wand gebrochen und man konnte genau auf den Eingang des Kinderheims blicken. Das kleine orangefarbene Außenlicht war eingeschaltet und leuchtete die Bühne für wesslies einigermaßen gut aus.

Ein Lastwagen, beladen mit Getränkekisten für den Walmart in der Vision-Lane, war im Februar 1972, bei Glätte hier ungebremst in die Mauer gekracht. Die Hälfte seiner Ladung war dabei zu Bruch gegangen. Die andere Hälfte wurde von den Schaulustigen, Flasche für Flasche verschwinden gelassen. So hatte es ihm jedenfalls der alte Lincoln irgendwann einmal erzählt. Nicht der amerikanische Präsident, sondern der Postbote. Wenn man etwas finden oder wissen wollte, musste man nur Mr Lincoln fragen. Wahrscheinlich haben Postboten generell einen Informantenstatus wie die CIA und Frisöre. Das Loch in der Mauer wurde damals genauso wenig beachtet wie die Obstbäume. Daher befand es sich jetzt, 1979,immer noch im selben Zustand, und würde es auch noch tun wenn Wesslie 2008 verschwand.

Er wartete.

Ein flaues Gefühl der Aufregung durchströmte seinen Körper. Er sah auf seine Uhr. 23:11 Uhr.Bald würde die Vorstellung beginnen, und er war unglaublich gespannt wer die Hauptdarstellerin sein würde.

Den eigentlichen Hauptdarsteller jedoch, kannte er natürlich nur zu gut. Er würde gleichzeitig auf der Bühne sein und im Publikum sitzen.

Die innere Erregung wurde schier unerträglich. 23:14 Uhr. Es musste jetzt jeden Augenblick... . Wesslies Gedanken schwiegen plötzlich, als wären sie in ein Funkloch geraten.

"Klack, klack, klack, klack.....", machte es auf den Betonsteinplatten die den Weg vor dem Haus säumten. Die Trägerin der hochhackigen schwarzen Pumps verringerte ihr Tempo. Je näher sie dem Haus mit dem Schmiedeeisernen Tor an der Straße kam, desto leiser versuchte sie zu gehen, was ihr bei dieser Art Schuhe jedoch nicht besonders gut gelang.

Es sah ein wenig linkisch aus, wie sie da entlang schlich.

Wesslies Herz begann zu pochen, seine Kehle schnürte sich zu und es wurde zu einem schmerzenden harten Stein in seiner Brust.

In den Armen hielt die Frau ein Bündel aus dem ganz leise sanfte kurze Laute bis zu ihm herüber drangen. ( - Oder bildete er sich das ein? War das dafür nicht viel zu weit weg? - )

Die Frau hatte die Kapuze ihres beigen, mit Kaninchenfell besetzten Wintermantels über den Kopf tief ins Gesicht gezogen. Einen Moment stand sie nur einfach da. Als würde sie dem Gewissen zuhören, dass auf ihrer Schulter saß und sie bekniete es sich noch einmal zu überlegen. Doch Zwei Sekunden später schien der Gegenpart auf der anderen Schulter. Er schien die Diskussion nicht nur beendet, sondern auch klar nach Punkten gewonnen zu haben.

Die Frau sah sich auffällig unauffällig um. Als sie festgestellt hatte, das niemand in der Nähe war, schritt sie durch das Tor und eilte die kurze breite Treppe hinauf. Dort legte sie das Kind ohne weiteres vor der großen Eingangstür ab. Die Frau hämmerte dreimal kurz, mit der Faust gegen das massive Holz, drehte sich um wie ein Kind nach dem Klingelstreich und lief, so schnell es ihr dafür ungeeignetes Schuhwerk zuließ davon.Sie war dennoch hinter der nächsten Ecke verschwunden bevor sich irgendetwas an der Tür des Waisenhauses tat.

Wesslie musste nicht warten. Er wusste was mit dem Kind (mit ihm) nun passieren würde. das interessierte ihn nicht. Er hatte das Theater bereits nach dem ersten Akt verlassen und folgte der Schmierenkomödiantin nun in gebührendem Abstand. Es war ein aufregend schönes, und zugleich ungeheuer furchtbares Gefühl für ihn, seiner eigenen Mutter, die er zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt, nun gesehen hatte, hinterher zu laufen. Es ging durch ein paar Seitenstraßen bis zur George-Street. Die war immer noch recht belebt um die Uhrzeit. Musik plärrte aus den Kneipen. Menschen die hier lebten, keine Touristen, hingen hier vor den Vierundzwanzig-Stunden-Shops rum. Touristen wurden hier höchstens ausgeraubt, wenn sich ein Dummkopf doch einmal hierher verirrte. Drei Typen in Rockerkluft tranken Dosenbier und rauchten mitten auf der Straße. Ein schwankender Obdachloser pisste in einen Hauseingang. An der Ecke schubste ein grobschlächtiger Kerl eine junge schwarze Frau so kräftig, dass sie zu Boden ging. Niemanden, wirklich niemanden interessierte das. Man hielt sich raus, kümmerte sich um seinen eigenen Kram.

 

-

 

Derweil öffnete sich die Tür des Waisenhauses und Miss Fergus sah das Bündel zu ihren Füßen und seufzte schwer.

Sie hob es auf, sah kurz auf die Uhr und sagte:

"Na mein kleines Schätzchen. Hat Mami dich einfach hierher gebracht. Schlimme Mami!"

Miss Fergus ging hinein, machte gleich den entsprechenden Vermerk im Buch, damit sie es nachher nicht vergessen würde, und verschloss die Tür.

 

-

 

Wesslie hatte keine großen Probleme seiner Mutter zu folgen. Sie sah sich nicht einmal um. Was vielleicht auch eine psychologische Rolle spielte. Sofort kam ihm die Geschichte von Lot in den Kopf. Aus der Bibelstunde. Lots Frau sollte sich darin auf gar keinen Fall herumdrehen. Er wusste nicht mehr wovor sie davon rannte, aber er wusste das Lots Frau sich trotz der Warnung doch umgesehen hatte. Und dann war sie erstarrt. Zur Salzsäule erstarrt. Vielleicht hatte seine Mutter auch solch eine Vision im Kopf und drehte sich deshalb nicht um. Vielleicht nahm sie „Nicht zurück schauen im Leben, nur nach vorne blicken!“ auch wörtlich. Sie war jetzt wieder in eine kleinere Straße abgebogen. Schließlich hatte sie ihr Ziel erreicht.Die Frau, die trotz des milden Wetters immer noch die Kapuze auf hatte, verschwand in einem der zahlreichen gleich aussehenden schäbigen kleinen Bungalows in einer der gleich aussehenden schäbigen kleinen Seitenstraßen.

Wesslie fühlte sich wie in Watte gehüllt, er schwebte mehr als zu gehen. Als er vor dem Haus stand, hatte er keine Erinnerung mehr daran, wie er dort hin gekommen war. Würde er jetzt noch einmal in der Zeit zurück gehen, würde er sich selbst wie einen erstklassigen Zombie, mit starrem leerem Blick, auf das Haus zu schlurfen sehen. Wäre Charlie Walker eine halbe Minute früher mit seinem knallroten Ford F 150 durch die Seitenstraße gebrettert, hätte er Wesslie viel zu spät gesehen. Er hätte die Bierdose fallen gelassen und voll auf die Bremse gelatscht. Aber selbst Charlies verzweifelten Versuche, mental auf den rutschenden Pickup einzuwirken, hätten Wesslie nicht davor bewahren können Zwölf Meter durch die Luft geschleudert zu werden und auf den Asphalt zu klatschen. Aber so,rauschte Charlie einfach nur am Haus vorbei, ohne Wesslie zu bemerken. Er musste nicht mal die Bierdose absetzen. Der Inhalt verteilte sich nicht in seinem Schritt und Wesslies Gehirn nicht auf dem glänzenden Asphalt.

- Eine halbe Minute. -

Wesslie hätte den heranbrausenden knallroten Pickup nicht einmal wahr genommen wenn er mit Blaulicht und heulenden Sirenen bestückt gewesen wäre. Er war im Nirgendwo. Er stand vor dem Haus seiner Mutter,... die ihn ins Waisenhaus gebracht hatte.

Nichts anderes war mehr für ihn vorhanden in diesem Moment. Er ging auf Zehenspitzen um den Bungalow herum. Er war klein, vielleicht Fünfzig Quadratmeter. Und natürlich war er verkommen, wie alle Häuser in dieser Ecke. Es schienen auch weder Mieter noch Vermieter, irgendein Interesse daran zu haben offensichtliche Mängel zu beseitigen. Irgendwann würde die Hütte einfach über seiner Mutter zusammenbrechen. Wäre er 2008 hierher gekommen, hätte er dort wo das Haus seiner Mam stand, die Billig-Schnäppchen der Woche eines Wal Marts vorgefunden.

( - Gott hatte manchmal einen Hang zum Sarkasmus. - ) Wesslie schlich weiter bis zu einem der erleuchteten Fenster und spähte vorsichtig hindurch.Sein Herz wummerte augenblicklich los. Er hatte das Gefühl es würde jeden Moment aus seiner Brust springen. Er presste eine Hand darauf, als würde nur das, tatsächlich diese Gefahr bannen.

Wesslie sah zum ersten Mal in seinem Leben das Gesicht seiner Mutter.

Mit offenem Mund glotzte er sie einfach nur unentwegt an.

Sie war hübsch,sehr hübsch, hatte lange braune Haare, eine nette Stubsnase und freundliche Augen. Ihr Körper sah auch nicht schlecht aus. Sie trug unter dem inzwischen abgelegten Mantel ein enges schwarzes Shirt und einen Roten Lederrock. Ihre hochhackigen schwarzen Zwanzig-Dollar-Schuhe ließ sie mit einer schnellen Fußbewegung in eine Ecke neben der Eingangstür fliegen. Eine Laufmasche zog sich von oberhalb des linken Knöchels nach oben und verschwand dann unter dem Rock. Und das war eine verdammt lange Strecke, bei der Rocklänge.Ihr Alter konnte Wesslie schlecht schätzen. Sie hatte schon einige Falten in ihrem Gesicht und dunkle Ränder verliefen unter ihren Augen. Seine Mutter sah nicht wirklich alt, aber irgendwie ziemlich ...verlebt aus. Sie hatte schlechte Haut, wie ein Teenager in der Pubertät ( - oder eine Crack-N..., NEIN! - ).Sie schnappte sich eine Flasche billigen Rotwein, der auf einem kleinen Couchtisch mit Glasplatte stand. Sie setzte die Flasche an und trank knapp den Inhalt Zweier Gläser in einem Zug aus.Dann ging sie in die Ecke in der eine kleine Küchenzeile in den Raum integriert war.

Eine Stimme drang gedämpft aus einem Nebenzimmer an sein Ohr.

"Bist du zurück Sally, Schätzchen? Hast du das Balg endlich entsorgt?!"

Wesslie erschrak so sehr, dass er sich blitzartig mit dem Rücken an die Wand neben dem Fenster warf und dort schwer atmend stehen blieb.

Ob das..., ob das..., sein Vater war? Schoss es Wesslie durch den Kopf.Großer Gott...!!!... Sally! Sie hieß Sally. Seine Mutter hatte einen Namen.

Er schloss die Augen, atmete ruhig und bewusst. Reiß dich zusammen Wesslie! Beschwor er sich selbst. Er öffnete seine Augen wieder.Es ging etwas besser jetzt. Nur die Ruhe bewahren. Er schaute wieder vorsichtig um die Ecke, in den Raum.

Die Frau zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Sie starrte vor sich hin.

"Hey Schätzchen! Ich rede mit dir. Komm her!" kam es energisch aus dem anderen Zimmer. Dem einzigen anderen Zimmer. Wahrscheinlich das Schlafzimmer.

Wesslies Mutter drückte die gerade angezündete Zigarette in einem klobigen Glasaschenbecher, der auf der Küchenarbeitsplatte stand,wieder aus. Sally setzte sich in Bewegung.Sie blieb jedoch in der Tür stehen. Wesslie sah sie nun nur noch von hinten und lauschte gebannt. Ein Glück, das diese Wände niemals Doppelglasfenster haben würden.Zu gerne hätte er auch einen Blick auf seinen, zumindest stark verdächtig danach aussehenden, Erzeuger geworfen. Aber er hatte bei seinem Rundgang bereits festgestellt, dass die Seite nach hinten keine Fenster hatte. Vermutlich gibt es ein Oberlicht im Dach... . Aber das würde viel zu viel Lärm verursachen. Jetzt sprach der Mann wieder.

"Es ist besser so Sally. Du weißt das. Siehst du, wenn du ein Kind hast würde das nur stören. Dann könnte ich nicht wieder kommen und dir Geld geben für deine Dienste. Die anderen Freier wären auch nicht erbaut, glaub mir. Du müsstest zur Wohlfahrt gehen. Vorbei wäre es mit schicken Klamotten, gutem Essen und Koks! Das verstehst du doch sicher mein Engel, nicht wahr?"

"Ja ich weiß. Brauchst du mir nicht schon wieder zu erzählen. Ich wollte es ja selbst so. War trotzdem komisch. Aber egal jetzt.Ich bin ja auch froh dass er weg ist. Ist nicht mein Ding, Mutter und so.... Hast du ne Line für mich? Ich brauch jetzt echt was. Dann hab ichs auch gleich wieder vergessen, okay? Du kommst doch jetzt wieder öfter, oder? Versprochen? Du weißt das ich die Kohle brauche... Hast du mal ne Line für mich? Bitte Süßer. Willst du ficken? Oder soll ich Dir einen blasen?"

Wesslie wurde kotzschlecht.

Seine Mutter war also eine Nutte. Eine verdammte Schlampe die es für Geld trieb. Und sie war froh ihn, den lästigen Ballast, los zu sein. Mutter sein ist nicht so „ihr Ding“! hatte sie getönt. Ficken, blasen und koksen, DAS war ihr Ding.Er hasste seine Mutter. Und natürlich das Arschloch, das sie geschwängert hatte. Aber das war ja bloß ein Freier, der gleichzeitig ihr Dealer war. SIE war die Schlampe!SIE hatte entschieden!SIE war FROH DAS ER WEG WAR!!!

Der Mann antwortete seiner Mutter:

"Oh ja, du kleines Luder.Beides! Schwing deinen Arsch hierher!"

Die Frau zog noch im Türrahmen stehend ihren Rock und ihr Höschen aus.Dann ging sie zu ihm hinein.

Wesslie drehte sich weg. Er wollte das nicht sehen und nicht hören. Er hasste seine Mutter, er hasste es hergekommen zu sein, aber er wusste auch das es notwendig gewesen war.Er hatte sie gesehen und er wollte sie nie wieder sehen. Sie hatte ihn wie Abfall entsorgt, wie eines der Kleenex-Tücher die sie den Männern wahrscheinlich reichte, wenn sie ihnen einen runtergeholt hatte, oder mit denen sie sich das Sperma aus dem Gesicht wischt.

Wesslie rannte den Gehsteig entlang, Straße für Straße, Block für Block. Erst als seine Seite anfing wild zu stechen und die Luft die er in seine Lungen sog brannte hielt er an. Die Hände auf seine Knie gestützt stand er keuchend da und wartete darauf dass der Schmerz verging. Nicht der Schmerz seines Körpers. Der interessierte ihn nicht im Geringsten. Der andere Schmerz. Die rasend machende Mischung aus Wut und Trauer. Doch nichts verging. Immer tiefer fraß dieses unerträgliche Gefühl sich in ihn hinein.Er zitterte am ganzen Körper.

Er würde platzen, wenn er es nicht bald los würde. Hass tobte in ihm.

 

-

 

Sally hatte ihren Job wie immer gut gemacht. Erst ein bisschen mit dem Mund und dann hatte sie ihm ihren Arsch hingehalten. Nach zehn Minuten war der Spaß vorbei gewesen.Sie hatte ihre Tricks und Kniffe sie alle schnell abspritzen zu lassen. Es war wichtig solche Dinge drauf zu haben. So konnte man, wenn man es geschickt anstellte, statt einem, Drei Männer in einer Stunde abfertigen. Aber alle für je eine Stunde zahlen lassen. Es war äußerst selten, dass mal einer von den Kerlen nach dem er fertig war, noch seine Restzeit nutzen wollte um zu Quatschen. Die Kerle hier rochen nach billigem Schnaps, wenn sie Glück hatte, und nach Schweiß oder Schlimmeren, wenn sie Pech hatte. Und sie wollten nen billigen Fick von ner billigen Nutte und sich wieder verpissen. Schließlich waren wir hier ja auch nicht am verfickten Lake Shore Drive.

Ihr Stamm-Freier zog sich bereits wieder an, während sie noch nackt auf dem Bett lag und sich eine Zigarette ansteckte. Sie inhalierte den ersten Zug tief in ihre Lungen hinein, hielt kurz die Luft an und pustete den Rauch zur Decke. Der schlanke junge Mann stand vor dem Spiegel in dem kleinen Badezimmer das sich direkt neben dem Schlafzimmer befand.

Zu seiner schwarzen Hose gesellte sich ein schwarzes Hemd.

Er sah in den Spiegel und begann mit den Fingern seinen langen schwarzen gezwirbelten Schnurrbart glatt zu streichen.

"Gut sehen wir heute aus!" flüsterte er sich selbst zu.

Er verließ das Bad und streifte sich seine schwarze Anzugjacke über.

"Wann besuchst du mich wieder Süßer?" säuselte Sally ihm gespielt zu, ohne sich wirklich Mühe zu geben es wenigstens echt klingen zu lassen.

"Bald Schätzchen, bald." sagte er lächelnd.

"Und wann verlässt du endlich deine Frau und bleibst für immer bei mir damit ich nicht mehr anschaffen gehen muss? Du hast es versprochen!". Jetzt gab sie sich Mühe, sehr sogar.

"Ja, das habe ich, meine Süße. Und was man verspricht muss man auch halten. Richtig Baby?" säuselte nun der Mann in Schwarz seinerseits.

"Richtig!“ bestätigte Sally lachend. „Ich freue mich darauf." fügte sie noch an.

"Na und ich erst!" sagte der Mann strahlend.

Der Herr in Schwarz kramte seine Geldbörse heraus. Er zählte ein paar Scheine ab und warf sie zu der Frau auf das Bett. Schnell schnappte sie sich das Geld und verstaute es in ihrer Nachttischschublade. „Und ein bisschen Koks...?“ bettelte sie leise. Sie blinzelte ihn liebevoll an. Der Herr griff in seine Innentasche und zog ein kleines Briefchen aus Aluminiumpapier hervor. Sally strahlte ihn in freudiger Erwartung an, wie ein Hund sein Herrchen das ihm einen 1A Rinderknochen präsentiert. Um ein Haar wäre ihr tatsächlich auch ein Sabberfaden aus dem Mundwinkel herausgelaufen. Sie schluckte. Der junge Mann warf ihr auch das Briefchen aufs Bett. Aber er warf es (mit klarer Berechnung) so, dass es nur die Kante der Matratze traf und dann davon abprallte und zu Boden segelte. Er genoss es ihr zuzusehen, wie sie dem heiligen Gral hinterher hechtete und dabei ebenfalls zu Boden ging. Zitternd sammelte sie das Briefchen ein und hielt es fest in ihrer Faust. Er sah auf sie herab, - so und so - ,drehte sich um und verließ das Haus.

Schnellen Schrittes ging er in die Nacht hinaus. Er pfiff vergnügt eine lustige Melodie vor sich hin,während er in eine dunkle Gasse einbog.

Er würde Sally nie wieder aufsuchen.

 

-

 

Mathilda Worrington, oder Tilda wie ihre Freundinnen sie nannten, hatte schon wieder die Zeit vergessen.

Ein Schwätzchen am Telefon, mit ihrer Tochter Doris, hatte sich in die Länge gezogen. Sie hatte ihre Tochter so genannt, weil sie Doris Day liebte. Wenn es ein Junge geworden wäre, hätte sie ihn James genannt. Nach James Stewart. Den liebte sie auch, und hatte früher als junges Ding oft wach gelegen nach einem Film mit ihm. Sie hatte sich vorgestellt ihm zu begegnen, und er würde sie ansprechen, in seiner unnachahmlichen Art. Und dann würde er sie anlächeln und zu einem Cocktail einladen.Ihr wurde ganz warm ums Herz dabei, und ganz heiß in Regionen ihres Körpers die ein anständiges Mädchen gar nicht kennen sollte. Am liebsten mochte sie „Mein Freund Harvey“ und „Vertigo“, obwohl sie den fast zu spannend fast. Ganz schwitzige Hände hatte sie im Kino bekommen. Und natürlich liebte sie „Der Mann der zuviel wusste“, wegen Doris Day, die hier auch mitspielte.

Jedenfalls hatte sie mal wieder, - und mal wieder erfolglos -, versucht sie dazu zu bewegen endlich zu heiraten. Schließlich war sie bereits Vierundvierzig. Das Hauptproblem war, dass sie keinen Freund hatte. Das heißt, nein. Das Hauptproblem war sie selbst. Sie wollte ja keinen Freund. Sie lebte mit ihrer besten Freundin Emily zusammen in einem Apartement und war angeblich glücklich damit. Diese Diskussionen verloren alle irgendwann ihren Sinn und war nur noch ermüdend und langweilig. Sie wurden aber dennoch, wie eine miserable Fernsehserie, unzählige Male wiederholt. Würde sich Doris endlich trauen ihrer Mutter zu beichten, dass ihre beste Freundin Emily auch ihre große Liebe war, hätte das ein Ende. Aber Doris hatte furchtbare Angst, dass sie es nicht verstehen würde. Es wurde in ihrem Elternhaus nie über so etwas gesprochen. Ihr Vater lebte seit Vierzehn Jahren nicht mehr, sie wollte es nicht riskieren, das ansonsten gute Verhältnis zu ihren Ma zu riskieren. Am Ende des Gesprächs hatten sie sich, -ebenfalls wie immer -,gesagt dass sie sich lieben und sich verabschiedet. „Bis Samstag.“, zum üblichen gemeinsamen Wochenendeinkauf, hatte sie sie gesagt und endlich aufgelegt. Doch einen Samstag würde es im Leben von Tilda nicht mehr geben.

Sie war viel später als gewollt zum Geburtstag ihrer Freundin Edna erschienen. Edna war Achtzig geworden und hatte die wenigen Freunde die ihr noch geblieben waren zum Tee eingeladen. Elisa, Maggie, Ralph, Carl und sie. Das wars auch schon. All die anderen mit denen sie lange Abschnitte ihres Lebens geteilt hatten waren schon von ihr gegangen. Nun ja, vielleicht weilten sie jetzt in einer anderen besseren Welt, ohne Athritis, Gicht, Inkontinenz und all den anderen Gebrechen die das Alter nun mal so mit sich brachte. Im Grunde genommen hatten es die Menschen früher besser, dachte Tilda. Sie waren viel eher gestorben. Heute war man, dank der modernen Medizin dazu verdammt auch noch weiter zu leben wenn man nicht mehr in der Lage war selbst zur Toilette zu gehen oder zu essen oder klar zu denken. Aber sie wollte sich nicht beklagen. Noch konnte sie dies alles und sie hoffte bevor es losgeht in ihrem geliebten Ohrensessel bei einem alten Film, ( - wir wissen mit wem - ), einzuschlafen und einfach nicht wieder zu erwachen.So wie es Albert Schreier passiert ist. Mantel und Hut an den Haken gehängt, einen kräftigen Single Malt genossen (das Glas war am Morgen als sie ihn fanden leer gewesen) und dann entspannt eingeschlafen. Ent-schlafen.

Jetzt musste sie aber zunächst einmal bis zu ihrem Sessel kommen. Sie hatte sich bevor sie zu Edna aufgebrochen war entschlossen, den Weg zu Fuß zurückzulegen. Der Arzt hatte ihr beim letzten Besuch wegen ihrer Gelenkschmerzen gesagt:"Bewegung, Mrs Worrington. Bewegung ist das beste und das einzige was hilft damit die Gelenke nicht noch steifer werden."

Nun ja, noch einen Block und sie war daheim.

"Auch das noch!" stöhnte sie. Da vorne war wieder einer von diesen Betrunkenen. Er stand gebückt da, die Hände auf die Knie gestützt. Wahrscheinlich war er gerade dabei sich zu übergeben. Sie hasste so etwas, und leider kam es öfter vor, in dieser Gegend. Aber wenn man sich nichts anderes leisten kann... .Nichts gegen Alkohol. Sie trank selber ganz gerne mal einen Sherry oder auch zwei. Aber sie hatte nie nachvollziehen können wie man sich derart gehen lassen konnte. Sich zu betrinken bis man nur noch herum lallt und torkelt. Es so zu übertreiben das der Körper sich derart wehrt das er einen zum übergeben zwingt, das konnte sie nicht nachvollziehen.

Sie erhöhte ein wenig ihr Schritttempo, soweit ihre eingeschränkte Beweglichkeit es noch zuließ.Bisher hatte zwar keiner von diesen Personen sie direkt belästigt, aber sie hatte immer ein ganz unangenehm flaues Gefühl im Bauch wenn sie einem begegnete. Sie wollte rasch an ihm vorbei gehen, was für ihre Zweiundachtzigjährigen Oberschenkel- und Wadenmuskulatur eine echte Plakkerei war.

Auf gleicher Höhe mit dem Mann schielte sie kurz angewidert nach rechts zu ihm herüber. Der Mann stand jetzt wieder einigermaßen aufrecht. Er zitterte leicht. Auf dem Boden war keine Spur von Erbrochenem zu sehen. Ein Glück. Wenn in solchen Momenten der Wind ungünstig stand,und in ihre Nase zog, hatte sie immer selbst Probleme ihr Essen bei sich zu behalten.Er hatte sich wohl nach einem Anfall von Übelkeit wieder fangen können. Schön für ihn. Und schön für sie.Vielleicht war das ja eine Lehre für ihn und er würde sein Laster in Zukunft etwas zügeln. Sie richtete den Blick wieder nach vorne.

Aus den Augenwinkeln sah sie gerade noch die Faust auf sich zu rasen.

Selbst wenn sie Vierzig Jahre jünger gewesen wäre hätte sie dem Schlag jedoch nicht mehr ausweichen können. Nur den Bruchteil einer Sekunde spürte sie den schlimmsten Schmerz ihres Lebens, schlimmer noch als die Kolik vor zwei Jahren. Gleichzeitig hörte sie das unerträglich laute Knacken, das in ihren Ohren widerhallte als ihre Nase brach. Noch bevor sie zu einem Schrei ansetzen konnte hatte sich der Knochenansatz in ihr Gehirn gebohrt.

Tilda Worrington war auf der Stelle tot. Was nicht ganz das war, was sie sich vorhin noch als angenehm vorgestellt hatte, aber unter den Umständen die darauf folgten ein gnädiges Geschenk Gottes war.

 

-

 

Die alte Dame die zu so später Stunde noch unterwegs war konnte natürlich nichts für Wesslies Schicksal. Sie hatte nicht das Geringste dazu beigetragen, dass man ihn von Geburt an verstoßen und schlecht behandelt hatte.Das seine eigene Mutter ihn entsorgt hatte. In ein Heim, in dem er von niemandem verstanden oder gemocht wurde ( außer von dem Herrn Pfarrer, auf seine eigene ganz besondere Art...) Er wurde gemobbt und gehänselt, in die Ecke gedrängt und vertrimmt von den Älteren, ausgelacht von den Mädchen, … und von den Lehrern. Und er hatte alles geschluckt, immer. Bis es eines Tages aus ihm herausgebrochen ist. Er hatte das nicht plötzlich bestimmt. Dazu war er gar nicht in der Lage gewesen. Es kam einfach aus ihm heraus und umschlung alles wie eine schwarze Wolke aus Wut und Hass. Damals war es das erste Mal. Und dann musste er verschwinden. Er hatte er einen Weg gefunden mit all dem fertig zu werden. Seitdem war es öfter vorgekommen, er suchte die Gelegenheiten es „raus zu lassen“, und er fand sie. In seiner Arbeit für den Herrn gab es diese Möglichkeiten. Wie gesagt, Mrs Worrington konnte wirklich rein gar nichts für Wesslies Vergangenheit. Und sie würde das Verhalten seiner Mutter scharf verurteilen, ihn in ihrer Güte sogar in den Arm nehmen und versuchen zu trösten. Sie trug keinerlei Schuld in sich.

Doch sie war da.

Und Wesslie war ein Kessel der zu explodieren drohte und es war längst zu spät, um den überschüssigen Druck langsam über ein Ventil entweichen zu lassen.

Wesslies Augen verengten sich. Seine Fäuste waren geballt.

Sein ganzer Körper zitterte. Er stand unbeweglich da bis die alte Frau direkt neben ihm war. Er schlug ihr ohne ein Wort mit aller Kraft mitten ins Gesicht. Blut spritzte Wesslie entgegen. Für Wesslie war es ein warmer Regen Glücksgefühl, was ihm da ins Gesicht sprenkelte. Die alte Dame ging sofort zu Boden. Wesslie packte sie und zog sie wieder nach oben. Er ergötzte sich an dem blutigen Loch voller Blut und Knochensplitter. Sein Schwanz kribbelte wild und begann sich aufzurichten. Er holte aus.Ein weiterer Schlag folgte. Dieses mal visierte er Tildas schmales Kinn an. Mit einem Geräusch wie das Brechen dürren trockenen Holzes, schob sich ihr Kinn nach links und blieb schräg neben der Wange hängen. Ein Gebiss flog auf den Gehsteig und schlidderte klackernd in einen Gulli. Wesslies Schwanz war jetzt Steinhart. Er ließ die Frau zurück auf den Gehweg fallen,zog sie an den Haaren aber gleich wieder ein Stück hinauf. Den weißen Haarschopf fest umklammert schlug er erneut zu.Dreimal, viermal, fünfmal, immer wieder landete seine Faust in ihrem Blut überströmten Gesicht, bis es als solches kaum noch zu erkennen war.Eine matschige Mischung aus Blut Haaren und Gehirnmasse schwamm in einer Schüssel aus Knochen die einmal der Kopf von Mathilda Worrington war. Er hörte erst auf und ließ sie los als seine Faust keinen Widerstand mehr spürte wenn sie in ihr Gesicht donnerte. Als würde er ihr einen Vorwurf daraus machen, trat er ihr noch einmal kräftig in den Bauch.

Er verharrte einen Moment, stand da und starrte auf die Alte. Er zitterte noch mehr als zuvor. Aus seiner immer noch verkrampften Faust, ragten weiße Haarbüschel zwischen den Fingern hinaus. Wesslie drehte zwei Runden um die alte Frau herum. Er blieb hinter ihr stehen, trat ein letztes Mal und diesmal besonders kräftig zu. Dabei ließ er einen gellenden Aufschrei aus seinem tiefsten Inneren entweichen, Ihre Wirbelsäule knackte.

Wesslie wurde ruhiger, kam runter, entspannte sich. Er atmete ein paar Mal ganz tief durch, die Augen geschlossen, den Kopf in der kühlen Nachtluft. Das war seine „Zigarette danach“. Seine Unterhose war auf einer Seite nass und klebte langsam an seiner Haut fest. Er hatte gerade einen Wahnsinns Orgasmus gehabt.

Ohne sich noch einmal nach der Toten umzusehen machte er sich schnellen Schrittes davon.

Er ging eine Stunde lang bis ihm einfiel, dass er sich nicht zu weit von dem schwarzen Streifen entfernen sollte. Schließlich musste er irgendwann auch wieder zurück kehren.

Die Wut und sogar die Trauer waren wie weggewischt. Das Adrenalin hatte sich weitgehend abgebaut. Er hatte jetzt Lust auf einen Drink und er wusste auch schon wo er einen bekommen konnte.Außerdem hatte er jetzt Hunger.Er freute sich auf mindestens Zwei riesige Burger, mit Fritten und Coke. Aber dazu musste er erst einmal zurück, oder vielmehr vor -Wesslie musste grinsen- ins jahr 2008. Im "Jetzt" existierte der Schuppen nämlich noch gar nicht,genauso wenig wie die Burger King Filiale.

 

 

*

 

Chicago, USA, 2008

Nachdem Wesslie sogar noch einen dritten Burger verschlungen hatte, zog er weiter. Jetzt wollte er etwas trinken. Viel Trinken. Ein bisschen feiern.

Muttertag feiern!

Die Leuchtreklame von "Eddy´s Corner" lachte ihm hellrot entgegen. Neben der Schrift war ein ebenfalls leuchtendes Paar schlanker bestrapster Frauenbeine zu sehen.Fenster hatte der Laden natürlich keine. Plakate klebten dort, wo einmal Fenster waren, bevor Eddy sie 1998 zumauern lassen hatte. „Ständig wechselnde Girls!“ und „Happy Hour täglich ab 22 Uhr“ sollte die Kundschaft in die Spelunke locken. Etwas anderes war es nicht. Aber die Preise waren günstig und die Drinks gut.Natürlich war er selbst noch nie hier gewesen. Die älteren Jungs hatten aber regelrecht davon geschwärmt. Es war eine Art Mutprobe gewesen damals, für die Siebzehnjährigen im Heim. Alterskontrollen gab es bei Eddy jedoch nie.Ihm war die Kohle wichtiger. Die Hundert Dollar plus einen Doppelten im Monat, die er Officer Walker zusteckte damit der bei seiner Runde Eddy´s Etablissement ausließ, holte er locker Dreifach wieder raus.Daher war der Begriff Mutprobe etwas weit her geholt. Nun war er alt genug sich endlich selbst ein Bild zu machen.

Wesslie trat ein und klemmte sich an die Theke. Er hockte sich auf einen mit rotem Kunstleder überzogenen Barhocker, in eine nur schummerig beleuchtete Ecke. Von hier aus konnte er den Mädchen zusehen wie sie sich zur Musik bewegten und dabei langsam auszogen, ohne dass jeder gleich sein von Narben entstelltes Gesicht sah.

Er winkte den Barkeeper zu sich heran und bestellte einen doppelten Whisky. Hastig trank er ihn aus und bestellte gleich den nächsten.Er hatte sich fest entschlossen, den Rest des Abends zu genießen und nicht mehr an seine Schlampenmutter zu denken. Und nach dem Erlebnis vorhin, gelang ihm das auch ganz hervorragend.

Nach einer Stunde hatte Wesslie bereits den sechsten Whisky intus. Er war jetzt schon ziemlich angeheitert und seine Lust auf Frauen wuchs (… Blut...Knochen...die Angst, das Entsetzen in ihren Augen...). Erregt gaffte er einer jungen Stripperin mit langen blonden Haaren und unverkennbar unechten, mächtig großen Titten zu. Sie räkelte sich in verführerischen Posen auf dem Bühnenboden, bevor sie sich wieder an der Stange hochzog und sie ganz fest mit ihren Beinen umklammerte. Sie rieb ihre Möse an dem langen Metall-Schwanzersatz. Wesslie stellte sich vor das Teil aus der Verankerung zu reißen und es ihr rein zu schieben, bis es oben wieder raus kommt. Wie der Graf. Wie Vlad der Pfähler. ...„Wesslie der Pfähler“!, dachte er grinsend.

Er stopfte sich gerade ein paar der vor ihm stehenden Erdnüsse in den Mund, als ein schlanker Typ mit blonder Stoppelfrisur und schwarzer Lederjacke sich mit etwas Abstand neben ihn setzte. Er bestellte ein Bier und sah eine Weile ebenfalls der Frau auf der Bühne zu.Er hatte einen blassen Teint, hohle Wangen und dunkle Halbmonde unter den Augen. Ein Junkie, dachte Wesslie. Aber einer der gehobeneren Klasse. kein Fixer, der ihn für einen Fünfer, hier vor aller Augen abstechen würde, um seinen nächsten Schuß einen Schritt näher zu kommen. Alles, - wirklich alles -, was danach sein würde,war denen egal. So weit im Voraus konnte ein Fixer gar nicht denken. Der hier war eine Koksnase, ohne Zweifel. Die Lederjacke war auch keine aus dem Walmart um die Ecke.

Der Wirt stellte ohne Worte eine Flasche Fosters vor seine Nase und öffnete sie. Dann wand er sich wieder einer Gruppe Gäste am anderen Ende der Theke zu. Sie lachten und jetzt war der Wirt an der Reihe einen Witz zu erzählen. Und der konnte nur dreckig werden, so wie man ihn kannte. Aber das waren hier sowieso die meisten Witze. Die restlichen hatten irgendwas mit dummen Frauen oder Schwulen zu tun.

Mit einem Mal sprach der hagere blasse Typ Wesslie an.

"Sag mal, Kumpel. Ich will dich nicht stören, mein Name ist Red, wie Red Butler aus diesem Film. „Vom Winde verweht“.Meine Ma meinte wohl, dann hätt ich von vorne rein ne bessere Schnitte bei den Mädels.“ Er lachte fast so laut los, wie die Witzolympiade-Teilnehmer in der anderen Ecke. „Aber alle nennen mich „Ready“. Gefällt mir auch besser. Die Mädels die ich mag, haben eh keinen Schimmer wer Red Butler sein soll.Ich steh mehr auf jüngere.Die letzte fragte mich wieso ich mich „roter Hausdiener“ nenne.“ Er lachte wieder begeistert laut auf. „Aber ernsthaft,“ fuhr er ungebremst fort. „...wenn du mal ne Muschi brauchst kann ich dir weiter helfen."

Wesslie sah den Mann kurz ernst an. Der grinste ihm unverblümt ins Gesicht. Abgekocht war er, das musste man ihm lassen. Er zeigte tatsächliche keinerlei Regung, außer einem Milisekunden langen unregelmäßigen Zwinkern, als Wesslie sein Narbenentstelltes Gesicht unverblümt präsentierte. Er drehte sich wieder zurück. Sicher wieder so ein Touristen-Abzocker der annahm das Wesslie nicht von hier ist und deshalb nicht wisse, dass er direkt hier in den Zimmern weiter hinten Sex haben konnte so viel er wollte.Wenn er wollen würde.Aber er hatte genug Spaß gehabt für heute. Auch wenn seine zarte Rose schon etwas verwelkt gewesen war.

Der Mann zuckte mit den Achseln und stand auf.

"Hätt ja sein können das der Herr auf der Suche nach etwas besonderem ist.“ erwähnte er wie beiläufig und knöpfte sich die Lederjacke zu. „Ich hab Girls an der Hand die zu allem bereit sind.“ eröffnete er einen letzten Versuch eines Verkaufsgesprächs. „Die machens auch ohne!“ erhöhte er den Anreiz. Und dann kam das, was Ready sich immer bis zu letzt übrig ließ. Wie immer kam der Satz, der viele dazu bewegte sich mit ihm einzulassen, beim letzten oberen Knopf. „Wers ein bisschen härter mag ist bei mir auch an der richtigen Adresse.“ flüsterte er ihm verschwörerisch zwinkernd zu. Eins musste man Red lassen,er hatte Sinn für dramatische Inszenierungen, und er hatte Menschenkenntnis. Bei Acht von Zehn, lag er richtig. Er sah ihnen ihre Neigungen an. Er erkannte es an ihrer Statur, ihrer Art sich zu bewegen,ihren Stimmen und Worten,ja sogar bei manchen am Geruch. Aber am meisten an ihren Augen. Und das hier, waren ganz besonders schwarze Augen. So nannte er sie. Egal welche Augenfarbe die Menschen wirklich hatten. Je abgründiger, je böser, desto Schwärzer. Er selbst sah seine eigenen Augen zu Hause im Spiegel, mit jedem neuen „Kunden“ ebenfalls dunkler werden. Aber er war natürlich ein Soziopat, deshalb waren ihm nicht nur andere egal, sondern auch was aus ihm dabei wurde. Genau wie Wesslie ein Soziopat wie aus dem Lehrbuch war. Das vermutete Ready jedenfalls stark. Und Ready war gut im vermuten.

Wo er seine Ware bestellte gab es weder Reklamationen noch ein Rückgaberecht. Genauso wenig machte jemand, wie bei der Vermittlung eines Schäferhundes durch das Tierheim, irgendwann eine Haltungskontrolle der Mädels um nachzuschauen ob es ihnen den auch gut ging. Ramponierte Ware,- und da kam ganz schön was zusammen -, wurde an die Ramscher vom Straßenstrich für ein paar Cent oder Dollar, je nach Zustand, abgetreten. Natürlich hatte Ready selbst auch einen Hang dazu sich an seiner eigenen Macht und der Todesangst Schwacher zu ergötzen. Bereits seine erste Freundin Jenny hatte ihn wegen Körperverletzung verklagt. Das heißt, ihre Eltern. Damals war es bloß eine Backpfeife,... gut, Zwei. ( Anzeigenaufnahme 02/473, 12. September 2002, Jenny Carber, Auszug: ...linke Gesichtshälfte: Zähne 1.4 und 4.3 gelockert, mit mäßig starker Blutung. Intensives Hämatom am oberen Kieferknochen 2 cm d. Rechte Gesichtshälfte: großflächiges leichtes Hämatom Ohrbereich, Trommelfellruptur durch Druckaufbau mit Ableitung ins Innere, beim Auftreffen der Handfläche auf die Ohrmuschel. Genesungszeitrahmen ca 6-8 Wochen. Völlige Genesung abzusehen.)

Es gab ein paar Sozialstunden im Northwestern Memorial Krankenhaus. Das wars. Er hatte sich entschuldigt bei dem Mädchen (...bei der blöden Fotze!) und was von zu viel getrunken und privater Probleme, Frust mit den Eltern und so gelabert, als er bei dem Psychologen gehockt hatte. Er hatte niemandem erzählt das es ihn einfach überkommen hatte. Er den unwiderstehlichen Drang hatte sie in dem Moment zu schlagen. Und dann hatte er es einfach getan. Nur Zwei Mal, dann hatte er sich wieder im Griff, wachte wieder auf. Einmal rechts, einmal links. Anscheinend sehr fest. Das hatte er nicht wirklich kontrollieren können. (Und rechtzeitig aufhören, das konnte er dann 2006 bei einer der ausrangierten auch nicht mehr...) Es hatte sich so irre gut angefühlt. Nicht wirklich sexuell, obwohl das immer auch eine Rolle spielte, bei allem. Aber es war eher dieses Machtgefühl. Das wimmernde Häufchen Elend in der Hand zu haben. Sie spüren zu lassen, das jede Ablehnung einer noch so perversen, ekelhaften Anweisung, schlimme Schmerzen und Verletzungen nach sich ziehen würden. (- Verletzungen die niemals heilen, ganz tief in ihnen -.)

Kaputte Ware, was leider hin und wieder vor kam..., wurde ersetzt und die Reste entsorgt. Dafür hatte er einen freien Mitarbeiter namens Saul Goodman, der gleichzeitig sein Anwalt war. Er hatte schon immer gewusst das Anwälte Verbrecher waren. Ein Glück. Das konnte er sich auch locker leisten. In so einem Fall war der Vierfache Preis fällig. Im Grunde wäre es sogar unfair gewesen, wenn die durchschnittliche Quote von Fünfzehn Prozent einmal unterboten würde. Schließlich rechnete er damit, wie ein braver Familienvater mit der Weihnachtsgratifikation. Ready war natürlich ein gewalttätiges Arschloch, und wirklich ein Soziopath. Wofür wir leider keine zufriedenstellende Erklärung liefern können. Red Butler hatte eine glückliche Kindheit, fürsorgliche Eltern, ein Häuschen mit Garten, einen vollen Kühlschrank und fröhliche Weihnachten. In der Schule war er beliebt und im oberen Mittelfeld was die Leistungen angeht. Trotzdem änderte sich alles in ihm als er Achtzehn Einhalb Jahre alt war und Jenny Carber gefickt hatte, und die Fotze mit ihm kurz darauf schon wieder Schluß gemacht hatte. ( - Mein Gott, so fest hatte er sie gar nicht gestoßen. Zimperliese! - ) Im Grunde suchte er sogar die Schuld dafür das er so war wie er war, bei ihr. Und als er 2006 zu oft und zu fest zugeschlagen hatte,bei Karla - Zwei Finger hatte er sich an ihr gebrochen -, hatte er die Frau angebrüllt und dabei Jenny genannt... .

...

Gleich würde er anbeißen. Zu Achtzig Prozent.

„Aber ich will nicht rumnerven. Also dann Kumpel. Schönen Abend noch."Er hob die Hand zum Gruß,drehte sich um und marschierte los.

"Augenblick!" rief Wesslie ihm hinterher.

Sofort kehrte der Mann um und setzte sich wieder hin. Erwartungsvoll sah er Wesslie an.

"Was meinst du mit: Wer es ein bisschen härter mag?" Jetzt hatte der Typ doch noch Wesslies Interesse geweckt.

Prüfend blickte der Typ ihm tief in die Augen.

Er trank einen Schluck aus seiner Bierflasche.

"Meine Mädchen kommen aus Osteuropa. Richtig gute Ware! Sie verstehen kein englisch.Rumänisch, manche kroatisch oder albanisch. Ich persönlich empfehle eine niedliche Albanerin die erst gestern angekommen ist. Wenn die schon Achtzehn ist, bin ich grad eingeschult worden.“ Er lachte laut auf.

„Hab sie selbst eingeritten!“ tönte er. Dann beugte er sich verschwörerisch zu Wesslie hinüber und fuhr leise fort. „Für Zweitausend lass ich dich ne Stunde mit ihr alleine.Ist mir völlig egal was du mit ihr treibst. Zweitausend wenn du sie fickst. Zweitausend wenn du sie zu einem, zum Christopher Street Day zurecht getünschten Michelinmännchen verarbeitest.“ Er grinste Wesslie frech an.“Aber wenn eine drauf geht, kostet das...Zehntausend.“ Er hatte seine Kostenpauschale gerade spontan erhöht.

Er trank noch etwas.

"Und? Was sagst du?"

Wesslie sah ihn immer noch ernst an. Er dachte nach. Konnte es sein das er ein wenig Glück errungen hatte. Als Ausgleich für alles. Das hörte sich sehr danach an, dass er es hier mit einem kleinen Ganoven zu tun hatte, der einigermaßen intelligent und überdurchschnittlich skrupellos war. Und der zudem gute Geschäftsbeziehungen zu einem Schleuserring hatte. Er musste aufpassen. Aber er sah bereits Wagenladungen von blonden Schönheiten, aus verarmten Dörfern des verarmten ehemaligen Ostblocks, vor seinem vor Entzücken tänzelnden und in die Hände klatschenden Herrn. Er konnte hier wohlmöglich einen riesigen Fisch an Land ziehen. Und nebenbei seine ganz eigene Art von Spaß haben, ohne sich um die Konsequenzen oder die anschließende „Säuberung“ Gedanken machen zu müssen.

„Nicht jetzt.“ sagte er versonnen. „Aber ich habe Interesse und würde gerne einmal die Ware sehen und kosten, bevor ich mit dem Gedanken spielen sie zu kaufen.“sagte er m it ernster Mine, jetzt direkt an Ready gewand. "Ich komme mit und sollte ich zufrieden sein, habe ich dir auch ein Angebot zu machen. Ein Angebot das sich für uns beide sehr lohnen könnte. Wieviele Mädchen kannst du monatlich denn organisieren?"

Die Frage verwirrte Ready. „Verfickt! Was meinst du mit wieviele im Monat? Wirst du jetzt mein erster Großkunde? dann kann ich ja bald expandieren. Eine Zweigstelle in Washington DC aufmachen, oder hey, in Miami, das wär was. Sagen wir du nimmst mir Zehn pro Monat ab, das sollte zu machen sein, dann...“ Wesslie unterbrach ihn: „In Ordnung,Zehn Mädchen pro Monat.“ Ready stand mit offenem Mund da, als hätte Dornröschen sich gerade an der Spindel gestochen und ihn mitten im Reden, zusammen mit allen Angestellten des Schlosses von Graf Eddie und seinem verfickten Corner, in den Hundertjährigen Schlaf versetzt.

„Ohne das zu beachten, fuhr wesslie fort: „ Aber ich habe Zwei Bedingungen was die Ware angeht. Was den Preis angeht werden wir uns schon einig. Ich denke bei der Menge bekomme ich einen Rabatt. Die Mädchen dürfen nicht älter als Fünfundzwanzig sein. Und sie müssen blond sein, alle Zehn. Oh,...eine extra bitte. Die ist dann aber für mich privat, muss auch nicht blond sein, dunkelhaarig liegt mir eh mehr.“

Ready hatte sich wieder gefangen und sah nun in Gedanken,genau wie Wesslie, all seine kaufbaren Träume wahr werden.Er streckte Wesslie überzeugt von diesem überraschenden geschäftlichen Angebot seine Hand entgegen. „Ich glaube...dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“ verkündete er und imitierte, nein,war dabei Humphrey Bogart. Jetzt grinsten sich beide finster an, so wie sich nur zwei gleichgesinnte gewissenlose Arschlöcher angrinsen konnten.

 

-

 

Wesslie war mit dem Typen in einer Wohnung in einem anonymen, heruntergekommenen mehrstöckigen Haus verschwunden. Der Fremde hatte es sich vor einem Fernseher im Vorraum bequem gemacht, während sich Wesslie eingehend mit der kaum ansprechbaren zierlichen Albanerin im Hinterzimmer beschäftigt hatte. Im Hinblick auf den Vorschlag den er dem Mann machen wollte hatte er sich zurückgehalten und der Frau nur einige kräftige Schläge mit der flachen Hand verpasst. Sein Druck war weg, aber dieses „Nachspiel“ machte ihm Appetit aufs nächste Mal.Ihr Gesicht war jetzt knallrot aber nicht wirklich verletzt.Er war schließlich nur hier um im übertragenen Sinn,ein Käsehäppchen von der Angestellten im Food-Store an der Ecke zu probieren, bevor er sich zum Kauf des ganzen Laibs entschied. ( - Obwohl er natürlich bereits vorher wusste das dieser Käse schmeckte.Aber wann gabs heutzutage schon noch was für umsonst. - )

Wesslie ließ die vielleicht gerade Sechzehnjährige,der nun Tränen die Wangen hinunter liefen, liegen. Er hatte nicht ein einziges Wort zu ihr gesagt. Und sie hatte mit (begründeter)Panik in den Augen vor ihm gehockt, stocksteif wie ein zartes Reh im Scheinwerferlicht eines Dreisigtonners.

Er verließ den Raum. „In Ordnung Ready. Wenn du die Qualität hältst haben wir einen Deal."

„ Logisch.Geht klar.Du bist O.K. Mann.“ freute sich Ready und sprang auf. „Aber versuch bloß nicht mich reinzulegen. Der letzte der das versucht hat sieht sich die Cannabispflanzen jetzt von unten an. Ha, ha, ha, ha!"

lachte er aus vollem Hals."Deine private Extrabestellung geht auf mich.Auf ein gutes Geschäft." sagte er ernst und versuchte dabei sehr seriös zu wirken, nachdem er bemerkt hatte das Wesslie weder mitlachte noch irgendwelche Zeichen von Unsicherheit zeigte. Er reichte ihm die Hand.„Darf ich nach deinem Namen fragen, jetzt wo wir Partner sind und du meinen bereits kennst? fragte Ready auflockernd und zwinkerte Wesslie zu.

"Mein Name ist Wesslie." gab er seinen Namen preis.

"Alles klaro, Wesslie."

"Wie erreiche ich dich?" fragte Wesslie.

"Oh, ja klar warte." Ready wühlte auf dem vollgemüllten Couchtisch herum bis er schließlich einen zerknitterten Zettel und einen Stift beisammen hatte. Er schrieb seine Handynummer auf das Papier und reichte es Wesslie.

"Hier! Meine Visitenkarte." wieder lachte er laut.

Ready lachte wirklich gerne über seine eigenen Scherze.

"Alles klar.Na dann." nickte ihm Wesslie zu. Ready nickte zurück. Plötzlich hatte Wesslie eine Eingebung. Manchmal war es besser jemanden wirklich vollends verschwinden zu lassen, ohne Spuren. Das heißt, ohne Leiche die jemand finden könnte. Er wand sich noch einmal an Ready. „Hey Ready, das du meine Extra-Bestellung als Werbegeschenk deklarierst ist sehr großzügig. Danke. Ich weiß das zu schätzen und werde mich erkenntlich zeigen. Wäre möglich das ich dir auch mal eine..., sagen wir lästig gewordene Person als Present übergeben werde. Zur Deiner privaten freien Verfügung.Wenn das Okay geht?“

Natürlich ging das für Ready Okay. Quit pro Quo, so machte man gute Geschäfte.

Immer noch leicht beduselt trat Wesslie auf die Straße und tauchte in der Dunkelheit unter. Jetzt war in den Nebenstraßen Ruhe eingekehrt. Nur auf der Hauptstraße waren noch bunte Lichter und schlendernde Menschen zu sehen. Wesslie ging zurück in die Gasse wo er den Riss verlassen hatte, öffnete ihn und ( - … wieso hab ich das Gefühlt das jemand...? - ) ging hindurch. Es war Zeit nach Hause zu gehen. Er war müde und sein Kopf drehte sich. Mehr von den Erlebnissen des Abends als von den paar Whisky.

 

-

 

Ready hatte plötzlich ein Scheißgefühl was diesen Typen anging. Er wusste nicht wieso und nicht wieso jetzt so plötzlich. Aber dieses Gefühl kam gerade hoch in ihm. Und wenn Ready ein Scheißgefühl hatte, hatte das verfickt nochmal was zu bedeuten. Vielleicht lags daran, dass sein Koksrausch langsam dem Ende zuging, er jetzt alleine war und er einer der wenigen klaren Momente hatte, die er immer nutzte um zu planen und um eben über notwendiges nachzudenken. Irgendwas stimmte nicht mit dieser Narbenfresse. Vielleicht war er ja doch ein Cop. Er bekam einen kleinen Paranoia-Schub.Er hatte genug Zeit im Knast verbracht.Einer von diesen verdeckten Ermittlern die bis zu einem kaum noch zu ertragenden Grad zu der Person wurden die sie eigentlich nur vorgaben zu sein. Immerhin hatte er der kleinen Albanerin nicht wirklich weh getan. Kaum hatte Wesslie seine Bleibe verlassen sprang Ready auf und hastete zur Tür. Langsam öffnete er sie und blinzelte um die Ecke. Er versuchte möglichst leise und gleichzeitig möglichst schnell die Treppe hinunter zu schweben. Was ihn wie ein überzogen agierenden, miserablen Schauspielschüler aussehen ließ. Vorsichtig öffnete er unten die Haustür und linste um die Ecke. Da vorne rechts war er. Einige Meter voraus ging er, dicht an den Häuserwänden entlang.

Ready steckte seine Hände in die Hosentaschen und senkte den Kopf. So schlich er hinter seinem vermeintlichen neuen Geschäftspartner her. Irgendwann bog dieser in eine schmale Gasse zwischen zwei Häuser ab. Ready erhöhte sein Schritttempo, verweilte kurz an der Hausecke und spingste in den Gang hinein. Wesslie schritt immer noch voran. Rasch schlüpfte Ready in den Durchgang und huschte hinter einen Müllcontainer als Wesslie stehen blieb. Irgendein Siff verschmierte sich gerade an Readys Lederjacke. Puh!...das stank. Gut das er die Jacke abwaschen konnte. Er rümpfte die Nase und fixierte wieder das Narbengesicht. Dieser Wesslie zog ein komisches Ding aus der Tasche und bewegte es von oben nach unten. Ein lila Streifen glühte jetzt vor ihm. Danach verstaute er das Ding wieder sorgfältig in seiner Tasche. Er blickte noch ein paar Mal um sich und stieg durch den Riss ins Nichts. Zack! Weg war er. Sofort löste sich der Riss von unten nach oben auf und war ebenfalls verschwunden.

"Verfickte heilige Scheiße! Was zum Henker? Wo ist der Kerl?"

Vor Schreck hatte Ready sich gerade heftig auf die Zunge gebissen. Er schmeckte Blut, registrierte aber nicht den Schmerz den er sich selber zugefügt hatte.Sein Verstand weigerte sich das Gesehene für voll zu nehmen.

Ready ging äußerst vorsichtig zu der Stelle. Mit staunenden Augen versuchte er irgendetwas zu entdecken. Er tastete sogar an der Stelle wo eben noch der Streifen und Wesslie waren, in der Luft herum.

Wer weiß! dachte Ready, vielleicht ist hier irgend so ne Harry-Potter-Scheiße im Gange, belächelte er sich selber, spürte aber auch wie seltsam ernst es ihm mit seiner Vermutung war. Er wanderte um die Stelle herum, wo der leuchtende Riss gewesen war. Bewegte den Kopf hin und her, um eventuelle Luftspiegelungen auszuschließen, die ihm aber noch absurder vorkamen als der „Harry-Potter-Scheiß“ Der Typ ist in den Streifen geklettert aber auf der anderen Seite nicht wieder raus geklettert. Entweder ich bin jetzt völlig durchgeknallt, hab ne wahnsinns Psychose oder ich habe es hier mit echter Scheiß-Schwarzer Magie zu tun! Ready wusste nicht was er von dem allem halten sollte. Aber das war auf jeden Fall ganz übler Scheiß.

Ready zitterte ein wenig als er wieder auf die Straße trat.

Er glaubte zwar irgendwie nicht mehr dran, aber wenn der Typ tatsächlich nochmal auftauchen würde, würde er rauskriegen was hier abgeht. Oh ja, das würde er verfickt nochmal.

*

 

Rumänien, Karpaten, 1847

Drago hatte als Ortskundiger die Führung übernommen. Mit strammem Schritt ging er voran und Elise folgte ihm recht gut, obwohl sie immer noch ein wenig erschöpft von der vorangegangenen Reise war. Außerdem plagten sie weiterhin Kopfschmerzen wegen des Zusammenpralls mit dem Ast.

Sie marschierten den Fluss entlang, den gleichen Weg den Drago erst vor kurzem hinter sich gebracht hatte.

Eine herrliche Landschaft war das hier, musste Elise zugeben. Aber ein wenig mehr Konversation würde ihr schon zusagen. Etwas grummelig, stapfte sie weiter hinter ihm her. Der Jäger war alles andere als gesprächig. Da reist man alleine und denkt, ach jetzt wäre ein Reisebegleiter ja nicht verkehrt. Dann kann man sich wenigstens unterhalten. Das ist interessant, belebt den Geist, lässt die Zeit verfliegen, und so weiter. Aber wir laufen nun bereits seit mindestens einer Stunde hier entlang, und alles was dieser Waldmensch von sich gegeben hat war ein schlichtes „Ja.“ als sie ihn nach den ersten Zehn Schweigeminuten gefragt hatte ob er schon lange hier im Wald leben würde.

Elise ließ ihre Gedanken schweifen und blieb mit ihnen bei ihrem letzten Halt vor dem Gebirge hängen.

In Budapest hatte sie drei Stunden Wartezeit bis zur Abfahrt der Kutsche gehabt. In dieser Zeit hatte sie in einer gemütlichen kleinen Gaststätte gut gegessen und getrunken. Sie hatte Gulasch mit Kartoffeln und danach einen goldenen Likörwein versucht. Es hatte ihr ausgezeichnet gemundet.

Sie hatte einen Spaziergang an der Donau gemacht. Sie mochte Flüsse sehr. Auch in Paris flanierte sie gerne an der Seine entlang.Es hatte für sie etwas beruhigendes, zuzusehen wie das Wasser stetig floss und die Boote und Kähne mit nahm. Sie sah gerne die Möwen kreisen und die Enten und Blesshühner am Ufer herum dümpeln. Und sie mochte das Geräusch, wenn das Wasser in kleinen Wellen gegen die Steine lief, und sie überspülte wenn ein größeres Boot vorbei zog. Eine Weile sah sie zu, wie viele Arbeiter den Bau einer großen Steinbrücke vorantrieben, die mit Stahlketten verstärkt werden sollte. Auch davon hatte sie zu Hause gelesen. Sie sollte den Namen Kettenbrücke tragen. Am schon vorhandenen Brückenkopf konnte sie eine schöne Löwenstatue bewundern. Sie überlegte, wie lange der Künstler wohl daran gearbeitet hatte.

Der Bau der Brücke sollte sich noch lange hinziehen. Bislang konnte der Fluß nur durch eine Behelfsbrücke, bestehend aus über vierzig aneinander befestigten Booten überquert werden. Nur so gelangte man von dem Stadtteil "Buda" zu dem Stadtteil "Pest".

Sie hatte es sich anschließend noch bis zur Abfahrt in einem kleinen Cafe´gemütlich gemacht. Dort hatte sie in einem bequemen Sessel im Warmen gesessen und Tee getrunken.

Das würde ihr jetzt auch gut gefallen. Doch für Bequemlichkeiten war vorerst kein Platz. Ihre Schwester war jetzt das einzig wichtige. Also schob sie das Verlangen nach Gemütlichkeit und heißem Tee beiseite und folgte dem wortkargen Jäger den Fluß entlang bis sie in den Wald abbogen und immer höher den Berg hinauf stiegen. Es wurde kühler und der Wald wurde dichter.

Und dunkler.

 

*

 

 

 

Chicago, USA, 2008

"Hier ich! Wer da?" meldete sich Ready nachdem sein Handy ein Stück des Refrains von AC-DC´s "Hells Bells" gespielt hatte und er das Gespräch entgegengenommen hatte.

"Wesslie hier! Ready?"

"Ja Mann, was geht Alter!" antwortete Ready und versuchte dabei möglichst locker zu klingen.In Wahrheit schlugen sein Herz und sein Gehirn gerade Purzelbäume der verwirrten Überraschung. Scheiße nochmal! Der Typ ruft tatsächlich an, dachte er.

"Hör zu!" sagte Wesslie, "Ich hab ne hübsche Rothaarige für dich. Rumänin. Gut gebaut.Mitte Ende Dreisig, aber gut in Schuß. Interesse?"

"Klar Mann. Wird die kleine Maus auch niemand vermissen?"

Wesslie lachte kurz laut auf am anderen Ende.

"Sicher nicht. Hundertprozentig!"

"O.K.. Wann kannst du sie mir bringen?"

"Bin quasi schon auf dem Weg. Sagen wir in einer Stunde?"

"Eine Stunde klingt super, Alter. Dann kann ich mich noch ein bisschen frisch im Schritt machen. Ha, ha, ha!"

Wesslie hatte bereits aufgelegt ohne den schlechten Scherz von Ready zu beachten.

"Arschloch!" raunte Ready in das Telefon hinein dessen Verbindung längst beendet war.

Exakt eine Stunde später klingelte es an Readys Haustür.

Er ging zur Sprechanlage, wo er einen Knopf drückte.

"Wesslie?"

"Wer sonst?"

"Lass mich überlegen..., Die Cops vielleicht? Die verfickten Zeugen Jehovas, meine Mam... . Komm rauf!"

Er betätigte den Türdrücker und öffnete die Wohnungstür.

Wesslie erschien auf der Treppe mit der Frau über der Schulter.

"Fuck!" schrie Ready los,zerrte Wesslie in die Wohnung und sah vor der Tür panisch nach rechts und links. Gottlob, niemand zu sehen. Aber den Nachbarn geht, wie überall, eh alles am Arsch vorbei.Er zog den Kopf wieder in seine Wohnung zurück und schlug die Tür zu "Bist du so bis zu meinem Haus gelatscht?! Hat dir einer ins Gehirn geschissen?!!"

"Reg dich ab! Niemand hat mich gesehen, O.K.?!"

Fahrig fuhr Ready sich durch die Haare.

"Da ins Hinterzimmer. Leg sie auf das Bett." sagte Ready.

Wesslie schleppte Vallerie hinüber und warf sie achtlos auf die Matratze. Sofort machte Ready sich daran sie zu knebeln und zu fesseln. Als er fertig war schob er Wesslie aus dem Zimmer, schloss die Tür und deutete ihm sich zu setzen. Er ließ sich ebenfalls auf dem Sofa, auf dem Wesslie nun Platz genommen hatte, neben ihm nieder. Ready kramte ein Alufolienbriefchen aus seiner Hosentasche.

„Mann, Mann, Mann!“ lamentierte er kopfschüttelnd vor sich hin. „Sorry Wesslie, danke für die Kleine, aber das war echt heftig gerade. Also normalerweise geht es ja auch umgekehrt. Also das Du die Damen abholst, aber auch dann: BITTE, trag die nicht einfach so durch die Gegend, Okay? ...Ach was solls, die wirst du eh direkt am Hafen abholen. ...Verfickte Scheiße! Sorry, Wesslie, aber Mann,Mann,Mann... .

Wesslie glotzte Ready nur stoisch an.

Was stimmt mit dem Typen bloß nicht, dachte Ready, hielt es aber für ratsam sich etwas zurück zu fahren, sofern ihm das möglich war.„Kannst ja auch machen was du willst. Ich sags nur. Nicht hier, wenns irgendwie möglich ist! Das ist meine Wohnung! Da kannst du die Bullen ja gleich zu ner verfickten Schnitzeljagd einladen und unten an der Straße Häppchen und bunte Flyer verteilen!“ Setzte er, etwas , - aber nur etwas - , ruhiger nach. Ready redete immer viel und schnell, besonders wenn er aufgeregt war UND auf Koks. „...Bitte! ...Ok? Bitte.“ Ready schüttelte resignierend den Kopf.

Wesslie ignorierte den verbalen Aufstand Readys völlig. Er saß nur ganz entspannt da und sah ihm zu wie er unentwegt laberte und das Briefchen öffnete. Ready zog, immer weiter vor sich hin brabbelnd Zwei lines mit einer Video World Clubkarte auf dem Glastisch.

"Noch ne Nase Koks mit auf den Weg?" fragte Ready, dessen Ärger und sämtliche Bedenken, sich beim Anblick des weißen Pulvers sofort in Wohlgefallen aufgelöst hatten.

Wesslie war unsicher. Er hatte noch nie irgendwelche Drogen genommen. Aber er wusste, dass Koks die Droge der "Reichen und Schönen" war. Also warum nicht. Schließlich war er nun ein erfolgreicher Geschäftsmann.

"Klar!" gab er zurück. Im Fernsehen hatte er oft gesehen wie Kokser eine "Line" weggezogen hatten. Das würde er schon hinkriegen.

Ready rollte einen Geldschein zusammen, beugte sich hinunter und zog das Röhrchen an der einen Linie entlang, während er das Kokain in sein Nasenloch hineinsog.

Er reichte Wesslie das Geldscheinröhrchen hinüber und ließ sich, den Kopf zur Decke gerichtet nach hinten sinken.

Wesslie vollzog die gleiche Aktion und stellte sich dabei geschickt genug an, alles hinein zu ziehen.

Als das Pulver in seine Nase eindrang, dachte er seine Nase würde platzen. Es kribbelte fürchterlich.Als würde eine Armee Ameisen sich von seinen Nasenscheidenwänden aus im ganzen Kopf verteilen um sein Gehirn zu besiedeln. Und schon knallte das Kokain in seinen Schädel. Für das was er jetzt fühlte hatte Wesslie nur einen Begriff den er eigentlich in einem ganz anderen Zusammenhang kannte. Er fand allerdings das er hier viel besser hinpasste: "Brainstorming!"

Er fühlte sich verdammt gut. Als könnte er Bäume ausreißen.

Einfach gigantisch.

"Wau!" bemerkte er. Und Ready pflichtete ihm lächelnd und nickend zu.

"Das ist verfickt erstklassige Ware, kannste mir glauben!" bewarb Ready sein weißes Glückspulver.

Wesslie hatte plötzlich das Bedürfnis etwas zu unternehmen.

Voller Tatendrang sprang er auf.

"O.K. Ready. Ich muss dann mal los. Wir hören voneinander."

"Alles Klar, Alter. Ruf mich an." Ready hob kurz eine Hand.

Damit verschwand Wesslie. Er würde zunächst zurück nach Rumänien gehen. Er musste nach der gefangenen Franzosenschlampe sehen. Der Herr wollte nicht, dass noch eine entwischt. Des weiteren hatte er noch Vier Wölfe abzuliefern. Der Herr hatte ihm diesen Auftrag schon am Morgen erteilt. Er würde böse auf Wesslie sein, wenn er ihn nicht endlich ausführte.Es stimmte schon. Als Geschäftsmann hatte man ganz schön mit Stress zu kämpfen...

 

*

 

Rumänien, 1847

Wesslie hatte die Frau gefesselt und in den Turm geschleppt.

Ihn, den Ehemann, hatte er in das alte Verließ gesperrt. Wie könnte es einen passenderen Ort geben. Hier könnte er ruhig verrotten. Als Mann war er nur unnützer Ballast, aber er wollte ihn nicht gleich töten ohne seinen Herrn zu fragen. Man konnte nie wissen mit was für neuen, - manchmal abstrusen -, Ideen er um die Ecke kam. Wohlmöglich sollte der pummelige Schwachkopf als Sarane verkauft werden, oder einfach zur Belustigung in der Arena eingesetzt werden. Es wäre zugegebener Maßen sicher kein schlechtes Bild, wenn der Typ von dem schwarzen Hünen, mit einem rostigen Speer durch die Arena gejagt werden würde. Auch wenn der Spaß sehr schnell vorbei sein würde.

Der Herr hatte ihm die Rothaarige überlassen. Er hatte Wesslies Vorschlag, sie so definitiv für immer los zu sein, ohne Spuren, für gut befunden. „Ausgezeichnete Idee“ hatte er ihm gesagt. Wesslie war schon sehr stolz auf sich selbst gewesen, als er seinem Herrn von dem Deal mit Ready erzählt hatte. Er hatte sich darauf gefreut, von dem Mann in Schwarz ein anerkennendes Lob zu erhalten.Wenn die Sache laufen würde, hätte er damit einen ganz dicken Fisch an Land gezogen, der dem Herrn viel Mühe ersparen und ihm einen mächtigen Gewinnzuwachs bescheren würde.

das Lob kam auch, und er hatte sich auch wirklich gefreut. Am Ende hatte er Wesslie sogar auf die Schulter geklopft und gesagt: „ Sehr gut Wesslie.“ Allerdings hatte er ihm zunächst mit der flachen Hand, ohne Vorwarnung kräftig ins Gesicht geschlagen. Wesslie war mehr verblüfft gewesen,als das es ihn geschmerzt hätte. Schläge, ins Gesicht und überall sonst hin, kannte er zu genüge von Pfarrer Harris und den älteren Heimkindern. Er war geschockt. Der Herr fuhr ihn an. „ Wenn du noch ein einziges Mal ein Geschäft abschließt, ohne vorher mit mir Rücksprache zu halten, wirst du dir wünschen nie geboren zu sein!“ schrie er ihn an.

Im Grunde gehörte dieser Wunsch zu Wesslies Standartwünschen. Bis vor einiger Zeit.. Die Augen seines Herrn ließen Wesslie ein unvorstellbares Repertoire an Grausamkeiten erahnen. Was ihn dazu bewegte, ihn augenblicklich um Verzeihung zu bitten und zu versprechen dass dies sich niemals wiederholen würde. Das hatte dem Herrn völlig gereicht. Die Sache war erledigt, so war er. Das hatte was von Mafia. Jedenfalls so wie Wesslie sich das vorstellte und aus den Filmen kannte. Und er war fest davon überzeugt, dass sein Herr eine Zweite Verfehlung auch genauso wie ein Mafiapate regeln würde.Er dachte an Hakan... .

Und danach hatte er Wesslie gleich den hohen Nutzen des Geschäfts bestätigt und ihn wieder äußerst freundlich behandelt.Fast wie einen Sohn, und irgendwie war er das ja auch. Der Herr hatte ihn ja „adoptiert“.Und schließlich hatte er ihm die Rothaarige zur Verfügung gestellt. Auch er fand den Gedanken, sich bei Ready zu revanchieren und so das Geschäftsverhältnis zu festigen, sehr gut. Außerdem wollte der Herr die Rothaarige auch los werden. Natürlich hätte er sie töten können. Doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl, bei dieser Zigeunerin. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Diese Lösung nun, erschien ihm am besten für alle. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wesslie hatte sich freudig, gleich daran gemacht die Schlampe zu verschnüren und vor allem zu knebeln. Sie hatte ein vorlautes Maul. Aber das würde bald jemand stopfen, und es würde ihn freuen wenn das für immer passieren würde. Am liebsten würde er zusehen, und dabei wichsen. Er war nun aber doch froh, die krakelende, zappelnde, spuckende Hure los zu sein.

Nach seiner Rückkehr ins Schloß hatte er einen Blick auf die andere geworfen.Die dürre Blonde. Sie war anscheinend noch besinnungslos aber sonst in Ordnung. Der Herr war nirgends zu finden.

Nun ging er in den Innenhof hinaus. Es war kühl geworden.

Er merkte dass er wahrscheinlich eine Erkältung bekam. Sein Hals kratzte ein wenig. Der ständige Klimawechsel war nicht ohne.

Wesslie machte sich daran die Tiere in den inzwischen errichteten Hofzwingern zu füttern. Mit einem gehässigen Grinsen ging er auf einen der Wolfs-Zwinger zu. Das Schicksal der Tiere interessierte ihn genauso wenig wie menschliche. Er hatte eine perverse Freude daran, zu sehen wie sie litten. Wie sie sich ängstlich in die Ecken verkrochen, wie manche ihr Zweckloses Drohen erklingen ließen, wie sie im Kreis liefen, oder unentwegt auf und ab. Wie sie zusehends aufgaben und sich zu psychischen Wracks verwandelten, die in der Arena Amok laufen würden. In einem kleinen Käfig in der Ecke befanden sich Zwei Luchse. Sie konnten sich kaum drehen und fauchten ihm entgegen als er sich näherte um ihnen einen Brocken hinein zu werfen. Die kleinen Raubkatzen, die sein Herr an einen reichen Stadtler verkaufen würde, sollte auch heute noch fort. Der Käufer wollte sie in einem gläsernen Käfig, in Mitten seiner Villa einquartieren. Als Sehenswürdigkeit für seine Besucher. Wesslie kam zu dem letzten Wolfs-Käfig.

Vier Wölfe liefen darin auf und ab. Diese hatte er nicht gefüttert heute. Er würde es auch jetzt nicht tun. Er hatte einen Liefertermin einzuhalten. Die Betäubung wirkte besser und schneller, wenn die Tiere leere Mägen hatten und zweitens sollten die Tiere für die Arena hungrig sein.Sie würden bereits morgen Abend ihr Debüt feiern.

Wesslie ging zu dem kleinen Anbau hinüber. Er zog ein Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und schloss die Holztür auf. In dem Anbau schritt er zielstrebig auf einen hohen schmalen Schrank zu, öffnete ihn und holte ein Betäubungsgewehr mit Zielfernrohr heraus. Die Betäubungspfeile steckten schön akkurat aufgereiht in einer Halterung in der Tür. Vier Pfeile mit roten Köpfen griff er sich und verließ den Anbau wieder. Nachdem er wieder sorgfältig abgeschlossen hatte ging er zurück zu den Wölfen und legte auf sie an. Die Tiere spürten natürlich längst, dass hier etwas im Gange war, was ihre Existenz bedrohte. Tiere konnte man nicht täuschen.

Wesslie versuchte bewusst ruhig und harmlos zu wirken. Trotzdem rannte die Vier unentschlossen und wirr durcheinander. Er musste gut zielen, schaffte es aber letztlich. Zwei der Tiere zogen die Betäubungspfeile mit ihren Zähnen wieder heraus. Bei den beiden anderen saßen sie ungünstig. Nach etwa Zehn Minuten, gelang es dem Dritten noch, seinen Pfeil mit einer seiner Hinterpfoten heraus zu reißen. Doch der Wirkstoff war bei allen Vieren natürlich sofort nach eintreffen in die Haut frei gesetzt worden. Ein paar Minuten später, fingen einer nach dem anderen an zu wanken und zu japsen. Eine Weile torkelten sie noch umher. Doch irgendwann setzte sich alle nacheinander hin und lagen schließlich nach etwa einer halben Stunde reglos da. Wesslie öffnete die Käfigtür und zog die Wölfe nach draußen. Jetzt nahm er eine kleine flache Apparatur aus der Jacke und drückte einen Knopf. Aus den alten Stallungen kam ein Wagen angefahren, wie Hakan ihn für die deutschen Mädchen benutzt hatte. Mit einem kleinen Hebel auf der Oberseite der Fernbedienung steuerte er den Wagen zu den Wölfen. Dort angekommen wuchtete er die Tiere darauf und bewegte ihn zurück zu den Stallungen. Darin hatte der Herr den zweiten schwarzen Streifen eingerichtet, eine weitere Tür in den Zeittunnel. So war es wirklich praktisch die Tiere zu liefern.

Wesslie zog den Kristall hervor, öffnete den Riss, setzte sich nun auch auf den Wagen und steuerte ihn hindurch.

 

-

 

Nachdem Wesslie die Wölfe in den unterirdischen Lagern der Arena abgeliefert hatte kehrte er zunächst zum Schloss, nach 1847, zurück.

Im unteren Stockwerk hörte er den Herrn in seinem Zweigstellen-Büro,- wie er es selbst nannte -.

Er erzählte lebhaft laut vor sich hin und Wesslie konnte vernehmen wie er irgendwelche Bücher auf den Tisch warf.

Sicher war er wieder einmal dabei, nach Kunstschätzen zu forschen und Pläne zu schmieden wie und vor allem wann er sie am günstigsten stehlen konnte.

