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Das Erwachen
Ich wurde in eine Welt geboren, in der ich nicht aufwachsen wollte, eine Welt, in die ich nicht gehörte und in die ich nie gehören werde. Es war nicht mein Wunsch zu dem zu werden, das ich jetzt bin, jedoch hatte ich keine andere Wahl. Vielleicht war ich zu jung um zu erahnen, was mir alles auf meinem Weg bevor steht und auch zu jung um selbst überhaupt zu erkennen, wo ich hingehörte, aber irgendwie hab ich meinen Weg gefunden.
Mein Name ist Andrew Chesterfield Milton, eigentlich ein sehr förmlicher Name für einen Obdachlosen, aber hier nennt man mich sowieso Chaz. Hier, das ist die Straße, dunkle Gassen oder leerstehende Häuser, aber immerhin ist "Hier", nicht der Ort, an dem ich normalerweise sein sollte.
In meiner jetzigen Heimat, den Orten, an denen ich schlafe, gibt es keine Pflichten für mich, niemanden, der etwas von mir verlangt, denn hier bin ich frei und sogar nahezu sorglos.
Niemand schert es auch nur einen Dreck, wer ich bin, denn jeder ist darauf bedacht sein eigenes Überleben zu sichern.
Ich kann auch nicht sagen, dass ich einsam bin, denn immerhin habe ich jemanden zum Freund, der mir nie von der Seite weichen wird, Bangel.
Leider ist er nicht unbedingt ein guter Gesprächspartner, da er mir als Rottweiler keine Antworten geben kann, aber immerhin ist er ein ziemlich guter Zuhörer. So brauche ich wenigstens keinen von diesen hinterhältigen Kreaturen, namens Mensch, die mich sowieso nur ausnutzen oder verarschen.
Ich weiß, dass ich mit meinen 17 jungen Jahren vielleicht mein ganzes Leben versaut hab, indem ich mich für diese Art des Daseins entschloss, aber ich sterbe lieber stehend, als 70 Jahre lang ein kniendes Leben zu führen.
Ich lebe lieber ein hartes, schwieriges Leben in Freiheit, als ein Leben, in dem ich mich ständig verstellen muss, als ein Leben in einer Art goldenen Käfig.
Egal, wie eisig es auch manchmal ist, ich bin stolz darauf hier zu sein.
Ich bin stolz darauf, dass mir niemand den Mund verbieten kann, dass ich niemandem Honig ums Maul schmieren muss um zu überleben.
Auch wenn ich manchmal im Kalten bibbern muss, Tage lang nichts zu essen habe und Leute um ein paar Cent anbetteln muss, weiß ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
Ich glaube, dass ich, wäre ich dort geblieben, schon längst tot wäre, ich hätte es nicht länger ertragen und mich deshalb mit Sicherheit erhängt, vergiftet oder sogar erschossen.
Nun bin ich frei, kann so viele Fehler machen, wie ich will und niemanden interessiert es auch nur die Bohne, denn jeder macht Fehler.
Es gibt allerdings Menschen, die das nie begreifen werden. Ich kenne zwei davon. Zuallererst meinen Vater, der sich die Perfektion in Person hält und meine Mutter, die wahrscheinlich bald zur Miss Makellos gekürt wird. Aus dieser Kombination von Intelligenz, Schönheit und Reichtum hätte eigentlich das perfekte Vorzeige Kind entstehen müssen, leider hatte das Kind einen eigenen Verstand und flüchtete aus seinem tadellosen Kerker.
Es müsste jetzt ungefähr zwei Jahre her sein, dass ich meine Eltern zum letzten Mal sah und eigentlich möchte ich sie nie wieder sehen.
Wenn ich mich jetzt an meine Kindheit erinnere, erscheint es mir wie die Hölle auf Erden, dagegen ist das hier, wie das Paradies.
Hier muss ich nur essen, trinken und schlafen, mehr nicht, ich muss kein Wunderkind sein, muss nicht mit drei Jahren Beethovens 7. Sinfonie auf dem Piano spielen können, der beste Sportler der Schule sein und gleichzeitig als absoluter Musterschüler gelten, ich muss nur leben. Das ist alles.
Ich weiß noch genau, wie es war, als ich endlich begriff, dass ich mich nicht länger verstellen konnte. Es war ungefähr im Jahr 1965.
Es war toller Sommer gewesen und ich konnte es kaum erwarten wieder in die Schule zu gehen. Als ich dort ankam, schien nichts mehr so zu sein wie vorher, allerdings konnte ich mir nicht erklären, warum.
Heute ist mir klar, was plötzlich alles so veränderte, die Rockmusik.
Alle verhielten sich schlagartig vollkommen anders, außer jene, die von dieser Art der Musik ferngehalten wurden. Sie lebten immer noch in ihrer 50-ziger Jahre Swingtraumwelt und gingen wie immer jeden Sonntag in die Kirche um dort für ihr Seelenheil zu beten. So eine Person war ich! An mir und scheinbar auch an, oder sogar wegen meinen Eltern
ist fast alles vorbei gegangen, Martin Luther King, die Rockmusik und sogar die Ermordung Kennedys. Diese grausamen, bösen Dinge, die ihre Welt vernichten konnten und längst vernichtet hatten, sahen sie nicht, denn sie wollten sie nicht für wahr haben und verschlossen ihre Augen vor den Tatsachen.
