Das Jahr 1998 begann für mich eigentlich ganz gut. Ich hatte einen neuen Lebenspartner, meine arbeit als Krankenschwester und einen gesunden Sohn.
Ich werde den Tag nie vergessen, es war im Februar und der Rettungswagen fuhr zur Notaufnahme ein. 5 Minuten später klingelt das Telefon: Schwester, nicht erschrecken ,ihre Mutter wird jetzt zu ihnen auf die Station gebracht. Diagnose: Kreislaufkollaps….
Na ja, dachte ich, wird schon wieder werden, vielleicht sind die Blutdrucktabletten schuld..
Als meine Mama auf der Notfallgondel zu uns gebracht wurde, war ich guten Mutes, das alles in ein paar tagen wieder okay ist.
Am Donnerstag hatte ich Spätdienst und konnte mich auch um meine Mama kümmern, habe sie dann zum Ultraschall gefahren.
Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, das Gesicht des Arztes wurde immer ernster und in mir war eine Ahnung.
Später dann, auf der Station, rief er mich in sein Zimmer und mir war auf einmal alles klar.
Die Diagnose: Colon Carcinom mit Lebermetastasierung( Dickdarmkrebs mit Tochtergeschwülsten in der Leber.
An diesem Tag konnte ich nicht mehr in das Zimmer meiner Mama gehen. Zu viele Tränen, für die ich mich geschämt habe.
Schwäche zeigen kannte ich nicht. Es hieß immer, Kopf hoch, das wird schon.
Aber wie? Warum meine Mama? Warum habe ich die Anzeichen nicht erkannt?
Das Wochenende kam und mit ihm das Gespräch des Arztes mit meinem Papa, der die Diagnose verhältnismäßig gut aufgefasst hatte.
Ich glaube heute, dass uns die Ausmaße zwar bewusst waren, wir sie aber geflissentlich ignoriert haben.
Das Wort Krebs wurde nicht erwähnt, es wurde ganz weit weg geschoben, ausgeschlossen, es sollte keine Bedeutung in unserem Leben haben!
Nach dem Wochenende wurde meine Mama dann in eine onkologische Fachklinik verlegt, wo sie auch operiert werden sollte.
Zu diesem Zeitpunkt haben wir uns alle noch an ein bisschen Hoffnung geklammert.
Der Tag der Operation war da, aber letztendlich wurde nur ein Teil des Tumors entfernt und der Darm wieder zusammengefügt.
Am späten Nachmittag konnte mein Papa schon auf der Intensivstation anrufen, er bekam die üblichen Auskünfte.
Der Zustand wäre stabil und man würde am nächsten Tag auf die normale Station verlegen.
Besucht haben wir meine Mama dann am nächsten Tag, sie lag in einem Zimmer mit zwei anderen Krebspatientinnen und es war einfach nur frustrierend und schlimm für uns zu sehen, was der Krebs aus den Menschen machte.
Suppe war das einzige, was meine Mama im Moment zu sich nehmen konnte. Aber naja, was uns nicht umbringt, macht uns härter.
Die folgenden Tage verbesserte sich ihr Zustand zusehends.
Sie äußerte mir gegenüber, sie wolle die Haare gewaschen und gelegt haben.
Ich hab mich so gefreut, dass endlich wieder ein bisschen „Normalität“ einzog.
Also machte ich mich an die Arbeit. Aber als ich nach dem Haare waschen beim Kämmen ein riesengroßes Büschel Haare in der Bürste hatte, hätte ich vor Entsetzen und Traurigkeit schreien können. Meine Mama, die immer so schönes, schwarzes, volles und lockiges Haar hatte.
Ich ließ mir aber nichts anmerken und zauberte am Ende doch noch eine ganz passable Frisur.
Zwei Wochen später konnten wir sie abholen und die Chemotherapie sollte beginnen.
Nach einem halben Therapiezyklus begann sich der Zustand von Tag zu Tag zu verschlechtern.
Sie fiel ständig zu Hause um, der Kreislauf begann schlapp zu machen.
