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Straßenpredigt


Ich sitze auf einer Bank im Schatten und sehe mich um. Ich hole tief Luft und sage meinen Mitmenschen das ich etwas zu verkünden habe. Ich ziehe die Menschen in meinen Bann, denn was ich predige, ist alles woran Sie glauben. Ich brauche auch keine Kanzel, kein heiliges Buch, noch sitzen meine Gläubigen auf harten Holzbänken. Ich stehe hier auf dieser Straße und verkünde eine neue Religion. Und weder du noch ich, können leugnen ein passionierter Anhänger zu sein, denn anders als andere Prediger, stehe ich zu meinen Lastern. Kapitalismus heißt die neue Religion und jeder praktiziert sie. Und wie in jeder Glaubensrichtung werden auch hier Kriege geführt. Sie beginnen hier jedoch eher privat und ganz klein. Es fängt an, wenn es am Montagmorgen, beim ALDI um die Ecke, 20% auf alle Tiefkühlwaren gibt. Die Menschen verwandeln sich von zivilisierten Bürgern plötzlich in Uhrzeitwesen, die sich nicht mit Stöcken und Steinen, dafür mit Regenschirmen und Handtaschen schlagen. Während sich die Gruppe wilder auf dem Weg zur Kasse, mit ihren vollgestopften Einkaufswagen überfahren, denke ich nur eins: Lucy lässt grüßen. Trotzdem sitze ich auf meiner Bank und preise meinen Glauben. Denn nichts ist schöner als etwas zu besitzen und was ich nicht habe, kann ich ja kaufen. Und während ich hier in der Mittagssonne philosophiere und genüsslich an aus meiner Redbull Dose trinke, denn wer keine Energie hat, kann sie ja kaufen, tun meine treuen Anhänger was sie am besten können. Sie rennen von einem Geschäft zum nächsten, denn sie könnten ja etwas verpassen. Aber auch das ist in unserer Religion gut gelöst, denn während ich hier sitze und an meiner Predigt Pfeile, nimmt für mich zuhause meine neuer Videorekorder, meine Lieblings Sendung auf, damit mir bloß nichts entgeht. Eine gute Investition. Während ich nun auf dieser Bank im schatten sitze, überlege ich, ob ich im Namen des blonden Mädchens zwei Bänke weiter, eine Grußkarte nach Kambotscha schicken sollte, zu dem kleinen Arbeiterkind das mit Hingabe ihr mit Glitzer bedrucktes „ Daddy’s Girl“ T-Shirt von H&M oder New Yorker angefertigt hat.
Denn ohne das kleine Mädchen, hätte die Blondine heute wohl nackt aus dem haus gehen müssen, also danke ich ihr lautlos und verfolge in Gedanken ihren Weg von der Arbeit nach Hause, mit nichts als 20 Cent in der Tasche. Denn das ist ihr Tageslohn. Wie gern würde ich ihr zurufen: „ Konvertiere zum Kapitalismus, hier ist alles so wundervoll! Wir kaufen dir neue Schuhe, neue Kleidung und einen neuen kleinen Bruder, weil deiner ist ja letzten Winter an Hunger gestorben.“ Doch ich tue es nicht, denn wieso sollte sie sich uns zu wenden und einer Religion folgen, die ihr nicht nur Essen, Medizin und ein Dach über den Kopf verwehrt, sondern die Beerdigung ihres Bruders, auf ein vergraben neben der Dosenfabrik degradiert?
Ich verlasse also die Kleine und lasse meine Gedanken zu all denjenigen wandern, die sich Liebe kaufen von 9 Jährigen Mädchen in Thailand und frage mich was diese Kleinen Kinder wohl an den Füßen tragen… Und von ihren Schuhen eilen meine Gedanken zu all denjenigen, die Urlaub in Afrika machen und sich darüber aufregen das die Kriminalität in Kapstadt so groß ist und sie an ihrem ersten Urlaubstag bereits ausgeraubt wurde sind. Ja was sollen die denn tun, die nicht kaufen können? Sie stehlen. Denn Essen und Kleidung wächst nicht auf Sträuchern und Bäumen und wenn doch, wird es gepflückt und wandert sofort nach Amerika. Und zwischen dem Land mit allem und denen mit nichts, gibt es noch die, die haben aber nicht geben wollen. Denn während Griechenland in schulden erstickt und die Medien mit Dreck um sich werfen, wandern meine Gedanken weiter zu dem Kleinen Kosta der nicht verstehen kann, warum die Kinder in der Schule ihn auslachen und IHN arm nennen. Oder warum der blonde Junge in der U-Bahn glaubt, wirklich alles über die Situation zu wissen, um über IHN urteilen zu können. Ich sitze hier und frage mich, warum explodieren die Herzen und Köpfe von allen wenn es Geld Probleme in Europa gibt? Schließlich gibt es außerhalb dieser geschlossenen Mauer noch Länder die es schlimmer trifft. Und weil Geld alles ist und die , die es nicht haben, nichts, verstehe ich nicht warum alle so geschockt sind, dass der griechische Staat, seine Finanzen versteckt gehalten hat. Oder würdest du gern vor aller Augen ein nichts genannt werden? Von den Schulden der einen , profitieren nun andere. Denn wer Geld hat , kann viel verlangen. Warum also nicht die Akropolis? Und während ich überlege und mit der Fußspitze auf der Gehwegplatte vor mir ein Fragzeichen nachziehe, frage ich mich, was die deutschen wohl sagen würden, wenn die Amerikaner von ihnen den Kölner Dom verlangen würden? Ich komme zu dem Schluss, Dass sie es wohl auch nicht lustig finden würden. Aber was soll man tun, wenn man kein Geld hat um sich Freunde zu kaufen, die einen beschützen?
Und während ich predige, blicke ich in die Gesichter meiner Anhänger, die entweder geschockt oder entzückt meinen Worten lauschen und ich komme zum ende und sage : „ Und wer frei von Gier ist, möge die erste Münze werfen!“ Ich tue es sicherlich nicht, denke ich. Schließlich stehe ich hier auf einer Bank in der Mönckebergstraße, mit zwei C&A tüten zu meinen Füßen und habe mein Lieblings Shirt von H&M, mit den kleinen Pacman Figuren drauf an. Aber schließlich bin ich auch nur ein Prediger und kein Heiliger. Oder nicht?

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2011

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