Da der Herr erfahrungsgemäß einigermaßen lange in seinem Arbeitszimmer verblieb und dort grundsätzlich nicht gestört werden wollte. Wesslie hatte Lust auf einen Ausflug. ER machte sich zum oberen Festsaal auf um den Durchgang dort zu passieren. Von hier war er zu seinem privaten Ausflug aufgebrochen.

Den Weg zu seiner Zeit hatte der Herr ihm gestattet. Nicht nur das eine Mal.Er hatte ihm kurz nach seinem Geschäftsabschluß, die Erlaubnis erteilt nach Bedarf zu

seinem „Partner“ zu reisen, und natürlich führte er, wie vorhin, die Lieferungen auch selbständig aus. Das gab ihm eine gewisse Freiheit. Auch für eventuelle Reisen von denen der Herr nichts wissen musste. Er sah da nichts weiter Schlimmes bei. Ist ein bisschen wie, mit dem Firmenwagen noch mal eben beim Supermarkt am anderen Ende der Stadt seine privaten Einkäufe zu erledigen. Das tut keinem weh, und was der „Chef“ nicht weiß, macht ihn nicht heiß.Von den Abwegen im Hauptgang sollte er sich fernhalten, das wusste er. Darauf hatte der Herr ihn ja bereits damals, als er ihn geholt hatte eingehend aufmerksam gemacht. Jetzt wo er öfter alleine unterwegs war, hatte er eine zusätzliche Anweisung erhalten. Er sollte darauf achten ob Risse auf seinem Weg erscheinen, die nicht von ihm selbst oder dem Herrn geöffnet worden waren.Der Herr war seltsam beunruhigt gewesen, als er Wesslie das aufgetragen hatte. Und er vermutete inzwischen, dass es einen solchen Riss vor kurzem gegeben hatte. Und da er wusste, dass es durchaus möglich war, dass gefährliche Personen ( Personen wie Er, zum Beispiel...)durch die Zeit reisen könnten, war er auf der Hut. Aber bisher hatte er noch keinen unbekannten lila leuchtenden Riss entdeckt. Auch jetzt war alles ruhig wie immer. "Der Herr macht sich vielleicht auch einfach zu viele Gedanken. Ist schon alles in Ordnung." sagte er vor sich hin um sich selbst zu beruhigen. Wesslie wollte nur ein bisschen Spaß haben. Er war allzu gierig auf die Freuden die ihn in 2008 erwarteten.

Und wenn er es geschickt anstellte, wäre er zurück bevor er losgeht.

Er freute sich. Damals war er froh von dort wegzukommen. Aber nun war Wesslie erwachsen, kein kleiner gemobbter Junge mehr. Und das wichtigste,er war einigermaßen vermögend. Wenn er Geld hatte, sah niemand sein entstelltes Gesicht. Wenn er Geld hatte, nannte ihn auch niemand „Scheusal“.

Mit Geld nannte man ihn „Sir“.

Ja, diesen Abend würde er sich das eine oder andere Gläschen und noch ein klitzekleines bisschen Koks von Ready gönnen. Daran hatte er sehr schnell unheimliches Gefallen gefunden. Er würde aber etwas später dort erscheinen. Ready sollte ihn nicht für einen gierigen Junkie halten. Ein paar Stunden oder einen Tag vielleicht. Das wäre Okay. Er hatte diese Möglichkeit. Wenn er wollte könnte er gleich eine Line ziehen, Zwei Wochen in die Zukunft reisen, und immer noch total dicht von der selben Line, bei Ready hereinschneien. Wesslie musste grinsen. Und als ihm „hereinschneien“ im Zusammenhang mit Kokain in den Kopf kam, musste er sogar lauthals los lachen.

Wesslie öffnete den Riss im Festsaal und stieg hindurch.

Die Gier nach Vergnügungen ließen in fast in Laufschritt verfallen. Seine letzte Kokserfahrung war erst ein paar Stunden her, und die letzten Verwehungen des weißen Pulvers trieben immer noch durch seinen Kopf. Im Gehen tippte er die Daten ein.

Er war so mit sich selbst beschäftigt,dass er vergaß den Riss hinter sich zu verschließen.

 

*

 

Chicago, USA,2008

Vallerie öffnete ihre brennenden Augen soweit sie konnte. Ihre Lider wogen Tonnen.Alles erschien ihr irgendwie verschwommen. Wie durch einen unsichtbaren Schleier suchte sie ihre Umgebung ab.

Sie befand sich in einem kleinen Raum mit nur einem schmalen Fenster. Genauer gesagt auf einem metallenen Bettgestell mit einer wirklich ausgesprochen bequemen Matratze. Es befand sich kein Laken darauf. Statt dessen wies sie mehrere ekelerregende rötliche, gelbe und weißliche Flecken auf. Von denen letztere feste zuckrige Krusten gebildet hatten, wie Schorf auf einer Wunde. Vallerie konnte es an ihren nackten Unterarmen spüren. An der Decke baumelte eine hell leuchtende kleine Sonne.Diese Assoziation war es jedenfalls, sie Vallerie in den Sinn kam. Ein plötzlich aufkommendes Kratzen im Hals wollte sie zum Husten zwingen. Doch bei dem Versuch wurde ihr bewusst dass ein Lappen in ihrem Mund steckte, sodass sie nur ein ersticktes Würgen hervorbrachte und das kratzen sich qualvoll in ihrem Hals festbiss..

Hände und Füße waren mit dünnen schwarzen Schnüren an die Bettpfosten gefesselt. Ihre Gelenke brannten wie Feuer und hatten sich durch das ständige unbewusste reiben an den Fesseln wundrot verfärbt.Sie trug noch ihren roten Rock und die bunte Bluse,wenigstens lag sie nicht nackt hier. Und sie verspürte auch keine Beschwerden, bis auf das ihr alle Knochen und der Schädel weh taten. Aber keine die darauf hindeuten könnten, dass sie benutzt worden sei als sie weggetreten war.

Verzweifelt versuchte sie den Knebel auszuspucken um nach Hilfe zu rufen. Es gelang ihr jedoch nicht. Im Gegenteil, er rutschte noch tiefer in ihren Rachen.

Wieder musste sie würgen. Müsste sie sich jetzt übergeben wäre das ihr sicherer Tod. Schweiß trat aus ihrer Stirn. Eine Perle rollte ihr am Ohr vorbei in den Nacken und tropfte dann auf einen der Spermaflecken. - Richtig, Schweiß hatten wir vergessen. Davon dürfte auch genug in die Matratze abgesondert worden sein ( - ...und Tränen, na klar, und ne menge Tränen... - ).

Vallerie versuchte sich zu beruhigen.

Durch die Nase atmen! Ganz ruhig durch die Nase atmen. Ein und aus, beschwor sie sich selbst.Langsam entspannte sie sich ein wenig.Sie konzentrierte sich auf jeden Zug durch ihre Nase. Ein... und aus,ein... und aus...

Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Sie sah sich im Raum um.

Da war eine einfache Holztür, ein kleiner Tisch, eine ebenso kleine Kommode, und eine seltsame graue Tür. Etwas größer als die andere. Der Rahmen schien aus dickerem Holz zu sein, die Tür selbst war anscheinend verstärkt worden. Metallbleche waren über die ganze Fläche aufgesetzt.Von dort kam es, das Geräusch. Aber was war das. Es hörte sich an wie Musik, aber keine Musik die sie kannte. Sie klang seltsam blechern und die Instrumente waren ihr unbekannt. Jetzt kam Gesang hinzu der eher an Geschrei erinnerte. Plötzlich endeten die Geräusche.

Eine Stimme vor der Tür erklang:" Hallo….Ja …in einer Stunde….Ja wie versprochen, rothaarig. Von Kopf bis Fuß…, wenn du verstehst was ich meine.“ Ein schallendes Gelächter erklang.„Vergiss die Kohle nicht….Genau, du kennst die Preise ja. ...Ja, wäre kein Problem bei der. Nein, niemand wird sie vermissen. Das garantiere ich.Kannst dich auf mich verlassen.“

Sie kannte diese Sprache. Das war englisch! Dank Ryan konnte sie die Worte verstehen die vor der Tür gesprochen wurden. Vielleicht war sie weiter von zu Hause weg als es ihr möglich erschien. Wer war das und wieso faselte der Kerl so blödsinnig vor sich hin. Mit rothaarig war natürlich sie gemeint. das war mal klar.Auf den Kopf gefallen war sie nicht. Aber was hatte das mit der Kohle auf sich? Damit war wohl Geld oder Gold gemeint.Es hatte was mit einem Preis zu tun, und sie würde keiner vermissen. Eins war klar. Ihr drohte Gefahr und sie musste irgendetwas unternehmen um hier raus zu kommen.

Die Augen schmerzten ihr zu sehr um sie noch länger aufhalten zu können. Sie schloss sie wieder. Ihr wurde schlecht und die Blase drückte. Vallerie war zu erschöpft um weiter nachzudenken.Der Raum klappte irgendwie langsam nach hinten weg ( - ...oder war sie das?... - )Die Wirkung des Betäubungsmittels ließ nur sehr langsam nach. Sie döste bereits wieder ein.

 

*

 

Rumänien, 1847

Der schlanke schwarzhaarige Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart und den stechenden dunklen Augen, trug einen schwarzen leicht glänzenden Anzug. Er saß verkehrt herum auf einem schlichten Holzstuhl. Die Arme über der Rückenlehne verschränkt. Den Kopf leicht schief gehalten, starrte er Josephiné an.

Diese saß auf einer Steinbank in einer Ecke des Raumes und rieb sich die Handgelenke.

"Wer sind sie und was wollen sie von mir?" stammelte sie ängstlich.

"Wer sind sie und was wollen sie von mir?" äffte er sie mit hoher Stimme affektiert nach.Er grinste frech.

"Was soll das. Ich habe ihnen doch nichts getan.“ fuhr sie ihn mit einem kurz auflodernden Zorn an, der jedoch sofort wieder von ihrer Angst erstickt wurde. „Wo ist mein Mann? Oh bitte, tun sie mir nichts!"flehte sie.

Ohne auf Josephines Fragen oder Wünsche einzugehen, begann der Herr zu sprechen. Er begann im Raum auf und ab zu gehen und verschränkte dabei die Hände auf dem Rücken, wie ein alter Professor in einem alten Film."Ich möchte nicht das ihr mich falsch versteht.Ihr seid blond, das ist sehr schön. Und im Grunde ist es eine Ehre von mir ausgewählt worden zu sein.Wo ich herkomme gibt es keine blonden Frauen mehr, müsst ihr wissen." Urplötzlich blieb er stehen, drehte sich zu ihr und klatschte einmal laut in die Hände."Die Evolution hat euch aussortiert. Einfach so. Da wo ich herkomme oder besser gesagt von wann ich komme..." Ein kurzes Kichern entfuhr ihm. Er fing sich jedoch sogleich wieder und führte den Satz mit starrer Miene zu Ende:"...und wo du hingehst wirst du mir viel einbringen."

„I-Ich verstehe nicht was das bedeuten soll. Wollen sie mich...?" stotterte Josephiné entsetzt drauf los.

"Dein Körper wird nicht angerührt.“ fiel er gespielt empört ein. „Jedenfalls nicht von mir.“ fuhr er fort und lachte kurz und gemein auf. Er setzte sich wieder.„Du wirst ein seltenes Ausstellungsstück eines wohlhabenden Krasörs werden. Eines angesehenen Herrn. Du hast also Glück. Er wird mit dir angeben. Allerdings wenn du dich nicht benimmst wird er dich bestrafen, mit Schlägen oder dich einsperren, hungern lassen, oder brutal züchtigen bis du zur Vernunft kommst. Verstehst du? Du gehörst ihm, und er WIRD dich!! Mit Sicherheit wird er das!

Ich bin der Jäger. Du bist das Wild. Und gleich wirst du auf dem Markt verkauft! Cest la vie, mon cher." Der Herr in Schwarz warf ihr ein bedauerndes Mitleidsgesicht zu.

"Aber nein das können sie nicht tun. Wenn mein Mann..."

Er sprang auf, schleuderte den Stuhl beiseite, sodass er mit Wucht an die Wand flog. Innerhalb eines Sekundenbruchteils war er direkt vor ihr.Sie konnte ein dezentes hochpreisiges Herrenparfum riechen. Und den unangenehm beißenden Geruch von Weinbrand, der ihr aus seinem Mund entgegen gehaucht wurde.

"Dein Mann!!!" brüllte er ihr zehn Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt entgegen "wird sterben!!!"

Josephiné riss die Augen weit auf. Tränen begannen über ihre Wangen zu strömen. Sie senkte den Blick und heulte eifach tonlos in einem fort.Die Aussage dieses Mannes hatte etwas so feststehendes, dass sie zu nichts anderes mehr in der Lage war.

Der Mann grinste boshaft,sonnte sich einen Moment in ihrem Leid, drehte sich um, verließ den Raum und verschloss die Tür.

 

*

 

Jacques hatte sich zwei Stunden lang durch den völlig verdunkelten Raum getastet. Sein linker Ringfinger schmerzte und hörte nicht auf zu bluten. Bei seiner verzweifelten Suche nach irgendeiner Möglichkeit der Dunkelheit zu entkommen, eine Öffnung, einen Griff oder ähnliches zu finden, hatte ihn etwas gebissen. Eine Ratte vermutlich. Nun hockte er zusammengesunken in einer Ecke, an die kalte Steinwand gelehnt. Es roch nach Urin und noch etwas anderem. Etwas metallischem was er jedoch nicht zuordnen konnte. Er wusste nicht ob es Tag oder Nacht war.

Nun spürte er wie Angst seinen klammen Körper ergriff und begann, sein Herz langsam aber stetig zu zerdrücken. Sein Kopf sank zwischen die Knie und er spürte wie die Hoffnungslosigkeit von ihm Besitz ergriff.

War das jetzt das Ende? Verschleppt, in ein dunkles Loch geworfen, aus dem es keinen Ausgang gibt?

Er erschrak als ein Tropfen unhörbar auf seinem Hinterkopf landete. Kurze Zeit später der nächste.

Nach der anfänglichen Verwunderung machte sich Euphorie breit. Die ganze Zeit war er an den Wänden entlang gegangen und auf dem Boden umher gekrochen und hatte nichts als kalten Stein,felsigen Grund und eine bösartige Ratte um sich herum gefühlt. Doch er hatte es versäumt über sich zu suchen. Vielleicht befand sich dort seine Rettung. Die Tropfen könnten Regenwasser sein, das wahrscheinlich durch eine Luke im Dach tropfte. Behände sprang er auf und fuchtelte in der Luft umher, wobei er langsam hin und her schlurfte um nicht gegen die nächste Wand zu laufen.

Da, jetzt stieß er mit einer Hand an etwas über ihm. Das heißt es war mehr eine Berührung von etwas Weichem im vorbeistreifen. Jacques stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte die heile Hand ganz nach oben.

Ein spitzer Schrei entfuhr seiner Kehle nachdem er wieder das weiche Etwas gespürt hatte. „Das fühlt sich an wie..., nein!" Noch einmal nahm er allen Mut zusammen und streckte die Hand aus. Er hatte sich nicht getäuscht. Was er fühlte waren eindeutig Haare. Zögerlich verharrte er mit der Hand in der Luft. Was wenn ihn gleich noch etwas beißen würde, vielleicht etwas Größeres. Dann hätte er beide Hände verletzt. Wohl möglich würde ihm gleich die ganze Hand abgerissen, wenn er das..., - was auch immer das haarige Etwas sein mochte - , aufweckt. Jacques wog ab, das er gar keine andere Möglichkeit hatte als weiter zu forschen. Sonst würde er hier ja eh sterben.Noch ein Stückchen höher und er glitt mit seinen Fingern über Haut und unmittelbar darauf glitten sie in eine scharfkantige Vertiefung in der sich Nässe gesammelt hatte. Seine Fingerspitzen berührten etwas Schwammiges.Das fühlte sich an, wie... eine Speziallität des Metzgers in der Rue de Levere`. Etwas vom Kalb, was er nie essen würde. Das fand er immer irgendwie abartig...Mit Schrecken wurde ihm bewusst, was er dort über sich entdeckt hatte. Angewidert zog er seine nun zitternde Hand zurück. Er roch an seinen Fingern um sich Stückweise die befürchtete Bestätigung zu holen und nahm sofort wieder den metallischen Geruch war. Er konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten und erbrach sich augenblicklich.

Er war sich sicher dass über ihm ein Mensch hing und seine Finger hatten eine tödliche Verletzung des Schädels ertastet. Das Schwammige musste das Gehirn der armen Seele gewesen sein. Jacques hatte sich auf die andere Seite des Raumes zurückgezogen, die Hand hastig an seiner Hose abgewischt und sich voller Ekel an die Wand gepresst.

"Der Herr steh mir bei...." begann er zu stammeln während dicke Schleimfäden an seinen Mundwinkeln hinab hingen. Seine Beine versagten ihm den Dienst und er sank langsam zu Boden.

 

*

 

Nach dem vierstündigen beschwerlichen Marsch hatte der wortkarge Jäger Elise davon überzeugt einen kleinen Umweg zu machen um seinen Freund Alar aufzusuchen. Das würde ihnen gesamt gesehen nämlich eine große Zeitersparnis verschaffen. Alar war für hiesige Verhältnisse ein reicher Mann. Er hatte einen Hof mit einem recht großen Stall und einem eigenen Brunnen.

Er nannte drei Schweine, acht Hühner mitsamt Hahn und sechs Pferde sein eigen.

Nun stand der kleine korpulente Mann, die wenigen verbliebenen Haare wild im Wind tanzend,vor den beiden und begrüßte seinen Freund.Er strich seine Fünf Haare glatt zur Seite und umarmte Drago.

Einige Meter hinter Alar, vor dem Haus der Familie, standen seine Frau Maria, ebenso korpulent wie ihr Mann, und seine hübschen Tochter Iliana. Sie war gerade Neunzehn und im Gegensatz zu ihren Eltern, ( - noch - ), sehr schlank. Sie hatte sich einen langen blonden Zopf geflochten, den sie seitlich nach vorne fallen ließ. Sie begutachtete die ausländische Frau in Dragos Schlepptau argwöhnisch.

"Hallo Alar, mein Freund!" begrüßte Drago den Mann.

„Drago, wie geht es dir? Wir haben uns lange nicht gesehen.Wo soll es hingehen und wer ist das junge Weib bei dir?" begann Alar fröhlich.

Als Drago den Mund öffnete um zu antworten meldete sich Elise eiligst zu Wort:

"Ihr Name ist Elise und sie kann durchaus direkt angesprochen werden!“ ratterte sie los und funkelte ihn böse an. „Ach, und das Weib verbittet sie sich. Sagt Dame, Frau oder meinethalben Begleiterin aber nicht Weib!" entrüstete sie sich.

Alars Frau konnte ein leichtes Schmunzeln nicht vermeiden, besann sich jedoch gleich ihrem Mann zur Seite zu stehen wie es sich gehört, indem sie ihre ernste Miene wieder aufsetzte. Iliana jedoch grinste vergnügt weiter. Ihr Argwohn hatte sich, trotz ihrer zugegebenen Eifersucht, soeben in Sympathie verwandelt. Es passierte nicht oft, das eine Frau einmal den Mut hatte einem Mann gegenüber ihre Meinung zu sagen.

"Holla, bitte sehr euer Hochwohlgeboren. Verzeiht mir."

erwiderte er mit gespielter Scham und sah Elise dabei ziemlich schief an. Er zog Drago am Ärmel beiseite.

"Großer Gott Drago. Was hast du dir denn da eingefangen?"

fragte er ihn im Flüsterton.

Drago erklärte ihm die Situation und bat Alar ihm zwei Pferde für den beschwerlichen Weg zu leihen.

Alar war nicht gerade begeistert von der geplanten Aktion.

"Drago, du bist mein Freund daher leihe ich dir die Pferde. Aber wenn du meine Meinung dazu hören willst was ihr vorhabt. Ich meine, sie sieht gut aus aber deshalb sein Leben zu riskieren?" Alar machte sich nun wirklich Sorgen.

Drago druckste etwas herum. Dann antwortete er seinem Freund. "Sie wird alleine gehen, wenn ich sie nicht begleite. Sollte ich dann eines Tages ihre bleichen Knochen im Wald finden, könnte ich mir das nie verzeihen.Also was soll ich tun?" Drago sah Alar mit offen ausgebreiteten Armen fragend an. Alar rollte mit den Augen. „Du bist zu gutherzig. Das wird dich selbst noch mal zu ausgebleichten Knochen machen."

Er seufzte und fügte hinzu:

"Ich bereite dir zwei Tiere vor. Zwei Gute"

Er drehte sich kopfschüttelnd um und ging zu seinem Stall hinüber.

Elise schaute, die Arme vor sich verschränkt, hin und her.

Immer mal wieder den Blick über das Gesicht von Alars Frau Maria und Iliana huschen lassend, welche jedoch beide keine weitere Regung zeigten.Außer das diese Beiden sie unverwandt die ganze Zeit anstarrten.

Für ein Leben im Wald muss man sich wohl eine rüde misstrauische Art zulegen, dachte Elise, von einem Fuß auf den anderen tretend, und war erleichtert als Drago wieder zu ihnen stieß.

„Ich grüße dich, Maria.“Drago hob die Hand und nickte ihr zu. Die Tochter lächelte er an und lies ein grüßendes:"Iliana." folgen, welches diese ebenso mit einem Lächeln und einem:"Grüße dich, Drago." erwiderte.

Der Jäger führte Elise zum Stall.

Als Alar ihnen die Pferde übergab kam Iliana hinzu und überreichte Elise ein Bündel.

"Etwas für den Weg." gab sie von sich ohne dabei etwa

in Freundlichkeit zu verfallen.Elise bedankte sich überrascht. Ganz kurz lächelten sich die beiden jungen Frauen an.

„Das ist euer Pferd Elise.“ Drago hielt das schöne Tier an einem Strick.

Er wollte gerade ansetzen, Elise Hilfestellung beim Besteigen des Pferdes zu geben, und langte dafür mit beiden Händen in Richtung ihrer Hüften. Ein scharfer Seitenblick Elises stoppte seine Bemühungen umgehend und entlockte Iliana den Anflug eines nochmaligen kurzen Lächelns.

Und ein weiterer Punkt auf der Seite der feinen Dame aus Frankreich.

Vielleicht waren Vorurteile doch nicht immer richtig und trafen offensichtlich nicht auf alle gleichermaßen zu.

Elise durchforstete kurz ihre Erinnerungen.

Zuhause in Paris hatte Sie schon einige Reitstunden hinter sich gebracht. Dem lächerlichen Herumstolzieren, welches ihr in der spanischen Reitschule beigebracht wurde, konnte sie nicht viel abgewinnen. Sie fand das sah albern aus, und die Methoden die viele der Lehrer angewendet hatten, gingen mit schmerzhaften Peinigungen der Tiere einher, um sie gefügig zu machen.Elise hatte die Reitschule beim Dritten Besuch, weinend verlassen und nie wieder betreten. Die Ausritte mit ihrer Schwester übers Land hatten ihr allerdings große Freude bereitet. Sie wurden zu einem festen Bestandteil ihrer Unternehmungen. ...Mit ihrer Schwester...Josephine(...Elise Augen begannen etwas zu schwimmen....)

In Frankreich waren sie immer auf Camargue-Pferden unterwegs gewesen. Gerard war Josephines Pferd, und der Schwarze Filou ihres.Diesen hatte sie immer mit lockerem Schwung besteigen können. Das hier waren ungarische Nonius-Hengste, die um einiges höher gewachsen waren. Dazu noch besonders kräftige Exemplare. Sie bestieg ihr Ross trotzdem alleine. Auch wenn sie sich dabei vor konzentrierter Anstrengung kräftig auf die Lippen biss.

Nachdem sie sich verabschiedet und bedankt hatten, zogen die beiden wieder in nördlicher Richtung los in den Wald hinein.

Er vorneweg und sie knappe drei Meter hinter ihm.

Nachdem sie eine halbe Stunde schweigend vor sich hin

geritten waren, ergriff sie wieder das Wort.

"Sagt Drago, dieser Mensch dort im Schloss. Was hat es mit ihm auf sich. Wer ist das, das alle solche Angst vor ihm haben?"

"Nun, die Leute sagen, es ist der Blutgraf der zurückgekehrt ist um seinen Durst zu stillen." entgegnete Drago.

"Der was? Der Blutgraf?" fragte Elise und verzog angeekelt den Mund.

"Ja, der Blutgraf. Graf Vlad, der Sohn des Drachen. Jedes Kind kennt hier die Geschichten von ihm. Habt ihr in dem Nest aus dem ihr kommt, wie hieß es doch gleich? Paris?, noch nie etwas von ihm gehört?"

"Nein mein Herr in diesem "Nest" wie ihr es nennt, welches übrigens über eine Millionen Menschen beherbergt, habe ich nichts über euren ominösen Drachengraf gehört!"

"Blutgraf!"

"Wie meinen?"

"Blutgraf. Nicht Drachengraf. Er hatte den Beinamen Sohn des Drachen. Draculae. Vor etwa vierhundert Jahren war er der größte Herrscher hier weit und breit. Er hat seine Feinde und jeden den er nicht mochte gefoltert und gequält bis hin zum Tode. Er trank das Blut seiner Feinde solange es noch warm war. Am liebsten pfählte er seine Opfer bei lebendigem Leib. Er fesselte sie an..."

"Erspart mir die Einzelheiten. Aber erklärt mir einmal, wie ein Mensch nach vierhundert Jahren zurückkehren kann." Elise stützte die Fäuste in ihre Seite und blickte Drago erwartungsvoll an.

"Man sagt, er sei als Untoter aus der Unterwelt zurückgekommen, um seinen Durst nach Blut erneut zu stillen. Er soll sich in eine Fledermaus verwandeln können und so lautlos zu den Menschen gelangen, um sie zu verschleppen. Im Schloss seiner Väter labt er sich dann an ihnen." erläuterte Drago.

"Verzeiht aber als Frau der Wissenschaft sage ich ihnen, dass das blanker Unsinn ist! So etwas wie Untote, Geister oder Gespenster gibt es nicht!" fuhr sie ihn vorwurfsvoll an.

"Ich sage ja nicht dass ich das glaube." sagte Drago ganz ruhig.

Elise stutzte kurz überrascht."Und...was glaubt ihr?" wollte Elise wissen.

"Ich denke eher dass sich da oben im Schloss eine gut organisierte Bande von Räubern eingenistet hat, die ihre Raubzüge jenseits der Grenze ausführt und sich anschließend dorthin zurückzieht. Ihr Führer ist sicher ein ganz gerissener Hund. Wäre Graf Vlad wirklich zurückgekehrt, wäret ihr ganz sicher nicht von dort entkommen. Menschen lassen sich austricksen. Ein Geist, denke ich nicht. Das dürfte unsere Aufgabe allerdings nicht wesentlich erleichtern. Zumal ihr bestimmt Glück hattet bei eurer Flucht und der Hauptteil der Bande gerade auf Beutezug war. Dieses Glück wird uns nicht noch einmal hold sein."

Nachdenklich verfiel Elise nun in Schweigen. Die kräftigen Nonius-Hengste trugen sie ruhig immer weiter den steilen Pfad hinauf, tiefer und tiefer in die Baum besetzten felsigen Gebirgszüge der Karpaten hinein.

 

*

( - … - )

In einem der abgehenden Tunnel in den verzweigten Gängen

von Raum und Zeit hatte sich ein Zugang zu einer anderen Dimension geöffnet. Ein Wesen aus uralten Zeiten hatte dies vermocht nachdem der anziehende Geruch einer neuen Welt zu ihm durchgedrungen war.

Das monströse tiefschwarze, mit leuchtenden grünen Symbolen auf seiner echsenartigen Haut versehene Wesen, bewegte sich auf allen Vieren vorwärts zu dem leuchtenden offenen Riss im Hauptgang.

Es war hungrig.

*

 

Chicago, USA, 2008

Vallerie wachte auf als der Mann mit dem seltsamen Geruch ihr in die Seite stieß. Der Duft hüllte sie ein. Er roch wie eine Mischung aus Alkohol und einer Blüte auf deren Name sie nicht kam.Aber sie wusste wie sie aussah. Blau mit kleinen gelben Punkten in der Mitte....

Jetzt sah sie sie, pflückte sie, mit ihren kleinen glatten Händen, roch daran. Dann rief ihre Mutter nach ihr. Das Essen war fertig... Diese Pflanze wuchs zu Hauf an dem kleinen Bach in der Nähe ihres Elternhauses.

Ihre Eltern kamen ihr plötzlich so intensiv in den Sinn wie seit Jahren nicht mehr. Sie erinnerte sich an alles.Wie sie mit Sechzehn ihr Töchterchen zur Welt gebracht hatte, ein knappes Jahr nachdem ihre Eltern für die Erntezeit den jungen Knecht bei sich aufgenommen hatten. Damals wusste sie noch nicht was er mit ihr gemacht hatte in jener Nacht hinterm Haus in der Heukammer. Es war ein schönes Gefühl gewesen, so neu und so verboten. Die Empfindungen hatten sich überschlagen. Plötzlich ging alles sehr schnell. Er hatte die Hose halb herunter gezogen und sich auf ihren Körper gelegt. Eilig hatte er ihren Rock hochgeschoben. Der Knecht,- Zoran hieß er -, wurde ganz hart zwischen seinen Beinen und dann steckte er in ihr drin. Es schmerzte etwas aber sie wollte ihn in sich behalten da sie sich ihm so nah fühlte wie sie noch nie einem Menschen nahe war. Zoran öffnete ihre Bluse zur Hälfte und ließ Valleries feste Brüste hinaus hüpfen. Eine Hand griff nach einer der Beiden, während die andere nach ihrer Pobacke langte.Das

war das aufregendste was sie je erlebt hatte.Er bewegte sich jetzt schnell und heftig in ihr, immer wieder und immer tiefer hinein, fester..., schneller...,und ein paar Sekunden darauf stöhnte er laut grunzend auf und wurde dann zu einem Klumpen Fleisch. Zoran blieb schwer atmend und erschöpft für die nächsten Momente auf ihr liegen.Dann hatte er sich herunter gerollt, ihr einen Kuss auf die Nase gegeben, - was sie sehr süß fand -,und war in sein Schlafgemach verschwunden. Sie hatte geblutet in dieser Nacht. das hatte ihr furchtbare Angst gemacht. Aber am nächsten Morgen war es wieder vorbei gewesen, und sie fühlte sich gut( - Erwachsen - ). Danach trafen sie sich jeden Abend in der Heukammer, wenn die Eltern zu Bett gegangen waren.

Doch eines Nachts hatte Valleries Vater einen unruhigen Schlaf gehabt und frische Luft schnappen wollen.

Als Zoran sich gerade aus ihr zurückgezogen hatte, flog die Tür auf. Ihr Vater hatte sie entdeckt. Er stürmte mit einem groben Eichenknüppel herein und schlug, die schwere Keule mit beiden Händen schwingend, schimpfend und fluchend auf Zoran ein. Der erste Schlag traf seinen linken Unterarm von der Seite. Es knackte verdächtig. Eiligst griff der Knecht mit der anderen Hand seine Kleidern und versuchte den getroffenen Arm schützend vor den Kopf zu halten. Was ihm jedoch nicht gelang, da lediglich noch der Oberarm einen kläglichen Versuch in diese Richtung zu machen. Tausend Blitze aus Schmerz explodierten in seinem Kopf. Schreiend flüchtete er um ein paar Heuballen herum und stolperte hinaus in die Nacht. Zoran ward nie wieder in der Umgebung gesehen.

Ihre Mutter erklärte ihr was geschehen würde, nachdem sie nach einigen Wochen die Veränderungen an und in ihrem Körper gespürt hatte.Sie hatte Glück. Ihre Schwangerschaft verlief sehr entspannt. Es gab keinerlei Komplikationen.

Als ihr Töchterchen zur Welt kam war ihre Freude riesengroß.

Doch ihr Vater wollte sein Gesicht nicht verlieren. Man redete viel und Ehre war ein Begriff der über allem, auch über der eigenen Tochter stand. Daher erfuhr niemand von ihrer Schwangerschaft. Drei Wochen nach der Geburt brachte er ihr Kind heimlich fort. Es wurde kein Wort darüber gesprochen in ihrer Familie. Vallerie wurde bei der Entscheidung über das Schicksal ihres eigenen Kindes, in keinster Weise mit einbezogen. Sie hatte sich zu fügen. Es ging um die Ehre.

Um einen Begriff der von den Menschen die ihn am häufigsten benutzen und sich auf ihn ständig berufen, am meisten falsch interpretiert wird.

Ihr Vater hatte es zu den Ordensschwestern in das kleine Kloster gebracht. Und diese „Schwestern Gottes“ nahmen und behielten ihr Kind, weil es jetzt ein Kind Jesu sei, und sie verweigerten ihr als gefallene Sünderin jeglichen Zugang zu dieser Stätte Gottes, wie sie es ausdrückten.

Vallerie weinte jede Nacht und spielte jeden Tag lethargisch ihre Rolle. Fütterte das Vieh, kochte, fegte, schleppte, wusch.

Einige Monate später kletterte sie eines Nachts mit Tränen in den Augen aus dem Fenster ihres Schlafgemachs.

Der Entschluss war einfach von ihr gefasst worden.

Sie spürte es. Ihr Schicksal rief nach ihr.

Sie verstaute das beiseite geschaffte Brot und einen Lederschlauch mit Wasser in ihrer Umhängetasche und schlich sich davon.

Um nie zurückzukehren.

Zu tief war die Wunde in ihrem Herzen. Sie hatte ihr Kind geliebt. Nie würde sie ihren Eltern verzeihen können, denn sie hatten ihr ein Teil ihrer Selbst genommen.

Sie hatte an ein und dem selben Tag, ihr Baby, und ihre Eltern verloren.

Sie war ein Jahr von Ort zu Ort gewandert, hatte sich durch betteln und kleinen Arbeiten über Wasser gehalten.

Eines Tages traf sie Ryan, den alten Schäfer. Sie war ihm im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße gefallen. Ein betrunkener Kerl, dessen abartige Gelüste sie sich weigerte zu befriedigen, schubste Vallerie verärgert so stark, dass sie auf der Straße in den Dreck fiel.

"Holla! Mann, hat dir Mutter nicht gelernt wie man eine Frau behandelt? Nimm dich zurück!" hatte Ryan ihm, mit einem seltsamen Akzent, an den Kopf geworfen und sich ihm in den Weg gestellt.

Noch nie hatte sich ein Mensch für sie jemandem in den Weg gestellt.

Der Schäfer war ein kräftiger uriger Kerl, vielleicht Mitte Fünfzig. Seine Augen waren wach und fordernd, ohne Angst. Seine Statur wirkte auf Anhieb nicht sportlich, aber seine Körperspannung ließ geschulte Augen wachsam sein.

"Was gehts dich an Alter? Ich mach mit dem Weibsstück was mir gefällt! Klar?!" erwiderte der Fiesling und wollte nach ihrem hübschen roten Haarschopf greifen um sie nach oben zu ziehen. Ryan ließ blitzschnell seinen Hirtenstab, den er halb hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte, auf die Hand des Mannes niedersausen. Erschrocken schrie der Kerl auf und zog sie ruckartig zurück, nahm aber sogleich wutentbrannt eine Angriffsstellung gegenüber dem Schäfer ein. Der wiederum hielt den Stab weiterhin fest in beiden Händen und fixierte den Kontrahenten mit starrem Blick. Dies und das furchteinflößende Knurren von Borzas, seinem treuen Herdenschutzhund mit dem Braun-Schwarz-Grauen Fell,der sich soeben aus einem Schatten am Boden aufrichtete, bewegte den Angreifer schließlich dazu mit einer abwertenden Handbewegung den Schauplatz fluchend zu verlassen.

Ryan half Vallerie auf, wobei der massige Carpatin Borzas ihr Gesicht abschleckte. „Sieh einer an.“ lachte der Schäfer. „ Wenn Borzas dich so sehr mag, musst du ein guter Mensch sein. Borzas kennt sich da aus. Und er mag nicht viele Menschen, glaub mir.“ Vallerie stand wieder. Sie grinste und erwiderte, zu Borzas gewandt „ Bist ein kluger Bursche.“ Sie tätschelte seinen dicken Schädel. Sie bedankte sich bei dem Schäfer und lud ihn ein, mit ihr ein Gläschen Tuika, einen hochprozentigen Zweschgenschnaps, zu sich zu nehmen. Da begannen Ryans Augen zu leuchten.Kurz darauf war Ryan an der Reihe und bestellte die nächste Runde. Nach Zwei weiteren Gläsern waren sie bereits dabei, sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten zu erzählen.

Vallerie erfuhr auf ihre Frage nach dem seltsamen Akzent, dass Ryan vor zwei Jahren von einer Insel namens Irland nach Rumänien gekommen war. Die Armut in seiner Heimat war schon lange Zeit groß gewesen. Doch nun kam noch dazu, dass die gesammte Kartoffelernte im Jahr 1845 von einem Fäulnis-Pilz befallen worden war. Der Hunger wurde größer und größer im Land. Ryan und sein Bruder Sean emigrierten. Sie zog es allerdings nicht wie die meisten anderen ihrer Landsleute zu dieser Zeit und in den nachfolgenden Jahren nach Amerika oder Australien, sondern nach Europa. Sie landeten mit ihren Neun Schafen in Belgien und zogen von dort aus los. Nach drei Monaten ziellosen Umherwanderns gelangten sie nach Rumänien. Die Landschaften hier sagten ihnen so zu, dass sie beschlossen das Land als ihre Wahlheimat anzunehmen. Sein Bruder Sean hatte sich allerdings bald in einem kleinen Ort als Schmied sesshaft gemacht. Ryan aber zog weiter als Schäfer durchs Land. Durch Zucht und Zukäufe war mittlerweile eine Herde von gut vierzig Tieren entstanden.

Ryan fragte Vallerie nach einem weiteren Tuika gerade heraus ob sie nicht mit ihm und seinen Tieren durch die Lande ziehen wolle. Er hätte endlich jemanden zum erzählen wenn er des Abends am Feuer saß und sie hätte einen väterlichen Beistand und Freund. Sie könnte ihm die Landessprache besser beibringen und er würde ihr dafür die englische Sprache lehren. Wobei er immer wieder betonte das englisch nicht seine wirkliche Muttersprache sei, Vallerie jedoch mehr davon hätte diese Sprache zu lernen als das alte Gaeilge, eine Sprache der alten Kelten, dass selbst in Irland kaum noch gesprochen wurde.In den Zeiten des großen Hungerns,wanderten gut ein Drittel aller Iren ins englischsprachige Ausland aus. Auf der Suche nach Arbeit und Brot flohen sie nach Großbritannien,in die vereinigten Staaten, nach Kanada und Australien.Hier wurde ihnen ein neues Leben versprochen. Und für dieses neue Leben war es zwingend notwendig der englischen Sprache mächtig zu sein. Das gälische verschwand. Bis auf die Schimpftriaden und Flüche, die Ryan ausstieß wenn er sich über irgendetwas aufregte.

Vallerie musste nicht lange überlegen. Sie liebte Tiere und die Natur und sie verspürte sofort die väterliche Zuneigung des Schäfers, die ihr ein angenehmes Gefühl der Geborgenheit gab.Bei ihm hatte sie ihren üblichen Argwohn im Nu verloren. Dieser Mann würde sie behüten und beschützen, das hatte sie bereits erfahren. Und er würde sie nicht bedrängen, wie es die meisten Männer taten. Auch das spürte sie. Sie spürte ein seltsam beruhigendes Gefühl von Vertrauen.

Manchmal, ganz selten im Leben hatte man bei einem Menschen sofort so ein Gefühl. Und so einen Menschen sollte man nicht vorüber ziehen lassen.

Es war für sie längst Kismet´, so wie Mutter Balasc sagen würde, als sie freudig „Ja!“ rief und Ryan die Hand entgegenstreckte, um ihre Abmachung zu besiegeln. Aufgeregt wedelnd war Borzas aufgesprungen. Er schien über das ganze Gesicht zu grinsen. Seine Zunge hing lustig wackelnd ein kleines Stück aus seinem Maul heraus. Dann hob er die mächtige Pfote und legte sie auf die beiden schüttelnden Hände. Vallerie und Ryan schauten verdutzt auf Borzas und lachten gleichzeitig los. „Na so ein Glück.“ sagte Ryan lachend. „Borszas ist auch einverstanden, dann steht dem ja nichts mehr im Wege.“ Vallerie prustete, dann hockte sie sich vor Borzas hin und kraulte ihm lächelnd die dickfellige Wange, welche er sofort wohlig,seitlich an ihre Stirn drückte, da sein Kopf den ihren um die Hälfte überragte.ER ließ seine große nasse Zunge einmal über Valleries Kopf gleiten und verpasste ihr damit einen Seitenscheitel. Sie prustete erneut los und erhob sich wieder.“ Danke sehr mein Herr.“ flachste sie vergnügt, „meine Frisur musste wirklich dringend wieder einmal gerichtet werden.“.

Was für ein schöner Tag, dachte Vallerie. Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, das Richtige zu tun.

 

-

Ryan nahm sie unter seine Fittiche und merkte schnell wie gut sie mit den Tieren umgehen konnte. Sie hatte diese, so wichtige ruhige entspannte Art, und war gleichzeitig selbstbewusst und konsequent. Ryan hoffte insgeheim schon eine gute Weile, dass Vallerie sein Erbe annehmen würde, wenn es bei ihm soweit sei sich zurück zu ziehen. Er wurde schließlich nicht jünger und seine Beine würden ihn irgendwann nicht mehr durch so viele Berge und Täler tragen. Er brachte ihr, so gut er konnte,- und das war sehr gut -, alles bei was man als Schäfer wissen musste.

An den langen Nachmittagen, wenn sie beisammen saßen während die Schafe sich über die Gräser und Kräuter der üppigen Wiesen hermachten,und die Sonne langsam hinter den Bergen versank, brachte Ryan Vallerie so gut er konnte die englische Sprache bei. Vallerie ihrerseits erweiterte das Sprachvermögen des Mannes im Rumänischen um ein Vielfaches. Sie lernten schnell voneinander und zogen so sechs Jahre durch die Lande. Die kalten Wintertage verbrachten sie im Dorf und lebten von dem, was sie im Rest des Jahres erwirtschaften konnten. Ryan hatte sogar eine hübsche Summe zurück legen können, für das was dann kommen musste.

Im letzten Jahr hatte Ryan die Wanderungen nur noch mit Mühe schaffen können. Er hatte Vallerie nichts gesagt, sich zusammen gerissen. Doch er wusste, dass dieser Sommer sein letzter in den Bergen gewesen war.

Eines Abends, als sie gemeinsam bei einem Glas Branntwein saßen,eröffnete er ihr endlich aufgeregt das es nun Zeit sei.

"Zeit wofür?" hatte sie ihn gefragt und er hatte ihr geantwortet. Natürlich war sie schockiert gewesen. Doch Vallerie war klug, und sie hatte eine gute Beobachtungsgabe. Sie hatte bemerkt dass Ryan beim letzten Auf- und Abstieg Ein-Zwei mal zu oft gestolpert war,das sein Atem lauter und unregelmäßiger geworden war und sie auf beiden Wegen eine Pause mehr als im Jahr zuvor gemacht hatten. Aber die Entscheidung mit der sie schon gerechnet hatte,( - ... vor der sie Angst hatte - )nun zu hören, ließ ihren Magen in ein ungutes Gefühl hinein rutschen.

Er werde seinen Lebensabend bei seinem Bruder in Debrecen verbringen, erklärte Ryan ihr, nachdem er ihr die zwingenden Gründe erörtert hatte. Er übereignete ihr per Handschlag seine Schafherde und Borzas, der sie liebte und inzwischen besser auf sie als auf ihn hörte, sowie einen Welpen namens Morzsa, den sie erst vor Drei Tagen bei einem befreundeten Bauern gekauft hatten, den er alle paar Monate mit selbst hergestelltem würzigen Schafskäse versorgte.

Sie dankte ihrem Lehrherrn für alles und versprach ihn jeden Winter zu besuchen, was sie auch tat.

Von da an zog sie als eigenständige Schäferin umher.

Sie verkaufte in den Dörfern Wolle, Milch und Käse. Wenn es mal knapp wurde musste sie auch das eine oder andere ganze Schaf zu Geld machen. Von Frühling bis Herbst schlief sie draußen mit ihren beiden Hunden bei ihrer Herde. Die kleine Morzsa machte sich gut. Vallerie und Borzas bildeten die Kleine gemeinsam aus. Sie rechnete damit, dass Borzas und Morzsa ihr sicher noch einen Wurf bescheren würden.Darauf freute sie sich.

Nur im Winter zog sie sich in die alte Scheune am Fuß der Berge, ein Stück ab des Dorfes zurück.Manchmal schlief sie in der Taverne, wenn der Frost ihr zu sehr in die Glieder kroch, aber meist blieb sie auch hier bei ihren Tieren. Mit ihnen kam sie immer am besten klar. ( - ...Menschen wie Ryan gab es nicht viele... - ) Außerdem war eine überdachte Scheune mit duftendem Sommerheu und Stroh, ein feines Hotel im Gegensatz zu einem Zelt an einem stürmischen Hang. Sie kannte jede Pflanze, jeden Stein und die unterschiedlichen Böden. Das Wetter roch sie zwei Tage bevor es bei ihnen ankam.Sie lebte im Einklang mit der Welt.Und je weniger Menschen darin vorkamen, desto besser. Was sie aber nicht zu jemand machte, dem andere egal sind. Im Gegenteil. Ihre Vergangenheit hatte sie hart, aber empfindsam für Ungerechtigkeiten gemacht. Und wenn jemand Hilfe brauchte, sah sie nicht weg.

Sie war glücklich gewesen, auch wenn sie immer mal wieder an ihr Töchterchen denken musste. Was wohl aus ihr geworden war... Ob sie glücklich war? Das war ihr wichtig. Nur das...

 

-

 

...Nun hatte sie viele verschiedene Gerüche in der Nase, doch keiner außer dem der Blüte kam ihr auch nur im Entferntesten bekannt vor.

Wieder stieß der Mann sie an.

"Hey! Wach auf!" fuhr er sie an.

Sie öffnete die Augen zur Hälfte. Es fiel ihr immer noch schwer. Er löste Fesseln auf einer Seite. Als ihr linker Arm frei war schlug sie augenblicklich nach dem unverschämten Kerl. Aber sowohl ihr Geist, als auch ihre Muskeln liefen noch mit sehr geringer Geschwindigkeit. Er fing ihren viel zu schwachen Schlag mit einer Hand ab und erwiderte ihn mit einem gezielten Faustschlag in die Nierengegend. Sie schrie auf. In ihrem Kopf hatte jemand gerade eine Wunderkerze angezündet. Die hellen Sternenblitze prasselten stechend gegen ihre Schädeldecke. Alles in ihr zog sich krampfhaft zusammen und sie rang verzweifelt mit nun wie von Zauberhand weit aufgerissenen Augen nach Luft.

"Auf mit dir!" schrie er sie an und zerrte sie nach oben. Er öffnete die restlichen Knoten.

Dann schubste er sie durch den Raum in Richtung der Zweiten Tür. Sie stolperte und landete schräg an der Wand, wo sie zu Boden gegangen wäre, wenn der Mann sie nicht so brutal fest am Oberarm gepackt hätte, dass sie erneut aufschreien musste. Er zog sie hoch, öffnete die Tür und schob sie hindurch.

"Geh pissen und mach dich frisch Schätzchen. Du bekommst gleich Besuch! Und wenn du irgendeine Scheiße abziehst prügel ich dich persönlich windelweich!" zischte er und knallte die Tür hinter ihr zu.

Vallerie sah sich in dem fensterlosen Raum um. Ein erstaunlich klarer Spiegel hing an der Wand vor ihr.Sie sah grauenhaft aus. Überall hatte sie Risse und Wunden, verkrustet oder noch blutend. Hämatome bedeckten ihr Gesicht,ihre Arme und Beine. Würde sie sich nackt ausziehen würde man die Farbenvielfalt ihrer Bluse trotzdem überall auf ihr wieder finden. Unter dem Spiegel war ein Becken mit einem Metallrohr befestigt aus dem wohl Wasser laufen sollte, dachte sie sich. Doch sie fand nirgends einen Hebel zum Pumpen. Neben dem Becken befand sich ein seltsamer Stuhl mit einer Klappe. Sie ahnte schon wofür der wohl war. Ihre pralle Blase hatte sie auf die Idee gebracht. Zaghaft öffnete sie den Deckel in der Vermutung ein tiefes dunkles Loch vorzufinden. Doch das hier sah eher wie ein kleiner Brunnen aus, was sie wieder kurz zweifeln ließ, wofür das Ding sein soll. Sie beschloss nach kurzer Überlegung zunächst ihre hohle Hand einzutauchen und etwas von dem Brunnenwasser zu trinken. Danach wusch sie sich damit ein wenig. Sie trocknete sich mit dem länglichen Tuch, das an der Wand hing ab und setzte sie sich erst dann schnell auf den Brunnen da sie durch das Wasserplatschen während des Waschens beim besten Willen nicht mehr in der Lage war, ihre Notdurft noch länger zurückzuhalten. Sehr angenehm dieser Brunnensitz, dachte sie noch, als es an die Tür hämmerte, ihr Schließmuskel sich instinktiv schreckhaft zusammenzog und sie jäh in die Realität zurück gerissen wurde.

Die Tür wurde aufgerissen.

"Das reicht! Husch husch, zurück ins Bettchen!"

legte der Mann völlig überdreht los ( ...eine kleine Line geht noch...) Er zerrte sie zum Bett, während ein paar Tropfen Urin auf den Bodenfliesen des Bades und dem Teppich

des Zimmers landeten. Vallerie hatte den Rock noch halb herunter gelassen und versuchte diesen nun noch schnell ganz hinaufzuziehen. Doch der Kerl haute ihr grinsend auf die Finger mit den drohenden Worten:

"Das kannst du dir sparen." Er begann damit ihren roten Rock komplett herunter zu reißen. Vallerie versuchte sich zu wehren, doch sie war noch zu schwach und bei jedem Versuch hagelte es wieder ungezielte Faustschläge in alle Körperregionen. Der Mann zog sie komplett aus und warf sie aufs Bett. Anschließend fesselte er sie erneut, sodass sie breitbeinig vor ihm lag und sich nicht mehr rühren konnte. Er beugte sich ganz dicht zu ihr hinunter und sah sie ernst an. Dann spürte sie einen seiner Finger in sie eindringen. Es tat weh, nicht sehr, aber trotzdem lief ihr jetzt eine Träne über die Wange. Sie hatte Angst und gleichzeitig war ihr kotzübel. Doch er zog den Finger schon wieder hinaus. Den Blick nicht von ihren Panik geweiteten Augen lassend, führte er den Finger an seine Nase und sog den Geruch tief in seine Nasenlöcher hinein. Er ließ ein boshaftes Grinsen seine Lippen umspielen. Vallerie zitterte jetzt. Plötzlich verzog sich das fiese Grinsen wieder und er zog ein Röhrchen mit einer Nadel aus seiner Tasche. Ihren Arm mit eisernem Griff umklammernd, klopfte er einige Male auf ihre Armbeuge und stach die Nadel hinein. Es brannte kurz und heftig und als die Welt um sie herum augenblicklich zu schwimmen begann, hörte sie ihn noch wie unter Wasser sagen:

"Sei nett zu deinen Besuchern, dann bin ich auch nett zu dir. Ready bringt dir später auch was zu Essen und ein neues Spritzchen mit ner Ladung feinstem verficktem Glück."

Vallerie nahm alles nur noch wie durch einen Schleier wahr und irgendwie verspürte sie tatsächlich ein Gefühl von ungeheurer Freude und Glück.Sie begann selig zu lächeln und flog davon... .

 

*

 

Rumänien, 1847

 

Josephiné lief unablässig in ihrem Gefängnis auf und ab.

Der Raum war kalt. Gänsehaut überzog ihre freien Arme. Sie hatte ein Bett mit bequemer Matratze weichen grünen Kissen, zwei Stühle, von denen der eine immer noch an der Wand lag, einen kleinen rechteckigen Tisch und sogar eine Kommode mit einer Goldverzierten Waschschüssel. Die Möbel waren allesamt im Biedermeierstil. Sie waren sorgfältig gearbeitet und edel gestaltet. Dunkles Nussbaumholz mit poliertem Schellack und reich verzierten Messingbeschlägen. Grüne Samtvorhänge schmückten die vergitterten Fenster und ein ausgesprochen gut geknüpfter Orientteppich war vor dem Bett ausgerollt.

Josephine war verzweifelt. So hatte sie sich ihre Rettungsaktion nicht vorgestellt. Sie war ziemlich sauer auf ihre Schwester. Ja, regelrecht wütend. Ihr Sturkopf hatte sie alle in eine fürchterliche Lage gebracht.

"Das hat du fein hingekriegt Schwesterchen! Und alles nur weil du nicht akzeptieren kannst dass manche Dinge eben den Männern vorbestimmt sind!" murrte sie verärgert vor sich hin.

Von der Tür, über den Teppich, vorbei am Bett, bis zum Fenster, und den selben Weg zurück.

Die Hände zu schmerzenden Keulen verkrampft, schritt und schimpfte sie weiter.

Das Geräusch näher kommender Schritte vor der schweren Eichentür drangen plötzlich an ihr Ohr. Sie blieb abrupt stehen und lauschte angespannt. Ihr Blick und die Ausrichtung ihres Hörvermögens, konzentrierten sich auf die Tür. Ein Scharren und Kratzen ertönte und es öffnete sich eine Klappe an ihrem Fuß.

Schnell wurde ein Blechnapf mit irgendeinem hellen Brei, wahrscheinlich Grieß, und einem Löffel der darin steckte hinein geschoben. Ein Becher mit Wasser folgte, wobei der „Kellner“ die Hälfte des Inhalts beim groben hineinschieben des Bechers verschüttete. Die Klappe ging knallend wieder zu und die Schritte entfernten sich schnell.

Immer noch voller Wut nahm Josephiné den Teller auf um ihn gleich darauf mit Schwung gegen die verschlossene Tür zu schleudern. Einen Teil der Ladung auf dem Flug Richtung Tür abwerfend, wie Bomben oder Fallschirmjäger über dem Zielgebiet, flog die Hundertste Airmobile-“Grießbrei“-Division ihren Angriff auf Saigon, wie Ready jetzt sagen und dann in lautes Gelächter verfallen würde. Der Flug endete krachend an der Steilwand namens „Tür“ und das blecherne Fluggerät landete Scheppernd auf dem Steinoden, wo es noch Drei Umdrehungen lang einen klingelnden Kreiseltanz aufführte. Der Brei, der sich an der Tür festzuhalten versuchte,ergoss sich zäh über das Holz entlang bis hinab zum Fußboden. Sie hatte bereits den Becher in der Hand um damit ebenfalls zum Wurf anzusetzen. Im letzten Moment besann sie sich jedoch. Langsam nahm sie die leicht zitternde,schon erhobene Hand wieder hinunter. Die Vernunft sagte ihr das es klüger wäre die einzige Flüssigkeit die sie hier zur Verfügung hatte zu bewahren.Woher sollte sie wissen wann dieser...Mensch wieder käme.

 

*

 

 

In den Karpaten.

 

"Was haltet ihr von einer Rast, Elise?" fragte Drago vom Rücken seines Pferdes aus. Er wand sich ihr zu.

"Meine Schwester braucht zwar dringend Hilfe, aber wenn ihr eine Pause braucht legen wir meinethalben eben eine kurze Rast ein." erwiderte sie, ein wenig hochmütiger klingend als sie es vorgehabt hatte. Insgeheim war sie heilfroh über diesen Vorschlag. Sie war hungrig und ihr Hinterteil fühlte sich nach dem ungewohnt langen Ritt wie rohes Fleisch an.

An einer kleinen Anhöhe stiegen sie ab und banden ihre Pferde an einen Baum. Auf einem kleinen Felsvorsprung aus Schiefer setzten sie sich nieder und Drago öffnete das Bündel, das Maria ihnen mitgegeben hatte.Plötzlich erblickte Elise einige Meter vor sich, unter einem großen Ginsterbusch eine Katze.Eine grau getigerte schlanke Katze. Mit großen Augen schaute sie direkt in Elises Gesicht. Dann rasch zur Seite. Sie schaute zu ihr zurück und zwinkerte. Elise Herz machte einen kleinen Hüpfer. Sie stupste Drago sachte an und deutete, nachdem er zu ihr hinüber gesehen hatte, mit einem Finger verstohlen in Richtung des hübschen Tieres. Drago hockte sich ganz langsam hin und rutschte sachte ein kleines Stück nach vorne.

„Uh!“ entfuhr es ihm urplötzlich. Er spürte einen unangenehm ziehenden Boxhieb in seine Seite. Genau da wo die rechte Niere saß. Elise zischte so leise es ihr möglich war um es noch drohend genug klingen zu lassen: „Tu ihr nichts!“

Empört wand Drago seinen Kopf zu ihr um. Er verzog angewidert das Gesicht. „Was zum...?!Wieso glaubt ihr sollte ich ihr was tun?!“ herrschte er Elise im Flüsterton an. „Greift die Bestie mich an? Fletscht sie die Zähne? Schlägt sie mich? Wie gewisse andere Anwesende? Also warum sollte ich ihr was tun?“ fauchte er ihr mit fragendem Blick entgegen. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Drago langsam wieder in Richtung des Ginsterbusches. Die Katze stand nach wie vor da und blinzelte. Drago blinzelte zurück und schaute demonstrativ zur Seite.

„Wäre ja möglich gewesen..., das ihr...,“ begann Elise erneut vorsichtig nachzulegen. „...sie essen wolltet.“ flüsterte es von hinten in Dragos Nacken, dessen Haare sich nun rebellisch aurichteten.

Drago ließ den Kopf sinken. „Nein Madammä!“ begann er, absichtlich falsch betont. „Ich esse keine Katze. Und auch keine Hunde!...Hin und wieder ein Menschenkind. Natürlich! Gerne!So sind wir wilden rumänischen Waldmenschen nämlich, müsst ihr wissen. Am liebsten sind mir pausbäckige Mädchen die sich im Wald verirrt haben, und die zu dumm...“

„PAUSBÄCKIG!!!?“ Schrie Elise mit in die Hüften gestemmten Fäusten, und lief augenblicklich knallrot an.

Die Katze hatte sich mittlerweile in dem Ginsterbusch auf ihren Hintern gesetzt, hielt eine ihrer Hinterpfoten senkrecht neben ihrem Kopf in die Höhe gereckt und bearbeitete es mit ihrer Raspelzunge. Interessiert verfolgte sie dabei mit ihren Augen das Geschehen. Bei „Pausbäckig!“ hielt sie kurz in ihrer Putzaktion inne und schickte ihren Blick eine Weile erwartungsvoll wie ein Zuschauer bei einem Tennismatch in Wimbleton, zwischen den beiden Kontrahenten hin und her.

„Was denn?!“ gab er ebenso laut zurück. Dabei schaute er Elise für einen langen Moment sehr tief in ihre (...bezaubernden...) braunen Augen. „ ...was ich persönlich wirklich sehr...süß finde,...wollte ich noch anfügen.“, stammelte er, sah sie dabei jedoch ganz offen an. (Er hatte etwas gesehen. - Nicht nur mit seinen Augen -)

Elise errötete noch mehr. Diesmal nicht vor Wut und Scham, sondern vor peinlicher Berührtheit.

Von der Sorte die einem warm ums Herz werden lässt.

Sie schaute zu Boden..., und wäre fast vor Schreck in die Luft gesprungen und hätte laut aufgeschrien.Statt dessen zuckte sie nur ordentlich zusammen, und beide brachen in befreiendes Gelächter aus. Chou Chou streifte weiter sorglos um Elise Beine herum. Als sie mitbekommen hatte, dass sich keiner der beiden mehr für sie interessiert hatte, war sie einfach unbemerkt an dem Jäger vorbei stolziert und hatte sich neben Elise gehockt. Schnurrend rieb sie ihren Kopf nun an Elises Wade. „Mrau?“ sagte sie und sah Elise fragend an. ( - Zwinker - ).

„Chou Chou.“ trällert Elise und strahlt über das ganze Gesicht. Meine kleine Chou Chou. Elise war völlig aus dem Häuschen.

Das hier hatte nun wirklich rein gar nichts mit ihrem wissenschaftlich geschulten, logischen Weltbild zu tun. Aber das war Chou Chou,daran gab es keinen Zweifel und das war ihr Traum gewesen, und deshalb glaubte sie, dass es doch noch etwas anderes geben musste. Dinge, Ereignisse, die sie NICHT wissenschaftlich erklären konnte. Das war neu... .

„Ist das deine Katze?“ riss Drago sie völlig verdutzt aus ihren Gedanken. „Ja.“ antwortete Elise ohne zu zögern.“Das ist die gute Katze...“ (..das ist die gute Frau...) „..aus meinem Traum.“ (...aus meinem Traum...). Elise hockte sich hin. „Nicht wahr Chou Chou? Meine Chou Chou.“ Der kleine graue Tiger stieg mit den Vorderpfoten auf ihren Oberschenkel, reckte ihr Köpfchen nach oben und berührte damit Elises Stirn.

Drago schüttelte den Kopf. „ Wir haben jetzt also eine Katze die mit uns reist. Auch gut, soll mir recht sein. ich wäre euch nur sehr verbunden, wenn ihr eventuelle weitere Haustiere vorzeitig anmelden würdet. Nicht das ich morgen früh über einen Hund oder einen meckernden Ziegenbock stolpere.“ Er blieb stehen und wartete anscheinend tatsächlich auf weitere Ankündigungen.

„Schließlich ließ sich Elise darauf ein und antwortete: „Nichts weiter mehr als einen wirklich netten Bären und einen... hässlichen kleinen Gnom. Sie musste an Jean de Focard denken und prustete los. Drago wusste zwar nicht was sie meinte, lachte aber mit.

Einfach weil es schön war, mit ihr zu lachen.

„Ich kümmere mich ums Essen.“ sagte er und packte alles aus.

Elise atmete tief durch und genoss den Ausblick auf ein großes mit Kiefern bewachsenes Tal. Ein Schmetterling flatterte herbei und ließ sich auf einer späten Blüte nieder. Ihre geschlossenen Flügel waren strahlend weiß. Als Sie sie öffnete konnte Elise alle Farben des Regenbogens auf ihr schimmern sehen. Es war der schönste Schmetterling, der je die zarten Flügel flattern ließ im Wind. Elise betrachtete ihn verzückt. Wie gerne hätte sie die zarte Schönheit für immer bei sich gehabt. Aber Schmetterlinge konnte man nicht festhalten. Ihre Flügel zerfielen dann zu Staub. Man muss sie lassen... . „Flieg kleiner Schmetterling, „ flüsterte Elise, „ flieg so hoch du kannst.“ Chou Chou hatte sich neben ihr lang ausgestreckt und krallte mit halb geöffneten Augen an ihrer Wildlederhose.Sie betrachtete ebenfalls den hübschen Schmetterling. Sie hatte dabei allerdings weniger friedliche Gedanken. Wäre er etwas weiter unten umher geflattert, wäre Chou Chou ihm gerne mit schnappenden Pfoten, hinterher gehüpft. So viel „Spiel“-Trieb hatte sie trotz ihrer guten Zehn Jahre noch. Doch sie war definitiv aus dem Alter raus, indem sie sogar noch Schmetterlingen und anderen geflügelten Insekten in mehr als Fünf Meter Höhe, völlig sinnlos hinterher sprang. Sie wand ihren Blick ab und putzte sich lieber ihre linke Vorderpfote.

Ein kleiner Fluss schlängelte sich gemächlich, weit unterhalb ihrer provisorischen Tafel, zwischen dem Nadelwald und dem Schiefermassiv auf dem sie sich befanden entlang.

Iliana hatte ihnen einige gute Sachen eingepackt. Drago hatte inzwischen aufgetischt. Ein Laib Brot, zwei Eier, ein großes Stück geräucherter Schinken, eine dicke Zwiebel sowie fünf lange rote Peperonis. Drago holte sein großes Jagdtmesser aus der Lederscheide, die an seiner Hose befestigt war, und schnitt von allem etwas auf und sie griffen beide hungrig zu.

"Was sind das für Früchte, die ein wenig wie Bohnenschoten aussehen?" fragte Elise auf die Peperonis deutend.

"Oh, das sind Peperoni. Wachsen die nicht in eurem Paris?" antwortete er stichelnd.

"Nein solche roten Bohnen wachsen nicht in meinem Paris!"

gab sie, die eine Hälfte der Oberlippe nach oben ziehend,halbherzig anklagend zurück.

"Eigentlich sind es keine Bohnen. Eher Paprika. Allerdings viel viel schärfer. Wenn ihr sie nicht kennt, würde ich euch davon abraten sie zu verspeisen."

"Ihr denkt wohl, das feine Fräulein aus der Stadt verträgt eure tollen Paprika-Peperodis nicht. Die tolle Iliana verträgt die sicher ohne Probleme, die ist ja auch von hier und nicht so verweichlicht wie ich. Nicht wahr?!"

"Na ja, sie sät sie. Sie erntet sie. Sie isst sie von Kindesbeinen an, wie alle hier. Für uns ist das ..."

Drago verstummte und starrte Elise entgeistert an als er sah, wie sie sich blitzschnell eine der roten Schoten schnappte und bis zur Hälfte abbiss. Sie kaute drei Mal, vier Mal, schluckte und biss ein weiteres großes Stück ab. Dann stockte sie. Schlagartig wandte sie ihren Kopf zur Seite und betrachtete erneut das herrliche Panorama. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie fühlte eine heiße Röte in ihren Kopf aufsteigen. Ein nie gekannter brennender Schmerz explodierte in ihrem Mund.

" Draägo..." krächzte sie, hustete und setzte erneut an. Diesmal versuchte sie ihre Stimme etwas besser unter Kontrolle zu bringen, ohne ihn jedoch anzusehen.

"Könntet ihr mir kurz den Schlauch mit dem Wasser reichen?"

Sie streckte einen Arm blind in Dragos Richtung, während sie versteckt die Reste der Peperoni in ihre andere Hand spie und unauffällig fallen ließ.Ihr Kreislauf rotierte eine Nummer zu schnell. Ihr wurde schummrig.

Drago reichte ihr, krampfhaft bemüht ein Schmunzeln zu unterdrücken, das Wasser. Sie trank, stellte aber stöhnend fest, dass ihr dies keine wirkliche Linderung erbrachte.

Immer noch schwitzend, die Nase hochziehend sah sie ihn schließlich leidend an.

"Gut, ich gebe es zu. Das ist ein wenig zu...würzig für meinen Geschmack." Ihre Augen waren von etlichen rot lodernden Adern durchzogen. Das unsichtbare Feuer in ihrem Mund wütete ungebremst weiter.
"Drago grinste.

"Macht euch nicht lustig! sagt mir lieber wie ich es lindern kann. Das Wasser hilft nur solange es nicht geschluckt ist. Den ganzen Beutel könnte ich leeren und mehr. Ich habe das Gefühl, als kämen jeden Augenblick Flammen aus meinem Mund."

"Wartet ab bis es euch morgen zur Notdurft treibt. Das Gefühl wird sich dann an anderer Stelle eures Körpers wiederholen." sprach Drago und reichte ihr ein großes Stück trockenes Brot.

"Hier kaut das. Das hilft."

Elise wollte gerade erschrocken auf die unerhörte Erläuterung über ihre Notdurft eingehen, besann sich jedoch. Einmal um von diesem unangenehmen Thema abzukommen und zum anderen, da sie sich den ganzen Mund voll mit dem Brot gestopft hatte und gar nicht mehr reden konnte, ohne das pappige Brotstücke wie Geschosse durch die Gegend schießen würden. Endlich spürte sie eine Erleichterung. Das Brot half und langsam erloschen die Flammen in ihrem Mund.

Nach einigen Minuten hatte sich Elise wieder gefangen und aß noch etwas von dem Schinken mit Brot und einer dünne Scheibe Zwiebel. Kopfschüttelnd sah sie dabei Drago zu wie er den Rest der Zwiebel wie einen Apfel verzehrte. Die Eier verspeiste er beide. Nachdem Elise erfahren hatte das diese roh waren, hatte sie ihm die Eier gerne zum Verzehr überlassen. Schulterzuckend bohrte er mit seinem Messer ein kleines Loch in die Ober- und Unterseite und saugte die Eier aus. Chou Chou bekam auch Schinken und sie knabberte die Eierschalen zum Nachtisch auf.

Elise hatte eine ihrer Satteltaschen frei gemacht. Was bedeutet das sie den Inhalt einfach an den verdutzt glotzenden Drago weiter gegeben hatte, der jetzt sehen konnte wohin damit.

Schließlich packten sie alles zusammen, bestiegen ihre Pferde und ritten weiter den schmalen Pfad Richtung Südosten entlang. Chou Chou beobachtete aus der Tasche heraus ein paar Vögel, die im Morgenlicht Kapriolen schlugen.

Elise schaute auf Drago, wie er vor ihr her ritt.So ungehobelt er auch sein mochte, irgendetwas faszinierte Elise an diesem Mann. In Paris hatte sie natürlich mit ganz anderen Männern zu tun. Wohlerzogene Bekannte ihrer Eltern. Sicher hatte sie, wenn sie aus Neugierde schon mal in Viertel gelangte in denen sie sich eigentlich nicht herumtreiben durfte, aus sicherer Entfernung auch rüpelhafte Kerle gesehen. Nase rümpfend hatte sie diese in den sogenannten Banlieues´, den ärmeren Wohngegenden, beobachtet .

Aber keiner von ihnen war vergleichbar mit Drago.

Sicher, er sah gut aus. Aber auf eine eigentümliche Weise, weckte dieser Mann Elises Interesse noch. So wie es bisher niemand vermochte. Sie fühlte sich sehr zu ihm hingezogen.

Ihr Bauch zog sich zusammen.

Wohlig.

 

*

 

Chicago, USA, 2008

 

Vallerie fühlte sich gut. Richtig gut. Die große Euphorie, die sie erlebt hatte gleich nachdem der Mann sie gestochen hatte war zwar vorbei, aber sie fühlte sich toll. Alles war so leicht. Ihre Fesseln störten sie kaum noch und als die beiden Männer den Raum betraten, musste sie einfach so loslachen. Die Männer zogen sich aus und unterhielten sich während sie Sie gierig anglotzten.

"Na das ist doch mal ne geile Schnecke!" sagte der eine und grabschte nach einer ihrer Brüste.

"Hey, Jack warte. Diesmal bin ich zuerst dran!Abgemacht ist abgemacht" rief der zweite zornig.

"Ja ja, schon gut!" knurrte der erste Mann zurück.

Der dessen Name sie nicht kannte, kam jetzt zu ihr rüber.
"Na Red Hot Chilli Pepper! Bist du schon feucht?" Ein weiterer Finger wurde in ihre Scheide geschoben, grob, noch

grober als vorhin. Aber es war ihr seltsam gleich, machte ihr nichts.

"Nu mach schon. Die kriegt doch eh nicht mit was abgeht. Die ist total zugedröhnt!" meldete sich Jack zu Wort. Er starrte in ihre Stecknagelkopfgroßen Pupillen.

"Hetz mich nicht!" erwiderte der Kerl ohne sich umzudrehen, der nun einen Zweiten, und schließlich den Dritten Finger grob in sie hineinschob. Er zog die Finger wieder hinaus und holte eine kleine schwarze beschriftete Flasche hervor, öffnete sie und presste einen durchsichtigen Schleim heraus, strich ihn sich auf den Finger und wanderte wieder zwischen ihre Schenkel. Er tauchte kurz ein und war Sekunden später auch schon mit seinem harten Penis in ihr. Kräftig stieß er wieder und wieder zu. Dabei presste er eine Hand auf Valleries Mund. Sie kam kurz aus den Kellern ihres Geistes, um festzustellen dass sie keine Luft mehr bekam. Die Hand legte sich immer fester um Mund und Nase. Valeries Augen waren so weit aufgerissen, wie es in ihrem breiten Zustand möglich war. Ihr Gesicht wurde knallrot. Der Mann lächelte boshaft verzückt. Er stieß fester zu, und stöhnte dabei immer heftiger. Valleries Gesichtsfarbe ging in einen gefährlichen Blauton über. Ihre Augen quollen jetzt aus den Höhlen. Der Mann schrie jauchzend auf als er, kurz bevor Vallerie die Besinnung verlor in sie hinein spritzte. Endlich verschwand die schwere Hand von ihrem Gesicht und Gott sei Dank auch der Mann der sie gerade fast umgebracht hätte. Ein paar Schweißtropfen tropften auf ihren Bauch und perlten an ihm hinab. Aber das war, so eklig es auch ist, momentan Valleries geringstes Problem. Trotz ihres Rausches, war ihr das soeben klar geworden.Keuchend hustete Vallerie sich, nach Luft ringend, wieder ins Leben zurück.

Jetzt war Jack an der Reihe.

Jack war ein Geizkragen, genauso wie sein neuer „Freund“ Chuk. Er hatte ihn über ein nicht ganz legales Internetforum kennen gelernt.Seine Ausflüge in die Sado-Maso Szene hatten ihm irgendwann nicht mehr gereicht. Er brauchte den Kick. Den Kick wenn es kein Safe-Wort gibt, das dem Sado-Part sagt: STOP, ich möchte abbrechen. Wenns zu heftig wird.

Jack hatte das Safe-Wort einmal „überhört“ und er war sofort raus aus der Szene. Aber es gibt viele wie er. Chuk beispielsweise. Und Ready. Tja, und da er und Chuck sich die Kosten für Readys ganz besondere Mädchen teilten, konnte er sich dank seiner Managerposition bei der Bank, einmal im Monat ein wenig straffreies Vergnügen gönnen. Aber er musste auf Chuck aufpassen. Das war gerade schon wieder sehr knapp. Die Geschichte mit der dürren Polin sollte sich möglichst nicht wiederholen. Auch wenn Chuck die Mehrkosten getragen hatte. Wenn sie starben brachte das nur Ärger und Kosten. Es war umständlich und nervend. Das war der Grund warum er Chuck im Auge behielt. Nicht etwa weil ihm etwas am Leben der Mädchen lag. Jack stand auf Schläge, er freute sich wenn sie flennten und wenn sie bluteten. Deshalb gefiel ihr die Schlampe hier jetzt schon. Er hatte die Hose bereits ausgezogen und seinen Schwanz hoch gewichst, als Chuck es ihr besorgt hatte. Jetzt rammte er sein Ding in sie und begann gleich sie zu nageln. Wie eine Maschine ratterte er in ihr. Dabei schlug er ihr mit beiden flachen Händen unaufhörlich ins Gesicht und auf ihre Brüste. Ihr Gesicht und ihr Busen fing Feuer. Vallerie sah für einen kurzen Moment tatsächlich Flammen aus ihrem Körper aufschlagen. Ihre Lippe platzte auf und ließ sie den metallenen Geschmack auf der Zunge spüren. Jack rammelte wie ein Karnickel, so heftig und schnell, dass das gesamte Bett sich Milimeter für Milimeter auf die Wand zu bewegte. Er kam. Ohne ein Laut. Er reckte nur hechelnd wie eine Schwangere in den letzten Wehen, den Kopf in die Luft, und ließ sich dann wie ein Sack auf sie fallen. Keuchend atmete es in Valleries Ohr. Natürlich musste es der Mann der beiden sein, der gute Hundertzehn Kilo wog, der sich nun auf ihr ausruhte. Wieder wurde ihr die Luft abgedrückt, und wieder roch sie etwas. Diesmal war es ein herberer Duft, gemischt mit derbem unangenehmen Schweiß.

Vallerie ertrug das alles mit einer Gleichmütigkeit die sie sich selbst nicht erklären konnte. Das würgen hatte sie aufgewiegelt, ihren Geist geweckt weil er zu enden drohte. Die Schläge hatten sie fast verbrannt, aber trotzdem hätten noch weitere zehn Männer über sie rüber steigen können. Diese Euphorie in ihr blieb, sie hatte keine Schmerzen und war eh viel zu träge um wirklich reagieren zu können.

Nachdem auch Jack fertig war,und sich von ihr herunter gewälzt hatte, verschwanden die beiden so schnell wie sie gekommen waren.Sie hatten sie benutzt und jetzt ließen sie sie liegen.

Irgendjemand würde „das hier“ schon weg räumen.

Valleries Augen fielen mit einem Mal zu. Sie driftete weg, spürte wie etwas aus ihr heraus lief..., sie schlief ein.

 

-

 

Als sie erwachte, brummte ihr der Schädel. Sie musste kurz überlegen wo sie war und was geschehen war.

Ihr war übel, und sie war irgendwie ganz...,deprimiert.