Ich wollte mich aber nicht länger in einer Lüge verstecken, ich wollte nicht mehr in dieser Traumwelt leben, ich konnte es nicht mehr. Der Druck der Beste in allem zu sein, wurde immer größer. Während andere sich nach der Schule mit ihren Freunden trafen und eine Cola trinken gingen, hatte ich noch nicht einmal die Zeit, mir Freunde zu suchen, ich hatte immer etwas zu tun. Entweder ich musste zu Klavierunterricht oder zum Kirchenchor, entweder ich sollte zum Hockeytraining oder ich musste zu Hause sitzen und lernen, da die Schule das Wichtigste in meinem Leben war. Freizeit war für mich lediglich die halbe Stunde am Abendbrotstisch, wobei meine Anwesenheit dort Pflicht war oder die Zeit, in der ich schlief.
Die Schlafenszeit war nebenbei auch noch die einzige Gelegenheit für mich, meinen eigenen Gedanken nachzugehen, ach ja und die großen Pausen in der Schule.
Mittlerweile war ich in der 9. Klasse des Lincoln Gymnasiums, das war eine ziemlich vornehme Schule in Bradfordville/ Florida, meinem Heimatort. Über die Sommerzeit hatte sich wirklich nicht viel verändert in meiner Schule, außer natürlich meinen Mitschülern. Einige kamen neu dazu, weil sie umgezogen waren oder die Schule aus anderen Gründen wechselten, deshalb kannte ich ihre Gesichter noch nicht. Und wieder andere, also besonders Leute, die vorher auch an meiner Schule waren, hatten sich vollkommen verändert. Besonders die Mädchen machten nun einen ziemlich reifen und erwachsenen Eindruck auf mich, wobei ich nicht verstand warum. Ich muss allerdings sagen, dass ich Mädchen an diesem Tag zum ersten Mal als attraktiv ansah. Und außerdem freute ich mich heute zum allerersten Mal auf die Schule.
Eigentlich ging ich nicht gern dort hin, aber immerhin war staubiger Schulunterricht besser als Urlaub mit den spießigsten Eltern der Welt. Dagegen ist der trockene Unterricht beinahe so schön wie Eisessen am Pool.
Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern, auch, wenn es schon ein bisschen her ist, aber es war ein wirklich besonderer Tag für mich, da ich zwei Menschen begegnete , die mir sehr viel bedeuten- Meinem besten Freund und meiner großen Liebe.
Die Zeit verging irgendwie ziemlich schnell, es kam vor, als hätte ich mich gerade auf meinen Stuhl gesetzt, als schon die Pausenglocke erklang. Verwirrt irrte ich nach draußen, da ich mich an diesem ersten Schultag nicht sehr lebendig fühlte. Ich war es eben einfach nicht mehr gewöhnt so früh schon auf den Beinen zu sein.
Nun ja, viele Freunde hatte ich nicht zu dieser Zeit, eigentlich hatte ich gar keine und es gab kaum Leute, die überhaupt etwas mit mir zu tun haben wollten. Ich war nun mal der Streber, derjenige dessen Mutter eine Lehrerin und dessen Vater ein Richter war, eben ein richtiger Snob. Aber obwohl ich nicht der einzige an der Schule war, der solche Merkmale aufwies, konnten selbst die anderen meiner Sorte nichts mit mir anfangen. Vielleicht, weil ich schon eine Art Streber war, aber keiner mit schmalzigen Haaren, bauchnabelhoher, karierter Hose, Brille und einem Mathebuch unter dem Arm, sondern irgendwie eine andere Art Streber, irgendwie so, als wäre ich schon immer eine Art schlafender Rebell gewesen. In mir ruhte schon lange ein Gigant, ein Riese, der nur geweckt werden musste.
Gerade eben, weil ich so sonderbar war, wollte niemand in meiner Nähe sein und deshalb ging ich wie immer allein auf dem Pausenhof umher. Wie immer war ich total verträumt, beobachtete die Vögel und zählte meine Schritte bis mich unerwartet eine Hand an der Schulter ergriff.
Ich drehte mich um und erblickte einen älteren Jungen mit schwarzen verwuschelten Haaren und giftigen grünen Augen. Er war nicht viel größer als ich, hatte ein zartes Gesicht mit einem freundlichen Lächeln. Als ich sah, dass er mich angrinste, lächelte ich freudig zurück und erkannte dann zu meiner Enttäuschung, dass er mich nicht anlachte, sondern auslachte. Er und seine Freunde, die wie eine Mauer hinter ihm standen, machten sich lustig über mich.
Ich ließ mir nicht anmerken, wie gekränkt ich eigentlich war, aber mein Lächeln verging mir.
" Na Streber, meinst wohl du bist was Besseres, als wir!?", brüllte der Junge fies.
