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Widmung

 Bevor die Geister weiterziehen,
sag ich noch schnell:
Happy Halloween!

1.

»Danke, dass du mich mitnimmst. Ich hätte es echt keine Sekunde länger ausgehalten.« Ich atme tief durch und versuche, während wir das Gebäude verlassen, in dem das diesjährige Jahrgangstreffen stattfindet, meine angespannten Nerven zu beruhigen. Rechts und links säumen abwechselnd ausgehöhlte Kürbisfratzen und Knochengerippe mit rot leuchtenden Augen unseren Weg. In der Luft liegt immer noch ein Rest Sommer. Es ist viel zu warm und trocken für den letzten Tag des Oktobers. Trotzdem lässt der modrige Geruch des herabfallenden Laubes keine Zweifel daran, dass das Jahr allmählich zu Ende geht.
»Kein Problem. Ich hatte auch echt genug. Keine Ahnung, weshalb ich überhaupt zu dem dämlichen Treffen gefahren bin.«
»Weil du einer der Superstars unseres Jahrgangs und schon mindestens fünf Jahren nicht mehr dabei warst«, antworte ich kopfschüttelnd und mustere Leander aus dem Augenwinkel. Ich kann kaum glauben, dass wir gemeinsam über den proppevollen Parkplatz schlendern ... na ja, ich renne eher und er geht gemütlich. Jedenfalls fühlt es sich an, als müsste ich drei Schritte machen, um mit ihm mitzuhalten. Vermutlich reichen seine langen Beine beinahe bis zu meiner Brust.
»Verdammte zwei riesige Meter«, flüstere ich schwärmerisch, noch genauso beeindruckt wie damals in der Schule und ebenso verliebt. Es heißt ja, dass man die erste große Liebe nie vergisst. Ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich so sein würde, vor allem, weil sie in all den Jahren unerwidert geblieben ist.
»Zwei Meter fünf, um genau zu sein. Ich bin nach der Schule noch ein Stück gewachsen.«
»Oh!« Ich presse die Lippen zusammen und spüre, wie meine Wangen heiß werden, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass er die Worte hört. Verdammt, ich wollte sie überhaupt nicht laut aussprechen, aber die Größe beeindruckt mich immer noch ... der ganze Kerl ist faszinierend. Nur leider nicht interessiert an Männern, in Anbetracht der Frauen, die seinen berühmten Weg bisher gekreuzt haben.
»Mein Wagen steht dort drüben«, sagt Leander und deutet nach rechts.
Ich nicke und folge ihm zu einem Auto, das etwas abseits unter einer Laterne steht. Der kalt–weiße Lichtkegel wirkt wie ein Scheinwerfer, der extra darauf ausgerichtet wurde, diese glanzvolle, graumetallische Erscheinung ins rechte Licht zu rücken.
»Du verarschst mich«, stelle ich fest und bleibe stehen. Meine Augen scannen jeden Millimeter des Gefährts. Ich habe Leander damit in einer der Sportillustrierten, die ich verrückter Weise lese, seitdem er darin immer wieder auftaucht, gesehen. Ich hätte nur nicht damit gerechnet, dass er ausgerechnet mit diesem Wagen zum Jahrgangstreffen kommt und ich ...
»Wo ist das Problem?« Leander zieht die Augenbrauen nach oben und mustert mich ernst, mit einer deutlichen Spur Überheblichkeit. Der Wind weht einen Hauch seines Parfüms in meine Nase. Herb und männlich, nach Zedernholz und Zitrone. Ich fühle mich unter seinem Blick wie ein kleiner Junge und straffe instinktiv die Schultern.
