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Hexenflug

Wie Linus die Häkelnadel verliert ...

«Wir haben eine großartige Nachricht für dich!»

Martha und Lissy stürmen in mein Zimmer. Wie immer, ohne anzuklopfen. Eine geschlossene Tür ist für sie kein Zeichen dafür, dass jemand seine Privatsphäre zu schätzen weiß. Jemand wie ich, zum Beispiel.

«Hörst du? Wir müssen dir unbedingt etwas erzählen. Das wird dich umhauen. Du wirst echt begeistert sein.»

So viel Enthusiasmus verursacht ein ungutes Gefühl. Ich lege mein neues Häkelprojekt zur Seite. Die Nadel kullert vom Sofa und rollt über den Boden.

«Mist», knurre ich, beuge mich nach unten, komme aber nicht ran, ohne aufzustehen.

«Linus», ermahnt mich Lissy und klingt leicht genervt. Martha hebt derweil die Nadel auf und hält sie mir entgegen.

«Was häkelst du denn diesmal?», fragt sie und schaut auf den kunterbunten, etwa dreißig Zentimeter breiten Streifen.

«Eine Flickendecke», antworte ich und streiche über die weiche Wolle. «Ich verarbeite sämtliche Wollreste zu einer bunten Decke.» Stolz hebe ich meine Arbeit hoch und zeige ihnen, wie schön die Decke bereits aussieht. Leider fehlt ziemlich viel an der Länge, aber sie ist so breit, dass man sich zu zweit darunter kuscheln kann. Jedenfalls theoretisch, denn ich habe keinen Partner und das wird sich auch so schnell nicht ändern.

«Toll!», ruft Martha wenig überzeugend.

Sie hält nicht viel von meinen Strick- und Häkelprojekten oder ganz allgemein von do it yourself. An Bastelnachmittagen hat sie immer dringende Termine. Selbst Plätzchenbacken in der Vorweihnachtszeit erträgt sie nur mit Wein ... mehreren Flaschen Wein.

«Das ist eine großartige Idee», bekundet dagegen Lissy und betrachtet mein Werk begeistert. «Ich habe auch noch eine Menge Wollreste. Wenn du willst, kannst du sie verarbeiten. Dann können wir uns beide unter die Decke kuscheln.» Sie strahlt mich mit ihren kugelrunden, blauen Augen an. Lissy hat ein echtes Puppengesicht, das sogar bei mir wirkt, obwohl ich nicht auf Frauen stehe. Ihr ist die Wirkung durchaus bewusst, sodass sie sie schamlos einsetzt, um zu bekommen, was sie will. Auf eine charmante Weise ...

«Klar, bring deine Wolle rüber. Ich bezweifle ohnehin, dass meine reichen wird.»

«Können wir jetzt aufhören, über Wolle zu reden und uns der wichtigen Neuigkeit zuwenden?», unterbricht Martha uns ungeduldig.

«Jaaha!», ruft Lissy und grinst breit. «Du wirst gleich ausflippen vor Freude.»

«Ich befürchte Schlimmes», knurre ich. Mein Herz beginnt, vor Nervosität ein bisschen schneller zu schlagen und in meinem Bauch grummelt es unheilvoll.

«Also, pass auf. Im Radio war so ein Aufruf.»

«Nein», unterbreche ich sie und schüttle energisch den Kopf.

«Da konnte man sich für ein Blinddate am Valentinstag anmelden.»

«Was habt ihr gemacht?» Entsetzen keimt auf und ich schlucke schwer.

«Wir haben dich angemeldet, was denn sonst?» Lissy schaut mich an, als wäre das die einzig logische Antwort.

«Nein», knurre ich erneut.

«Hör doch erst mal zu», schimpft Martha und setzt sich zu mir aufs Sofa. Genau dorthin, wo meine Füße liegen. Ich ziehe sie rasch ran und umschließe meine Beine mit den Armen.

«Ich will das nicht hören, denn es gefällt mir nicht», jammere ich und schaukle hin und her.

«Sei nicht so grummelig», flüstert Lissy und stößt gegen meine Schulter.

Ich atme tief ein und schaue die beiden abwechselnd an.

«Also? Was habt ihr teuflischen Weiber getan?», frage ich, obwohl ich die Antwort lieber nicht hören möchte.

«Wir haben dich dort natürlich angemeldet.» Lissy grinst selbstgefällig.

«Das hast du schon gesagt!», knurre ich und schaue sie ungeduldig an.

«Ich weiß, aber ich kann es selbst kaum glauben.» Sie rutscht hibbelig hin und her. «Und nun rate mal, was passiert ist?»

«Nichts, hoffentlich.»

«Doch, sie haben dich ausgewählt. Du darfst auf ein Blinddate am Valentinstag gehen und der Radiosender übernimmt die Kosten.»

«Nein, nein, nein», erwidere ich und schüttle so energisch den Kopf, dass meine Brille verrutscht.

«Doch, doch, doch», äfft Lissy mich nach und pikst bei jedem Wort mit einem Finger gegen meine Brust. «Du musst mal wieder raus. Wann hattest du zuletzt eine Verabredung?»