Sie fühlte eine seltsame Leere in sich. Ihre Glieder waren schwer. Alles, wirklich alles, tat ihr weh.Jetzt kam die Erinnerung mit Macht zurück.Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Wie ein experimenteller Film, spulte sich das Erlebte, mit vielen abstrusen Schnitten und Toneinspielern vor ihr ab. Ihr fielen Jack und der andere ein. Nun war die Gleichgültigkeit von ihr gewichen. Ohnmächtige Wut erfasste sie. Sie riss und zog an den Fesseln bis ihre Handgelenke rot waren und schmerzten.

"Hilfe!" rief sie.Ein dunkler Mantel aus Verzweiflung umhüllte sie.

Sie würden sie immer und immer wieder benutzen.

Bis sie zu verletzt und zerstört wäre, um ihren Zwecken noch dienen zu können. Sie musste es wenigstens versuchen. Vielleicht konnte sie irgendjemand außerhalb des Hauses hören, und Hilfe holen. Sie schrie noch lauter, "Hiiiilfe!",kreischte sie wie von Sinnen.

Die Tür flog mit solcher Wucht auf, das sie krachend gegen die Wand schlug. Der Türgriff hinterließ eine dunkle Kerbe in der Nikotingelben Rauhfasertapete. Ihr Bewacher stand da, in einer Hand eine seltsamen grünen Flasche mit einem Bild darauf und ein kleines rundes Brot mit Fleisch und Salat darin in der anderen Hand. Von dem Brot tropfte ein Klecks roter Sauce der aussah wie frisches junges Blut. Es war nur etwas dickflüssiger.Der rote Tropfen platschte lautlos auf den PVC-Fußboden ( - „ist leicht sauber zu halten, auch Blut, Kotze und Pisse krigste gut weg. Und du kannst die Scheiße leicht austauschen, is günstig“, hatte Ready sich sagen lassen - ). Das gleiche rote Zeug klebte in seinen Mundwinkeln. Im Hintergrund konnte Vallerie ein zweites Zimmer sehen. Darin stand ein niedriger Tisch mit einer Art Bett mit weicher Rückenlehne aus seltsamen glänzendem blauen Stoff. Was vor dem kleinen Tisch stand lies ihr die Luft schon wieder wegbleiben. Dort befand sich ein Kasten in dem kleine Menschen aufgeregt hin und her liefen. Mal waren diese Menschen so klein wie Insekten. Mal sprang ihr ein Gesicht in normaler Größe schier entgegen. Wie Bilder, aber lebendige Bilder.Die Menschen hatten komische Uniformen an und trugen Helme.

Anscheinend stritten sie sich alle um ein großes braunes Ei, das sie jedoch wenn sie es endlich hatten gleich wieder weg warfen oder danach traten. Sie liefen über ein großes Feld mit Linien. Vielleicht war das auch ein Wettkampf oder ein Spiel. Was auch immer, das musste Magie sein. Wie war so etwas möglich? Wo kommen diese Zwerge und Menschen her und was ist das für eine Zauberwelt in dieser flimmernden Kiste? fragte sie sich. Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen.

"Sagt mal tickst du noch ganz gerade Alte?" schrie der Mann mit hochrotem Kopf wutschnaubend los.Ein paar Bröckchen seines vorhin abgebissenen Burgerstücks, flogen wie Miniaturmeteoriten durch den Raum. Ein kleines Stückchen Gurke landete auf Valleries Unterschenkel und blieb dort kleben. " Noch einen Ton und ich brech dir sämtliche Knochen in deinem verfickten Leib, du verfickte Schlampe!" schickte er rasend vor Wut hinterher.

Die Tür flog wieder zu.

Vallerie wusste zwar nicht was eine Schlampe ist, aber das mit den Knochen hatte sie schon verstanden. Sie bekam echte Angst. Ein Bewacher im Nebenraum, nahm ihr jegliche Chance auf sich aufmerksam zu machen. Tränen rollten ihre Wangen hinab. Ihr Unterleib zog sich schmerzvoll zusammen, zum x-ten Mal. Die beiden waren nicht gerade zimperlich mit ihr umgegangen. Sie versuchte nachzudenken. Einen Weg zu finden.

Ryan hatte immer gesagt „Es gibt immer einen Weg Vallerie. Du musst nur die Augen richtig aufmachen, um ihn zu finden.“

Nach Zehn Minuten kam der Mann wieder herein, in der Hand eine weitere Spritze. Valleries Bauch kribbelte ängstlich. Sie begann sich zu winden, bäumte sich auf.Der Mann erhob drohend seine Faust, und sie wusste das er sie benutzen würde. So lange bis sie sich nicht mehr wehren konnte.

Sie gab auf und lies sich die Nadel in den Arm stecken. Wieder stieg das Glücksgefühl in ihr auf, durchflutete sie, so angenehm, so rein und klar. Für den Moment war alles gut.

Sie war im Licht.

 

-

 

Einige Zeit später verebbten die wohligen Wellen und sie war gerade dabei wegzudämmern, als Geräusche von Schritten in an- und abschwellenden Wellen an ihre Ohren drangen. Bewegen konnte sie sich nicht als die Tür sich ein weiteres Mal öffnete und ein großer schwarzer Mann herein kam. Er entkleidete sich wortlos vor ihrem Bett. Dann kletterte er auf sie herauf und verging sich an ihr.

Dieses Mal hatte sie den Mann wesentlich intensiver gespürt. Plötzlich band er sie los. Sie versuchte sich zu erheben, aber das war gar nicht nötig. Der Mann packte sie und drehte sie mit einem mächtigen Ruck um. Dann band er ihre Arme wieder fest. Nun rückte er sie so zurecht und band sie wieder am Bettgestell fest, dass sie wie ein Hund vor ihm kniete. Jedes noch so leichte sperren gegen seine Maßnahmen, wurden mit Hieben in die Nieren beantwortet. Vallerie schrie auf und musste sich mit einem mal übergeben. Der brutale Mann achtete nicht weiter darauf. Es schien ihm egal zu sein. Er zog ihren Kopf an den Haaren nach hinten. Erbrochenes lief ihr Kinn hinab. Er stopfte ihr einen Knebel in den Mund und holte ein dünnes Seil hervor. Er band es ihr um den Hals setzte sich hinter sie und hielt den Strick wie Zügel. Als nächstes spürte Vallerie das schmerzhafteste was ihr bisher hier und..., ja und überhaupt,widerfahren war.Der schwarze Mann rammte sein großes Gemächt in sie hinein. Aber nicht in ihre Scheide, er nahm den anderen Eingang. Lange und hart, die Zügel fest in seinen Händen, die Sporen gebend, ( -in die Nieren, noch einmal, und noch einmal -) Er war äußerst brutal vorgegangen. Sie hatte das Gefühl, dass alles in ihr zerissen und zerfetzt war. Und irgendwas war es auch, das musste so sein. Sonst wäre da nicht so viel Blut gewesen. Die ganze Zeit, er war lange bei ihr geblieben, und er hatte kein Wort gesprochen. Irgendwann ist ihr Wärter erschienen und hatte den Schwarzen angeherrscht das die Stunde längst vorbei sei und als dieser sich über Valleries Zustand beschwerte, hatte er entgegnet:"Was glaubst du denn was du für die paar Mäuse kriegst?" Jetzt war sie schon soweit verramscht zu werden..., dachte Vallerie halb im Tran, und schlief wieder ein.

 

-

Jetzt war sie wieder alleine. Alles tat ihr noch mehr weh, aber das registrierte sie kaum noch.Sie hatte ein vordringlicheres Problem als „nur“ schreckliche Schmerzen. Plötzlich kam ihr die Erkenntnis, dass die Chancen etwa Hundert zu Eins ständen,das sie hier sterben würde.

Voller Panik begann sie wieder damit an den Fesseln zu zerren. Nach einer halben Stunde hatte sich Blut in die Seilfasern eingearbeitet und das Laken am oberen Bettende rot eingefärbt. Die Haut an den Handgelenken hatte sich aufgelöst und sie brannten wie Feuer. Nicht besser ging es ihren Füßen. Immer wieder hatte sie fast aufgegeben und dann doch wieder den Versuch begonnen ihre Hände zu befreien. Sie drehte und zog, verbog ihre Finger soweit es nur ging.
Bis sie endlich Erfolg hatte.

Die eine Schlinge an ihrer linken Hand rutschte über die Hälfte des unteren Daumenglieds, blieb dort schmerzhaft stecken und rutschte letzten Endes doch noch ganz über den Knochen hinweg. Ihr Herz pochte aufgeregt.Fast hätte sie vor Erleichterung laut aufgelacht. Fast. Hastig band sie die andere Hand mit der nun freien los, und darauf die Füße. Sie zitterte am ganzen Leib.

Käme der Wächter jetzt hinein, wäre sie tot. Da war sie sich sicher.

Nun verharrte sie und lauschte. Es war inzwischen dunkel geworden, die Nacht verfinsterte den Ausblick aus dem Fenster. Sie stand ganz langsam auf und schlich zur Tür, und als sie ein Ohr an sie legte vernahm sie lautes Schnarchen gemeinsam mit dem Gesang eines Chores im Hintergrund. Aufgeregt sah sie durch das Schlüsselloch.

Die Sänger befanden sich in dem Zauberkasten und der Wächter schlief auf dem blauen Bett.

Ganz langsam und leise drückte sie den Türgriff herunter.

Nichts geschah. Die Tür war verschlossen.

Erst jetzt bemerkte sie, das sie immer noch nackt war.

Eilig raffte sie ihre auf dem Boden verstreut liegende

Kleidung zusammen und zog sich an.

Sie ging zu dem kleinen Fenster und versuchte den Griff daran in irgendeine Richtung zu bewegen. Nach einigem hin und her ließ sich das Fenster schließlich tatsächlich von ihr öffnen. Vallerie lehnte sich hinaus und blickte auf einen dunklen Hof drei Stockwerke unter sich.Verdammt hoch..., so ein Mist!

"Ganz ruhig Vallerie!" ermahnte sie sich selbst. "Konzentrier dich. Schau dich um."

Sie betrachtete den Raum um eventuell etwas zum abseilen zu finden. Nichts! Wieder sah sie aus dem Fenster nach unten, nach oben und zur Seite. Da, was ist das?

Auf der rechten Seite, etwa ein Meter neben dem Fenster, verlief ein Regenrohr senkrecht bis zum Hof hinunter.

Vorsichtig stieg Vallerie auf das Fenstersims, hielt sich mit der rechten Hand am Rahmen fest und fingerte mit der Linken nach dem Rohr.

"Mist verdammt!" fluchte sie. Es war zu weit weg. Da fehlten gut zwanzig Zentimeter. Und in ihrem Zustand einen Sprung dorthin zu wagen, wäre mehr als riskant. Sie war bereits jetzt völlig außer Atem.

Plötzlich hörte sie Geräusche aus der Wohnung. Der Chor verstummte. Etwas fiel klirrend zu Boden. "Scheiße!" dröhnte es entnervt aus dem Raum hinter der Tür. Vallerie fuhr es durch Mark und Bein. Sie würde auf keinen Fall zurück in dieses Zimmer steigen. Lieber würde sie sterben. Sie rang nach Luft, bekreuzigte sich, versuchte ihre geschundenen Knochen und ihr immer noch leicht vernebeltes Gehirn in Einklang zu bringen und machte einen Satz nach links.

 

-

 

"Scheiße!" fluchte Ready.

Als er sich schlaftrunken über den Tisch gebeugt hatte um die Glotze auszuschalten, hatte er die Bierflasche umgestoßen. Sie war über den Tisch zur Seite gerollt, hinunter gefallen und auf dem harten gefliesten Boden zerschellt. "Kacke nochmal, Fuck! Verfickter Fuck" setzte er hinzu und begann damit, die Scherben einzusammeln und auf dem Tisch zu stapeln. Er packte sie in die leere Burger-Schachtel und warf diese nicht etwa in den Müll, sondern schob sie nur zur Mitte des Tisches, wo sich schon einige andere Dinge versammelt hatten die eigentlich ganz woanders hin gehörten.

Er rappelte sich auf. Gähnend kratzte er sich zwischen den Beinen.

"Na, wolln mal sehen was Daddys Liebling so treibt." sagte er zu sich selbst und rieb sich die Hände. Er ging zur Tür, zog einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete die Tür.

Sein Kiefer klappte nach unten als er das leere Bett sah.

"Ja hol mich doch der….Diese verfickte alte Schlampe…."

Ready erblickte das offene Fenster und war mit einem Satz da. Weit hinausgelehnt sah er sich gehetzt um."Schlampe, Schlampe, Schlampe." murmelte er vor sich hin und schrie es noch einmal lauthals in die Nacht hinaus:" VER-FICK-TE SCHLAAAAAAAMPE!!!"

Er knallte das Fenster so fest zu, dass sich ein Riss in der Mitte der Scheibe bildete. Er ärgerte sich am meisten über sich selbst. ...halt nein, das stimmte nicht. Natürlich ärgerte er sich am meisten über die blöde Fotzenschlampe. Aber er war nachlässig gewesen, und das konnte er sich nicht leisten. Er hätte das Fenster sichern sollen. Das war dumm gewesen. Eilig rannte er in den ersten Raum zurück, riss eine verschlissene Adidas Sporttasche von einem Schrank herunter und begann damit, seine Habseligkeiten hineinzuwerfen. Er musste weg, und zwar schnell. Ein neues Rattenloch wie dieses würde er schon finden, aber hier konnte er nicht bleiben.

Ready wusste eigentlich gar nicht auf was er am meisten sauer sein sollte. Darauf das die verdammte verfickte Nutte abgehauen war, auf Wesslie der ihm so eine Problemschlampe angeschleppt hatte oder einfach darüber, dass er seine neueste Errungenschaft nicht einmal selbst durchgevögelt hatte. Daran lag ihm nämlich sehr viel. Das musste sein um sie korrekt in seine Sammlung einzufügen.

Die Cops würden nicht lange auf sich warten lassen. Die kleine Schlampe war bestimmt schon auf dem Revier. Er musste sehen, dass er hier schleunigst weg kam.Verfickt noch mal! Verfickte Schlampe!

 

-

 

Vallerie hing wie ein junges Äffchen an einem Ast von fraglicher Stabilität, an dem Rohr und stöhnte. Doch keine helfende Hand am Ende des überlangen Arms einer fürsorglichen Mutter griff nach ihr um sie vor einem bösen Sturz zu bewahren. Ihr Rock war bis obenhin aufgerissen, ein breiter Kratzer zog sich von oberhalb des Knies bis zum Hüftknochen ( - einer mehr, was solls... - ) Viel schlimmer war, dass sie beim Sprung mit ihrem anderen Knie äußerst schmerzhaft an die Hauswand geknallt war. Das hatte eine üble Welle Schmerzen ausgelöst,die nun über sie hinweg rollte und sie all ihre Willenskraft benötigen ließ, nicht einfach kreischen los zu lassen und instinktiv zum Knie zu greifen. Verbunden mit der Vorstellung das ihre Kniescheibe sich gerade in eine Art fleischige Marmelade verwandelt haben musste, - aber Gottlob nur ihre Haltbarkeit bis zum letzten ausgereizt hatte -,hatte Vallerie einiges zu tun, sich wieder zur Ruhe zu bringen. Sie schloss die Augen und atmete. Zwei mal, Drei Mal, Vier Mal. Sie öffnete ihre Augen und biss gleichzeitig entschlossen die Zähne zusammen. Langsam begann sie damit,ihren verkrampften Griff zu lösen und Stück für Stück das Regenrohr hinab zu rutschen. Immer wieder musste sie sich selbst bremsen um nicht den Halt zu verlieren und komplett bis zum Boden durch zu rauschen. Wahrscheinlich würde sie sich beide Beine brechen, würden ihre Kräfte sie jetzt verlassen. Das waren immerhin noch gut und gerne Sechs, Sieben Meter bis zur Straße runter. Ihr Herz galoppierte heftig wummernd bereits um die nächste Ecke, während die restliche Vallerie bei Vier Metern angekommen waren. Sie konnte hören wie oben im Zimmer die Tür ein weiteres Mal gegen die Wand flog. Wäre sie jetzt noch da gewesen, auf dem versifften Bett,nackt, angekettet, dann hätte sie sehen können wie der Türgriff nun einfach seitlich nach unten weg knickte und mit einem dumpfen Klong auf dem Boden landete. Ready selbst hätte in ihr die wahnwitzige Vermutung ausgelöst, er habe sich beim Kuchen backen Mehl in die Nase gerieben.Die weißen Pulverspuren bildeten kleine Kringel um die geröteten Nasenlöcher und zeigten einen fast künstlerischen Kontrast zu dem hochroten Kopf und den ebenso rotädrigen Augen. Ein geschocktes„Fuck!!!“ schoss aus Readys Mund. Etwa Zwei Meter fehlten noch, als sie die Stimme oben im Zimmer, lauter und folglich viel näher am Fenster vernahm."Ja hol mich doch der….Diese verfickte alte Fickschlampe, verfickte!!!" hallte es in einer wütenden Verbalexplosion durch den ganzen Innenhof.Zu sehen war Ready noch nicht am Fenster, aber es konnte sich nur noch um Eine oder Zwei Sekunden handeln, bis er den Kopf heraus strecken und den Hof nach ihr absuchen würde.

"Oh nein!" zischte sie, sah kurz nach unten und ließ sich einfach fallen. Dumpfer Schmerz rollte durch ihre Füße, durch die Beine, passierten das immer noch schreiende Knie, bis hoch in die Wirbelsäule. Die erneute Schmerzwelle aus ihrer Kniescheibe ignorierte sie. Es ging jetzt um ihr blankes überleben. Da war keine Zeit für Schmerz.Mit einem nachfolgenden Satz hechtete sie augenblicklich in eine dunkle Ecke mit Gerümpel, landete mit der Hüfte auf einem harten Gegenstand, biss sich auf die Lippen um einen drohenden Schmerzensschrei zu unterdrücken, was ihr schon aus reiner Gewohnheit, inzwischen sehr gut gelang, und blieb reglos und mucksmäuschenstill liegen.Hastig zerrte sie einen übel riechenden glatten schwarzen Sack über sich und schob die Beine unter ein schräg stehendes Sideboard das nur noch auf einer Seite Füße besaß und hier langsam wegschimmelte.

Am Fenster konnte sie nun, schräg unter dem Müllsack hervorlugend seine Umrisse erkennen.

"SCHLAMPE!!!" schrie er. „Ver-fick-te Schlaaaaampe!!!“

 

-

 

Ready sah sich eine Weile verstört um. Ihm war anscheinend gerade bewusst geworden wie sein Auftritt auf den einen oder anderen Mitbürger gewirkt haben könnte.Den meisten hier war natürlich alles scheißegal. Aber es gab immer irgendeine Omi die in der „Guten alten Zeit“ fest hing und bei jedem Furz die Cops rufen musste. Nur gut das diese Omis langsam ausstarben, und die meisten von ihnen ihren Fernseher so laut stellten dass das ganze Haus Jessica Fletcher oder Miss Marple beim ermitteln zuhören konnten. Es schien niemand von seinem Gegröle Notiz genommen zu haben. Und bisher hörte er keine Sirenen. Er knallte das Fenster mit Wucht zu.

 

-

 

Darauf hatte Vallerie gewartet. Sie hatte nicht viel Zeit. Gut, die Wohnung war ziemlich weit oben gewesen, aber der Mann würde über die Treppen weniger als halb so lange brauchen, als sie über das Regenrohr benötigt hatte. Vallerie rappelte sich sofort auf und humpelte mehr als zu laufen, zu einem etwas heller scheinenden Durchgang hinüber.

Sie schritt hindurch und stand mit einem Mal, wie in einer anderen Welt, inmitten von Menschen die eilig an ihr vorüber liefen, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

Lichter in allen Farben strahlten ihr entgegen. Zwei Männer mit peschschwarzer Haut rempelten sie laut miteinander redend an und gingen einfach weiter. „Hey Jana!“ rief jemand direkt neben ihrem Ohr. Jana kam freudig lächelnd auf den Mann neben ihr zu. „Komm Lilly.“ rief sie ihrer kleinen hellen französischen Bulldogge zu. „Schau wer da ist.“ Auf Bulldoggenart schnaufend und lustig wackelnd stürmte die, so gar nicht wie ein ordentlicher Herdenschutzhund aussehende kleinwüchsige Hundedame auf den Mann zu und warf sich ihm wie ein Geschoss aus Muskeln vor die Beine. Jemand pfiff laut und winkte einer gelben metallenenen, dröhnenden, stinkenden Kutsche ohne Pferde und ohne Kutscher zu, die aber fuhr, und nun anhielt.... Da war doch ein Kutscher, … er kletterte aus dem inneren des Gefährts und schnappte sich den Koffer des pfeifenden, der dann zusammen mit dem Kutscher in das gelbe Fahrzeug hinein stieg. Neben ihr waren überall entlang des Weges riesige Häuser mit großen Glasfronten. Dahinter saßen Menschen die aßen und tranken wie in einer Taverne, hinter anderen schienen Dinge zum Verkauf angeboten zu werden. Alles redete, schrie, klingelte, dröhnte und knallte um Vallerie herum. Lärm und Gestank der ihr schnappend in die Nase biss, hüllte sie ein. Unendlich viele der Kutschen ohne Pferde, jede mit zwei gleißenden Feuern wie Augen versehen, kleine und große mit Kästen, groß wie Schuppen, rollten die größte Straße die sie je sah entlang. Hin und wieder ertönten laute Instrumente ähnlich eines Jagdthorns. Dies schien die einzige Möglichkeit, bei diesem Ohrenbetäubendem Gelärme überall, für die Kutscher sich gegenseitig zu verständigen. An den hohen Häusern ragten teilweise bunt leuchtende Schilder mit blinkenden Buchstaben hervor. Auf einem besonders großem Haus, das musste ein Schloss eines sehr reichen Mannes sein, erblickte sie das Baumhohe Portrait einer wunderschönen Dame mit einem Kristallfläschen in den Händen.

Sich um sich selbst drehend, ging sie mit offenem Mund staunend weiter. Ein furchtbares Quietschen ließ sie herumfahren und erstarren. Direkt vor ihr stand ein Wagen fast so groß wie ihre Scheune, mit vielen Fenstern und Menschen darin. Wütend schrie sie der Kutscher an. "Gehts noch Lady. Beweg deinen Arsch von der Straße!"

Eine Frau griff nach ihrem Arm und zog sie zurück auf den Gehweg. Was gut war, denn alleine wäre sie da gerade nicht hin gekommen.

"Was ist los Darling? Schläfst du?“ schrie sie Vallerie an. „Oh mein Gott! Wie siehst du denn aus. Du bist ja voller blauer Flecken und Wunden. War das dein Kerl? Brauchst gar nichts zu sagen. ich kenn die Typen. Komm erst mal mit. Ach ja, ich heiße Cathy und du?" Cathy sah Vallerie freundlich fragend an.

"Vall...Vallerie." stammelte sie, immer noch ungläubig um sich blickend.

Cathy führte sie ein paar Straßen weiter, in eine ruhigere Ecke des Viertels. Als sie bemerkte dass Vallerie sich ständig ängstlich umsah sprach sie:

"Keine Angst, hier sind überall Cops. Ich pass schon auf dich auf."

"Was sind Cops?" fragte Vallerie verstört.

"Na Herzchen. Wo kommst du denn her? Was sind Cops! Tz...

Polizisten sind das." erklärte Cathy.

Vallerie schaute immer noch fragend.

"Das sagt dir auch nichts? Mann bist du durch den Wind.

Cops sind die Typen mit den Uniformen und Waffen die uns helfen wenn wir überfallen werden oder wir von unseren Männern verprügelt werden. Klingelts jetzt bei dir?"

Vallerie sah Cathy nur weiterhin fragend an.

Cathy schob Vallerie in einen kleinen unscheinbaren Coffie-Shop in einer der unbelebten Nebenstraßen. Sie setzte sich mit ihr in die hinterste Ecke, des schmalen, mit gemütlichen hellen Holzmöbeln verschiedenster Epochen ausgestatteten Ladens. Im Vorbeilaufen an der Theke, bestellte Cathy lautstark zwei Kaffee bei Denise, die heute mal wieder eine Doppelschicht fuhr, aber Cathy trotzdem ein erfrischendes fröhliches Lächeln schenkte. Sofort machte sich Denise daran, ihre Fünfundneunzig Kilo in Bewegung zu setzen und frischen Kaffee aufzusetzen.

"Und nun erzähl mal alles der Reihe nach Schätzchen. Von wo bist du? Dein Akzent kling komisch." fing Cathy an zu bohren, nachdem sie es sich bequem gemacht hatten.

Vallerie stammelte hektisch um sich blickend, unzusammenhängendes Zeug."Ich...ich. Alle sprechen englisch. Das kann ich von Ryan! Aber wo...? Das ist keine rumänische Stadt, nicht war?... Der Mann hatte mich gefesselt und...und da war dieser Zauberkasten.Da waren Menschen drin, kleine Menschen. Und Tiere, Häuser, alles... Welche Magie ist das? ...Sie haben mich benutzt. Es tat so weh..., sie haben Dinge getan...Ich wollte nicht..., konnte nicht reden, mich nicht wehren, und die Spritzen.... Das war so seltsam. Geschlagen hat er mich! Immer wieder geschlagen, und in mir drin...., ich will nicht dahin zurück. Ich weiß gar nicht wie ich hier her kam. Ich will nicht mehr dahin ! … Bitte..."

Cathy unterbrach das arme Ding:" O.K., O.K.,du musst ja nicht zurück, Cathy kümmert sich jetzt erst Mal um dich, du bist jetzt sicher, OK.? jetzt beruhige dich erst mal. Ich verstehe ja kein Wort. Nur soviel, dass irgend so ein Arschloch dich verprügelt hat. Als erstes gehen wir jetzt mal zu einem Arzt damit du durchgecheckt wirst. Deine Geschichte verschieben wir bis du wieder nen klaren Kopf hast, okay? Hast du eine Versicherung?"

"Eine was?"

Cathy stöhnte und verdrehte die Augen.

"Vergiss es. Ich kenne einen Arzt. Danach bring ich dich zu einem Haus für Frauen wie dich. Ich arbeite da ab und zu. War selber lange da drin. Sind alle nett da. Vertrau mir, Ok?" Vallerie erwiderte nichts, sie war gerade dabei sich vollauf darauf zu konzentrieren nicht komplett verrückt zu werden.

Sie beschloss Cathy zu vertrauen und mit ihr zu gehen. Sie schien ein guter Mensch zu sein, und sie kannte sich hier aus. Und sie hatte sowieso nicht den geringsten Schimmer, was sie sonst tun sollte oder könnte.

Sie fühlte sich wie in einer völlig neuen Welt zu einer völlig anderen Zeit.

Denise schob sich durch den Gang zu ihrem Tisch und stellte Zwei Tassen Kaffee ab. Ein Kännchen Sahne und eine Schale mit Zucker folgten. Zu guter Letzt legte sie noch Zwei Kekse an den Untertellerrand. Das war nicht üblich, aber Denise wusste, das Cathys „Mitbringsel“ meist ängstlich, verstört, durstig und auch hungrig waren. Und mit Hunger kannte sich Denise aus. Der musste gestillt werden, besonders wenn es einem nicht gut ging.

Sie ließ ihr Lächeln ein weiteres Mal erscheinen und Cathy erwiderte es dankbar.

Vallerie aß nicht von den Keksen und trank auch ihren Kaffee nicht. Sie war viel zu sehr weit ab, um etwas zu sich zu nehmen.

Als Cathy sowohl die beiden Kaffees, als auch die Kekse, heimlich, zu sich genommen hatte ( - Denise war da etwas empfindlich... - ), stand sie auf, legte einen Geldschein auf den Tisch, nickte Denise freundlich zu und führte die immer noch verstörte Vallerie hinaus.

 

*

 

Wesslie stand in der Telefonzelle die sich gleich bei dem Durchgang zu dem zugemüllten Hinterhof befand in dem er dem Riss entstiegen war.

"Scheiß Kasten!" schimpfte er und trat gegen den Apparat.

"Blödes Mistding! Wieso funktionierst du nicht?"

Er hämmerte mit dem Hörer auf die Tasten, aber trotz seines fachmännischen Reperaturversuchs tat sich immer noch nichts als er das Ding ein weiteres mal an sein Ohr hielt.

Wesslie drückte wutschnaubend den Geldrückgabeknopf. Doch dieser führte seine Aufgabe genauso wenig aus wie das Telefon selbst. Wesslie warf den Hörer mit Wucht gegen die Scheibe der Zelle. Er prallte ab und fiel hinunter, wo er munter hin und her schaukelnd hängen blieb.

Wesslie verließ die Telefonzelle und stapfte mit griesgrämigem Gesicht davon.

Als der Geschäftsmann mit dem feinen Hugo Boss Anzug und dem blauen Samsung Galaxy Handy am Ohr ihm entgegen kam, wusste er das er gleich nicht nur Spaß, sondern auch ein Telefon haben würde.

Ein diabolisches Grinsen stahl sich in sein Gesicht.

Als der untersetzte Mitfünfziger an ihm vorüber war machte Wesslie kehrt und folgte ihm im Abstand von etwa vier Metern.

Er hörte seinem Gespräch zu und wartete darauf das er endlich aufhörte dummen Unfug zu quatschen.

Endlich sagte der Mann:

"Alles klar Rudy, wir sehen uns heute Abend beim Bowling. Grüß deine Frau von mir….Ja, o.k.. Mach ich. Bis dann."

Er drückte einen Knopf und steckte das Handy in die Innentasche seines Anzugs. Während der Mann weiterging zupfte er an seiner Krawatte herum.

"Ja, mach dich schön schick. Gehst sicher zu deiner Geliebten während dein Frauchen zu Hause das Essen kocht und auf dich wartet. Willst ihr ordentlich in den Arsch ficken, weil du es bei Frauchen nicht darfst, was?" dachte Wesslie.

Er wartete bis der Typ einen der Durchgänge zwischen den Häusern passierte, die alle paar Meter den Fußweg säumten.

Als es soweit war blickte er sich kurz um. Niemand nennenswertes in der Nähe, nur ein paar Kids weiter hinten die den Teufel tun würden die Cops zu rufen. Wahrscheinlich würden sie den Trottel selber ausrauben wenn er es nicht täte.

Er schritt etwas schneller und als er den Mann überholte, schubste er ihn heftig nach links in die Gasse.

Der Mann knickte mit seinem linken Fuß um. Es knackte ein wenig. Er stürzte und schrie quiekend wie eine fette kleine Maus auf.

"Hey! Was zum...Aaarrh!"

Weiter kam er nicht.

Wesslie hatte ihm sofort kräftig ins Gesicht getreten.Sein mit einer Metallkappe besetzter Cowboystiefel ( - Er hatte sie erst vor Drei Stunden, ganz legal, für 389,- Dollar erstanden. - )traf Jeffrey Barnes rechte Gesichtshälfte und fräste eine Schneise der Verwüstung in die Zahnreihen des Ober- und Unterkiefers. Blut sprudelte in Jeffreys Rachen und erstickte jeden weiteren Versuch etwas Verständliches zu artikulieren.

"Halt´s Maul Arschloch!" fuhr Wesslie ihn trotzdem an.

Er beugte sich zu ihm hinunter und griff in seine Innentasche.

Blut lief nun auch aus der Nase des Mannes, der wimmernd ( - armes kleines fettes Mäuschen - ) liegen blieb und die Arme schützend vor seinen Kopf hielt.

Wesslie schnappte sich das Handy und beugte sich wieder zurück.

"Du bleibst da liegen und zählst bis tausend bevor du wieder aufstehst, sonst komm ich zurück und verpass dir noch einen Tritt! Diesmal auf der anderen Seite. Dann kannst du es in der nächsten Homokneipe zum Bläser des Monats schaffen." Wesslie ließ mit Absicht seine entstellten Gesichtszüge, noch verzerrter und bösartiger erscheinen als sie es ohnehin schon waren ( - ...und immer mehr und mehr wurden - ).

Jeffrey Barnes spielte totes Kaninchen. Er hatte Todesangst und er glaubte diesem Monster, ( - das war der Mann für ihn durchaus - ), jedes einzelne Wort. Er spielte totes Kaninchen,trotz der irren Schmerzsalven die inzwischen durch seinen Mund schossen. Und zwar bis er exakt bei Eintausend angelangt war.

Wesslie war längst zurück auf den Gehweg gehuscht und hatte den Weg bis zum nächsten Block sicherheitshalber im Laufschritt zurück gelegt. Er bog um die Ecke und tippte Readys Nummer ein.

 

-

 

Ready hatte sich erst mal in einem dieser heruntergekommenen

Stundenhotels einquartiert. Nur ein paar Meilen von seinem Block, oder besser gesagt ehemaligen Block, entfernt. Je weniger Staub er aufwirbelte, das heißt je weniger er ziellos durch die Gegend irren würde, desto geringer die Chance das die verfickten Cops ihn aufgriffen. Hier war es jedenfalls billig, in allen möglichen Auffassungen dieses Begriffs. Und niemand stellte Fragen, weswegen man im Gegenzug auch keinen verfickten Hausmeister für sein verficktes, vom letzten Chilli con Carne, verstopftes Klo bestellen konnte. Das Gestöhne der Freier mit ihren Nutten ging ihm jetzt schon auf die Eier. Morgen würde er sich in den Bus setzen und zu seinem Schwager Anthony in dieses Kaff im Süden fahren. Da würden ihn die Cops nicht suchen.

Er saß auf seinem Bett, das bei jeder Bewegung anfing zu quietschen und aß ein "Mars King Size".

"I´m a rolling thunder..." begann Brian Jhonson in seinem Handy zu singen, als er gerade den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte.

Ready sah auf das Display.

"Wasndas für ne verfickte Nummer?" fragte er sich selbst.

"Kenn ich nicht! Vielleicht versuchen die Cops mich zu orten. Ach Quatsch, dafür müssen die mich nicht anrufen.

Scheiß der Hund drauf!" resümierte er und nahm das Gespräch an.

"Hier Ready, wer da?" aufmerksam spitzte Ready seine Ohren

"Wesslie. Hallo..." kam es freundlich wedelnd aus dem Hörer.

"Na schön das du anrufst mein Freund. Wie gehts dir denn so, was macht die Familie? DU ARSCH!!!" bellte er wutschnaubend ins Telefon.

"Sag mal gehts noch? Wie redest du mit mir?" knurrte es bedrohlich zurück.

"So wie ein Geschäftsmann mit einem Lieferanten redet der ihm beschissene Ware geliefert hat!“ wurde das Getöse fortgesetzt. „ Was für ne verdammte Drecksschlampe hast du mir da angeschleppt?! Die Sau hat sich befreit und ist ausm Fenster abgehauen! Das ganze verfickte Chicagoer Police Departement ist wahrscheinlich schon mit lebensgroßen Plakaten von mir hinter mir her!" überschlug sich Ready förmlich.

"Du bist selber der Arsch!“ stellte Wesslie die Rangfolge klar. „ Was kann ich dafür wenn du nicht auf das Weib aufpassen kannst?! Jetzt bleib erst mal locker. Die ist bestimmt viel zu sehr durch den Wind um zur Polizei zu gehen.Die weiß doch gar nicht wo oben und unten ist."

"Jedenfalls bin ich Morgen weg, soviel ist mal sicher!", jetzt winselte Ready fast ein bisschen.

Mist! Dachte Wesslie. Verdammt! Er hatte nicht eine Ladung blonder Schönheiten von Ready geliefert bekommen, und schon war die Zusammenarbeit beendet. Hoffentlich kam der Deal noch ohne Ready zu Stande. Wesslie war sauer,...aber das musste warten. Weil er eigentlich angerufen hatte um verdammt noch mal Spaß zu haben. "Okay okay Ready, versteh ich ja alles. Aber meinst du, du kannst mir zum Abschied noch ein Näschen Koks abtreten?"

Ready überlegte kurz. Eigentlich wollte er jetzt niemanden sehen und erst recht keine Drogengeschäfte abwickeln. Aber plötzlich fiel ihm dieses lila Dings wieder ein durch das Wesslie verschwunden war. Er wollte zu gerne wissen wo man landete wenn man da durch ging. Auf jeden Fall schien es eine gute Möglichkeit zu sein, abzutauchen. Und da er sowieso aus der Stadt verschwinden musste, war das eigentlich die Gelegenheit.

Er wusste auch schon wie er Wesslie ablenken würde.

Aber das Timing musste genau stimmen und wenn Wesslie nicht drauf anspringt hätte er verschissen. Aber egal, dann würde er eben doch morgen den verfickten Bus nehmen. Auch wenn das ein gewisses Risiko barg.Außerdem konnte er gerade jeden Cent Bargeld gebrauchen den er kriegen konnte. Schließlich konnte er die nächsten Wochen nicht beim Walmart um die Ecke mit seiner verfickten Kreditkarte bezahlen.

"Geht klar. Ich geb dir die Adresse. Aber unser Geschäft ist erst Mal geplatzt. … Bis Gras über die Sache ( - ...über die verfickte Schlampe... - ) gewachsen ist."

Ready erklärte Wesslie den Weg. Er würde in ein paar Minuten da sein. Gut! Ready packte seinen Kram abermals in seine Tasche, zog den Reißverschluss zu und wartete, auf dem Bett sitzend, die Hände auf den Beinen verschränkt, auf Wesslie, während im Nebenzimmer schon wieder das Gestöhne losging.

Zehn Minuten später klopfte es an seine Zimmertür. Ready schrak auf. Er hatte nicht gehört das sich jemand der Tür genähert hätte. Er stand langsam auf und ging auf Zehenspitzen Richtung Tür, was erst recht ein leichtes knarzen bei jedem Aufsetzen der Schuhe verursachte. Er öffnete sie ängstlich. Erst nur einen kleinen Spalt, als ob das einen gewaltsamen Tritt eines Eindringlings abgehalten hätte, die Tür ganz zu öffnen. Eine Sicherung mit Kette, wie in den meisten Wohnungen gab es hier nicht. Als er sah das es tatsächlich Wesslie war, öffnete er komplett und ließ ihn, verstohlen den Flur hinab schauend, hinein. Ein bebrillter Typ mit, billigem Anzug und Halbglatze huschte vorbei. Er wendete schnell sein Gesicht ab um nicht erkannt zu werden. Man könnte ja zufällig dem Nachbarn über den Weg laufen, während man mal wieder dringend notwendige Überstunden machen musste. Von ihm hatten sie nichts zu befürchten. Man blieb hier inkognito.

Wesslie trat ein und warf die Tür ins Schloss.

"Tut mir echt leid für den Stress den du hast Ready."

sagte Wesslie.“

"Ja ja, schon gut." gab Ready zurück und holte ein Tütchen weißes Pulver aus seiner Hosentasche. Er warf es Wesslie zu.

"Vierzig Dollar!" raunte er.

Wesslie kramte die Scheine aus seiner Tasche und gab sie Ready, der sie schnell weg steckte.

" OK, danke. Und wegen der anderen Sache,... wir bleiben im Geschäft, OK? Wenn Ruhe eingekehrt ist. In ein paar Monaten vielleicht. Na dann will ich dich nicht weiter stören. Machs gut Ready und meld dich mal wenn du wieder in der Stadt bist."

Klar, mach ich." sagte Ready und lehnte sich gespielt gemütlich zurück. In Wirklichkeit saß er auf dem verfickten Ätna, und konnte schon die Lavaströme zwischen seinen Schenkeln und um Haaresbreite unter seinen Eiern lang fließen sehen.So sehr wartete er auf seinen Startschuss endlich von hier zu verschwinden. Wie, als müsste er diese fantasievolle Vorstellung noch untermalen, stieg in ihm eine leichte Hitzewelle hoch. Ein paar Tropfen Schweiß bildeten sich auf seiner Stirn und sie begann rötlich zu glänzen. Jetzt verpiss dich endlich, betete Ready lautlos.

Wesslie setzte sich endlich in Bewegung. Er verließ das Zimmer und ging nach unten, zur Straße hinaus.

Ready sprang auf sobald Wesslie zur Tür hinaus war und hechtete zum Fenster. Er wartete bis er Wesslie sehen konnte.

Der schlenderte über den Gehweg. Es sah nicht aus als ob er es eilig hätte. Sehr gut, trotzdem musste Ready sich beeilen. Schnell warf er sich seine Jacke über,stolperte fast über die Tasche, bevor er sie sich fluchend ( - „Verfickt! Verfickte Tasche!“ - ) griff und nach unten stürmte. Wobei er um ein Haar den billigen Anzug umgenietet hatte, der bereits fertig war mit seinen Überstunden bei Katlena.

Ganz unten hielt er kurz inne.Vorsichtig steckte er den Kopf zur Haustür hinaus.Langsam bekam er Übung im Verfolgen. Vielleicht sollte er ein verfickter Privatdetektiv werden.

Da ging Wesslie. Er passierte einen Dunkin Donuts und bog gerade bei Burger-Dreams links ab. Ready zog seine schwarze Lederjacke zu und stellte den Kragen hoch. Er griff in seine Reisetasche und setzte eine "Chicago Bulls"- Kappe und seine dunkle Sonnenbrille auf. Das sah vielleicht ein wenig dämlich aus, wenn man bedachte das der Himmel grau war und die Dämmerung bereits einsetzte, aber falls Wesslie sich zufällig umsehen sollte, wollte er lieber dämlich aussehen, als erkannt zu werden.

Wesslie sah sich nicht um. Er lief geradewegs zu dem Etablissement in dem sich die beiden kennengelernt hatten und ging hinein.

"Na prima!" stöhnte Ready. "Hoffentlich hält der Idiot sich nicht Stunden lang da drin auf. Fuck!"

Er fingerte eine Schachtel "Luckys" aus der Jackentasche und steckte sich eine Zigarette an. Mit den Händen in den Taschen lehnte er sich in einem Hauseingang nahe des Lokals an die Wand. Gut das er die Lederjacke anhatte. Es wurde langsam echt verfickt kalt Nachts.

Eine dreiviertel Stunde und zwei Zigaretten später kam Wesslie wieder nach draußen. Er sah gut gelaunt aus.

"Machst einen äußerst befriedigten Gesichtsausdruck, Wesslie." murmelte Ready vor sich hin, als er ihn hinauskommen sah. Er lachte leise über sein witziges Wortspiel.

Wesslie schlug nun einen Weg zu einem reinen Wohngebiet ein, in dem sich altersschwache mehrstöckige Häuser aneinander reihten und bei dem fahlen Licht ein gespenstisches Bild abgaben. Eine Konservendose polterte über einen Betonboden, irgendwo in einem der Hinterhöfe. Ein Hund bellte von der anderen Seite zurück. Als hätte ein rüstiger Ex-Cop ihn darauf abgerichtet sich über jeglichen Lärm, mit noch größerem Lärm zu beschweren.

Schließlich bog er zwischen zwei dieser Gebäude in einen düsteren kargen Hinterhof ab.

Der Telefonzelle vor dem Durchgang fehlte inzwischen eine Scheibe. Sie lag in tausend kleine Scherben zersprungen daneben. Anscheinend hatte der Apparat noch einen anderen Benutzer zur Weißglut gebracht.

Ready schloss jetzt etwas auf, um Wesslie nicht zu verlieren. Er kam gerade um die Ecke als Wesslie dieses Kristallding herausholte und den lila Riss damit öffnete.

Hastig griff Ready in seine Hosentasche und fischte nach drei Münzen. Ready umklammerte sie und zog. Er spürte wie ihm erst heiß, dann kalt wurde, als seine Hand für einen Augenblick, auf ewige Zeiten in seiner Hosentasche stecken zu bleiben schien. Bis sie endlich heraus rutschte. Er holte aus und warf sie im hohen Bogen über Wesslie hinweg in die hinterste Ecke des Hofes. Bis zu dem Riss, wo Wesslie jetzt stand, waren es vielleicht Acht Meter. Das heißt, Wesslie sollte um einige Meter weiter davon enfernt sein und nicht zurück schauen, wenn Ready eine Chance haben sollte.

Wesslie, der schon ein Bein erhoben hatte um durch den Riss zu steigen stockte. Er schaute erschrocken in die Richtung aus der er das Klingeln gehört hatte. Einen Augenblick stand er nur zögernd da, immer noch das Bein in der Luft.

Er sah sich um.

Blitzschnell duckte sich Ready hinter der Mauer, um die er gerade noch herum geschielt hatte. Sein Herz hämmerte augenblicklich los.

Jetzt hörte er Wesslies Schritte, die sich entfernten.

Ready schaute vorsichtig um die Ecke. Wesslie ging langsam zu der Stelle wo jetzt die Münzen lagen. (- Sechs Meter - )Er sah nach oben, wo einige Balkone an der Hauswand hingen und dann wieder nach unten. ( - Neun Meter - ) Als er angekommen war und sich bückte um den Boden besser absuchen zu können, schob Ready sich um die Hauswand und huschte so schnell und so leise wie möglich zu dem Riss. Wesslie hielt Zwei der Drei Münzen in seiner Hand, während er immer noch am Boden hockte. Ready kam an dem Riss an. Von nahem schien er ihm noch seltsamer und unheimlicher, wie er da so in der Luft hing. Ihm wurde flau im Magen. Wer weiß wo er landen würde. Vielleicht außerhalb der Stadt, wie er es hoffte. Vielleicht auch nur einen Block weiter in einem Keller. Oder im verfickten Honululu. Weiß der Teufel. Zu spät um die Reiseroute zu checken, der Zug fährt ab Ready. Fahr mit oder werd gefickt.

Ready fuhr mit.

Sein Zweiter Fuß war gerade verschwunden als Wesslie sich wieder umdrehte und zu dem lila Leuchten zurück ging.

Er spielte mit den, jetzt drei Münzen in seiner Hand und grinste. Noch einmal warf er einen Blick nach oben zu den Balkonen. Bestimmt hatte irgendein Balg mit Papas Brieftasche gespielt und bekam gleich den Hosenboden strammgezogen, wenn der Vater merkte dass die Münzen fehlten. Was auch immer. Egal.

Schnell stieg er durch den Riss. Musste ja nicht sein das er neugierige Blicke auf sich zog. Er schloss den Zugang von innen und marschierte zurück nach 1847.

 

*

 

Dort angekommen verzog er sich in eines der Zimmer des Schlosses, welches er für sich als Schlaf- und Wohnraum ausgesucht hatte. Er schloss die Tür, setzte sich an seinen kleinen Tisch und holte das Tütchen mit dem Kokain heraus.

Sorgfältig bereitete er sich eine Linie des Pulvers vor und sog es mit einem gerollten Hundert-Dollar Schein in seine Nase. Er schniefte, schüttelte den Kopf hin und her und ließ sich auf sein Bett sinken. Die Hände hinterm Kopf verschränkt lag er da und ließ irgendwelches wirres Zeug durch seinen Kopf fließen. Ready war ihm tierisch auf den Sack gegangen. Er würde dem Herrn erklären, dass die Lieferung sich verzögert weil die Lieferanten geschnappt worden wären. Er brauchte etwas Ruhe vor Ready, diesem Schwachkopf, dessen jedes Zweite Wort „verfickt“ war. In Ein, Zwei Wochen würde er Problemlos einen neuen Deal starten können, indem er Ready einfach ein halbes Jahr später aufsuchte. Und wenn der Idiot dann gerade Stress hatte, würde Wesslie ihn eben noch später aufsuchen. Mit dem Kristallschlüssel war alles möglich.

 

*

 

Ready hatte seine Zeit nicht damit vertan den seltsamen Tunnel in dem er gelandet war zu bestaunen, sondern war gleich losgerannt und an der nächsten Abzweigung nach rechts abgebogen. Auch diesen Gang lief er eine Weile entlang bis er sich sicher war, dass Wesslie ihn nicht mehr sehen und hören würde.Was für verfickt komische Gänge das waren hier. So leicht war es anscheinend nicht, sich hier zurecht zu finden. Und außerdem war das alles sehr seltsam. Wie es sich anfühlte, wie er sich selbst anfühlte und alles um ihn herum. Auch diese Gänge.Irgendwo musste jetzt doch noch so ein lila Teil sein, dachte er.

Wenn nicht, musste er ein Stück zurück laufen und doch auf Wesslie warten um ihm zu folgen.

"Aaahaaa!" lachte er erfreut. Er hatte eine Stelle an der Tunnelwand bemerkt die lila strahlte. Nur ein kleines Stück. Vielleicht zehn Zentimeter, höchstens.

Er bückte sich und fingerte daran herum. Ready schaffte es den Riss weiter zu öffnen. Einen guten halben Meter ließ er sich nach oben aufreißen. Dann war Schluss. „Verfickt...“ stöhnte Ready. Er quetschte sich mit dem Oberkörper hindurch und ließ sich vorn über hängen. Auf der anderen Seite war er zunächst geblendet von dem lila Leuchten, direkt neben seinen Augen. Er tastete nach dem Boden, konnte aber noch nichts fühlen. Er beugte sich ein Stück weiter vor, um tiefer zu kommen. Da rutschte er mit der Hand, mit der er sich an der Tunnelwand festgehalten hatte ab,verlor das Gleichgewicht und fiel durch den Riss.

Es ging etwa vier Meter abwärts, doch Ready kam der Sturz wie eine Ewigkeit vor, und er hatte eigentlich schon damit gerechnet Hunderte Meter in eine Peschschwarze Schlucht zu stürzen und unten einfach zu einem Matschklumpen zu werden.

Ready schlug hart auf steinigem Boden auf. Sein rechter Fuß knickte um. Höllische Schmerzen schossen in ihn. Er schrie auf.

"Ahh! Auh! Scheiße! Aahh! Fuck, verfickt tut das weh! Shit!"

Ready betastete seinen Fuß. Er versuchte ihn zu bewegen, was nur unter starken Schmerzen einigermaßen gelang .

Anscheinend hatte er sich eine kräftige Zerrung oder so was zugezogen. Schon spürte er, wie sein Schuh langsam zu klein wurde.

"So eine verdammte, verfickte Hurenscheiße nochmal!" fluchte er und stellte sich, linkisch auf dem gesunden Fuß herumhüpfend auf.

Ein Blick nach oben zeigte ihm, dass er ohne Hilfsmittel unmöglich wieder zu dem Riss gelangen konnte durch den er eben gefallen war.

Seine Augen hatten sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt, denn er sah jetzt eine Landschaft, wie aus einer National Geographic Reportage über Australien. Fehlten nur noch ein paar halbnackte Aborigines die um die Wette in ihre Didgeridoos pusteten.

Da ihm sowieso nichts anderes übrig blieb, hüpfte er zu einem trockenen Baum, der ganz in seiner Nähe stand. Er zerrte und zog an einem etwas dickeren Ast, bis dieser endlich brach. Mit dem Ast als Gehhilfe humpelte er den Hügel der vor ihm lag hinauf.

Als er oben ankam sah er eine vielleicht dreißig Quadratmeter große Wasserstelle. Sattes Grün von Gräsern und Büschen rahmten das klare Wasser ein. Ein paar größere Bäume, mit Herzförmigen Blättern,die er aber nicht zuordnen konnte standen an der einen Seite und spendeten wohligen Schatten. Doch da war noch etwas, dass sein absolutes Interesse weckte.

"Sieh mal einer an!" flüsterte er.

"Könnte gut sein, dass du hier richtig gelandet bist, Ready." sprach er zu sich selbst und grinste bis über beide Backen.

"Da hab ich doch glatt ein perfektes Mitbringsel in diesem netten Urlaubsort gefunden." resümierte er.

Am Ufer hockte eine schlanke drahtige Frau mit dem Rücken zu ihm. Ihr Kopf war kahlgeschoren und sie trug ein eng anliegendes rotbraunes Lederoberteil mit einem gleichfarbigen kurzen Lederrock.

Ihr ganzer Körper, einschließlich des Kopfes samt Gesicht, war offenbar tätowiert. Tiefblaue und grellrote Muster und fremde Zeichen zogen sich über ihre Haut.

"Ist zwar was für den ganz besonderen Geschmack, aber ich kenne ja genug Perverslinge. Ein paar davon fahren bestimmt auf so ne kleine verfickte Tatoo-Braut ab." dachte sich Ready.

Die junge Frau schöpfte mit einer hölzernen Schale Wasser in einen Eimer. Sie schien völlig unbekümmert.

Ready duckte sich und beobachtete die Umgebung. Um die Wasserstelle herum war über gut hundert Meter in alle Richtungen niemand auszumachen. Im Gegensatz zu der Vegetation direkt am Wasser war das übrige Land sehr karg. Nur unterbrochen durch vereinzelte kleine Baumgruppen hin und wieder, die aussahen als kämpften sie jeden Tag erneut ums blanke Überleben. An einigen Stellen wuchsen kleine Gruppen aus höheren harten Gräsern, die sich seicht im Wind bewegten. Alles war ruhig. Nicht einmal ein Tier sah er. Ready rieb sich die Hände. In seinem Kopf entwickelte sich ein Plan. Er würde versuchen aus dem Astwerk des vertrockneten Baumes, von dem er schon seine Krücke hatte, eine Art Leiter zu basteln. Müsste ja nur ein Ast mit einigen Seitenästen sein, der lang genug war um ihn an den Riss zu lehnen. Es würde zwar eine verdammte Plackerei werden mit seinem schlimmen Fuß ( - ein Glück, war er nicht gebrochen... - ) und der Frau über der Schulter da hoch zu klettern, aber wenn er die Zähne zusammen biss, würde es schon irgendwie gehen. Schließlich war er ja auch ein kräftiger Bursche. Die Frau wog sicher nicht mehr als... knappe sechszig Kilo. Trotzdem sollte er sie vorsichtshalber bewußtlos schlagen, damit sie nicht rumzappelte wenn er sie schleppte. Der zu erwartende Geldregen von seiner Kundschaft würde ihn antreiben.Die blau-rote Schlampe schien jung und gesund zu sein.

Ob Wesslie seine rothaarige Fotze auch hierher hatte?

Er sollte sich vorsehen. Nicht nachlässig werden.

Ready schlich sich an. Stückchen für Stückchen kam er lautlos näher an sie heran. Er war noch gute vier Meter entfernt als er entsetzt feststellen musste, dass er anscheinend nicht so lautlos gewesen war wie er dachte.

Mit einem Ruck, in einer Geschwindigkeit wie er sie sonst nur bei besonders flinken Raubkatzen im Fernsehen gesehen hatte,wirbelte die Frau herum.

Der Blick den sie ihm entgegen warf, in Verbindung mit den Rot-Blauen Zeichen in ihrem Gesicht, ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. Die selbst gebastelte Krücke rutschte ihm kraftlos aus der Hand und fiel zu Boden, sodass er nun pausenlos ungeschickt auf der Stelle herumhüpfte und wackelte.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Ready Angst vor einer Frau. Er war so überrascht dass er zunächst einfach nur verweilte und sie dämlich anglotzte.

Diese Frau war offensichtlich keine "kleine Tattoo-Braut", sondern eine Kriegerin. Sie riss ein furchteinflößendes verziertes Messer mit einer gebogenen zwanzig Zentimeter langen Klinge aus dem Gürtel der ihren Rock hielt.

Sie sprang auf und ließ einen gellenden Schrei, ähnlich dem eines Adlers ertönen.

Ready wollte fortlaufen, stürzte jedoch hin, da er augenblicklich von seinem eigenen gehandycapten Fuß zu Fall gebracht wurde. Sein „verfickter“ verletzter Fuß ließ jede Chance auf eine Flucht im Keim ersticken.Die Blau-Rote Kriegerfotze war bereits über ihm, als er noch nicht einmal komplett zu Boden gegangen war.

Zu allem Überfluss standen nach weiteren Zwei Sekunden, als wären sie aus dem Boden gewachsen, mindestens fünfzehn ähnlich aussehende Kriegerinnen um Ready herum. Allesamt waren sie glatzköpfig und trugen Tätowierungen der selben Farben.

Seine Angst verwandelte sich in blanke Panik.

Eine der Frauen trat ihm mit Wucht in die Seite.Seine rechte Niere zog sich heftig zusammen und sendete dem Gehirn unmissverständliche Signale. Er jaulte auf und rollte sich in Fötusstellung zusammen. Der rötliche Staub des Bodens kroch in seine Nase und seine Lunge. Seine Zunge fühlte sich wie ein alter Lederlappen an.Die Augen kratzten und juckten.

Sie redeten in einer ihm unbekannten, furchteinflößenden Sprache auf ihn ein.

Sollte er nun für seine Sünden bestraft werden, wie es ihm so manche der Frauen die er benutzt und verkauft hatte gewünscht hatten. Er hatte immer über dies Sprüche gelacht. Die Schlampen verhöhnt und ihnen noch eine mehr gefeuert, ...oder noch einen besonders brutalen Motherfucker in ihre Bettchen geschickt. ... Jetzt kroch die Gewissheit in seinen Leib, dass genau das eintreten würde. Verfickt noch mal. Am Ende war Wesslie so was wie der verfickte Erzengel Michael oder einer der anderen verfickten Heerscharen Gottes. Ready lachte laut auf. „Hahahahahahaha!“ Ready stand vor dem jüngsten Gericht, da war er sich plötzlich ganz sicher.

Er brabbelte nur vor sich hin „ Ich verstehe euch nicht. Es tut mir leid. Oh bitte. Tut mir nichts. Bitte. Entschuldigung für alles. Ich will es nie wieder tun."

Er zitterte am ganzen Leib. Entsetzt stellte er fest das er heulte. Tränen liefen über sein Gesicht und tropften sein Kinn hinab. Er war wieder ein kleines Kind geworden, dass von seiner Mama ausgeschimpft wird und unweigerlich eine Tracht Prügel beziehen würde die er noch in einer Woche spüren sollte. Doch das hier war nicht seine Mama. Und das hier würde mehr als weh tun, und danach würde er nie wieder etwas spüren. Ready hatte zum ersten Mal in seinem Leben echte Todesangst

Er wurde hoch gerissen. Sein Fuß schickte einen erneuten Schwall Schmerzen in sein Hirn. Ready kreischte.

Zwei der Frauen nahmen seine Arme, zwei seine Beine.

Dann marschierten sie los. Durch den roten Staub, an einigen Felsen vorbei.Nach einigen Metern kamen sie an eine Treppe die steil nach unten führte in ein kleines Tal, das er vorhin nicht bemerken konnte, da es in einer tiefen Schlucht lag die nach oben spitz zulief. Die obere Öffnung war keine fünf Meter breit und verlief konisch nach unten, wo sie sich auf satte Siebzig bis Achtzig Meter weitete.

Mehrere, ebenso konisch zulaufende Hütten aus Holz, Gräsern und Lehm, die wie die Frauen selbst mit den Farben Rot und Blau bemalt waren, standen um eine Art Dorfplatz herum. Ein paar Frauen hockten dort zusammen um eine große Feuerstelle mit verkohlten Holzresten darin herum und schienen Essen zu bereiten. Sie bearbeiteten verschiedene Pflanzenteile und Körner, mit Messern und behauenen Steinen. Neben einer der unweiten Hütten brannte ein Feuer in einem Steintiegel, groß wie ein Brunnen. Eine hochgewachsene, kräftige Frau zog ein ziemlich großes, geschwungenes Schwert aus der Glut. Sie legte die rot leuchtende Klinge auf einen metallenen Block und schlug mit einem mächtigen Hammer darauf ein. Seitlich des Platzes spielten einige Kinder, - Mädchen - , Fangen. Am Ende des Dorfes erstreckten sich einige kleine Felder mit verschiedenen Gewächsen die offensichtlich zur Ernährung dienten. Drei Frauen zogen gerade Furchen in ein noch freies Stück eines Feldes.Er kannte allerdings weder dieses Korn auf der rechten Seite, dessen Ähren etwa Zehn Mal so groß waren wie die des Weizens in South Dakota, wo er vor ein paar Jahren bei Onkel Bob Drei Wochen unter gekrochen war. Bei einem kleinen Bruch war was schief gegangen. So ein verfickter Penner hatte ihn gesehen.... Eigentlich war er gar nicht sein Onkel, er nannte ihn nur so, weil Bob gute Fünfzehn Jahre älter war als er. Jedenfalls hatte Bob eine kleine Farm und auch ein einigermaßen großes Weizenfeld. Wer zum Teufel hatte in South-Dakota eigentlich kein verficktes Weizenfeld, schoß es Ready durch den Kopf. Die Dinger die er zunächst für Bohnenranken hielt, weil sie an Stangen hoch wuchsen, waren ihm auch noch nie an Dinky´s Obst- und Gemüsestand begegnet. Die Früchte die an den Trieben hingen waren Birnenförmig, aber nur halb so groß. Rosarot wie ein Mädchenzimmertraum, schmiegten sich Zehn bis Fünfzehn der wirklich verlockend aussehenden Beeren in Trauben aneinander. Noch mehr Frauen erschienen und gafften ihn an. Einige von ihnen spuckten ihn an oder warfen kleinere Steine nach ihm. Einer traf ihn äußerst schmerzvoll an der Schläfe. Ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren hatte ihn geworfen und funkelte ihn nun böse an. Überall waren nur Frauen und Mädchen zu sehen.

Im hinteren Bereich, hinter einer Wand aus Schilf, oder Reisig, - keine Ahnung was für ein verficktes Gestrüpps die hier haben -,sah er schließlich dann doch noch Männer.

Drei befanden sich in einem großen erhöhten Käfig. Wie der eines Wanderzirkus, in dem ein Tiger unaufhörlich seine Zehn Quadratmeter stereotyp auf und ab laufen konnte, statt der etwa Dreisig Quadratkilometer die ihm von seiner Bestimmung her, zur Verfügung stehen müssten.

Sie sahen kräftig aus, saßen auf einer Pritsche und hatten einen Tisch mit Speisen und Getränken vor sich. Alle drei waren sie nackt und sahen sauber und gepflegt aus. Gerade trat eine junge Frau mit besonders vielen schwarzen Schriftzeichen auf ihrem Gesicht und ihrem Rücken, an den Käfig. Rechts und links neben ihr ging je eine Kriegerin die mit einem langen gezackten Speer bewaffnet war. Ready konnte sich bildhaft vorstellen, wie einer dieser breiten Speerspitzen von guten 30 Zentimeter Länge in einen widerspenstigen Leib eintauchen könnte wie ein heißes Messer in ein Stück gute Butter. Allerdings würden die gezackten Widerhaken den weichen warmen Körper nur mit einem ansehnlichen Fang zuckender grauer Eingeweide und Fleischfetzen im Schlepptau, wieder verlassen. Die junge Frau sagte etwas und zeigte auf den Mann der ganz links saß. Daraufhin schloss eine der Begleiterinnen die Tür zu dem Käfig auf. Der Mann wurde mit vorgehaltenem Speer herausgeführt, während die beiden anderen Männer regungslos sitzen blieben.Niemand der Kerle machte irgendwelche Anstalten oder sagte etwas. Nun ja, so schlecht schien es ihnen nicht zu gehen. Aber was zum Teufel hatten sie vor mit ihnen? Und was viel wichtiger war: Was hatten die verfickten Blau-Roten Teufelshuren mit ihm vor?

Alle Vier verschwanden anschließend in eine der Hütten.

Noch weiter hinten sah er noch etwa zehn Männer. Auch sie waren komplett nackt. Diese Kerle hatten allerdings kein Mahl vor sich stehen und sahen eher mager aus. Sie waren dabei einen steinigen Acker zu bearbeiten. Mit bloßen Händen gruben sie in der Erde, kratzten mit ihren von Blut und Erde verkrusteten Fingernägeln scharfkantige Steine aus dem Boden und warfen sie in Tröge aus Holz. Diejenigen die kräftig genug waren, schleppten die vollen Tröge an den Feldrand, wo weitere Männer eine kleine Begrenzungsmauer aus den kantigen Brocken aufschichteten. Der Schweiß floss ihnen über Gesicht und Nacken. Sie alle hatten mehr oder weniger starke Blessuren aufzuweisen. Einige waren so erschöpft dass sie beim gehen ab und an ein wenig einknickten. Eine Reihe Kriegerinnen behielten alle Männer ständig mit strengem Blick im Auge. Jederzeit waren Speere auf sie gerichtet.Einer der Männer stürzte jetzt, kurz bevor er mit seinem gefüllten Trog bei den Maurern angekommen war. Er fiel seitlich um und krachte zu Boden. Eine rote Staubwolke wirbelte auf und umfing den stöhnenden, nach Luft japsenden Mann. Die Hälfte der Steine lag neben dem Trog. Eine besonders grimmig guckende Kriegerin trat auf den am Boden liegenden Mann zu und trat ihm ohne Vorwarnung zwischen die Beine.Augenblicklich verlor der Mann seine Gesichtsfarbe und bekam nun überhaupt keine Luft mehr. Eine andere Kriegerin rief etwas und alle anderen lachten. Auch die Grimmige Hilde, - wie Ready sie spontan taufte - , lachte mit. Dann holte sie ohne ihr Gelächter zu unterbrechen mit ihrem Speer aus und bewies Ready, dass er eine recht exakte Vorstellung von dem gehabt hatte, was er sich zuvor bezüglich dieser Waffe ausgemalt hatte.

Ready wurde jetzt zu einer älteren Frau geführt die vor der größten Hütte auf der anderen Seite des Dorfplatzes,auf einer Art Thron saß. Sie besaß eine wirklich königliche Würde. Stolz und stark repräsentierte sie ihre Machtposition. Die Befehlshaberin deutete mit gerade ausgestrecktem Finger auf ihn ohne ihn selbst anzusehen und sagte, nein befahl etwas, in einem Ton der jeden Drillseargeant vor Neid erblassen lassen würde. Fast hätte Ready instinktiv „Sir! Ja, Sir!“ gebrüllt, obwohl er nur Drei Monate bei der Army war, bevor man ihn wegen der Drogenvertickerei rausgeschmissen hatte.

Sofort rissen zwei Kriegerinnen ihm sämtliche Kleider vom Leib. Wobei er zu Boden geworfen und umher gewälzt wurde wie ein Püppchen um das sich Zwei zornige Schwestern prügeln.Als die Kleider zerfetzt, das Püppchen nackt und wieder aufgestellt worden war, war er so geschockt, dass er einfach nur seine Hände schützend vor sein vor Angst klein geschrumpeltes Gemächt presste, seine Schultern hängen ließ und ziemlich bescheuert zu Boden glotzte. Die Frau die anscheinend die Führerin dieser Gruppe war musterte ihn sorgfältig von oben bis unten. Nach einigen Sekunden schüttelte sie den Kopf und zeigte zu den Männern die bei der Arbeit waren.

Ready blickte auch hinüber. Er war wohl zum Arbeitsdienst eingeteilt worden. "nein, nein , nein..." versuchte er zu intervenieren.

Er hatte schon begriffen dass die Frauen hier die absolute Herrschaft hatten. Männer waren wohl so eine Art Sklaven.

Er ging davon aus, dass alle ackern mussten wie die blöden bis sie Bekanntschaft mit der grimmigen Hilde und ihrem Lieblingsspielzeug machen durften, bis auf die Drei in dem Käfig. Diese Aktion vorhin und die gute Versorgung dieser Männer legte nahe, dass sie für Zuchtzwecke benutzt wurden. Irgendwie musste der verfickte Hurenstamm sich ja fortpflanzen. Das hätte er sich gerne gefallen lassen.

„ Ich mache es gut. Versteht ihr? Ficki ficki gut, ich! Viel Erfahrung mit Schl...“ Er zögerte. „...mit Frauen. Ich bin gut, sehr gut, mit Frauen. Versteh?“ Die Cheffin sah ihn nur starr an. Anscheinend verstand sie kein Wort von dem was er sagte. Er ließ den Kopf wieder sinken. Nun gut, er würde sich erst mal fügen. Ihnen schön gefällig sein, Honig ums Maul schmieren ( - bevor es was aufs Maul gibt... - ) Er konnte bestimmt später noch nachrücken. Wegen guter Führung und so. Vielleicht brauchte er auch nur mal seinen geilen, harten, großen Monsterschwanz zu präsentieren. Da würden die Weiber dann schon sehen wo er hin gehört,... und wo SIE hingehörten. Ready war in seinem Element. Ja, im Grunde waren sie doch alle gleich. Sie wollten es. Und sie wollten es hart und fest. Von einem,... von SEINEM harten, festen Schwanz. Oh ja, schon bald werdet ihr alle meine dicken haarigen Eier lecken ihr verfickten Schlampen. Ready grinste breit. Bis genau dieses breite Grinsen ihm plötzlich im Gesicht fest fror, bis es für immer erstarb.

Er hatte gerade etwas bemerkt, dass alle Hoffnung in ihm schwinden ließ. Seine Eingeweide zogen sich schlagartig zusammen. Er bebte am ganzen Körper.

Beim den selbstverherrlichenden Gedanken über seine Geschlechtsteile war ihm etwas furchtbares aufgefallen. Alle zehn Männer hatten merkwürdig schlaffe, kleine Hodensäcke.

Die Kriegerinnen packten Ready nun und schoben ihn in diesem Moment zu einer Stelle wo eine Art Kreuz in X-Form aufgestellt war. Daneben brannte ein Feuer, in dem ein langer sehr spitzer Dolch steckte. Tonkrüge mit Kräuterpasten standen ebenfalls am Feuer. Auf einem flachen Stein lagen größere Blätter und Schnüre.

Ready zitterte als hätte man ihn gerade aus einem vereisten See gefischt und einfach in den Schnee gestellt. Sein ganzer Körper verkrampfte sich und auf einmal lief ein dünner Strahl Pisse aus seinem schlaff herunter baumelnden Pimmel. Ein letzter verzweifelter Panikschub ging durch seinen Körper.Er strampelte und schrie aus Leibeskräften. Mehrere Hiebe hagelten auf ihn hernieder. Ein Holz traf ihn am Kopf. Leicht benebelt und nicht mehr fähig seine Gliedmaßen ordentlich zu koordinieren, schleifte man ihn gewaltsam zu dem Kreuz und band ihn daran Kopfüber fest. Readys Gehirn hatte das Vermögen klar zu denken längst verloren. Das Blut sammelte sich jetzt langsam in seinem Kopf und drückte ihm auf die Schläfe. Abwechselnd schrie, weinte und lachte er.

Am Ende rief er nach seiner Mutter.

Als sie ihm die dünne Schnur um seine Hoden banden und fest zuzogen musste er sich übergeben. Erbrochenes lief ihm in die Nase und über die Wangen, bevor es auf den Boden platschte. Ein verkehrt herum gedrehtes Gesicht glotzte ihn belustigt an. Die grimmige Hilde erhob sich wieder, nahm den Dolch aus dem Feuer, nahm Readys Sack in die Hand, presste die Faust zusammen und zog kräftig daran. Das alleine ließ ihn schon gequält aufschreien und er rechnete fest damit, dass Hilde ihm die Dinger jetzt einfach heraus reißen würde. Aber was dann kam war ums Tausendfache schlimmer. Hilde begann zu schneiden, ganz langsam, und Ready spürte genau wie sich sein Hodensack vom Rest seines Körpers in einem unglaublichen Taumel aus den schlimmsten Schmerzen seines ganzen verfickten Lebens löste. Gnädiger Weise ließ sein Geist ihn ohnmächtig werden. Ready würde nie wieder eine verfickt verfickte Schlampe ficken können. Verfickt nochmal!

Und Ready würde nie wieder einer Frau Leid zufügen.

 

*

 

Rumänien, 1847

 

"Wesslie!!!" donnerte es durch den Festsaal. Jäh erstarrte Wesslie und sein Kopf senkte sich sofort schuldbewusst. So wie es damals war, wenn die Aufseherin nach ihm rief.

Nicht minder donnernd, wie jetzt sein Herr.

 

-

 

Damals, im Kinderheim, war dann stets eine Strafe fällig. Er hatte so oft den Unmut der Aufsichtspersonen erzeugt und so oft Strafen kassiert, dass er manchmal für Dinge bestraft wurde, die er gar nicht begangen hatte.

Aus reiner Gewohnheit.

Es scherte sie einen Dreck. Und ihn scherte es auch einen Dreck.Er hatte sich immer gerächt. Als der Pfaffe ihm am Hintern rumgemacht und ihn gezwungen hatte sich ihm gebückt hinzugeben, hatte er seine Katze gefangen und ertränkt. Das war kein Problem gewesen. Die Mieze war ja erst gerade einmal Neun Wochen alt gewesen. … aber trotzdem hatte das Mistvieh ihm im Todeskampf, unter Wasser noch den Unterarm ganz schön zerkratzt. Das hat scheiße gebrannt, … Mistvieh blödes!... . Die Lehrerin die ihn wegen Schummelns drei Stunden in der Ecke stehen ließ und ihm den Toilettengang verwehrte bis er eingepisst hatte, ist von dem Gift zwar nicht gestorben, konnte aber fünf Tage nicht unterrichten. Und sie hatte richtig üble Krämpfe gehabt. Ihr Kreislauf war im Eimer gewesen. Fast wäre sie sogar erstickt anfangs.Genau so wie es sein sollte, so hatte es jedenfalls in dem alten Pflanzenbuch gestanden. Er hatte nur Zwei kleine Rhododendronblüten fein zerhackt und in einem unbeobachteten Moment in ihren Teller Samstagseintopf geworfen, der eh immer anders schmeckte. Im Samstagseintopf vielen die Blüten nicht weiter auf. Hier fand man meistens ziemlich viele Bestandteile der Menüs der vorangegangenen Tage, die keinen besonderen Anklang gefunden hatten. Weshalb noch jede Menge von dem Zeug übrig war.

Und wenn der Hund das Futter heute nicht frisst, setzen wir ihm das selbe Futter morgen eben erneut vor!

Den Schülern die in immerzu geärgert und verprügelt hatten, hatte er Schularbeiten aus den Taschen gestohlen oder andere Sachen, und sie kaputt gemacht.Wenn es möglich war, fügte er ihnen aber am liebsten körperlichen Schaden zu. Zum Beispiel Ernest Waterfaller, der Zwei Jahre älter war und ihn als jagdbares Wild auserkoren hatte,um ihm nach dem geglückten Fang immer wieder unvermittelt Schläge oder Tritte zu verpassen. Einfach weil er es konnte ( - und wahrscheinlich brauchte, für sein Ego... - ) Für ihn hatte er eine Drei Meter tiefe Grube ausgehoben und gut abgedeckt. Mit Latten, Ästen und Grasbüscheln war sie gut kaschiert in der verwachsenen Ecke am äußersten Ende des Gartens.

Dann hatte er gewartet.

Nicht lange.

Der Junge kam auf Wesslie zu, grinsend. Wesslie rannte sofort los so schnell er konnte. Ernest setzte locker an und jagte ihm hinterher. Mit seinen, doch erheblich längeren Beinen, würde er den Spinner schnell schnappen und ihn ein bisschen herum schubsen. ( - Manche Menschen brauchen eben jemandem zum herum schubsen... - )Und dann fiel Ernest Waterfall, der die Hundert Meter in Zehn Sekunden schaffte. Bis dahin.

Ein komplizierter Bruch, hatte Dr. Petersen gesagt. Es würde schon wieder heilen, mit der Zeit. Aber die Hundert Meter würde Ernest nie wieder in Zehn Sekunden laufen. Wesslie hatte den Grund der Grube in mühevoller Schlepperei, mit Feldsteinen von guten Zwanzig Zentimeter Durchmesser gepflastert. Ernest Knöchel und sein Sprunggelenk hatten keine Chance, als der Fuß beim Sturz in Wesslies Grube, so schräg wegknickte wie es anatomisch nicht möglich sein sollte. Das Gelenk wurde schlagartig wie ein Hammer auf einen Amboß katapultiert und regelrecht zertrümmert.

Dann, kurz nach dieser Sache, noch bevor man ihn „weg holen“ konnte, ( - wegen der anderen Sache... - ) , kam der Tag an dem er sich seine Narben holte.

Dabei sind viele der anderen nicht so gut weggekommen wie Ernest Waterfall. Das war ein gewisser Trost.

Er hatte Lissi Jones unter den Rock geguckt und sie da unten angefasst.Nur ganz kurz. Er war nicht mal drin gewesen mit den Fingern, hatte nur den Flaum gespürt, und war rot geworden dabei. Die Aufseherin, - Mrs Garfield natürlich - , hatte sie auf der Mädchentoilette überrascht. Zufällig. Beschissenes Karma, würd ich mal sagen.

Und dann hatte sie nicht lange gefackelt. Er wurde am Oberarm gepackt, während die freie Hand ihn gleich mit Schlägen auf Kopf und Rücken versorgte. Mrs. Garfield prügelte Wesslie in den Keller, wo sie ihn einfach hinein warf, die Tür zu schlug und ihn einsperrte. Dort sollte er bleiben bis Gott ihn zum jüngsten Gericht hole und ihn seiner gerechten Strafe für seine Unzuchtsünde zuführen würde. Das waren ihre Worte gewesen.

Er war Dreizehn... .

Wesslie hatte in einer Ecke gehockt. Den Kopf zwischen den Knien hatte er geweint und Angst gehabt. Er hatte sich die ernsthafte Frage gestellt, was das Leben von ihm wollte. Was es noch von ihm abverlangen würde. Dann drehte sich sein Gemüt. So sprunghaft, wie es nur das Gemüt eines pubertierenden Jugendlichen kann. Wut machte sich in ihm breit, überrollte ihn und strömte aus ihm heraus. Er suchte nach..., keine Ahnung..., irgendwas, womit er irgendwas, am besten die Scheiß Tür, kaputt machen konnte. Und ginge das nicht, würde er eben irgendetwas anderes kaputt machen,... weil es sonst IHN kaputt machen würde.

