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Der Untote



Ich bin tot, doch zu meinem erfreulichen Kummer lebe ich. Wie ein Vampir friste ich mein trübes Dasein. Einer solchen Kreatur der Nacht gleich lebe ich stets in Dunkelheit, doch tue ich es auch am Tage. Licht würde mich zerstören, es steht in solch scharfem Kontrast zu meiner Seele, dass ich es fürchte, hasse und liebe. Gleich einem Blutsauger verführe ich die Menschen, um mich von ihnen zu ernähren. Aber ihr Lebenssaft, den ich nehme, ist nicht von materieller Natur; es ist die Essenz ihres Wesens, ihres Seins: ihr Leben.
Doch lege ich nicht Hand an sie. Ihr Leben ist das was mir fehlt: Das ganze Spektrum menschlichen Verlangens, menschlicher Hoffnung, der Antriebe und Wünsche, Ängste und Vergnügen, Zweifel und Ideen; doch vor allem: ihre Freude und Liebe, ihre Gefühle und Leidenschaften.
All dies, was das menschliche Leben ausmacht, zusammen mit dem Glauben, dem Miteinander, existiert nicht in mir. Meine Seele ist finster und tot, doch mein Körper und mein Geist sind höchstlebendig. Als Beobachter, als Mensch der keiner ist, beobachte ich die Welt. Ich nehme den Menschen Teile ihrer Menschlichkeit - und sei es nur die Gute Laune für eine Weile - nehme sie in mich auf und halte mich so geistig am toten Leben. Ich ziehe, gleich einem Vampir, der durch die Schaffung von Artgenossen mit jedem Biss - was ich gelegentlich auch erreichen mag - seinen Nahrungsvorrat dezimiert, den Unmut der Menschen auf mich. Stets hungrig nach Glück, ein unstillbarer Durst nach dem Elixier des Lebens.
Ich bin am Leben, doch ich lebe nicht. Ein Untoter, in den Schatten ewiger, persönlicher Nacht.

Impressum

Texte: Seth Rock
Bildmaterialien: Titelbild: http://www.lokis-mythologie.de/bilder/bilder%20goetter/vampir2.jpg
Tag der Veröffentlichung: 25.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Norman

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