" Pass auf, Kleiner, ich bin neu an der Schule", erklärte er grimmig", Und ich kann Streber nicht ausstehen! Also verpass ich dir jetzt eine!"
In diesem Moment wusste ich gar nicht so richtig, was passiert war. Ich kam mir vor, wie in einem Traum oder wie im Fernsehen, legte zitternd meine Bücher zu Seite und wartete gespannt darauf, was geschehen würde. Als ich mich dann aber vor dem Jungen aufstellte und mein Gesicht zu ihm wand, spürte ich auch schon seine Faust auf meinem Auge. Von der Kraft und dem Schmerz des Schlages betäubt, taumelte ich zurück und fiel erschöpft auf meinen Hintern. Wie ein kleines Häufchen Elend saß ich nun vor meinem Bezwinger, der plötzlich so riesig geworden war, wie Goliath und ich als kleiner David war zu verwirrt um mich meines Verstandes zu bedienen. Ich ließ mich demütigen und verspotten und machte dabei keine Anstalten mich in irgendeiner Weise zu wehren.
" Was ist, du Muttersöhnchen, " schrie Goliath lachend über den Hof", Hat dir dein Papi nicht gezeigt, wie man zuschlägt!"
Nein, offenbar nicht. In mir kochte es zwar vor Wut und Tatendrang, aber um etwas zu unternehmen fehlte es mir gänzlich an Mut. Ich war zu scheu um dieser Schlägertype das Maul zu stopfen und zu feige um ihm vom Gegenteil zu überzeugen. Am liebsten wäre ich auf ihn losgestürmt, wie ein wildes Tier, wie ein Jaguar, der sich aus dem Hinterhalt auf seine Beute stürzt und sie dann zerfleischt, aber stattdessen blieb ich stumm, rührte mich keinen Zentimeter. Ich hörte das scheußliche Lachen der Schüler um mich herum, wie ein Echo wiederholte es sich und folterte mein Ego und im Hinterton, viel leiser, als das grauenhafte Gekicher, vernahm mein Ohr ein rettendes Signal: Die Schulglocke. Sie war meine Rettung, denn sie beendete mit nur einem einzigen Gong meine Demütigung und lockte mit ihrem Klang alle anderen wieder ins Schulgebäude, so wie einst der Flötenklang des Rattenfängers die Ratten aus Hameln lockte.
" Wir sehen uns wieder, Streber!", brüllte Goliath wie ein Gewinner und verschwand in den Massen an Schülern.
Ich ging noch nicht, ich konnte nicht. Der Faustschlag Goliaths hatte direkt mein Auge getroffen und nun, als die Aufregung in meinem Körper nachzulassen schien, als das Adrenalin sich wieder in meinem Leib abbaute, erfuhr ich erstmal den Schmerz, den der Schlag mit sich brachte. Ich spürte, wie mein Gesicht immer dicker wurde, fühlte wie sich meine Haut anspannte und zu brennen begann. Widerwillig begann ich zu weinen. Tränen rollten über meine Wangen, als ich mir wirklich sicher war, dass mich niemand sehen konnte.
Ich wollte jetzt nur so schnell wie möglich meine Bücher aussammeln und verschwinden, aber zu meinem Entsetzen hatten die Freunde von Goliath all meine Bücher und Papiere auf dem ganzen Schulhof zerstreut. Ich kroch also auf dem Asphaltbelag des Hofes umher und sammelte Zettel für Zettel wieder auf. Ich kam mir ziemlich blöd vor und schämte mich regelrecht, bis sich ein furchtbar süßes Mädchen neben mich kniete und mir half. Sie sagte keinen einzigen Ton, sammelte nur die Papiere auf und reichte sie mir dann freundlich entgegen.
" Hi, mein Name ist Josephine, aber meine Freunde nennen mich Joey", meinte sie strahlend.
Ich sah sie lange an, ohne ein Wort zu sagen. Mir war, als wäre mir bei ihrem Anblick die Luft weggeblieben oder als hätte man mir die Stimme geraubt. Josephine hatte mich völlig in ihren Bann gezogen und das, obwohl ich mich vorher nie für Mädchen interessierte, aber sie war nicht so, wie die anderen, sie war etwas besonderes, geradezu einzigartig. Ich war völlig fasziniert von ihr. Wie sie da stand und mich mit ihren leuchtenden blauen Augen ansah, wie ihr wilder Zopf im Wind hin und her wankte, wie ihre blasse zarte Haut durch die Löcher in ihrer Hose blitzte, brachte mich ganz und gar aus dem Konzept. Es kam mir vor, als wäre ich von einer Sekunde auf die andere in eine vollkommen neue Welt geraten, so als hätte ich vergessen, wo ich überhaupt war, als wüsste ich nicht einmal mehr meinen Namen. Doch dann erinnerte ich mich plötzlich wieder daran, ich erinnerte mich an alles und kam wieder zu mir.
" Ha..Ha.Hallo", stotterte ich verlegen", Ich heiße Andrew."
Das Mädchen lächelte freundlich." Also dann, Andrew, " meinte sie im Weggehen, " Ich hoffe wir sehen uns bald wieder!"
