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Ein Geburtstag mit Folgen

 

Heute, am elften Oktober vor zwanzig Jahren, bin ich auf die Welt gekommen. Meine Mutter behauptet, ich wäre das süßeste Baby des Planeten gewesen, was natürlich Unsinn ist. Als meine Mama muss sie so etwas vermutlich sagen. Wenn ich mir die alten Bilder anschaue, sehe ich kaum einen Unterschied zu anderen Babys. Klein, verschrumpelt, hilflos und ... okay, ich war ziemlich süß.

Zwanzig. Die Zeit ist so schnell vergangen. Haben wir nicht gestern erst meine Jugendweihe gefeiert? Ich war zum ersten Mal besoffen, aber es war eine geile Party. Mein Schulabschluss ... Ich dachte, ich überlebe die mündlichen Prüfungen nicht. Und der erste Tag auf dem Bau. Alles war neu und fremd und hat mich total überfordert. Inzwischen gehöre ich längst zum Team.

Am Wochenende kommen ein paar Freunde zum Feiern. Heute ist jedoch Mittwoch. Die Firma hat mir einen Tag Urlaub genehmigt, den ich nutzen werde, um das neue Spiel, das ich mir zum Geburtstag gegönnt habe, zu zocken. Den ganzen Tag vor der Konsole. Normalerweise schaffe ich es abends nach der Arbeit kaum eine Stunde, ehe mir die Augen zufallen. Der Job ist verdammt anstrengend und dann ist da noch Rudi ...

Vor zwei Wochen habe ich festgestellt, dass der elfte Oktober ein besonderer Feiertag ist: Coming out Day. Seitdem spüre ich dieses nervöse Kribbeln in meinem Bauch, mir wird abwechselnd heiß und kalt und schwindelig. So, wie jetzt. Ich presse mein Gesicht ins Kissen, während mein Körper den Aufstand probt. Verdammt, was für ein Chaos. Am liebsten möchte ich laut schreien. Stattdessen werfe ich meinen Kopf in den Nacken und fülle meine Lungen mit frischer Luft. Hektisch atme ich und versuche nicht in Panik zu verfallen.

Es klopft an meine Tür. Noch ehe ich es schaffe «Herein» zu rufen, wird sie aufgestoßen. Kerzenlicht erhellt flackernd den Raum, meine Mutter beginnt zu singen.

«Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück ...»

Das Lied begleitet mich, solange ich denken kann. Ich setze mich auf, ziehe die Decke bis zum Hals und habe das Gefühl, wieder Kind zu sein. Rituale, auch die albernen oder peinlichen, sind beruhigend. Meine Mutter singen zu hören, die Kerzen zu sehen und den Hauch Kuchenduft wahrzunehmen, strahlt Geborgenheit aus. Selbst wenn ich mich manchmal darüber aufrege, dass es ihr oftmals schwerfällt, mich als Erwachsenen zu akzeptieren.

Nun steht sie direkt vor mir, lächelt im Schein der Kerzen und der einsetzenden Morgendämmerung. Es ist noch viel zu früh, um aufzustehen. Zumindest an einem freien Tag. Ich habe jedoch ohnehin in der Nacht kaum ein Auge zugemacht. Das geht mir schon so, seitdem ich weiß, welche Bedeutung der elfte Oktober hat. Ich denke ständig darüber nach.

«Alles Liebe zum Geburtstag, mein Schatz», sagt Mama und sieht mich erwartungsvoll an.

Ich richte mich auf und puste die Kerzen aus. Es wird dunkel, sodass ich mich zur Seite beuge und die Nachtischlampe anschalte.

«Danke», erwidere ich und reibe mir über die Augen.

Meine Mutter stellt den Kuchen auf den Schreibtisch und setzt sich neben mich auf die Bettkante. Sie zieht mich in eine liebevolle Umarmung, haucht mir einen Kuss auf die Stirn und lächelt mich dann an.

«Mein großer Sohn», sagt sie und ihre Augen beginnen zu schimmern.

Ich will nicht, dass sie wegen mir weint. Obendrein ist es albern, denn heute ist ein guter Tag.

«Ich wollte dich eigentlich nicht wecken, aber ich muss gleich zur Arbeit und … Na ja, ich kann dir doch nicht erst heute Nachmittag gratulieren.»

«Ich kann ohnehin nicht mehr schlafen», antworte ich mit einem schiefen Grinsen.

«Aufgeregt?», fragt sie schmunzelnd.

«Ich werde wohl alt», mutmaße ich. «Ab jetzt geht es doch irgendwie nur noch abwärts. Ich bin zwanzig, verdammt.»

Damit bringe ich meine Mutter zum Lachen. Sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Karo Stein
Bildmaterialien: 123rf, pxabay
Cover: via bookbrush: Kathrin Funke
Korrektorat: Sissy Kaipurgay
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2021
ISBN: 978-3-7487-9703-6

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Doch das Wichtigste ist, dass in diesem Moment des Coming-outs Eltern, Geschwister, Kinder, Freunde, Arbeitskollegen und Bekannte einen geliebten Menschen endlich so erleben dürfen, wie er wirklich ist. Und DAS ist der wichtigste Teil der Wahrheit. Marco Schenk (Freier Journalist)

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