Er fand die Flasche mit dem Strohrum hinter einem alten Trog versteckt.

Gehörte sicher dem Pfaffen, der immer ein wenig danach roch wenn er ganz nah an sein Gesicht herankam und ihn begrabschte. Er trank einen kleinen Schluck, spuckte ihn jedoch gleich wieder aus, da er viel zu stark war. Heute würde er das Zeug mit Leichtigkeit runter kriegen aber damals war er erst Dreizehn und trank höchstens mal Bier mit Cola. Sofort hatte er eine bessere Idee. Er wollte es allen heimzahlen. Dem Pfaffen, den Lehrern, der Aufseherin und seinen Mitschülern, die ihn ständig nur hänselten und auslachten. Strohrum hatte Achtzig Prozent Alkohol. Das Zeug war reiner Brandbeschleuniger.

Er goss die Flasche Hochprozentiges über ein Bündel Wäsche in der Ecke des Kellers. Er zog ein Streichholzbriefchen aus seiner Tasche. Er hatte es irgendwann auf dem Hof gefunden und fast alle einfach abgebrannt. Er mochte es, wenn die Flammen wie aus dem Nichts plötzlich hoch loderten.

Drei hatte er jetzt noch übrig. Mit einem kräftigen Reißen an der Kellerwand entzündete er das erste Hölzchen. Es brannte sofort und blieb ohne Probleme an. Wesslie wusste noch, dass er fast ein wenig enttäuscht gewesen war. In seinem Film, hätte es auch ruhig so spannend sein können wie bei Leathel Weapon, oder so. Die ersten beiden Zündhölzer hätten sofort wieder erlischen müssen. Dann hätte der Film sein Tempo in Zeitlupe verringert. Man hätte gesehen wie ein Schweißtropfen von Wesslies Stirn herab perlt und zu Boden schwebt, wo er mit einem, - für den Zuschauer im Kino - , Ohrenbetäubenden Platschen auf dem Boden aufschlagen würde. Auch seinen Herzschlag würde man wie die Bass-Drum von Keith Moon vernehmen, und jetzt knisterte der ganze Saal vor Spannung, alles hielt den Atem an, als Wesslies letztes Zündholz endlich Feuer fing und den ganzen Keller in gleißendes Licht verwandelte... . -

Doch so war es nicht. Es war das erste Hölzchen das sofort „reibungslos“ funktionnierte. Wesslie warf es auf den Kleiderberg.Es machte nicht „Wusch!!!“ Es lief ein wenig anders als in seinem, und den ganzen anderen Filmen. Behäbiger. Ruhiger. Aber das Ende würde um so effektvoller sein.

Langsam entstand erst ein kleines Flämmchen aus dem größere bläuliche Flammen wuchsen. Es begann zu qualmen.Das Feuer kämpfte ums überleben. Der Rum tat sein bestes und hielt es. Puschte es hoch. Angrenzende Regale und ein paar Jutesäcke ließen nun auch schon ab und an wachsende Zungen aus Feuer zucken.

Natürlich wollte er nicht hier unten sterben.Er hatte vor wenn das Feuer groß genug war durch die alte Kohlenschütte im hinterehn teil des Kellers zu verschwinden.

Wie in Trance starrte er eine Weile gebannt auf das wachsende Feuer.

...Es zieht einen an, läd ein hinein zu starren...

Der Rauch begann sich im Keller zu verteilen.

Wesslies Hals kratzte. Er schmeckte Räuscherfisch... .

Dann war er wieder bei sich. Er musste husten. Hastig zog er sich sein Shirt nach oben über Mund und Nase. Wesslie rannte zu der Öffnung in Deckenhöhe auf der anderen Seite des Kellers. Er hatte jedoch nicht bedacht, dass er viel zu klein war, um an die hoch gelegene Klappe zu gelangen.

„Oh, Fuck!!“ rief er aus.

Es wurde heiß in dem Raum. Wesslie drehte sich im Kreis, Zwei Mal, Drei Mal. Der Qualm war jetzt dicht wie Nebel. Wesslie bekam Angst, die in schiere Panik umschlug. Er lief zur Tür und hämmerte dagegen, doch nichts geschah.

Er lief durch den Raum zurück, hustend, suchend..., bis er einen alten halbhohen Schrank an einer Wand, kurz vor der Kammer mit der Kohlenschütte fand. Wesslie fegte ein paar kleine Kartons mit dem Arm zu Boden. Hastig zerrte und schob er den Schrank unter Aufbietung all seiner Kräfte, laut stöhnend und grunzend in Richtung der alten Kohlenschütte. Das Feuer hüllte den Zugang zu dem kleinen Raum in dem er jetzt war bereits in einen Feuerring, der wie der lebendige Zugang zur Hölle aussah. Es kroch in den Raum, kletterte über eine Lage alter Dielenbretter an der Wand und sprang auf einen im Raum stehenden Tisch, auf dem ein ganzer Stapel grüner Plastik-Stühle thronte die innerhalb einer halben Minute von den Flammen aufgefressen sein sollten. Sogleich stieg Pechschwarzer, beißender Rauch auf . Dicke brennende Tropfen des schmilzenden Materials platschten auf den Untergrund und fraßen sich langsam durch den Tisch. Wesslie hatte das immer schwerer werdende Möbelstück endlich nah genug an die Schütte heran geschoben. Als er immer stärker hustend auf den Schrank kletterte, fing auch dieser bereits an den Füßen Feuer.

Jetzt kam er endlich an den verdammten Schacht der leicht schräg in der Mauer saß. Er kroch hinein und stieß mit beiden Händen gegen die Luke. Sie bewegte sich einige Millimeter und blieb dann stecken.

Die Hitze und der Rauch wurden unerträglich. Fluchend und hustend stieß er immer wieder feste zu, doch die Klappe rührte sich nicht. Verzweifelt stellte er fest das seine noch im Raum hängenden Füße unerträglich heiß wurden.Er sah nach hinten und konnte Rauchschwaden von seinen Schuhen ausgehen sehen. Die Sohle wurde weich und begann zu fließen. Panisch kroch er ein Stück zurück, drehte sich so schnell es in dem engen Schacht ging herum und sah dass der Schrank unter ihm jetzt lichterloh brannte. Halb besinnungslos schaffte er die volle Drehung, so dass er nun mit den Füßen gegen die Klappe treten konnte. Beim ersten Tritt, rutschte sein rechter Fuß durch die matschige Schuhsohle schräg zur Seite.Das Feuer schlug immer höher und erreichte sein entsetztes Gesicht. Mit einem Mal griff es ihn an. Schnappte und biss nach ihm. Versuchte ihn wieder hinein zu zerren.Reflexartig hielt er sich eine Hand vor die Augen. Er spürte den schlimmsten Schmerz seines Lebens. Der Geruch von verbranntem Fleisch schoss ihm in die Nase, während er weiter wie besessen trat und trat. Endlich flog die Luke mit einem Knall auf. Er schob sich rückwärts ins Freie, fiel, sprang wieder auf und rannte. Sein Gesicht, sein Hals sein Unterarm und seine Hand pochten unerträglich. Als er ein letztes Mal zurückblickte sah er, dass das Erdgeschoss und der erste Stock des Heims jetzt auch brannten. An den oberen Fenstern konnte er die kreischenden Bewohner an den Fenstern sehen. Die ersten sprangen nun hinunter in den Vorhof, andere folgten. Einige blieben jammernd und stöhnend liegen oder krochen weiter. Ein paar liefen offenbar unverletzt davon. Aber manch einer blieb nach dem Sprung auch reglos am Boden liegen. Unter denen war auch der Pfarrer, was ihm ein ungeheures Gefühl der Genugtuung brachte, das ihn sogar kurzzeitig seine unglaublichen Schmerzen vergessen ließ.Ja, Pfarrer Harris war einer von den Vier Toten gewesen. Manchmal war sein Karma doch nicht so schlecht...

 

-

 

Ein weiteres donnerndes:"Wesslie!!!" riss ihn aus seinen Gedanken.

Schnellen Schrittes eilte er zu seinem Herrn.

"Herr, ihr habt gerufen. Wie kann ich euch dienen?"

"Du Törichter Tölpel! Du hast den Durchgang benutzt und ihn offen gelassen! Ist dir klar was alles passieren kann? Brüllte der Herr fragend und gab sich gleich selbst die Antwort. „Natürlich weißt du das! Ich habe es dir sicherlich eine Millionen mal gesagt! Vielleicht hätte ich es dir auf die Stirn tätowieren sollen, damit du es jeden Morgen siehst wenn du deine dämliche Visage im Spiegel betrachtes! Ich hätte dich da lassen sollen wo du warst als du mit deinen Wunden im Dreck gelegen hast. Verrecken hätt ich dich lassen sollen!"

"Oh nein Herr,...Ihr...Bitte. Ich habe es nur das eine Mal getan. Ich verspreche, es wird nicht wieder vorkommen. Es war nur wegen ...ich wollte nur ganz schnell...und da muss ich..., ich verstehe das gar nicht. Ich dachte , ich hätte..." versuchte Wesslie sich zu rechtfertigen. Wie zum Teufen konnte das sein. Er war sich wirklich sicher das er immer sorgfältig gewesen war. Verdammt!

" Ich dachte! Ich hätte!...Schweig Wesslie! Du verstehst gar nichts. Ich hatte dich gewarnt. Der Durchgang muss immer gleich wieder verschlossen werden, nachdem er benutzt wurde.Die Gänge und Tunnel durchwandern wir nicht umsonst so gezielt und nach striktem Plan. Durch sie kann man nicht nur durch die Zeiten unserer Erde reisen. Man kann durch alle Zeiten aller Welten und Dimensionen reisen. Dort existieren mit Sicherheit Dinge und Lebensformen die wir Beide uns niemals vorstellen könnten. Und ich denke nicht das es ratsam ist, hier den Schlendrian zu geben, Wesslie! Glaub mir, da drin gibt es Türen hinter denen sich so einiges befindet, von dem sich unser Verstand augenblicklich mit Grausen abwenden und sich uns nie wieder zuwenden würde.In lebendes Gemüse verwandelt,aus reinem Selbstschutz, verstehst du?! Wenn Risse im Raum-Zeit Gefüge entstehen weiß niemand, was aus welchen Dimensionen oder Zeiten hinüberkommt. Es gibt dort Lebensformen, die nie zuvor gesehen wurden. Ganz davon abgesehen, dass man selbst unsere eigene reine Existenz...,“ er machte eine kleine Kunstpause ( - mit erhobenem Zeigefinger, Wesslie fixierend - ) „davon abhängt, ob du vielleicht versehentlich mit deinem Arsch im Tran irgendwo hängen geblieben bist!!“ „Ich hätte dir den Schlüssel damals nicht geben sollen!“ fügte er barsch hinzu. „Du hast mich enttäuscht!" schickte er trotzig hinterher.

"Ich bitte untertänigst um Entschuldigung Herr. Aber ihr sagtet selbst, dass das selten vorkommt und ich kann es mir nicht erklären, wirklich ..."

"Zeit ist alles und gar nichts in diesem Zugang. Das solltest selbst du begriffen haben!" unterbrach ihn der Herr.

"Ich bitte nochmals um Entschuldigung mir war nicht bewusst das ich den Riss nicht verschlossen hatte. Sicher ist nichts weiter geschehen."

Der Herr schloß kurz seine Augen und atmete tief durch. Er lächelte Wesslie auffordernd heran. Freundlich winkte er ihn im Gehen zur anderen Seite des Saals herüber.

Wesslie folgte zaghaft.

Als Wesslie auf seiner Höhe angekommen war, legte er wie bei einem guten alten Freund den Arm um seine Schultern, immer noch freundlich lächelnd zog er ihn ganz sanft an sich heran und zeigte auf den Boden. Dann brüllte er urplötzlich vor Zorn bebend los."Was glaubst du was das da ist?! Kannst du mir DAS erklären?!!!ICH kann es nämlich nicht! Nicht die geringste Ahnung habe ich, was du uns hier für nette Gäste zum Abendbrot mitgebracht hast. Ich hoffe für dich, das Es oder Sie aus dem Schloss verschwunden sind. Dafür spricht immerhin unser neues riiiiiesengroßes Fenster zur Südseite hin! Und ich ich hoffe auch das sie nicht vorhaben UNS als Hauptgang zu sich zu nehmen!"Wesslie wurde in den Armen seines Herrn immer kleiner. Er schwitzte und wusste nicht..., ja, er wusste einfach nicht.

Auf dem Boden war eine vier Meter lange Spur grünen gummiartigen Schleims verteilt. In der massiven Steinmauer zu ihrer linken prangte ein fünf Meter großes Loch.

"Ohh, Herr….ich…. Was soll ich? Großer Gott!"

Mit betonungsloser aber fester Stimme antwortete der Herr:

"DER, mein lieber Wesslie, kann uns ganz, ganz sicher nicht helfen. Das musst du schon alleine hin kriegen. Schließlich hast DU die Tür zu seinem Kuriositätenkabinet offen gelassen.Viel Erfolg.Jage Es! Finde Es! Töte Es! Was auch immer. Bring das in Ordnung!" zischte er streng!“

"Ja Herr, sofort Herr. Ich bin schon unterwegs. Ich werde euch nicht enttäuschen."

Schon lief Wesslie los um zu tun was ihm aufgetragen wurde.

Schließlich war er es dem Herrn schuldig.

Er hatte irgendwas übersehen. Mist gebaut.

Das verdammte Koks! Er musste das aufhören. Scheiß Zeug!... Außerdem,wenn der Mann in Schwarz damals nicht gekommen wäre und ihn mitgenommen hätte, wäre er jetzt längst tot. Zumindest in der Gosse. Oder im Knast. Und er wollte verdammt noch mal selbst heraus finden was zum Teufel hier passiert ist, und was oder wen er nun zu erlegen hatte.

"Und Wesslie!" schallte es ihm nach.

Wesslie drehte sich um.

„Ja Herr?"

„Bevor du gehst. Töte den moppeligen Schwachkopf. Den Mann der Gefangenen. Ich habe keine Verwendung für ihn. Der taugt weder für die Arena, noch als Sarane. Jetzt geh und tritt mir erst wieder unter die Augen wenn du alles erledigt hast. Ich bin sauer Wesslie. Echt sauer."

Mit einer ebenfalls im Heim angewöhnten knappen Verneigung ( - vor Pfarrer Harris, der sich darin gerne sonnte - ) verließ Wesslie den Festsaal.

 

*

 

Jacques kauerte resignierend in seiner Ecke. Bestialischer Gestank breitete sich inzwischen in seiner Zelle aus. Die Leiche über ihm begann mit ihrem natürlichen Zersetzungsprozess. Durst quälte ihn. Alles tat ihm weh. Und nichts geschah. Das war das Schlimmste. Wäre zwischendurch jemand gekommen um ihm Wasser zu bringen..., er schluckte bei dem Gedanken automatisch, und ach wie herrlich wäre es gewesen nun kaltes kühles Nass die Kehle hinab laufen zu lassen. Aber alles was er spürte, war ein weiteres furchtbar trockenes Kratzen im Hals, und sein Gaumen fühlte sich an wie eine rauhe Gummimatte.

Irgendwann hatte er angefangen um Hilfe zu rufen. Wieder und wieder. Teils ernsthaft bemüht, teils resignierend leise, das es selbst sein Zellenkumpel über ihm nicht gehört hätte, wenn er noch unter den Lebenden geweilt hätte. Zwischenzeitlich war er in einem gnädigen kleinen Endorphinrausch gerutscht. Auf Kosten des Hauses. Spendiert vom eigenen Gehirn, das einfach einmal eine Auszeit von Not und Angst brauchte. Da hatte er dann angefangen laut zu singen, um auf sich aufmerksam zu machen. Am Ende hatte er seinen toten Genossen mehrfach aufgefordert mit zu singen. Und sogar Drei Versuche gestartet einen Kanon anzustimmen. Dann war er eingeschlafen und irgendwann wieder aufgewacht. Er war in der Kammer von Wand zu Wand gekrochen um sich doch immer nur erneut resigniert auf dem Boden nieder zu lassen. Jacques hatte keine Ahnung wie lange er nun schon hier war. Wer weiß wie lange er geschlafen hatte. Vielleicht Zehn Minuten, vielleicht Acht Stunden. Er konnte es unmöglich sagen.

Völlig fertig raffte er sich trotzdem nochmals auf. Josephine´s Bild, ihre Stimme, ihr Geruch, ihre Hand in seiner, war die ganze Zeit allgegenwärtig. Aufgeben kam für Jacques nicht in Frage. Er krabbelte in die Mitte des Raumes und begann nun mit den Fingernägeln den felsigen Boden zu bearbeiten. Einfach weil er es in alle anderen Richtungen schon Tausendfach versucht hatte. Es erschien ihm in seiner gegenwärtigen Situation, und vor allem natürlich in seinem gegenwärtigen Zustand, als eine logische Schlussfolgerung.

Aufgeben kam NICHT in Frage.

Als der erste Fingernagel brach lachte er nur prustend los. Den Zweiten bemerkte er schon gar nicht mehr. Eine halbe Stunde lang kratzte er mit blutigen Händen am Boden bis sich plötzlich tatsächlich ein Gesteinsbrocken löste. Kein großer, vielleicht fünf Zentimeter im Durchmesser. Angespornt durch das Ergebnis vervielfachte er seine Bemühungen, mit dem Gedanken an einen Tunnel in die Freiheit im Kopf. Nach einer Stunde hatte er es geschafft weitere Steine zu lösen und war in der Mitte gute zwanzig Zentimeter tief gekommen. Gerade als ihn die Erkenntnis, wie einen Hammerschlag niederwarf, dass er, wenn er so weiter arbeiten würde, sagen wir Acht Stunden pro Tag wenn er sich ran hielt,vermutlich noch Jahre brauchen würde um einen Tunnel aus seinem Gefängnis zu graben. Erschwerend kam hinzu, dass seine blutigen Finger wahrscheinlich spätestens in ein paar Wochen bis zu den Handgelenken runter wären. Und das er nicht mal wusste, in welche Richtung er graben müsste. Als er seine Hände enttäuscht aus der Erde zog, streifte etwas hartes, definitiv nicht steiniges, seine linke Hand. Das fühlte sich metallen an, keine Frage. Etwas längeres hartes mit rundem Ende lag da im Boden. Hastig kratzte er noch einige Minuten weiter um das Ding freizulegen. Schließlich zog er eine etwa siebzig Zentimeter lange Daumendicke Eisenstange hervor. Freudig betastete er seinen Fund in der Dunkelheit. Damit könnte er es vielleicht schaffen, schneller zu graben. Er schöpfte neuen Mut. Doch der letzte noch vernünftig arbeitende Rest seines Verstandes schob auch diesen Gedanken als völlig abwegig beiseite. Selbst mit der Stange würde er vorher verdursten und verhungern oder an Erschöpfung sterben. Er könnte höchstens Versuch Nummer Dreiundsiebzig Richtung Tino starten. So hatte Jacques seinen Zellenkumpel nach der Gesangsnummer getauft. Er fand, nach so einer intimen gemeinsamen Feier, war es nur höflich sich in Zukunft mit Namen zu grüßen. Falls man sich später einmal zufällig begegnen würde... .

Mit Hilfe der Stange könnte er vielleicht...,...

Sein Herz blieb fast stehen, als er das plötzliche Geräusch über sich vernahm. Er hielt den Atem an und lauschte. Es schepperte und krachte. Ja, eindeutig, da oben war jemand. Hey Tino, heute ist wohl Besuchstag, was? Schoss er seine Gedanken zu seinem Kumpel hoch. Eine Falltür hoch über ihm wurde knarrend geöffnet und schlug krachen um. Fahles Licht kroch langsam zu ihm hinunter. Doch selbst dieser schwache Schein ließ in blinzeln und brannte ihm in den Augen. Er kniff sie zusammen und schirmte sie mit der Hand ab. Er sah wie sich eine Leiter herabsenkte.

Hastig zog sich Jacques in eine Ecke zurück und hockte sich in der Dunkelheit hin. Er senkte den Kopf und versteckte die Eisenstange hinter seinem Rücken.

Nun konnte er die Umrisse einer Gestalt erkennen, die sich langsam die Leiter hinunter bewegte. In der einen Hand hielt er ein..., ja, das war tatsächlich ein Schwert. Jacques musste schnell sein. Trotz des Schlosses, hatte sein Besucher kaum vor ihn zum Ritter zu schlagen. Er würde ihn wahrscheinlich ohne zu zögern gleich umbringen.

Unten angekommen, knipste Wesslie eine Maglite an und leuchtete in Jacques Richtung. Dieser kniff die Augen noch mehr zusammen. Nie hatte er solch eine Fackel oder ähnliches gesehen. Er kämpfte gegen die Tränen an, die in diesem Augenblick in seine Augen schossen. Gott sei Dank hielt der gebeugt gehende Mann das Licht jetzt nicht mehr in sein Gesicht, so dass er seinen Unheilbringer wieder besser ausmachen konnte. Er war jetzt fast bei ihm und als wäre es das Natürlichste der Welt, holte dieser ohne etwas zu sagen oder auch nur einen Moment inne zu halten mit seinem Schwert nun aus. Er schwang es hoch über den Kopf und sein Blick und die Wucht mit der er nun ausholte, ließen keinen Zweifel mehr daran, dass er Jacques töten wollte. Jacques reagierte genau im richtigen Moment.

Als Wesslie das Schwert am höchsten Punkt über seinem Kopf stoppte, blieb es dort stehen als hätte jemand die Zeit mit einem Fingerschnippen angehalten. Jacques hatte den Kopf blitzartig gehoben, die Stange hinter seinem Rücken hervorschießen lassen und mit einem grunzenden Schrei zugeschlagen. Wesslies überraschter Gesichtsausdruck wurde augenblicklich, im wahrsten Sinn des Wortes,zerstört. Die schwere Eisenstange traf ihn an der linken Gesichtshälfte in Ohrhöhe. Ein dumpfes lautes Knacken ertönte.

Wesslie ließ die Taschenlampe fallen. Danach stand er noch, endlos dauernde drei Sekunden mit erhobenem Schwert da, während Blut aus seinem linken Ohr quoll und der Schein der Lampe am Boden seine Gesichtshälfte mit samt der Stangenförmigen Eindellung perfekt ausleuchtete und zusätzlich einen gruseligen Schatten eines übergroßen Schlächters an die Wand hinter ihm warf.

Dann sackte Wesslie, ohne einen Ton von sich zu geben in sich zusammen und blieb reglos liegen.

Jacques sprang erschrocken auf. Erschrocken über den guten, hoffentlich tödlichen Treffer. Es sah ganz danach aus.

Und erschrocken über seine Chance jetzt tatsächlich aus diesem Loch, das er schon als sein Grab gefürchtet hatte, hinaus gelangen zu können. Aufgeregt rannte er los und wäre fast sofort wieder zu Boden gegangen, als er durch die Unebenheiten, die sein Tunnelbau-Versuch hervorgerufen hatte stolperte. Er fluchte gedämpft!

Jacques stieg über den leblosen Körper, drehte sich jedoch gleich noch einmal um und hockte sich Nase rümpfend hin. Er wollte ihn untersuchen. Wohlmöglich trug er noch irgendwelche Schlüssel bei sich die er brauchen würde um ganz zu entkommen, oder was viel wichtiger war, um Josephine befreien zu können. Oh guter Gott..., hoffentlich fand er sie schnell. Und unversehrt... Schlüssel fand er keine, aber was er fand war ein seltsamer klarer Kristall mit einer wohl gläsernen lila Ranke umwunden, in einem schwarzen Einsatz aus einem ihm unbekanntem Material. Er betrachtete ihn kurz und überlegte was es sein könnte, wozu es dienen könnte. Oder ob es bloß irgendein Erinnerungsstück dieses verrückten Mörders war. Es wog nicht viel, und wer weiß wofür dieser Gegenstand noch gut sein würde. Er würde ihn später noch genauer untersuchen können. Daher beschloss er, ihn erst einmal mit zu nehmen und ließ in in seine Jackentasche gleiten. Das Schwert nahm er vorsichtshalber auch mit. Schließlich war es immerhin möglich, dass noch ein paar finstere Kumpane in der Nähe waren. Jetzt aber los.Rasch stieg Jacques auf die Leiter... . Er hielt kurz inne und kletterte wieder hinunter. Noch einmal ging er zu dem Körper seines Gegners zurück. Unter dem Kopf des Mannes hatte sich eine Blutlache gebildet. Jacques sah noch einmal erschaudernd in sein entstelltes Gesicht und schnappte sich dann mit leichtem Zögern den geheimnisvollen Lichtstab. Er hatte damit gerechnet, dass er heiß sein würde, doch das Gegenteil war der Fall wie er erstaunt feststellte. An der Seite fühlte er eine gummiartige Stelle. Er drückte mehr zufällig darauf herum. Das Licht erlosch. Ein Zweites Mal, und es ging wieder an. So verfuhr er begeistert ein paar mal hintereinander, bis er sich wieder besann wo er war und was sein Plan war.

"Was tue ich hier eigentlich? Ich sollte sehen dass ich fort komme!" sagte er zu sich selbst, stieg die Leiter hinauf, und sagte mit einem kurzen Blick zur Seite „Machs gut Toni, ich bin dann mal weg. Wenn du mich fragst, solltest du auch sehen das du die Beine in die Hand nimmst.“ Dann ging Jacques mit der Lampe und dem Schwert in den Händen los.

Jacques hielt den Leuchtstab wie einen Dolch vor sich ausgestreckt und das Schert parallel daneben. Da! Etwas huschte unten an der Wand entlang.„Hahh!!“ Erschrocken schrie Jacques auf und fuchtelte mit dem Schwert in die Richtung aus der das wuselnde Etwas kam.

Trotz seiner immer noch prekären Situation konnte er sich ein leises Lachen nicht verkneifen als er das kleine Mäuschen im Schein der Lampe eilig die Flucht ergreifen sah.

Vorsichtig ging er weiter den Gang entlang bis er an eine Abzweigung gelangte. Er blieb stehen, leuchtete und sah nach rechts, leuchtete und sah nach links. Schulterzuckend schloss er die Augen und begann sich auf der Stelle zu drehen. Jacques stoppte seinen Ringelreihen und öffnete die Augen. Blöderweise schaute er genau in die Richtung aus der er gekommen war. Die Augen rollend drehte er sich um und begann nun mit einem Abzählreim:"Un, deux, trois. Qui est la´? Pere Noel, Pere Noel entre vite, il vait tres froid."

Er ging nach links. Auch dieser Gang endete wieder in einer Abzweigung. Dieses Mal entschied er sich spontan für rechts,... der Abwechslung wegen. Minute um Minute wanderte er weiter bis er endlich weit hinten Licht erblickte.

"Ich bin auf dem rechten Weg wie es aussieht." machte er sich Mut. Wohl wissend, dass er hier auch direkt einem der Entführer in die Arme laufen konnte.Aber Hauptsache es passierte mal endlich etwas das ihn weiter brachte, oder zumindest IRGENDWO hin brachte.

Er kam schnell vorwärts, wie er fand.

Bis er bemerkte das nicht er schnell vorwärts, sondern das Licht ihm schnell entgegen kam. Er kniff die Augen etwas zusammen und die Mundwinkel nach oben. Er versuchte mit Hilfe dieser Gesichtsverrenkungen und seiner Lampe etwas zu erkennen.

Was da auf ihn zu kam, konnte er jedoch nicht einordnen. Es schien aus vielen kleinen Laternen zu bestehen und gewann zusehends an Tempo. Das leuchtende Gebilde war nun nur noch etwa zehn Meter von ihm entfernt. Er erkannte einen, den kompletten Gang füllenden Sturm aus winzigen Lichtern, der mit einem Geräusch wie ein kräftiger Wind in den Blättern eines Laubwaldes und der flirrenden Erscheinung von erhitzter Luft über einem Lagerfeuer auf ihn zu raste.

Das ist nicht gut. War sein erster instinktiver Gedanke. Und um dies noch zu bestätigen, schüttelte er langsam den Kopf und machte ein mürrisches, ablehnendes Gesicht.

Dann wirbelte er so flink es seine paar Pfunde zuviel zuließen herum und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon.

Der Sturm hatte sich jetzt direkt hinter ihm eingefunden. Ihm wurde warm, sehr, sehr warm und er steigerte das Tempo mit der Aufbietung seiner endgültig letzten Kraftreserven.

Der Sturm begann ihn einzuhüllen. Angstvoll begann sich sein Magen zu drehen. Überall um ihn herum flogen kleine geflügelte farbenfrohe Wesen. Man hätte sie für Elfen aus einem süßen Kinderbuch halten können, wenn sie nicht mit diesen bösartig dreinschauenden Gesichtern verunstaltet gewesen wären. Wilde zerfurchte Fratzen mit Seelenlosen Augen, wie die von Haifischen in den tiefsten Tiefen des Meeres. Und wie er mit Entsetzen feststellte, zeigten sie ihm zu allem Überfluss nun auch noch, das sie ebenso spitze Zähne hatten die ihm entgegen geiferten. Immer dichter schwirrten sie um ihn herum. Er knipste die Lampe aus, weil er die schreckliche Vermutung hatte, sie dadurch erst angelockt zu haben. Aber natürlich blieb es so hell wie zuvor. Die kleinen fliegenden Wesen strahlten um die Wette, und sie waren glühend heiß. Jacques rannte und schlug im Laufen panisch mit dem Schwert um sich.

Eines der Wesen biss gerade mit Wonne in sein Ohr. Ein anderes hatte sich in seinem Nacken festgesetzt und schlug seine Zähne in Jacques Haut. Mehrere hingen an seinen Kleidern und machten ihm das Laufen von Schritt zu Schritt schwerer. Die fliegenden Wesen bissen nicht nur, sie versengten ihm auch überall Haut und Kleidung mit ihren glühenden Körpern.

Er verfluchte seinen gesegneten Appetit und die damit verbundenen überflüssigen Pfunde. Einen Einzelnen hätte er abschütteln und gut erledigen können. Immer wieder schaffte er es einen der „Guten Feen“ gegen die Wände zu schleudern und ein paar Glückstreffer mit dem Schwert hatte er auch zu verzeichnen gehabt, aber es waren einfach zu viele. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, nicht allzu sehr gebissen und verbrannt zu werden.

Nun verlor er auch noch das Schwert. Im taumelnden Durcheinander hatte er etwas zu heftig gegen die Wand geschlagen. Das hatte ihm das Schwert aus der Hand geschleudert.

Stehen bleiben war keine Option. Jacques hasste Sport, - falls wir uns erinnern - , aber in den letzten Stunden war er zu einem wahren Sportfreak mutiert. Er kletterte, sprang, schlug, grub, und rannte wie der Teufel. Seine Lunge revoltierte gegen die ungewohnten Höchstleistungen die ihr abverlangt wurden. Seine untrainierten Muskeln schrien nach Magnesium und Flüssigkeit. Immer wieder versuchten kleine Krampfanwandlungen ihn lahm zu legen. Doch er wusste,er würde es nicht schaffen wieder in Bewegung zu kommen, wenn er jetzt stehen bliebe oder auch nur langsamer wurde. Immer mehr der kleinen ekligen Monster würden sich an ihm festkrallen. Die Last der Feen würde ihn runter ziehen und unten halten, und dann würden sie ihn garen und sich langsam aber sicher „durchfressen“.

So gut es ging hastete er keuchend und schwitzend vorwärts. Den Gang sehen konnte er schon eine Weile nichts mehr. Das gleißend helle Licht der Wesen ließ seine Augen nichts anderes mehr wahrnehmen als sie selbst und das Licht das sie umgab. "Ahhau!" jaulte er auf als seine Unterschenkel im Lauf jäh von etwas sehr Hartem gestoppt wurden. Er kippte im vollen Lauf vornüber und rechnete mit einem Aufprall auf dem Boden des Ganges. Doch stattdessen folgte ein Gefühl, dass seinen Magen nach der schon unangenehmen Drehungen auf seiner bisherigen Flucht, nun noch in Richtung Brust katapultierte, während sein Herz eine Sturzfahrt in die entgegengesetzte Richtung antrat.

Er fiel! Kopfüber.

Und der Sturm kleiner Wesen folgte ihm.

 

-

 

Elise und Drago hatten ihre Pferde an einer windschiefen Kiefer angebunden und waren auf leisen Sohlen, gebückt bis zu dem mächtigen umgestürzten Baumstamm geschlichen.

Chou Chou war aus ihrer Satteltasche geklettert und, genau wie Elise, über den Steigbügel zu Boden gehüpft. Sie stand nun neben Elise, die wiederum neben Drago hockte, und hielt ihren Kopf geduckt. Plötzlich begann ihr Schwanz heftig hin und her zu zucken und ihr ganzer Körper machte sich am Boden flach. Drago bewegte seinen Kopf ganz nah neben Elises und deutete mit dem Finger auf eine Baumgruppe, ein paar Meter vor ihnen.

Mit ihrem Gesicht so nah bei seinem zu sein, erfüllte sie mit einem ungewohnt wohligen Kribbeln. Sie war erstaunt und überrascht über diese neuen ungewohnten Gefühle gegenüber einem Mann. Und dazu noch bei diesem Waldmenschen, dem es an jeglicher Etikette zu fehlen schien. Sie blickte ihn aus den Augenwinkeln an. Sah seine dunklen Bartstoppeln, seine blaugrauen Augen, die buschigen Brauen, die vollen Lippen und die etwas krumme, nicht hässliche, eher verwegen aussehende Nase. Das Kribbeln zuckte erneut auf. Immer dann wenn ihre Wangen sich kurz streiften. Es durchflutete ihr ganzes Gesicht mit Sonnenschein auf ihrer schönsten Blumenwiese. Das warme Glück kroch ihren Nacken hinab, um den Hals herum wieder nach vorne bis zum Ansatz ihrer Brüste, bis hin zu den fest gewordenen Warzen. Von dort aus schoss es zurück in den Kopf, hinunter in die geheimsten Regionen ihres Körpers, direkt in die pochende Mitte ihres Herzens. Jetzt sah auch er sie an. Er hatte sich ihr zugewandt. Er blickte in ihre Augen. Sie lächelte versonnen....

Drago winkte kurz und heftig mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum.

"Hallo!" flüsterte er. "Weilt ihr noch unter uns?"

"Äh, was? " riss sie sich selber aus ihrer Trance.

"Dort vorne. Seht ihr?"

Chou Chou war ihrem kleinen Geplänkel diesmal nicht im Geringsten gefolgt. Sie versuchte nach wie vor sich unsichtbar zu machen, indem sie sich so dicht wie möglich mit dem Untergrund verband und hielt die Baumgruppe im Auge.

Elise blickte in die vorgegebene Richtung. Sie kniff die Augen zusammen und suchte die Stelle ab, die Drago ihr gedeutet hatte. Da! Jetzt sah sie es. In einigen Meter Entfernung schlich ein Tier von unglaublicher Eleganz und anmutender Schönheit zwischen den Bäumen umher. Es handelte sich scheinbar um eine Raubkatze von der Größe eines kräftigen Vorstehhundes. Ihr Fell war rötlichbraun und mit vielen schwarzen Punkten durchsetzt. Das Gesicht war wunderschön gezeichnet und an den Ohren hatte sie lustige schwarze Pinselchen, die steil nach oben ragten und sie zum Schmunzeln brachte. Sie lächelte Drago an, dankbar dafür dass er ihr das schöne Tier gezeigt hatte. Es musste ein Luchs gewesen sein. Sie hatte Bilder gesehen von diesen schönen Raubkatzen. Ihr Vater hatte ihr einmal erzählt dass er einen gesehen hatte bevor alle Welt Jagd auf diese Tiere gemacht hatte, bis nur noch wenige im Süden übrig blieben. „Wie hübsch er ist.“ flüsterte sie verzückt zu Drago.

Chou Chou warf ihr einen schrägen Blick zu und machte streng „Mau!“ Elise sah Chou Chou an und grinste. „Ja Chou Chou.“ „Natürlich bist du viel hübscher.“ Sie streichelte ihre neue Begleiterin, die augenblicklich in ( - flüsterndes... - ) Schnurren verfiel. Drago lächelte, und irgendwie schoss ihm plötzlich ein seltsames Bild in den Kopf.

- Er sah sich selbst, an seiner Hütte, am Fluß. Und er lachte. Die Sonne schien und ein ( sein ) Mauersegler zog seine Kreise für einen Nachmittagssnack. Chou Chou beobachtet, in der Sonne dösend, den kleinen Vogel am Himmel. Sie fläzte sich im Gras und gleich neben ihr saß Elise und winkte ihm zu. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Und er wollte sie… . -

Langsam bewegte sich Elise jetzt rückwärts, und er folgte ihr zu den Pferden zurück. Sie verhielten sich leise um den Luchs nicht aufzuscheuchen. Auch Chou Chou, die flink wieder in ihre Tasche huschte, verhielt sich ruhig.

Sie setzten ihre Reise fort.

Sie ritten etwa eine Stunde schweigend, wie so oft.

Elise dachte über ihre Familie nach, welche ihr sehr fehlte. Die Ausflüge aufs Land mit Vater kamen ihr in den Sinn. Wie er ihr und ihrer Schwester die Namen der Bäume genannt hatte, um sie kurze Zeit später mittels Abfragen wiederum von ihnen zu hören.

Josephine wusste sie immer alle. Sie selbst hatte ihre Schwierigkeiten, sich die Namen der Pflanzen zu merken. Dafür war sie meist die Bessere bei den Mathematikaufgaben die Maman ihnen zu Hause stellte, wenn sie Sonntags bei Tee und Gebäck zusammensaßen. …Hmmmmh! Lecker. Der Geschmack der selbstgebackenen Kekse tanzte auf ihrer Zunge. Ja, sie roch sogar den betörenden Duft. Oh ja, und der Tee. Bergamotte-Tee..., mit Kandiszucker... . Seltsam was das Gehirn einem so vorgaukeln kann. ...Josephine...Die verregneten Nachmittage, die sie mit ihr in ihrem oder Elises Zimmer verbracht hatte, fielen ihr ein. Sie hatten herumgealbert und gekichert wie kleine Mädchen es nun mal tun. Mit dem Unterschied, dass sich dies bei ihnen bis zuletzt nicht geändert hatte. Ein Tag vor Zwei, vielleicht Drei Jahren blieb ihr besonders in Erinnerung. Maman und Papa waren ausgegangen und die beiden Mädchen hatten Modenschau gespielt. Nacheinander probierten sie einige von Mamans Kleidern an. Elise hatte zwar bei manchen so ihre Probleme hinein zu passen, doch das tat ihrer Freude keinen Abbruch. Gekünstelt elegant und hochnäsig waren sie voreinander her stolziert. Sogar Mutters Schminke trugen sie sich mit den Fingern auf Wangen und Lippen auf.

Plötzlich waren ihre Eltern überraschend, früher nach Hause gekommen. Das Drama in dem Theater welches sie sich anschauen wollten war abgesagt worden, wegen Unpässlichkeit der Hauptdarstellerin. Dafür bahnte sich zu Hause eines an. Vater kam als erstes die Stufen hinauf und betrat ( - die Bühne - )das Ankleidezimmer, um seinen unbequemen Anzug schnellstmöglich loszuwerden und einen anderen anzuziehen, der etwas lockerer sitzen würde. Er bekam zunächst einen Schreck der ihn einen Schritt rückwärts gehen ließ. Dann musste er loslachen. Die Beiden sahen wohl zu lustig aus, um aus dem Drama nicht doch noch eine Komödie zu machen. Gerade die Schminkversuche spiegelten ihre Unerfahrenheit auf dem Gebiet auf amüsante Art und Weise wieder.

Vater hatte schmunzelnd nach unten gerufen:

"Cherie´komm doch einmal hinauf. Ich habe zwei zuckersüße mir unbekannte junge Damen in unserem Ankleidezimmer entdeckt. Vielleicht sind dir ihre Gesichter geläufig."

Maman war nach oben geeilt und letzten Endes standen sie alle Vier lachend in dem kleinen Raum... .

Sie vermisste ihre Familie sooo sehr. Auch Madame Turodon mit ihren vortrefflichen Koch- und Backkünsten vermisste sie. Ebenso Ling-Sung, den Gärtner würde sie jetzt gerne wiedersehen. Und…, ach, sie vermisste sie alle. Sie seufzte.

Doch auch etwas neues, nämlich ihre sich entwickelnden Gefühle für Drago beschäftigten sie.

Sie ritten stumm weiter. Chou Chou lag hinter Elise auf dem Sattel, wo sie mit halb geschlossenen Augen vor sich hin schaukelte, was ihrer entspannten Ruhe, seit sie aus dem Revier des Luchses abgezogen waren, keinen Abbruch tat. Wie ein neuer Seemann, hatte sie sich an den Pferdegang inzwischen gewöhnt.

Nach einer Weile fragte Elise Drago:

"Sagt Drago. Habt ihr irgendwo noch Familie, und eine..., nicht das es mich etwas anginge...eine Frau?"

"Ich hatte eine Frau. Sie ist vor Jahren gestorben." Antwortete er knapp.

"Oh, verzeiht. Das tut mir leid. Das muss grausam sein, die Geliebte zu verlieren." Antwortete sie bedrückt.

"Schon gut. Ich habe damit abgeschlossen. Es angenommen, weil es Schicksal ist. Es hat seine Zeit gebraucht, und ich werde sie immer in Ehren halten. Sie war eine gute Frau und ich liebte sie sehr..., und sie musste zu früh gehen. Das Leben ist manchmal..., nicht fair. Versteht ihr? Aber ich glaube daran dass wir alle einen vorbestimmten Weg haben. Und ab und zu stehen uns Dinge..., Widrigkeiten im Weg. Manchmal auch wir selbst..., oft sogar wir selbst… . Es geschehen Dinge die wir nicht verstehen, die uns weh tun, die uns verzweifeln lassen. Aber wir müssen weiter gehen. Wir müssen es, weil wir sonst niemals ankommen.“

Elise hatte Drago die ganze Zeit aufmerksam zugehört, und sie war erfreut. Einmal, weil er überhaupt einmal mehr als Zwei Sätze, - ohne mit ihr zu streiten - ,mit ihr sprach. Und zum Zweiten, weil sie gut fand was sie da hörte. Der „grobe Waldmensch“ schien gute Ansichten zu haben. Das machte ihn sehr sympathisch.

Sie musste an die Hochzeit von Josephine´ und Jacques denken. „Bei uns in Frankreich bestimmen die Eltern wer wen heiratet. Da geht es meist nur darum, welche Familie mit welcher eine Verbindung eingehen sollte und durfte. Die Betroffenen selber haben da kein Mitspracherecht. Aber meine Eltern sind nicht ganz so schlimm. Sie ließen meiner Schwester immerhin die Wahl zwischen drei Männern und ich denke, sie hat sich für den richtigen entschieden. Jacques ist ein guter Mann. Ich mag ihn. Die beiden anderen waren ein Dummkopf und ein fetter viiiel zu alter Kerl aus Lion.“

"Oh, das ist bei uns genau so.“ erklärte Drago. „Meine Eltern ließen mir keine Wahl. Aber ich bin ihnen nicht böse. Sie kennen es nicht anders. Aber bei mir war es ja auch ein Glücksfall. Wir waren bereits verliebt gewesen, bevor meine Eltern und ihre Eltern ihre Entscheidung getroffen hatten"

"Wo sind deine Eltern?" wollte Elise wissen.

"Sie leben in dem Dorf in dem du auch warst. Hin und wieder besuche ich sie und bringe ihnen etwas Wild. Wenn das hier vorbei ist lade ich euch zu meinem berühmten Wildschweinbraten mit Kräuterkruste ein. Das Rezept ist von der Dorfältesten, Mutter Balasc. Man sagt sie hat besondere Kräfte und könne Wahrsagen. Habt ihr sie gesehen? Sie ist öfter in der Taverne." …

WUSCH! Machte es.Als wäre ein heftiger Windstoß vorbei gerauscht.

Ein lautes Wiehern folgte.

Drago drehte sich blitzschnell um. Elises Pferd lief stobend davon. Jedoch ohne Elise darauf.

Sie war verschwunden, hatte sich aufgelöst, weg!

Sein Pferd stieg auf die Hinterhufe und wieherte ebenfalls. Drago verlor das Gleichgewicht, fiel nach hinten, plumste jedoch seitlich zu Boden, da er krampfhaft die Zügel fest gehalten hatte.

Elise blieb verschwunden. Erst jetzt sah er wieder nach oben und was sich da vor ihm aufgebaut hatte.

Sein Arm hielt weit ausgestreckt das Pferd, welches ein weiteres Mal aufstieg. Das riss Drago wieder auf die Füße.

"Heilige Maria, Mutter Gottes steh uns bei." murmelte er vor sich hin.

Hastig zerrte er an seiner Tasche, die am Sattel hing. Mit der anderen Hand versuchte er die Zügel seines aufgeregten Pferdes weiter fest zu halten. Die Tasche löste sich endlich. Die Zügel glitten ihm aus der Hand als sein Hengst sich ein Drittes Mal aufbäumte. Das blanke Entsetzen war stärker als alles andere. Er rannte mit Panik erfüllten Augen davon als sei der Teufel hinter ihm her.

Im Grunde war er das auch. Das war jedenfalls Dragos erster Gedanke beim Anblick der Kreatur.

Eine mindestens fünf Meter große Kreatur hatte sich Elise einfach aus den Baumwipfeln herab vom Pferd geschnappt. Es hatte eine tiefschwarze Grundfarbe. Die lederartige Haut war aber komplett durchzogen von giftgrünen Runenähnlichen Zeichen und Linien. Es stand auf fast einen Meter langen Klauenartigen Füßen, die bei jedem Schritt einen zähen grünen Schleim hinterließen. In einer der riesigen, ebenso mit Klauen besetzten Pranken hielt es die zappelnde um sich schlagende Elise. Es hob sie höher, bis über seinen Kopf. Der Schwarzgrüne, sehr breite Schädel mit den sternförmigen Zacken an den Seiten und dem einzelnen etwa einen Meter langem gebogenen Horn das aus seiner Stirn wuchs, bewegte sich langsam ein Stück nach hinten. Die leuchtenden grünen Augen verengten sich und es öffnete das Maul. Es hielt Elise jetzt nur noch mit seinen Klauen an ihren Füßen fest, wie eine geräucherte Sardelle an der Schwanzflosse bevor man sie mit Kopf und Gräten verspeist.

Vor dem Maul des Monsters schwebten winzige grüne und schwarze Teilchen die nun anfingen sich zu drehen. Ein Sog entstand, sodass Elises Körper sich wie an Fäden gezogen in Richtung Maul bewegte. Sie schrie aus Leibeskräften und versuchte irgendwo an der Pranke dieses Viehs Halt zu finden um sich festzuklammern.

"Oh Gott. Lass es nicht so enden!" betete sie.

"Nicht so! Ich will nicht gefressen werden. Oh mein Gott, oh mein Gott!" Elise verspürte zum ersten Mal in ihrem Leben, echte Todesangst.

Ihre Finger rutschten immer und immer wieder ab. Der Sog wurde stärker und stärker. Sie konnte ihren Griff nicht mehr halten. Elise befand sich nur noch einen Meter von dem furchteinflößenden übelriechenden Maul mit den doppelreihigen scharfkantigen Zähnen entfernt. Ihr Schrei der gerade wieder erneut angeschwollen war erstickte, als das Monster urplötzlich seinen Griff löste.

Elise schrie, als ihr linker Fuß im freien hing. Dann verstummte sie und ihr Atem stockte. Der Druck an ihrem rechten Fuß war gerade ebenfalls verschwunden.

Elise schloss die Augen und fiel.

 

*

 

Chicago, USA, 2008

 

Cathy saß in der Dämmerung rauchend auf der Veranda des schmucken kleinen Hauses und beobachtete einen Waschbären der dabei war, die Mülltonne des Nachbarn genauer zu erforschen. Nachdem er sie drei Mal mit unermüdlichem Schnüffeln, wobei sich seine Nase in sämtliche Richtungen zu bewegen schien, umrundet hatte, war er zum Angriff über gegangen. Mit einem Satz hing er am Rand der Tonne. Er strampelte, ein wenig ungeschickt für seine Verhältnisse, mit seinen Hinterpfoten an der Außenseite der Tonne herum bis er endlich Halt fand und mit Kopf und Vorderpfoten darin verschwand. Eine Weile hingen seine Füße immer noch über dem Rand. Schließlich war er aber komplett in seiner neu entdeckten Wundertüte abgetaucht.

Im Haus ließ Vallerie sich von dem grau melierten Dr. Jenkins die Wunden versorgen, die sie sich im Laufe der letzten Stunden oder Tagen, -sie wusste es nicht-, zugezogen hatte.

Äußerst misstrauisch beobachtete sie ihn dabei und folgte jedem Schritt und jeder Bewegung des Mannes genauestens.

Als der Doktor die Einstiche in der Armbeuge sah, schaute er sie nur kurz scharf an und führte seine Arbeit nach einem Seufzer fort. Von den Vergewaltigungen erzählte sie nichts. Das würde schon wieder in Ordnung kommen. Ja, ganz bestimmt, versicherte sie sich selbst. Außerdem wollte sie momentan niemanden da ran lassen, auch keinen Doktor.

Der Mann gab ihr ein seltsames Ding mit einem Schraubdeckel und sagte zu ihr:

"Lassen sie sich damit zweimal täglich die blauen Flecken einreiben, Ok?." Er sah sie mitfühlend an.

"Und sie sind sicher, dass sonst alles O.K. ist? fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen, wobei er aber milde lächelte.

"Wenn O.K. alles gut bedeutet dann ja, alles O.K.." antwortete sie und lächelte sogar selber ein wenig. Anscheinend hatte sich das Blatt für sie, momentan zumindest, gewendet. Sie hatte bereits Zwei Menschen getroffen die es anscheinend wirklich gut mit ihr meinten.

Dr. Jenkins ging zur Haustür und schaute suchend um die Ecke. "Cathy, du kannst reinkommen. Ich bin fertig. Sie ist soweit O. ..." Er sah kurz in Valleries Richtung und fuhr dann fort. "Ihr geht es soweit gut. Sie sollte die Hämatome weiter mit der Salbe behandeln. Habe ich ihr aber bereits gesagt." Er ging kurz vor die Tür auf Cathy zu, als diese aufgestanden und sich in Bewegung gesetzt hatte. Er zog Cathy etwas beiseite. "Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Woher hast du die?" fragte er

Cathy erzählte von ihrem Zusammentreffen und ihrer Vermutung das Vallerie nachdem ihr Mann sie verprügelt hat unter Schock stand. Mehr wusste sie auch noch nicht. Aber waren sie nicht oft so, anfangs? Das würde schon werden mit ihr.

"Verdammt! Was sind das bloß für Menschen, die zu so etwas fähig sind?“, regte sich Dr. Jenkins auf, wie er es immer tat. Er verabscheute diese Mistkerle genauso wie Cathy. „Bringst du sie zu Jacky?" wollte er wissen.

"Ja, ich geh gleich mit ihr hin." antwortete Cathy.Sie gingen hinein, zu Vallerie, die immer noch an dem Behandlungstisch lehnte. Sie hatte sich aber wieder angekleidet.

Cathy und Vallerie bedankten sich beide bei Dr. Jenkins und verabschiedeten sich.

Cathy war heilfroh den Mann zu kennen. Er hatte schon so manchem Menschen geholfen, der sich keine Krankenversicherung leisten konnte. Man traf äußerst selten auf Mediziner wie ihn, die ihren Beruf tatsächlich noch als Berufung ansahen. Da hatte sie schon ganz andere erlebt, die selbst Schwerstverletzte nicht behandelten sondern vor die Tür setzten, wenn sie nicht versichert waren oder die Kohle bar auf den Behandlungstisch legten.

Vallerie ging mit Cathy um das Haus herum zurück zur Straße.

Im Hintergrund fiel eine Mülltonne krachend auf den Betonboden. Ein fluchender Mann riss sein Fenster auf und war direkt im Anschluss mit Hasstriaden auf "diese fuck-verdammten Waschbären!" zu hören.

Nach einem Fußmarsch von fünfzehn Minuten standen sie vor dem vergitterten Zuweg eines großen freistehenden altmodischen Hauses. Cathy drückte einen Knopf an dem kleinen Kasten an der Wand.

Kurz darauf erklang eine Frauenstimme, die Vallerie fast zu Tode erschreckte. Sie zuckte heftig zusammen und sah sich suchend um. Sie starrte Cathy verwirrt an.

"Wer ist da?" fragte die Stimme.

"Hey bleib cool Schätzchen!" sagte Cathy leise zu Vallerie und fuhr dann in Richtung eines durchlöcherten Metallplättchens an dem Kasten fort:" Ich bins Jacky, Cathy. Ich hab dir was mitgebracht." Mit diesen Worten zog sie Vallerie, die nun das Metallplättchen bewunderte, vor eine gläserne Halbkugel in der Mitte der Gittertür.

Vallerie nahm an es müsste sich um eine Art Zauberkugel handeln, die der Frau im Haus zeigte wer draußen steht.

Nach einem nur teils gespielten, langgezogenen Stöhnen kam ein: "Na wunderbar Cathy, wir sind ja auch noch nicht voll genug. Immer rein mit der Kleinen."

Ein seltsames Summen ertönte. Cathy öffnete die Tür mit einem lauten Klacken und beide Frauen schritten die Stufen zur eigentlichen Haustür hinauf, während das Gittertor wieder zurück ins Schloss viel. Die Haustür ging auf und eine stämmige dunkelhaarige Frau um die Fünfzig ließ sie hinein. Sie stemmte die Hände in die Hüften, fixierte den Neuankömmling und begann mit einer festen Stimme die keine Widerrede zu dulden schien, auf Vallerie einzureden. "Hi, ich bin Jacky. Was ich sage ist hier Gesetz. Du bekommst ein Zimmer, was zu Essen und meinen persönlichen Schutz. Wenn du dich an die Regeln hältst! Die da wären: Keine Drogen, kein Saufgelage, kein Klauen oder Kloppen in meinem Haus! Wenn dein Kerl hier auftaucht sag mir Bescheid und ich knall ihn übern Haufen. Wenn du nach einer Woche wieder zu dem Arschloch zurück willst weil du eine von diesen hörigen Dummchen bist die es nie lernen, bekommst du nen Tritt in den Arsch und brauchst dich nie wieder hier blicken zu lassen. Soweit alles O.K.?"

"…O.K.." stammelte Vallerie nur nickend.

Cathy brachte Vallerie auf ihr Zimmer und flüsterte ihr auf dem Weg nach oben zu:

"Keine Angst. Das ist Jackys Standartansprache. Eigentlich ist sie echt in Ordnung." beruhigte sie Vallerie ein wenig.

Vallerie hielt Jacky allerdings bereits wirklich für eine Art Zauberin. Sie konnte durch die Kristallkugel am Tor sehen, durch kleine Metallplatten sprechen und sie würde sie vor dem... -Sie musste grinsen-..."Arschloch" beschützen. Ihn über den Haufen knallen falls er kommen würde. Das gefiel ihr.

Vallerie fühlte sich geborgen, fast so wie bei Ryan.

Zum Abschied umarmten sich Cathy und Vallerie. Cathy versprach in den nächsten Tagen nach ihr zu sehen. Dann drückte sie Vallerie noch einmal und verließ das Haus.

Später kam Jacky noch kurz in Valleries Zimmer und brachte ihr einen süßen warmen Trunk namens "Heiße Schokolade".

Er schmeckte fantastisch. Sie wünschte ihr eine Gute Nacht und schickte noch ein, angestrengt ernstes „Um Zehn ist Ruhe!“ hinterher.

Vallerie trank ihre heiße Schokolade im Bett. Kaum hatte sie den letzten Schluck herunter geschluckt und sich die kleinen süßen Reste von den Lippen geleckt, sank sie auf ihr Kissen und schlief sofort ein.

 

*

 

Rumänien, 1847

 

Jacques erwartete einen schlimmen Aufprall und schloss sicherheitshalber innerlich mit dem Leben ab. Nicht das erste Mal, seit er in diesem ganzen Schlamassel gelandet war. Er überlegte, wie es sich wohl anhören würde, wenn er nach etlichen Metern auf harten Stein aufkommen würde, und ob er selbst das Geräusch noch vernehmen könnte, wenn er mit dem Kopf zuerst aufkäme. Und danach sah es zur Zeit aus, so wie er fiel. Was für eine blödsinnige Frage, im Angesicht des Todes..., fiel Jacques gerade auf, als er mit einem lauten Platschen untertauchte.

Überall um sich herum hörte er ein grausiges Zischen und brodeln. Im ersten Moment hatte er die schockierende Vermutung, dass das Wasser in dem er sich befand kochte. Aber ihm war kein bisschen warm. Mehr als Fünfzehn Grad dürfte es nicht gehabt haben. Er hielt die Luft an und hielt sich etwa einen Meter unter der Wasseroberfläche. Sein Blick ging nach oben. Die bissigen Feen waren zu Hunderten in das kühle Nass gestürzt und ihre Lichter erloschen. Und mit ihnen ihr Leben. Schrumpelig schwarz wie ausgebrannte Wunderkerzen sanken sie an Jacques vorbei, zum Grund ( - in welcher Tiefe der auch sein möge - ). Die verbliebenen fliegenden kleinen Monster sammelten sich kurz, über dem Wasser, dann verschwand die Wolke aus Licht und es wurde mit jedem Meter den sie sich entfernten dunkler. Jacques wurde die Luft knapp. Er musste schnell wieder an die Oberfläche. Mit Drei kräftigen Zügen war er oben. Tief einatmend erhob er sich aus dem Wasser. Um ihn herum schwammen noch Neun bis Zehn der kleinen bösen Elfenwesen zappelnd und offensichtlich verletzt im Wasser. Sie versuchten, in die Luft greifend, aus dem für sie tödlichen Element zu entkommen. Aber einer nach dem anderen wurden sie langsamer und das Schwarz durchdrang sie überall, bis sie erstarrten und wie die Hunderten zuvor unter gingen.

Er sah sich, in dem nur noch schummrigen Licht um.

Über ihm in einer Höhe von etwa Fünfzehn Metern klaffte das eckige große Loch durch das er gestürzt war. Er schwamm in einer Art unterirdischem kleinen See. Sich mit Händen und Füßen strampelnd um sich selbst drehend entdeckte er, gerade bevor das letzte Schimmern seiner ehemaligen Verfolger sich endgültig verlor, ein schwarzes Loch in etwa einem halben Meter Höhe in der Wand. Dann war es stockfinster.

"Na toll! Von einem dunklen trockenen Loch, in dem ich fast verdurstet wäre, in ein dunkles Wasserloch. Welche Ironie. Man könnte meinen, das Schicksal ist ein arger Schelm und macht sich einen vergnüglichen Nachmittag mit mir." resümierte Jacques laut vor sich hin. Er schwieg und paddelte eine Weile grummelig vor sich hin starrend durch die Dunkelheit. Dann rief er plötzlich „ Hey Toni, komm runter, das Wasser ist wunderbar angenehm. Er lachte laut auf. Dann fingen seine Zähne an zu klappern, was ihn wieder zum lachen brachte. So lange du noch lachen kannst, besteht Hoffnung. Womit nicht sie zuletzt stirbt, sondern der Humor, stellte Jacques fest, und lachte erneut.

... Josephine!...

Jacques besann sich und machte sich erneut daran, auch aus diesem Gefängnis, einen Ausweg zu finden.

Nachdem er den Versuch aufgegeben hatte, an den glitschigen Wänden irgendeine Möglichkeit zu finden um nach oben zu klettern, tastete er an der Wand nach dem schwarzen Loch. Er fand es und streckte seinen Arm hinein. Als er kein Ende fühlte stemmte er sich nach oben und steckte den Kopf in das Loch. Es war kaum groß genug, dass er darin hocken konnte. Und wenn es enger würde, käme er vielleicht nie wieder zurück... . Aber wohin zurück auch? Zurück ins Wasser. Ja, verdursten würde er hier nicht, aber verschrumpeln und verhungern. Was war das?... Er spürte einen leichten Luftzug. Das konnte nur bedeuten, dass dies ein Gang war der irgendwo wieder herauskam. Irgendwo wo Luft war, und ein Boden unter den Füßen, hoffentlich. Jacques Herz klopfte aufgeregt. Er hoffte einfach inständig dass der ohnehin schon jetzt recht enge Tunnel in dem er nur krabbeln konnte, nicht auf halber Strecke so schmal würde, dass er nicht mehr hindurch passen würde. Er bereute die vielen Lammkottelets und Kuchen. Aber nur kurzzeitig, nachdem er die verschiedenen Geschmäcker in seinem Gedächtnis hervor gekramt und vor sich sah. Langsam schob er sich komplett in den Tunnel und begann auf allen Vieren zu kriechen. Nach zehn Minuten schmerzten seine Knie und Hände so sehr das er eine Pause einlegen musste. Seine nassen Kleider klebten unangenehm an seiner Haut. Sie nahmen allen möglichen Dreck und Staub freudig auf und ließen ihn fest pappen. Kälte durchströmte ihn. Bibbernd hockte er eine Weile so da. Als der Luftzug schon sehr deutlich zu vernehmen war, wurde die Kälte unangenehmer als die Schmerzen, also kroch er weiter.

Jacques wog gerade ab ob es ihm zuträglicher sei in seiner momentanen Situation zu fluchen oder zu jammern, als er ein Leuchten in der Ferne sah. Er stoppte und verharrte auf der Stelle. Mehr neugierig als ängstlich wartete er ab, ob dieses Licht, wie das letzte, auf ihn zukäme.

In diesem Fall würde er sich wohl seinem Schicksal ergeben, statt wie ein Wahnsinniger rückwärts zu krauchen. Drehen konnte er sich nicht mehr. Der Gang war zwar immer noch groß genug zum hindurch kriechen, aber er war doch noch um ein ganzes Stück schmaler geworden. Die kleinen Wesen würden ihn sowieso schneller erreichen als er kriechen konnte. So rum oder so rum, war da völlig gleich.

Schließlich hatten sie ihn bereits im vollen Lauf locker eingeholt. Doch das Leuchten blieb unbeweglich an der gleichen Stelle in gleicher Intensität.

Das wiederum beflügelte Jacques geradezu. Er legte an Tempo zu und kam dem Licht immer näher. Plötzlich fiel etwas vor ihm mit einem "Klack!" zu Boden. Er sah nach unten. Die Mag-Lite war ihm soeben aus der Tasche gefallen.

"Ich Idiot!" fluchte er. Und wenn in dem engen Gang genug Platz gewesen wäre, hätte er sich selbst kräftig geohrfeigt. "Ich hätte die ganze Zeit Licht haben können!"

Kopf schüttelnd kroch er mit der eingeschalteten Taschenlampe weiter.

Endlich war er an einem Ausstieg angelangt. Ein Loch im Bretterboden eines Raumes. Jacques steckte seinen Kopf durch das Loch und schaute sich wie das Periskop eines U-Bootes ringsherum um. Er schaltete die Lampe aus und verstaute sie wieder in der Tasche. Ein wenig Licht kroch über den Boden der Kammer in die er sah. Es kam von außerhalb und drang durch einige rautenförmige Löcher im unteren Bereich der Wand vor ihm. Wie in den Fenstern von Beichtstühlen. Der Raum war vielleicht acht Quadratmeter groß. Jacques stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Loches und stemmte sich mit Schwung hoch, um aus dem Gang in die Kammer zu klettern. Sein Oberkörper bewegte sich mit dem Kopf voran gen Decke, und dann ging Jacques sogleich wieder in die Hocke nachdem er sich den Schädel mit Wucht an selbiger, in nur Einem Meter Höhe heftig gestoßen hatte.

"Ahh! Oh! Auh!“ Jacques presste instinktiv sofort beide Hände auf die Stelle des Aufpralls. „ Warum immer ich?" schimpfte er.

"Wer zum Teufel denkt sich solch einen Raum aus?"

Jacques schob die Frage beiseite. In Anbetracht dessen, dass er bereits mit diesen netten Elfchen Bekanntschaft gemacht hatte, würde es ihn nun auch nicht weiter überraschen, wenn mit einem Mal eine Zwergenfamilie hereinspaziert käme. Eine Zwergenfamilie mit Keulen und Kanonen.

Er tastete die Wände ab und fand einen Riegel. Der ließ sich ohne Probleme zurück schieben, woraufhin sich eine kleine Tür öffnen ließ. Jacques kroch hindurch und erhob sich. Er stand jetzt in einem großen hohen Saal mit langen Tischen. An den Wänden befanden sich vertikal lang gezogene Fenster mit prächtigen roten Samtvorhängen. Als er sich umblickte, sah er dass der kleine Raum aus dem er hervor gekommen war keine Zwergenwohnung, sondern eine Art Bühne war. Anscheinend war er in einem Festsaal gelandet in dem früher einmal normalerweise gespeist und getrunken wurde, während fahrendes Volk und Gaukler ihren Schabernack und ihre Kunststücke auf der Bühne vollführten.

Doch dieser Saal sah nicht so aus als wäre er heute noch Mittelpunkt großer Veranstaltungen. Jacques ging ein wenig umher und sah sich nach einer Tür um, die ihn vielleicht nach draußen führen würde. Er lief zur großen Haupttür. Sie war abgeschlossen. An der Seite fand er eine weitere und schritt darauf zu. Er betätigte die Klinke der Tür.

"Ebenfalls verschlossen! Natürlich!" stöhnte er.

Doch etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit plötzlich erregt. In einer Nische des Saals schien ein schwarzer fünf Zentimeter breiter Streifen in der Luft zu schweben. Erstaunt ging er darauf zu.

Der Streifen waberte seltsam vor sich hin. Jacques berührte ihn vorsichtig. Nichts geschah. Er beugte sich nach vorne und blickte um den Streifen herum. Plötzlich ertönte ein seltsames Geräusch. Es machte:"Srrrrrt" gefolgt von einem Knistern.

Jacques stutzte und bewegte sich mit äußerst skeptischem Blick zurück.

Was war das? Er konnte nichts erkennen. Nochmal beugte er sich vor. Unauffällig zu dem Riss linsend, in der Hoffnung genau die gleiche Bewegung brächte auch genau das selbe Geräusch ein zweites Mal hervor. Und tatsächlich da war es wieder:"Srrrrrt" ( - Knister Knister - ). Jacques blieb in seiner jetzigen Stellung und verdrehte Kopf und Augen um eventuell etwas entdecken zu können.

Jetzt sah er es. Da wo seine Jackentasche den Streifen berührte war ein lilafarbenes Licht erschienen. Er stellte sich gerade davor und hielt seine Tasche dabei weiterhin dort wo sie war.

"Seltsam. Wieso geschieht das wenn ich mit meiner Jacke...?"

da traf ihn die Erkenntnis wie einen Blitz.

"Das Kristalldingsbums! Genau! Das kann es nur sein!"

Schnell fischte er den Kristall aus seiner Tasche und hielt ihn an den Streifen. Ein Stückchen hinauf, ein Stückchen hinunter fuhr er daran entlang. Schließlich zog er das Ding über die gesamte Länge und zog es zurück. Nun blieb der entstandene lila Riss in der Luft stehen. Und Jacques stand ratlos davor.

Wieder packte ihn die Neugier. Mit einem Finger piekte er kurz hinein, zog ihn aber gleich wieder zurück. Nichts geschah. Es tat auch nicht weh, was ja schon mal per se gut war. Jacques wurde mutiger und schob langsam seine ganze Hand in den Riss. Wieder versuchte er auf der anderen Seite nachzuschauen ob dort etwas zu sehen war. Doch da war nichts. Keine Hand, kein gar nichts. Er zog die Hand zurück und betrachtete sie eindringlich von allen Seiten. Alles wie gehabt, stellte er beruhigt fest. Er schob sie ein Zweites Mal hinein und gleich danach wieder hinaus. Sicher ist sicher... . Mit einem doch ein wenig mulmigen Gefühl in der Magengegend, die er aber als Hunger abtat, atmete er noch einmal tief ein und steckte seinen Kopf in den Riss.

Er blickte in einen nach rechts und links verlaufenden Gang und trat nach einem letzten kurzen Zögern ein.

"Du lieber Himmel! Wo bin ich jetzt gelandet?" staunte Jacques.

Langsam marschierte er nach links los. Es fiel ihm gleich auf, dass überall diese schwarzen Streifen waren, und Gänge die abgingen.

"Ich weiß zwar nicht wo ich hier bin, aber irgendetwas sagt mir, dass ich hier sein soll. Wahrscheinlich ist das eine Art Geheimgang und ich brauche nur den Kristall an einem der anderen Streifen entlang zu führen um endlich aus diesem Gemäuer zu entkommen. Aber welcher. Das müssen Hunderte sein." bemerkte er verzweifelt. Und wenn manche davon Fallen sind? Andererseits, wenn man nur mit dem Kristalldingsbums hier rein kommt, und das Kristalldingsbums nur von den gewalttätigen Irren hier benutzt wird, warum sollte man dann Fallen aufstellen?

Aber welchen Gang und welchen vermeintlichen Ausgang sollte er nehmen. Es gab schließlich keinen Plan von der Gegend durch die er gerade streifte, jedenfalls hatte er keinen... .

"Also gut. Wer nicht wagt der nicht gewinnt!" sprach er, bog einmal nach rechts ab, dann nach links und blieb vor dem Nächstbesten schwarzen Streifen stehen. Er zog den Kristall von unten nach oben, als würde er einen riesigen Reißverschluss öffnen und schob sich ohne Zögern durch den Riss.

 

*

 

Elise bemerkte einen kräftigen Ruck und riss die Augen auf. Drago hielt sie mit dem rechten Arm umschlungen während seine linke Hand das Seil festhielt.

Er hatte Geistesgegenwärtig sein Seil mit einem Haken an dessen Ende aus der Tasche geholt, die er gerade noch dem Pferd entrissen hatte bevor es davon galoppiert war. Er hatte das Seil wie ein Lasso seitlich neben seinem Kopf geschwungen, und das Hakenende schließlich mit kräftigem Schwung in Richtung einer Baumkrone schräg rechts über ihm fliegen lassen. In einer kräftigen Astgabel der stattlichen Buche, in gut Zehn Meter Höhe blieb der Haken hängen und Drago hatte ihn fest gezogen. Er rannte zur linken Seite hinüber, während er den in der Mitte stehenden..., was immer es sein sollte, im Auge behielt. Es machte den Eindruck als würde es ihm eine wahre Freude bereiten, Elise zwischen seinen Klauen zu halten und zappeln zu lassen. Zu warten bis ihre Todesangst sie verrückt machen würde, oder sie vor lauter Angst einfach sterben würde, bevor sie in seinem Maul landen würde. Der Sog aus grünen und schwarzen Partikeln, der aus seinem grauenvoll bezahnten Maul drang, schien stärker und stärker zu werden. Drago hastete weiter und sprang in eine hohe Kiefer zur Linken des Ungeheuers. - Ja, ich denke DAS ist tatsächlich ein Wesen das diese Bezeichnung mehr als verdient. - Er kletterte nach oben als würde der Baum unter ihm plötzlich in Flammen stehen. Das Seilende hatte er fest zwischen seine Zähne geklemmt. Er sah nach rechts, wo das Ungeheuer stand und ein Stück weiter rechts daneben der Baum an dem das andere Ende des Seils mit dem Haken fest hing. Das Ungeheuer bewegte ganz langsam seine Klauen. Die erste löste sich und wurde abgespreizt. Elises linker Fuß hing frei in der Luft. Sie schrie auf. Drago ließ das Seil einige Meter nach unten fallen und griff sich deren Mitte hoch oben im Baum. Das Ungeheuer löste die letzten beiden Klauen, genau in dem Moment als Drago, das Seil einmal um die rechte Hand gewickelt sprang. Er hatte die Höhe und Entfernung nur abgeschätzt, aber GottLob war er in sowas ganz passabel. Es passte ganz knapp.

Elise fiel.

Doch kurz bevor sie im Maul des Viehs landen konnte, schwang Drago an seinem Seil, wie Tarzan, über den Monsterkopf hinweg und schnappte sich im Vorbeiflug Elise mit dem freien linken Arm.

Drago biss die Zähne fest zusammen und stöhnte kurz, da das Gewicht das er nun trug, verbunden mit dem Schwung, doch an die Grenzen seiner Kräfte ging. Elise sah ihn ganz kurz empört an. Sie hatte die Augen in dem Moment wieder erschrocken geöffnet, als Drago sie geschnappt hatte. Nun klammerte sie sich an Drago, nicht ohne ihm dann aber doch einen freudig dankbaren Blick entgegen zu werfen, den man deuten könnte wie:"Du bist mein tapferer Held!" So fühlte es sich für Drago jedenfalls an. … Und im Grunde wollte Elise auch genau das sagen.

Als sie den Zenit des Schwungs erreicht hatten passierte natürlich das unvermeidbare. Es gab einen kurzen Zwischenstop in der Luft, bevor sie mit Tempo wieder zurück in Richtung des Ungeheuers schwangen. Nun schrien Beide auf. Das hungrige Ungetüm stand schon mit geöffnetem Maul bereit. Elise musste in diesem Augenblick absurder Weise an das alte Märchen vom Schlaraffenland denken, wo den Menschen gebratene Tauben in den Mund fliegen.

Drago riss sie aus ihren Gedanken als er kurz vor dem Ungeheuer: "Loslassen!" schrie.

Elise ließ zwar nicht los, fiel aber mit da sie sich ja eh nur an Drago festhielt. Der landete unsanft auf dem Rücken, so dass ihm die Luft für einen Moment weg blieb.

Elise war genau auf ihm, direkt zwischen seinen Beinen gelandet.

Nase an Nase lagen sie da und glotzten sich gegenseitig mit weit aufgerissenen Augen an. Dann sah Drago einen dunklen Schatten auf sie zu stürmen. Mit einem Ruck riss er Elise herum, sodass er nun auf ihr lag. Dies tat er gerade rechtzeitig bevor das schwarzgrüne Etwas einen seiner mächtigen Klauenfüße in die Stelle am Boden grub, wo sie vor einer Sekunde noch gelegen hatten.

Es war offensichtlich nicht besonders erfreut über die vergangenen Augenblicke. Und es war immer noch hungrig.

Drago sprang auf und zog Elise mit hinauf. Hand in Hand rannten sie in die nächstbeste Richtung los.

Das Monster folgte ihnen mit einem furchtbar wütenden seltsam gutturalen Grollen. Dabei hinterließ es überall seine grünen Schleimspuren auf dem Waldboden.

Die beiden rannten um ihr Leben. Die Lungen schmerzten bereits. Nicht mehr lange und ihre Kräfte würden zur Neige gehen. Das Ungeheuer war jetzt schon sehr dicht bei ihnen. Es hatte sie nur noch nicht erwischt, da es den vielen Bäumen ausweichen, oder sie einfach bei Seite schieben musste. Auf freiem Feld wären die beiden kleinen Menschen schon längst in seinem Magen gelandet. Ausgerechnet jetzt stolperten Elise und Drago auf eine kleine Lichtung, und das Ungeheuer schloss sofort mit mächtigen Sätzen auf. Vier, vielleicht Fünf Meter hinter ihnen schnaufte, grollte und stampfte es jetzt.

Drago schrie auf. Elise blickte entsetzt zur Seite und sah das Drago von einer der Klauen an den Pranken des Ungeheuers am Rücken erwischt worden war. Es hatte nach ihm greifen wollen, und hätte ihn augenblicklich in Zwei Stücke gerissen. Es war wirklich verdammt wütend. So wütend, dass es nicht genug Acht gab. Es war bei der Aktion mit einem seiner langen Füße über einen quer liegenden Baumstamm gestolpert, und hatte sich Zwei, Drei Mal überschlagen. Dragos Jacke und das darunter liegende Hemd waren aufgerissen. Ein blutiger Streifen wie von einem Peitschenhieb erschien auf Dragos Rücken.

"Da! Da vorn!" rief Drago ihr plötzlich zu.

Er deutete auf einen Höhleneingang, oder ähnliches, etwa zehn Meter voraus an einer seitlich hoch ragenden Schieferwand. Das Ungeheuer war nach seinem Sturz, ohne jegliche Unterbrechung sofort wieder in den vollen Lauf übergegangen und befand sich bereits wieder knapp hinter ihnen. Ein weiteres Mal würde es nicht daneben greifen. Ganz sicher nicht.

Noch einmal boten Elise und Drago ihre letzten Kraftreserven auf. Das Ungeheuer setzte zum Sprung an. Mit bis zum Hals schlagenden Herzen, brennenden Lungen und krampfenden Muskeln sprangen sie im letzten Augenblick, keuchend in das dunkle Loch in der Wand. Direkt im Anschluss folgte ein donnernder Aufprall.

Der ganze Berg schien zu beben. Das Vieh grollte noch lauter und schrie zusätzlich wie von Sinnen, so dass man es noch in etlichen Kilometer Entfernung hören konnte.

