Dunkelheit, das ist das Einzige, woran ich mich jetzt noch erinnern kann, an tiefste Dunkelheit, an ewige Nacht. Um mich herum ist alles still, alles tot, als wäre die Zeit stehen geblieben oder vielleicht ich? Vielleicht bin ich stehen geblieben, wie das Pendel einer Uhr, die nicht mehr schlägt, wie die Glocke einer Kirche, die nicht ´mehr geläutet wird oder wie der Strom eines Flusses, der aufgehört hat zu fließen. Es scheint, als gäbe es mich nicht mehr, weil ich möchte, dass es mich nicht mehr gibt. Ich will nicht mehr sein, denn alles, was das Leben für mich bedeutete, habe ich verloren. Alles womit ich zu meiner Person, womit ich zu Fabian Tobias Roth wurde, ist untergegangen, wie die Titanic in einer kalten eisigen Nacht. Und anstatt mit dem Schiff in die Tiefe gerissen zu werden und zu sterben , lässt man mich weiter die Qualen der Erinnerungen erleiden. Jeden Tag aufs Neue, immer wieder, solange bis die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind und ich zerstört bin, durch eine Explosion in meinem Hirn. Ich fühle mich wie ein Krüppel, wie ein Monstrum, obwohl ich weder so aussehe, noch solch ein Leid mit mir herum tragen muss, das ist die Wirklichkeit, aber in meinem Kopf bin ich ein Blinder, querschnittsgelähmt und noch schlimmer. So geht es nicht, es geht einfach nicht. Ich kann nicht mehr in die Zukunft sehen, wenn ich schon in der Vergangenheit mein Spiel verloren habe. “ Es wird schon gut werden, Hauptsache du lebst! ”- Vergesst es, auf solche Sprüche kann ich pfeifen! Dummes Mitleid von Menschen, die überhaupt keine Ahnung haben, das brauche ich am Wenigsten. “Wir wissen, was du durchmachst!” - Nichts wisst ihr, nicht den Hauch einer Ahnung habt ihr! Wenn ihr einem Skater sein Board klaut, dann kauft er sich ein Neues, wenn ihr einem Gitarristen seine Gitarre klaut, dann kauft er sich ne’ Neue, wenn eine Glühbirne kaputt geht, dann kauft man eine Neue und was mach ich, soll ich mir einen neuen Arm kaufen- oder was!
Nehmt einem Fußballer seine Beine, nehmt einem Sänger seine Stimme, nehmt Fotografen seine Augen, dann könnt ihr ahnen, was ich bin- Nichts! Ich bin nichts mehr. Der dämliche Arzt sagt auch noch, es hätte schlimmer kommen können, aber für mich hätte es das nicht! Dir wurde die Gabe des Lebens geschenkt, meinte er, doch ich wollte ihn fragen warum er Gabe sagte und nicht Fluch. Was soll ich denn machen, wenn ich nichts mehr habe? Ich bin allein, allein gefangen in einem Alptraum aus dem ich nie mehr erwache. Ich bin in der Hölle und die Flammen klettern an meinem nackten Körper herauf und saugen jeden Wunsch, jede Kraft zu Überleben aus meinem Herzen. Ich würde jetzt am Liebsten mit Würmern unter der Erde liegen, als mit weichen Kissen in meinem Bett. Warum tust du mir das an!? Sag mir, wenn es dich gibt, warum machst du das mit mir?! Was bist du für ein Gott, dass du mich am Leben lässt, dass du mich so folterst, obwohl ich immer versucht habe das Richtige zu tun! Was hab nur falsch gemacht, dass du mich so strafst? Ich bin doch noch so jung, gerade einmal 17 und jetzt, jetzt schon nimmst du mir all meine Träume weg, meine Zukunft? Ich will niemanden sehen, nicht einmal meine Eltern, meine Freunde. Ich hocke einfach nur so da, in meinem Zimmer auf dem Boden und starre an die leere Wand. Ich habe alle meine Bilder von ihr heruntergerissen und jeden Bleistift- nein jeden Stift, jeden Pinsel, jedes Stückchen Kreide in den Mülleimer geworfen. Ich will einfach nichts mehr davon sehen!