Auf Anraten der Hausärztin kam dann einmal am Tag eine Schwester der mobilen Krankenpflege vorbei.
Ihre Aufgabe war es, täglich den Blutdruck und den Puls zu messen und auf einem Überwachungsprotokoll zu notieren.
Oft hatte ich den Eindruck und dann letztendlich die Gewissheit, das Werte von der „Kollegin“ einfach nur hingeschrieben worden waren.
Also, Krankenpflege wieder abbestellt und lieber selber gekümmert.
Eines Morgens rief mich mein Papa an und bat mich, ganz schnell zu kommen.
Als ich dort angekommen war, lag meine Mama ohnmächtig in der Stube.
Der Kreislauf hatte versagt und wir verständigten den Rettungswagen.
Ich muß dazu sagen, das mein Lebenspartner ebenfalls dort im Rettungsdienst tätig war, dieser Kollege mich aber nicht kannte.
Meiner Mama wurde Ein Zugang gelegt, damit der Tropf angeschlossen werden konnte.
Kommentar des Rettungsassistenten: Na, da blasen wir doch mal das Ding mit Druck rein, das hier mal was wird“!
Ich war einfach nur schockiert.
Mit Blaulicht ging es ins Krankenhaus und es erfolgte die stationäre Aufnahme auf „meiner“ Station.
Am nächsten Tag hatte ich Frühdienst und meine Mama hatte Appetit auf ein Eis.
Das bekamen von uns aber nur Leute mit „Wunschkost“, das heißt, wo keine Hoffnung mehr bestand.
Der Doctor unterschrieb mir den Zettel und ich konnte das Gewünschte von der „ Küchenfee“ bestellen, die regelmäßig mit dem Eiswagen über die Station kam.
Ihr Kommentar dazu lautstark:“ Na meinste, das das deine Mutti auch aufisst?“
Ich muß dazu sagen, daß auch die Zimmertür aufstand und man diesen dämlichen Kommentar auch hören konnte.
Dadurch das krebskranke Patienten sehr oft Appetit auf Sachen äußern und es dann, wenn es da ist, nicht mehr möchten, war ich froh, das sie wenigstens etwas Eis aß.
Am nächsten Tag hatte ich Spätdienst und war auch zum abendlichen Waschen bei meiner Mama.
Als ich die Bettdecke zurückschlug, war ich vor Entsetzen wie gelähmt.
Ihre Beine waren „marmoriert“, ein untrügliches Zeichen des nahenden Todes.
Ich bin dann unter einem Vorwand erst mal wieder aus dem Zimmer und habe in einer unbeobachteten Ecke bitterlich geweint.
Nachdem ich mich halbwegs beruhigt hatte, rief ich meinen Lebenspartner an, er solle mit meinem Sohn zur Oma kommen, es wäre vielleicht das letzte Mal.
Ich muß dazu sagen, das mein Sohn an diesem Tag seinen 5. Geburtstag hatte.
Danach rief ich meine Schwester und ihren Mann an und bat auch sie noch einmal zu kommen.
Meine Schwester war zu diesem Zeitpunkt schwanger und ich war so blöd, zu ihr zu sagen,geh endlich rein, als sie es nicht wollte.
Sie hat es nicht verkraftet und ist fast umgekippt. Im nachhinein könnte ich mich heute noch dafür ohrfeigen.
Mein Lebensgefährte kam und mit ihm mein Sohn Benjamin.
Ich weiß, viele werden mich verurteilen, aber ich wollte so gern, das mein Sohn seine Oma noch einmal sieht.
Meine Mama hatte ich für Benjamins Besuch zurechtgemacht, sie aufgesetzt und so konnten Oma und Enkel noch ein wenig zusammen sein.
Ich bereue auch heute nichts und mein Großer, mittlerweile 16 Jahre, sagt sehr oft zu mir.
„Mama, ich seh Oma noch heut vor mir und bin überzeugt davon, sie hat auf mich gewartet“!
Ich denke mal nicht, das ich seiner kindlichen Seele mit diesem letzten Besuch geschadet habe.