Der Eingang in diese Höhle war definitiv zu eng für es. Doch natürlich hielt diese Tatsache das Ungeheuer nicht davon ab, einen weiteren Versuch zu starten hinein zu gelangen. Wieder rummste es gegen die Steinwand. Kleinere Felsbrocken lösten sich und polterten von der Höhlendecke. Schützend hielten sich beide die Hände über die Köpfe. Sie krochen tiefer hinein in die Höhle. So tief es ging. Was ihre Rettung war, und schon wieder nur mit viel Glück. Das Ungeheuer hatte sich anscheinend, immerhin auf seine ihm zur Verfügung stehenden Fähigkeiten besonnen. Drago ließ Elise voran gehen und bekam gerade noch im Blick nach hinten mit, wie das Vieh ruhig wurde und dann erneut damit begann seinen Sog einzusetzen. Grüne und schwarze Partikel schwebten in die Höhle und begannen sich zu drehen. Schneller und schneller. Drago stupste Elise an und beide klammerten sich an einem Felsvorsprung fest. Der Sog zog an ihnen, doch sie waren weit genug in den Gang gekrochen um sich halten zu können.

Steine,Dreck und Staub wirbelte hoch und verbanden sich in einem wilden Reigen mit den Partikeln, bis sie allesamt durch den Höhleneingang im Maul des Ungeheuers landeten. Es verstummte, und es schien tatsächlich einen kleinen Hustenanfall zu haben. Obwohl es sich bei diesem Vieh eher wie ein böses Gewitter anhörte. Ein letztes, eher halbherziges Rummsen war noch zu hören, ehe Ruhe einkehrte.

Nach bestimmt Zwanzig Minuten des Lauschens und Bangens wagte Drago einen ersten vorsichtigen Blick nach draußen. Es war weg. Elise kroch neben ihn in den Höhleneingang. Anscheinend hatte das Vieh aufgegeben und war weiter gezogen, auf der Suche nach leichterer Beute.

Sie verließen die Höhle und hielten noch einmal überall Ausschau nach dem Ungeheuer. Doch es schien tatsächlich verschwunden zu sein.

Elise und Drago lächelten sich erleichtert an. Gleichzeitig

atmeten beide kräftig ein und entspannt wieder aus.

Gleich im Anschluss war ein drittes Aus- und Einatmen zu hören.

Elise und Drago sahen sich verdutzt an, und drehten ihre Köpfe zeitgleich nach hinten. Hinter ihnen, am Eingang der Höhle, ragte ein stattlicher Braunbär in die Höhe. Auf den Hinterbeinen stehend, die Nase schnuppernd in die Luft gereckt tapste er langsam auf sie zu, um herauszukriegen wer oder was da versucht hatte seine Wohnung in Beschlag zu nehmen. Anscheinend war er unterwegs auf Futtersuche gewesen und wollte nun vielleicht ein Nickerchen machen.

Drago schluckte und flüsterte ohne dabei eine Bewegung zu machen. Nicht mal sein Mund öffnete sich wirklich.

" Hör zu. Der Plan ist, auf Drei laaangsam rückwärts gehen, niiecht dem Bären in die Augen schauen, dahn laaangsam und ruuuuhig umdrehen und laaahngsahm weggehen!"

Der Bär ließ nach Dragos Ausführungen ein furchterregendes, Sabber verpritzendes Brüllen verlautbaren und umgehend sprangen Elise und Drago wie vom Blitz getroffen auf und rannten in die Richtung, aus der sie eben noch hierher geflüchtet waren. Erst nach Fünfzig Metern blickte sich Drago im Lauf um und stellte fest das der Bär überhaupt keine Anstalten gemacht hatte sie zu verfolgen. Anscheinend reichte es ihm völlig, dass die unverschämten Eindringlinge seiner Aufforderung gefolgt waren und sich schleunigst davon gemacht hatten.

"Stop! Elise ihr könnt anhalten. Er ist nicht hinter uns her." rief Drago ihr keuchend nach.

Elise hielt ein ganzes Stück weiter vorne an, sah nach hinten und ließ sich dann völlig erschöpft an einer großen Kiefer nieder sinken.

"Das...war...jetzt...", sie machte eine kurze Pause um wieder zu Atem zu kommen, "...ein bisschen viel auf einmal.

Drago zog seinen ledernen Wasserschlauch aus der Tasche hervor und reichte ihn Elise. Sie bedankte sich, nahm einen großen Schluck und reichte den Schlauch zurück zu Drago der ebenfalls trank.

"Drago. Was um Himmels Willen war das?" fragte sie aufgeregt. "Ein Bär." antwortete Drago.

Elise griff nach einem Kiefernzapfen der neben ihr am Boden lag und warf damit nach Drago. Da dieser gerade dabei war, das Wasser wieder zu verstauen, konnte er nicht ausweichen und der Zapfen landete mit einem deutlich hörbaren "Pock!" an seinem Hinterkopf. Verdutzt blickte er mit fragender Miene zu Elise.

"Ich weiß selbst, dass das ein Bär war! In Paris habe ich schon als kleines Mädchen in der "Menagerie du Jardin des Plantes" einen Bären gesehen. In Frankreich gibt es auch wild lebende Bären. Nicht in Paris natürlich aber im Süden,

in den Pyrenäen. Ich meine dieses Ding. Dieses schwarzgrüne

...Wesen! Das ist weder biologisch noch sonst irgendwie wissenschaftlich erklärbar. So etwas kann einfach nicht existieren!" platzte sie heraus.

"Ist mir egal, dass es bio-dingsda nicht erklärbar ist. Dafür das es nicht existieren kann, stand es verdammt kurz davor euch mit Haut und Haaren zu verspeisen!" bemerkte er trocken.

"Ja! Natürlich war es da und auch echt. Aber sagt selbst. Habt ihr jemals so etwas gesehen oder davon gehört?"

"Gott bewahre! Nein niemals. Aber ich war auch noch nicht überall auf der Welt und wer weiß, vielleicht ist es ein uralter Dämon aus einer anderen Welt." sagte Drago fast beiläufig. Elise verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

"Ein...Drache oder so, aus fernen Ländern“ fügte Drago hinzu.

„Unwahrscheinlich,“ erwiderte Elise Stirnrunzelnd „…aber ich würde es immerhin in Erwägung ziehen.“ setzte sie nach. Sie hatte ja nun schon so einige seltsame Erfahrungen und Erlebnisse gehabt, seid sie in Paris aufgebrochen war.

„Aber ein Dämon aus einer anderen Welt? Ich bitte euch! Wohl möglich wollt ihr mir gleich noch erzählen er sei durch Raum und Zeit hierher gereist." belächelte sie diese verrückte Idee.

"Wie dem auch sei. Es ist weg und wir sollten uns auf die Suche nach unseren Pferden machen, bevor es dunkel wird.

In diesem Moment hörten sie weit entfernt ein furchtbares ersticktes wiehern, gefolgt von dem schrecklichen Schrei des Ungeheuers. Unverkennbar.

Elise und Drago sahen sich an.

"Ich fürchte wir werden ohne die Pferde auskommen müssen.“ stellte Drago missmutig fest. „Wenn wir Glück haben hat das Zweite es geschafft zu entkommen und läuft nach Hause.“ fügte er hastig hinzu, als beiden anscheinend etwas eingefallen war.

„Chou Chou!“ kam es schockiert aus Elise. „Chou Chou!!!“ schrie sie. Dann hockte sie sich hin und senkte ihren Kopf.

„Drago versuchte sie zu beruhigen, indem er ihr erzählte dass die Katze ja vielleicht wieder käme. Das es ganz sicher SEIN Pferd gewesen sei, dass das Ungeheuer gefressen hatte. Ja, da sei er sich sicher. Er kann das Wiehern unterscheiden. Und ihr Pferd würde zurück zu Alar laufen, und Iliana liebte Katzen. Sie würde sich gut um sie kümmern.

Das fehlt gerade noch, dachte Elise in einem kleinen, natürlich nun völlig unangebrachten Eifersuchtsanfall.

Sie erinnerte sich sehr gut an die „süße, hübsche, Gertenschlanke“ Iliana. … Aber natürlich wäre Chou Chou dort sicher, das war ihr bewusst. Aber das sollte nicht sein. Chou Chou sollte ( - musste! - )bei ihr sein.

Eine Träne lief Elises Wange hinab.

Drago starrte Elise niemals an, jedoch entgingen ihm weder ihre fraulichen Reize, noch die Träne, die jetzt auf ihre Bluse tropfte. Er ging zu ihr hinüber, griff mit beiden Händen nach ihren Schultern und ließ sie ihren Kopf heben. Er sah ihr tief in die Augen. Dann sagte er mit fester Stimme „Elise, Chou Chou ist tapferer und zäher als wir beide zusammen. Sie lebt, und sie wird zu dir zurück kehren. Versprochen!“ Elise sah ihn prüfend an. Dann nickte sie, wischte sich eine Zweite Träne, die gerade der ersten folgen wollte, aus den Augen, und sagte „Ja! Du hast Recht. Sie soll..., sie MUSS dabei sein. Und sie WIRD dabei sein. Elise lächelte. Drago lächelte zurück. Er wusste gar nicht wirklich genau, warum er Elise gerade dieses Versprechen gegeben hatte. Aber er spürte dass es richtig war.

„Also gut. Wir sollten zusehen, noch ein gutes Stück zurückzulegen und dann ein Nachtlager aufschlagen. Mit etwas Glück sind wir morgen am Schloss."

"Ich verstehe nicht wieso das so lange dauert. Immerhin bin ich zu Fuß von dort geflohen."

"Ihr wart lange ohnmächtig. Schon vergessen."

"Aber...? Wie lange war ich ohnmächtig?"

"Fast den ganzen Tag. Weder das Ziehen über Stock und Stein

mit der Schlepptrage noch die Fahrt auf dem Fluss hat euch aus eurer Ohnmacht erwachen lassen. Erst als ich zu Hause eure Wunde versorgen wollte kamt ihr zu euch. Daran erinnert ihr euch sicher. Ich jedenfalls habe diesen Moment in schmerzhafter Erinnerung behalten.“ Drago grinste, und Elise wurde ein wenig rot. „ Jetzt brauchen wir trotz der Pferde die wir bisher hatten sogar noch etwa einen halben Tag länger da wir den Fluss in diese Richtung wegen der Strömung nicht befahren konnten. Das hat uns mächtig viel Zeit gekostet."

"Oh, ich verstehe." sagte Elise und fügte hinzu:

"Wenn ich also nicht ohnmächtig geworden wäre hätten wir keine Zwei Stunden bis zum Schloss benötigt. Was natürlich im Grunde eure Schuld ist. Wenn ihr mich nicht mit eurer Kriegsbemalung erschreckt hättet, hätte ich diesen Unfall nämlich gar nicht gehabt!" überlegte sich Elise, mit einer Logik wie es nur Frauen können. Sie sah Drago vorwurfsvoll mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Tarnbemalung." sagte er ohne Betonung.

"Wie meinen?" fragte Elise verdutzt.

"Ich hatte Tarnbemalung aufgetragen, keine Kriegsbemalung. Aber wenn es euch erfreut entschuldige ich mich in aller Form bei euch." grinste Drago sie breit an.

"Nun das hoffe ich!" erwiderte Elise, nun gespielt trotzig.

"Ihr habt natürlich recht, ich hätte laut singend und stampfend zur Jagd gehen sollen damit Fräulein wie ihr rechtzeitig gewarnt seid!" hängte Drago an seine Entschuldigung an und grinste noch breiter.

"Das ist nicht komisch!" fuhr Elise ihn an, konnte es allerdings nicht verhindern selbst ihr Gesicht zu einem schmunzeln zu verziehen.

Dragos lächeln blieb auf sie gerichtet.

Jetzt konnte Elise ihre Fassade nicht mehr aufrecht erhalten. Sie prustete los und mit einem Mal lachten beide herzhaft. Das tat wahnsinnig gut. Die ganze Anspannung der letzten Stunden löste sich mit einem Mal.

 

 

*

 

Josephiné wischte sich mit ihrem Handrücken energisch die Tränen vom Gesicht. Sie durfte jetzt nicht aufgeben! Nicht einfach resignieren. Ihre Verzweiflung, die sie noch vor einigen Minuten fest umschlossen gehalten hatte, war gerade dabei sich in trotzige Wut zu verwandeln. Josephine blickte sich hektisch mit dem Kopf hin und her zuckend um, wie ein Jack-Russel-Terrier auf der Suche nach einem seiner Spielzeuge, weil er, (- verdammt noch mal, jetzt sofort! - ) in eines hinein beißen musste, um nicht auf der Stelle zu explodieren. Oder passender gesagt, zu implodieren. Sie schnappte sich eines der blassgrünen, fein bestickten Kissen und schleuderte es, mit einem fast schon kriegerischen Schrei, ohne besonderes Ziel quer durch das Zimmer. Es puffte sanft gegen die Wand und plumpste dann genau in die Goldverzierte Waschschüssel auf der Kommode. Josephine sah zu wie sich das blassgrün in ein sattes Dunkelgrün verwandelte. Ihre Mundwinkel zogen sich ein wenig nach oben. Dann grinste sie und schüttelte den Kopf. Das musste wohl mal sein, dachte sie sich. Das Kissenwerfen, der Schrei, und das belustigende Ergebnis des Wurfs gleichermaßen. Sie hatte sich selbst gleich auf Drei verschiedene Arten von dem immensen Druck auf ihre Seele befreit. Josephine entspannte sich langsam. Ihr Gehirn begann wieder darüber nachzudenken, wie sie aus dieser Situation heraus kommen konnte, und wie sie ihre Schwester finden könnte..., und Jaques... . Sie seufzte, holte aber sofort tief Luft, erhob sich, ( - nicht nur vom Bett - ), und begab sich zum Fenster.

"Ach, wäre doch Elise jetzt bei mir." dachte sie. Und wunderte sich fast zeitgleich, über ihre verrückte Idee. Schließlich könnte sie ja gar nicht hier, und in dieser Situation sein, wenn Elise bei ihr gewesen wäre. Dann wären sie beide gar nicht in diesem seltsam düsteren Land, mit seinem noch düsteren Schloss gelandet. Aber ihre Schwester, mit ihren ganzen Wissenschafts-Geschichten und Kenntnissen über alle möglichen Apparaturen, wüsste gewiss Rat. Sie hatte Ideen..., Ideen die ihr jetzt gewiss weiter helfen würden. Was würde sie mit ihrem eigenständigen Geist nun unternehmen? ... Sie schämte sich dafür dass sie Elise immer etwas belächelt hatte wegen ihres Wissensdurstes und ihrer Starrköpfigkeit dieses Wissen zu erlangen. Vielleicht hatte Elise Recht und Frauen sollten tatsächlich auch ohne männlichen Beistand zurechtkommen können, ihren Verstand schulen und einsetzen. Vielleicht war sie, - Josephine - , die Törichtere der Schwestern... .

Elise hatte sich im letzten Jahr mit einem Plakat, ganz alleine vor der Sorbonné aufgestellt. Stolz präsentierte sie ihr Anliegen mit erhobenem Haupt und trotziger Schnute. Bis die Gendarme kamen und sie mit verschränkten Armen und starren Beinen, das Plakat fest umklammernd, nach Hause schleiften. Vater und Mutter waren sehr erbost gewesen und hatten ihr sehr lange Stubenarrest erteilt. Und sie, ihre ach so große, tolle Schwester hatte Elise ausgelacht, wie alle anderen auch. Auf dem Plakat hatte gestanden: Lasst Frauen an der Sorbonné zu! Auch wir können und wollen lernen!

Die Studierenden haben sich lustig über sie gemacht. Manche der Lehrenden und der Schüler haben sie gar beschimpft und einer aus einer Dreiergruppe besonders selbstgefälliger Studenten warf eine weiche Tomate nach ihr, die an ihrer Schulter landete und einen matten roten Fleck hinterließ, bevor er ( - danke sehr, liebes Schicksal. Ich liebe deinen Humor! - )auf ihrem linken Schuh zerplatschte und nach allen Seiten hinunter kroch. Elise hatte diesem völlig beschränkten, dummen, idiotischen..., flink einen rasch aufgeklaubten Kieselstein hinterher geworfen und ihn tatsächlich am Hinterkopf getroffen. Ängstlich waren die Drei Studenten, der eine seinen Hinterkopf reibend, vor dem, sie grimmig anfunkelnden Mädchen davon gehastet. Natürlich war spätestens jetzt, das Lehrerkollegium verständigt worden. Die Leitung schickte Zwei mal den Hausdiener hinaus, der Elise aufforderte das Gelände zu verlassen. Das Zweite mal mit Verstärkung in Form eines bulligen Sportlehrers. Doch auch als dieser sich wie ein Schrank, Fünfzig Zentimeter vor ihr aufbaute, und einen Moment lang die Sonnen verdunkelte, wich sie nicht von ihrer Position. Eine Weile lang zerrte der Hausdiener noch an ihrem Plakat, währen Elise nicht locker ließ und ein wenig linkisch nach dem Mann trat. Der Sportlehrer hatte resignierend, die Hände in die Luft geworfen und kehrt gemacht. Schließlich war auch der Hausdiener abgezogen und man hatte die Gendarme informiert.

All das ließ Elise über sich ergehen und verharrte vor dem Gebäude bis zu ihrem Abtransport.

Elise war wütend gewesen. Am meisten ärgerte es sie damals, dass sie nicht einmal ernst genug genommen wurde um wenigstens ins Gefängnis gesperrt zu werden.

Josephiné hatte sie für völlig verrückt erklärt.

Jetzt schwor sie sich, sollte sie heil aus dieser Bedroullie wieder hinauskommen, würde sie gemeinsam mit ihrer Schwester diese Aktion wiederholen.

Und wenn sie Seite an Seite abgeführt werden, würde sie voller Stolz zu ihrer kleinen Schwester stehen.... Wenn sie Sie nur wieder bekommt... .

Josephiné blickte hinunter in den Innenhof des Schlosses.

Dort sah sie einen alten Brunnen, verlassene Stallungen und auf der einen Seite eine ganze Reihe Käfige aus glänzenden Metallstangen. Anscheinend wurden dort einige Wölfe gehalten. Ab und an hörte sie die Tiere winseln und ganz selten auch mal knurren. Sie versuchte die Entfernung abzuschätzen. Bis hinunter waren es sicher an die Zehn Meter.

Selbst wenn die Fenster nicht vergittert gewesen wären hätte ein Sprung hinaus sie schwer verletzen oder gar töten können. Auf jeden Fall musste sie sich auf Strapazen einstellen und bereit sein jede Chance zu nutzen. Dafür musste sie zu Kräften kommen. Sie fühlte sich ziemlich schwach. Es war schon eine ganze Weile her das jemand das Essen und das Wasser durch die Klappe in der Tür geschoben hatte. Und das hatte sie ja, bei ihrer „Explosion“ gegen die Tür geschleudert.

Von dem Wasser hatte sie mehr als die Hälfte getrunken. Sie hatte schrecklichen Hunger. Ihr Magen rumorte immer wieder vor sich hin. Nicht das sie unbedingt erpicht darauf gewesen wäre, jetzt zu speisen. Der Appetit fehlte ihr völlig.... Ihr Bauch quiekte, grummelte und röhrte lautstark. Eine Welle aus Übelkeit und Schwindel überrollte sie. Sie musste etwas zu sich nehmen. Hastig trank sie den Rest des Wassers. Es floss ihre trockene Kehle hinab und hinterließ dort ein wohliges Gefühl. Im Magen jedoch gluckerte es nur mit kleinen Salven aus Krämpfen vor sich hin. Eine Minute lang schielte sie zu der an Tür und Boden, inzwischen eingetrockneten, fest pappenden Speise.

Seufzend ging sie hinüber und begann damit, ein wenig angeekelt, die Pampe mit dem ebenfalls dort liegenden Löffel abzukratzen. Sie verzog das Gesicht als sie sich das Essen einverleibte. Aber sie wusste dass sie bei Kräften bleiben musste wenn sie noch eine Chance haben wollte zu überleben oder gar zu entkommen. Also schluckte sie brav alles runter und ließ kein Bröckchen von dem breiigen klebrigen Zeug zurück. Morgen sollte es einen herrlichen Sonnentag geben, für ihre gemeinsame Rückreise!

 

*

 

Chou Chou purzelte in der Satteltasche von rechts nach links. Zunächst krallte sie sich panisch in dem Leder fest und ihr kleines Herz raste. Nachdem sie einige Minuten dort gehangen und durchgeschüttelt wurde, wagte sie es ein Stück nach oben zu klettern. Sie steckte ihren Kopf aus der Satteltasche und stellte entsetzt fest, dass die gute Frau nicht mehr auf dem Pferd saß.

Das war nicht gut.

Ihr Schwanz zuckte unentwegt in der Tasche. Chou Chou blickte sich um. Das Pferd rannte durch einen recht dichten Teil des Waldes. Rechts und links wurde es andauernd von Ästen und Büschen gestreift. Chou Chou kannte sich nicht besonders gut mit Mathematik und Physik aus. Aber sie wusste instinktiv, dass sie sich gerade immer mehr und mehr von ihrer guten Frau entfernte. Und das musste aufhören. Sofort! Sie stieg, die Krallen ausgefahren, komplett aus der Satteltasche und kletterte auf den Sattel selbst. Ein wenig wacklig und verkrampft stand sie da und wartete auf den richtigen Moment...

Jetzt!

Sie sprang.

Und landete behende auf dem dicken Ast den sie sich ausgeguckt hatte. Nicht schlecht für eine Katze mit verkürztem Schwanz, die schon ihr halbes Leben hinter sich gebracht hatte.

Chou Chou hüpfte sichtlich stolz zu Boden, putzte sich ein bisschen ( - soviel zeit muss sein... - ) und setzte dann ihre geheimnisvollen Katzensinne ein. Aha! Da geht’s lang, wusste sie nach Fünf Sekunden. Sie machte sich auf den Weg. Sie sollte ( - musste! - ) dabei sein.

*

 

Elise und Drago waren noch ein ganzes Stück voran gekommen und durchstreiften gerade möglichst leise eine Ebene zwischen Zwei Gebirgsrücken. Der Plan war nun zunächst etwas fürs Abendessen zu jagen, denn beide waren ziemlich hungrig, und vom Proviant waren nur noch ein kleiner Kanten Brot und ein noch kleineres Stück Schinken übrig, sowie eine halbe Zwiebel. Im Anschluss würden sie einen Lagerplatz für die Nacht suchen.

Drago hatte seit einigen Minuten immer wieder Hasen beobachtet die in einiger Entfernung über mehrere kleine Grasbewachsene Hügel von einem Erdloch zum nächsten hasteten sobald sie Gefahr witterten.

Im Gehen bastelte er sich eine Schlinge aus einem langen Lederriemen zurecht. Elise beobachtete seine Handlung einigermaßen skeptisch.

"Was habt ihr vor mit diesem Band?" fragte sie.

"Nun, ich dachte wir gönnen uns mit etwas Glück heute Abend einen wohlschmeckenden Hasenbraten. Ich mache gerade eine Fang-Schlinge zurecht. Gleich werden wir uns auf die Lauer legen und sie an einem der vielen Hasenbauten auslegen. Die ganze Zeit laufen die Tiere hier rein und raus. Gut möglich dass wir recht schnell Erfolg haben werden. Mit der Flinte ginge es natürlich noch wesentlich schneller, aber die befindet sich leider immer noch an einem der Pferde oder liegt im Magen des Monstrums, was ihm hoffentlich ordentliche Bauchschmerzen bereitet."

Elise grinste, bei der Vorstellung wie die Flinte im Bauch des Ungeheuers los ging. Sie hatte allerdings keine reale, blutige Fantasie. Deshalb malte sie sich nur aus, wie das Ungeheuer die Augen verdrehte und eine schwarze Rauchwolke aus seinem schrecklichen Maul aufstieg bevor es zusammen brach.

"Gut! Ich habe auch schon mächtigen Hunger und etwas gebratenes Fleisch wäre sicher gut." sagte sie fröhlich.

Drago war nun fertig mit der Schlinge und sagte Elise sie solle kurz zurück bleiben. Er schlich zu einem kleinen Hügel an dem sich gleich Zwei Aus- bzw. Eingänge befanden. Er legte die Schlinge auf etwas Laub, sodass die Beute auch mit der Pfote tief genug in die Schlinge hinein treten konnte. Das Ende rollte er langsam ab, bis zu einem gut Vier Meter entfernten Zweiten Hügel. Er winkte Elise zu sich herüber, deutete ihr aber mit vorgehaltenem Zeigefinger an seinen Lippen, ganz ruhig zu sein und sich langsam zu bewegen. Elise machte sich ganz klein. Geduckt bewegte sie sich in Zeitlupe auf den Hügel zu, hinter dem Drago bereits Stellung bezogen hatte. Sie ließ sich hinter ihm vorsichtig nieder und leise beobachteten sie beide was geschah.

Nach Zehn Minuten erschien der erste Hase am Eingang. Er reckte zuerst seine Nase, dann seinen ganzen Körper in die Luft, drehte den Kopf schnuppernd hin und her. Mund und Nase zuckten putzig im Wind. Dann hockte er sich wieder hin und hoppelte los. Knapp an der Lederschnur vorbei.

Drei Minuten später kam er jedoch bereits zurück. Mit einem Hopser setzte er über die Falle hinweg und war wieder im Bau.

Drago stöhnte leise.

Elise presste ihre Hand vor den Mund und schmunzelte ein wenig hinter seinem Rücken.

Nach weiteren Fünf Minuten verließ ein anderer, etwas kleinerer Hase die Höhle. Auch er schaute sich weiträumig um und schnupperte. Doch dieser verharrte an genau der richtigen Stelle. Eine seiner Hinterpfoten befand sich genau mittig in der ausgelegten Schlinge. Er saß in der Falle. Blitzschnell zog Drago an der Schnur und die Schlinge zog sich zu. Der Hase machte einen Satz, doch der kam eine Millisekunde zu spät. Durch den Sprung zog sich das Seil erst richtig fest. Er hatte keine Chance mehr. Der junge Hase zappelte und strampelte voller Panik. Er versuchte wieder in den Bau hinein zu kriechen, doch Drago hielt in fest. Er zog das Tier zu sich hinüber, packte ihn an Genick und Ohren und hielt ihn stolz hoch.

Der Hase strampelte immer noch ein wenig mit den Hinterbeinen, war aber durch den festen Griff des Jägers schon viel ruhiger. Sein Herz pochte laut und schnell. Die Augen waren vor Entsetzen so weit aufgerissen das sie Blutunterlaufen hervor sprangen.

Drago lächelte mit hoch erhobener Beute Elise an und begann damit sein Messer aus dem Gürtel zu ziehen.

Dragos Lächeln erstarb als er Elises Gesichtsausdruck sah.

"Was?" fragte er verwirrt.

Elise war blaß um die Nase geworden, ihr Mund stand entsetzt offen, und sie hatte eine äußerst leidende Miene aufgesetzt.

"Drago… .“ begann sie jammernd. „ Jetzt schaut euch dieses arme Wesen doch einmal an. Sein kleines Herzchen schlägt so schnell und laut. Ich kann es bis hier her sehen und hören. Es hat fürchterliche Angst." erklärte sie Drago.

"Nun ja, sicher. Das bleibt nicht aus bei der Jagd aber..." begann Drago einen kläglichen Versuch ihr zu erläutern, dass es kaum einen anderen Weg gäbe, einen Braten zu verspeisen, ohne vorher ein Tier zu erlegen das damit nicht unbedingt einverstanden ist.

"Wir können dieses Tier unmöglich töten und essen!“ stellte sie klar, und stemmte zur Unterstützung der Ernsthaftigkeit ihrer Aussage, die Fäuste provokant in ihre Seite. „Vielleicht ist es eine Mutter oder ein Vater.“ fuhr sie trotzig fort. „Im Bau sitzen die Kleinen und warten auf die Rückkehr..., sie werden jämmerlich verhungern und verdursten! Keinen Bissen würde ich hinunter kriegen!"

"Oh...,ähh....“ Drago überdachte kurz seine Möglichkeiten.“ Na, wie wäre es wenn ihr das Brot und den restlichen Schinken esst während ich den Hasen alleine..."

Mit großen flehenden Augen voller Trauer und Mitleid sah Elise Drago einfach nur an. Er blickte eine halbe Minute lang stumm glotzend in ihr Gesicht, verzog dann mit den Augen rollend den Mund. Er öffnete mit einer Hand die Schlinge und setzte das Tier auf Boden ab. Nicht ohne Elise dabei vorwurfsvoll anzuschmollen. Das Tier stand einen Moment lang ganz verdutzt da. Schließlich hatte es bereits mit dem Leben abgeschlossen. Nun hatte es überraschender Weise die Freiheit zurück erlangt. Was für ein aufregender Tag... .

Eilig machte der Hase sich nach einem etwas überheblichen heftigen Klopfer auf den Waldboden davon und verschwand in seinem Bau.

Drago sah etwas beleidigt aus. Mit verschränkten Armen stand er da und blickte sehnsüchtig in Richtung des Hügels in dem das Tier sich verkrochen hatte.

Elise trat leise an ihn heran. Sie zögerte kurz. Ihr Herz war es, das nun pochte. Ein weiteres wohliges kribbeln durchfuhr ihren ganzen Körper, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und Drago einen schnellen Kuss auf die Wange hauchte. Sie spürte wie augenblicklich die Röte in ihr Gesicht schoss und drehte sich rasch wieder weg.

Drago war völlig überrascht und erfreut zugleich über diese Dankesbezeugung. Er strahlte innerlich. So ein Gefühl hatte er lange..., - sehr lange – , nicht mehr verspürt. Er hatte zwar weiterhin Appetit auf Hasenbraten, aber der Verzicht war jetzt schon wesentlich leichter zu ertragen.

Er lächelte und folgte Elise, die sich nicht nach ihm umsah da sie nicht wusste wie weit sich ihre Gesichtsfarbe wieder dem normalen Ton genähert hatte.

Im rötlichen Schein der herbstlichen Abendsonne streiften sie umher und schauten sich nach einem geeigneten Ort zum übernachten um.

Schließlich wurden sie fündig. Auf einem kleinen Felsplateau entdeckten sie eine windgeschützte etwa ein Meter tiefe großflächige Mulde. Wie der Suppenteller eines Riesen, den dieser vor Tausenden von Jahren dort nach einem Mahl einfach stehen gelassen hatte.

Zunächst musste das Lager vorbereitet werden. Drago begab sich ins Unterholz um genügend Brennholz für ein Lagerfeuer zu sammeln. Elise machte sich daran zu den hier in kleinen Grüppchen umher stehenden Buchen, zwischen den ansonsten vorherrschenden Kiefern, zu gehen. Zu ihren Füßen breitete sie ihre Jacke aus und schaufelte das am Boden liegende Herbstlaub darauf. Im Anschluss trug sie ihre Beute in die Mitte der großen Mulde, ein Stück entfernt von dem Platz wo Drago gerade dabei war das erste gesammelte Holz aufzuschichten. Einige weitere Male lief sie noch zu den Laubbäumen, bis sie meinte genug zusammen zu haben um darauf einigermaßen liegen und Ruhe für die Nacht finden zu können. Drago beobachtete sie immer wieder. Der Kuss, und das Gefühl dazu, waren immer noch gegenwärtig.

Nachdem Drago einen ordentlichen Vorrat an Brennstoff zusammen hatte, entzündete er den bereits zurechtgelegten Teil des Holzes. Dazu zog er einen kleinen locker bespannten Bogen aus der Umhängetasche, nahm ein flaches abgebrochenes Stück Buche als "Feuerbrett" und eine hölzernen Spindel aus Kiefer. Mit einem Handstück, ebenfalls aus Kiefernholz, drückte er die Spindel gegen das Feuerbrett und mit der einmal darum geschlungenen Bogensehne versetzte er die Spindel in Drehung. Das dabei abgeriebene Holzmehl geriet durch die Reibungshitze ins Glimmen und entzündete ein untergelegtes Büschel aus feinen Hölzchen, trockenen Gräsern und einem Teil eines alten Vogelnestes.

Nachdem das Feuer die anderen aufgelegten Hölzer entzündet hatte packte Drago ihr Bündel mit den restlichen Nahrungsmitteln aus und platzierte sie neben dem Feuer auf einem erhöhten Stein. Elise breitete derweil die einzige noch verbliebene Decke aus Dragos Tasche über dem Laub aus.

Beide setzten sich. Angenehm leuchtete und strahlte die Wärme des Feuers zu ihnen hinüber. Drago reichte Elise, das Brot, den Schinken und Zwiebel. Sie solle sich stärken, meinte er. Er würde schon noch eine Weile ohne Nahrung auskommen. Elise schüttelte energisch den Kopf. „Nein Drago, wir sind gemeinsam unterwegs um meine Schwester zu retten. Natürlich teilen wir unseren Proviant auf. Drago lächelte erfreut. Elise nahm die halbe Zwiebel und reichte sie Drago. Dann nahm sie Brot und Schinken zu sich auf den Schoß und schickte sich an den Mund weit zu öffnen und den Kanten Brot hinein zu schieben. Drago starrte nur mit offenem Mund und der halben Zwiebel in der Hand. Dann biss Elise sich verschmitzt auf die Unterlippe und lachte laut los. Sie teilte Brot und Schinken, ließ Drago aber die komplette halbe Zwiebel, während sie beide herzlich lachten.

Nach dem sie gesättigt waren und beide einen großen Schluck aus dem Wasserschlauch getrunken hatten, saßen sie noch eine Weile da und betrachteten die inzwischen aufgegangenen Sterne und den Mond. Drago holte das kleine Metallfläschen mit dem Pflaumenschnaps hervor, hielt es Elise hin und ließ sie davon kosten.

Sie schüttelte sich ein wenig da das Getränk ziemlich stark war, fand jedoch dass der Geschmack recht gut sei.

"Glaubt ihr das es da oben noch etwas anderes gibt, außer dem Mond und den Sternen?" begann Elise versonnen.

"Scheint mir sehr viel Platz zu sein dort oben. Gut möglich das da noch irgendwo was anderes ist.“ überlegte Drago.

„Eine andere Welt, ähnlich wie diese vielleicht, wo jetzt in diesem Augenblick auch Zwei Menschen,-oder was auch immer-, sitzen und sich die selbe Frage stellen."

Diese Ansicht erfreute Elise. Es gab nicht viele Menschen, die anzweifelten dass wir die Einzigen sind. Die „Krone der Schöpfung“.

Sie sah Drago von der Seite an und lächelte. In Paris hatte sie stets nur mit verschrobenen Menschen zu kämpfen die die Menschheit und ihre Erde als das einzig existente Leben im All ansahen. Andere Welten? Das war für diese Leute eine alberne Vorstellung aus dem Reich der Märchen und Geschichtenerzähler.

"Aber wir werden es wohl nie erfahren." fügte Drago noch hinzu. "Wie sollte ein Mensch je da oben hin gelangen. Er müsste..."

"Oder SIE müsste!" warf Elise grinsend ein.

Drago erwiderte das Grinsen.

"SIE müsste wie ein Vogel fliegen können. Aber noch viel höher." überlegte er laut. „Und ich weiß, dass die Luft oben in den Bergen dünner wird. Das atmen fällt schwerer. Ich weiß nicht ob sie soo weit oben noch Luft bekäme.“

"Es gibt einen Mann der nächstes Jahr eine Flugmaschine für Menschen testen wird. Auch andere beschäftigen sich vielversprechend mit diesem Traum. Glaubt mir, irgendwann werden große Luftschiffe an einem Tag von hier bis nach Paris fliegen können. Mit vielen Menschen darin. Und eines schönen Tages wird auch der erste Mensch zu den Sternen fliegen, oder gar auf den Mond!"

Elise hatte sich zu Drago hinübergebeugt und sich freudig erregt in Rage geredet. Wie nah sie war bemerkte sie gerade und zog sich etwas zurück. Ihre Arme hatten sich eben schon aneinander geschmiegt.

"Sicher haltet ihr mich für verrückt, wie all die anderen auch. Von wegen, dass ich ja dann den Mann im Mond zum Tee besuchen könne oder einen Stern vom Himmel mitbringen sollte. Das dumme kleine Mädchen träumt mal wieder." Aufgeregt verteidigte sie sich. Nicht weil Drago sie etwa angegriffen, oder nur gegrinst hätte, über ihre Rede. Sie war es einfach gewohnt, sich verteidigen zu MÜSSEN.

Sie senkte betrübt ihren Blick.

"Ich halte euch keineswegs für dumm. Im Gegenteil. Ich denke ihr seid äußerst intelligent. Und was ihr sagt.., nun warum nicht. Wer weiß was die ersten Menschen von demjenigen hielten der sich daran gemacht hat das Rad zu erfinden. Vielleicht hielten die meisten es für eine haarsträubende Idee voller unbekannter Gefahren, schneller als zu Fuß vorwärts kommen zu können. Nein Elise, ich halte sehr viel von euch und eurem wachen Geist.“ erklärte Drago ganz klar.

"Im Ernst? Ich danke euch!" sagte Elise freudig überrascht.

"Nichts zu danken, das war ja kein Kompliment sondern eine Tatsache. Ich meine, nicht das ich euch keine Komplimente machen möchte....Also ich würde schon, aber wenn ich euch sage das ich euch sehr nett finde und auch sehr ausgesprochen hübsch....Ohne euch zu nahe treten zu wollen...,ich möchte mir keine weitere Schelte von euch einhandeln." drehte sich Drago im Kreis. Es war lange her, dass er versucht hatte einer Frau etwas nettes zu sagen.

"Als wenn ich ständig mit euch schimpfen würde." erwiderte Elise ein wenig beschämt.

"Nur wenn ihr es verdient!" schob sie rasch, sich verteidigend hinterher.

"Ihr habt sicher Recht." entgegnete Drago unsicher und fuhr fort. Er hatte sich Hundert mal überlegt, wann und wie er es am besten anbringen könnte. Und natürlich ergab es sich dann ganz anders als in seinen Vorstellungen.

"Jedenfalls hab ich nicht so die Erfahrung im Umgang mit Komplimenten und jungen Fräuleins wie euch. Also..., es ist schon sehr lange her, das ich... Ich will sagen, dass ich nicht mit leerem Gerede um mich werfen möchte sondern lieber sage wie es ist. Und mit euch ist es so, dass ich euch nicht nur hübsch finde, sondern ...nun ja...

ich denke ich habe mich...Ihr ruft in mir Gefühle hervor die mich verwirren. Ich freue mich über euch und fühle mich in eurer Nähe wohl. Ich fürchte aus einer ersten Abneigung gegenüber der feinen Dame aus Paris ist mit der Zeit eine Zuneigung geworden, die sich in den letzten Stunden in noch viel mehr verwandelt hat."

Drago sah der mit offenem Mund aufmerksam zuhörenden Elise tief in die Augen und sprach:

"Elise ich habe mich in euch verliebt! Und... ich würde euch gerne… küssen!" flog es nun etwas stotternd aus Dragos Mund. Seine Augen versanken in ihren.

Elise biss sich auf die Lippen. Instinktiv wollte sie zurückweichen als Dragos Gesicht dem ihren immer näher kam.

Doch sie blieb in ihrer Position verharrt. Sie war gar nicht mehr in der Lage sich zu bewegen. Ihr Herz klopfte jetzt fast noch stärker als das des Kaninchens in der Schlinge.

Aber sie wollte in der Schlinge bleiben.

Sie wollte von diesem groben Waldmenschen geküsst werden wie sie noch nie geküsst wurde.

Als er nur noch zwei Zentimeter von ihren Lippen entfernt war, schloss sie die Augen. Und dann küsste er sie... .

Er küsste sie und ein Feuerwerk an Gefühlen explodierte in ihrem Kopf. Warm und wundervoll durchströmte es ihren ganzen Körper und ihre Seele bis ins tiefste Innerste. Als sie sich voneinander lösten lächelten beide selig. Vergessen war alles um sie herum. Das Monstrum, der Bär, Chou Chou, selbst ihre Schwester und ihr Schwager. Nur sie beide waren in diesem Augenblick auf der Welt.

Drago zog Elise hinunter auf die Blätter und schwang die Decke über das Paar. Weitere Küsse folgten dem ersten.

Sie streichelten sich im Gesicht, an den Armen und drangen mit ihren Händen schließlich zu den anderen Regionen ihrer Körper vor. Ihre Augen und ihre Lippen spielten unentwegt miteinander. Trotz der frischen Kühle begannen sie sich zu entkleiden.

Sie brannten.

Die beiden nackten Körper lagen jetzt ganz eng aneinander. Rieben sich, umschlungen sich. Elise hatte ein wenig Angst vor dem was jetzt wohl kommen würde, aber wie es nun mal ihre Art war wollte sie das Neue auch erfahren und erleben. Ihre Begierde wuchs.

Seine Hände drangen immer weiter vor und sie ließ es zu, dass er sie überall berührte. Sie schwebte. Er küsste und liebkoste ihre fest gewordenen Brustwarzen. Ein süßes taumeln erfüllte sie. Nun traute auch sie sich ihn zu erforschen. Sie fühlte seine Haut, seine Muskeln, seine Brust, sein von Muskeln gespanntes Gesäß und schließlich auch das harte, angeschwollene Glied zwischen seinen Beinen, von dem sie bisher nur vom Hörensagen wusste.

Er stöhnte wohlig auf als sie es in ihre Hand nahm. Gleichzeitig drang er ganz vorsichtig mit einem seiner Finger in sie ein. Sie erbebte vor Lust. Einen Augenblick später rollte er sich sanft auf ihren Körper. Er bewegte eine kurze Weile seinen Unterleib auf ihrem. Sein Penis rieb sich an ihrer Scheide. Dann war er mit einem Mal in ihr. Er glitt in die feuchte süße Höhle. Ihre Leiber verschmolzen zu einem einzigen Bündel aus Liebe und Lust. Das wohlige Stöhnen der Verliebten schwoll an, verband sich miteinander, überschlug sich und flog zu den Sternen hinauf, bis es in einem gemeinsamen lautstarken Rausch der Ekstase gipfelte.

Drago legte sich glücklich zitternd neben Elise. Sie sah ihn mit Augen voller Liebe und Glück an. Er legte seinen Arm schützend über sie und sie kuschelten sich aneinander. Ohne weitere Worte schlossen sie die Augen und schliefen innerhalb weniger Augenblicke ein, während eine Sternschnuppe lautlos über das Firmament des Nachthimmels zog und das kleiner werdende Feuer leise vor sich hin knackte.

 

-

 

Als Drago am Morgen erwachte tastete er, mit noch geschlossenen Augen, gleich neben sich nach Elise. Doch da war nichts.

Er lag alleine unter der leichten Decke.

Erschrocken fuhr er hoch. Er spuckte das Buchenblatt aus, das sich im Schlaf in seinen Mund geschoben hatte und schüttelte den Kopf um das Laub, das in seinen schwarzen kreuz und quer stehenden Haaren verfangen hatte ebenfalls los zu werden.

Drago drehte sich um und blickte zur Feuerstelle.

Erleichtert stellte er fest dass Elise dort mit dem Rücken zu ihm kniete und dabei war kleine Äste in die, wenige noch vorhandene Glut zu legen. Gerade hatten sie begonnen wieder Feuer zu fangen.

Kleine Flammen züngelten ein wenig lustlos umher, bevor sie schließlich hoch loderten. Eilig legte Elise noch einige größere Zweige nach.

Drago ging langsam zu ihr hinüber und hockte sich hinter sie. Dabei legte er zufrieden seufzend seine Arme um sie.

Elise erschrak kurz, bis sie bemerkte dass es sich um die Umarmung Dragos handelte. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und lächelte ihn selig an. Er erwiderte das Lächeln. Sie küssten sich.

Dann fuhr Elise mit einem Ruck ganz herum.

"Drago! Du bist immer noch unbekleidet! Zieh dir rasch etwas an! Stell dir vor uns sieht jemand! Undenkbar was die Leute erzählen würden!" fuhr sie ihn an, musterte ihn jedoch mit verlangendem Blick.

"Ich vermute der Andrang von Menschen die hier einen Spaziergang machen wird sich heute hier in Grenzen halten.“ bemerkte Drago, suchend um sich blickend. „Magst du dich nicht lieber wieder ausziehen meine süße Elise" fragte er statt dessen und hob die Augenbrauen auffordernd.

Elise errötete etwas. "Nicht jetzt Drago.“ sagte Elise ein wenig betrübt. „Wir müssen weiter, meine Schwester." fügte sie hinzu. Drago nickte." Du hast ja recht.“ pflichtete er ihr bei. „Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben."

schob er grinsend hinterher.

Elise lachte in an, warf noch einen verstohlenen Blick auf den nackten Mann der anfing sich anzukleiden. Elise hatte am frühen Morgen ein paar Eier gefunden, die sie gleich auf einen Stein nahe dem Feuer braten würde. Sobald dieser heiß genug dafür wäre. Außerdem hatte sie eine ganze Menge später Brombeeren herbei geschafft. Drago war hocherfreut und wollte im Gegenzug gleich für frisches Wasser sorgen.

Nachdem Drago sich angezogen hatte schnappte er sich den Wasserschlauch und ging um die Mulde herum, in der sie genächtigt hatten. Ein Stück unterhalb der Felsformation hatte er am Tag zuvor einen kleinen Bach entdeckt. Er stieg ein paar Meter einen kleinen Pfad hinab und füllte den Schlauch auf, während Elise die ersten Eier zubereitete.

Als Drago zurück kam, konnte sie ein lautstarkes „Hah!“ nicht vermeiden. Sie sprang auf und rannte auf ihn zu. „Schau was mir beim Wasser holen über den Weg gelaufen ist.“ rief Drago fröhlich. Direkt neben seinem herunter baumenlden Wasserschlauch stand eine grau getigerte Katze in den besten Jahren, der ein Stück vom Schwanz fehlte.

„Chou Chou!“ rief Elise. Tränen der Freude liefen ihr spontan die Wangen hinab. Im Nu war sie bei der Katze und nahm sie hoch. Schnurrend und die „Pfoten“ umeinander schlingend, begrüßten sich die Beiden. Elise weinte immer noch vor lauter Glück, und Chou Chou hörte nicht auf zu erzählen. Wie sie von der Satteltasche auf den Baum gesprungen war, wie sie zuerst Glück hatte, weil sie einen toten, nur halb aufgegessenen großen Vogel gefunden hatte. Und wie sie dann Pech hatte, als sie in das Revier einer alteingesessenen echten Wildkatze eingedrungen war, und sie nur um Haaresbreite deren Messerscharfen Reißzähnen entgangen war, indem sie einen riesen Umweg machen musste, und wie leicht es ist die Spuren von Menschen zu sehen, und das Drago fast vor Schreck ins Wasser gefallen war, als sie ihn erkannt und angesprochen hatte, aber das Drago ihr gesagt hätte, ihr, - Elise -, das bloß nicht zu erzählen... Bis sie alle zur Ruhe, und endlich auch zum frühstücken kamen. Gut das Elise eines der Eier noch nicht aufgeschlagen hatte. Das würde Chou Chou schmecken.

Beim Frühstück saßen sie eng beieinander, alle Drei, und Elise und Drago blickten sich immer wieder verliebt in die Augen. Drago genoss das tiefe innige Gefühl, das er so lange nicht in seinem Herzen verspürt hatte. Es gar nicht zugelassen hätte. Nie gedacht hätte, dass es je wieder zurück kehren würde. Und er spürte es bei diesem Mädchen aus einer ganz anderen Welt als der seinen. Nie hätte er dies für möglich gehalten.

Auch Elise war immer noch äußerst verwirrt über ihre Gefühle.

Das war also Liebe... . Das MUSSTE Liebe sein! Es fühlte sich so unglaublich gut an. Sie glaubte die ganze Zeit zehn Zentimeter über dem Boden zu schweben.

Das Körperliche, das sie erlebt hatte war so neu, so fremd und zugleich so schön gewesen. Es war wie ein Rausch gewesen. Zwar hatte es kurz ein wenig geschmerzt, als er in sie eingedrungen war, doch davor und vor allem dieser Gipfel der Ekstase am Ende ihrer Vereinigung hatte ihre Sinne völlig benebelt. Bei dem Gedanken daran erwachte das Verlangen es zu wiederholen in ihr.

Ja, sie war sich sicher. Sie liebte diesen Mann. Am liebsten würde sie für immer ihre Arme um ihn schließen und die seinen um sie gelegt spüren wollen. Für immer..., und immer...

Das Frühstück war beendet. Chou Chou hatte ihr rohes Ei ebenfalls mit sichtlichem Genuss vertilgt. Sie war gerade dabei die Reste von ihren Pfoten zu schlecken. Zufrieden schnurrte sie einmal an Dragos Beinen entlang und lief dann maunzend zu Elise, die sie gleich freudenstrahlend auf den Arm nahm und ihren Kopf an dem Köpfchen der Katze rieb. Dann setzte sie das Tier wieder zu Boden. „ Tut mir leid Chou Chou,“ sagte sie zu ihr. „ leider müssen wir nun alle mittels unserer eigenen Füße und Beine vorwärts kommen. Na ja, ein bisschen kann ich dich vielleicht tragen zwischendurch. Und wenns gar nicht mehr geht, trägt Drago uns beide. Nicht wahr, kleine Chou Chou.“ versprach sie der Katze. Drago schüttelte grinsend den Kopf, rappelte sich auf und streckte Elise seine Hand entgegen um ihr aufzuhelfen.

Er packte alles in seine Tasche und hängte sie sich um.

Elise griff nach seiner Hand, sagte „Komm Chou Chou.“, und so zogen sie gemeinsam los. Weiter ging es den Berg hinauf. Vielleicht noch drei bis vier Stunden und sie würden ihr Ziel erreicht haben.

 

*

 

Josephiné hatte insgesamt höchstens drei Stunden geschlafen, nachdem sie ihr “ausgiebiges Mahl“ am Abend zuvor verspeist hatte.

Immerzu war sie in der Nacht erwacht. Ihre Gedanken kreisten ständig, sodass sie keine Ruhe fand. Außerdem hatte sie das Heulen der Wölfe in den Käfigen im Schlosshof zusätzlich Zwei Mal aufschrecken lassen.

Ob man sie hier kurzerhand vergessen hatte? Fragte sich Josephine, und bemerkte wie sie bei dem Gedanken eine empörte Schnute zog.

Und was war mit ihrer Schwester und Jacques, ihrem geliebten Ehemann. Ob der fürchterliche Mann in Schwarz ihn wirklich getötet hatte? ... Würde sie ihn nie wieder sehen?

Eine Welle der Panik und Trauer durchrollte ihren Körper abermals.

Doch nun war sie gewappnet.

Ein Bollwerk aus Stolz, Glauben und Liebe baute sich in ihr auf und ließ die anrollende Welle brechen und untergehen.

"Nein!" sagte sie sich selbst mit fester Stimme. Josephine

verschränkte ihre Arme vor der Brust und begann entschlossen auf und ab zu wandern. „Meine Schwester lebt, das weiß ich. Ich würde es spüren, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Und Jacques lebt ebenso!Jawohl.Mein Jacques...“.

-

Josephiné sah Jacques vor sich wie sie sich kennenlernten. Damals im Haus ihrer Eltern. - Oh mein Gott..., was ist das lange her... - Jacquess Eltern, Beatrice und Jean-Jacques Mathieu, waren zum Nachmittagstee eingeladen. Jacquess Vater arbeitete gemeinsam mit ihrem Papa an einem Projekt. Ihr war entfallen um was es ging. Aber schließlich war sie ja zu der Zeit auch erst neun Jahre alt gewesen. Jacques war zehn und hatte damals schon ein paar Kilo zuviel auf den Rippen.Die Mathieus hatten eine hervorragende Köchin, die leider ihre ganze Liebe für den kleinen Jacques in Form von Cremetörtchen,Extra-Bonbons und Extra-Würsten ausdrückte, - im tatsächlichen und im übertragenen Sinne - . Sie hatte selbst keine Kinder und liebte den süßen kleinen Jacques eben sehr. Die Männer verschwanden damals nach dem Tee im Studierzimmer ihres Vaters. In der Wohnstube vertieften sich die Mütter in ein langes Gespräch über Mode und Ausflüge ins Pariser Umland.

Elise war mit Madame Turodon auf dem Markt. Sie ging gerne mit, wenn die Hausdame ihre Einkäufe erledigte. Auf dem Markt vermischten sich die fröhlichen Gespräche zwischen den Menschen an den Ständen, mit den wunderbar frischen Düften nach..., Orangen, Erdbeeren..., Tomaten..., das da ist Fenchel..., und knackige rot-grüne Äpfel..., hmmm wie das duftet... ( - Josephine lief ein kleiner Bach in ihrem Mund zusammen - )

...Nun stand sie da, oben auf der Treppe in ihrem hübschen rosa Kleid. Und unten an der letzten Stufe stand mit den Händen in den Taschen und einem mürrischen Gesichtsausdruck Jacques.

Er machte keinerlei Anstalten eine Konversation zu beginnen. Also war es an ihr den ersten Schritt zu tun.

"Du heißt also Jacques?" fragte sie ein wenig hochnäsiger klingend, als sie es beabsichtigt hatte.

"Hmm." gab Jacques zu Protokoll.

"Ich bin Josephiné!" stellte sich Josephine nun höflich vor.

"Ich weiß." informierte er sie tonlos.

"Wollen wir spielen?" versuchte Josephine mit auffordernd nettem Lächeln, das Eis zu brechen.

Jacques sah sich um, indem er sich auf der Stelle, langsam einmal um sich selbst drehte. Die Hände immer noch in den Taschen.

"Wasn?" fragte er uninteressiert.

"Ich habe ein Puppenhaus!" ließ Josephine freudig verlauten und strahlte ihn dabei mit glänzenden Wangen und leuchtenden Augen an.

Jacques schluckte!

"Nö!" war seine knappe Antwort auf das gut gemeinte Angebot.

"Wir können auch draußen Ball spielen. Ich habe einen Ball!" kam ihm Josephine entgegen.

Jacques kratzte sich nachdenklich am Kopf.

"Sieht man den Garten von der Straße aus?" fragte er ernst.

"Nein er ist hinter dem Haus. Warum fragst du?" wollte Josephine wissen.

"Nur so!" antwortete Jacques.

Die Wahrheit war allerdings, dass er es um jeden Preis vermeiden wollte, dass einer seiner Freunde es sehen würde, wie er mit einem Mädchen Ball spielte.

"Also! Wollen wir?" fragte Josephiné.

"Wolln wir was?" fragte Jacques zurück.

"Mit dem Ball spielen. Draußen." erinnerte sie ihn mit fragend ausgebreiteten Armen, und sah ihn dabei kopfschüttelnd so an, wie sie ihn noch unzählige Male ansehen würde... .

"Ach so. Na gut. Vielleicht ein bisschen.Wenn du unbedingt möchtest" erwiderte er gönnerhaft.

Josephiné lief zu ihrem Zimmer und kam sogleich zurück.

In den Händen hatte sie einen braunen mittelgroßen Lederball

mit selbst aufgemalten gelben und roten Blumenmustern.

Jacques verzog ein wenig den Mund, als würde er sich vor etwas ekeln. Auch das noch, Blümchen!, dachte er.

Sie gingen nach hinten hinaus in den Garten. Im hinteren Teil war das Gartenhäuschen, und eine große Wiese längs der Mauer zum Nachbarn.

Josephiné schritt ein Stück voraus und legte den Ball auf den Rasen.Sie schoss ihn ein wenig ungelenk zu Jacques der jetzt Fünf Meter von ihr entfernt stand. Selbstverständlich weiterhin die Hände in den Taschen, schoss er zurück.

Nach einigen Schüssen hin und her nahm Jacques die Hände endlich heraus und bewegte sich um einiges mehr als zuvor.

Die Schüsse von Josephiné waren kräftiger und genauer geworden, so dass es längst nicht mehr souverän und männlich aussah, wenn er mit den Händen in den Taschen versuchte ihre Schüsse abzufangen.Sie gab sich auch alle Mühe. - Ihr Herz jagte davon und ihre Füße taten ihr weh vom schießen. Aber Ja, sie war gar nicht schlecht. - Zweitens fing er an, Gefallen an dem Ballspiel zu finden.

Irgendwann wurde es sogar richtig lustig. Sie hatten beide plötzlich Spaß an der Sache. Sie lachten, rannten und sprangen mit dem Ball als würden sie es täglich tun.

Bis über der Mauer mit einem Mal die Köpfe von Jean und Phillip erschienen. Die beiden waren Brüder und in Jacquess Schulklasse. Er hatte keine Ahnung, dass sie Nachbarn von Josephiné waren und deren Garten an den des Mädchens grenzte.Schweiß brach ihm aus sämtlichen Poren. Er spürte genau dass er gerade knallrot wurde.Er mochte die beiden nicht besonders, was das ganze Dilemma umso schlimmer machte.

-Josephiné schoss den Ball besonders kräftig.-

Eine halbe Sekunde bevor die beiden Jungen zu ihm hinüber sahen, drehte sich Jacques blitzartig um, steckte sich die Hände wieder in die Tasche und senkte den Kopf, um nicht erkannt zu werden. Er schritt einfach davon und tat so als würde er die Bauweise des kleinen Gartenhauses einmal von der Rückseite begutachten wollen.

Der Ball flog, begleitet von einem langgezogenen, hellen Kreischen, an ihm vorbei und landete mit lautem Klirren in einer Scheibe des Häuschens.

Die Jungs auf der Mauer prusteten und lachten schließlich los, bevor sie verschwanden und das Lachen nur noch sehr gedämpft von hinter der Mauer zu hören war.

Josephiné hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund.

Jacques sah zuerst entsetzt zu der Mauer, dann etwas beschämt zu Josephine.

Josephiné blickte wütend zurück.

Die Väter, durch das lautstarke klirren alamiert, kamen bereits hinausgelaufen.

"Was ist denn hier los? Wir haben Lärm, und dich dann schreien gehört Josephine! Seit ihr in Ordnung?...Oh nein! Wer hat den Ball geschossen?" fragte Josephinés Vater verärgert als er die Scherben am Boden und das zerschossenen Fenster entdeckte.

Jacques deutete, schräg nach oben schielend, auf Josephiné.

Josephiné funkelte ihn böse an. Jedoch vermied es Jacques tunlichst, Josephines Blicke zu erwidern.

"Josephine! Also wirklich. Marsch ins Haus. Heute kein Abendbrot für dich! Los!" polterte ihr Vater und deutete mit starrem Arm und ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Haus.

Mit Tränen in den Augen lief Josephiné los.

Für die Väter war der Fall damit abgeschlossen. Sie gingen wieder hinein, wo ein ausgezeichneter Cognac auf sie wartete.

Jacques blieb auf dem Rasen zurück. Er stand da und starrte betrübt auf seine Füße.

Die Hände wieder in den Taschen.

Aber er machte nicht mehr diesen besonders überheblich, überlegenen Eindruck dabei.

Die Väter blieben Geschäftspartner und man traf sich hin und wieder. Doch Jacques kam nicht mehr mit zu den Besuchen.

Josephiné sollte ihn erst fünf Jahre später wiedersehen.

Es war auf einem Fest zum Erntedank. Josephine ging mit ihrer kleinen Schwester Elise an den vielen Ständen und bunt geschmückten Buden vorbei.

Allerlei Leckereien wurden hier feil geboten. Obst und Gemüse in Massen säumten die Wege. Die Tische und Karren waren vollgepackt. Auch Brote, Käse- und Wurstspezialitäten waren im Angebot. Die Häuser rund um den Marktplatz waren mit bunten Bändern und Kränzen aus den verschiedensten Blumen und zusammengebundenen Getreideähren geschmückt.Hier drüben roch es überall süß und saftig. Dort hinten ließ ein Sog aus herzhaften Düften voller Schärfe und wilder Natur, von den Kräuterständen, einem das Wasser im Munde zusammen laufen.

-Josephines Mund war voller Speichel. Sie roch, und ja, sie schmeckte eine große Gabel voll, von Madame Turodons Gemüsepfanne mit Zuchini, Lavendel, Pilzen, Kartoffeln, Schalotten, Thymian, Lavendel und Knoblauch. Sie schloss die Augen und schob in Gedanken, gleich eine Portion Erdbeeren mit Sahne hinterher. Nicht zu vergessen, einen kräftigen Schluck Orangenwein... -

Gerade zog eine Gruppe Frauen und Männer in prächtigen Trachten mit einigen Musikern an ihnen vorbei. Rasch nahm Josephiné Elise an die Hand und trat mit ihr einen großen Schritt zurück um Platz zu machen. Dabei geriet sie mit dem Fuß auf etwas unebenes, wankte kurz ein wenig, fing sich aber gleich wieder.

"Aauhh! Ahh!" erklang eine schmerzverzerrte, erschrockenen Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um und sahen die Bescherung. Da stand Jacques. Offensichtlich war Josephiné beim Rückwärtsgehen auf seinen Fuß getreten. Doch das war natürlich nicht alles. Kurz zuvor hatte sich Jacques ein großes Vanille-Eis gekauft ( - ...Erdbeeren mit Vanilleeis!... - ) welches nun langsam an seinem, ansonsten sehr ordentlich aussehenden Hemd Richtung Hose hinab rutschte.

Er stand ziemlich dämlich drein schauend da, immer noch die leere Eiswaffel schräg vor sich haltend. Selbst als das im Schneckentempo herabrutschende Eis die Grenze zwischen Hemd und Hose überquerte und sich in den unteren Regionen bereits ausbreitete, erfolgte keinerlei Eingreifen des Grenzpostens Jacques.

Josephiné konnte sich nicht zurückhalten. Sie presste die Lippen zusammen, verfiel aber augenblicklich in heftiges Prusten und lachte schließlich lauthals los. Elise kicherte ebenfalls wie wild.

Jacques erkannte jetzt wen er vor sich hatte.Seine Wangen liefen rot an. Endlich reagierte er und zog ein Taschentuch hervor. Ein wenig linkisch versuchte er das Eis von Hose und Hemd zu wischen, wobei er den Gesamtschaden durch großzügiges Verteilen, eher noch vergrößerte.

"Du bist doch Josephiné. Richtig?" fragte er, immer noch an sich hinab schauend und mit dem Tuch reibend.

"Ja, und du bist Jacques. Ich würde sagen jetzt sind wir quit!" erwiderte Josephiné und begann erneut zu lachen.

Jacques runzelte fragend die Stirn. Dann begriff er. Das zerschossenen Fenster blitzte in ihm auf. Da lachte er ebenfalls los.Insgeheim fiel ihm ein Stein vom Herzen. Sein schlechtes Gewissen, wegen der Sache, hatte ihm doch zu schaffen gemacht. Zumal er aus irgendeinem Grund, irgendeine Art... Zuneigung für Josephine empfand.

Sie gingen nun, als wären das von Anfang an der Plan gewesen, gemeinsam den Marktplatz entlang.

Zuerst traten sie an den kleinen Springbrunnen in der Mitte des Platzes heran. Klares kaltes Wasser strömte aus einem steinernen Krug der von einem ebenfalls steinernen Knaben auf der Schulter getragen wurde.

Josephiné tauchte nun ihr eigenes Taschentuch in das Wasser und entfernte damit wenigstens die gröbsten Spuren die das Speiseeis, beziehungsweise Jacques Versuche es mit seinem trockenen Tuch zu entfernen, auf Jacquess Kleidung hinterlassen hatte.

Elise, die anfangs noch herzhaft mit gekichert und gefeixt hatte,war enttäuscht dass sie nun keine Aufmerksamkeit mehr bekam und trottete nur noch lustlos hinterher, während die beiden anderen erzählend und lachend von Stand zu Stand gingen.

Am Ende kaufte Jacques Josephiné am Blumenstand eine rote Rose und überreichte diese mit einer knappen aber eleganten Verbeugung. Josephiné wurde rot.

Sie nahm die Rose gerne an.

Dann verabschiedeten sie sich voneinander, so vornehm und höflich wie Erwachsene es taten.

Jacques schwebte an diesem Tag nach Hause, und Josephine wandelte nicht weniger verzückt mit einer, eine Schnute ziehenden Elise im Schlepptau, ebenfalls nach Hause

Daheim legte Josephiné die Rose in ihr Tagebuch und schrieb dazu, wie süß der freche Junge von vor fünf Jahren geworden sei. Nachdem sie es bereits wieder unter ihrer Matratze verstaut hatte, zog sie es noch einmal hervor.

Mit pochendem Herzen malte sie ein Herz neben Jacques Namen im Buch.

Von da an trafen sie sich immer häufiger und nach einem Monat kam es zum ersten Kuss.

Er hatte sie heimlich im Garten ihrer Eltern besucht, mit ihr herum gealbert und ihr scherzhaft in die Seite gepiekt.

Dann war immer mehr und mehr dieses Verlangen über ihn gekommen.Das Verlangen sie einfach an sich zu reißen, sie fest zu halten und nie wieder los zu lassen.

Sein Herz schrie ihn jeden Tag lauter an, ihr endlich näher, - ganz nah... - , zu kommen.

An einem herrlich verregneten Tag im April war es dann passiert. Man kann nur sagen, passiert, weil egal wie oft Jacques diesen Moment schon durchgespielt hatte,es war am Ende kein bisschen so, wie er es in Gedanken geplant hatte. Aber ist das nicht immer so?

Er hatte sie einfach ganz lange, ganz fest angesehen.

In ihre Augen und darüber hinaus.

Bis in ihr Herz hinein.

Schließlich hatte er sie einfach in seine Arme genommen und mitten auf den Mund geküsst.

Josephiné war zunächst zurück gezuckt, und Jacques hatte einen kurzen schrecklichen Moment der Angst zurück gewiesen zu werden. Doch gleich darauf ergriff sie die Initiative und begann auch ihn zu küssen.

So standen sie Minuten lang zusammen.

Bis ihre Mutter vom Haus aus nach Josephine rief. Die beiden schraken auf. Dann lächelten sie sich überaus verliebt an.Jacques verabschiedete sich und verschwand schnell über die Mauer, und Josephine folgte dem Ruf ihrer Maman.

Die Rose steckte noch heute in ihrem Tagebuch.

 

*

 

Der Herr fluchte innerlich, presste seine Lippen dabei jedoch fest zusammen.

Schnellen Schrittes marschierte er durch das Schloss. Keine Spur von Wesslie. Vor Stunden hatte er ihm befohlen nach dem zu suchen, was aus dem Riss entstiegen war. Dieser Kerl war ihm so hörig, dass er wahrscheinlich tatsächlich solange suchen würde, ohne zu wissen was er überhaupt sucht, bis er es gefunden hat. Wohl möglich blieb er Tage verschwunden. Er hätte ihm ein Zeitlimit setzen sollen. Jetzt konnte er, der Herr, alles andere hier alleine erledigen. Das passte ihm ganz und gar nicht. Zuhause warteten noch andere, ihm besser stehende Geschäfte als Tierpfleger und Hausmeister in diesem Affenzirkus, auf ihn. Aber einfach hier zu verschwinden gefiel ihm nicht. Er hatte gerne alles im Blick.Und seine Augen und Ohren der letzten Jahre, waren zum ersten Mal nicht sofort verfügbar. Er war zu lässig,... zu nach-lässig geworden. Ein typischer Fehler von aufsteigenden Mächtigen und Reichen... .Man hält sich irgendwann für so etwas wie unantastbar, und unfehlbar. Alles war so gut angelaufen,die Wertsachen ließen sich prächtig zu Geld machen. Und aus jeder Epoche hatte er Zwei bis Drei blonde Schönheiten, zusammen mit Wesslie, rüber geschafft und für gutes Geld an gute Kunden verkauft. Die beiden Schwedinnen, die er in 1674 in Uppsala, “Hoppsala“ geschnappt hatte zum Beispiel. Sie waren ihm quasi über den Weg gestolpert, während die Schweden versuchten in Brandenburg einzumarschieren. Ein paar sehr seltene Münzen waren sein Hauptziel gewesen, in dem damals gerade erst entstandenen Münzkabinett. Eine Auftragsarbeit mit Bonus-Blondinen. So war es prima, so machte die Arbeit Spaß. Eine steinerne Statue eines stolzen Gustav dem Ersten Wasa, mit Rauschebart und Federhut,an der Kirche im Ort, hatte Wesslie zum lachen gebracht. Dann hatte er ihm erklärt, dass es wohl ein Knäckebrot mit dem Namen Wasa gäbe, erinnerte sich der Herr gerade. Nun denn..., alles lief gut, … bis zu dem Deal den Wesslie arrangiert hatte, der nie zu etwas geführt hatte. Mit diesem offensichtlichen Schwachkopf „Ready“, - immerhin ist er so die verfluchte, ( - er meinte dies keineswegs im übertragenen Sinne - ) ,rothaarige Zigeunerin los geworden. Aber danach das mit dem offenen Riss, und nun war Wesslie verschwunden und die verdammten Wölfe mussten endlich weg. Der Gestank war unerträglich, schließlich konnte er die Viecher nicht ums Schloss herum Gassi führen. Und alles in allem hatte er einfach genug von diesem Ort, von diesem Land, und von den verdammten Fledermäusen die nachts durch die Gegend schwirrten! Man konnte denken, wissen, und machen was man wollte. Hier in diesem Geschichtsträchtigen Schloss, bekam selbst er ein klein wenig Gänsehaut, wenn eines der „großen Mausohren“plötzlich aus den Schatten schoss und dicht über ihm durch den Schlosshof segelte.

Er stieg die Treppe empor und betrat den Festsaal.

Auf einem der riesigen Tafeln hatte er vorhin eine Flasche Wein entkorkt, damit er atmen konnte. Auf dem Etikett stand

"Mouton Rothschild, 1945, annee de la victoire".

Neben der Flasche stand ein Kristallglas und ein goldener Teller mit Weintrauben und akkurat geschnittenen Käsewürfeln aus einem herzhaft würzigen Bergkäse der Vogesen.

Der Herr ließ sich in den davor stehenden thronartig hochverzierten Stuhl fallen. Er schlug die Beine übereinander, hievte sie mental erschöpft, stöhnend auf die mächtige Tafel und lehnte sich zurück. Mit einem sehnsüchtigen Blick auf die entkorkte Flasche Rotwein, beugte er sich wieder vor und griff danach.Nachdem er sich ein randvolles Glas eingegossen hatte, trank er einen großen Schluck, nickte dem Wein anerkennend zu und stellte das Glas wieder auf den Tisch. Er schnappte sich eine Hand voll Trauben und warf die erste in die Luft,legte den Kopf in den Nacken und versuchte die Frucht mit dem Mund zu fangen. Sie fiel daneben. Missmutig schaute er ihr hinter her, wie sie kurz am Boden auftitschte und unter den Tisch kullerte. Als würde sie versuchen sich vor seinem Zugriff in Sicherheit zu bringen. Er warf die Zweite. Diesmal klappte das Kunststück. Die nächsten Trauben steckte er sich allerdings so in den Mund, und schob einen Würfel Käse hinterher.Der Geschmack verband sich in seinem Mund mit dem süßen Saft der Traube und dem Nachhall des guten Weins ( - … Urlaub... im französischen Süden, unter Palmen... - )

Er schweifte kurz ab..., bis er ein durchgehendes Heulen vernahm.

Er musste den Tieren noch einmal etwas zu Fressen bringen, sonst würden sie sich bald gegenseitig an die Kehle gehen... Und Ruckzuck würden aus Fünf dünnen Wölfen, Ein bis Zwei Fette werden, die sich in der Arena die Wampe kraulen lassen. Keine Ressourcen verschwenden. Also erst füttern, dann zurück in seine Zeit, sich um die Geschäfte dort kümmern, und dann hierher zurück, nachsehen ob Wesslie inzwischen wieder aufgetaucht ist. Dann würde er die blonde Gefangene zum vereinbarten Termin, der Überraschungsgeburtstagsparty eines Zweitrangigen, aber zahlungskräftigen, Stadtlers abliefern. Wenn Wesslie bis in zwei Tagen nicht zurück wäre, würde er die Zelte hier abbrechen. Ja, das würde er. Das müsste er. Man sollte nie zu lange bleiben...

Die Frau die entkommen war machte ihm Sorgen.

Es war zwar unwahrscheinlich,die Ängste in der Bevölkerung groß, die Gefahren in den Wäldern ebenso, und der nächste Schutzmann der dösend an einer Straßenlaterne lehnt weit weg. Aber es könnte dennoch sein, dass sie plötzlich mit irgendwelchen Ordnungshütern hier auftauchen würde.Das Schicksal ist ein Eichhörnchen... . Dann sollten mögliche Spuren beseitigt, - falls es einen Grund für eine spätere Rückkehr geben sollte - , und er weg sein.

Der Herr stöhnte genervt, ignorierte das Glas, griff nach der Flasche, setzte sie an und trank, während Luftblase für Luftblase in der Flasche nach oben gluckerte und der Wein seine Kehle hinabstürzte! Als er die Flasche absetzte,kniff er die Augen fest zusammen und entließ ein wohliges „Aahhhh“, mit einer Wolke roten Traubendufts und Alkohol aus seinem Mund.Er rülpste kräftig, und ließ sogleich ein entschuldigendes „Ups...,pardon.“ folgen.

Er fragte sich, wieso er sich diesem sentimentalen Moment damals hingegeben hatte. Eine blödsinnige Idee im Nachhinein, seinen Sohn zu sich zu nehmen.

Männer in den Vierzigern..., da war wohl was dran...

Er war damals froh gewesen, dieses Problem so gut gelöst zu haben.

Es war nicht schwer gewesen, Sally dazu zu bringen, das Kind weg zu schaffen.

Dann Jahre später ist der Balg ihm wieder eingefallen und er konnte irgendwie nicht umhin ihn sich heimlich anzusehen.Er wollte wissen, ob er..., wie er sein würde... .

Dann sah er wie er da lebte, in dem Waisenhaus. Ja, und schließlich war sie da, die Idee. Dieser Junge, sein Junge, könnte sein Helfer und Diener werden. Sicher hätte er die gleichen Veranlagungen wie sein Vater. Im Nachhinein musste er jedoch feststellen, dass Wesslie viel von seiner Mutter-Schlampe mitgebracht hatte. Er erinnerte ihn an sie. Manchmal hörte er die Art wie sie Worte aussprach, sah wie seine Schulter einen Zentimeter nach links abfiel, wie ihre,und das er deshalb so ging wie sie..., und das gefiel ihm nicht. Die ersten Jahre waren gut gewesen. Doch kaum hatte er für ihn den Kristall hergestellt und übergeben, wandelte Wesslie sich. Er wurde ihm zu ...eigenständig.

Er stand auf.

Arbeit wartete auf ihn.

Der Herr warf, in Ermahnung der versäumten Wachsamkeit der letzten Tage, noch einen raschen Blick in die Ecke im hinteren Bereich des Raumes, neben der alten Bühne. Hier sollte der schwarze pulsierende Streifen als fest geschlossenen Linie in der Luft schweben. Sein fester Zugang Nummer Eins.

Doch der Streifen klaffte weit offen und lila leuchtend in der Luft. Dem Herr stockte der Atem.Die Wut schoss ihm mit Hochdruck in den Schädel und brachte ihn zum kochen.Augenblicklich zog er seinen Schlüssel hervor und schloß den Riss. Wesslie musste also doch noch einmal hier gewesen sein und wieder hatte er es versäumt, den Riss zu schließen.

Der Herr überlegte ernsthaft ob er Wesslie nun noch halten wollte.Vielleicht sollte er ernsthaft in Betracht ziehen, nachdem er die Blondine weggeschafft hätte, die Zugänge für immer zu zerstören und nicht wieder zurück zu kehren. Ohne einen der festen Risse, die er im Schloss installiert hatte, käme Wesslie auch mit seinem Schlüssel nicht mehr hier fort. Wesslie war sein Sohn, aber die Entscheidung ihn zu sich zu nehmen, hatte wohl doch eher geschäftliche Sentimentalitäten, als menschliche, im Fokus gehabt. So ein „Mc Titti, Mc Titti and Son-Scheiße“ im Firmenlogo. Ja, er hatte Wesslie, - seinen Sohn - , auch gemocht, aber nun war er offensichtlich hinderlich und unvorteilhaft geworden. Also musste er weg. So einfach war das. Sohn hin oder her!

Sein Entschluss stand nun fest. Wesslie würde nicht länger sein Gehilfe sein. Und sollte er doch da sein, wenn er später zurück kommt? Soll er nur zurück kommen. Zwei Fehler dieses Ausmaßes, sind mindestens einer zuviel. Der Herr würde sich nichts anmerken lassen.Er würde ihm noch den Rest seines Rotweins in den Rachen kippen und einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn geben. Dann würde er verschwinden und Wesslie wäre für den Rest seines Lebens gefangen im Jahr 1847.

Der Herr konnte nicht ahnen, dass der Körper seines Sohnes reglos in dem dunklen Kellerverlies tief unter ihm lag.

Dieselbe Ratte die Jacques in den Finger gebissen hatte machte sich gerade daran Wesslies linkes Ohr anzuknabbern. Wenn es schmeckt, würde sie ihre Kumpels verständigen.

*

 

Jacques schritt den Gang entlang.

Ratlos hob er dabei die Hände und ließ sie gleich wieder fallen. Er seufzte.