Ich kann es nicht sehen, denn es zerreißt mir das Herz. Es ist wie eine offene Wunde, die niemals verheilt und in die Salz gestreut wird, wenn ich auch nur einen Radiergummi sehe. Ich weiß, alle machen sich Sorgen um mich, haben Angst, dass ich Dummheiten mache und Angst sollten sie wirklich haben, nur nicht davor, dass es dann eine Dummheit ist. Für mich wäre es keine, denn mein ganzes Leben hat sich nur um diese eine einzige Sache gedreht und nun ist sie weg. Also wäre es dann ein Fehler? Tausende kleine, große, runde und ovale Pillen und Kapseln kreisen mit meinem Blut in meinem Körper herum und ich habe nicht das Gefühl, dass sie mich stärker machen, sondern eher schwächer. Mit jeder Tablette die ich in meinen Mund werfe, schwindet die Hoffnung mein Leben in den Griff zu bekommen. Die Hoffnung auf einen Neuanfang habe ich sowieso schon verloren. Was soll ich also noch hier, außer mich im Dreck meines Kummers herum zu suhlen? Wenn ich abends ins Bett gehe, wünsche ich mir, ich würde die Decke über meinen Kopf werfen, meine Augen schließen und nie wieder aufwachen, aber es passiert nicht, selbst diesen einfachen Wunsch erfüllt man mir nicht. Es ist doch jetzt mein Einziger, die anderen wurden mir gestohlen. Je mehr ich nachdenke, desto mehr schmerzt es in meiner Brust, desto weniger kann ich meinen Arm bewegen und desto mehr begehre ich den Anblick des Sensenmannes, wie er mit seiner Sichel vor mir steht und mich holt. Ich würde so gern noch einmal lachen, doch worüber, wenn ich nur das eine im Sinn hab? Verzweifelung, Einsamkeit, Leid, mehr spüre ich nicht. Ich spüre nichts mehr außer Schmerzen. Es ist eine einzige Qual für mich mir ein Brot zu schmieren, das spüre ich und dann erinnere ich mich wieder daran, wie viele Stiche meinen Arm durchfahren, wenn ich einen Pinsel führe. Es ist einfach nicht fair, dass weiß ich. Ich hatte doch überhaupt nichts mit der Sache zu tun, aber trotzdem werde ich als Einziger bestraft. Jedes Mal, wenn ich an jenen Tag denke, entfacht es eine Wut in mir, die kaum zu bändigen ist, dann fühle ich mich stark und denke, dass ich allein aus Stolz noch lebe. Ich kann es ihm nicht gönnen, mich in einem Sarg zu sehen, denn genau das wünscht er sich und er hätte es auch fast geschafft. Nur weil ich mich wieder einmal nicht heraushalten konnte, ich Dummkopf. Aber nein, Fabian Roth muss ja immer allen beistehen, er kann es ja nicht lassen, jedes Mal zu schlichten, wenn seine Kumpel sich wegen irgendeinem Blödsinn prügeln wollen. Dann haben sich alle beruhigt, er dreht sich um und hört seine Freunde nur noch schreien: “ Fabi, Fabi!” und er geht zu Boden. Es macht mir Angst, dass ich nichts mehr davon weiß, vom ganzen Abend nicht. Man kommt sich vor wie in einem Film, den man nicht gesehen hat und alle anderen reden darüber, das Schlimme dabei ist nur, dass man selbst der Hauptdarsteller in diesem Thriller ist. Kevin und Matt haben mir und meinen Eltern dann erzählt, was passiert war. Und es stellte sich heraus, dass der Typ mir mit voller Wucht mit einem Baseballschläger gegen den Schädel geschlagen hat. Er hat einen Teil meiner Schädeldecke zertrümmert, wodurch auch einige Nerven in meinem Gehirn getroffen wurden und zwar genau die, welche meinem linken Arm steuerten. Deshalb ist es so schwer für mich meinen Arm zu bewegen und deshalb habe ich alles verloren das mir heilig war, denn ich kann nie wieder zeichnen. Sogar jetzt nach 4 Wochen kann ich kaum ein leeres Glas halten, ohne das ich anfange zu zittern wie ein Junkie. Aber es wird bald vorbei sein. Es wird sogar noch heute enden. Alles, was mich so quält, wird heute endlich aufhören. Mein Kopf dreht sich schon, weil ich so viel getrunken habe. Ich weiß- Alkohol ist keine Lösung, aber er macht es irgendwie leichter für mich. Verdammt, ich bin so aufgeregt, mein ganzer Körper zittert, aber ich versuche nicht dran zu denken. Ein Schluck noch, dann ist die Flasche leer und dann geht es los, dann gibt es kein zurück mehr. Der Wodka brennt in der Kehle, als würde ich einen Aschenbecher mit tausenden kleinen Funken in meinem Hals kippen. Das Aufstehen fällt mir jetzt schon ziemlich schwer, weil ich mich nur auf einer Hand aufstützen kann und dann taumele ich auch noch, hoffentlich merken meine Eltern nichts, sonst ´kann ich alles vergessen. Auf Zehenspitzen schleiche ich zum Schrank meines