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Gerade jetzt erinnert mich viel an Oma. Wenn ich sie besucht habe, dann war der aktuelle Schneefall oder Nicht-Schneefall Thema. Ab Anfang Dezember wurde gemutmaßt, ob es weiße oder grüne Weihnachten geben wird, ob es auch schön kalt ist und was sich da draußen so tut. Oma war ein Winter-Kind, am 21. Dezember geboren. Sie mochte den Winter und so richtig kalte, weiße Weihnachten – das war ganz nach ihrem Geschmack. Dieses Jahr hätte sie ihre helle Freude gehabt.

Eine Erinnerung an Oma ist natürlich Kekse backen. Gemeinsam haben wir immer diese klassischen Kekse gemacht. Wie sie genau gehen, weiß ich nicht. Ich habe zwar das Rezept in Omas Handschrift in einem Schulheft mit lauter Fettflecken, doch was ich mit diesen Keksen verbinde ist nicht das Rezept, sondern das Ausstechen und das möglichst so, dass ja viel Rand bleibt, den man dann vertilgen darf. Denn die Regel besagte, dass der Rand genascht werden dürfe. Besser nicht nachfragen, wie viel rohen Teig ich so vertilgt habe. Aber es gab nichts Besseres!

Seit Oma das Kekse-Backen nicht mehr konnte, habe ich zumindest aus Tradition ihre „London-Schnitten“ gebacken. Dazu durfte ich mir das mit Fettflecken übersäte Schulheft ausborgen, wo Oma auch dieses Rezept festgehalten hatte. Letztes Jahr konnte sie ihre, also meine, also nach ihrem Rezept von mir gebackenen London Schnitten noch selbst verkosten. Das lief wie folgt ab: 22. Dezember letzten Jahres richtete ich es so ein, dass Oma und ich ihren Geburtstag und Weihnachten zusammenlegten und gemeinsam feierten. Oma konnte sich zu diesem Zeitpunkt ja nun schon seit gut fünf Jahren nicht mehr aus ihrer Wohnung bewegen. Sie regierte also in ihren vier Wänden, versorgt von Mama, Schwesterchen, einem Stab an Pflegern und mir. Ursache für diesen Zustand war Omas Alters-Diabetes, die uns auf Trab hielt, da die entsprechende Insulin-Dosis kaum einzustellen war. Auf Trab hielt uns auch Oma selbst, denn ein kleiner Tyrann war sie schon und vor allem eine wahre Drogensüchtige. Ihre Droge hieß ZUCKER. Durchaus auch in purer Form.
Einmal klappte Oma zusammen – Zuckerschock. Wir konnten uns nicht erklären wie und warum, denn wir hatten ja zu diesem Zeitpunkt schon alles Süße in der Wohnung entweder vernichtet oder zumindest so gut versteckt, dass selbst wir auf Leitern klettern mussten, damit wir ihr die Droge in gemäßigten kleinen Mengen doch zugestehen konnten.
Bei der anschließenden Drogenrazzia fand Mama dann jedoch die Überreste von Omas „Zuckerparty“. Irgendwo war doch noch ein Kristallzucker-Packerl. Die Spurenanalyse ergab, dass Oma sich einerseits offensichtlich Zucker-Limonade gemacht hatte und da das anscheinend nicht reichte, sich auch puren Kristallzucker direkt verabreichte – muss ich mehr erzählen?


Zu Weihnachten gehören doch Kekse, noch dazu in Omas „Zucker-Welt“. Deswegen war die London-Schnitten-Verkostung ja auch so ein Fix-Punkt in der Weihnachtszeit in Omas letzten Jahren. Also am 22. Dezember 2009 rückte ich mit lauter Köstlichkeiten an – mehrgängiges Menü: Zuerst gebackene Hühnerleber, ein Leibgericht von Oma, und dann gab es als Überraschung ausnahmsweise: Kaffee mit Keksen – also so eine richtige Kaffeejause – Kaffee mit Süßstoff, falls ich das vergessen habe, zu erwähnen – ach ja vier Stück Süßstoff, also für uns „cleane“ Menschen nicht trinkbar. Ich versuchte immer zu schummeln. Sagte: „Ja, es sind vier Stück.“ Es waren jedoch nur zwei. Es war sinnlos – sie schmeckte es sofort.
Während Oma bei den letzten Hühnerleberstückchen war, bereitete ich die süße Kaffeejause vor. Ein kleiner Teller mit ausgesuchten Keksen, abgezählt: 3 Stück Vanillekipferl, 5 Stück ihrer London Schnitten, 2 Rumkugeln!!!!! – die Zucker-Bomben schlechthin – ein paar Kokosbusserln.
Oma hatte die Gabel mit einem Hühnerleberstückchen in ihrer rechten Hand, ein Stückchen im Mund, eines lag noch am Teller, als ich mit dem Keksteller und dem Kaffee erschien. Oma verharrte genau in dieser Position, die Augen quollen über, sie vergaß zu kauen. Dann griff sie mit einer hastigen Bewegung irgendein Keks und flux hatte sie es auch schon im Mund – mit der Leber wohlgemerkt – und auch schon ein zweites Keks in ihrer linken Hand. Jetzt saß sie da mit dicken Hamsterbacken, denn man musste die Geschmacksrichtungen ja von einander trennen und überlegte kurz, nur ganz kurz: Mit den Worten „Ich kann nicht mehr.“ schob sie die Hühnerleber von sich weg und den Keksteller zu sich her.
Das ist Rollentausch. Waren es früher wir Kinder, war es letztes Jahr meine 90jährige Oma!

Impressum

Texte: Text und Foto von Alexandra Saje
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Was bleibt sind Momentaufnahmen. Wenn jemand geht, bleiben diese Bilder im Kopf. Wenn die Zeit vergeht, bleiben Begebenheiten als Bilder im Kopf. Momentaufnahmen, Erinnerungen an Weihnachten mit Oma!

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