"Du liebe Güte!" murmelte er vor sich hin.

"Hier sind alle paar Schritte diese schwarzen Streifen an den Wänden!"

Seltsam fühlte sich der violette Gang unter seinen Füßen an. Nicht fest, aber auch nicht weich. Als ob man über einen Moosbewachsenen Stein laufen würde.

Da hatte der Gang eine Abzweigung... .

Schon wieder... . Aber Jacques blieb lieber in dem bereits beschrittenen, um sich möglichst nicht zu verlaufen.

Nach einigen Minuten blieb er stehen. Er drehte sich um und sah zurück.

Er dachte nach.

"Ich habe langsam das Gefühl, dass ich hier keinen Hinweisschildern begegnen werde. Mir wird nichts anderes übrig bleiben als einfach einmal einen der Streifen zu öffnen,an denen ich seit, was weiß ich wie lange, vorbei latsche. Vorausgesetzt dass es mir gelingt sie zu öffnen, ohne das mir irgendetwas gleich um die Ohren fliegt. Ich habe so langsam den Eindruck, dass ich in etwas völlig, total, verrücktes hinein geraten bin. Ich muss vorsichtig vorgehen. Erst einmal den kleinen Finger, dann sachte um die Ecke schauen was mich dahinter erwartet. Gegebenenfalls kann ich mich vor einem der Entführer noch rasch wieder zurück ziehen. … Großer Gott..., wieso erzähle ich mir das die ganze Zeit selbst? … Pssscht! Konzentrier dich Jacques!“ raunte er sich zum Abschluss flüsternd zu.

Jacques zog den Kristall aus der Tasche und berührte den Streifen der ihm am nächsten war.

"Srrrrt!"

Vorsichtig, mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, fasste er wieder zuerst mit der Hand, zaghaft durch den Riss. Es war warm auf der anderen Seite. Das war schon mal gut.

Er nahm all seinen Mut zusammen, ballte die Fäuste und schritt hindurch. In dem Moment, als ihm einfiel, dass er unbedingt erst durch den Riss hindurch schauen wollte, BEVOR er hindurch schritt, sackte sein Magen in sich zusammen.

 

-

 

Jacques krachte aus drei Meter Höhe auf dem steinigen, staubigen mit Gesteinstücken übersäten Boden eines Raumes und landete schmerzhaft auf dem Rücken. Die Luft wurde ihm für unendlich lange Drei Sekunden komplett abgeschnürrt. Staub wirbelte in dichten, dicken Wolken auf und simulierte eine originalgetreue Gewitterfront im Raum.

Er musste husten.Wie auf Kommando folgte anscheinend der Donnerschlag des vermeintlichen Zimmergewitters.

Plötzlich bebte die Erde.

Ein lauter Knall drang in seinen Schädel ein. Die Wand unmittelbar neben ihm, die vor einer Sekunde noch dort stand, war verschwunden.Sie hatte sich in Tausende Einzelteile von Melonen- bis Sandkorngröße aufgelöst.

Ein riesiges Loch prangte stattdessen jetzt an dieser Stelle, und ließ die Sonne sarkastisch hereinlachen.

Ein furchtbares Piepsen hing nun in seinen Ohren fest.

Alles andere nahm er nur noch gedämpft wahr. Das Geräusch von Maschinen, das er aber unmöglich genau definieren konnte. Dafür klang es zu unbekannt. … ein weiterer Knall, … etwas weiter weg.Das fallen weiterer Gesteinsbrocken und... das Schreien von Menschen!

Ja, da waren eindeutig Schreie. Er konnte nicht verstehen was die Menschen schrien, aber es war ihm schon klar, dass es Reaktionen auf diese Explosionen oder Kanonenschüsse waren.

Anscheinend hatte er mal wieder den “Schwarzen Peter“ gezogen und ausgerechnet einen Ort erreicht, an dem gerade Krieg herrschte.Aber wie zum Henker war das möglich? So weit weg vom Schloss konnte er nicht sein. Außerdem stimmte etwas mit dem Klima hier nicht.

Die Luft war trocken und warm. Viel zu warm für den Herbst und dieses Land.

Das Piepsen lies langsam nach, doch mit einem mal gesellte sich ein Pfeifton hinzu der anschwoll und immer näher zu kommen schien. Jacques schaute sich verwirrt, immer noch am Boden liegend, über und über mit Staub bedeckt um. Das Pfeifen flog genau auf seine Ohren zu. Er zog im Kopf blitzschnell Eins und Eins zusammen und warf sich unter einen in der Ecke stehenden Tisch. Der folgende Einschlag riss ein vier Meter breites Loch in den Fußboden. Allerlei kleine Bröckchen flogen ihm um die Ohren. Das erneute Piepsen im Ohr ignorierend sprang er auf und rieb sich Staub und Steinchen, Holz und Erde von Kopf und Kleidung. Eines war klar, sofort wieder zurück wo er herkam, war eindeutig die vernünftigste Option. Offensichtlich war er mitten in eine kriegerische Auseinandersetzung geraten, und die Waffen der Kontrahenten schienen äußerst effektiv zu sein. Sie hatten offensichtlich keinerlei Probleme damit ganze Häuserblocks, geschweige denn einen kleinen kräftig gebauten Franzosen, buchstäblich pulverisieren zu können. Er blickte zu dem lila Riss, der immer noch offen war.

"Na fantastisch. Und was mach ich jetzt?" fragte er sich selbst.

Der Riss schwebte in drei Meter Höhe über dem Loch im Boden.

"Jeder andere hätte durchgeschaut, das Chaos bemerkt und sich eiligst wieder zurückgezogen.“ fing er an, sich selbst zu maßregeln. „ Nicht so der dumme Jacques! Neihhhhn! Ich Trottel muss natürlich hindurch hüpfen wie eine Elfe im Blümchenparadies und promt, nicht nur auf dem Hosenboden, sondern inmitten einer apokalyptischen Schlacht landen!"

Jacques stöhnte kopfschüttelnd. Er sah sich um.

"Hm...Wenn ich den Tisch an den Rand schiebe könnte ich mit einem beherzten Sprung...!" Es pfiff wieder in der Luft... Jacques hockte sich blitzartig hin und nahm den Kopf zwischen seine Beine.Er wackelte ein wenig, vom Schwung. Beinahe wäre er nach hinten weggekippt. Er schloss die Augen und wartete bis das Pfeifen Zwei Blocks weiter in einer Dritten Explosion endete.Er wartete noch ein paar Sekunden und sprang wieder auf.

Jacques schob den Tisch, der vorhin sein Schild gewesen war hinüber und kletterte darauf.

Das reichte nicht... .

Er schaute weiter um sich und entdeckte eine Holzkiste. Behände sprang er wieder von dem Tisch hinunter, wobei es leise in seinen Knien knackte, und holte die Kiste. Er stapelte sie auf den Tisch und stieg zum zweiten Mal darauf.Sehr gut, ein knapper halber Meter noch bis zum Riss. Jacques setzte zum Sprung an.

Genau jetzt hagelten mit Ohrenbetäubendem Lärm hunderte von Schüssen in die hintere Hauswand. Der Putz platzte an unzähligen Stellen ab und prasselte wie ein Steinregen nieder.

Eines der Tischbeine wurde getroffen. Der Tisch kippte sofort nach vorne, und Jacques mit.

Im gleichen Augenblick spürte er wie etwas Heißes in sein rechtes Ohrläppchen biss.

Jacques Sprungversuch versiegte im Ansatz und er ging mitsamt Tisch und Kiste zu Boden.

Ein Schrei entfuhr ihm.

Die Schüsse verhallten.

Seltsam, es war ihm als seien diese Schüsse alle gleichzeitig in einem unglaublichen Tempo abgefeuert worden. Da müssen Hunderte von Soldaten draußen sein. Er hatte aber bisher niemanden gesehen.

Jacques fasste sich an sein Ohr. Seine Finger wurden feucht.

Als er sie wieder zurück zog, sah er Blut an seiner Hand.

"Auch das noch!" schimpfte er. Doch er wurde kreidebleich als ihm nun einfiel, dass er wahrscheinlich kein Loch im Ohrläppchen sondern im Kopf hätte, wenn der Tisch nicht getroffen worden und umgekippt wäre.

Vorsichtig robbte er sich an den Rand des Raumes, um endlich einen Blick nach draußen auf seine Gegner werfen zu können.

Er linste nach unten. Er befand sich anscheinend im Ersten Stock eines eckigen Gebäudes. Rundherum standen noch viele ähnliche Drei- bis Vierstöckige Bauten. Alle waren sie Lehmfarbend oder Grau. Und schätzungsweise die Hälfte von ihnen waren teilweise, oder komplett zerstört.

 

-

 

Bagdad, am Ufer des Tigris, Irak, 8. April 2003

 

Jacques konnte einen Fluss unterhalb des Hauses in dem er sich befand sehen. Über dem Eingang konnte er, wenn er schräg um die Ecke blickte, "HOTEL" lesen. Der Rest war durch einen schwarzen Brandfleck, wie er sie zahlreich auch an den anderen Häusern sehen konnte, unleserlich geworden.

Manche Gebäude waren einfach in sich zusammengebrochen, manche schienen sich auf Quadratkilometer verteilt zu haben. Es brannte an mehreren Stellen.

Im Hintergrund sah er tiefschwarze dicke Rauchwolken, die unaufhörlich in den vor Hitze flimmernden Himmel aufstiegen.

Auf der Straße standen vereinzelte Wagen ohne Pferde. Sie waren kleiner als Kutschen und hatten auch scheinbar keinerlei Vorrichtung an denen man Pferde hätte einspannen können. Er hatte in Paris einmal einen dieser mit Dampf betriebenen Fahrzeuge gesehen, aber dieses sah nicht im Entferntesten so aus. Es war klobiger und größer gewesen und hatte natürlich einen Schornstein gehabt. Elise hatte ihm einmal von einem Engländer namens Andersen erzählt, der eine elektrische Pferdelose Kutsche gebaut hatte. Ob es sich hier um solche handelte?

Einer dieser Wagen brannte auch.

Schon wieder bebte die Erde. Die ganze Stadt schien zu wackeln. Eine Straße weiter konnte er sehen, wie der Einschlag eine Haushälfte auseinander riss. In schwarze Tücher gehüllte Frauen liefen über die Straße in eine Seitengasse. Er hörte sie in einer seltsamen Sprache rufen:

"Allah arjuk mua adie!" schallte es zu ihm herüber.

Ihnen folgten Männer in Stoffkleidern mit Gewehren. Einer von ihnen hatte einen Turban wie in den Märchen aus "Tausend und einer Nacht" auf dem Kopf. Auch sie verschwanden in der Gasse.

Dann ratterte es dröhnend auf der Straße rechts von ihm.

Er sah ein großes quadratisches Haus mit einer in Blautönen bemalten Kuppel. An einer der Ecken wuchs ein ebenfalls blauer Turm von geringem Durchmesser in die Höhe. Wie ein Leuchtturm ragte er in den Himmel.

Nun bogen Gefährte um die Ecke, wie er sie noch nie gesehen hatte. Zunächst kam eines dieser Fahrzeuge ohne Pferde. Allerdings war es ohne Dach und eckiger. Es fuhr tatsächlich von alleine und ohne Dampf. Ein Mann saß darin und lenkte es. Mit ihm saßen noch drei andere Männer im Wagen. Alle hatten sie braun-beige-gefleckte Hosen und Hemden an. Jeder von ihnen trug einen gleichfarbigen Helm und die drei hielten Gewehre in den Händen.Soldaten, das war klar zu erkennen.

Gleich hinter dem ersten Wagen folgten drei Ungetüme, die Jacques mit offenem Mund staunen ließen. Diese Dinger waren viel größer. Sie fuhren nicht auf Rädern sondern auf seltsamen breiten Bändern, die sich vorwärts bewegten und so das Gefährt antrieben. Ein Lenker war nicht zu sehen, auch keine Scheiben.

Doch halt! Da guckte ein Kopf aus dem Dach. Vor dem Kopf ragte ein langes Rohr voraus, so dick wie das einer Regenrinne.Eine Kanone, offensichtlich. Hinter den drei großen Wagen folgten wieder die kleineren Wagen. Fünf an der Zahl.

Sie fuhren vorbei an der Gasse in der die flüchtenden Menschen vorhin verschwunden waren.

Gerade als der Dritte der kleineren Fahrzeuge die Stelle passiert hatte, erschien der Mann mit dem Turban in der Gasse und hievte sich ein Rohr, - ähnlich dem Kanonenrohr auf den drei großen Wagen, nur wesentlich kleiner -, auf die Schulter und legte damit auf die Kolonne an.

Jacques Mund öffnete sich. Er hielt den Atem an.

Ein Zischen, ein Knall, und eines der kleineren Gefährte hob sich unter der Macht der einsetzenden Explosion mehrere Meter in die Luft. Es machte eine fast komplette Drehung, und landete krachend mit den Rädern nach oben wieder auf der Straße. Für die Insassen kam mit Sicherheit jede Hilfe zu spät.

Schreie ertönten.

Der Mann mit der Waffe lief davon. Zurück zwischen die Häuser. Die großen Rohre auf den Ungetümen drehten sich in Richtung der Stelle, an der eben noch der Schütze stand.

Dreimal hintereinander donnerte es.

Die Gasse verwandelte sich in einen breiten Höllenschlund voller Feuer, Rauch, Trümmer und blutender schreiender Menschen.

Jacques wusste, dass er hier schleunigst wieder verschwinden musste. Sein Leben war hier genauso in Gefahr wie das der Kämpfenden. Obwohl er mit diesem Krieg überhaupt gar nichts zu schaffen hatte.

Doch der Riss war momentan nicht erreichbar. Würde er jetzt aufstehen, da war er sich hundertprozentig sicher, würden die drei Rohre den Rest des Hauses in dem er jetzt lag vollständig dem Erdboden gleich machen.Die ganze Umgebung würde nun von den Soldaten im Auge behalten werde. Und da er leider nicht deren Uniform trug, war er sich sicher, dass sie ihn vorsorglich erst einmal erschießen würden, bevor sie nachfragen würden wer er sei und was sein Begehr sei. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auszuharren bis der Kampf sich in eine andere Region des Ortes verschieben würde.

Die Soldaten liefen jetzt geduckt dorthin wo die letzten Einschläge stattgefunden hatten. Mit Handzeichen verständigten sie sich gegenseitig.

Vier der Uniformierten drangen in die Ruinen ein.

Schüsse fielen!

Eine Frau schrie und weinte.

Zwei Männer und eine Frau wurden von den Soldaten auf die Straße gezerrt, zu Boden geworfen und ohne weitere Warnung erschossen.

Jacques drehte sich auf den Rücken. Sein Herz schlug so kräftig und laut in seinen Ohren, dass er Angst hatte man könnte es bis zur Straße hinunter hören.

"Was ist das für ein Krieg und wie werden die Gefangenen behandelt? Die eine Partei beschießt den Feind von hinten und die andere erschießt selbst die Unbewaffneten. Ja sogar eine Frau war unter ihnen!"

Jacques verstand nicht, was für eine Art der Kriegsführung das war.

Da hörte er plötzlich ein Geräusch.

Leise Schritte, in dem Raum unter sich.

Jacques rührte sich nicht. Ganz behutsam rollte er sich zu dem Loch im Boden und sah hinab. Da stand zitternd ein vielleicht zwölf Jahre alter Junge an die Wand gepresst.

Zwei Soldaten waren inzwischen an dem Gebäude angekommen. Sie berieten sich anscheinend und drangen dann ins Innere vor. Einer Voraus, der Andere zum Absichern hinterher. Jacques befand sich im Dritten Stock, der Junge im Zweiten, und er hörte bereits wie die Zwei Uniformierten, schussbereit, die Treppe hinauf stiegen. Sie kamen dem Jungen immer näher, die Gewehre im Anschlag, den Finger am Abzug.

Tränen liefen die Wangen des Kindes hinab. Er zitterte und atmete schnell und flach.

Jacques war klar, dass die Soldaten sofort schießen würden, sollten sie den Jungen erwischen. Irgendwo war das verständlich. Sie sind immerhin aus einem Hinterhalt heraus beschossen worden. Aber er konnte nicht zulassen, dass dieser offensichtlich unbewaffnete Junge zu ihrem Opfer werden würde.

Er steckte den Kopf ein Stück über den Rand und machte:

"Pssst!"

Der Junge bekam einen riesigen Schreck. Er sank zuerst zu Boden, die Hände schützend über den Kopf geworfen, und wollte sogleich wieder hoch springen, um wegzulaufen. Dann sah er, dass der Fremde da oben ihm seine Hand entgegen streckte.

Eine Geste die in jeder Sprache der Erde verständlich war. Ein wenig zögerlich griff der Junge danach. Jacques ächzte und stöhnte, als er das Kind hinauf zog. Es war schwerer als er angenommen hatte. Die letzten Reserven mobilisierend, und wohl wissend der Folgen, sollte man den Jungen hier an seiner Hand baumelnd vorfinden, wuchs Jacques über sich hinaus und er hievte ihn ächzend nach oben.

Gerade als beide sich entkräftet und erleichtert,wieder flach auf den Boden gelegt hatten, hörten sie, wie die Soldaten durch den unteren Raum gingen. Sie verweilten kurz um alles zu durchsuchen, fanden den Zugang nach oben unpassierbar zerbombt vor, und gingen dann durch das Treppenhaus hinunter und zurück auf die Straße.

Jacques und der Junge lagen nun gemeinsam auf dem Bauch am Rand des Gebäudes und beobachteten, was weiter geschah.

Der beschossenen Wagen brannte nicht mehr. Einer der Uniformierten hatte auf ein rotes Gefäß gedrückt und daraus eine Art Schaum heraus gesprüht. Dieser Schaum hatte das Feuer scheinbar erstickt. Ein interessantes Gerät, sehr nützlich, hatte Jacques gefunden.

Andere Männer zogen die unter dem Gefährt liegenden verkohlten Leichen hervor. Jacques wurde übel bei dem Anblick. Er musste wegsehen. Der Junge schaute ungerührt zu, ohne eine Regung zu zeigen. "Was müssen diese jungen Kinderaugen schon alles Furchtbares gesehen haben, um jetzt nicht angewidert wegschauen zu müssen?" überlegte Jacques betrübt.

Der Junge tat ihm unendlich leid. Völlig gleich welche Seite nun diesen Krieg entfacht hatte.

Mit einem Mal ertönte ein lautes, in Wellen spürbares, Stakato von:"BOb-bob-bob-bob-bob-bob-bob-bob!" durch die Luft. Zuerst war es hinter ihnen, dann plötzlich direkt über ihren Köpfen.

Jacquess Eingeweide zogen sich zusammen. Sein Verstand machte Anstalten auszusetzen und sein Körper weigerte sich, auch nur einen Finger zu bewegen.

"Großer allmächtiger Gott! Was ist das denn? Nein, das ist doch nicht möglich! Ohhhhh,Himmmel!"

Das mächtige schwarze Ding mit dem rotierenden halb unsichtbaren Kreis über sich, ratterte über sie hinweg und sank langsam hinunter auf die Straße. Das erinnerte ihn irgendwie an eine riesige Libelle. Es hörte auf zu rattern, als es gelandet war. Der Kreis darüber kam zum Stillstand und entpuppte sich als vier Stangen in Kreuzform.Wie bei einer Mühle. Seitlich öffnete sich eine Schiebetür. Niemand stieg aus, aber die Soldaten am Boden brachten die Toten in die Riesenlibelle. Die Tür schloss sich wieder.

Dann begann sich das Kreuz zu drehen. Immer schneller, bis es wieder wie ein Kreis wirkte. Das Fluggerät hob ab und entfernte sich mit dem gleichen "Bob-bob-bob"-Geräusch, wie es gekommen war.

Die Männer auf der Straße stiegen in ihre Wagen und setzten ihren Weg fort.

Als sie kaum noch zu sehen waren, atmete Jacques erleichtert auf und drehte sich auf den Rücken.

"Mann, Mann, Mann!" brabbelte er vor sich hin, "Wenn ich das Elise erzähle! …Elise? Josephiné? Oh verdammt ich muss ja zurück!" Er sprang auf. Erst jetzt wurde ihm wieder bewusst, dass der Junge bei ihm war. Dieser stand jetzt neben ihm und zupfte an seinem Ärmel.

"Bia ba." gab er von sich.

"Oh..., tut mir leid. Ich verstehe deine Sprache nicht. Du sprichst nicht zufällig französisch? Oder Englisch? Ich kann ein wenig Englisch, ein kleines bisschen...."

Der Junge sah ihn nur fragend an.

"Nein natürlich kannst du diese Sprachen nicht. Offensichtlich befinden wir uns hier in einem wahrscheinlich orientalischen Land. Das Klima und die Landestrachten deuten jedenfalls darauf hin. Woher solltest du meine Sprache können." schallte er sich selbst.

"Bia ba! Bia ba!" wiederholte das Kind und zog an seinem Hemd.

"Ich kann nicht mitkommen. Ich muss zurück, dahin wo ich hergekommen bin. Nach...Hause...gehen! Verstehst du? Das solltest du auch tun." versuchte es Jacques weiter verzweifelt in seiner Landessprache.

Doch der Junge ließ nicht locker.

"Bia ba. Thlyl rftn!" sagte er und deutete mit der freien Hand Richtung geöffneten Mund.

"Ahh! Du willst mir zu essen geben weil ich dir geholfen habe? Das ist nicht nötig, ... Obwohl...?"

Jacques war schon sehr hungrig. Hatte er nicht das letzte Mal etwas gegessen, als sie in dem Gasthof waren. Er und Josephine? Und das schien ihm eine Ewigkeit her. Er konnte sich, ehrlich gesagt, nicht daran erinnern JEMALS so lange am Stück, nichts gegessen zu haben. Und wenn er Josephiné finden wollte, sollte er bei Kräften sein. Wer weiß wie lange die Suche noch dauern würde. Außerdem hatte er einmal einen Perser getroffen in Paris. Dieser hatte ihn zum Tee eingeladen weil Jacques ihm an seinem Marktstand für eine Feier im Familienkreis Drei ganze Kisten Obst abgekauft hatte. Das war ein großes Geschäft für den Perser gewesen. Jacques lehnte die Einladung damals zunächst ab, stellte jedoch fest, dass der Standbesitzer sehr gekränkt darüber war, sodass er schließlich doch annahm und den furchtbar süßen Tee trank. Die Gastfreundschaft dieses Jungen zu enttäuschen, würde ihn wahrscheinlich beleidigen.

Also beschloss er, ihm zu folgen, für eine kurze Rast und Stärkung.

"Schon gut, schon gut!" sagte er zu dem Kind, hob besänftigend die Hände und ließ sich mitziehen.

Sie kletterten an der zerschossenen Außenwand hinab, die durch den Schaden nun genug Haltemöglichkeiten für Hände und Füße bot. Unten angekommen marschierte der Junge hurtig los, sodass Jacques Mühe hatte ihm durch die verwinkelten Gassen ohne jegliche Hinweiser oder für ihn ersichtlichen markanten Punkte des Ortes,zu folgen.

Nach etwa zehn Minuten, sie waren bis zum Rand der Stadt vorgedrungen, blieb der Junge unvermittelt, mitten auf einem kleinen freien Platz stehen und rief laut:

"Walid!" Ein paar Sekunden vergingen.

Eine scheinbar zugenagelte Haustür öffnete sich und drei Männer erschienen. Sie hatten Gewehre in den Händen und sahen sich nach allen Seiten um, während sie auf die Beiden zugingen. Erst direkt vor ihnen sahen sie Jacques ins Gesicht. Plötzlich spürte Jacques etwas kaltes an seinem Nacken. Einer der Männer hatte sich blitzschnell hinter ihn bewegt und hielt den Lauf seiner Waffe an seinen Hals.

Hastig redete der Junge auf die Männer ein. Er gestikulierte wild und sofort sank die Waffe nieder und mit einem Mal wurde seine Schulter kräftig geklopft. Die Männer lachten ihn an. Einer der Männer, wohl der Vater des Jungen, umarmte ihn, umfasste dann seine beiden Hände und sagte:

"Tschkr. Allah u agbar. Tschkr!"

Dabei verbeugte er sich unaufhörlich vor ihm.Jacques lächelte beruhigt zurück und nickte zustimmend, zu dem was auch immer der Mann wohl gesagt haben sollte.

Der Vater des Kindes führte ihn zusammen mit seinem Sohn in das Gebäude.

Die beiden anderen Männer blieben mit ihren Waffen vor dem Haus in der offenen Tür stehen.

Alles war sehr niedrig und klein gehalten. Man wies im einen Platz an dem niedrigen Tisch in der Mitte des Raumes zu. Er setzte sich wie die anderen im Schneidersitz auf das rote, mit Gold bestickte Kissen am Boden.

Der Vater rief:"Ayperi!"

Eine Frau, wieder ganz in Schwarz gehüllt, sodass man nur ihre Augen sah, erschien.

Der Mann sprach freundlich zu ihr. Ihre schönen dunklen Augen sahen Jacques an. Trotz des alles verhüllenden Schleiers, erkannte er die tiefe Dankbarkeit in ihrem Blick.

Sie schien noch recht jung. Wahrscheinlich war es die Schwester des Jungen. Sie verbeugte sich kurz und zog sich zurück.

Nun saßen sie alle da und Jacques lächelte etwas verstört in die Runde.

Jacques meinte, etwas sagen zu müssen. Er hielt es für angebracht sich vorzustellen.

"Mein...Name...ist...Jacques!"

Er deutete mit beiden Zeigefingern auf sich selbst.

"Jacques!" wiederholte er laut.

Der Junge grinste ein wenig, fing sich von seinem Vater aber sogleich einen ernsten Blick ein.

Auch die beiden an der Tür hatten ihren Spaß und kicherten leise. Anscheinend hörte sich sein Name in diesem Land äußerst lustig an.

Der Vater legte seine Hände mit gespreizten Fingern auf seine Brust und sagte:"Chalid!"

Daraufhin zeigte er auf den Jungen und sagte:"Kamar!"

Alle lächelten sich an und verbeugten sich. Jacques ebenso.

Da kam die Frau wieder hinein. Sie stellte ein metallenes großes Tablett auf den Tisch. Darauf stand dampfender Tee und eine Schale mit kleinen Klößen.

Die Frau goss den Dreien ein und ging wieder hinaus.

Der Junge schob ihm die Schale mit den Klößen hin und sagte:

"Thlyl rftn! Kubba!"

Er rieb seine flache Hand im Kreis über seinen Bauch und machte dazu:"Hhhmmm!"

Jacques nickte und nahm einen der Klöße. Er biss hinein und fand sie gar nicht mal schlecht. Das musste eine Art fester Getreidebrei mit Fleisch sein und einigen für ihn undefinierbaren Gewürzen. Er trank den Tee, der zwar wieder für seinen Geschmack viel zu viel Zucker enthielt, aber äußerst gut tat. Endlich wieder Speise und Trank zu erhalten weckte seine Lebensgeister und machte ihn frisch und munter.

Nach dem Mahl erhob er sich und machte sich mit Händen und Füßen verständlich um seine Gastgeber aufzuklären, dass er nun gehen müsse.

Sie verstanden ihn anscheinend.

Chalid sagte "Salam aleikum.".

Man verbeugte sich noch einmal voreinander und Jacques machte sich auf den Weg, zurück zu dem Gebäude wo der Riss hoffentlich noch auf ihn wartete.

Beim weggehen sah er, dass der Junge ihm noch hinterher winkte.

Durch einen Spalt zwischen den Brettern mit denen ein Fenster vernagelt war, sah er die dunklen Augen der Frau und ihre helle Hand, die sie ebenfalls zum Abschied erhoben hatte.

Jacques fand das Gebäude schnell wieder. Er kletterte hinauf und sah den Riss in der Luft.

Mit Trümmerteilen unterstützte er den dreibeinigen Tisch, stellte die Kiste hinauf und sprang mit einem Satz durch das leuchtende Lila.

Zurück im Gang verschloss er den Riss sogleich mit seinem Kristall. Er hatte keinerlei Interesse daran, das ihm plötzlich ein paar Soldaten mit tragbaren, alles zerstörenden Kanonen, folgen würden.

Nach diesem Erlebnis, dass ihn gut das Leben hätte kosten können, entschloss er sich nun doch eine der abzweigenden Gänge zu beschreiten, um dort sein Glück zu suchen.

Er ging den Gang zurück und bog bei der nächsten Abzweigung links ab.

 

*

 

Chicago, USA, 2008

Vallerie atmete hörbar erleichtert aus. Sie schaute verstört um sich als sie erwachte. In ihren Träumen war alles ineinander verwoben und gleichzeitig durcheinander gewirbelt worden. - ...Sie hatte ihre Mutter geküsst, sie traf Ready auf den Weiden. Ihre treuen Hütehunde Borzas und Morzsa zerfleischten ihn vor ihren Augen. Sie spürten das Böse in ihm. Im nächsten Augenblick riss Ryan ihre Peiniger, in dem schäbigen Zimmer, von ihr herunter und prügelte ohne Unterlass mit seinem Hirtenstab auf sie ein. Und schon flog sie weiter... Ein ( - der! - ) riesiger schwarzer Mann presste in der Taverne sein steifes Teil gegen ihren Unterleib, und der Wirt, dieses miese Dreckschwein sah bösartig lachend zu.Sie griff nach Cathys Hand, die plötzlich vom Himmel herab kam. Cathy griff zu und zog... . -

Vallerie lag verschwitzt in einem angenehm weichen Bett mit intensiv nach Blumen und Erdbeeren duftender Bettwäsche.

Nachdem sie rekapituliert hatte was ihr in den letzten Tagen alles zugestoßen war, stellte sie fest, dass sie die Hälfte von all dem nicht einmal annähernd verstanden hatte. Sie setzte sich auf und schwang ihre Beine aus dem Bett. Vallerie gähnte herzhaft und streckte ihre Glieder. Dabei meldeten sich gleich wieder die Schmerzen welche von ihren zahlreichen Verletzungen ausgingen. Sie zuckte mit zusammengekniffenen Gesichtszügen zusammen.

Es klopfte an der Tür.

Jacky trat ein.

"Schönen guten Morgen, Süße!" begann sie. "Wie wärs mit Frühstück? Zieh dir was an und komm runter, ja?" zwitscherte sie fröhlich.

Sie warf einen Blick auf den Stuhl neben dem Bett.

"Oh Jesus! Na in den Klamotten kann ich dich aber nicht herumlaufen lassen. Warte einen Augenblick."

Und schon war Jacky wieder verschwunden.

Vallerie blieb auf der Bettkante sitzen und wartete wie ihr gesagt wurde. Jacky erschien eine halbe Minute später wieder,mit einem Berg Hosen, Hemden, Kleidern und Unterwäsche auf den Armen. Sie legte das Bündel auf das Bett und sagte:

"Jetzt such dir mal was Schönes aus. Das dürfte dir passen, schätze ich.“

Vallerie lächelte freudig überrascht und bedankte sich.

"Vielen Dank! Du bist sehr nett zu mir...Aber ich fürchte ich kann das alles nicht bezahlen." sagte sie leise.

"Dummerchen!" fuhr Jacky sie an und stupste Vallerie sanft in die Seite, so dass diese erschrak und ein wenig zusammen zuckte. "Du musst hier doch nichts bezahlen.“ fuhr Jacky grinsend fort. „Aber wenn du Kippen brauchst. Die musst du schon selbst zahlen!" fügte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und gespieltem Ernst ( - ? - ) hinzu.

"Was sind Kippen?" fragte Vallerie.

Jacky sah sie zweifelnd an.

"Anscheinend bist du Nichtraucherin du Glückliche. Ich versuche seit Jahren von dem Scheiß Nikotin loszukommen.

Aber Pustekuchen!" sinnierte Jacky, und sah ihre etlichen Fehlversuche vorüber ziehen.

Vallerie verstand schon wieder nicht, unterließ es aber Jacky nach diesem Kuchen mit dem seltsamen Namen zu fragen.

"Ich rauche auch. „ bemerkte nun Vallerie. „ Hin und wieder ein Pfeifchen, aber eher selten."

Dies wiederum bekam Jacky nun in den falschen Hals, ging aber auch nicht auf den vermeintlichen Hasch-Konsum Valleries ein. Hauptsache sie rauchte kein Crack, und danach sah sie nun wirklich nicht aus.

Jacky wollte gerade hinausgehen damit Vallerie sich in Ruhe anziehen konnte, als diese ihr hinterher fragte:

"Jacky, warum hilft du Frauen wie mir ohne Geld dafür zu verlangen?"

Jacky blieb stehen. Sie atmete tief und ruhig. Dann drehte sie sich langsam um und lächelte Vallerie milde zu. Sie kam zurück in das Zimmer, reichte Vallerie eine Hand, zog sie zum Bett und sie setzten sich nebeneinander.

Jacky begann zu erzählen.

"Weißt du. Ich war selbst einmal in einer beschissenen Beziehung gefangen und wäre ohne fremde Hilfe nicht daraus entkommen. Vor fünfundzwanzig Jahren dachte ich noch dass alles super ist und auch bleiben wird.

Ich heiratete damals meinen Freund Bill. Wir liebten uns. Alles war in Ordnung. Nach zwei Jahren bekamen wir eine Tochter, Luise...."

Jacky senkte den Blick. Sie seufzte tief und fuhr dann fort.

"Die ersten vier Jahre verliefen ganz O.K.. Luise wuchs heran und Bill war ein guter Vater und Ehemann. Gut, ab und an hatte er seine schlechten Tage und wurde ein bisschen cholerisch. Aber meist ging er uns dann aus dem Weg und beschäftigte sich in seinem Hobbykeller mit irgendwelchen Arbeiten an Autoteilen. Eines Tages verlor er seinen Job. Er hatte in dem Fordwerk am Stadtrand gearbeitet. Die Geschäfte liefen schon länger nicht mehr gut und schließlich wurde das Werk dicht gemacht.

Bill und Tausend andere Arbeiter wurden von einem auf den anderen Tag vor die Tür gesetzt. Erst war er froh mal mehr Zeit zu haben. Die ersten Wochen waren auch echt schön.

Als er bemerkte, dass keine Jobs in der Stadt frei waren änderte sich seine Stimmung. Aber anstatt Bewerbungen zu schreiben und vielleicht ne Umschulung zu machen rief er nur sporadisch Ein bis Zwei mal die Woche auf irgendwelche dubiosen Stellenangebote im hiesigen Käseblatt an. Später nicht mal mehr das. Er resignierte schließlich, saß nur noch vor der Glotze und begann zu trinken. Alles nervte ihn.

Ich, Luise und das ganze Leben. Wir mussten Stütze beantragen bei der Wohlfahrt.

Seine Trinkerei wurde so schlimm, dass er schon mittags kaum noch ansprechbar war.

Nach ziemlich genau einem Jahr schlug er mich das erste Mal.

Es passierte bei einem kleinen Streit. Ich hatte mich richtig hübsch gemacht für eine Weihnachtsfeier in dem "Drive-in", in dem ich arbeitete. Schön geschminkt war ich, hatte ein enges Shirt und nen Minirock an.

Auch wenn du´s nicht glaubst. Ich sah richtig scharf aus damals.“ Wieder stupste sie Vallerie in die Seite, und diesmal zuckte sie nicht zusammen.

„Aber genau das war das Problem.“ fuhr sie nachdenklich fort.

„Bill fuhr mich an, dass ich eine verdammte Nutte sei. So ließe er mich nicht vor die Tür. Ich sagte ihm, dass ich doch nur mit meinen Kolleginnen zusammen sitzen würde. Nicht mal der Boss sei dabei. Doch das interessierte ihn nicht. Er beschimpfte mich lautstark und als ich an ihm vorbei zur Tür wollte, schlug er mir mit der Faust ins Gesicht. Die Schnapswolke die mir gleichzeitig entgegen schlug, hat mich fast zum kotzen gebracht.

Ich ging sofort zu Boden. Mann, sah ich aus am nächsten Tag. Natürlich fiel die Feier für mich ins Wasser.

Bill entschuldigte sich tausend Mal am nächsten Morgen und versprach es nie wieder zu tun.

Dieses Versprechen hörte ich von da an noch bestimmt Hundert mal bis ich kapiert hatte dass er es nie halten würde... .

Die folgenden Male, so zwei bis drei Mal im Monat, vertrimmte er mich meist so, dass es die Nachbarn und

Freunde nicht mitbekamen ( - … nicht mitbekommen wollten... - ). Er schlug und trat mir in den Rücken oder Bauch. Beine und Arme waren ebenfalls beliebte Ziele.

Die kleine Luise war längst ein seelisches Wrack. Sie weinte viel und sprach so gut wie gar nicht mehr. Doch auch das bemerkte ich zu spät...."

Jacky machte wieder eine Pause. Sie schluckte und Vallerie sah, dass sie damit kämpfte, keine einzige Träne aus ihren Augen entkommen zu lassen.

„Zwei bis dreimal im Jahr landete ich im Krankenhaus.

Bill brachte mich sowohl mit Drohungen als auch mit Versprechungen dazu Geschichten über Treppenstürze, Ausrutscher bei der Hausarbeit und so weiter zu erzählen.

Eines Tages war Bill mal wieder in Stimmung. Ich hatte mir die Haare getönt. Seiner Meinung nach für einen anderen Mann. Er tobte und schrie. An dem Tag hatte er eine letzte Mahnung für eine nicht bezahlte Rate seines Autos erhalten.

Er würde den Wagen wieder abgeben müssen. Das steigerte seine Wut ins Unermessliche.

Zuerst flog die leere Whisky-Flasche an die Wand direkt neben meinem Kopf. Dann griff er nach dem Brotmesser.

Tobend kam er auf mich zu....“ Jacky verstummte.

Für eine gefühlte Unendlichkeit saß sie nur schweigend neben Vallerie. Sie schloss einmal kurz ihre Augen, dann sprach sie weiter.

„Luise war Sechs und sie wollte ihre Mutter beschützen....

Sie stellte sich vor mich als er zustach….

Bill erstarrte, dann rannte er kreidebleich nach draußen auf die Straße.

Das glückliche Mistschwein wurde von einem heran rauschenden LKW überfahren. Er war sofort tot.

...Genauso wie meine Tochter... " Ihre Stimme versagte.

Eine Träne hatte es nun doch geschafft, und rollte einsam ihre Wange hinab. Sie holte tief Luft, fasste sich mühsam und fuhr fort.

"Ich wollte ebenfalls sterben. Also nahm ich das Messer und schnitt mir die Pulsadern auf.

Die Sanitäter die von den Nachbarn wegen Bill gerufen wurden retteten schließlich mich.

Sechs Monate verbrachte ich mit Therapien in einem geschlossenen Krankenhaus.

Dort traf ich Frauen mit ähnlichen Schicksalen. Manche mit weniger schlimmen, manche mit schlimmeren, was ich mir kaum vorstellen konnte. Sie gaben mir Kraft. Und ich entdeckte, dass auch ich ihnen Kraft und Zuspruch geben konnte.

Mein Leben bekam wieder einen Sinn. Von da an wollte ich den Rest meiner Zeit damit verbringen, Frauen wie dir zu helfen. Rechtzeitig! Nicht zu spät, wie in meinem Fall.“

Vallerie die ihr Kind zwar nicht so grausam aber dennoch ebenfalls verloren hatte, nahm Jacky instinktiv in die Arme, drückte sie ganz fest und weinte.

"Ich danke dir nochmals. Du bist ein guter Mensch."

sagte sie zu Jacky.

Jacky zog eine Packung Kleenex aus ihrer Hosentasche und bot sie Vallerie an. Sie griff danach um sich die Tränen abzuwischen und die Nase zu schnäuzen.

"Jetzt aber ab zum Frühstück. Zieh dich schnell an, sonst wird das Essen kalt!" Rief Jacky, schon wieder lächelnd.

Vallerie lächelte zurück und begann sich die seltsamen Kleidungsstücke genauer anzusehen.

 

*

Rumänien, Karpaten, 1847

Elise war so verliebt, dass sie während sie weiter wanderten, in Gedanken schon mit Drago vermählt war.

Obwohl er ein derber Jägersmann war, konnte sie sich mit ihm durchaus vorstellen, ein Menuetté zu tanzen. Im Gegensatz zu den anderen Männern daheim in Paris. Ein unangenehmer kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie den aufdringlichen Jean de Focard vor sich sah, wie er um sie buhlte. Sie schüttelte sich. Aber mit Drago zu tanzen, das wäre wunderbar. Wenngleich sie erhebliche Zweifel hegte, dass er dazu im Stande war.

- Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich in einem pompösen fliederfarbenen Ballkleid in einem festlichen Saal, auf der bis zum spiegeln glänzenden Tanzfläche unter prächtigen Kronleuchtern. Hausdiener kredenzten am Rande feinste Odeuvrés auf sibernen Tabletts. Champagner wurde in wertvollen Kristallgläsern serviert.Mehrere adrett gekleidete Paare umringten sie, und drehten sich im Takte der Musik. Mitten unter ihnen versuchte Elise mit Drago das Selbe zu tun. Etwas ungelenk stakste er mit seiner Wildlederhose und Jagdjacke mit ihr in den Armen im Kreis herum. Nun wieder mit schwarzen und grünen Streifen im Gesicht. Die Flinte auf dem Rücken und dem metallenen Fläschchen Pflaumenschnaps in der Hand.-

Sie musste kichern.

Drago drehte sich um und sah sie erstaunt an.

"Worüber lachst du, meine Liebe?"

"Ach, ich habe dich mir gerade in Paris vorgestellt.

Wenn wir ein Paar bleiben, was ich natürlich sehr hoffe...

Nichts könnte schöner für mich sein. Du bist nämlich mein Traummann, musst du wissen und keine andere könnte dich so lieb haben wie ich das tue.“ versicherte sie ihm keck.

Jetzt wurde zur Abwechslung mal Drago ein wenig Rot um die Wangen herum und schmunzelte.

"Jedenfalls musst du unbedingt mit nach Paris kommen und meine Eltern kennenlernen, wenn wir das alles hier heil überstanden haben. Und das werden wir! ...Bestimmt!...

Maman und Papa werden den Schreck ihres Lebens bekommen, wenn sie erfahren, dass ich mich entschlossen habe, einen Rumänischen Waldschrat zum Manne zu nehmen."

Wieder kicherte sie los.

Drago lachte mit ihr.

"Falls du mich fragen wolltest…" warf er ein , "…Ja, ich möchte dich auch zum Weibe nehmen!"

"Zum was?!" viel ihm Elise ins Wort, "Zum Weibe? Wehe du nennst mich so!" funkelte sie ihn böse, mit geschürzten Lippen an.

Er grinste schelmisch zurück.

"Oh, ich muss mich zusammen nehmen.“ fiel ihm auf. „Zur werten Ehefrau, wollte ich natürlich sagen." verbesserte er sich.

"Schon besser, mein Lieber!" nickte Elise feixend.

"Meine Eltern werden jedenfalls hoch erfreut sein wenn ich solch ein hübsches feines Fräulein anbringe. Meine Mutter wird dich ausfragen bis dort hinaus. Ob du kochen und waschen kannst, ob du mir treu sein wirst und noch vieles mehr."

"Treu bin ich dir bis in den Tod. Du mir hoffentlich..., gefälligst!, auch.

Das mit dem kochen kriege ich mit der Zeit schon hin, hoff ich doch, hihi.“ kicherte Elise. „ Bisher hat das zuhause immer Madame Turodon, unsere Haushälterin, gemacht."

"Ich kann kochen!" fiel Drago stolz ein.

"Na bitte. Problem gelöst!" bemerkte Elise verschmitzt.

Sie schritt fröhlich voran, während Drago plötzlich ruhig und in sich gekehrt wirkte. Nach einer Weile sagte er:

"Paris ist eine große Stadt, nicht wahr?".

"Eine seeeehr große!" antwortete Elise und beschrieb mit den Händen einen ausladenden Kreis in der Luft.

Wieder kehrte Ruhe ein.

Nach ein paar Sekunden sprach Elise zu Drago:

"Drago, ich weiß was du denkst. Du bist ein Mensch der in der Natur lebt. Mit Bäumen, Erde, Wind, Wasser und den Tieren. Ich bin das Mädchen aus der Stadt, das sich an wissenschaftlichen Entwicklungen und neuen Erfindungen erfreut. Aber ich mag beides. Pflanzen und Tiere bedeuten mir auch sehr viel. Und ich bin sicher, dass auch du viel Interessantes in Paris entdecken kannst, was dich faszinieren und begeistern wird. Pass auf, ich habe einen Plan! Was hältst du davon, wenn wir von Frühjahr bis zum Herbst in deiner Hütte im Wald leben. Im Spätherbst reisen wir dann nach Paris und wohnen dort bis der Winter vorüber ist. Wäre das ein annehmbarer Kompromiss?"

Drago strahlte. Er blieb stehen und umarmte Elise fest und innig.

"Wir kennen uns erst einige Tage, das weiß ich sehr wohl. Aber ich glaube fest daran, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat, um uns auf ewig zu verbinden. Elise,

ich liebe dich!" platzte es aus ihm heraus.

"Ich liebe dich auch!" gab Elise gerührt, fast im Flüsterton zurück, da ihr vor Glück beinahe die Stimme wegblieb.

Eng umschlungen blieben sie noch einige Minuten stehen und setzten ihren Weg erst nach vielen weiteren Küssen fort.

- Chou chou hatte ihr Köpfchen aus der Satteltasche gesteckt und die Beiden beobachtet. Sie schnurrte zufrieden und kuschelte sich wieder in ihre Tasche. -

 

*

 

Josephine hämmerte gegen die schwere Tür und schrie aus Leibeskräften, bis ihr sowohl Hals als auch Fäuste zu schmerzen begannen.

Wutschnaubend schritt sie zu einem der am Kopfende des Bettes hoch ragenden verschnörkelten Pfosten. Sie rüttelte daran bis die Kraft in ihren Armen nachließ. Doch sie gab nicht etwa auf, im Gegenteil. Ihr Enthusiasmus wurde damit nur noch beflügelt. „Na warte!!“ Fluchend stieg sie auf das Bett. Sie stakste ein paar mal hin und her, bis sie einen einigermaßen sicheren Stand auf der Matratze fand Nun hob sie ihr Kleid an, sodass der Unterrock zum Vorschein kam.

Sie nahm Schwung und trat mit ihren halbhohen Schnürstiefeln so fest sie konnte gegen den Pfosten ( - … Jacques,... der Garten,... der Ball,... die Scheibe,... Jacques,... - ). Der Pfosten schien sich eisern fest zu krallen, doch er hatte sich einen Zentimeter nach hinten bewegt. Josephine keuchte. Erneut nahm sie Schwung. Die Lippen fest zusammen gepresst, trat sie zu.

Josephine hatte das Gefühl ihr Fuß würde auseinander platzen. Der stumpfe Schmerz katapultierte sich bis unter ihre Schädeldecke. Aber sie lachte gleichzeitig triumphierend auf, weil der schwere Bettpfosten sich komplett aus der Verankerung gelöst und mit dumpfem Knall zu Boden gegangen war.

"Ja!" rief Josephine begeistert aus, klatschte in die Hände und vollführte einen kleinen Freudentanz auf dem Bett.

Jetzt sprang sie hinunter, griff sich den Pfosten und marschierte zur Tür. Sie holte weit aus.

"Roms!" und nochmal "Roms!"

Wieder und wieder rammte sie mit dem Holz gegen die Tür.

Doch der Türsetzer hatte in der Vergangenheit ganze Arbeit geleistet. Sie gab nicht einen Millimeter nach.

Schwitzend, mit hochrotem Kopf und Haaren die inzwischen weit entfernt von etwas was man Frisur nennen konnte waren, schleuderte Josephine den Pfosten ein letztes Mal gegen die Tür und gab dann erschöpft auf.

Sie setzte sich aufs Bett und legte sich zurück.

Sie musste sich ein wenig ausruhen.

Das Ausbleiben von weiterer Nahrung und Wasser tat seine Wirkung.

Josephine schloss die Augen. Ihre Arme lagen bleischwer neben ihr. In den Muskeln zuckten kleine Wellen und Blitze die mit heftigen Krämpfen drohten, sollten sie weiterhin so überbeansprucht werden.

Wieder kamen Bilder aus der Vergangenheit in ihren Kopf.

Sie erinnerte sich an den Tag an denen sie den Eltern ihre Liäson mitteilten und an Jacquess Heiratsantrag. Sie schmunzelte.

Das war erst einige Wochen her..., und doch so weit entfernt vom Jetzt und Hier... .

- Zuvor hatten sie sich all die Jahre immer regelmäßiger getroffen. Eines Abends, als Jacques achtzehn Jahre alt wurde hatten sie sich ein Herz gefasst. Ihre Eltern waren miteinander verabredet gewesen. Dieses Mal im Haus von Jacquess Eltern. Ein paar Straßen von Josephines Zuhause entfernt. Hand in Hand gingen sie nach dem Tee zu ihnen in den Salon und Jacques bekam mal wieder den Mund kaum auf. Von einem Fuß auf den anderen tretend, hüstelte er ein paar mal unsicher vor sich hin, bevor er sich einen Ruck gab und endlich zu sprechen begann.

"Äh…, ja also. Liebe Eltern…und Madame und Monsieur, Josephiné…ähm, ich meine, nein es ist so, das Josephiné und ich....Ich will sagen…."

Josephiné stand neben Jacques und verdrehte die Augen.

Er versuchte einen Neustart. „ Was ich sagen möchte, ist..., also, wir sind ja miteinander bekannt, schon eine ganze Weile..., und über die zeit..., hat es sich ergeben, dass..., nun denn...“ Josephine hatte sich längst Jacques zugewandt. Kopfschüttelnd starrte sie ihn an. Jetzt schob sie ihn einfach beiseite, baute sich vor ihm auf und fiel ihm mit energischer Stimme ins Wort:

"Wir sind seit langem ein Paar und wir lieben uns und ihr werdet uns nicht davon abbringen können, uns weiterhin zu sehen und zu lieben! Unsere Entscheidung steht und ist unumstößlich! Solltet ihr uns unser Glück versagen wollen, werden wir nicht zögern..., uns augenblicklich..., gemeinsam das Leben...“ Jacques Augen wurden so groß wie noch nie und er erstarrte kurz. Irgendwie war ihm da wohl ein Teil ihrer Abmachung entgangen. Doch Josephine besann, und korrigierte sich sogleich „... gemeinsam fort zu gehen und trotzdem zu heiraten!" Jacques begann erleichtert wieder zu atmen.

Mit roten Köpfen standen die beiden Verliebten da und warteten auf das Jüngste Gericht, vollzogen durch ihre Eltern. Sie sahen sich bereits auf Ewig von einander getrennt, in einsamen dunklen Kerkern, weinend und trauernd für den Rest ihres Lebens. - Wohlmöglich noch bei Wasser und Brot, schoss es Jacques zusätzlich durch den Kopf. -

Die Eltern sahen sich ernst an. Bis Josephines Vater nicht mehr an sich halten konnte.

Er prustete los und mit ihm auch die anderen drei Elternteile. Josephine und Jacques sahen sich verdutzt an, und dann wieder zu ihren Eltern.

"Kinder!" begann nun Jacques Vater "Ihr mögt es nicht für möglich halten, aber auch wir waren einmal jung und dachten, wir hätten Geheimnisse. Wir wissen längst, dass ihr einander zugeneigt seid. Eltern sind nicht so dumm wie ihr meint. Und wir heißen es gut. Unseren Segen habt ihr."

"Solange ihr euch gesittet verhaltet und Ehre und Anstand bewahrt!" fügte Jacquess Mutter mit erhobenem Zeigefinger und strengem Blick hinzu.Alle lächelten sie zufrieden an. -

Josephine und Jacques waren erleichtert gewesen. Ein wenig peinlich war ihnen ihr Auftritt allerdings schon. Vor allem in Anbetracht dessen, was sie alles unternommen hatten, um ihre ach so heimliche Liebe zu verschweigen.Und welch haarsträubende Pläne für ihre heimliche Flucht sie schon ausgearbeitet hatten, wenn man dann ihnen ihre Liebe verwehrt hätte. Josephine war fast ein wenig enttäuscht gewesen, nicht mehr romantische Kämpfe um ihr Recht auf Liebe ausfechten zu müssen. Da hatte sie durchaus etwas von ihrer kleinen Schwester. Nur mit anderen Ambitionen. Elise kämpfte für die Wissenschaft und hatte mit Romantik und Liebe nicht viel am Hut ( - ...wenn sie wüsste... _ ), und sie kämpfte für eben genau, ...die Liebe. Jacques war vor allem erleichtert gewesen damals, wegen der ganzen logistischen Maßnahmen die im Falle einer „romantischen Liebesflucht“ notwendig gewesen wären, und die nun durch ein köstliches Abendmahl ersetzt wurden. Nicht das er nicht alles, wirklich alles, für Josephine getan hätte. Oh ja, das hätte er. Er liebte sie wirklich. Aber er konnte gut und gerne auf Abenteuer verzichten.

Dann wurde alles etwas lockerer. Sie mussten sich nicht mehr verstecken. Das hatte allerdings auch zur Folge, dass Elise sie ständig piesackte und belächelte. Sobald die beiden zusammenstanden und Elise dazu kam, ahmte sie übertriebene Kuss-Geräusche nach und fragte, wann sie denn endlich heiraten und Kinder bekommen würden.

Doch eines Tages war es tatsächlich soweit, dass Jacques allen Mut zusammen nahm und Josephiné fragen wollte.

Er hatte lange gespart und von seinem Vater noch etwas Geld dazu bekommen. Einen wundervollen silbernen Verlobungsring hatte er dafür gekauft, um den Antrag perfekt zu machen.

Sogar einen Friseur ließ er ins Haus kommen, der ihm die Haare schnitt und frisierte. Er wurde rasiert und parfümiert. Mit seinem besten Anzug spazierte er zum Haus von Josephinés Eltern. Madame Turodon ließ ihn, sein Aussehen bewundernd, herein und schickte ihn nach oben zu Josephinés Zimmer. Er war sehr aufgeregt. Als er so vor der Tür stand, traute er sich gar nicht mehr sein Vorhaben durchzuziehen.

Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er wollte fast schon umdrehen und verschwinden. Aber was für einen Eindruck hätte das gemacht. Schließlich hatte Madame Turodon ihn bereits gesehen und sicher vermutet, was er in dieser Aufmachung vorhatte. - Und natürlich stand Madame Turodon am Fuß der Treppe und lauschte angestrengt, mit klopfendem Herz. Schließlich hatte sie der kleinen Josephine oft genug ihre Windeln gewechselt und ihr aus dem dicken Märchenbuch vorgelesen.-

Jacques hörte Schritte hinter der Tür. Sein Herz begann wild zu pochen.

Er wäre gestorben, hätte er jetzt die Tür aufgemacht und in Josephiné Augen geblickt. Kein Wort hätte er herausbekommen, denn er hatte einen dicken Kloß in seinem Hals. Das Gefühl kannte er schon. Er war eben schüchtern, was solche Dinge anging.

Da er aber nicht unverrichteter Dinge abziehen wollte,klopfte er zaghaft an, räusperte sich etwas lauter und begann einfach durch die geschlossenen Tür hindurch zu sprechen.

"Meine über alles Geliebte, schönste, beste Frau der ganzen bekannten und unbekannten Welt! Du bist die Sonne in meinem Herzen und die Sterne an meinem Himmel. Ich liebe dich so sehr, wie es nur möglich ist. Für immer möchte ich Dein sein.Liebste! Ich will hier und jetzt, Gott ist mein Zeuge,um deine Hand anhalten. Möchtest du meine Frau werden?"

Die Tür öffnete sich ganz langsam, nur ein ganz klein wenig.

Jacques zitterte am ganzen Körper vor lauter Aufregung.

Jetzt flog die Tür auf und Elise stand da. Sie grinste ihn bis über beide Ohren an.

"Ohhh ja Geliebter. Ich bin dein!" hauchte sie ihm mit völlig überzogenem Schmachtblick entgegen. Dann kicherte sie los. Sie musste sich den Bauch halten und rutschte am Türrahmen vor Lachen nach unten.

Jacques stand völlig perplex mit offenem Mund auf dem Flur.

Nicht in der Lage auch nur irgendwie zu reagieren.

Da kam mit einem mal Josephine von der Seite herbeigeeilt. Sie war kurz unten gewesen, während Elise oben auf sie gewartet hatte.

Die ganze Zeit hatte sie nun leise hinter ihm am Treppenabsatz gestanden und alles mit angehört.

Sie schob Elise, die sich immer noch vor Lachen kugelte, in das Zimmer hinein und zog die Tür zu.

Zärtlich nahm sie Jacques in ihre Arme, küsste ihn auf den Mund und sagte glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben:

"Ja! Ich will!"

 

*

 

Dieser Gang war irgendwie anders, fand Jacques. Zunächst hatte er das Gefühl gehabt, er sei betrunken. Aber nur körperlich, sein Geist war klar. Dieser Gang bewegte sich. Kaum merkbar, aber er bewegte sich. Da war er sich sicher.

Die schwarzen Streifen waren hier auch vorhanden. Allerdings in größeren Abständen. Er hatte sich aus einer Laune heraus entschieden den achtzehnten Streifen zu nehmen, da Josephiné an einem Achtzehnten Geburtstag hatte.

Das sollte ihm Glück bringen.

Der Kristall glitt, wie ein heißes Messer durch ein Stück Butter, durch den schwarzen leicht wabernden Streifen. Das lila Licht strömte ihm sogleich entgegen.

Dieses Mal war er jedoch vorsichtiger. Einen Fuß nach dem anderen setzte er hinter dem Riss auf den Boden. Der fühlte sich seltsam an. Irgendwie rau, aber mit einer Art Haut überzogen, die ihn wiederum leicht rutschig machte. Als er hindurch war und das lila Leuchten nicht mehr seine Sicht behinderte, sah er sich um. Es war ziemlich dunkel, nicht komplett, aber wirklich erkennen konnte er nichts.

Jacques fiel der Leuchtstab ein, der immer noch in seiner Tasche steckte. Er zog ihn hervor und drückte auf den Knopf. Im Schein der Lampe suchte er die Umgebung ab.

Er schien sich in einem mittelgroßen Raum zu befinden. Die Decke war recht niedrig und schimmerte fast durchsichtig,

als wäre Wasser über ihm, aber irgendwie auch wieder nicht.

Für Wasser schien das da über ihm zu fest zu sein und zu trübe. Oder lag es an dem Material aus dem die Decke war.

Er tastete mit der Hand danach. Das war etwas was er nicht kannte. Es fühlte sich weich und feucht an und erinnerte ihn an die Schweineblase, die ihm Onkel Pieré der Metzgermeister in Paris einmal gezeigt hatte. Die hatte sich so ähnlich angefühlt. Weit über ihm schwebte ein großer orangefarbener Ball, eine Kugel. Oder sah er vielleicht die Sonne durchschimmern? Wäre möglich. Aber dann müsste er wohlmöglich weit unten im Meer sein. Das passte alles nicht so recht zusammen. Außerdem konnte er nun sehen, dass von seiner Sonne eine weißliche dicke Schnur, oder eher ein Tau nach unten führte. Es war an mehreren Stellen seltsam gebogen und reichte nicht bis ganz hinunter zur Decke seines Raumes. Je nachdem wie er die Lampe hielt sah er auf der orangen Kugel auch noch rote Linien. Wie Flüsse auf einer Landkarte zogen sie sich über die Oberfläche des Balls.

Jacques leuchtete die Wände ab. Nirgends war ein Ausgang, eine Tür oder Öffnung zu sehen. Außerdem war dieser Raum..., gebogen, irgendwie. Der Raum war nahezu rund.

"Na hervorragend! Das ist zwar ein äußerst interessanter Raum, aber was soll ich hier. Gut, ich werde nicht beschossen. Das ist ja schon mal was. Aber offensichtlich komme ich von hier aus nicht weiter."

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich um, um den Raum wieder zu verlassen und in den Tunnel zurückzukehren.

Musste er eben einen anderen Weg ausprobieren.

Plötzlich bewegte sich alles!

Jacques ruderte mit den Armen in der Luft, versuchte das Gleichgewicht zu halten. Der Raum und alles um ihn herum, drehte sich um neunzig Grad nach rechts.

Jacques verlor die Kontrolle und stürzte. Auf dem Hosenboden rutschte er seitlich bis zur Wand, die jetzt der Boden war.

Da lag er nun. Mühsam rappelte er sich auf.

Als er gerade stand, lag er auch schon wieder.

Er setzte sich auf. Jacques war es auf einmal gar nicht mehr gut. Ihm wurde schwindelig. Er hatte das Gefühl, dass sein Gehirn noch ein Stückchen höher wanderte, bis an die Schädeldecke, während sein Herz buchstäblich in die Hose rutschte. Das war ein wenig wie krank sein. Ja genau,

wie Fieber. Man verlässt mit Grippe sein Bett, um nur eben den Abort aufzusuchen und fühlt sich auf dem Weg dorthin, als wandere man über ein Schiffsdeck auf hoher See.

So fühlte er sich jetzt auch.Dagegen war der sich bewegende Gang vorhin ein echter Ruhepol gewesen.

Doch nun kam etwas noch Übleres hinzu. Die Erde begann zu wackeln. Hin und her. Hinauf und hinunter.

Jacques wurde es schlecht, richtig schlecht. Er kämpfte auf allen Vieren dagegen an sich übergeben zu müssen.

"Fantastisch, nach gefühlten Wochen des Hungerns bekam ich vor wenigen Minuten endlich etwas zu essen und gleich darauf verliere ich es wieder, wenn das so weiter geht!" murmelte er würgend. Jacques versuchte bei dem ganzen Gewackel verzweifelt den Riss zu erreichen, doch der schien von seiner momentanen Position aus meilenweit entfernt zu sein.

Mit einem Mal hörte das furchtbare Erdbeben auf.

Erleichtert stellte sich Jacques hin und versuchte schnell an der rundlichen Wand zu dem Riss zu klettern, bevor es mit dem Gerüttel wohlmöglich wieder los gehen würde. Er tat sein Bestes, aber die Wand war einfach zu rutschig. Da der Untergrund aber rauh zu sein schien, versuchte er nun die Hautschicht darüber mit den Fingernägeln einzureißen. Er bekam sie schließlich sogar zu greifen, hob sie etwas ab und bohrte mit den Fingern darin herum. Gleich würde sie bestimmt aufreißen und er würde dahinter Halt finden.

In diesem Moment setzten sich seine Gedärme erneut in Bewegung. Dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung und in einem rasenden Tempo. Magen und Darm stiegen in seinen Kopf der sich gleichzeitig, als würde er Platz schaffen wollen da oben, nach unten in Richtung Füße bewegte.

Abrupt stoppte das Gefühl und er flog so schlagartig zu Boden, als hätte ihn jemand nieder geschlagen. Er landete auf dem Rücken, sodass er einen Moment lang keine Luft mehr bekam. Noch bevor er wieder richtig atmen konnte, ging das Rauschen erneut durch seinen gesamten Körper. Nun jedoch wieder in die entgegengesetzte Richtung und fast schon angenehm langsam. Das böse Erwachen ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Erneut ging es umgekehrt mit irrem Tempo von vorne los. Er knallte auf seine rechte Seite. Seine Schulter schien vor Schmerz aufzuschreien.

Noch einmal wechselte die Richtung. Die Taschenlampe hatte er längst verloren. Sie kullerte hin und her.Sie war ihm vorhin einmal kurz begegnet, als sie beim aneinander vorbei purzeln seinen Kopf passierte und eine nun anschwellende Beule hinterließ. Ihr Schein tauchte die gesamte Szenerie zusätzlich noch in ein gespenstisches flackerndes, umher irrendes Licht.

Beim nächsten Aufschlag auf den Boden hörte Jacques ein eindeutiges Knacken. Sein Bein schmerzte.

"Verflucht! Mein Bein! Auch das noch. Wie soll ich mit einem gebrochenen Bein je von hier fortkommen?!"

Jacques war verzweifelt. Seine sämtlichen Hoffnungen schwanden dahin. Er sah sich noch Stunden in diesem unbekannten Etwas umher schleudern, bis er mit mehreren Knochenbrüchen und zerquetschten inneren Organen qualvoll sterben würde. Resignierend blieb er einfach liegen.

Es würde ihn ja eh wieder zu Boden werfen, sobald er stände.

Plötzlich klaffte der Himmel auf. Licht blendete ihn.

"Herr Jesus im Himmel!" stammelte er los, "Das Jüngste Gericht ist da. Oh mein Gott! Verzeih mir, dass ich als Knabe die Uhr aus dem Schaufenster von Monsieur Chalet gestohlen habe, dass ich Ricard die Nase gebrochen habe, dass ich Madame Fraire´ Margaritten aus dem Garten heraus gepflückt habe und...“ Jacques Beichte wurde jäh unterbrochen.

Eine ekelerregende riesige Welle orangen und durchsichtigen

Schleims floss ihm entgegen. Sie hüllte ihn komplett ein. Jacques hielt die Luft an, sah sich jedoch bereits dem Zorn des allmächtigen Gottes unaufhaltsam und unwiderruflich ausgesetzt.

Das war es also. So endet es. Nun denn, leb wohl Welt. Leb wohl Josephine, Liebe meines Lebens. Lebt wohl Eltern und alle anderen, schoss es durch seinen Kopf.

Noch bevor Jacques zu Ende gedacht hatte, war die Welle jedoch über ihn hinweg geflossen und ließ ihn von Kopf bis Fuß mit Schleim überzogen zurück. Er lag da, hustete und spuckte krächzend und ließ lediglich seine Augen im Kreise umher wandern, während das schleimige zeug an ihm hinunter kroch.

Er sah nun den klaren blauen Himmel über sich.

"Gerettet?!“ fragte er sich selbst ungläubig. „Oh ja, ich bin gerettet! Ich lebe!“ jauchzte er. „ …Glaube ich." setzte er rasch hinterher.

Jacques setzte sich auf.

Sowohl rechts als auch links von ihm sah er zwei mächtige Teile liegen. Sie sahen aus wie auf der Seite liegende Suppenschüsseln einer Riesenfamilie oder ein zerschnittenes bombastisches mehrere Stockwerke hohes …?"

In Jacquess Kopf ratterte es. Mit offenem Mund saß er da und rieb sich zur Sicherheit den restlichen Schleim aus den Augen, um besser sehen zu können. Er saß immer noch in dem orangefarbenen und dem klaren Zeug das allmählich anfing klebrig zu werden.

"Du meine Güte das ist eigentlich unmöglich. Aber alles spricht dafür. Es kann nur das sein...Aber das würde ja bedeuten..." Jacques leckte vorsichtig an etwas von dem orangefarbenen Schleim der auf seinem Handrücken klebte.

In dem Moment hörte er ein lautes Geräusch hinter sich.

Wie das Rauschen eines starken Windes, aber abgehackt. Nur je eine Sekunde und dann wieder eine Pause. Sechs, sieben Mal schnell hintereinander. Darauf folgte umgehend das lauteste Schlabbern, dass er je gehört hatte. Wie das Schlabbern von Madame Sorés Kätzchen wenn es Milch trank.

Allerdings hundertfach verstärkt.

Mit panisch klopfendem Herz blickte er ganz langsam nach hinten.

In diesem Augenblick bestätigte sich sein schlimmer Verdacht.

Bei dem Ding in dem er die ganze Zeit gefangen war und durch geschüttelt wurde, handelte es sich um ein riesiges Ei.

Weiß der Teufel wie das von statten gehen konnte. Aber die Suppenschüsseln waren offensichtlich die Schalenhälften und der Schleim waren natürlich das Eigelb und das Eiweiß gewesen. Gottlob war er in der,bei diesen Größenverhältnissen Raumgroßen Luftblase am unteren Ende des Eis gelandet und nicht mitten darin. Sonst wäre er längst tot gewesen, erstickt, ertrunken.

Nachdem er diese Erkenntnis, zwar noch nicht verdaut, aber zumindest geschluckt hatte, konnte er sich nun dem weit größeren Problem zuwenden, was sich geradewegs auf ihn zu bewegte. Das Rauschen des Windes mit den Pausen dazwischen war nämlich nichts anderes als das Schnüffeln eines riesigen Fuchses, der nun genüsslich dazu übergegangen war das ausgelaufene Ei auf zu schlecken. Er hatte es anscheinend irgendwo aus einem Nest gestohlen. Dann war er ein Stück damit fortgelaufen, um ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo er es verspeisen konnte.

Natürlich musste er das Ei erst mal öffnen. Daher hatte er es einige Male mit dem Maul aufgenommen und wieder zu Boden fallen lassen, bis es schließlich auf einen Stein fiel und zerbrach.

Sein Bein war also nicht gebrochen, stellte Jacques mit Erleichterung fest, sondern nur die Schale des Eis.

Was schon deshalb gut war, da das Schlabbern immer näher kam. Der Fuchs zog beim schlecken schon einige Ei-Schleimfäden von seinem Körper mit ab. Gleich wäre er bei ihm angelangt und würde ihn einfach mit herunterschlucken.

Wahrscheinlich ohne ihn überhaupt zu bemerken.Wie ein kleiner Käfer, der zufällig auf seinem Weg zur nächsten Butterblume dem Eiabwurf zum Opfer fiel.

Eilig erhob sich Jacques nun endlich und versuchte so schnell wie es ihm möglich war, aus dem Wirkungskreis des Speisenden zu entkommen. Das war gar nicht so einfach. Es erinnerte ihn an seine ersten Versuche, als er auf dem Teich nahe beim Haus seiner Oma, die außerhalb von Paris wohnte, im Winter Schlittschuh zu fahren versucht hatte. Immer wieder glitt er aus und fiel der Länge lang hin. Diese Art der Fortbewegung wurde hin und wieder abgewechselt durch ein waaten wie durch einen halben Meter hohen Schnee,in dem er nur in Zeitlupe vorwärts kam. Und durch kurze Rutschbahn-Passagen mit Untertauchen bei der Landung.Jacques kam sich vor wie auf einem Hindernissparcours. „Hatte ich eigentlich erwähnt, dass Sport mir nicht unbedingt liegt?“, fragte er sich selbst schnaufend und hetzend.

Er schaffte es schließlich, aus der zähen Suppe heraus zu stapfen und konnte sich unbemerkt von dem Fuchs hinter einem Baumstamm ( - oder war das ein Gänseblümchen? - ) in Sicherheit bringen.

Gerade dachte er über die Möglichkeit nach, das nicht alles um ihn herum hier riesenhaft größer war als da wo er herkam, sondern das er eventuell ja auch geschrumpft sein konnte. Der Gedanke ließ ihn erschaudern.

Was wäre wenn er zurück käme und weiterhin die Größe einer Stubenfliege behalten würde.

Er sah sich in Gedanken in einem Spinnennetz hängen und herum zappeln, während eine fette schwarze Spinne langsam auf ihn zu kroch,mit sabbernden Fangzähnen, um in einzuspinnen und vielleicht Zwei bis Drei Tage später zum Frühstück auszusaugen. Jacques schüttelte den Gedanken mit heftigen Bewegungen aus seinem Kopf.

Er beobachtete den Fuchs, wie er die letzten Reste des Eigelbs aufnahm. Er schnüffelte ein wenig umher und wand sich dann der ersten Schalenhälfte zu. Er nahm sie ins Maul und kaute ein paarmal darauf herum.

Jacques bemerkte das Dilemma erst sehr spät, als er zufällig einen Blick auf die zweite Hälfte der Schale warf, der sich der Fuchs jeden Moment ebenfalls zuwenden würde, um sie zu vertilgen. Mit dem Schrecken der plötzlichen Erkenntnis sah er entsetzt das lilafarbene Leuchten am hinteren Ende der Schalenhälfte.

"Au Backe!" rief er und fuhr sich wild fuchtelnd durch die Haare. Er drehte sich einmal um die eigene Achse und rannte dann kurz entschlossen, ohne die Gefahren zuvor durchzurechnen, los. Würde er den Riss nicht erreichen, würde dieser mit samt der Schale im Magen des Fuchses landen. Er würde nie wieder in seine Welt zurück kehren können. Er rannte so schnell er konnte.Schneller als er es jemals getan hatte.

Seltsamer weise stellte er gerade in dem Moment der völligen Panik fest, dass er schon ein bisschen abgenommen haben musste. Das Laufen fiel ihm etwas leichter als früher.

Als er endlich keuchend und nach Luft schnappend an der Schale angekommen war, hatte der Fuchs die andere Hälfte gerade herunter geschluckt und bewegte sich zielstrebig auf ihn zu. Hastig sprang er auf die Hälfte und stolperte hastig auf den Riss zu.

Auf halbem Weg wurde er zur Seite geschleudert und in die Luft gehoben. Schon wieder dieses ekelhafte Gefühl im Gedärm. Aber jetzt wusste er wenigstens warum.Seitlich rutschend, bewegte er sich auf den Rand der Eierschale zu. Jacques schrie.

Erst kurz bevor er über den Rand hinausschießen konnte, ging es zurück in die entgegengesetzte Richtung.Er rollte ein Stück zurück, dann kam er zum liegen.

Er sprang sofort auf und setzte seinen Weg fort. Die halbe Schale steckte im Maul des Fuchses. Es wurde schlagartig dunkler. Wie durch Schießscharten fiel das Sonnenlicht durch die, sich schließenden Zahnreihen des Raubtieres.Er hatte höchstens noch eine Sekunde, bevor er mitsamt der Schale die Kehle hinunter rutschen und sich in Magensäure auflösen würde. Da war der Riss, nur einen knappen Meter vor ihm.

Es krachte Ohrenbetäubend überall um ihn herum. Ein Reißzahn tauchte unvermittelt zwischen ihm und dem lila Leuchten auf und ließ in mit einem dumpfen "Uh!" das seiner Kehle entsprang, auflaufen. Ein furchtbarer Atem, aus Ei, Kaninchen vom Vortag und einer eitrigen Zahnentzündung schlug ihm entgegen.

Er taumelte angewidert um den Zahn herum. Der lila Riss war jetzt direkt vor ihm, als der Boden erneut aufriss und eine ganze Batterie spitzer Zähne daraus hervor wuchsen.

Mit letzter Kraft setzte Jacques zum Sprung an. In einer Rolle hechtete er über die Zahnreihe hinweg und verschwand in dem Riss, der gerade mit ihm zusammen schräg zur Seite kippte und dem Fuchs in den Schlund rutschte.Jacques plumpste zurück in den Gang.

Drüben gelandet fischte er hurtig den Kristall aus der Tasche. Dieser rutschte ihm zunächst aus der, nun vom Speichel des Fuchses rutschige Hand und flog in die Luft. Er schnappte ihn schnell mit der anderen Hand aus der er sich genauso schnell wieder verabschiedete. Endlich bekam er den Schlüssel mit beiden Händen gleichzeitig zu fassen und schloss blitzartig den Riss, aus dem schon ein ziemlich saurer, ätzender Geruch und Fuchssabber drang.

Zitternd und stöhnend sank er zu Boden. Jacques legte sich flach auf den Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt. Er seufzte tief, sah hinauf und schaute in ein Vierzig mal Vierzig Zentimeter großen, quadratisches silbergraues Gesicht, aus dem ihn ebenso silbergraue Augen mit tiefschwarzen Pupillen anstarrten.

Jacques riss Mund und Augen weit auf und schrie!

 

*

 

 

 

Rumänien, Im Schloss, 1847

Der Herr war zurückgekehrt. Seine Geschäfte liefen ausgezeichnet. Bei den Gesprächen in Indianapolis hatte er einen neuen Kunden gewonnen. Der Deal war jetzt endlich perfekt. Pfeifend marschierte er mit einem Geschenkkarton unter dem Arm die Stufen im Schloss hinauf. Vor dem Festsaal bog er nach links ab, ging weiter und blieb schließlich vor einer Tür stehen. Er zog einen mit Rostflecken überzogenen eisernen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Schlüsselloch, drehte ihn herum und stieß die Tür auf.

"Ich bins Liebling!" trällerte er. "Daddy ist zu Hause!"

Er sah sich um und schüttelte den Kopf. Mit der Zunge machte er tadelnde Schnalzgeräusche.

"Wie sieht es denn hier aus? Du bist ein böses Mädchen gewesen! Daddy sollte dich übers Knie legen!"

Ein seltsames Glitzern huschte über seine Augen und ein wenig Speichel lief ihm im Mund zusammen.

Josephiné saß mit verschränkten Armen auf dem Bett und starrte den Mann boshaft an.Dies berührte den Mann in Schwarz jedoch nicht im Geringsten.

"Ich habe dir etwas mitgebracht." strahlte er sie fröhlich an. Er warf das Paket, welches er unterm Arm getragen hatte, neben ihr auf das Bett.

"Du darfst es schon aufmachen, obwohl du noch gar nicht Geburtstag hast mein Schatz!" flüsterte er ihr mit einer seitlich an den Mund gehaltenen Hand zu.

Er kicherte.

Josephiné rührte sich nicht und guckte immer noch böse.

"Na gut, dann mache ich es für dich auf." sagte er verständnisvoll abwinkend, und schnappte sich das Paket wieder.Langsam löste er die hübsche Zartblaue Schleife und entfernte sorgsam die Klebestreifen, ohne das Azurblaue Geschenkpapier dabei einzureißen. Er wickelte das Paket aus und öffnete den, im gleichen Farbton wie die hübsche Schleife, bedruckten Karton.