»Du kommst mit einem Porsche 911 zum Jahrgangstreffen? Das erscheint mir so klischeehaft. Passt du da überhaupt rein? Klar, passt du. Ich habe dich damit ja schon in einigen Zeitschriften gesehen, aber jetzt hier, so, live. Wow, das ist schon irgendwie verrückt. Und was haben die anderen denn dazu gesagt? Ich bin erstaunt, dass ihr nicht den ganzen Abend Proberunden über den Parkplatz gedreht habt. Mann, ein Porsche ...« Ich halte mir selbst mit einer Hand den Mund zu, um mit dem Plappern aufzuhören.
Leander grinst mich recht selbstgefällig an. Ich seufze, denn das habe ich wohl verdient.
»Mich interessieren Klischees nicht«, sagt er schließlich. »Ich wollte schon immer so einen Wagen und als ich ihn mir leisten konnte, habe ich keine Sekunde gezögert. Und ja, ich passe hinein. Er ist erstaunlich geräumig im Inneren, was ein echter Pluspunkt ist. Ich liebe dieses Auto. Ich bin nicht damit hergefahren, um ihn vorzuführen und hätte auch ganz bestimmt mit niemandem von denen da drinnen eine Probefahrt gemacht.«
»Okay«, erwidere ich gedehnt. »Aber mich nimmst du mit? Das wird eine Premiere für mich.«
»Ich hoffe, du genießt die Fahrt.«
»Porsche. O Mann, ich fahre tatsächlich gleich in einem Porsche mit.« Ich will nicht wie ein peinliches Fangirl klingen, aber meine Nervosität steigert sich gerade noch ein bisschen mehr und das ist nicht gut für mich.
»Es ist nur ein Auto. Vier Räder, ein bisschen Blech, Carbon und Leder und so ...«
»Natürlich!«, unterbreche ich ihn spöttisch, denn der Stolz in seiner Stimme straft seinem Understatement Lügen. Ich höre, wie er mit der Fernbedienung, den Wagen öffnet und gehe zur Beifahrerseite. »Dann bin ich umso dankbarer, dass du mich mitnimmst.«
»Kein Problem. Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt herkomme. Ich habe es eher als Chance gesehen, einen kurzen Abstecher zu meinen Eltern zu machen.«
»Ich wollte dieses Jahr eigentlich nicht teilnehmen, aber irgendwie war ich neugierig.« Genau genommen bin ich nur hier, weil ich erfahren habe, dass Leander sich angemeldet hat. Ich wollte ihn so gern wiedersehen und ihn zumindest aus der Ferne ein bisschen anschmachten. Damit, dass er mir die ganze Zeit nicht von der Seite weicht, hätte ich nie gerechnet.
Wir steigen ein. Der Wagen liegt so tief, dass ich das Gefühl habe, mein Hintern schleift direkt über dem Boden. Der Sitz ist weich gepolstert, als hätte ich auf einer ultrabequemen Ledercouch platzgenommen. Obendrein duftet es nach Leder, mit einer holzigen Note und Pfefferminz.
»Wahnsinn«, nuschle ich ehrfürchtig, während Leander den Motor startet und ich beim Anfahren quasi ins Polster gedrückt werde. »Ich hoffe, ich überlebe die Fahrt.«
»Keine Sorge, mein Auto und ich verstehen uns hervorragend. Außerdem habe ich gute Reflexe.«
»Hm, aber du weißt ja, im Herbst sind die Straßen hier ein bisschen gefährlich. Das feuchte Laub und der Nebel und die vielen Kurven.«
»Hast du etwa Angst?«, erkundigt er sich mit einem Hauch Arroganz. »Das Auto passt die Fahrweise den Witterungsverhältnissen an, außerdem ist es für die Jahreszeit trocken und mild. Keine Spur von Nebel weit und breit.« Leander deutet mit einer Hand auf die Fenster. Wir fahren an den letzten Häusern des Orts, der quasi nur aus einer Durchfahrtsstraße, dem großen Gemeindehaus, in dem die Party stattgefunden hat

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Karo Stein
Bildmaterialien: deposithphotos, pixabay
Cover: K. Funke via bookbrush
Korrektorat: Sissi Kaipurgay
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2023
ISBN: 978-3-7554-5953-8

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