" Ich auch, " murmelte ich so leise, dass sie kaum hätte hören können.
Was gerade geschehen war, konnte ich gar nicht begreifen. Es schien so unglaublich für mich, dass ich einfach noch zu Hause meinem Bett liegen und träumen musste, so als hätte sich auf einen Schlag das ganze Universum zu meinen Füßen gebettet und eine Galaxie aus Millionen von winzigen Sternen küsste mich. Aber als mein Auge plötzlich wieder schmerzte, als sich wieder diese Millionen von winzigen Nadeln und Splitter in meine Haut bohrten, war mein Traum vorüber. Ich war wach und in der Schule, Goliath hatte mich geschlagen und der Unterricht war in vollem Gange. Ich war wieder bei Sinnen, erinnerte mich wieder daran, dass ich in einen Spiegel schauen wollte und rannte stürmisch auf die Jungentoilette, wo mich im wahrsten Sinne des Wortes ein blaues Wunder erwartete.
Als ich sich mein Abbild vor mir auftat, fuhr ich sofort erschrocken zusammen. Ich hatte mit allem gerechnet, mit Blut, Kratzern und Schnitten, nur nicht mit dem, was sich als Wirklichkeit herausstellte, nicht mit einem blauen Auge. Einem blauen Auge, das so riesig war, das man es von einem Hubschrauber aus hätte sehen können! Dieses Ding war so offensichtlich, so groß, dass es nicht einmal als Augenring hätte durchgehen können, die Chance es irgendwie zu verstecken war also gleich null. Ich war geliefert, ein toter Mann, ich war bereits ein Geist. Meine Eltern würden mich vierteilen, mir auf ewig verbieten das Haus zu verlassen oder sie würden mich gar verschwinden lassen, wenn sie raus fänden, dass ich dieses Veilchen durch eine Prügelei bekommen hatte. Ich musste mir etwas einfallen lassen! Lange stand ich vor dem Spiegel und grübelte, zermaterte mir den Kopf darüber, wie ich meine Haut retten sollte. Ich lehnte mich gegen die Fliesen und ließ mich an ihnen herunter gleiten bis ich zusammengekauert, wie ein Baby auf dem Boden der Jungentoilette hockte. Und ebenso, wie ein Säugling war ich dem Heulen wieder einmal verdächtig nahe, da es keinen Ausweg aus dieser Misere zu geben schien. Es war hoffnungslos noch weiter nachzudenken, es hatte einfach keinen Sinn, also brachte ich mich mit all meiner Kraft wieder auf die Beine und betrat entschlossen den Weg, den das Schicksal für mich bereithielt, während mich das Grölen des Volleyballteams aus der Turnhalle begleitete.
Sofort schoss mir ein Lächeln ins Gesicht, ich hatte einen Gedankenblitz, eine Idee, einen Plan, der mich aus meiner Lage retten konnte. Hastig strich ich mir meine langen Haare über das blaue Auge und rannte wie der Blitz in die Turnhalle. Ich bat einen Jungen aus dem Deutschkurs darum mitspielen zu dürfen und da ich ihm schon ein paar Mal die Hals aus der Schlinge gezogen hatte, war er mit noch etwas schuldig und arrangierte daher alles. Dank meinen Kumpel durfte ich also mitspielen. Ich beschloss insgeheim in den ersten Minuten noch mit meinen Leistungen zu glänzen um dann meinen Plan noch besser durchziehen zu können. Während des Spiels war ich ziemlich damit beschäftigt, mir immer wieder meine langen Haare über das Auge zu streichen, hätten meine Mitspieler die Blessur nämlich vorher gesehen, dann wäre mein ganzer Plan ruiniert gewesen. Ich gab mir aber trotzdem sehr viel Mühe beim Spiel, ich war sogar einer der besten im Team, bis zu dem Zeitpunkt, als ich meine Show abziehen wollte. Ich stand in der Mitte des Feldes und so ein riesiger, kräftiger Kerl, der den Ball wie Blitze schleudern konnte und ihn mit einer Power über den Platz jagte, das es einem Angst machte, hatte Angabe. Wie zuvor auch hämmerte er die Kugel mit starkem Schlag über das Netz und ich warf mich aufopfernd in den Lauf des Balles. Doch plötzlich begann ich zu wanken, der Boden unter meinen Füßen wurde rutschig und ich war nicht mehr in der Lage den Ball abzuwehren. Verwirrt taumelte ich auf dem Feld umher, aber meine Füße waren völlig außer Kontrolle, sodass ich mit meinem Gesicht auf den Ball zustolperte und dieser mit einer rasenden Geschwindigkeit mein Auge traf. Wie ein Stein fiel ich zu Boden und bleib dort regungslos liegen. Mein Schauspiel schien perfekt gewesen zu sein, denn ich konnte das aufgebrachte Geschrei meiner Teamkollegen hören, ich konnte spüren wie der Boden unter mit bebte, als jemand loslief um die Krankenschwester zu holen und ich fühlte wie mich jemand sanft an seinen Leib drückte.