Gegen 19.00 Uhr hat sich dann meine Familie verabschiedet und ich hatte 22.00 Uhr Feierabend.
Hab mich noch kurz von meiner Mama verabschiedet und bin nach Hause gefahren.
Am nächsten Morgen, so gegen 05.30 Uhr hat meine Kollegin bei meinem Vati angerufen und ihm mitgeteilt, das wir bitte kommen sollen, da es nicht mehr lange dauern würde.
So schnell war ich noch nie im Auto, habe meinen Paps abegeholt und wir sind ins Krankenhaus gefahren.
Dort habe ich erfahren, das meine Mama schon gestern Abend, kurz nachdem ich nach Hause
Gefahren bin, ins Koma gefallen ist.
Die Kollegen hatten es gut gemeint und erst am Morgen angerufen.
So saßen mein Papa und ich am Sterbebett meiner Mama, haben beide ihre Hände gehalten und von früheren Zeiten erzählt.
Mit keiner Silbe wurde das Wort Krebs erwähnt.
Manchmal kam eine Kollegin herein, ich muß dazu sagen, diese habe ich sehr gerne gemocht und fragte, ob sie uns Kaffee bringen könne.
Ihr war ich auch dankbar, dass sie mich ab und an mit aus dem Zimmer genommen hat.
Manche Stunde hab ich gedacht: „Das erträgst du nicht mehr, bitte helft ihr doch, sie soll sich nicht so quälen!“
Stund um Stund verging und 14.45 Uhr hat meine Mama für immer die Augen geschlossen.
Ich kann nicht beschreiben, was in diesem Moment in mir vorgegangen ist, aber der erste Gang war ans Telefon um das Bestattungsinstitut anzurufen.
Ich weiß nur noch, dass mein Lebensgefährte meinen Papa und michzu uns nach Hause gefahren hat und wir alle anderen Mitglieder der Familie telefonisch benachrichtigt haben.
Die nächsten Tage kamen wir überhaupt nicht zum Trauern und Nachdenken, denn die ganzen Formalitäten mussten wir auch irgendwie hinter uns bringen.
In dieser wirklich auch für mich sehr schweren Zeit, stand mir eine Theologin, die auch als Seelsorgerin tätig war, hilfreich zur Seite.
Ihr möchte ich ganz besonders danken, weil ich nicht weiß, wie ich diese Trauerbewältigung ohne sie geschafft hätte.
Im Nachhinein habe ich den Eindruck, nein, eigentlich die Gewissheit, das meine Mama erst am 14.05.1998 verstorben ist und den Tag vorher, also am Geburtstag von Benjamin noch gewartet hat, das dieser nicht auch gleichzeitig der Todestag wird.
Für manche mag es lächerlich klingen, aber ich glaub ganz fest daran.
Ungefähr ein Jahr später, hat mein Papa mir erzählt, das er bei dem Arztgespräch in der besagten onkologischen Fachklinik vom betreuendem Arzt diesen Kommentar zu hören bekommen hat:“ Sie sind noch jung, sie finden noch eine neue Frau“!
Ich kann nicht sagen, warum gerade ein Arzt so etwas Unmenschliches äußern kann.
Gerade in so einem Moment, sollten Mediziner und auch das Pflegepersonal vielleicht doch mal daran denken, das auch sie, oder ihre Familie von so einer Krankheit betroffen sein könnten.
Ihr werdet euch fragen, warum ich erst jetzt begonnen habe, alles aufzuschreiben.
Ich denke mal, vorher war ich nicht in der Lage, hab alles verdrängt und bin sogar an Depressionen erkrankt.
Natürlich habe ich nicht alle Details und Begebenheiten aufgeschrieben, aber das wäre ins Unermessliche gegangen.
Einen kleinen Nachtrag habe ich allerdings noch.
Meine Schwester hat im August 1998 einem gesunden Jungen das Leben geschenkt und ich bin seit 2007 auch noch mal Mama einer Tochter geworden.
Schade, das meine Mama das nicht mehr erleben konnte!
Texte: copyright by septemberbaby
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
In thoughts of my mummy who had to go too early!