Vaters. Eigentlich hat er es mir immer verboten an seinen Schrank zu gehen, aber Regeln sind mir jetzt sowieso egal, alles ist mir egal, nur nicht diese Wut in mir. Dieses Verlangen nach Rache, dass mir überhaupt die Kraft gibt meine Jacke anzuziehen. Ich weiß genau, wo ich hin muss. Er ist immer da. Es ist dunkel, aber, die Nacht macht mir keine Angst mehr, denn ich bin wie sie. Ich passe mich ihr an, mit meiner schwarzen Jacke, habe die Kapuze tief in mein Gesicht gezogen und warte hinter einer Hecke auf den richtigen Augenblick. Meine Hände sind ganz feucht, weil ich so nervös bin. Am Liebsten würde ich einfach wieder nach Hause gehen und meinen Plan vergessen, doch ich kann nicht. Zu tief sitzen die Schmerzen, die Wut, der Kummer in meinem Herzen, zu sehr hat sich mein Leben verändert, zu sehr hat er mich in die Dunkelheit gestürzt- aber heute wird wieder Licht einkehren. All meine Wünsche, die ich jetzt noch habe, werden sich erfüllen, indem ich ihm zeige, wie düster es in mir ist. Und er wird verstehen, das weiß ich. Er wird leiden, dass weiß ich und er wird bereuen, da bin ich mir sicher. Sein Gelächter kann ich schon vom Weiten hören, was in mir noch ein viel stärkeres Verlangen entfacht. Warum? - Weil er statt meiner noch lachen kann, ich jedoch kann es nicht mehr. Er stahl mir meins und wenn mir mein Lachen, mein Glück genommen wurde, dann soll er genauso wie ich erfahren, was es heißt, wenn es gestohlen wird. Wie die Welt sich bewegt, aussieht, wie sie fühlt, dass soll er erfahren. Wie der Körper verfällt und man die Kontrolle über alles verliert, dass soll er wissen. Wie es ist, wenn man sich selbst verliert, untergeht und an einem tiefen Abgrund steht, dass soll er fühlen. Das Glück, die Träume, die Liebe, die Leidenschaft, das Lachen, den Spaß, den Glauben, all das und noch viel mehr soll er missen, wenn er sich auch nur ansatzweise ein Bild davon machen will, was er mir angetan hat. Ich könnte ihn töten, wenn ich wollte, nur mit einem einzigen Schuss, aber ich will es nicht. Ich bin kein Mörder, viel mehr will ich sein Blut sehen, will sehen, wie er zu Boden geht und will erreichen, dass er all das, was mir genommen wurde, ebenfalls abgibt. Er soll so leben, wie ich es jetzt tue, denn ich weiß, was er getan hat, hat er ohne schlechtes Gewissen, sogar ohne Reue einfach so vergessen und dafür wird er heute büßen. Er wird bezahlen für all die Schulden, die er machte. Ich höre ihn, er ist da, der richtige Moment. Gesteuert vom meinem Hass springe ich hinter der Hecke hervor und drücke ihm eiskalt meine Pistole auf die Brust. Ich spüre seine jämmerliche Angst bis in meinen Leib, aber ich lächle trotzdem. Langsam streife ich meine Kapuze ab, damit er mich wenigstens sehen kann und dann begreift, warum ihm jemand einen Revolver an die Brust hält. Doch er merkt nichts, er zeigt nicht den Hauch einer Reaktion- Ist der bescheuert oder was?! Ich kann es nicht glauben, er wird sich doch wohl an mein Gesicht erinnern können oder etwa nicht? “ Erkennst du mich nicht?”, brülle ich tobend in sein Gesicht. Aber die Antwort bleibt die gleiche, nein, er zuckt nur stumm mit den Achseln und blickt furchtsam in mein Gesicht. Ich glaub das nicht, das kann nicht sein, er erinnert sich nicht an mich. Immer weiter bewegt sich mein Zeigefinger, wie von selbst in Richtung meines Körpers, sodass ich blind vor Wut abdrückte. Dann passiert alles wie in Zeitlupe. Der Junge fällt zurück, Blut spritzt gegen mein Gesicht, er geht zu Boden. Es beginnt zu regnen und das Wasser wäscht sofort alle Spuren, alle Sünden von meinem Körper. Aber etwas ist schief gelaufen. So sollte es nicht sein. Er sollte nicht sterben, er sollte nur Schmerzen mit sich herumtragen, aber der Gedanke daran, dass er nicht einmal wusste, wer ich war, ließ mich einfach abdrücken, ohne zu zielen. Was hatte ich getan? Was habe ich getan? Er ist tot, starr, ganz kalt. Ich wecke nun alle mit meinem Geheul, meinem Geschrei. Das wird das Ende sein, ich bin ein Mörder. Langsam falle ich auf die Knie, ich bin verzweifelt und habe keinen anderen Ausweg mehr. Lebt wohl, Vater, Mutter, Matt, Kevin, Maja, alle anderen, leb wohl Welt, leb wohl Dunkelheit. Vergib mir! Bang
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Tag der Veröffentlichung: 15.04.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Ihn, der immer an mich glaubt.