Absichtlich machte ich keine Bewegung, ich rührte mich nicht, bis ich die Absätze der Krankenschwester klappern hörte. Erst in diesem Moment öffnete ich langsam meine Lider.
" Mensch, Junge", hechelte die Krankenschwester nervös", Was machst du nur für Sachen? Komm mal mit, ich muss mit dir ins Krankenzimmer gehen."
Zwei meiner Mitspieler griffen mir unter die Arme und halfen mir dabei mich aufzurichten. Der eine, namens Noah, begleitete mich sogar bis zum Zimmer. Und obwohl man von der Turnhalle aus nicht einmal fünf Minuten bis dorthin brauchte, schaffte ich es, die Krankenschwester solange aufzuhalten, dass wir beinahe eine Viertelstunde lang auf den Gängen herumirrten. Immer wieder gab ich mich erschöpft, sackte schwach in mir zusammen und tat sogar ein paar Mal so, als ob ich mich übergeben müsse. Ich fand das ziemlich witzig, als ich bemerkte, wie hilflos die Krankenschwester eigentlich war. Sie konnte gar nicht mit mir umgehen, wusste nicht, was zu tun war, als ich mich röchelnd an die Wand lehnte. Sie war sogar noch ratloser, als dieser Noah, der mir die ganze Zeit über Beistand leistete.
Kurz vor dem Krankenzimmer ließ ich es dann aber noch einmal richtig krachen, ich täuschte einen Schwindelanfall vor, so als würde ich in Ohnmacht fallen und könne keinen einzigen Schritt mehr gehen. Die Krankenschwester stand offensichtlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Sie flatterte aufgeregt mit ihren Armen herum und gackerte wie eine Henne etwas vor sich hin. Noah kam dann letztlich auf die Idee einen Rollstuhl zu holen, sodass ich nach nun mehr als zwanzig Minuten auf der Pritsche im Krankenzimmer lag und darauf wartete, dass meine Eltern mich holten. Soweit ich mich erinnern kann, verschwand Noah nicht gleich, sondern leistete mir beim Warten sogar Gesellschaft. Wahrscheinlich wollte er die unfähige Krankenschwester nicht allein mit mir lassen, weil sie dann wirklich noch vor lauter Überforderung zusammengebrochen wäre. Ich glaube sie trug auch nichts zu meiner > Genesung< bei. Sie gab mir zwar ein Medikament, untersuchte sie mich aber nicht weiter, sondern saß einfach zitternd an ihrem Schreibtisch und versuchte verbissen meine Eltern zu erreichen. Und ihre Hartnäckigkeit zählte sich schließlich aus, sie wurde zu meinem Vater ins Büro durchgestellt und erzählte ihm brühwarm die Geschichte mit meinem blauen Auge und das mich jemand abholen sollte. Die Krankenschwester tat mir jetzt schon leid, denn ich konnte von der Liege aus hören, wie er fluchte und schrie, dann wurde er aber wieder leiser und die Schwester verabschiedete sich freundlich von ihm.
" Mein armer, kleiner Junge", schmuste sie und streichelte meinen Kopf", Dein Vater wird dich gleich holen."
Das war das Signal. Ich hatte schon über die Hälfte meines Planes hinter mir, die Krankenschwester war überzeugt und wenn sie meine Geschichte glaubte, so mussten sich auch meine Eltern meinen genialen Einfallsreichtum fügen.
Als meine beiden Eltern dann aber wirklich im Zimmer standen, sich meine Mutter erschrocken die Handflächen vors Gesicht hielt und mein Vater mir diesen skeptischen Blick zuwarf, sah ich mein Kartenhaus schon einstürzen. Ich dachte sie ahnten etwas, doch dann verabschiedeten und bedankten sie sich bei Mrs. Lau, mein Vater stützte mich und meine Mutter behätschelte mich liebevoll, sodass sie mir die Geschichte also doch abgenommen haben mussten.