Darin lag ein elegantes hellblaues, mit Pailletten besetztes Kleid.Sicherlich eine gute Arbeit eines guten Schneiders. Der Stoff war von ausgesprochener Qualität und die Verarbeitung exzellent. Der Mann hielt ihr den offenen Karton entgegen.

"Zieh es an. Für deinen zukünftigen Besitzer. Es steht dir sicher gut." hauchte er ihr freundlich zu.

"Josephine nahm das Kleid in ihre Hände und betrachtete es mit starrer Mine.

Er lächelte fordernd.

Josephine faltete das teure Kleidungsstück Zwei Mal in der Mitte. Wie ein Footballer vor dem Anstoß umklammerte sie das so entstandene feste Bündel. Sie blickte zu ihm hoch,sah ihm genau in die Augen und warf das Kleid augenblicklich mit Wucht in seine Richtung. Sie funkelte ihn böse an und verharrte mit sturem Gesichtsausdruck.

Der Herr hatte von dem Behelfsgeschoss nur einen Streifschuss, ohne nennenswerte Folgen, an seiner Seite abbekommen. Er nahm das unten liegende Kleid auf, hielt es hoch und fegte ein paarmal mit der flachen Hand darüber, um den Schmutz des Bodens abzuwischen.

Er faltete es ordentlich und legte es sorgsam neben ihr auf das Bett. Dann fuhr seine Hand so schnell, dass Josephiné es kaum sehen konnte, in ihr Gesicht. Sie flog zur Seite und wäre sicher heftig gegen den Bettpfosten geknallt, wenn dieser noch da gewesen wäre ( - Manchmal bringt das Schicksal einem auch ein wenig Glück... - )

Als sie sich keuchend, nur mit viel Mühe und noch mehr Stolz die Tränen zurück haltend, wieder auf setzte, bewegte der Mann in Schwarz sein Gesicht Fünf Zentimeter vor das Josephines. Er schaute ihr tief in die Augen und brüllte so laut los, dass ihre Ohren zu klingeln begannen:

"Wenn ich in einer Stunde zu dir zurück kehre hast du dieses Kleid an, deine Frisur zurechtgerückt, und erwartest mich mit dem strahlendsten Lächeln, das du je in dein hübsches Gesichtchen gezaubert hast! Solltest du dich weigern werde ich dich zuerst selbst besteigen. Dann werde ich deine sämtlichen Löcher den dreckigsten fiesesten Halunken der Weltgeschichte zur freien Verfügung stellen. Solltest du danach noch leben, was ich bezweifeln aber dennoch hoffen möchte, wirst du dich unten im Hof mit den hungrigen Wölfen arrangieren müssen. Denn in dessen Käfig wirst du von da an den Rest deiner wenigen Lebenszeit verbringen!" geiferte er.

Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. Seine Augen blitzten. Seine Stirn glänzte und ein zäher Sabberfaden kroch langsam aus seinem Mundwinkel.

"Eine Stunde!" donnerte er ihr zum Abschied entgegen und warf die Tür zu. Er schloss ab und eilte davon.

Er lief die Treppe hinunter und verschwand in einem der unteren Zimmer, das er sich als Arbeits- und Lesezimmer eingerichtet hatte. Dort warf er sich in einen schwarzen Drehstuhl mit Wildlederbezug, schubste sich an und drehte sich im Kreis bis ihm schwindelig wurde. Aus dem modernen Schreibtisch vor sich, holte er eine Flasche Whisky mitsamt passendem Glas. Anerkennend betrachtete er das Ettiket. Lagavulin Single Malt Whisky 16 Jahre stand darauf. Er goss sich einen Doppelten ein, trank einen kräftigen Schluck und sah auf seine Swatch-Armbanduhr. Der rauchige Geschmack des Whiskys rollte mit einer gehörigen Sherrynote seine Kehle hinab. In Indianapolis, beziehungsweise in 2488, lief alles prima.Im Gegensatz zu 1847. Hier lief gar nichts prima. Im Gegenteil, alles war irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Sein Gefühl sagte ihm, dass es höchste Zeit war „Die alten Zeiten“ hinter sich zu lassen. ( - … eine Dreiviertel Stunde noch...- ) . Er kippte den Rest des Single Malts hinunter. Mit brennender Kehle begann er nervös mit den Fingern auf der Schreibtischplatte zu trommeln.

 

-

 

Drago und Elise hockten hinter einem Hollunderbusch und beobachteten das Schloss, an dessen Fuß sie sich jetzt befanden. Seit einer viertel Stunde verharrten sie dort, um sicher zu gehen, dass keine Wachposten patrouillierend um das Schloss wandern würden. Chou Chou streifte ein paar Meter weiter durchs Unterholz. Eine junge Maus hatte sich unvorsichtiger Weise kurz blicken lassen, und war nun zum Objekt ihrer Begierde geworden.

Nun waren sie sich relativ sicher, weiter vordringen zu können, ohne Gefahr zu laufen entdeckt zu werden.

Geduckt schlichen sie von Strauch zu Fels zu Baum und so fort, bis sie am großen Tor zum Innenhof angelangten.

Vorsichtig linsten sie um die Ecke.

Nichts! Keinerlei Bewegungen. Nur, da hinten, ein paar Wölfe die in ihren Zwingern stereotyp auf und ab liefen.

Wut ergriff Drago. Das war auch etwas, was er nicht leiden konnte und nicht verstand. Wozu war es gut, Tiere einzusperren. Was für einen Sinn ergab das. Kopfschüttelnd hatte er auf dem Weg hierher Elises schwärmerische Ausführungen über den Zoo in Paris gelauscht. Danach folgte eine Diskussion über das Einsperren und zur Schau stellen von Tieren.

Drago hatte den Standpunkt vertreten, dass man sich, wenn man Tiere sehen wolle in ihren Lebensraum begeben sollte. Natürlich nur wenn man sie dabei nicht zu sehr stört.

Zur Paarungszeit und bei der Jungtieraufzucht hatte man in ihrer Nähe zum Beispiel gar nichts verloren.Tiere zu jagen und zu töten, um Nahrung zu erhalten, sei eine Sache, aber sie einzusperren nur um sie anzugaffen, widerspräche seinem Verständnis von Respekt vor dem Leben.

Elise war anfänglich noch der Meinung gewesen, dass das Anschauen der Tiere der Erweiterung des Wissens diene und somit legitim sei. Doch der Vergleich damit, wie sie es fände wenn Horden von Menschen sie bei ihrer Vereinigung mit Drago oder bei der Verrichtung ihrer Notdurft beobachten würde, ohne die Möglichkeit sich dem zu entziehen, eingesperrt in eine kleine Kammer,ließ sie ihm schließlich beipflichten.

Als Drago ihr dazu noch erklärte, dass Tiere in Gefangenschaft öfter erkrankten und sich völlig anders verhielten als in ihrem natürlichen Umfeld, sah sie auch den Nutzen für das Erlangen wissenschaftlicher Erkenntnisse schwinden.

Auf die Frage Elises wie man aber dann Tiere aus fernen Ländern kennenlernen solle, antwortete Drago mit der ihm eigenen naiven aber einleuchtenden Logik:

"Nun, dann muss man eben diese Länder bereisen oder mit Fuchs und Hase Vorlieb nehmen!" Sie sah Chou Chou an, die nun einem Purpurfarbenen Schmetterling lustig hinterher sprang. Bei dem Gedenken, ihre Chou Chou in einem Käfig hocken zu sehen, an dem Einhundert Menschen am Tag vorüber gehen um sie anzuglotzen,kam Elise nicht umhin Drago nickend zuzustimmen.

Drago betrachtete die Wölfe und nahm sich vor, die Tiere nachher auf jeden Fall zu befreien. Doch zunächst sollten sie sich ruhig verhalten um sie nicht aufzuschrecken.

Elise flüsterte Chou Chou zu: „ Bleib hier draußen und halte Wacht. Komm nur nach, wenn es nötig sein sollte.“ Drago zog die Augenbrauen hoch und fragte sich, ob Elise ernsthaft glaubte, dass die Katze auch nur ein Wort ihrer Anweisungen verstehen würde. Doch Chou Chou schaute Elise an, machte Mrau und kauerte sich in eine versteckte Nische an der Schloßmauer, als hätte sie ihre Aufgabe tatsächlich verstanden und angenommen.Elise zog ihren Mundwinkel auf der linken Seite etwas nach oben und lächelte zufrieden. Drago stand da und schüttelte den Kopf, während Elise bereits geduckt los schlich.

Die Beiden huschten durch das geöffnete riesige Tor und schoben sich gebückt gehend zum Haupteingang an der linken Seite. Die Tür ließ sich ohne weiteres öffnen und sie traten vorsichtig um sich blickend ein.

Nun standen sie in der Vorhalle am Absatz der großen Treppe die in das obere Geschoss führte. Alles war ruhig.

Drago zeigte zu einer Tür ganz hinten in der Halle, gleich neben der Treppe.

Er flüsterte ihr zu:

"Ich schätze, da geht es in die Keller und zu den Verließen.

Wahrscheinlich sind eventuelle Gefangene dort untergebracht.

Es ist alles sehr ruhig hier. Wenn wir Glück haben, sind die Bewohner unterwegs auf einem Raubzug."

Er unterließ es ihr sein zweiter Verdacht mitzuteilen. Es könnte genauso gut sein, dass sie mit samt der Gefangenen das Schloss für immer verlassen hatten.Oder noch schlimmer, das die Räuber fort waren, aber ihre Opfer zurück gelassen hatten. In einem Zustand der es ihnen nicht ermöglichte sich irgendwie bemerkbar zu machen.

Sie gingen hinüber,öffneten die Tür und stiegen eine gewundene Treppe hinab.

Ein Gang erschien vor ihnen. Sie marschierten los. Nach kurzer Zeit teilte sich der Gang nach rechts und nach links. Nichts außer Dunkelheit wartete in beiden.

"Was jetzt?" fragte Elise

Drago zog die Nase kraus und sagte.

"Keine Ahnung. Entscheide du. Ich bin das nächste Mal dran."

Elise überlegte. Dabei schob sie unbewusst ihre Zunge ein wenig seitlich aus ihrem Mundwinkel.

"Wir gehen links lang!" sagte sie schließlich spontan und ging voran.

Nachdem sie einige Minuten durch den Gang gestapft waren spürte Elise einen Stein in ihrem Schuh. „ Warte.“ wand sie sich Drago zu. Ich hab was im Schuh.“ Sie hielt an, stützte sich mit der einen Hand an der seitlichen Mauerwand ab, hob den Fuß an und begann mit der anderen Hand die Riemen an den Stiefeln zu lösen. In dem Augenblick als ihr Körper sich gegen die abstützende Hand legte und den Druck so erheblich verstärkte, öffnete sich jäh der Boden unter ihr. Er klappte einfach über einen knappen Meter schräg nach unten weg.

Elise schrie spitz auf, verlor jeglichen Halt und rutschte einen steilen Tunnel hinab. Der schräg geöffnete Boden, der jetzt über ihr war, verschloss sich sofort wieder.Der Tunnel durch den Elise rauschte, wurde von Finsternis umschlungen.

„Elise!!!“ schrie Drago und blieb ratlos und verwirrt mit offenem Mund zurück.

Er stürzte zu der Stelle wo Elise eben noch gestanden hatte. Er stampfte, klopfte und sprang, doch nichts passierte. Der Boden blieb verschlossen, als hätte er sich nie geöffnet.

"Elise!" schrie er aus Leibeskräften ein weiteres Mal.

"Elise! Wo bist du? Oh nein, nicht das. Meine Elise!"

Angst kroch in sein Herz. Sollte er etwa schon wieder eine Frau verlieren? War das sein Schicksal?

Drago war verzweifelt.

"Nein! Schicksal hin oder her. Ich mache mir mein eigenes Schicksal. Ich lasse mir meine Elise nicht nehmen!" redete er trotzig auf sich selbst ein.

Energisch schritt er voran mit der eingeredeten Gewissheit seine Geliebte wieder zu finden.

Zehn Minuten und zwei Abzweigungen später war er sich sicher, dass dies eine langwierige Suche werden würde.

Ein regelrechtes Labyrinth hatte der Bauherr hier eingerichtet. Er konnte nur auf eine glückliche Wahl der Wege setzen die er beschritt und hoffen das er sich nicht völlig verlaufen, oder gleich wieder am Startpunkt landen würde.

Er befand sich nun schon wieder eine Weile in einem nicht enden wollenden Gang. Immerhin fiel alle paar Meter durch geschickt verwinkelte kleine Öffnungen in der Decke der meisten Gänge etwas Tageslicht ein.Wenn auch nur schummriges. Bei Nacht wäre er jetzt aufgeschmissen gewesen. Er hoffte, dass er rechtzeitig Elise und einen Ausgang finden würde. Er hatte nichts dabei um eine Fackel zu fertigen.Und er war sich nicht sicher, wie weit und wo er war. In den Wäldern kannte er jeden Stein und jeden Baum. Aber hier...

Da war etwas hinter ihm! Ein Geräusch. Ein Tosen und Brausen, noch weit entfernt. Aber es näherte sich.

Das hörte sich nicht gut an. Drago konnte sich auf sein Gefühl, was nahende Gefahr betraf bisher immer verlassen. Und dieses Gefühl legte gerade einen neuen Höchstpunkt auf seiner Skala an.

Er beschleunigte seinen Schritt und verfiel in einen Trab. Immer darauf achtend, ob nicht irgendwo ein im dunklen liegender Abzweig auftauchen würde, um dem nahenden Unheil auszuweichen.

Das Geräusch kam näher und wurde immer unheimlicher und bedrohlicher und tosender und lauter.

Drago setzte zum Laufschritt über und hoffte darauf, keine rettende Nische mit Flucht- oder zumindest Versteckmöglichkeit, zu verpassen.

Sehr viel weiter vorne sah er auf einmal Licht. Zunächst nur ein kleiner Punkt. Doch je näher er kam, desto heller und größer wurde das glimmen in der Ferne. Aber dieses Licht gefiel ihm nicht besser als das Tosen hinter ihm, das nach dem stetig ansteigenden Geräuschpegel, offensichtlich ein höheres Tempo zurück legte, als Drago. Dieses Licht gefiel ihm nicht besser, weil es sich ebenfalls rasend schnell auf ihn zubewegte.

Er blieb stehen. Sein Gehirn drückte den Notaus-Schalter.Seine Gedanken versuchten sich zu sammeln, stellten einen Generalstab zusammen um auf der Stelle eine praktikable Lösung zu finden. Die Koordination der Muskulatur wurde augenblicklich in einen stummen Modus der Bereitschaft versetzt, um sämtliche Kapazitäten zu bündeln. Was nun. Gefahr von vorne. Gefahr von hinten. Welche würde die geringere sein. Was wusste er? Das Geräusch von hinten versprach einen herumwirbelnden Körper und brechende Knochen. Das von vorn, dass sich immer größer und gleißender durch den Tunnel fraß und selbst die Dunkelheit verschluckte, versprach lodernde Flammen und kochendes Blut. Er konnte nicht entkommen. Die Frage war im Grunde nur, was ihn zuerst erreichen würde und wie die Begegnung enden würde. Er schloss die Augen. ...und sah Elise. Sie lag auf seiner Trage, sie öffnete die Augen,... und er sah... Liebe. Drago riss seine Augen wieder auf. Noch war er nicht tot.Er würde seine Haut in jedem Fall teuer verkaufen. Drago spannte sämtliche Muskeln an, ballte die Fäuste und wartete. Offenbar war das Schicksal genauso gespannt, was ihm mehr zusetzen und eher vernichten würde.

Beides näherte sich rasch. Zu dem Tosen hatte sich ein donnerndes Stampfen gesellt, das den ganzen Gang dumpf vibrieren ließ. Das Licht wartete mit einem furchterregenden Surren und Flattern auf, das Drago an einen Hornissenschwarm in einer Fledermaushöhle erinnerte. Obwohl beide „Was-auch-immer“ etwa gleichauf waren,erkannte er als erstes was von hinten auf ihn zu kam. Das Licht von der anderen Seite hatte ihn nur noch blitzende Punkte in der Luft sehen lassen, so dass er sich rasch abgewandt hatte. „Oh nein! Nicht doch...!“ rief Drago aus. „ Der scheint das echt persönlich genommen zu haben... „

Mit fürchterlichem Gepolter und einem Geifer verspeienden Gebrüll, das einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte, rannte das schwarze Monstrum mit der Echsenartigen Haut und dem mit leuchtend grünen Schriftzeichen übersäten mächtigen Körper auf ihn zu.Es füllte den kompletten Gang aus, so dass es bei jedem bebendem Schritt hervorstehende Steine aus den Wänden riss, die wie Geschosse in Dragos Richtung geschleudert wurden. Einer, - Gottlob ein kleinerer - , prallte gegen Dragos Schulter und ließ in seitlich einen kleinen Schritt zurück taumeln. Was ihn endlich dazu brachte auch wieder in die andere Richtung zu sehen.

Etwa zur gleichen Zeit erschien von dieser Seite ein Schwarm mit Müriaden bunter vor sich hin flitternder und flatternder Flügelwesen.

Er musste kurz an die Engel aus Mutters Bibel denken.

Hoffnung keimte für einen Sekundenbruchteil in ihm auf. Bis er die grausamen Fratzen und die scharfen Zähne in ihren garstigen kleinen Gesichtern sah.

Drago schluckte und bereitete sich auf das Ende vor.

Einerlei welches dieser Höllenauswüchse ihn nun zuerst bekommen würde. Er griff nach hinten, zu seiner Hose, um das Messer hervor zu ziehen. Doch seine Hand hatte noch nicht einmal die Scheide erreicht, als er nach hinten gerissen wurde. Sein Atem stockte als er fiel und es kurz stockfinster wurde.

Er landete auf etwas Weichem und dann sah er in fahlem Licht graues Gestein über sich.

 

-

 

Das Opfer war aus dem Gang verschwunden.

Das Monstrum stand starr vor dem Schwarm. Grüner Sabber tropfte aus seinem Maul auf den Boden des Ganges, wo er sich dampfende blubbernde Löcher ins Gestein fraß.

Die Flitterwesen schwebten in der Luft und wogen scheinbar ihre Chancen ab.

Dann öffnete das Monster sein mit mehreren Zahnreihen besetztes Maul. Die grünen und schwarzen Partikel begannen sich vor ihm im Kreis zu drehen. Der Sog setzte ein.

Der Schwarm wurde unruhig. Einige der fliegenden Wesen versuchten den Rückzug anzutreten.

Doch es war bereits zu spät. Allesamt wurden von dem mächtigen Sog erfasst und trieben zappelnd und tobend in Richtung des Säuretriefenden Mauls. Selbst die Fahnenflüchtigen die die Gefahr zuerst erkannt hatten, flatterten nur verzweifelt im Rückwärtsgang näher und näher zum Schlund des Monstrums.

Die heiß glühenden Wesen verschwanden Stück für Stück, Elfe für Elfe, im Maul des Monstrums. Als sie alle eingesogen waren, schloss er sein Maul wieder. Doch irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mahl. Das Monstrum verharrte, als würde er lauschen.

Nach innen lauschen.

Seine Augen begannen seltsam zu rollen.Von der Kehle bis zum Magen schien ein leichtes rosa Schimmern aus dem schwarzen Körper die Haut zum glimmen zu bringen.

Von seinem Bauch ging nun ein deutliches rötliches Leuchten aus. Fast wie eine Nachttischlampe über die man ein rotes Seidentuch gehängt hat, um eine romantische Stimmung zu verbreiten.

Es wurde heller und heller, und hatte so gar nichts romantisches mehr.Die Assoziationen gingen nun eher in Richtung Vulkan. Sein Bauch schwoll um gut das Doppelte an. Das riesige Vieh glotzte debil an sich hinunter. Und dann passierte es.

Mit einem mächtigen Knall, gefolgt von einem sich ausbreitenden Feuerball, wurde der Leib des uralten Dämons zerfetzt. Eingeweide und unzählige kleine geflügelte Leichen klatschten gegen Wände, Boden und Decke. Säure verwandelte alles in mehreren Meter Umfeld in eine zischende brodelnde Kraterlandschaft.

Ruhe kehrte ein. Nur ein paar dampfende, übel riechende Klumpen totes Fleisch knisterten noch leise auf dem Boden vor sich hin, während sie sich in der Säure langsam zischend auflösten.

Zwei böse Mächte hatten sich soeben gegenseitig zurück zur Hölle zurückgeschickt.

 

-

 

Elise rutschte abwärts. Wie auf dem Jahrmarkt damals.

Doch da war sie auf einem Kartoffelsack die lange Rutschbahn hinab gesaust. Unten hatte ihre Schwester gewartet und sie lachend in Empfang genommen.

Das hier war nicht halb so angenehm. Es war stockdunkel und natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, einfach so in der Erde zu verschwinden.Das Gefühl der völligen Ungewissheit, wo und wann ihre Rutschpartie enden würde, ließ sämtliche Eingeweide in ihr, sich zusammenziehen. Die Zeit schien ihr unendlich anzudauern und sie hatte immer mehr Fahrt aufgenommen. Am Ende ( - wenn es ein Ende gab... - ) könnten metallenen Spieße aus dem Boden ragen, um ungebetene Eindringlinge gleich zu durchbohren. Oder Gewässer mit Krokodilen und giftigen Schlangen, um es noch ein wenig spannender zu machen. Siedendes Öl wäre sicher auch eine vortrefflich sadistische Grausamkeit, um sich Feinden zu entledigen. Sicherlich würde sie nicht in einen duftenden Heuhaufen mit Sommerblumen plumpsen. Elise kniff die Pobacken zusammen und wartete angespannt. Dann plumpste sie..., und landete mit einem erträglichen Ruck auf dem Hintern, der ihr aber trotzdem ein hohles „Uff!“ entlockte, das den dumpfen Echo des Aufpralls der durch ihre Wirbelsäule nach oben schoss, geschuldet war. Jetzt saß sie in einer Sandmulde und freute sich darüber, so glücklich gelandet zu sein. „ Keine Blumen, aber immerhin Sand, wie auf dem Spielplatz, zu Hause“ atmete sie erleichtert auf( - … - ). Vielleicht war dies doch keine Falle, sondern eine Art schneller Fluchtweg gewesen.

Der Auslöser muss in der Wand gewesen sein, an der sie sich abgestützt hatte um ihren Schuh auszuziehen. Sie meinte sich zu erinnern, dass einer der Steine in der Wand unter ihrer Hand herausgeragt hätte, und plötzlich etwas zurück gerutscht sei.Ja, das muss es gewesen sein. Elise machte einen Schritt nach vorne, stoppte aber abrupt.

"Ach ja, der Stein." bemerkte sie pieksend in ihrem Stiefel.

Etrienné zog ihn nun endlich aus und entfernte den kleinen Übeltäter. Nachdem sie ihn wieder angezogen und verschnürt hatte, stand sie auf. Sie rieb sich den Sand von der Hose und ging den vor ihr liegenden Gang weiter.

Sie bewunderte wie durch die schmalen Durchlässe in der Decke fahles Licht einfiel, sodass sie einigermaßen sehen konnte.Ein Glück, denn dieser Gang schien wie anscheinend alle Gänge in diesem vermalledeiten Unglücksschloss, endlos lang zu sein. Sie war schon wieder einige Zeit unterwegs und dachte verzweifelt an Drago. Sie redete sich immerzu ein, dass sie sich bald wiedersehen würden.Das Schicksal konnte unmöglich sooo grausam sein. Gerade jetzt, wo sie doch zum ersten Mal... .Etwas feuchtes versuchte sich aus ihrem Herzen in ihre Augen zu schleichen... .

Als sie so voller banger Hoffnung entschlossen weiter voran schritt, hörte sie plötzlich etwas neben sich.

Doch da war die Wand. Nichts weiter. Aber sie hörte eindeutig Getöse auf der anderen Seite.

Sie strich über die Steine. Jetzt klopfte sie sie ab.

Das klang hohl, eindeutig. Sie hüpfte aufgeregt hin und her.Die Wand war hier viel dünner als Einen Meter weiter oder einen Meter vorher. Hastig suchte sie die Wand ab. Wenn vorhin ein Auslöser da war, der die Wand sich öffnen ließ, dann könnte hier auch einer sein. Würde sie nicht wundern. Sie wettete mit sich selbst, dass die Wand vorhin, ganz sicher ebenfalls dünner gewesen war. ( - … Schade dass sie das nicht nachprüfen konnte... - ) .Nach langem herumtasten wurde sie endlich fündig.Dieser Stein war etwas abgerundet an den Kanten und er wackelte hin und her, als Elise ihn genauer untersuchte. ...Sie zögerte. Das Getöse war inzwischen so laut und kräftig geworden, dass der ganze Gang bebte. Und es hatte sich mit einem furchtbaren Brüllen vermischt. Elise zitterte. Dieses Gebrüll hörte sie nicht zum ersten Mal. Sie ließ die Wand los und machte einen großen Schritt zurück. Kurz bevor Elise den Gedanken, wieder die Rutsche hinauf zu krabbeln, in die Tat umsetzen konnte, fiel ihr Drago ein. Was wenn er dort, auf der anderen Seite war? Was wenn das Monstrum hinter ihm her war. Würde sie den Mechanismus betätigen, ginge vielleicht eine Tür auf die ihm das Leben retten könnte, wie er ihr das Leben vor dem scheußlichen Vieh gerettet hatte. Aber vielleicht wäre das auch ihr Ende.

Die Liebe nahm ihr die Entscheidung ab.

Sie drückte auf den Stein.

Die Wand schob sich zur Seite.

Und da stand ihr Geliebter, in Fünfzehn Zentimeter Entfernung, mit dem Rücken zu ihr. Ihr Herz schien ihr vor lauter Glück aus der Brust zu springen. Jetzt schaute sie in den Gang. Rechts sah sie völlig entsetzt, das Monstrum aus dem Wald, und links einen Schwarm seltsamer fliegender Zwergenwesen mit schrecklichen Gesichtern. Kurz entschlossen umklammerte sie ihren Geliebten und warf sich mit aller Wucht, die ihre ( - Gottlob!!! -) kräftigen Hüften und Beine aufbringen konnten, nach hinten.

Im fallen drückte sie geistesgegenwärtig erneut den Steinschalter, - das heißt, sie schlug wild in der Luft fuchtelnd auf ihn ein -, und die Wand schob sich zurück. Eines der fliegenden Wesen versuchte Drago zu folgen. Es kam jedoch nur so weit hinterher, dass lediglich sein Kopf noch in den sich schließenden Spalt eindrang. Er zerplatzte mit einem leisen knacken. Als würde man ein Ei fallen lassen. Durch den letzten Zentimeter konnte Elise gerade noch sehen wie auf der anderen Seite die Hölle losbrach.

Drago lag rücklings auf ihr.

Sie japste.

Mühsam rollte sie ihn von sich hinunter.

Drago blickte sich verstört um.

Als er Elise sah riss er sie sofort an sich und drückte sie so fest, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Trotzdem war es ein wunderbares Gefühl. Sie schloss die Augen, atmete seinen Geruch ein, und hielt ihn ebenso ganz fest.

Als sie sich voneinander gelöst hatten, grinste Drago Elise an und sagte:

"Schön, dass wir uns mit dem aufeinander fallen abwechseln, immer dann wenn das Monstrum erscheint."

Elise lachte los und Drago fiel ein. Noch einmal fielen sie sich in die Arme und küssten sich lange und intensiv, bis sie sich endlich seufzend los ließen. Wenn auch nur sehr kurz.

Hand in Hand gingen sie weiter den Gang entlang. Drago umklammerte ihre Hand regelrecht. Er wollte Elise nicht noch einmal verlieren. Eher würde er mit ihr zusammen sterben.

 

*

 

Vallerie hatte sich einen weichen weißen Schlüpfer und eine dunkelblaue Jeans angezogen, da diese Hose ihr am robustesten erschien.Wer weiß, was ihr noch bevor stand. Sicher ist sicher.Oben herum entschied sie sich für ein leicht ausgeblichenes schwarzes „Chicago Bulls“ Shirt. Natürlich hatte sie keine Ahnung wer die Chicago Bulls waren, und sie hatte auch noch nie etwas von einem Spiel namens Basketball gehört. Aber der rote Stierkopf mit dem grimmigen Gesichtsausdruck gefiel ihr ausgesprochen gut. Sollte sie jemals wieder in ihre Heimat zurück kehren und auf den verfluchten ( - oh, wie wahre Worte... - ) Wirt treffen, würde sie ihm genau so entgegen treten. Und dann gnade ihm Gott.

Sie ging nach unten wo sie bereits von den neugierigen Mitbewohnern erwartet wurde.

Der Reihe nach stellten sich alle vor, nachdem Jacky die am Kopfende saß, die Frau die ihr am nächsten saß angestubst hatte.Das war Susanna, eine zierliche Blondine mit kurzen Strubbelhaaren. Georgina, eine korpulente, fröhlich strahlende Brünette und Grace, mit ihren langen blonden Haaren die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie hatte eine lange Narbe im Gesicht, die sich vom Nasenrücken bis zum linken Ohr zog. Vallerie stellte sich ebenfalls vor und setzte sich auf den freien Platz neben Grace.

Das Frühstück schmeckte hervorragend. Es gab kleine helle Brote, die sie wie sie es bei den anderen beobachtet hatte, aufschnitt, mit Butter und Marmelade bestrich und aß.

Der "Kaffee" war nicht so sehr nach ihrem Geschmack.

Georgina bemerkte es.

"Na Vallerie ,nach deinem Gesicht zu urteilen schmeckt dir der Kaffee wohl nicht besonders. Kann ich verstehen. Susanna macht ihn immer so stark, dass der Löffel drin stehen bleibt." Sie warf einen schelmischen Blick zu Susanna, die ihn mit herausgestreckter Zunge erwiderte.“Besser als dein Blümchenkaffee, der eher als Schlafmittel taugt.“

"Möchtest du lieber etwas anderes trinken?" unterbrach Jacky das verbale Gerangel.

"Oh, wenn es keine Umstände macht vielleicht habt ihr einfach einen Becher Milch für mich?"

fragte Vallerie.

"Klar, kein Problem." antwortete Jacky und reichte ihr ein Glas und einen Tetrapack Vollmilch.

Vallerie saß eine Weile stumm da und starrte den Tetrapack an. Schließlich nahm sie ihn zur Hand und drehte ihn hin und her. Sie suchte nach einem Verschluss oder einer Öffnung.

Sogar auf den Kopf stellte sie das sonderbare Gefäß.

Die anderen Frauen sahen ihr zu, und sich gegenseitig fragend an, bis Georgina das Wort ergriff.

"Sag mal Schätzchen. Unter was für einem Stein bist du denn hervor gekrochen? Sag nicht, du weißt nicht wie die Milch aufgeht?!"

Vallerie schaute sie verwirrt an. Georgina griff nach der Packung und öffnete sie. Vorsichtshalber goss sie Vallerie auch gleich etwas ein. Sie trank. Diese Milch schmeckte zwar auch nicht wie die Milch die sie kannte, aber es war schon in Ordnung. Besser als dieser komische Kaffee alle Mal.

Nach dem Frühstück räumten alle gemeinsam den Tisch ab.

Das Geschirr kam in die Spülmaschine. Als diese geschlossen wurde nahm Vallerie an, man verwahre die Teller und Tassen dort um sie vielleicht später zu säubern. Zischend saugte das Gerät Wasser ins Innere, als Susanna die Maschine anstellte. Vallerie machte einen Satz nach hinten bis sie an die Wand stieß,Ihr Herz pochte vor Schreck und sie fasste sich an die Brust.

"Hey hey, beruhige dich. Alles ist in Ordnung. Du bist hier sicher. Das ist doch nur die Spülmaschine." sagte Grace sanft zu ihr, die hinter ihr im Durchgang zur Küche stand.

Vallerie lächelte etwas unecht, um anzuzeigen dass sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte. Ihr war das alles zu viel. So viele neue Eindrücke hatte sie zu verarbeiten in diesem Land.

"Ich...ich,...weiß nicht. Ich kenne so vieles nicht was für euch ganz normal scheint. Die Milch, diese..."Spülmaschine" und...und dieser komische Zauberkasten bei den schlimmen Männern, wo bunte Bilder erscheinen und kleine Menschen umher laufen. Ich verstehe das alles nicht."

Sie war jetzt kurz davor loszuheulen.

Grace nahm sie in den Arm.

"Ist ja schon gut Vallerie. Schon gut. Alles wird gut. Wir erklären dir was du nicht verstehst und gut ist, okay?" Grace sah etwas verunsichert zu Jacky hinüber, die ihr zuversichtlich zunickte.

Vallerie beruhigte sich wieder und lächelte Grace dankbar an. Sie nickte.

"Oh-kay!" sagte sie.

Grace lächelte zurück, legte einen Arm um sie und ging mit ihr in den Ruheraum neben dem Esszimmer. Dort setzten sich beide auf eine Couch.

Georgina und Jacky blieben in der Küche zurück und beseitigten die letzten Spuren vom Frühstück.

Georgina fragte Jacky sorgenvoll:

"Was ist bloß los mit der Kleinen? Ich meine wir alle waren durch´n Wind als wir hier gelandet sind. Aber das ist ziemlich extrem oder?"

"Schon." antwortete Jacky, " Aber ich habe von einer Kollegin in einer anderen Einrichtung mal etwas ähnliches gehört. Die Frau dort wurde von ihrem Mann Jahre lang in einem Keller eingesperrt gehalten. Die kannte keine Handys und keine Mikrowelle, geschweige denn DVD-Player und so Sachen. Möglich das Vallerie ein ähnliches Schicksal hinter sich hat. Wahrscheinlich ein noch viel schlimmeres. Sie kennt ja wirklich gar nichts. Und sie sprach von "den Männern", nicht nur von einem. Ich würde sagen wir gönnen ihr noch etwas Ruhe und dann muss ich mich die Tage mal an den Psychologischen Dienst wenden. Ich glaube wir brauchen in diesem Fall ein wenig Hilfe."

Georgina nickte. Das dachte sie allerdings auch.

 

*

Rumänien, im Dorf, 1847

 

Unruhig rollte der Wirt sich in seinem Bett von einer Seite auf die andere. Das alte Holzgestell knarrte und knirschte bei jeder Bewegung. Ein durchdringender Furz hallte durch die Kammer und eine übel riechende Wolke aus billigem Brandwein, halbverdauten Bohnen und Zwiebeln, gemischt mit den üblen Ausdünstungen eines Magengeschwürs, kroch unter der fleckigen Bettdecke hervor und waberte durch den Raum.Doch das letzte Abendmahl des Glatzkopfs war nicht der Grund für seinen unruhigen Schlaf. Der Wirt schlief nicht mehr gut seit dem die Alte ihn vor ein paar Tagen aufgesucht hatte und das mit dem Haar geschehen war.

Immer wieder versuchte er eine rationale Erklärung zu finden, für die seltsame Verwandlung. Doch er fand keine.

Vor seinen Augen hatte sich die Farbe verändert.Und erst recht fand er keine Erklärung dafür, dass er dieses Haar nicht mehr los wurde. Es war verhext. Er hatte es von der Theke geweht, am ersten Tag. An nächsten lag es wieder dort, genau an der selben Stelle an der es die Alte abgelegt hatte. Er hatte es nach draußen in den Wind geworfen, er hatte es in den Wald getragen, es vergraben und sogar verbrannt ( - danach hatte er es aufgegeben, endgültig - ). Das Haar lag jeden Morgen wieder an der selben Stelle auf der Theke.

Er war immer derjenige gewesen, der den Aberglauben der Dorfbewohner nicht geteilt hatte. Zauberei existierte für ihn nicht. Bare Münzen und guter Branntwein, das war etwas Reales. Daran glaubte er.Und damit war er immer gut gefahren.Und nun das. Ein blödes rotes Haar und er hatte Angst vor einer Frau,vor Vallerie. Der einzigen nun mal die er kannte die rote Haare hatte, und noch dazu allen Grund hatte sauer auf ihn zu sein. Aber Vallerie musste tot sein.Der Mann in Schwarz hatte ihm versprochen, dass er sie niemals wieder sehen würde. Er hatte sein Wort darauf gegeben. Und das hatte er bisher immer gehalten. Trotzdem ließ ihn diese furchtbare Angst nicht mehr los.Verdammte Alte! Verdammte Hexe!

Er trank jetzt noch mehr als sonst. Schon in der Früh brauchte er das erste Gläschen und jede weitere Stunde ein nächstes. Die Angst, dass sein vermeintliches Schicksal in tatsächlich einholen konnte, hielt ihn gefangen. Nur mit dem Alkohol konnte er die Tage noch überstehen. Zuerst hatte die Furcht seinen Geist dazu getrieben. Doch inzwischen schrie auch sein Körper danach. Wenn er morgens nach den wenigen Stunden Schlaf die er fand erwachte, zitterten seine Hände bis er den Branntwein intus hatte. Dann ließ es nach. Jedoch fiel ihm alles andere schwerer als je zuvor.

Die Taverne öffnete er immer später, die Gläser glänzten schon lange nicht mehr so wie früher und er vergaß so manchen Gast abzukassieren. Auch auf seine eigene Reinlichkeit achtete er nicht mehr besonders. Einige Leute aus dem Dorf zogen es inzwischen vor, zwar noch bei ihm zu trinken, aber das Speisen lieber zu Hause vorzunehmen.

Er hatte nie eine Frau geheiratet. Die würde jetzt sicher für Ordnung sorgen. Aber er hatte nie Interesse daran gehabt sich zu binden. Er mochte die Abwechslung, die zeitweilige Gesellschaft der Damen in der nächsten Stadt, wo er seine Waren einkaufte, die sich für ihre Dienste bezahlen ließen. Eine einzelne Frau wäre ihm schnell langweilig geworden.

Mürrisch setzte der Wirt sich auf und schaute aus dem Fenster. Es war bereits heller Tag. Die späte Herbstsonne schien ihm, anscheinend nur um ihn zu ärgern ins Gesicht und blendete ihn. Er stand auf und schlurfte nach unten in die Stube.

"Erst mal einen trinken, dann wirds schon." sagte er sich und nahm die Flasche mit dem Guten aus dem Eckschrank. Nicht eine von denen aus der Taverne. Das gestreckte Zeug war für die Gäste. Er stellte ein Glas vor sich auf den Tisch, setzte sich hin und goss sich einen großzügigen Schluck ein.

Er blinzelte. War da nicht was? Er sah genauer in sein Glas, in dem das bräunliche Getränk immer noch in leichter Bewegung war.

Ja, er hatte richtig gesehen. Das war eindeutig das Gesicht Valleries mit den roten wallenden Haaren, das ihn da frech angrinste. Mit einem Schreck, der ihn kreidebleich werden ließ, sprang der Wirt auf. Während der Stuhl nach hinten gegen die Wand flog wollte er das Glas mit einer Hand vom Tisch fegen. Doch es rutschte nur bis knapp vor die Kante und blieb dort wie durch eine unsichtbare Schranke stehen.

Die Flüssigkeit geriet durch den Schwung in stärkere Bewegung, sodass ihn jetzt eine furchteinflößende verzerrte Fratze Valleries anstarrte.

Der Wirt zitterte am ganzen Leib, ging rückwärts aus der Stube hinaus und warf die Tür zu.

Im Gaststättenraum griff er sich nun eine der Flaschen aus dem Regal, hockte sich in die hinterste Ecke und trank direkt aus der Flasche.

Am Abend als die Gäste kamen, saß er immer noch dort. Die Flasche war leer. Apathisch schleppte er sich hinter die Theke. Er nahm die Bestellungen auf und führte sie aus. Doch er sprach den ganzen Abend kein Wort.

 

*

 

Jacques unterließ das Schreien nach scheinbar unendlichen Sekunden. Einmal weil er Luft holen musste und zum Zweiten da dieser seltsame silbergraue Quadratschädel einfach nur gebeugt über ihm stand und ihn leicht beschränkt anglotzte.

Er sah dabei ein wenig wie ein Kind aus, das einen Regenwurm beobachtet, der sich auf dem Boden hin und her windet, und irgendwie schien Jacques dieser Vergleich gar nicht so weit her geholt.

Allerdings passte dieser riesenhafte Körper nicht ganz in ein Kindchenschema. Mächtige Muskeln durchzogen den seltsam gefärbten, kantigen Hünen. Seine Augen mit den tiefschwarzen Pupillen hatten ihm Angst eingeflößt. Doch bei genauerer Betrachtung hatten sie etwas sanftes und tiefgründiges, das ihn jetzt eher beruhigte.

Eine Weile lag er noch unbeweglich da und starrte wie ein ängstliches Kaninchen hinauf, dann sagte er auf gut Glück einfach mal:

"Hallo?"

Der Große antwortete.

"Hallo." erklang eine dunkle, aber freundliche Stimme.

"Ähm,...hrmm...." Jacques räusperte sich.

"Ist es in Ordnung wenn ich jetzt aufstehe?" fragte er förmlich an.

"In Ordnung." kam es zurück.

Jacques rappelte sich langsam, sein Gegenüber skeptisch im Blick haltend hoch. Nun stand er vor dem Drei-Meter-Kerl mit dem Lendenschurz. Jacques fühlte sich ziemlich klein und mickrig, da er den Kopf nach hinten legen musste um dem Riesen ins Gesicht sehen zu können.

Der streckte auf einmal seinen Finger aus und strich Jacques über den Kopf. Er erschrak ein bisschen und der Druck ließ ihn leicht in die Knie gehen. Der Große zog den Finger zurück und steckte ihn sich in den Mund. Er lutschte ihn ab.

"Lecker!" sagte er.

"Oh oh, ja. ...Ich meine nein, nein, nein!!! Das ist von dem Ei. Äh...."

Jacques deutete hinter sich auf den schwarzen Streifen, der wieder munter vor sich hin waberte. Winkte aber dann ab. Er fuhr fort:

"Nicht das es hier zu Missverständnissen kommt. Ich selbst bin nicht essbar! Verstehst du?" versuchte er mit einem Anflug leichter Panik, zu erklären.

"Klar, bin ja nicht dumm!" sprach der Quadratkopf und ließ ein kräftiges hohles Lachen erklingen das eher das Gegenteil vermuten ließ.

Jacques lächelte ein wenig verunsichert zurück.

"Na dann ist ja gut. Ich heiße übrigens Jacques. Ich denke in Anbetracht der Tatsache, dass ich in letzter Zeit von einem Schlamassel ins nächste gerate verzichte ich einmal auf die Förmlichkeiten und belasse es beim Vornamen. Wie ist dein werter Name?"

"Du scheinst weise zu sein. Das du weißt, dass ich der Wärter bin, der Vigil. Der Aetas Vigil genauer. Nenne mich ruhig Vigil. Ich habe tausend andere Namen. Kann mich nicht entscheiden für einen. Vigil ist gut."

Jacques stand kurz mit offenem Mund da, bis er das mit dem

Namen verstanden hatte.

"Ah, jetzt verstehe ich. Du meintest als ich werter sagte das ich Wärter...! Wärter heißt im Lateinischen Vigil! Genau! Jetzt habe ich es begriffen."

Wieder standen sich beide sprachlos gegenüber.

"Nun denn." begann Jacques, "Ich bin auf der Suche nach meiner Frau, die ich in Rumänien in einem Schloss in den Karpaten zurück lassen musste und muss deshalb weitere dieser Streifen durchschreiten in der Hoffnung sie zu finden. Wir wurden entführt aber ich konnte entkommen, mit so einem komischen..., Schlüssel, kann man sagen...."

"Du benutzt einen Schlüssel?" fragte Vigil ernst.

" Ja, einen Schlüssel, dieses Kristallding. Ich habe ihn einem bösen Menschen abgenommen. Erst wusste ich gar nicht was das ist..."

Er kramte den Kristall hervor und hielt ihn Vigil entgegen.

Der nahm ihn in seine mächtige Hand und betrachtete ihn interessiert. Jacques sprach weiter:

"Ich bin hier irgendwie gelandet und seitdem probiere ich Zugänge aus um zu meiner Josephiné zu gelangen."

"Du darfst ihn nicht benutzen!" Sagte Vigil ernst. Er zog die Augenbrauen nach oben und bewegte den erhobenen Zeigefinger tadelnd hin und her.

"Aber...aber...Wie soll ich denn. Meine Frau. Ich muss sie wiederfinden. Ich liebe sie doch!"

Der Große starrte Jacques betrübt an. Er seufzte.

"Dann werde ich dich begleiten müssen." sagte er.

Jacques erschrak. Doch in Gedanken an die Orte an denen er bereits gelandet war, schien das gar nicht schlecht zu sein. Einen solchen Hünen bei sich zu haben erschien Jacques durchaus von Vorteil.

"Schön. Das ist für mich in Ordnung." sagte er.

"In Ordnung." kam es zurück.

Unbeweglich blieb der Riese stehen.

"Guuht…, dann können wir jetzt gehen?" fragte Jacques und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Vigil reichte ihm den Kristall zurück und setzte sich endlich auch in Bewegung.

Sie schritten weiter den Gang entlang und Jacques wählte nach mehreren Metern den nächsten Streifen nach gut dünken aus. Er öffnete ihn. Beide stiegen hindurch und zum ersten Mal hatte Jacques nicht das Gefühl ins absolute Chaos zu stürzen. Dieser Vigil schien ihm Glück zu bringen.

Sie standen mit einem Mal auf einem traumhaften Sandstrand in strahlendem Sonnenschein. Kleine, weiße Wölkchen zogen langsam über den ansonsten herrlich blauen Himmel. Das Meer war azurblau und ruhig. Kleine Wellen rollten stetig ans Ufer und verloren sich in zartem Schaum der sich auflöste. Palmen und allerlei anderes Jacques unbekanntes Grün, und nicht nur Grün, auch rote , blaue, und ganz verrückte Pflanzen säumte den Bereich zur Mitte der kleinen Insel hin.

"Das ist wunderbar. Ein Paradies. Ist das nicht unglaublich...?" warf Jacques fragend ein.

"...lebendig." kam Vigils Kommentar sofort.

"Ja, so könnte man es durchaus beschreiben. Es strotzt voller Leben und Lebensfreude. Alles ist wunderbar hier.

Josephiné finden wir hier nicht, denke ich. Aber lass uns nur kurz verweilen und ein wenig umschauen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir hier ein paar Früchte finden, die wir uns als Proviant mitnehmen können. Wer weiß wie lange wir noch mit der Suche nach Josephiné beschäftigt sind."

Vigil zuckte mit den Schultern und folgte Jacques der aufgeregt zu den üppigen Pflanzenbereichen lief.

"Oh schau Vigil." rief er als er unter einer Kokospalme angelangt war.

"Komm schon Vigil. Siehst du diese Früchte dort oben. Meinst du, Du könntest mir eine pflücken? Du bist so schön groß."

Vigil stapfte herbei, langte nach oben und riss eine der Kokosnüsse ab. Er reichte sie Jacques.

"Das ist eine indische Nuss, weißt du? Sie enthält einen köstlichen Saft."

Jacques sah sich um. Er erblickte in der Nähe einige Gesteinsbrocken. Er hob die Nuss in die Luft und begann damit sie auf den Stein zu schlagen. Nach jedem Versuch beäugte er die Frucht, um zu sehen ob irgendwo ein Riss entstanden sei, aus dem das leckere Nass schon austreten würde. Es wäre ärgerlich wenn sie einfach aufplatzen und der Saft sich in den Sand ergießen würde.

Nach etwa zehn Versuchen schwitzte Jacques vor Anstrengung.

Er ließ mit aufgeblähten Backen etwas Luft aus seinem Mund entweichen und setzte sich erst mal hin.

"Ich muss nur kurz verschnaufen. War alles etwas viel in den letzten Stunden. Gleich gehts weiter."

Vigil stand einmal wieder nichts sagend da und schaute umher.

Nach ein paar weiteren Minuten griff er nach einer der anderen zahlreichen Kokosnüsse oben in der Palme. Er pflückte sie ab, nahm sie in beide Hände, zerbrach sie wie ein Streichholz in zwei Hälften und trank die Kokosmilch.

Völlig perplex starrte Jacques ihn an.

"Sag mal, kann es sein, dass du einen etwas sonderbaren Humor hast?" fragte er Vigil fordernd.

"Warum?" kam es von dem Hünen zurück.

"Warum? Ich mühe mich hier ab wie ein Irrsinniger um diese vermaledeite Nuss zu knacken und du..." Er ahmte die Bewegung nach mit der Vigil die Nuss geöffnet hatte und fuhr fort:

"...warum hast du mir nicht geholfen?"

"Du hast nicht gefragt." stellte Vigil nüchtern fest.

"Lieber Gott! …Vigil, wärst du so freundlich mir dies indische Nuss zu öffnen?" fragte er mit gespielt übertriebenem Lächeln.

"Mach ich doch gerne!" antwortete Vigil und ließ wieder sein hohles Lachen erklingen. Er nahm die Nuss, knackte sie und reichte sie Jacques. Der nahm sie, sah Vigil ein wenig vorwurfsvoll von unten herauf an und trank.

"Oh, das war lecker!" sagte er genussvoll als er fertig war.

Er stand auf und sah sich nach weiteren Früchten um.

Schließlich fand er Bananen. Er griff nach einer und pellte sie auf.Sie hatte zahlreiche harte Samenkerne, die er während des Essens ausspuckte. Zwei weitere Bananen steckte er sich in die Jackentasche und ging weiter um die Insel zu erkunden.

Vigil folgte ihm auf den Fuß.

An einem anderen Baum sah er grün-rote Früchte die etwas größer als Äpfel waren. Da Vigil gerade damit beschäftigt war eine Banane mitsamt Schale und Kernen zu verspeisen, schüttelte Jacques nur mit dem Kopf als er dies sah und versuchte die höher hängenden Früchte selbst zu erreichen.

Er sprang und sprang immer wieder mit ausgestrecktem Arm in die Höhe. Schließlich nahm er ordentlich Anlauf und gelangte mit dem darauf folgenden Sprung tatsächlich bis zu einem der Früchte. Hart landete er mit dem Obst in der Hand wieder auf dem Boden.

Plötzlich bewegte er sich ohne sein Zutun nach hinten, als würde er rückwärts über eine gefrorene Pfütze auf Eis rutschen. Sein erster Gedanke war, dass er durch den Sprung, beziehungsweise seine Landung eine geheime Tür ausgelöst hatte die sich nun nach hinten schob um den Weg in eine unterirdische Schmugglerhöhle frei zu geben.

Doch dann erstarrte er vor Schreck. Da war kein Loch im Boden in das man hinab steigen könnte.

Direkt vor ihm blickte ihn ein Vier Meter großes Auge an. Es rollte ein wenig in seiner Höhle herum und blieb dann mit der Pupille an seine Füße geheftet stehen. Jacques stand offensichtlich auf dem Lid des Auges, welches nach der Quelle der unverschämten, störenden Irritation suchte.

Jacques schrie los:

"Vigil! Oh Gott, Vigil! Da schau! Ein Auge! Ein riiiiesiges Auge! Was ist das? Oh mein Gott! Vigil!"

Vigil war so plötzlich hinter ihm erschienen das Jacques einen weiteren ordentlichen Schrecken bekam, als er von dem Lid sprang, sich umdrehte und augenblicklich gegen ihn prallte.

"Ahh! …Musst du dich so anschleichen. man sollte annehmen dass so ein großer Kerl wie du das gar nicht kann. Hast du irgendeine Ahnung womit wir es hier zu tun haben?"

"Klar!" antwortete Vigil

In diesem Moment geriet alles um sie herum in Bewegung.

"Was passiert jetzt? Hilfe! Was sollen wir tun? Und was heißt: Klar! Geht es vielleicht etwas genauer?" schrie Jacques panisch.

"Es ist aufgewacht. Du hast es geweckt."

"Was geweckt? Hä?" fragte Jacques erstarrt.

"Ich sagte dir dass es lebendig ist." erklärte Vigil Schulter zuckend.

"Da-da-das meintest du mit lebendig. A-aber ich dachte du umschreibst...Ach vergiss es. Ich sehe schon, man muss verdammt aufpassen welche Worte du wählst und alles hinterfragen. Also! Willst du mir mitteilen das, das worauf wir uns befinden im Ganzen ein lebendiges Wesen ist und das ich es aufgeweckt habe?" fragte er bewusst ruhig und klar, obwohl er am ganzen Leib zitterte.

"Ja." kam die ebenso klare und ruhige Antwort.

"Gut! Alles klar! Und wieso stehen hier Palmen und jede Menge anderer Bäume, Sand, Steine und so weiter? Wenn ich ein Nickerchen mache wächst mir normalerweise kein Gras aus den Ohren und es sprießen auch keine Gänseblümchen auf meiner Brust!" versuchte Jacques rationaler Teil zu verstehen was hier gerade vor sich ging.

"Es hat lange geschlafen." kam die simple Erklärung Vigils.

"Ah...soso. Es hat lange geschlafen. Das erklärt natürlich alles! Ist es in Ordnung wenn ich jetzt in Panik verfalle?!"fragte Jacques mit aufgesetzt freundlicher Mine.

"In Ordnung." stimmte der massige Wächter zu.

"VIGIL!!! Rück raus mit der Sprache was sollen wir tun?" Nun war Jacques verzweifelt und wusste wirklich nicht was sie noch retten könnte, um nicht gleich mit der gesamten Insel auf eine eventuell sehr lange und seeeehr tiefe Tauchfahrt, auf der Suche nach einem reichhaltigen Frühstück,zu gehen.

Vigil kratzte sich gemächlich am Kopf während die gesamte vermeintliche Insel sich mit mächtigem Rucken und Beben in die Höhe schob. Jacques klammerte sich an einem Baum fest um nicht im hohen Bogen durch die Gegend zu fliegen, was gerade mit vielen der Steine und Pflanzen von statten ging.

Das große Auge schaute sich immer noch ( - etwas verschlafen - )langsam rotierend um.

Endlich ergriff Vigil das Wort:

"Wir sollten vielleicht wieder gehen."

Jacques verharrte mit tumbem Blick. Dann war der Gedanke, der natürlich der einfachste und einleuchtendste war,auch bei ihm angekommen.

"Natürlich! Ich Trottel! Schnell lass uns zu dem Riss zurück laufen. Er ließ den Baum los und die beiden rannten.

Die lebende Insel stand jetzt schon leicht schräg und erhob sich immer mehr. An den Seiten tauchten riesige Korallenbesetzte Arme auf, die sich um die müden Glieder zu strecken in die Luft bewegten. Ein Gähnlaut wie von der größten dumpfesten Schiffssirene der Welt ertönte. Gut das Jacques nicht den Fünf Stockwerke großen Kopf sah der sich aus dem Wasser erhoben hatte. Auch er war mit Korallen besetzt und wie auch bei den Armen, flüchteten Hunderte Krabben Tintenfische und anderes Getier im Eiltempo zurück ins Meer. Einer der Hände griff zum Gesicht zupfte Algen davon und warf sie ins Wasser. Der Mund der von felsigen Lippen umrahmt wurde, spuckte einen großen verdutzten Hai aus, der sich nun eine neue Behausung suchen musste.

Jacques und Vigil kamen gerade noch rechtzeitig bei dem lila Riss an. Das Ding erhob sich gerade komplett, sodass sie beide hindurch in den Gang purzelten. Schnell schloss Jacques den Riss. Er keuchte und zitterte, heilfroh am Leben zu sein. Das hohle Lachen Vigils ertönte neben ihm. Er saß da und klatschte einmal kräftig in die Hände.

"Das hat Spaß gemacht! Nicht wahr Jacques?" bekundete er fröhlich.

Jacques sah ihn an als hätte er sich gerade etwas besonders ekliges in den Mund gesteckt. Er schüttelte mit dem Kopf und unterließ es Vigils Meinungsäußerung zu kommentieren.

"Also so geht das nicht weiter!" sagte Jacques.

"Das war das Dritte mal das ich an Stellen lande die nie im Leben auch nur in der Nähe von dem Ort sind wo ich hin will.

Ich muss zu dem rumänischen Schloss zurück, Herrgottnochmal!

Er schickte ein "Verzeihung!" hinterher, wobei er den Blick nach oben hob. Vigil schaute ebenfalls nach oben, senkte den Blick aber schnell wieder, da er dort nichts weiter entdecken konnte.

Jacques stand mürrisch und auf und ging los. Diesmal zurück zum Hauptgang, und bog dann um die Ecke. Vigil stapfte wie immer wortlos,hinter ihm her.

 

*

 

Der Mann in Schwarz hatte jetzt lange genug gewartet. Die Stunde war längst um. Wie aus einem Schleudersitz geschossen, sprang er auf.Er verließ das Arbeitszimmer im Stechschritt und ging die große Treppe im Foyer hinauf zu dem Raum in dem Josephiné gefangen war. Er zog den Schlüssel aus der Tasche, schloss auf, stieß die Tür weit auf und stürmte hinein.

Zunächst hatte Josephine´nur da gesessen und das Kleid angestarrt. Die Worte des Mannes in Schwarz wiederholten sich immer und immer wieder in ihrem Kopf. „.. neuer Besitzer!...“, „...die fiesesten Halunken...“ und was die mit ihr machen würden. Da waren die erwähnten Wölfe noch ihr geringste Angst gewesen. Sie hatte angefangen zu weinen, ganz still für sich hin. Die Verzweiflung hatte sie wieder gepackt, und wieder musste sie kämpfen um ihren Mut, ihre Hoffnung wieder zu erlangen. Schließlich hatte sie sich, - gar nicht Damenhaft, lautstark die Nase hoch ziehend -, mit verheulten aber nun wieder störrischen Augen das ( - „verdammte! - )“ Kleid angezogen. Zu groß war ihre Angst vor diesem offensichtlich Geistesgestörten Verbrecher.

der brachte es fertig sie ohne mit der Wimper zu zucken zu morden oder tatsächlich all seine Worte in die Tat umzusetzen, sollte sie seinen Anweisungen nicht Folge leisten. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit zur Flucht,außerhalb ihrer „Gefängniszelle“. Und ohne das Kleid würde sie Diese nicht verlassen können, - nicht in einem wehrhaften Zustand -, soviel war mal klar.

"Du bist wunderhübsch meine Liebe!" säuselte er und klatschte verzückt drein blickend in die Hände, etwas Mädchenhaft,so wie Jerome Detroux es häufig tat wenn er entzückt war ( - fiel Josephine in dem Moment ein, und sie war für eine kurze Sekunde in ihrem Elternhaus in Paris, auf der Hochzeit... - ) .

"Zu Hause wischen wir dir noch ein wenig die Tränchen aus dem Gesicht dann strahlst du wieder wie ein bezaubernder Engel." rief der Herr, mit dem nicht nur breitesten, sondern auch künstlichsten Lächeln, dass Josephine je vor gehalten wurde.

Josephiné schwieg. Sie würde nur antworten wenn er wieder Drohungen ausstöße.

Der Herr griff nach ihr und nahm sie bei der Hand. Wie ein Schraubstock quetschte er ihre schlanken Finger zusammen. Ihre Knöchel knackten in seiner Faust.Schnellen Schrittes zerrte er sie den offenen Flur entlang, so das sie kaum hinterher kam. Mit dem freien Arm in der Luft rudernd, stolperte sie ihm hinterher, bis zum Festsaal.

 

-

 

Elise und Drago waren noch gut eine halbe Stunde in den unteren Gewölben umhergeirrt ohne eine Spur von Josephiné oder Jacques zu finden.

Bei Drago erhärtete sich der Verdacht dass alle vorübergehenden Bewohner schon ausgeflogen seien.Irgendjemand müsste sie längst bemerkt haben, nach dem ganzen lärmenden Getöse, seit sie im Schloss waren. Drago hatte nicht mehr viel Hoffnung, einen Weg heraus aus diesen unendlich verzwickten Kellergewölben und Gängen zu finden. Vielleicht war das genau der Plan des Erbauers. Eines recht sadistisch veranlagten Erbauers.

Man fällt hinab in die Tiefe, landet in einem Irrgarten voller Fallen, Monster und falscher Hoffnungen, bis man erkennt das dieser Kerker keinen Ausgang besitzt und man elendig verhungert und verdurstet. Wenn wir Glück haben werden wir vorher wahnsinnig, dachte Drago gerade sarkastisch, als eine Treppe vor ihnen auftauchte, die nach oben führte.

Als wenn das Schicksal seinen Gedanken gelauscht und soeben etwas trotzig befunden hätte, dass es zu früh für die genannten Optionen sei. Elise stupste Drago lächelnd an und nickte zur Treppe hin. Er lächelte zurück und sie stiegen nebeneinander die Stufen hinauf. Die Treppe führte sie im Bogen, etwa zwei Stockwerke nach oben, bis zu einem schweren roten Vorhang. Langsam schoben beide gleichzeitig dem Samtigen Stoff ein Stück beiseite und lugten wie eine Zweiköpfige Hydra abwechselnd nach links und nach rechts hindurch.Es war nichts zu hören. Sie schoben den Vorhang beiseite und standen nun direkt in der großen Vorhalle des Schlosses.

Leise schritten sie voran, auf die große Foyertreppe zu und gingen hinauf. Oben angekommen standen sie vor den großen geschlossenen Türen zum Festsaal des Schlosses.

 

-

 

Eine anrollende Welle Resignation schlich sich in Jacquess Gemüt. Der glänzende Riese trottete wortlos und stoisch hinter ihm her wie ein überdimensionaler Metzgerhund. Jacques folgte schon lange keiner Logik mehr. Das hatte er spätestens seit der „lebendigen“ ( - er warf einen kurzen tadelnden Blick nach hinten - ) Insel, aufgegeben. Er zählte jetzt einfach spontan bis Fünfzig. dann blieb er stehen und wählte den schwarzen Streifen aus der sich nun neben ihm befand. Jacques holte leise vor sich hin pfeifend den Kristallschlüssel hervor. Vigil und er stiegen durch den Riss.

 

*

 

 

 

 

 

Los Angeles, USA, 1975

 

Sie standen auf festem Boden aus Holz oder ähnlichem.

Vor ihnen stand eine tosende, aplaudierende Menschenmenge.

Die beiden standen da und konnten es nicht fassen.
"Was ist das denn?" fragte Jacques überrascht, "Das müssen Tausende Menschen sein die uns da bejubeln! Ich weiß nicht, aber irgendwie macht mir das mehr Angst als alles zuvor.“ fügte er zu Vigil gewand, flüsternd hinzu. „ Weißt du was hier vorgeht, Vigil?" fragte er ihn.

"Die Menschen freuen sich. Sie sind guter Dinge." bemerkte Vigil ruhig.

"Ja….“ bemerkte Jacques, ohne das ihn diese Antwort weiter gebracht hätte. Aber welche von Vigils Antworten tat das schon, also sagte er einfach „Ja....Sollten wir winken oder so?" kam es über Jacques Lippen, obwohl ihm selbst im Grunde bewusst war wie absurd seine Frage klang.

"Weiß nicht.“ kam es von Vigil. „ Möglich, das sie etwas erwarten.... Von uns."

"Ja genau! Weil wir ja bekannte Mimen und Heroen des Gesangs sind, oder was?!“ fuhr ihn Jacques an. Mit Blick zum gröhlenden jubelnden Publikum, senkte er seine Stimme sofort wieder und grinste besänftigend,aber leicht debil in die Menge. „Kannst du singen oder Kunststücke aufführen? Wenn sie merken dass sie die falschen bejubeln könnten sie vielleicht sauer werden, und dann erscheint plötzlich..., wieder... irgendwas! … Und versucht uns zu fressen, ...oder so..." raunte er schräg zu Vigil hinüber.

"Ich kann Fünfzehn von ihnen hochheben!" erwiderte Vigil stolz.

"Das ist schön Vigil, aber das lassen wir mal lieber. Ich denke nicht dass es dem Publikum nach dieser Art Unterhaltung gelüstet. Vielleicht sollten wir einfach mit einer Verbeugung wieder verschwinden." fuhr es Jacques durch den Kopf.

Plötzlich tippte ihm jemand auf die Schulter.

Jacques drehte sich herum und bekam einen Schreck.

"Ahhh! Ein lebender Toter! Die Gräber haben sich geöffnet! Sie sind gekommen um uns zu holen! Himmel hilf." Er warf sich zitternd zu Boden, auf die Knie.

Das gesamte Publikum lachte laut auf. Jacques hob seinen Blick und sah sich zu der Menge um. Er drehte sich zurück und stellte fest dass sowohl Vigil, - was ihn aber nicht wirklich verwunderte - , als auch der lebende Tote ihn fragend anblickten. Der "Zombie" hielt seine Hand über einen kleinen Knüppel mit einer langen Schnur daran und erhob dann, zu Jacques und Vigil gewandt,seine Stimme:

"Was zum Henker tut ihr hier? Hat mein Manager das organisiert. Ich meine das war echt cool wie ihr erschienen seid, und hey Mann Großer, du bist echt der Hammer, wirklich, WoW!,aber ich lege Wert darauf darüber informiert zu werden was bei meiner Show abgeht, versteht ihr. Also wer hat euch engagiert, was macht ihr hier?

Jacques schaute leicht zur Seite gebeugt an dem Mann vorbei. Er sah unter den ganzen bunten Lichtstrahlen die die Szenerie auf der Bühne jetzt erhellten einige Leute stehen.

Sie hatten ihm völlig unbekannte Saiteninstrumente in den Händen, mit Schnüren daran die zu schwarzen Kästen gingen und darin verschwanden. Einer saß hinter einer Armada von Trommeln und metallenen Tellern die auf Stäben steckten. Sie sahen alle ein wenig zum fürchten aus. In einem gläsernen Gefäß konnte er eine große dicke Schlange sehen. An der Seite schien ein Galgen aufgebaut zu sein. Im Hintergrund hing ein riesiges Plakat an der Wand. Darauf stand "ALICE COOPER". Von den Buchstaben schien Blut herunter zu laufen. Doch Jacques erhob sich jetzt. Offensichtlich hatten sich diese Musiker unverständlicher Weise mit Absicht so zurecht gemacht und eine solch furchterregende Atmosphäre erzeugt. Das musste eine Art musikalisches Theater sein. Es war ihm peinlich dass er so reagiert hatte. Er lächelte entschuldigend und schob Vigil flüsternd in Richtung des Risses, der unbeachtet am Rand des Bühnenvorhang herum waberte.

"Hey, wartet! Wo wollt ihr hin? Ihr könnt ruhig bleiben. Der Große sieht wie gesagt echt cool aus. Hammermäßig! Ich weiß zwar nicht ganz was Du darstellen sollst, aber ist schon O.K., du hast so was von „Tanz der Vampire“ mit deinen Klamotten. Das passt. Bleibt ruhig."sagte Alice Cooper auffordernd zu den Beiden.

"Lächeln und weitergehen Vigil. Los doch!" zischte Jacques im Rückwärtsgang. Vigil versuchte es ihm gleich zu tun. Wobei sein Lächeln auch eher wieder an das tumbe „Lächeln“ des erwähnten Metzgerhundes erinnerte. Endlich im Gänsemarsch am Durchgang angelangt huschten sie hindurch.Sie konnten gerade noch das erstaunte Raunen vernehmen, dass durch das Publikum ging.

"Puh!" gab Jacques auf der anderen Seite erleichtert von sich. "Gut dass wir nicht singen mussten." gab Vigil zu Protokoll und bohrte sich ein wenig abwesend im Ohr herum.

"So geht das nicht weiter!" jammerte Jacques. Er kniete sich resignierend in den Gang.

"Wenn mir bloß jemand den Weg zeigen könnte, zu dem Ort wo ich gestartet bin. Wenn ich irgendeinen Anhaltspunkt hätte, irgend etwas das mir einen Hinweis gibt wo hier was ist. Das kann doch alles nicht war sein!Himmel Herrgott nochmal, kann mir denn keiner sagen wie ich nach Rumänien komme, und zwar genau dort hin wo ich gestartet bin?“ rief er wütend, den Kopf im Nacken, in die Luft.

"Vigil kann." kam es von hinter ihm.

Jacques fuhr herum und starrte Vigil an.

"Vigil kann was?!" horchte Jacques völlig entsetzt auf.

"Weg zeigen. Nach Rumänien. Zu dem Schloss, in den Karpaten, wo du her kommst." ergänzte Vigil seine knappe Aussage.

Jacques erstarrte. Er freute und ärgerte sich zugleich, was man deutlich seinem sich ständig wechselnden Minenspiel ansah.Er sprang auf.

"Ohhh! Du großer däml....! Warum hast du mir das nicht gleich gesagt als ich dir davon erzählt habe? Gleich zu Anfang unserer Begegnung?!!" brüllte er los.

"Du hast..." setzte Vigil an.

"Stop! Halt!“ fiel ihm Jacques ins Wort. „ Lass mich raten. Ich habe dich nicht danach gefragt. Stimmts?!" fragte er Vigil mit verzerrtem Lächeln.

"Stimmt." Antwortete Vigil, mit dem breitesten Grinsen das Jacques je gesehen hatte. Jacques stand vor Vigil und sein Gehirn schien sich im Kreis zu drehen, während sein gesunder Menschenverstand eine kurze Pause einlegte.

Eine von zahlreichen Pausen, seit sie in Paris aufgebrochen waren.

Er hatte das unglaubliche Verlangen dem Riesen eine zu scheuern. Konnte sich jedoch gerade noch zügeln. Vor allem, da er erstens mit seinen Armen gar nicht bis zu seiner Wange gelangt wäre, und Zweitens nicht riskieren wollte, dass eine Ohrfeige Retour käme, die ihm höchstwahrscheinlich das Genick brechen würde.

Er holte ganz tief Luft und zählte in Gedanken bis Zehn. Nachdem er wieder ruhiger geworden war sprach er zu Vigil:

"Also gut Vigil. Kannst du mich bitte nach Rumänien bringen. Zu dem Schloss in den Karpaten? Das wäre wirklich nett von dir." fragte er höflich.

"Klar kann ich!" antwortete Vigil fröhlich.

"Guuht! In Ordnung! Na dann." Jacques sah ihn erwartungsvoll an und wartete auf eine Reaktion.

"In Ordnung." sagte Vigil schließlich freundlich lächelnd.

Wieder trat ein dieser typisch gewordenen Pausen ein.

"Äh...Vigil? Wenn wir dann los könnten!" hakte Jacques, wieder leicht ungeduldig werdend, nach.

"Klar! Wann willst du zurück?" fragte Vigil.

"Wann will...? Na jetzt sofort." schrie Jacques, die Arme fragend ausgebreitet.

"Gut...." sagte Vigil.

Wieder eine Pause. Jacques fuhr sich fahrig durch die wuscheligen Haare ( - „Wird Zeit das Unkraut mal wieder zu stutzen“, hörte er Josephine sticheln. - )

"Bekomme ich hier irgendetwas nicht mit. Ich meine ich gehe mal davon aus das du vorangehst und ich folge dir. Oder?" versuchte er die Situation richtig zu deuten.

"Richtig.... Aber wann willst du zurück?" fragte Vigil erneut.

Jacques schaute Vigil misstrauisch an. Wollte er ihn veralbern oder liefe hier irgendetwas mit ihrer Kommunikation Grundfalsch. Als würde ein Hund versuchen einer Katze das Bellen beizubringen.

"Vigil! Ich möchte jetzt zurück. Sofort, in diesem Moment, Augenblicklich, stante pede, JETZT!!! In Ordnung?" ratterte er los.

"In Ordnung." kam von seinem Gegenüber.

Pause!

"Hör auf "In Ordnung" zu sagen und nichts zu tun. Das macht mich wahnsinnig. Brings du mich jetzt zu dem richtigen Streifen oder nicht?!" tönte Jacques.

"In O…“ Vigil hielt sich eine seiner riesigen Pranken vor den Mund. „Tschuldigung... . Aber wann willst du denn nun zurück?" ging es erneut los.

"Jacques starrte mit weit geöffneten Augen ins Leere und ließ sich an der Tunnelwand zu Boden sinken. Mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand massierte er sich entnervt mit zusammengekniffenen Augen seine Nasenwurzel. Er war kurz davor aufzugeben.

"Wie wärs mit 1396? Das war ein gutes Jahr. Viel Obst! Du magst doch gerne Obst." sprach Vigil Gedankenversunken.

Jacques starrte Vigil mit offenem Mund an.

"Schon gut. War nur ein Vorschlag. 2025 war auch gut in der Gegend, aber..." sagte Vigil abwinkend.

"Moment, Moment, Moment!“ Jacques sprang auf. Er lief ein paar mal auf und ab, drehte sich einmal im Kreis, lief noch einmal auf und ab und hatte damit die völlige Zurückweisung seines Verstandes, von der soeben erlangten Ahnung als momentan absolut irrelevant abgetan. „Langsam begreife ich. Du kannst mir nicht nur den Weg zu allen möglichen Orten, sondern auch in alle möglichen Zeiten zeigen. Ist das richtig? Ich meine, das ist unmöglich. Aber ist es so?"

"Ist richtig so. Ich bin der Aetas Vigil." stimmte er zu.

"Du liebe Güte! Aetas ist ein Wort für Zeit. Du bist Der Wächter der Zeit. Kann man das so sagen?"

"Man kann." sagte Vigil und reckte ein wenig stolz seine Brust hervor. Jacques Gedanken rotierten unentwegt.

"Großer Gott. Wir sind in einem Zeittunnel, einem Kanal von dem aus man durch die Zeit reisen kann. Ist das möglich? Nein das ist nicht möglich!... Ist das möglich?!"

"Ist möglich." nickte der Hüne.

"Und du. Von wo kommst du?" wollte Jacques wissen.

"Komme nicht, gehe nicht. Bin!" antwortete Vigil entschieden.

"Nun ja. Ist jetzt auch wieder irgendwie einleuchtend.“ bemerkte Jacques.Und du streifst hier herum und bewachst die Durchgänge." fragte er.

"Nein, bin auf der Jagd. Noch jemand hat einen Schlüssel. Ein böser Mensch. Nicht wie du. Du bist harmlos wie ein Häschen. Der andere ist böse, sehr böse. Muss gestoppt werden." grollte Vigil mit ernster Mine.

Jacques sah ihn ein wenig schräg an. "Ich wäre dir sehr verbunden wenn du das mit dem "Harmlos wie ein Häschen!" nicht vor anderen sagen würdest. Meinst du das geht?" wollte Jacques vorsichtshalber festhalten.

"In Ordnung." sagte Vigil.

"Ja...In Ordnung.“ erwiderte Jacques, ein wenig mit den Augen rollend. „ Also dann, bitte bring mich an den besagten Ort am...Sechsten Oktober 1847...gegen Nachmittag.

Ist das machbar?" stellte er endlich die richtige Frage. ( - So ist das manchmal. Die Antwort ist längst schon da, aber man stellt einfach die falschen Fragen... - )

"Klar." sagte Vigil und setzte sich endlich in Bewegung.

Aufgeregt folgte ihm Jacques.

 

*

 

Der Mann in Schwarz stand mit Josephiné an der Hand vor dem schwarzen Streifen in der hinteren Ecke des Festsaals. Er holte den Kristallschlüssel heraus, drückte ein paar Tasten und er begann zu leuchten.

In diesem Augenblick flogen die Türen zum Festsaals auf.

Der Herr rechnete mit Wesslie und verdrehte entnervt die Augen.

Doch der war es nicht.

Drago und Elise stürmten keuchend hinein.

Elise erschrak.

"Ich kenne diesen Mann!“ entfuhr es Elise als erstes. „Er

war in Graz. Ja das muss er sein. Dieser Schnurrbart….Bis auf…Er ist älter." stellte sie verdutzt fest.

"Elise`!" schrie Josephiné auf.

"Josephiné!" schrie Elise auf. Die beiden Schwestern sahen sich und ihre Herzen flogen pochend aufeinander zu.

Der Herr blickte verwirrt und überrascht von der einen zur anderen. „Herrgott!, geht denn hier gar nichts wie ich es...!!!“ begann er zu schimpfen. Hastig fummelte er weiter an dem Kristallschlüssel herum. Josephine wand sich und erschwerte es dem Mann in Schwarz, so gut es ging, mit dem Schlüssel an den Riss zu gelangen, wo er offensichtlich mit aller Macht hin langte.

Drago hatte keine Zeit verloren und befand sich schon im Laufschritt auf den Herrn zu.

Der Herr erkannte die Gefahr und rechnete seine Chancen aus. der kräftige Mann der da auf ihn zu gestürmt kam war ihm körperlich eindeutig überlegen. Er hatte zwar einen antiken Dolch in der Tasche, der als Dreingabe für den bevorstehenden Deal angedacht war, doch mit der nun zappelnden Frau an seiner Hand war Flucht das einzig vernünftige. Er hob den Kristall um den Riss zu öffnen.

Er hatte ihn gerade angesetzt als Drago den Mann mit einem gewaltigen Hechtsprung erreichte. Er fiel und riss Josephine mit sich. Der Herr ließ Josephiné im fallen los, um nicht völlig Schutzlos zu Boden zu gehen.Sie rappelte sich auf und rannte sofort in Richtung Elise. Diese stürmte ihrerseits auf ihre Schwester zu.

