Über:Gänge – sie können so unterschiedlich sein, so vielfältig: Der Übergang von fest zu flüssig zu gasförmig. Der Übergang von einem Ufer zum anderen – von einem Fluss-Ufer zum anderen. Oder aber auch der letzte Übergang eines Menschen über den einen Fluss.
Wie unterschiedlich Übergänge sein können! Plötzlich, dass die Hinterbliebenen mit dem Schock zurückbleiben. Das kanntest Du ja schon. Ein falscher Tritt, ein Sturz und der Übergang war ein überstürzter, plötzlicher und dann sitzt Du da mit Deinem Schock, lernst, was Trauer ist, orientierst Dich, tobst, schreist, beruhigst Dich und lernst damit umzugehen und schaffst es weiterzugehen - mit einem Lächeln.
Oder aber langsam, mit Angst behaftet. Das kanntest Du noch nicht. Dass eine alte, gebrechliche, kranke Frau Angst haben könnte vor dem Hinübergehen. Warum sieht sie die Erlösung nicht? Es muss doch eine Erleichterung sein. Sie kann nicht mehr essen, nicht mehr trinken, nicht mehr sprechen aber sie kann noch sehen und sie sieht alles: Sie sieht Dich an, ganz klar. Sie sieht ihre Situation und sie begreift ihre Situation. Und sie sieht noch vieles mehr, das ihr Angst macht.
Dass Du diese Angst miterleben würdest, das war so anders. Die vertrauten Augen, die noch immer vertraut sind und doch schon Dinge sehen, die Dir verborgen bleiben. Diese Augen, die plötzlich angstgeweitet ans andere Ufer starren: Angst vor dem Unbekannten. Immer wieder schauen diese Augen hinüber und dann mit einem Mal sind sie wieder die vertrauten, die Dich anblicken – ganz intensiv, direkt. Kein Wort. Nur die Augen, die alles aussprechen: Ich will noch da bleiben. Bleib Du auch da. Und – Du bleibst.
Eine Woche schauen die Augen immer wieder hinüber, schauen sich das genau an. Du hast verstanden. Du erkennst ihre Angst vor dem Unbekannten und kuschelst Dich hie und da zu ihr aufs Krankenbett, nimmst sie in den Arm und lässt sie einfach schauen. Langsam ist es dann nicht mehr so unbekannt. Die Augen blicken vielleicht sogar schon ein wenig neugierig. Die Arme, die vor einer Woche das Unbekannte weggeschoben haben, die holen jetzt ganz viel Luft mit ausladenden Bewegungen zu sich – holen das Bekannte zu sich. Jetzt will sie langsam gehen. Du hast sie schon gehen lassen, doch da war noch zu viel Angst. Jetzt WILL sie gehen. Die vertrauten Augen sind beim letzten Mal, vertraut, ruhig, sanft, ein wenig traurig und irgendwie Kinderaugen, große runde Kinderaugen. Es waren Augen, die Abschied nehmen. Kein Wort. Nur die Augen, die Abschied nehmen.
Und dann bordet das Leben wieder über, bis es so richtig in die Gänge kommt und ein neues begrüßt wird – Kreis:Lauf.
Texte: Foto und Text Alexandra Saje
Tag der Veröffentlichung: 25.03.2011
Alle Rechte vorbehalten