Trotzdem meine Eltern aber relativ nett zu mir waren, war es ihnen sehr unangenehm mit mir gesehen zu werden. Meine Mutter hätte mich offenbar am liebsten verschleiert, mir ein Kopftuch umgewickelt und eine Sonnenbrille aufgesetzt, sodass man hätte denken können, ich sei ein Ölseich und mein Vater drückte mein Gesicht so fest an seinen Körper, dass ich kaum noch Luft bekam. Ich kam mir vor, wie die Geisel von zwei armen Irren, als sie mich ins Auto zerrten und mir befohlen, ich solle meinen Kopf unten halten, da mich doch jemand sehen könnte. Nun, es wäre der Apokalypse nahe gekommen, wenn man den Sohn der angesehenen Familie Milton mit einem Veilchen gesehen hätte, ganze Welten wären untergegangen, da der Ruf meiner Familie sofort verdorben wäre. Man musste mich also versteckt halten, wie einen Banditen, wie Billy the Kid, wie Jeanne d'Arc, die nach der Gefangenschaft der Burgunder, als Hexe und Ketzerin angeklagt wurde und letztlich auf dem Scheiterhaufen endete. Genauso fühlte ich mich, genau solche abfälligen und angewiderten Blicke warfen mir meine Eltern immer wieder zu und das, obwohl ich keine Schuld an meinem Veilchen trug. Sie sahen mich an, als wäre ich ein Penner, der volltrunken in seinen eigenem Erbrochen schläft um nicht in der Kälte zu erfrieren, aber ich war doch nur ein kleiner Junge, ein David, der sich gegen die Macht Goliaths nicht zur Wehr konnte. Doch dennoch war ich ein Junge mit einem Veilchen, der ein gieriges schwarzes Loch in das Bild der perfekten Familie gerissen hatte. Es nützte nichts mehr, dass meine Mutter aussah, wie die amerikanische Vorzeigemutter, mit ihren blonden Marilyn Monroe- Locken, ihrer Perlenkette und ihrem knielangen, weißen Faltenrock, denn ihr roter Lippenstift konnte meine Schmach nicht verdecken. Und auch die akkuraten Anzüge mit den geschmacklosen Krawatten meines Vaters halfen uns nicht, da selbst sein lederner Aktenkoffer ein blaues Auges nicht abwenden konnte. Wir waren nicht mehr die amerikanische Bilderbuchfamilie, da ich nicht mehr der amerikanische Mustersohn war. Ich war nicht mehr der nette, hilfsbereite, brave und gleichzeitig äußerst talentierte Sohn von Max Mustermann und seiner Frau, ich war ein Krimineller, gezeichnet mit einer Blessur um meinen Auge.
Die Luft im Wagen schien so dick zu sein, dass man sie mit Händen hätte greifen und Skulpturen daraus formen konnte, die Lage war einfach vollkommen angespannt und obwohl meine Eltern nicht sprachen, konnte ich förmlich spüren, wie wütend sie waren. Ich spürte, wie der Sitz meines Vaters vor lauter Gram bebte, so als wäre er ein Wolf , der mir mit aufgestellten Nackenhaaren gegenüber steht und die Zähne knurrend fletscht. Und meine Mutter wirkte wie eine hinterhältige Perserkatze, die sich zuerst schnurrend an mich schmiegt und mir dann unerwartet ihre Krallen unter die Haut rammt.
Vor meinem Vater hatte ich dennoch viel mehr Angst. Er war unglaublich streng und immer ernst. Ich glaube ich habe ihn sogar erst zweimal in meinem ganzen Leben lachen sehen und ich hatte das Gefühl, dass ich erst ein einziges Mal miterlebt hatte, dass er so wütend war. Das war, weil meine Mutter vergessen hatte, seinen Anzug zu bügeln und er musste zu einem wichtigen Termin, da ist er dann einfach ausgerastet und hat meine Mum irrsinnig angebrüllt. Ansonsten hatte er sich noch nicht einmal wirklich aufgeregt, nur ein wenig gemotzt, aber nie geschrieen. Doch ich war mir innerlich schon sicher, dass ich meinen Vater heute zum zweiten Mal in meinem Leben schreien hören würde und ich rechnete schon damit seinen Ledergürtel auf meinem blanken Hintern zu spüren. Meine Mutter war noch gütig, sie hatte anscheinend Mitleid mit mir, drehte sich ein paar mal um und griff meine Hand, als mein Vater dann zu ihr sah, ließ sie mich schnell wieder los und ignorierte ihren eigenen Sohn. So wie man einen Straßenköter ignoriert, dem man eigentlich nicht widerstehen kann. Man möchte ihn so gern streicheln, ihn so gern liebkosen, aber man möchte auch nicht mit so einem verlausten Vieh gesehen werden. Was sollen die Leute denken?
Ich war ebenfalls so ein verlauster Köter, so ein Streuner, der nur Unsinn im Kopf hatte und seiner Familie das Leben erschwerte, so kam es mir in diesen Moment jedenfalls vor, obwohl es nicht im Geringsten so gewesen ist. Man hätte meinen können, ich säße mit Handschellen gefesselt in einem Gefangenentransporter, der mich wieder in das Gefängnis bringt von welchem ich geflohen war.
" Andrew", knurrte der Fahrer, als er mich dabei erwischte, wie ich aus dem Fenster sah", Deine Mutter und ich, wir müssen mit dir reden."
Auch, wenn es klang, wie ein ganz normaler Satz, es war eine Drohung, es war die Warnung, vor dem, was passieren würde, die Trompete des Verkündungsengels vor der Offenbarung, geradezu wie die Ruhe vor dem Sturm. Ich sah mich schon wie Marie Antoinette auf dem Schafott den Kopf schon eingezwängt im Pranger, während das Messer der Guillotine auf mich zuraste, wie ein unaufhaltsamer Tsunami. Ich kam mir vor, als wäre ich die Reinkarnation Nostradamus, der bereits während der Heimfahrt das Ende der Welt, das Ende meiner Welt vorausgesehen hatte. Es gab wirklich eine Hinrichtung, nachdem meine Eltern und ich das Haus betreten hatten, es gab eine Ausschlachtung und ein Gemetzel im Leib von Worten und Lauten. Die ganze Sache kam einer Gerichtsverhandlung nahe. Ich saß im Anklagestand, auf dem Sessel in unserem Wohnzimmer und mein Vater versuchte mir in der Rolle eines Staatsanwaltes doch die Schuld zuzueignen, während er gleichzeitig den Richter mimte und ein grausames Urteil fällte. Meine Mutter war weder mein Verteidiger, noch irgendetwas anderes als ein lausiger Zuschauer, der sich von draußen hereingeschlichen hatte, weil er neugierig war.