Die beiden Männer gingen zu Boden und verbanden sich zu einem herum rollenden Knäuel aus greifenden Händen, fliegenden Fäusten und tretenden Beinen. Dragos rechter Fuß traf die Hand des Herrn eher zufällig, als er ihn dem Griff des Mannes in Schwarz ruckartig entzog.

Der Kristall flog aus der Hand des Herrn und im hohen Bogen in Richtung der hohen Wände. Doch er bewegte sich nicht auf die steinernden Mauern zu.Er durchschlug eines der hohen Fenster, fiel und fiel,bis er auf dem gepflasterten Boden des Innenhofs auftraf.

Die Zeit selbst schien einen Moment still zu stehen.

Kein Geräusch, kein Windhauch, kein Sekundenzeiger auf keiner Uhr dieser oder anderer Welten, der nicht unbeweglich verharrte. Dann schien das ganze Sein, sich von außen nach innen zu wölben, bevor...

Das Bersten des Kristallschlüssels zerriss die Luft mit einem irrsinnig hohen, fast kreischenden Ton.

Die Splitter flogen in alle Richtungen und durch alles hindurch. nicht einmal die Schlossmauern konnten sie aufhalten. Die Bruchstücke des Kristallschlüssels rasten durch den Schlosshof, die Eingangshalle, die Keller und einige durchquerten auch den Festsaal, in dem die beiden Schwestern sich in den Armen hielten, und Drago und der Mann in Schwarz sich gegenseitig versuchten kampfunfähig zu machen. Dann verharrten die Splitter urplötzlich dort wo sie sich gerade auf ihrem Flug befanden. Sie begannen lila zu leuchten, fast zu glühen, und überall dort wo nun ein Spitter des Schlüssels in der Luft schwebte,öffneten sich lila Risse.

Der Herr lag, sich in Dragos Armen windend am Boden, und schrie entsetzt:

"Neiiiiiiin!"

 

*

 

 

 

 

 

 

Java, vor 400 000 Jahren

 

Ngar sprang aus dem Gebüsch. Die anderen hatten den Hirsch genau hier her getrieben. Der Koloss mit über Zwei Metern Schulterhöhe und dem Vier Meter Geweih ragte unmittelbar vor ihm auf.Der schaumige Speichel des erschöpften gehetzten Tieres flog ihm entgegen und benetzte sein Gesicht. Sein Speer war fest und stark, die Spitze scharf und stabil. Er stach mit aller Kraft zu, genau wie seine Brüder, die von der Rückseite des Hirsches heran stürmten. Das lila Leuchten blendete Ngar. Er musste die Augen zusammen kneifen. Dann spürte er wie sein Speer aus seinen Händen gerissen wurde und er fiel.

Ngars Speer hatte gut getroffen. Die Spitze steckte Acht Zentimeter tief im der rechten Herzkammer des Hirsches. Doch Ngar war verschwunden.

 

*

 

Südvietnam, November 1967

 

Tim Roberts trug den Kampfnamen "Skull". Wegen des Achtzig Mal Achtzig Zentimeter großen schwarzen Totenschädels den er sich auf die Seite seines Fliegers gemalt hatte.

Er saß im Cockpit seines F4 Düsenjägers und war auf dem Weg nach Dak To. Die Operation Mac Arthur war angelaufen und es sollte einer der blutigsten Schlachten dieses langen Krieges werden. Er war richtig gut drauf. In Stimmung ein paar Schlitzaugen den Arsch aufzureißen. Sie wie die Karnickel durch die beschissenen Reisfelder hoppeln zu sehen und “Rattatatatatat“ niederzumähen.

Er sollte mit dem Rest seiner Truppe die Infanterie unterstützen. Die Viet-Cong leisteten erbitterten Widerstand, doch damit wäre es bald vorbei. Dank ihm und seinen Jungs würden die kleinen Reisfresser hier bald keinen mehr hoch kriegen. Sie würden Charly gleich ganz gehörig in den Arsch ficken. Oh ja Baby, das würden sie. Und Mister Roberts hatte jetzt schon nen gewaltigen Ständer.

Sie befanden sich bereits im unmittelbaren Anflug. Unter sich, etwas weiter voraus konnte er Qualm und Feuer sehen.

Gleich würde es losgehen.

Plötzlich erschien ein lilafarbenes Leuchten direkt vor ihm in der Luft. Wie ein Riss tat es sich mehrere Meter lang, vertikal vor seiner Maschine auf. Tim versuchte gar nicht erst zu ergründen, was für eine Art Beschuss das war. Er wollte nur, verdammt noch mal ( - verfickte Reisfresser!... - ) nicht davon getroffen werden.Instinktiv riss er das Ruder herum. Der Jäger begann sich sofort schräg zur Seite zu legen und nach links abzudriften. Doch zu überraschend, wie aus dem Nichts, war dieser leuchtende Blitz, oder was immer es war, vor ihm aufgetaucht. In einer eleganten leichten Kurve segelte der Jagdflieger mitten hinein. In sicherer Erwartung einer mächtigen Explosion, die ihn Sekundenschnell in einen dampfenden, schwarzen toten Kadaver verwandeln würde, riss “Skull“ ( - Timmi... - ) die Arme hoch und schloss die Augen ganz fest zu ( - ...die Decke über den Kopf gezogen... - )...

 

*

London, England, 2005

 

Mr. Jones fuhr den roten Doppeldecker seit Dreißig Jahren. Immer dieselbe Strecke durch diesen Teil Londons. Jetzt passierte er den Part seiner Tour den er besonders liebte.

Direkt am Buckingham Palace vorüber. Er liebte sein Land und seine Königin. Dazu stand er auch. Natürlich schauten die Fahrgäste gebannt aus den Fenstern, hinüber zu dem prächtigen Gebäude. Vor allem interessierten sich die Leute für die Grenadier Guards mit ihren roten Jacken, den schwarzen Hosen und den schwarzen auffälligen hohen Kopfbedeckungen. Sie waren in der ganzen Welt bekannt. Gerade auch für ihre konstante durch nichts aus dem Konzept zu bringende Disziplin mit der sie ihre Aufgabe, - den Wachdienst -, erfüllten.

Mr. Jones sah den lila leuchtenden Riss zu spät. Er nahm in nicht mal richtig wahr. Da hatte er den Bus auch schon hindurch gelenkt.Seine Mitreisenden hatten allesamt einen Fotoapparat vor den Gesichtern. Sie bemerkten es erst als sich ein urplötzlicher Motivwechsel vor ihrer Linse vollzog.Die wenigen Touristen die zu dieser Zeit am Palace unterwegs waren, machten Fotos des Grenadiers. Später sollten einige von ihnen die Augen voller Entsetzen, in dem sonst so stoischen Gesicht des Grenadiers bemerken.

Der Grenadier stand wie ihm befohlen, weiterhin stocksteif da. Zu sehr war diese Reaktion während seiner Ausbildung in ihn eingeimpft worden. Doch seine Augen weiteten sich dennoch um fast das doppelte, als er mit ansah wie der Doppeldecker sich vor seinen Augen einfach in Luft auflöste.Und er würde dieses Bild von nun an jeden Tag seines restlichen Lebens vor sich sehen, wenn er des Nachts, jede Nacht, immer zur selben Zeit aufschreckte.

 

*

 

Maastricht, Niederlande, 1989

 

Die beiden jungen Männer wanderten durch eine Sandsteinhöhle bei Maastricht, weit ab von den üblichen Spazierwegen, kurz vor der Grenze nach Belgien. Ein guter Punkt um die in Maastricht erworbenen Sechs Sorten Gras und Haschisch zu sich zu nehmen. Daniel und Micha verbrachten hier ihren Urlaub. Sie campierten vor der Höhle, wo sie ihren wackligen roten R4 geparkt hatten und ihre Schlafsäcke lagen. Nebst einer Feuerstelle und allerlei Flaschen und einer Tasche mit Leckereien die man als Kiffer gerne in Massen vorrätig hat. Alles aus dem Vierundzwanzig-Stunden-Supermarkt, einen halben Kilometer entfernt.

Nun liefen Daniel und Micha, so verstaubt und hohl wie die Höhlen selbst, schon seit Zwei Stunden durch dieses unendlich scheinende Labyrinth verschieden großer Höhlen und Gänge, die alle miteinander verbunden waren.Das taten sie schon die ganzen Tage zuvor. Höhlenforschung betreiben. Eine einigermaßen Zeitraubende Urlaubsbeschäftigung, wenn man bedenkt das diese Höhlen bis an die Hunderte Kilometer entfernte Küste verlaufen sollten. Mit Stöcken hatten sie sich die Wege markiert, indem sie Pfeile im Boden eingeritzt hatten.Sie wären nicht die ersten die sich hier unten verlaufen und nie wieder zu Tage gekommen waren.

Beide hielten sie einen Joint in der Hand und berauschten sich kräftig, wie sie es ebenfalls schon die Tage zuvor eifrig getan hatten. Ziemlich breit taperten sie umher, entdeckten neue Wege und Höhlen, oder plötzlich Pfeile auf dem Boden, die sie selbst vor einer Stunde dort hin geritzt hatten. Bis sie auf einmal diesen lila glimmenden Riss entdeckten.

"Hey Daniel! Was ist das? Das sind bestimmt die Bullen! Scheiße! lass uns abhauen!" rief Micha, der selbst in dieser völlig widersinnigen Umgebung mit Bullen-Paranoia reagierte.

"Quatsch, Bullen!" antwortete Daniel."Guck mal da kann man durch fassen. Lass uns da mal reingehen. Ist bestimmt cool!" Daniel vertrat, im Gegensatz zu Micha, die Auffassung: Kenn ich nicht. Probier ich aus!

Micha zog noch mal an dem Joint, zuckte mit den Schultern und folgte dann seinem Freund, der schon halb verschwunden war. Sicherheitshalber krakelte er noch, halb aus dem Riss heraushängend, hastig mit seinem Stock einen Pfeil vor dem Riss in den Sand.

 

*

 

 

Irland,899

 

Der Morgen graute schon eine ganze Weile, doch der Nebel tauchte alles in gespenstische Schleier.Das Rauschen des Meeres und die Brandung die tosend gegen die kantigen Felsen krachte, hallte über die Hügel zu ihnen herüber. Nieseslregen benetzte die Gesichter der Männer und legte sich über das grüne Land. Alle Krieger des Clans hatten sich mit ihren Farben bemalt und den Met getrunken. Die Kelten hatten ihre Schwerter, Lanzen und Schilde aufgenommen und waren zur Küste marschiert. Als die Kämpfer am Kamm des Hügels bereit standen, um die sich mit vielen Booten nun dem Ufer nähernden Wikinger zurück ins Meer zu werfen, sie zurück zu ihren Fjorden zu jagen, erschien der leuchtende Riss, wie aus dem Nichts.

Voller Ehrfurcht, in einem Abstand von mehreren Metern, umrundeten die Krieger staunend die Erscheinung. Dies konnte nur ein Zauber sein. Nur einer konnte hier zu Rate gezogen werden und das Geheimnis erkennen. Jemand der sich in den Kämpfen im Hintergrund hielt, weil er der wichtigste Mann des Clans war. Noch wichtiger als das Clanoberhaupt. Der Druide des Cenél nEógain- Clans, sprach alte keltische Beschwörungsformeln. Dann beugte er sich hinunter und nahm eine Hand voll Erde auf. Er warf sie in den Riss. Dann schritt er, vor sich hin murmelnd, aufrecht in den lila leuchtenden Riss und verschwand. Die Krieger erstarrten. Alles blieb still und wartete auf die Rückkehr ihres Druiden. Dem Fürst der Iren standen trotz des kalten Regens Schweißperlen auf der Stirn.

Wilde Kampfschreie drangen von hinter den zerklüfteten Felsen zu ihnen hinüber. Die Wikinger waren gelandet, und ihr Druide blieb verschwunden...

 

*

 

Moskau,Russland,1999

 

Igor ärgerte sich. Schon wieder wurde er nur zu den kleinen Tieren geschickt. Er arbeitete schon seit einem halben Jahr im Moskauer Zoo und wollte endlich mal mit Elefanten, Flusspferden oder seinetwegen auch mit Giraffen zu tun haben. Hauptsache etwas großes, beeindruckendes.Die Raubkatzen wären auch nicht schlecht. Die waren wenigstens gefährlich. Aber immer durfte er nur die stinkenden Kackhaufen des Dammwilds und der Nagetiere wegmachen. Missmutig stapfte er mit Schaufel und Besen zu den Rehen hinein. Doch was war das da in der Ecke. Ein lila Strahl oder so etwas. Was zum..., fragte er sich. War das etwas elektrisches? Er sollte aufpassen. Als Kind hatte er einen Stromschlag bekommen. Damals hatte er versucht ein Radio zu reparieren und vergessen den Stecker zu ziehen bevor er an dem offenen Gerät herumgeschraubt und gefummelt hatte. Sein linker Arm hatte noch Wochen später gebrannt und bis heute durchschoss in manchmal ein kleiner Blitz, je nachdem wie er seinen Arm bewegte.Igor war allerdings auch sehr neugierig. Er sollte zumindest so nah heran gehen, das er sehen konnte woher dieser leuchtende Strahl heraus kam. Als er noch etwa Drei Meter entfernt war, erschien es ihm immer noch so, als ob das leuchten einfach in der Luft hinge. Da war kein Rohr, oder eine Leitung, aus der irgendetwas heraus kommen könnte. Was wenn es etwas radioaktives war...?, schoss es ihm in den Kopf. Aber..., wie gesagt, Igor war sehr neugierig. Er ging noch näher heran und versuchte, als er noch einen knappen Meter davor stand, seitlich um den Riss ( - ja, das war...ein Riss... - )herum zu schauen. Sein rechter Fuß blieb nur ganz kurz an der kleinen Wurzel hängen, die knorrig aus dem Erdreich herauskroch und über den Boden schlängelte. Igor strauchelte und verlor weil er so schief da stand das Gleichgewicht. Unsinniger Weise versuchte er, als er stürzte, sich mit der einen Hand an dem lila Riss abzustützen, wobei er den Besen fallen ließ, während die andere Hand sich weiterhin an der Schaufel festhielt. Igor drehte sich ungewollt auf den Fersen um die eigene Achse und plumpste mitsamt seinem Werkzeug in den Riss. Mit dem Hintern zuerst, wie bei einer Arschbombe in den Badeteich.

Ein Reh trat schüchtern ein paar Schritte heran. Es zuckte kurz mit den Ohren und begann dann damit Igors am Boden liegenden Besen anzuknabbern.

*

Madrid, Spanien, Museo del Prado, 2009

 

Die Touristengruppe aus den USA hatte sich die Bilder intensiv betrachtet. Benny war 14 und hatte längst die Lust verloren sich die Gemälde anzusehen. Es langweilte ihn zu Tode hier zu sein. Viel lieber wollte er jetzt im Hotel sein und an seinem Nintendo DS spielen. Oder noch besser, den Pay-TV Sender auschecken, grinste er in sich hinein. Aber das hier würde sich noch mindestens Zwei Stunden hinziehen. Na ja, solange sie nachher wieder in dieses kleine Restaurant mit den Tappas und der geilen Aioli gehen würden... Nun hatte die Reisegruppe die ausstaffierte Dame auf dem Gemälde lange genug begafft und wollte den nächsten Raum sehen. Etwas erstaunt marschierten sie alle hintereinander durch den seltsamen lila leuchtenden und wabernden Vorhang der hier am Eingang angebracht war. Sie hielten ihn für eine besondere Attraktion des Museums. Vielleicht selbst eine Art elektronisches Kunstwerk.

Auf jeden Fall waren sie alle sehr gespannt was nach dem dunklen Riss kommen würde. Sogar Benny war sehr gespannt.

 

 

*

 

- In Welten und Dimensionen, mit Wesen die niemals die Tore und Wege der Zeit und des Raums beschreiten durften. In Zeiten und Ebenen, in denen es weder Empathie noch Gnade gab, auf Erden in denen die Namen der Länder mit Blut geschrieben wurden, überall öffneten sich lila leuchtende Risse und ließen neugierige Augen sie ergründen. -

 

*

 

Rumänien, 1847, im Schloss

 

Ungläubig und entsetzt zugleich starrten alle Vier aus den Fenstern und auf die Risse die sich außerhalb und innerhalb des Schlosses,sogar direkt im Festsaal, gebildet hatten. Das Bersten des Kristalls hatte weitere Fenster wieder zu Sand werden lassen und klaffende Wunden aus Gestein, Lehm und Putz in die Mauern des Schlosses gerissen.

Draußen schwebte gerade ein mächtiger Flugsaurier aus einem der Risse, hoch oben in der Luft, heraus. Seine Schwingen ließen einen kurzen, aber mächtigen Sturmwind durch das Gemäuer rasen. Ein weiterer Riss weiter unten am Boden entließ furchterregende, Gesichtslose aber dennoch Menschenähnliche Kreaturen, die sich ( - Augenlos - ) hektisch umblickten. Sie bewegten sich abgehackt, wie Figuren in einem Film, der nur Bild für Bild abgespielt wird. Das machte sie noch angsteinflößender. Ein Gorilla hing an einem der Turmspitzen und brüllte panisch nach seiner Familie, seinem Wald, seinem Verstand. Ein roter Doppeldeckerbus war in voller Fahrt auf dem Innenhof erschienen und mit einem entsetzlich metallenem Krachen an der Schlossmauer gelandet. Verletzte Menschen stiegen aus dem Bus, dessen Türen sich nun von selbst öffneten. Manche Fahrgäste hielten sich ihre Gliedmaßen, manche bluteten aus Platzwunden an den Köpfen. Einige wurden von einer Gruppe Irokesen mit Kriegsbemalung angegriffen.Ein Tomahawk flog und spaltete einem Mitfünfziger in feinem Tweed und akorat gezogenem Seitenscheitel, der immer noch krampfhaft Schirm und Aktentasche umklammert hielt, den Hinterkopf bis zur Hälfte. Der Riss im Schädel schloss ironischer Weise exakt an den perfekten Scheitel an.

Die Gesichtslosen Wesen wurden gerade von einem Fünf Meter großen gehörnten roten Höllendämon mit einem Fingerzeig verbrannt. Dann stampfte er durch die Mauern des größten Nebengebäudes hindurch als seien sie aus Porzellan,spießte im Vorüber ziehen den wie paralysiert stehenden Ngar mit eine seiner spitzen Klauennägel auf ( - genau Acht Zentimeter in die rechte Herzkammer... - ) und schlug eine brennende Schneise in den Wald durch die er davon tobte.

Am Rande des Chaos standen Zwei aus geröteten Augen umherschauende Männer in Jeans und T-Shirt, mit seltsamen langen Zigaretten in den Händen."Das ist mal ´n geiles Dope Daniel." Daniel zog kräftig wie ein Elefant an dem Joint.

"Auf alle Fälle! Ich bau mal noch einen, okay Micha?"

erwiderte Daniel und tastete Gedankenverloren nach seinem großen Küchenbrett, dass er immer zum Joint bauen benutzte. Micha starrte Daniel an und riss die Augen auf. Sofort sah er sich panisch nach eventuellen Zivibullen um.

Ein Druide vom Clan der Cenél nEógain betrat das Szenario und wusste sofort dass er in der Zeit gereist und sich inmitten einer sich anbahnenden Apokalypse befand. Er wusste es einfach. Dies war einer der Vorteile, wenn man ein guter Druide war. Man wusste vieles, das andere nicht wussten. Er wusste auch dass das einzig Vernünftige in diesem Fall war, auf der Ferse kehrt zu machen und sofort wieder durch den lila Riss zurück zu eilen, so lange er dort war. Und genau das tat der Druide. Er sah dabei nicht verstörter aus, wie jemand der sich in der Tür geirrt hatte. Er gab sogar ein knappes „Oh,...Gabh mo leisgeul“ von sich und lächelte höflich.Was gälisch war und soviel hieß wie „Oh,... Entschuldigung, ich wollte nicht stören.“ ( - bei der Apokalypse - ).

Ein Düsenjäger erschien wie aus dem Nichts, rauschte mit ohrenbetäubendem Lärm über sie hinweg und zerschellte in einer gewaltigen Explosion, keine Zehn Meter weiter an einer der Mauern.Ein Schleudersitz schoß kurz vor dem Aufprall aus dem Cockpit und ein schreiender Timmi “Skull“ Roberts, atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass er nicht an der Mauer zerschellt war, sondern nun mit seinem soeben geöffneten Fallschirm langsam wieder zu Boden glitt. Timmi hatte kaum Zeit sich Gedanken zu machen, wie es dort unten, in diesem ihm völlig unbekannten, aber offensichtlichen Kriegsgebiet weiter ginge, weil er bereits in Zwei Hälften zerteilt war als er landete. Wobei Bauch und Beine wesentlich früher festen Boden „unter den Füßen“ hatten. Ein grellrosafarbenes Rieseninsekt, in Form und Gemüt einer Gottesanbeterin, hatte ihn im Flug einfach mit ihren scharfen Fangscheeren mittig durchtrennt. Nachdem sie sich den oberen Teil geschnappt, und den verblüfft glotzenden Schädel Tims abgebissen hatte, stellte sie jedoch fest( - wie so einige vor ihr - ), dass „“Skull“ ein ziemlich geschmackloses Arschloch war, und ließ den Rest von ihm fallen.

Auf der Rückseite des Schlosses stand ein völlig entsetzter Mann. Er war bekleidet mit einem grünen Overall. Eine Kappe mit dem russischen Wort für "ZOO" darauf gestickt, saß schräg auf seinem Kopf. Er starrte ungläubig mit Schaufel und Besen in seinen Händen, auf einen mannshohen Berg übelst riechender Exkremente, die gerade ein Turmhohes undefinierbares Etwas mit langem grauem Fell hinterlassen hatte. In diesem Augenblick verfluchte sich Igor selbst, für seine Wünsche. Groooße Tiere wollte er versorgen. Gefääährliche, beeindruckende Tiere wollte er versorgen. Das hatte er nun davon. Er sehnte sich nach den Meerschweinchen zurück... . Nun denn, aber er war Russe. Und für einen Russen ist keine Aufgabe zu schwer, richtig? Russen wussten was Leiden und Entbehrungen bedeuteten. Trotzdem waren sie ungebrochen. Igor seufzte, krempelte sich die Arme hoch und begann zu schaufeln.

Im Festsaal oben krochen gnomartige türkisfarbene Zwerge mit sechs Gliedmaßen die Wände entlang. Eine doppelt so großer oranger Käfer mit in der Luft hin und her wedelnden Fühlern, folgte ihnen wie Pacman und schnappte sich schließlich einen um ihn mit seiner Beißzange zu zerteilen und zu verspeisen.Woraufhin die übrigen kleinen Gnome flüchteten und sich allesamt in Windes Eile unauffindbar verkrochen.

In einer Ecke des Saals stand eine etwa Achtköpfige Gruppe Touristen in kurzen Hosen und bunten Hemden. Die meisten von ihnen hatten Fotoapparate in den Händen, waren aber viel zu perplex und verängstigt um Aufnahmen zu machen oder sonst wie zu reagieren. Nur ein vielleicht Vierzehnjähriger Junge der Gruppe brachte ein bewunderndes:

"Cool!" heraus.

Ein flaches blinkendes, mit bizarren Ecken und Kanten versehenes Raumschiff glitt plötzlich an den Fenstern vorüber. Es kratzte dröhnend und quietschend die Außenmauer entlang, riss ein Loch in die Wand und ließ einen der kleineren Türme einstürzen, bevor es sich schleunigst in Richtung Himmel aufmachte und in den Weiten verlor. Zwei übel aussehende Hünenhafte Normannen näherten sich jetzt Josephiné die noch Vier Meter von Elise entfernt war. Sie erhöhte ihr Tempo um ihr schnell in die Arme fallen zu können.Beide Krieger waren offenbar aus einem wilden Schlachtengetümmel gerissen worden und schlugen immer noch auf alles ein, was nicht wie sie selbst aussah. Der eine der beiden schwang seinen mächtigen Kriegshammer genau in dem Moment als Josephine den Nordmann geduckt passieren wollte. Sie versuchte auszuweichen, als der Hammer auf sie zu raste. Sie konnte sehen das dunkles und helles Blut an ihm klebte und ein fast schon anmutig schönes, glänzendes Muster auf den metallenen Kopf der beidhändigen Kriegswaffe zauberte. Der Hammer traf sie an der linken Schläfe. Sofort drückte sich der Schädelknochen an dieser Stelle um einige Zentimeter nach innen. Ihr Gehirn wurde gequetscht und zerstörte zunächst “nur“ ihre sämtlichen Erinnerungen, selbst die, die ihr sagen würden wie man die Toilette benutzt. Eine Millisekunde später hatte sich ihr Sprachzentrum für immer verabschiedet. Dann ging sie zu Boden ( - still - ) Das Blut quoll aus der Öffnung in ihrem Schädel und zugleich strömte es in die anderen Bereiche des Gehirns.Alles was Josephine je gewesen war verschwand mit jedem Tropfen Blut und jedem zuckenden, kämpfenden, erlischenden Nerv. Josephine starb.

...

Elise stand nur da. Sie war paralysiert. Eingefroren in einem stummen Schrei der Verzweiflung.

Der Herr riss jetzt schäumend vor Wut den Dolch aus seiner Tasche. Noch immer rang er mit Drago am Boden.Plötzlich rollte er sich mit Schwung herum und jagte den Dolch, dem überraschten Drago direkt in die Brust. Dragos Mund klappte auf. Er war nicht einmal mehr in der Lage aufzuschreien. Der Dolch hatte seine Hauptatterie zerfetzt. Sein Lebenssaft floß mit den letzten Schlägen seines Herzens in seinen Bauchraum. In seinem allerletzten lebendigen Moment flogen Dragos Augen zu Elises. Sie sagten ihr: „Ich liebe Dich“. Elise schrie und weinte nun gleichzeitig auf.

Alles was ihr etwas bedeutete wurde gerade mit einem mal vernichtet. Sie wünschte sich in diesem Moment selbst nichts mehr als den Tod.

Der Herr sprang auf, ließ ein irres höhnisches Lachen erschallen und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Elise`.

"Jetzt bist du dran!" schrie er und setzte sich zielgerichtet und schäumend vor tobender Wut, scheinbar völlig unberührt von dem was um sie herum abging,in Bewegung.

In genau diesem Augenblick öffnete sich der Riss hinter dem Mann in Schwarz und es erschienen Jacques und Vigil. Jacques stürmte sofort in Josephine´s Richtung, wobei er den Mann in schwarz einfach, mehr versehentlich, über den Haufen rannte. Der stolperte und stieß mit dem Kopf gegen einen der langen Tische. Benommen rappelte er sich hoch und torkelte ein wenig belämmert umher.Jacques erkannte in diesem Moment das ganze Ausmaß des Geschehens.

"Oh großer Gott, wir sind zu spät gekommen. Nein! Bitte! Meine Josephine`." Er sah sie blutend und leblos am Boden liegen. Er lief weiter. Dicht gefolgt von Vigil, der nebenbei die ihnen den Weg versperrenden Normannen, je einen mit einer seiner Fäuste packte, sie in die Luft hob und mit den Köpfen zusammenstieß. Er ließ die beiden schlaffen Körper darauf hin gleich wieder achtlos zu Boden fallen und lief weiter.

Der orange Käfer näherte sich plötzlich sehr rasch dem laufenden Jacques, der jedoch nur seine Josephine sah. Bedrohlich schnappten seine Beißscheren auf und zu. Vigil warf ihm einen strengen Blick zu und machte:"Sch!!!".

Das Insekt verzog sich sofort gen Decke.

Jacques war inzwischen bei Elise und seiner Frau angelangt.Er hockte sich dazu und nahm seine Frau in die Arme. Er sah in ihre Augen und wusste dass sie tot war.

Elise weinte stumm vor sich hin.

Jacques griff nach Josephinés kalten Händen und stammelte:

"Es tut mir so leid! Ich war nicht schnell genug! Nur ein bisschen eher und..." Nun weinte auch er.

"Wir sollten vielleicht früher wiederkommen." fiel ihm Vigil ins Wort.

Jacques drehte sich blitzschnell zu Vigil herum und wollte ihn tatsächlich erschlagen, oder es zumindest versuchen. Bis er erkannte was Vigil meinte. Er strahlte ihn an. Er griff nach dem dicken quadratischen Schädel und küsste ihn auf die Stirn.

"Das ist es!“ jubilierte er. Ich liebe dich du großes Silbergraues...Was auch immer du bist. Na los!"

Er sprang auf und lief mit Vigil zusammen zurück zu dem Riss. Elise schrie ihnen hinterher.

"Jacques! wo willst du denn hin. Lass mich nicht alleine! Bitte, Jacques!" Jacques stoppte abrupt. Er hastete zurück zu Elise, nahm ihre Hände in Seine und sah ihr ganz tief in die Augen. Dann sagte er nur: „Vertrau mir Elise! Alles wird gut."

Dann sprang er wieder auf, rannte zu Vigil, der schon am Riss stand. Beide schritten hinein und verschwanden. Der Riss schloss sich und ließ Elise mit ihrer toten Schwester, ihrem toten Geliebten und der Hölle auf Erden Mutterseelenallein zurück.

 

*

 

Im Gang schritt Vigil zu einem Streifen und sagte:

"Das dürfte genügen."

Jacques öffnete ihn und steckte den Kristall zurück in seine Tasche.

Sie erschienen auf dem Schlosshof, gleich vor dem Eingangstor des Schlosses. Vigil und Jacques stürmten los. Vigil stieß die mächtige Tür auf, als wäre sie eine niedliche Saloon-Schwingtür. Beide rannten die große Treppe hinauf. Die etwas kleineren, aber immer noch massigen Türen zum Festsaal flogen dank Vigils Fäuste einfach komplett aus den Angeln. Als Drago gerade auf dem Herrn landete, befanden sie sich schon im Laufschritt auf die beiden zu.

Der Kristall löste sich jetzt durch Dragos Tritt aus der Hand des Herrn und flog in Richtung des Fensters.

Elise sah zu Josephiné und umgekehrt. Jacques rief so laut er konnte:

"Elise! Fang den Gottverfluchten Kristall! Los beweg dich!"

Elise sah zu Jacques hinüber und folgte mit den Augen seinem deutenden Finger. Sie unterließ jedes Nachdenken, jedes sich fragen warum und wieso, und spurtete los. Doch so sehr sie auch ihre Beine antrieb, sie würde es niemals schaffen den Schlüssel zu erreichen bevor er das Fenster durchschlagen würde. Das sah auch Jacques und hielt sich verzweifelt beide Hände seitlich an den Kopf. Da sprang plötzlich etwas von rechts durch die Luft. Wie ein Geschoss flog es in Richtung des fliegenden, sich in der Luft drehenden Kristallschlüssels. Das Geschoss war grau getigert und hatte gerade den Sprung ihres Lebens gemacht.

 

 

*

 

Chou Chou war es langweilig geworden. Zuerst hatte sie sich eine kleine Pfütze gesucht und ihren Durst gestillt. Dann war sie ein wenig über die Schlossmauern balanciert. Die Wölfe zu beobachten, hatte sie eine halbe Stunde beschäftigt. Und die Maus, weitere Fünfzehn Minuten. Nun war ihr langweilig. Sie trottete vor der großen Tür des Schlosses auf und ab, bis sie sich schließlich an die Seite gehockt hatte um ihr Fell ein wenig zu pflegen. Dann wurde sie erschrocken. Rasch war sie hinter einen alten halb zerfallenen Blumenkübel neben der Tür geflüchtet. Vorsichtig hatte sie um die Ecke gelugt und verdutzt festgestellt, dass ein weiterer dieser leuchtenden Risse erschienen war. Diesen würde sie sicher nicht betreten. Das letzte mal war sie lange umher geirrt. Außerdem war hier ihre liebe Frau. Die beiden Männer die aus dem Riss stiegen, schienen es sehr eilig zu haben. Jedenfalls war sie dankbar, dass sie ihr die Tür geöffnet hatten. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es gut wäre den beiden zu folgen. Schnell zu folgen.

Und Chou Chou rannte.

Die Treppe hinauf.

In den Saal.

Chou Chou sah das heillose Durcheinander und hörte den einen der Männer schreien. Er schrie „Elise!“ ( - Meine gute Frau - ) Chou Chous Augen flogen von dem Mann der gerufen hatte, zu Elise. Alles in ihr wollte zu ihr..., aber Halt!... Die Augen ihrer guten Frau sahen nicht zu ihr, und auch nicht zu dem Mann der nach ihr gerufen hatte..Wo sah sie hin? Chou Chous wache Blicke flogen weiter durch den Raum. Von Elise zu dem Schlüssel.

Was dann folgte, war eine Höchstleistung, und es schien als wäre sie genau für diesen Moment gemacht, und irgendwie war sie das wohl auch. Mit einem Satz war sie auf dem langen Tisch. Ihre Pfoten flogen über die Tafel. Dann setzte sie an und sprang den Sprung ihres Lebens. Weit streckte sie ihre Pfoten nach vorne. Die Krallen schossen hervor. Ganze Fünf Zentimeter vor der bunten Glasscheibe durchbrach sie die Flugbahn des Schlüssel und lenkte ihn exakt in Elises Richtung, die von neuer Hoffnung erblüht, alles gab um ihr Ziel nun doch noch zu erreichen.Im letzten Augenblick fing sie den Schlüssel indem sie sich in einem Hechtsprung nach vorne warf. Sie landete unsanft auf dem Fußboden, den Kristall weit von sich gestreckt. Sie stöhnte. Ihr Hüftknochen randalierte und ihre Schulter schickte ein dumpfes Stechen hinzu. Aber der Kristall war heil geblieben!

Der Herr fluchte lautstark und griff nach dem Messer.

Er hob es um Drago, der zu Elise blickte, den tödlichen Stoß zu versetzen.

Da entfuhr dem Mann in Schwarz ein Schmerzensschrei.

Sein Arm knackte so deutlich hörbar, das es ein kleines Echo am anderen Ende des Saals gab. Das Messer glitt aus seiner Hand, Sabber lief sein Kinn hinab und er jammerte japsend .

Vigil hielt den wimmernden Herrn an dem gebrochenen Arm ein Stück über dem Boden.

"Na na na! Böser Mann!" sagte er zu ihm.

Der Herr starrte ihn an. Panische Angst gesellte sich zu seinen Schmerzen.

Jacques hielt Elise beide Fäuste mit hochgerecktem Daumen entgegen, um ihre sportliche Höchstleistung zu würdigen. Er rannte zu Josephine hinüber, nahm sie im Lauf in seine Arme und vollzog mit ihr eine volle Drehung. Glücklich schauten sie sich in die Augen und küssten sich.

Josephiné liefen Tränen die Wangen hinunter. Allerdings waren es Freudentränen.

"Oh Jacques! Endlich sehe ich dich wieder! Ich wusste dass du lebst!" schluchzte sie. Im Nu fing sie sich jedoch wieder und da sie ihren geliebten Ehemann nun wieder hatte raunte sie ihn mit vorwurfsvollem Blick an:

"Wo warst du so lange? Weißt du was ich alles Schreckliches durchmachen musste, während du durchs Schloss gelustwandelt bist?"

Er umarmte sie schnell wieder, damit sie nicht sehen konnte, dass er hinter ihrem Rücken einen Moment lang sein Gesicht verzog als sei er übergeschnappt und die Hände zu Krallen verkrampfte als müsste er dringend jemanden erwürgen. Er würde ihr seine Geschichte später erzählen.

Zunächst war es das Schönste, das sie sich wieder hatten.

Sie waren glücklich.

Elise hatte sich inzwischen aufgerappelt hatte Chou Chou gestreichelt und geküsst, was von der Katze freudig erwidert wurde. Nun war sie aufgesprungen und zu Drago gelaufen. Auch dieses Paar lag sich jetzt in den Armen und küsste sich. "Recht guter Fang!" sagte auch Drago zu Elise.Elise grinste stolz und rieb sich ihre schmerzende Hüfte. „Ich kümmere mich nachher um deine Schmerzen im Hüftbereich.“ flüsterte er ihr augenzwinkernd zu. Elise wurde rot und lächelte Drago verliebt zu. „Hey, Chou Chou.“ rief Drago. „SUPER-SPITZEN-Fang!“ Elise zog eine lustige Schnute und streckte ihrer Katze grinsend die Zunge raus. Drago küsste sie lachend.

Am Ende standen die Vier zusammen. Drago wurde den anderen vorgestellt und man schwatzte ein wenig drauf los.

Bis Drago sich besann und sich zu Vigil herumdrehte, der nach wie vor mit dem jammernden, so gar nicht mehr furchteinflößend und herrisch aussehenden Mann in seiner Hand, schweigend da stand. Drago verbeugte sich vor dem Großen und sagte:

"Ich möchte euch danken! Ihr aus einer fremden Welt habt mir und wahrscheinlich uns allen das Leben gerettet. Ich werde ewig in eurer Schuld stehen. Solltet ihr je meine bescheidene Hilfe benötigen, so ruft mich und ich werde kommen. Dies verspreche ich euch bei meiner Ehre!"

"In Ordnung." erklang die tiefe Stimme ( - Jacques grinste los - ) und ließ ein leicht peinlich berührtes Lächeln folgen. Wobei er, erfreut über das Lob, seinen massigen Körper schüchtern ein wenig von einem Fuß auf den Anderen hin und her schaukeln ließ. Die Beine des Mannes in Schwarz schlugen dabei immer wieder unkontrolliert gegen die Platte des Tischs der neben Vigil stand. Das daraus resultierende:

"Oah! …Au! …Ah!" fand jedoch keinerlei Beachtung durch die Anwesenden.

Vigil ging jetzt zu Elise und sprach:

"Gutes Mädchen. Ihr müsst Vigil den Schlüssel geben. Er muss an einem anderen Ort vernichtet werden."

Elise sah ehrfurchtsvoll zu ihm auf, während Chou Chou ihm schnurrend um die mächtigen nackten Knöchel strich.

"Auch ich möchte euch danken! Für die Rettung und dafür das ihr mir gezeigt habt das man nicht nach dem Äußeren urteilen sollte. Ich gestehe dass ich zunächst furchtbare Angst vor euch hatte. Ich hielt euch für einen schrecklich bösen Dämon als ihr erschienen seid, so wie den dem ich bereits begegnet bin."

Sie reichte Vigil den Kristall.

Er nahm ihn in die freie Hand.

Vigil ging zu Jacques. Beide standen sich einen Moment sprachlos gegenüber. Jacques grinste Vigil an. Der grinste zurück. Jacques breitete seine Arme aus. Vigil hängte den zappelnden Herrn am Kragen seines Mantels einen Moment an einen Kerzenständer der aus der Wand ragte, wo er resigniert, mit verschränkten Armen, vor sich hin baumelte.

Er nahm Jacques in die Arme und sagte:

"Freund!"

"Joh,´s goht. Doh ouch Froihnd. Obeh lohs möhch jötz lohs.

öhch kröihge koine Loft möhr!" krächzte Jacques gepresst.

Vigil löste die Umarmung.

"Du musst jetzt gehen, hm? Auftrag ausgeführt, Jagt beendet, was?" fragte Jacques ein wenig betrübt

Vigil nickte.

"Dann lass es dir wohl ergehen Vigil. Wer weiß, vielleicht werden wir uns irgendwann mal wieder sehen." sagte Jacques.

"Ich, weiß!" antwortete Vigil mit nickendem Kopf. Und Jacques nickte zurück. Inzwischen wusste er worauf man bei Vigil achten und hören sollte. ER wusste. Ja, das tat er wohl...

Der Wächter der Zeit schnappte sich den Herrn wie eine im vorbei laufen von der Garderobe gerissene Jacke und verschwand mitsamt dem Kristallschlüssel in dem Riss.

Kurz darauf schloss er sich und mit einem lauten Zischen, gefolgt von einem letzten "Srrrt!" verschwand auch der schwarze Streifen den der Mann in Schwarz hier errichtet hatte, für immer.

 

*

 

Vigil marschierte im Gang zu einem Streifen in einem der Nebengänge und öffnete ihn.

Er warf den Herrn hinein. Dieser schwebte nun, ohne sich rühren zu können, wie gelähmt in einem Raum mit einer weißen Aura.

"Mach schön Sitz!" sagte Vigil zu ihm und schloss den Riss wieder.

Vigil hatte noch etwas zu regeln. Etwas um die Ordnung für jemand anderes wieder herzustellen.

Er lief zu einem weiteren Streifen, diesmal wieder im Hauptgang.

Vigil konzentrierte sich. Er schloss die Augen und murmelte für Menschen unausprechliche Worte aus uralten Zeiten. Kleine goldene Partikel tanzten um seinen quadratischen Kopf herum.

Nun trat er hindurch.

Gleich darauf erschien er wieder mit einem großen, in Stoff gehüllten Bündel über der Schulter. Er stapfte den Gang entlang.

 

*

Chicago, USA, 2008

Am Abend zuvor war Vallerie früh zu Bett gegangen. Sie hatte noch bis ca. Einundzwanzig Uhr mit Grace geredet.

Über Kleider und Hosen, über Blumen und Spülmaschinen hatten sie bei einem Glas süßem Wein gesprochen. Das war ein schöner entspannter Moment den Vallerie sehr genossen hatte. Sie war jedoch rasch müde gewesen. Dieses Land war ungeheuer anstrengend. Vallerie hatte allen Frauen Gute Nacht gesagt, und Jacky hatte sie dabei fest gedrückt. Dann ging sie auf ihr Zimmer und warf sich aufs Bett.

Die Frauen waren alle sehr nett zu ihr, dachte sie freudig, aber ihr fehlte ihre Heimat unendlich. Hier stürzte ständig alles Mögliche über sie hinein. Sie sehnte sich nach ihren Schafen und den Hunden. Sie waren versorgt, Gottlob, aber... ( - ...wenn sie nie zurück käme?... - ). Ihre Nase verlangte nach dem Geruch von Heu und Regen. Sie wollte das Gras unter ihren Füßen spüren. Das Kribbeln, wenn die nassen Halme am Morgen sie bis in die Haarspitzen wach kitzelten. Die Sonne ging ganz langsam hinter dem Berg auf und alles sah aus wie im Himmel... . Sie schaffte es nicht einmal mehr sich die Schuhe auszuziehen. Schon war sie eingeschlafen.

In der Nacht träumte sie einen seltsamen Traum.

Ein Viereckiger, großer grober Kopf, der silbrig glänzte starrte sie aus schwarzen Pupillen an. Doch sie verspürte keinerlei Angst. Im Gegenteil, sie fühlte sich so behütet wie noch nie in ihrem Leben zuvor.Dann schwebte sie durch schwach lila leuchtende Gänge. Hier verlor sich der Traum.

 

*

 

 

 

Poch poch poch!

"Vallerie?! Du Schlafmütze. Es ist bereits Elf und du bist gestern schon um Neun ins Bett gegangen. Wenn du jetzt nicht aufstehst bekommst du kein Frühstück mehr, Süße!"

rief Jacky durch die geschlossene Tür.

Keine Reaktion.

Poch poch poch!

"Vallerie?"

Langsam öffnete Jacky die Tür.

"Ich komme jetzt rein, okay?" schickte sie voraus.

Sie stieß die Tür ganz auf.

"Oh? Vallerie? Scheiße! Sie ist weg!"

Jacky drehte sich im Kreis. Das Fenster war geschlossen. Auch auf der anderen Seite des Bettes lag sie nicht auf dem Fußboden ( - ...hätte ja sein können... - )Sie stürmte wieder aus dem Zimmer und rannte die Treppe hinunter, wobei sie die letzten Drei Stufen übersprang. Sie überlegte ob sie das Abschließen vielleicht gestern Abend vergessen hätte.

Sie rannte zur Vordertür.

Nein, alles zu!

Auf zur Hintertür.

Auch verschlossen.

Jacky kontrolliert sämtliche Fenster im ganzen Haus.Nein, unmöglich. Nachts waren alle Türen und Fenster mit Alarm gesichert. Und die Anlage war eingeschaltet, wie sie gerade kontrolliert hatte.Eigentlich für Eindringlinge von Draußen..., aber sie wäre natürlich auch los gegangen, wenn jemand sie von Innen passiert hätte.

Es stand auch nirgends etwas offen. Alles war abgeschlossen und gesichert wie es in einer solchen Einrichtung üblich war.

Sie marschierte durch das Haus wie ein eifriger Gefängniswärter bei einer überraschenden Zelleninspektion. Nacheinander stieß sie die Zimmertüren der anderen Frauen auf und weckte sie lautstark. Zehn Sekunden später liefen, krochen und kletterten Vier mehr oder weniger bekleidete Mitglieder eines Suchtrupps durch jede Etage und jeden Winkel des Hauses.

Nichts! Die Frauen standen sich ratlos gegenüber.

Vallerie hatte sich in Luft aufgelöst. So sonderbar wie ihr Auftauchen, so war auch ihr Verschwinden gewesen.

 

*

 

Aetas Vigil kam zurück zu dem Raum in dem der Herr immer noch schwerelos umher hampelte. Er hatte versucht einen Ausgang zu finden, fand jedoch nirgends Halt und prallte nur ständig wieder von den Wänden ab um wie ein Püppchen durch die Luft zu segeln.

Als Vigil den Riss öffnete schwebte der Mann ohne sein Zutun auf den Wächter zu. Dieser schnappte ihn sich und trug ihn unter seinen Arm geklemmt davon, wie einen jungen Hund den man die Treppe hinaufträgt da seine zarten Knochen und Gelenke geschont werden sollen bis sie sich richtig ausgebildet haben. Und genau wie der kleine Welpe dabei mit seinen Beinchen in der Luft herum zappelt, zappelte auch der Mann in Schwarz mit seinen Gliedmaßen herum als er davon geschleppt wurde.Der “Herr“ hatte Angst.

Er sah seinen Tod nahen. Ja, er war sich sicher, dass sein Ende gekommen sei. Das schlimmste war, die Angst davor fraß

ihn langsam auf. Er hatte sehr vielen Menschen und anderen Lebewesen Leid und den Tod gebracht. Die Vorstellung selbst leiden und sterben zu müssen konnte er nicht ertragen. Er wünschte es würde schnell geschehen. Schnell und Schmerzlos.

Sofort!

Doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht.

 

-

 

Er wurde nun schon seit Stunden umher geschleppt. Seine Arme und Beine ließ er hängen, genau wie seinen Kopf. Sein Mund war trocken wie altes Leder. Selbst wenn ihn sein in die Tiefen des Wahnsinns abgleitendes Gehirn,zu irren Schreien oder verzweifeltem Gelächter überreden würde, hätte er keinen Laut über seine verdorrte Kehle bekommen. ( - Wasser, oder der Tod... - )Immer tiefer drang Vigil mit ihm in das Labyrinth der Gänge ein.

Endlich! Nach einer Ewigkeit stoppte er seinen langen Marsch. Er stand vor einem grell leuchtenden lila Tor.

Es war so groß und imposant, dass das Tor des Schlosses dagegen wie die Tür zu einem Geräteschuppen aussah.

Das Tor öffnete sich ohne einen Laut von selbst, als sie es erreicht hatten. Sie passierten es und es schloss sich ebenso lautlos wieder hinter ihnen.

Vigil setzte den Herrn vor Zwei grellen Lichtern ab, die ihm wie Sonnen entgegen strahlten. Erkennen konnte er niemanden, doch der Wächter sprach zu den Lichtern.

"Mutter! Vater! Ich habe den gefunden der eure Wege beschritten und eure Gesetze gebrochen hat. Hier ist er! Und hier ist der Schlüssel den er benutzt hat."

Er stieß den Herrn zu Boden und hielt den Kristallschlüssel in der offenen Hand nach oben.

Der Schlüssel schwebte zu einem der Lichter und verschwand darin. Dann erklang eine weibliche Stimme.
"Schön das du wieder da bist lieber Sohn. Wir freuen uns und sind stolz auf dich."

Aus dem anderen Licht ertönte eine dunkle Stimme.

"Ja, das sind wir mein Sohn. Du hast die ganze Zeit über gut und gerecht gehandelt. Du hast es dir verdient von nun an kein Vigil mehr zu sein und fortan an unserer Seite zu sitzen um mit uns zu richten was getan werden muss um das Gefüge von Zeit und Raum zu wahren." verkündete die dunkle Stimme.

Vigil trat wieder, ein wenig verlegen von einem Bein aufs andere.

"Ich bin geehrt Vater...“ begann er zögerlich. „Doch...Verzeiht! Mir wäre es lieber meine Stellung als Wächter zu behalten. Mein Auftrag hat mir Freude bereitet. Auch die Begegnungen die ich hatte waren angenehme. Ich denke sogar..., ja, ich habe einen Freund gewonnen, und noch andere liebe Menschen sind mir begegnet. Ihr hattet recht, das es viele viele böse Menschen gibt, ohne Respekt vor dem Leben, und ohne Liebe. Doch ein paar wenige sind anders. Für sie möchte ich das Gleichgewicht der Zeit weiter verteidigen und wahren. Wenn ihr erlaubt." schloss er.

"So soll es sein wenn das dein Wunsch ist lieber Sohn."

antwortete seine Mutter."

"Aber nun komm erst einmal und begrüße deine Geschwister. Sie haben dich vermisst." fügte sein Vater hinzu.

Vigil lächelte und begab sich hinter die Lichter.

Der Herr kauerte unbeweglich am Boden und wartete etwas entnervt darauf, dass die sentimentalen Spirenzchen nun endlich ein Ende fanden und man ihm in Gottes Namen ( - Ups..., ja, da würde er sicher keinen Einspruch erheben... - )endlich den Schädel wegpusten, oder ähnliches vornehmen sollte. Offensichtlich stand er vor einem “Familiengericht“ Und die Richter waren Götter die über die Mächte wachten mit denen er gespielt hatte. Nie hätte er die Existenz solcher Daseinsformen für möglich gehalten. Jeden der ihm davon erzählt hätte wäre von ihm ausgelacht worden. Nun hob er den Kopf und bereitete sich auf den Tod vor.

Die dunkle Stimme ertönte.

"Du! Du hast Zeit und Raum benutzt um Lebewesen zu quälen und zu vernichten. Du hast die Gänge benutzt um dich zu bereichern und andere zu bestehlen."

Die gewohnte von sich selbst eingenommene Hochnäsigkeit war ganz und gar von dem Mann gewichen und hatte sich in anbiedernde Ehrfurcht gewandelt.

"Ich weiß, und ich bitte um Verzeihung. Es war mir nicht bewusst dass ihr darüber befehlt. Ihr...Wie soll ich euch nennen?"

"Nennt mich einfach Herr! Denn das werde ich für den Rest deiner Zeit sein. Dein Herr! So wie du der Herr für so viele andere warst. Du wirst mir gefügig sein."

"Ja...ähm...Herr! Aber was soll ich für euch tun? Ich werde..."

"Schweig!" fuhr die Stimme ihn an und in diesem Augenblick schloss sich der Mund des Mannes. Er konnte ihn nicht mehr öffnen. So sehr er es auch versuchte.

Die Stimme fuhr fort.

"Ich schicke dich dahin, wo die sind die du auf dem Gewissen hast. IHNEN wirst du dienen! Ihnen wirst du jeden Wunsch erfüllen und sei er noch so absurd und schmerzvoll für dich!"

Dem..., ( - Saranen - ) Mann in Schwarz stockte der Atem und sein Herz schien stehen zu bleiben. Plötzlich sah er Hassan vor sich, und er wusste zu was für bestialischen Quälereien er schon zu Lebzeiten fähig gewesen war. Plötzlich wurde dem Mann in Schwarz etwas bewusst. Und jetzt konnte selbst seine zerkratzte Kehle wieder lachen . Laut und völlig irre. Ismael Reginald Thorogood, der Mann in Schwarz, der “Herr“ ( - der Sarane - ) war längst Tod. Er war auf dem Weg in die Hölle. Und auch die, wie den ganzen anderen Mist um ihn herum, gab es wirklich. Ja, die Hölle gab es, und er ging ein letztes Mal durch einen lila leuchtenden Riss. Er tat sich genau unter seinen Füßen auf, und dann fiel er. Hinab in die Dunkelheit, in die Kälte.In das, wozu jede Welt wird, wenn es keine Liebe mehr in ihr gibt.

 

 

*

 

 

 

 

Vallerie wurde durch ein überraschendes komisches, aber irgendwie sehr bekanntes Fiepen und dem Gefühl das man ihr das Gesicht mit einem nassen Lappen wusch, geweckt. Eine Wolke frischen Pansens wurde ihr entgegen gerülpst.

Langsam öffnete sie die Augen und konnte ihr Glück kaum fassen. Sie legte freudig gerührt die Hände vor ihren Mund.

" Borzas! Morzsa!"

Vallerie setzte sich auf und Freudentränen schossen ihr in die Augen. Sie tollte und wuselte mit den beiden Hunden umher bis sie erschöpft war. Die wedelnden Tiere standen vor ihr und strahlten sie vergnügt an.

"Oh, ihr armen. Ihr seid ja ganz abgemagert! heute bekommt ihr ein Festmahl. Das verspreche ich euch. Ich laufe flink zum Dorf und hohle euch vom Schlachter ein riiiiesiges Stück Fleisch. Mit Knochen natürlich. Lasst mich nur kurz nach der Herde sehen."

Sie lief zu ihren Schafen hinüber und überschaute die Herde.

"Könnte sein das das eine oder andere fehlt, aber es sollten fast alle da sein und sie sehen gut aus. Brav Morzsa! Brav Borzas! Ihr seid gute Hütehunde. Die Besten!

Sie streichelte jedem der beiden noch einmal über den Kopf, wies sie an zu bleiben und marschierte Richtung Dorf.

Es war kein weiter Weg.Ihr Winterquartier lag nur gute Zwanzig Minuten vom Ort entfernt. Vallerie war voller Glück. Wie sie hierher zurück gekommen war? Es kümmerte sie nicht. Nicht wirklich. Manchmal geschehen Dinge einfach und es war gut. Mutter Balasc hatte das immer gesagt. Und Mutter Balasc war besonders. Sehr besonders... .Die Begegnung mit den Frauen in dem schrecklich lauten Land, in der furchtbar stinkenden Stadt, würde sie nie vergessen. Die Qualen durch die bösen Männer ebenso wenig. Aber jetzt wo sie wieder hier war, den Wind in den Haaren spürte, der nach Kiefernnadeln und Wiesenkräutern, nach Quellwasser und , - sie grinste -, nach Bärenkacke, roch. Sie war Zuhause, und es ging ihr gut. Das Leben konnte weiter gehen. Aber sie hatte noch eine Rechnung offen. Oh ja, heute würden Schulden eingetrieben werden. Ihre Fäuste ballten sich und von der Wade bis zu den kräftigen Pobacken, spannten sich alle Muskeln, und machten sich zielstrebig auf den Weg ins Dorf.

 

*

 

Josephiné und Elise schritten gemeinsam,Hand in Hand unaufhörlich erzählend die Treppe hinunter in die Vorhalle.

Jacques und Drago folgten nicht weniger redselig, nur nicht Hand in Hand. Die beiden Männer waren sich auf Anhieb sympathisch.

Plötzlich blieb Drago stehen.
"Oh! Bevor wir diesen gastlichen Ort verlassen muss ich noch ein mir selbst gegebenes Versprechen einlösen.

Dazu muss ich allerdings alleine hinausgehen. Seid so gut und wartet hier bis ich wieder hineinkomme.“ sagte er an und verschwand. Die Anderen blieben Schulter zuckend zurück und warteten. Drago würde schon seine Gründe haben.

Er lief nach draußen in den Innenhof und schloss die Tür hinter sich.

Drago ging hinüber zu den Käfigen. Er stieg auf sie hinauf und öffnete bei einem nach dem anderen die Riegel.

Die verstörten Tiere traten erst langsam, verunsichert, mit den Körpern vor und zurück zuckend, die Nasen in der Luft, aus ihren Gefängnissen heraus.Der Größte der Wölfe musterte ihn misstrauisch, wie er da oben hockte. Drago schaute zur Seite und rückte noch ein Stück vom Käfigeingang weg.

Mit einem Mal setzte das Leittier zum Lauf an. Er rannte los zum offenen Schlosstor. Die anderen, die nur auf dieses Kommando gewartet hatten, folgten ihm eiligst.Kein Laut drang aus ihren Mäulern. Am Schlosstor wartete der große Wolf bis alle Rudelmitglieder hindurch waren. Dann schickte er einen kurzen Augenblick zu Dragos Augen ( - Danke - ) und verschwand.

Drago ging zurück zu den anderen und erklärte sich kurz. Elise küsste und herzte ihren Geliebten dafür stolz.

Jacques war gerade dabei die halbverhungerte Josephiné mit den Bananen aus seiner Tasche zu füttern. Schließlich packten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und machten sich auf den Weg. Zunächst zu Dragos Hütte um etwas Ruhe zu finden. Am nächsten Tag allerdings sollte es, -darauf bestand Elise unwiderruflich-, nach Bukarest gehen. Schließlich war sie deswegen von zu Hause aufgebrochen.

Drei Paar rollende Augen standen Elise dabei gegenüber. Aber dann lachten alle und nahmen die schmollende Elise in die Arme. Sie würden ihr ihren Wunsch erfüllen.

 

*

Der Morgen graute noch nicht ganz. Die Welt lag noch unter Schleiern, und nur gemächlich schickte sich der Tag an ihn zu entfernen und zu beginnen.

Vallerie ging über die abgefressenen Weiden ins Dorf, so dass sie es vom zurück liegenden Teil betrat. Das war von ihrer Scheune aus der kürzeste Weg. Selbstbewusst sprang sie über das kurze Gatter an der Dorfmauer, ging die schmale Gasse zwischen den windschiefen kleinen Behausungen der weniger gut betuchten Bewohner entlang und marschierte dann geradewegs über die, vom vielen Regen in den letzten Tagen, schlammige Dorfstraße in Richtung Dorfplatz. Es war kaum jemand zu sehen und die wenigen die da waren,waren beschäftigt. In Bälde würde der Markt aufmachen und dann sollte alles so hergerichtet und platziert sein, dass man gar nicht umhin konnte möglichst viel der dargebotenen Feldfrüchte zu erwerben. Vallerie registrierte ein kleines mürrisches Knurren unterhalb ihrer Brust ( - Der muss warten. - ).Niemand nahm Notiz von ihr.Sowieso hatte wahrscheinlich niemand erfahren dass sie weg war.Schließlich war sie nicht gerade das beliebteste Mitglied der Dorfgemeinschaft. Das waren Zigeuner nie. Auch

nicht, wenn sie bereits seit Jahren hier lebten und blieben.

An einer Ecke stand Mutter Balasc. Sie grinste sie fröhlich mit ihrem fast zahnlosen Mund an und zwinkerte ihr zustimmend zu. Vallerie blickte in die Augen der Alten und musste nicht fragen wofür diese Zustimmung war.

Sie kam an den Dorfplatz. Vallerie blieb vor der Taverne kurz stehen und betrachtete sich das alte Gasthaus. Es schien immer mehr zu verkommen und zu verfallen ( - wie sein schäbiger Besitzer... - ). Das Holz der Wände hatte den Anstrich so gut wie verloren und fraß sich langsam selbst auf. Es schien auch nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann das baumelnde Schild mit der Aufschrift „Zum Gehenkten“ herunter krachte, und wohlmöglich eine arme Seele auf dem Weg zu einem billigen Slivovic, erschlug. Der Rost an den Ketten rieselte jedenfalls bei jeder Bewegung die das Schild machte, auf Köpfe und zu Boden, wenn es im Wind schaukelte.

Natürlich waren alle Läden verriegelt und die Tür verschlossen. Es durfte nicht später als Fünf Uhr Morgens sein, und der fette Wirt würde noch selig vor sich hin schnarchen. Der Hass und die Wut über das was dieses Schwein ihr angetan hatte glühte in Vallerie seit sie zurück gekehrt war. Jetzt brannte sie lichterloh. Sie wusste, ihn irgendwo melden konnte sie nicht, wer sollte ihr schon glauben, der Zigeunerin. Und sowieso hatte sie auch keinerlei Beweise gegen ihn. Man würde sie auslachen und fort jagen..., wenn sie Glück hatte. Nein! Es gab nur eines, was dieses Monster verdient hatte, und das würde niemand für Vallerie erledigen. Darum musste sie sich selbst kümmern. Und danach..., ( - Sie hatte ihr zugezwinkert... - ) Danach ist danach, und alles wird gut! Vallerie hämmerte lautstark gegen die verschlossene Tür.

Es dauerte eine Weile bis sie hörte dass der Schlüssel sich herumdrehte. Vallerie umklammerte das scharfe Messer ( - „scharf genug um dir die Haare zu schneiden, junge Dame“, sagte Ryan... - ) schräg hinter ihrem Rücken. Die Tür öffnete sich ein Stück und nach einer atemberaubenden Wolke aus Schnaps und Erbrochenem, erschien die rot geäderte Säufernase und ein nicht weniger rotädriges Auge des Wirtes in dem Spalt. Eine Tonne Blankes Entsetzen explodierte in dem aus seiner Höhle quellenden Auge.Rinnsale von kaltem Schweiß schossen dem Mann aus den Poren und ließen augenblicklich kleine Bäche seine Schläfen herunter laufen. Angst mischte sich unter die Gerüche die durch dem Türspalt ins freie drangen. Sein Körper begann zu beben. Selbst die Tür bebte mit, weil seine zitternde Hand sich an ihr hilfesuchend fest klammerte. Valleries Wut entlud sich. Mit einem schweren Tritt, begleitet von einem Kraft gebendem ( - Kriegs- - )Schrei, flog die Tür nach innen und gab den Blick auf den Wirt frei. Seine fleckigen Sachen, flatterten an ihm, da er bestimmt gute Zehn Kilo abgenommen hatte. Seine Haare standen kreuz und quer in alle Richtungen und in seinem Bart, den er jetzt hatte, klebten gelbliche Essensreste. Und er zitterte. Noch nie hatte Vallerie jemanden gesehen der solche Angst gehabt hätte. Doch, einmal. Aber das war kein Mensch gewesen. Sie hatte einmal mit Ryan einen jungen Hund befreit. Der Besitzer hatte ihn zur reinen boshaften Belustigung angeschafft und ihn täglich zusammen geprügelt. Das arme Tier hatte solche Angst gehabt, dass es nur zitternd in einer Ecke gesessen hatte und sogar unter sich gemacht hatte, als Ryan ihn von der kette befreite und das erste mal anfassen wollte. Und genau das geschah gerade. Vallerie konnte sehen wie sich ein dunkler Fleck an der Hose des Mannes bildete. Warmer Urin lief seine Beine hinunter und sammelte sich zu seinen Füßen in einer dampfenden Pfütze.

 

-

 

Als die Zigeunerschlampe den ersten Schritt in das Haus setzte, erwachte der Wirt aus seiner Schockstarre, drehte sich auf den Fersen um, rutschte fast in seiner eigenen Pisse aus und flüchtete den einzigen freien Weg, nach oben, verschwand in seiner Schlafkammer und schloss von innen ab.

Wie wahnsinnig stammelte er unverständliches Zeug vor sich hin und lief auf und ab. Sein Herz schlug bis zum Hals und er hörte einfach nicht auf zu zittern wie ein beschissenes Kaninchen in der Falle.

( - „Du kannst nicht entkommen“ - )

...was? Wer hatte das gesagt? Hatte das jemand gesagt?... Werde ich verrückt? … Bin ich das nicht schon längst? Der Wirt lachte. Ganz kurz und laut. Dann sah er das rote Haar. Lang und leuchtend rot, hing es an seinem Hemdsärmel. Voller Panik wedelte er es weg ohne es zu berühren. Es fiel zu Boden..., wo ein weiteres rotes Haar auf dem hellen Vorleger lag. Er trat einen Schritt zurück, stieß an die Tür und ein Drittes rotes Haar erschien. Es schien direkt von der Decke gefallen zu sein. Und wieder eines. Es klebte ihm an der Schweißnassen Stirn. Er wischte es voller Ekel weg. Doch es blieb wo es war. Er zitterte noch heftiger, packte es zwischen zwei Finger und zog daran. Das Haar spannte sich, und der Wirt spürte ein unangenehmes Ziehen an der Kopfhaut. Verzweifelt hastete er zur Waschschüssel und blickte in den kleinen Spiegel an der Wand.Sein Magen drehte sich sofort und die letzten Reste seines Abendessens landeten in der Waschschüssel. Auf der Glatze des Mannes spross ein langes rotes Haar nach dem anderen. Er sah, wie sie wuchsen. Und es hörte nicht auf. Es würde niemals aufhören. - Jemand hämmerte an die Zimmertür – Der Wirt sprang förmlich aus dem Türbereich. Er hastete zur Kommode, riss alle Türen und Schubladen auf, bis er ein langes festes Seil heraus zog. Er warf es über einen der oberen Deckenbalken im Raum und zurrte es dort oben fest. Dann legte er sich das andere Ende des Seils als geknüpfte Schlinge um den Hals.Dann ging er noch einmal zurück bis fast an die Tür, rannte los und sprang, mit der Schlinge um den Hals durch das geschlossene Fenster an der Vorderseite des Hauses.Glas splitterte,der Holzrahmen krachte, und alle Marktleute sahen nun doch auf.

Sein Genick brach als das Seil sich spannte und er gegen die Hauswand schlug. Der Wirt war sofort tot. Er baumelte mit heraushängender Zunge an der Wand hin und her. Unmittelbar neben ihm, wie zum Hohn, das Schild mit der Aufschrift: "Zum Gehenkten".

 

-

 

Vallerie hatte das zersplitternde Glas gehört und war sofort wieder nach unten gestürmt.Sie hatte erwartet, dass der Wirt versuchte zu türmen, indem er durch das Fenster flüchtete. Warum auch immer, er hatte offensichtlich tatsächlich unglaubliche Angst vor ihrer Rache.Und die sollte er erhalten, und wenn sie ihn ewig jagen müsste. Dann sah sie ihn. Da hing das Schwein. Seine Glatze glänzte in der Sonne wie frisch poliert. Er war tot. Endlich. Und sie hatte sich nicht einmal strafbar gemacht. Der Idiot hatte es ihr abgenommen. Plötzlich stand Mutter Balasc neben ihr. „Du hast wirklich hübsche Haare Vallerie.“ sagte sie lächelnd. Vallerie sah sie an und lächelte zurück. „Danke Mutter Balasc.“ sagte sie. Beide Frauen standen da und sahen zu wie ein paar der Marktleute Leitern herbei holten und den Leichnam los schnitten. Er plumste zu Boden wie ein Sack Mehl, oder eher Zwei.

„Danke.“ sagte Vallerie, ohne Mutter Balasc dabei anzusehen. Die alte Zigeunerin stubste Vallerie neckisch mit dem Ellbogen in die Seite. Vallerie grinste. „ Vergiss Borzas und Morzsa nicht. Du wolltest ihnen etwas leckeres mitbringen.“ grinste Mutter Balasc zurück. Dann ging sie gemächlich, auf ihren Stock gestützt davon.

Mit zufriedenem Lächeln schritt Vallerie weiter voran, zum Eingang des Dorfes, wo der Schlachter seinen Laden hatte.

Oh, und dann würde sie unbedingt endlich mal wieder in Ruhe ein Pfeifchen rauchen.

Vallerie war zu Hause.

 

*

Am nächsten Morgen beim Frühstück erläuterte Jacques Elise, auf ihr Drängen hin, noch einmal ausführlich das Aussehen und die Bewegungen der schweren Fahrzeuge mit den langen Kanonen und besonders des Fluggerätes an diesem furchtbaren Kriegsort mit dem kleinen Jungen und den vermummten Frauen.

Zu gerne wäre Elise auch einmal in dieser Zeit, an diesem Ort gewesen um es mit eigenen Augen zu sehen. Sie beneidete ihren Schwager sehr, auch wenn dieser ihr immer wieder versicherte, dass es dort äußerst gefährlich gewesen sei.

Sie hatte bloß abgewunken und Jacques noch einmal das Monstrum beschrieben, was dieser wiederum mit seiner „lebendigen“ Insel konterte. So ging es fröhlich erzählend hin und her. Josephine´und Drago tauschten sich während dessen tatsächlich über Rezepte und Kräuterkunde aus. Außerdem zeigte Drago ihr wie man einen Fisch ausnimmt, was Josephine zwar sehr interessant fand, jedoch eher in der Hand ihrer Hausdame belassen wolle. Chou Chou hatte das Zeremoniell des Ausnehmens ebenfalls mit großem Interesse verfolgt. Sie schnappte sich heimlich einen der von Drago fürs Abendbrot gefangenen Fische,ließ das Ausnehmen beiseite und fraß den Fisch lieber gleich komplett bis auf die Gräten auf.

Nachdem sich alle endlich einmal wieder satt gegessen hatten machten sie sich mit Proviant und neuer Kraft auf den Weg.

Nach einer Tagesreise mit Übernachtung im Freien gelangten sie in ein Dorf auf der anderen Seite der Karpaten. Und nach einer holprigen Kutschfahrt, auf der sich die Vier alle gegenseitig weitere Details ihrer Abenteuer erzählten, gelangten Elise, Josephiné, Drago, Jacques und natürlich Chou Chou, schließlich in Bukarest.

Sie sahen viele erstaunliche Erfindungen und hörten von interessanten Neuerungen. Nicht nur Elise hatte ihre helle Freude, aber sie natürlich besonders.

Jeder der dumme Bemerkungen über die von der Wissenschaft begeisterte Elise machte, oder sie belächelte, wurde sogleich von den Drei anderen verbal in Grund und Boden gestampft, so dass er beschämt den Rückzug antrat. Elise platzte vor Stolz, auf so einen schützenden Wall lieber Freunde.

Auf dem Rückweg machten sie wieder Halt bei Dragos Hütte und übernachteten nach einem entspannten Abend am Lagerfeuer.

Am folgenden Tag verrammelte Drago alles und machte seine Hütte Winterfest, wobei alle fleißig mithalfen.

Sie passierten das Haus Alars, wo Drago seine Pläne mit Elise kund tat und ihm den eingelagerten Hirsch vermachte, als Bezahlung für das gestorbene Pferd.

Er versprach für das nächste Jahr einen weiteren Hirsch und legte noch seine Büchse drauf, die zusammen mit dem Zweiten Pferd zu Alar zurückgelaufen war.

Nun begann der lange Weg nach Paris.Doch eine knappe Woche später, hatten sie auch diese Etappe überwunden. Madame Turodon bekam fast einen Herzinfarkt, als sie die Tür öffnete und Elise mit Gefolge vor ihr stand. Ungewiss wer sich mehr erschrak, Elise oder Madame Turodon, als die Haushälterin ihr eine schallende Ohrfeige verpasste.

Zum ersten Mal seit sie in dem Haus tätig war.

Dann nahm sie Elise in die arme und zerquetschte sie fast, vor lauter Glück. Das Selbe blühte allen anderen auch. Sogar den unrasierten großen Kerl drückte sie und letztlich kam sogar die verdutzt drein schauende unbekannte getigerte Katze, die zwischen den Beinen der Menschen her wuselte einen Drücker von Madame Turodon. Durch das Gewese angelockt erschienen Elise und Josephine´s Eltern. Mit Tränen in den Augen fielen sich alle erneut in die Arme. Chou Chou ging vorsichtshalber etwas beiseite. Etwas skeptisch wurde der Mann aus den rumänischen Wäldern zunächst begutachtet. Aber überglücklich über die Heimkehr ihrer Kinder, die ohne die Hilfe Dragos nicht möglich gewesen wäre, hielt sich die erste Abneigung die sie dem “Nicht Standesgemäßen“ Mann entgegen brachten nicht lange.

Schon am Zweiten Abend saß Elises Vater mit Drago am Kamin und sie diskutierten bei einem Kognac über die Jagd.

Sie hatten zu einer spontanen Feier geladen und Madame Turodon tischte auf wie sie noch nie aufgetischt hatte.

Alle Nachbarn und Freunde kamen um die glückliche Heimkehr zu feiern. Jean De Focard saß zu Elises Schadenfreude, nur missmutig Häppchen in sich hinein stopfend in einer Ecke. Jacques tat selbiges mit sehr viel mehr heiterem Vergnügen, und Jeromes Detroux hatte sich unsterblich in Drago verliebt. Er umschwärmte den ein wenig verwirrten rauhen Kerl den ganzen Abend. Josephine und ihre Mutter lachten sehr darüber. Besonders als sie ihn zwischendurch, ihnen Hilfe suchend nachschauend, mit ihm alleine stehen ließen.

Jacques und Josephine waren natürlich auch heilfroh als sie später endlich wieder in ihrem eigenen zu Hause eintrafen. Jacques hängte seine völlig verdreckten und zerrissenen Kleider an einen Ehrenplatz im Kleiderschrank.

Josephiné war davon zwar nicht gerade begeistert, ließ ihn aber gewähren, da sie ja nun wusste was er damit alles erlebt hatte.Und Männer brauchten so etwas anscheinend. Dann begaben sie sich erschöpft zu Bett, doch Jacques ließ Josephine diese Nacht nicht viel Schlaf zukommen.

Nach den Strapazen der vergangenen Wochen verbrachten die Vier äußerst glückliche Zeiten in Paris. Oft trafen sie sich bei einem Gläschen und ließen vergnügt die Erlebnisse der Vergangenheit noch einmal in ihren Erzählungen aufleben.

Im Frühjahr, wenn die Knospen sich ans erste Sonnenlicht wagen, wenn die Schwalben zurück kehrten, dann würden Elise und Drago auch zurück kehren. An den Fluß der an Dragos Hütte im Wald vorüber fließt. Dahin wo alles zusammen kam was zusammen gehört. Elise, Drago, und Chou Chou die gute Katze.

 

*

 

Paris, Frankreich, 12. März 1848

Vor dem Gebäude der Sorbonné wurden zwei junge Französinnen verhaftet. Die Beiden hatten am Haupteingang mit beschrifteten Schildern für eine Zulassung von Frauen zum Lernstudium demonstriert. Sie kamen der Aufforderung durch Bedienstete der Lehranstalt das Gelände zu räumen nicht nach. Nachdem die ältere der beiden an einem herablassend über die Frauen herziehenden Professor, ihr Schild mit einem kräftigen Schlag auf das Haupt zerbrochen hatte, wurden die Damen festgenommen. Gott sei es gelobt, gab es keine schwer wiegenden Verletzungen.Der Vater der beiden Schwestern konnte sie gegen Zahlung eines Bußgeldes am Abend wieder auslösen.

 

*

 

Chou Chou hüpfte noch einmal, und ihre Pfote zuckte aufgeregt durch die Luft. Sie setzte sich. Entspannung machte sich in ihr breit. Ihre Augen verfolgten sie. Chou Chou blinzelte. Ja, sie war bereits viel zu hoch. Und im Grunde war es wohl auch zu schade drum. Sie war tatsächlich der schönste Schmetterling, der je die zarten Flügel flattern ließ im Wind. Flieg, dachte Chou Chou, flieg so hoch du kannst... .

 

ENDE

 

 

EPILOG:

 

Paris, Frankreich, in einem Kleiderschrank, 1847.

 

In Jacquess alter Jacke leuchtete ganz schwach lila und unbemerkt ein vergessener glasklarer Kristall!

 

*

 

Rumänien, in den Karpaten 1847

 

Gleichzeitig waberte, ebenso unentdeckt, in einer mit Spinnweben verhangenen Ecke in der ehemaligen Stallung des Schlosses ein schwarzer vertikaler Streifen an dem von innen hin und wieder etwas kratzte... .

 

*

Slivac, eine kleine Stadt 30 Km nordwestlich des Dorfes am Fuß der Karpaten, 1847

 

Irgendwie war Milan dieser Gast unangenehm. Der Fremde saß ruhig in der dunkelsten Ecke seiner Schenke. Die Kapuze tief in sein Gesicht gezogen. Als Milan ihm seinen Wein gebracht hatte, waren ihm die alten Brandnarben und das getrocknete Blut im Gesicht trotz des spärlich flackernden Kerzenscheins gleich aufgefallen.

Doch es war nicht die grausige Fratze die ihn so seltsam beunruhigte. Es war der kurze Moment, als er die Augen des Mannes sah. Abgrundtiefer Hass und Bösartigkeit spiegelten sich in ihnen wieder.

Der Fremde hatte mit Gold bezahlt. Mit viel zu viel Gold.

Doch Milan hoffte, dass er nicht noch einen weiteren Becher bestellen würde. Früher oder später würde dieser Mann Ärger machen und dann wollte Milan nicht in seiner Nähe sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DANKE

Danke an Daniel, für alles. Danke an Anette für die Ermutigung zu schreiben, und für 20 Jahre Liebe und wunderbaren Sex. Danke an Claudia für viele notwendige Arschtritte und etwas anderes. Danke an Mama für immer wieder da sein wenns (vor allem finanziell) nicht mehr weiter ging.Danke, schönster Schmetterling, der je die zarten Flügel flattern ließ im Wind, dafür das ich dich fliegen sehen durfte.

( - …, Gestern, Heute, Morgen. - )

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.06.2018

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