«Dass du mich ausgerechnet jetzt daran erinnern musst.» Ich spüre, wie Scham meinen ganzen Körper flutet. «Ihr wisst doch genau, was beim letzten Mal passiert ist.»

«Du meinst das Sexdate? Das ist doch nicht dasselbe.»

«Ach nein? Was, wenn der Typ genauso reagiert, sobald er mich sieht? Sich mit einem Nein umdreht und ohne ein weiteres Wort geht? Echt, ich kann das nicht nochmal aushalten und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.»

«Das war ein blödes Arschloch, der keinen Sex mit dir verdient hat. Hör auf, daran zu denken.»

«Super hilfreicher Ratschlag», erwidere ich ironisch. «Wann ist dir denn so etwas zuletzt passiert? Hast du überhaupt schon mal erlebt, dass sich jemand auf dem Treppenabsatz umgedreht hat, sobald er dich gesehen hat? Sicher nicht!» Ich rede mich in Rage, dabei dachte ich, ich hätte das peinlichste und mieseste Erlebnis meines Lebens längst abgehakt.

«Du hast recht. Das ist mir bisher nicht passiert, allerdings benutze ich solche Portale, auf denen es ausschließlich um Sex geht, auch nicht. Das habe ich nämlich nicht nötig.» Sie wirft Martha verliebte Blicke zu.

Ich schnaube frustriert.

«Aber sieh es doch mal so: Er hat immerhin sofort erkannt, dass die Chemie für ihn nicht stimmt. Besser, als irgendwelche peinliche Aktionen im Bett. Was, wenn er keinen hochgekriegt hätte ...»

«Weil ich so abstoßend bin?», frage ich und wünschte, die Decke wäre schon groß genug, damit ich mich darunter verstecken kann.

«Du bist süß und sexy und wunderschön, mit deinen braunen Augen und den wilden Locken und der Nerdbrille.»

Ich starre Lissy entsetzt an. Bei der Beschreibung würde ich auch nicht mit mir ausgehen wollen. Leider hat sie recht. Ich war schon wieder eine Ewigkeit nicht mehr beim Friseur, sodass die blöden Locken wild in alle Richtungen stehen. Und die Brille. Ich habe es ja mit Kontaktlinsen versucht, aber davon brennen meine Augen immer so schnell.

«Vielleicht hat der Typ ja auch einen wichtigen Anruf bekommen. Seine Oma musste ins Krankenhaus oder sein Hund wurde angefahren oder ... da hätte er doch keinen Sex haben können.»

Mein entgeisterter Blick verwandelt sich in einen ungläubigen. Das ist die verrückteste Erklärung für dieses Desaster, die ich bisher gehört habe.

«So etwas kann passieren», behauptet sie ernst und bringt mich zum Lachen.

«Ja, in einer heilen und wundersamen Welt. In der Realität fand der Kerl mich einfach dermaßen abstoßend und hässlich, dass er nicht mal eine Entschuldigung für mich übrig hatte.»

«Okay, mag sein», mischt sich Martha ein. «Das ist schiefgelaufen und war nicht gerade gut für dein Ego. Aber das hier ist was anderes. Hier geht es darum, einen schönen Nachmittag und Abend miteinander zu verbringen. Ihr trefft euch in Thale an der Schwebebahn, fahrt auf den Hexentanzplatz, könnt durch den Tierpark spazieren, die Walpurgishalle besichtigen, des Teufels goldenes Gemächt reiben und romantisch im Restaurant des Berghotels essen. Und zum Abschluss gibt es noch eine Mondscheinfahrt mit der Seilbahn wieder nach unten. Das klingt doch großartig, oder?»

«Ja, das hört sich toll an», gebe ich zu. «Aber was, wenn das nicht funktioniert?»

«Sei nicht so pessimistisch. Du hast doch eigentlich nichts zu verlieren.»

«Weil mein Selbstbewusstsein ohnehin schon zerstört ist?», frage ich sarkastisch.

«Nein, weil du ohne Erwartungen an die Sache rangehen wirst. Es geht nicht um Sex, nicht mal um die große Liebe, sondern einfach nur um eine schöne Zeit. Im Idealfall findet ihr euch sympathisch und habt eine Menge Spaß. Im schlechtesten Fall hast du einen Beitrag für die schlimmsten Valentinstagfails. Du bist achtundzwanzig und solltest wirklich ein paar mehr Erfahrungen machen.»

«Großartig», murmle ich und weiß nicht, was ich von der Idee halten soll. «Danke, dass du mich auf so charmante Weise an mein Alter erinnerst. Was wisst ihr über den Mann?»

«Nichts. Wir mussten ein bisschen was über dich bei der Anmeldung für das Date angeben und jemand vom Sender hat mit Hilfe irgendeines Programms einen Partner

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Karo Stein
Bildmaterialien: depositphotos, pixabay
Cover: K.Funke
Korrektorat: Sissy Kaipurgay
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2023
ISBN: 978-3-7554-3229-6

Alle Rechte vorbehalten

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