Ich war ganz allein in diesem Raum, der mir sonst eigentlich der liebste im ganzen Haus war, aber nun war er zu einem Gerichtssaal, einem Henkerturm, zu einem scheußlichen Vorort der Hölle geworden. Mein Vater war der Teufel, der mit seiner Mistgabel auf mich einstach, damit ich ein Geständnis ablegte. Sein böser Blick bohrte sich wie ein Pfeilhagel in meinen Körper, als würde er mir seine diabolischen Hörner ins Fleisch martern, sodass ich vor lauter Angst begann zu zittern. Plötzlich stand ich als großer Hektor, dem noch viel größeren Achilles gegenüber und spürte mit einem Schlag die Macht und den unbändigen Zorn des Halbgottes als er mich zu Boden streckte und mit seinem Viergespann am Schopf um die Heimatstadt zog. Mein Gesicht blutete unter den Steinen, die sich durch meine Haut zogen, wie feurige Schwerter und meine Seele brannte unter den Blicken meines Vaters, der mich dabei beobachtete, wie ich fiel.
Er saß da, mit seiner altmodischen Pfeife im Mund und pustete rauchende Bilder in die Luft. Früher kamen sie mir immer vor, wie Schlösser, Paläste, die Engel einst aus Wolken gebaut hatten, aber heute erinnerten sie mich an den schwarzen Rauch, der vom Höllenfeuer aus auf die Erde dampfte.
" Mein Sohn", sprach er nach einer Weile ernst, " Du weißt, dass deiner Mutter und besonders mir das Ansehen unserer Familie sehr wichtig ist."
Ja, dass wusste ich. Ich hatte es niemals vergessen und werde es nicht vergessen, da es mir eingetrichtert wurde, wie ein Hund darauf gedrillt wird, nicht auf den Teppich zu pinkeln. Der Hund wird böswillig darauf aufmerksam gemacht, dass er einen Fehler begannen hat, indem man ihn mit seiner Schnauze in seine Hinterlassenschaften taucht. Und bei mir war das nicht anders. Auch mich erinnerte man immer wieder daran, dass ich der Mustersohn zu sein hatte, manchmal mit dem Ledergürtel und ein anderes Mal mit einer Backpfeife, jedoch immer in Verbindung mit einer ewiglangen Predigt. Beinahe, wie in der Kirche, wie bei einem Geheimbund, in welchem man zur Züchtigung mit Hilfe von Beichten und Geißeln erzogen wird.
Er nahm noch einen Zug von seiner Pfeife und brummte kalt:" Du könntest uns alles verderben, Andrew. Du bist gezeichnet, man wird dich für einen Schläger halten und uns für schlechte Eltern."
Mein Vater holte noch einmal tief Luft, so als würde er nun mit dem Hammer auf sein Pult schlagen wollen und die Todesstrafe erstmals verkünden.
" Andrew, du wirst fortan nicht zur Schule gehen. Du wirst das Haus nicht verlassen bis deine Blessur wieder abgeschwollen ist."
Ich war fassungslos. Ich hatte mit allem gerechnet, mit Hausarrest, mit Strafen, aber nicht mit einem kompletten Arrest, nicht mit völliger Isolation, mit Karantäne. Es war so als hätte ich eine ansteckende Krankheit, die Pest oder sonstiges, weshalb ich mich nicht sehen lassen durfte. Nun kam ich mir noch eher vor, wie ein Verbrecher, wie ein Räuber, doch eher so, als hätte man den Falschen verdächtigt und an den elektrischen Stuhl gefesselt.
Nachdem mein Vater eine Bestrafung für mich ausgesprochen hatte, schwiegen wir alle. Meine Mutter, die sowieso nichts gesagt hatte, weil sie meinem Vater nicht widersprechen konnte, mein Vater, weil er nichts mehr zu sagen hatte und ich, weil ich mich total vor den Kopf gestoßen fühlte. Wir tranken alle so hastig wir konnten unsere Getränke aus, schlangen den Kuchen, als gäbe es die nächsten Wochen nichts zu essen und sahen uns dabei nicht ein einziges Mal ins Gesicht.
" Du kannst jetzt gehen, mein Sohn", knurrte mein Vater, als er sah, dass ich fertig war", Deine Mutter und ich müssen noch etwas besprechen."
Betrübt und gleichzeitig unglaublich froh stand ich auf und marschierte wortlos aus dem Zimmer. Als ich die Stubentür schloss, erklang zugleich ein anderer Ton im Zimmer. Meine schweigsame Mutter, die die ganze Zeit über keine Anstalten machte mir beizustehen, schien nun endlich den Mut gefunden zu haben um etwas zu sagen. Sie war aufgebracht und es wirkte, als wenn sie meinen Vater anschrie und mein Vater schrie zurück. Wohlmöglich hatte Erzeuger mir erlaubt auf mein Zimmer zu gehen, weil er wusste, dass er sich mit meiner Mutter streiten würde.
Sie stritten nicht vor mir, niemals und doch hatte ich es immer bemerkt, wenn gezankt hatten. Meine Mutter war danach immer so traurig, so weinerlich und ihre Augen waren feuerrot und mein Vater war immer noch dominanter und strenger, als überhaupt. Und auch, wenn sie wussten, dass ich mir bereits im Klaren darüber war, was in manchen Nächten unten in der Küche oder in ihrem Schlafzimmer vor sich ging, versuchten sie den Schein zu wahren und spielten immer noch das glückliche Ehepaar.
Ich spürte durch die geschlossene Tür hindurch, wie meine Mutter weinte, wie verzweifelt sie war und so konnte ich, als Hektor und David zugleich, es nicht mehr ertragen zu hören, wie der mächtige Achilles nun auch noch die zierliche Penthesilea zu Grunde richtete. Ich trottete in mein Zimmer und die Stufen dorthin kamen mir vor, wie eine Straße, eine endlose Straße ins nirgendwo. Währenddessen ich mich lustlos immer weiter vom Wohnzimmer entfernte, wurde das Gebrüll meines Vaters immer heftiger, wobei das Weinen meiner Mutter immer lauter wurde. Innerlich wollte ich ihr helfen, mich mit ausgebreiteten Armen heldenhaft vor sie werfen, wie ein Ritter, der eine schöne Maid vor einem Drachen zu schützen versucht. Doch ich war kein Siegfried, der Brunhild rettete, ich war kein Robin Hood, der die Armen und Schwachen beschützt, ich war ein kleiner, schmieriger Feigling. Also verhielt ich mich auch so und rannte nun, so schnell ich konnte in meinen Kerker. Ich verkroch mich, wie eine Maus in meinem Mäuseloch, da ich nicht den Schneid besaß den Hilflosen zu helfen.
Als ich die Türklinke losließ und jeden Finger einzeln von ihr abnahm, kamen mir erneut die Tränen. Wütend schmiss ich mich mit aller Wucht auf mein Bett und prügelte ungezügelt auf die Kissen ein. Ich hätte sie am liebsten in der Luft zerfetzt, zerrissen und sie mit aller Kraft gegen die Wand geschleudert, bis mein Zimmer in einem einzigen Meer aus Federn versunken wäre, so sehr tobte ich vor Zorn.
Das kann er doch nicht mit mir machen, was glaubt er, wer er ist.
Er ist Gott in diesem Haus, Zeus, Allah und Jahwe und ich war nur einer seiner belanglosen Diener. Ich war nicht einmal so viel wert wie Moses, nicht so viel wie Noah, denn ich hatte ein blaues Auge, war also kein sündenfreier Mensch mehr. Für mich wurden die Tore zum Himmel versperrt und gleichzeitig öffneten sich die Türen der Unterwelt.
Ich blickte neben mich auf meinen Nachttisch und sah mich in dem Kosmetikspiegel, den meine Mutter dort aufgestellt hatte. Dieses Gesicht, dieses furchtbare Gesicht war an allem schuld, dachte ich und ich wusste in diesem Moment gar nicht, wie wahr meine Worte eigentlich waren und sein würden.
Ich streichelte zögerlich meine Blessur und als mich dann plötzlich wieder ein Schmerz erfasste, als prügelte Goliath noch einmal auf mich ein, schmiss ich vor lauter Groll den Spiegel gegen die Wand, sodass er in tausend winzigen Scherben auf den Boden rieselte, wie Regentropfen, so als würde es Scherben schneien. Mein Geist schien gerade in eine andere Welt übergegangen zu sein, ich war vollkommen abwesend, stand auf und ging durch die Scherben, als wären sie Watte, nur um eine von ihnen auf zu heben. Als ich mich aufs Bett setzte, spürte ich erstmals das Brennen meiner Wunden, ließ mich davon aber nicht weiter irritieren. Meine ganze Aufmerksamkeit war der Scherbe gewidmet, in deren kleinen Umfang sich immer noch mein Gesicht spiegelte.
Ich lächelte, ballte meine Hand zu einer Faust und fühlte mich plötzlich übermenschlich stark. Ich fühlte mich stark, als ich das Blut an meinen Händen herunter laufen sah, als ich den Schmerz spürte, der mir nichts anhaben konnte und so wusste ich auch, dass mein Vater von nun an keine Macht mehr über mich haben würde, denn ich war immer noch stärker als er. Ich war es müde, mir immer von ihm sagen zu lassen, wer ich war, ich war es müde, von anderen, so wie von Goliath behandelt zu werden, wie der letzte Dreck und ich war es ebenso müde zu weinen. Es musste ich etwas ändern, ich musste mich ändern um eine bessere Welt zu erschaffen.


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Tag der Veröffentlichung: 28.04.2009

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