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Vorwort/Prolog




Der Schlimmste Tag in meinem Leben…


Ist es überhaupt möglich einen schlimmsten Tag als Teenager zu haben?
Es gibt so viele Tage die einfach nur schlimm sind:
Der Tag an dem du deine Periode zum ersten Mal bekommst.
Der Tag an dem du deine erste Sechs in einer Arbeit schreibst.
Der Tag an dem man dir das Herz bricht.
Das Alles ist schlimm und man denkt man wird nie wieder normal leben können.
Jetzt blutet man jeden Monat!
Was wird nur aus der nächsten Arbeit?
Ich kann nicht ohne IHN/SIE!
Es ist schockierend, doch nicht das schlimmste.
Wofür gibt es Tampons?!
Mehr lernen.
Die nächste Liebe kommt.


Doch was wenn etwas wirklich Schlimmes passiert?
Etwas mit dem man überhaupt nicht fertig wird?
Es mag komisch sein aber da hätte ich viele Tage von denen ich berichten könnte:
Der Tag an dem meine Mutter mir erzählte, dass eine Freundin von uns Krebs hat und daran sterben wird.
Der Tag an dem bei mir das erste Symptom von Krebs aufgetaucht ist.


Doch ich möchte von einem anderen Tag erzählen.
Von dem Tag an dem ich verstanden habe was Angst ist, an dem ich dem Tod so nahe war wie noch nie zuvor, der Tag an dem ich erkannt habe wozu Familie fähig ist.

La Palma 2009




Familie ist etwas wunderbares, trotz der Streiterei. Mir tun alle Menschen leid die ohne Familie leben müssen. Familie ist für einen da wenn man sie brauch. Man bekommt liebe und zwar jeden Tag. Man könnte also sagen: Wer ohne Familie lebt, der lebt ohne Liebe. Es ist nicht immer einfach mit der Familie. Besonders nicht im Urlaub. Man hat sich noch mehr und länger am Hals als normalerweise und die Eltern wollen in irgendwelche Museen gehen. So viele gemeinsame Aktivitäten auf die man keine Lust hat. Doch glaubt mir, das ist alles wunderbar und man sollte froh sein wenn man so etwas mit der Familie machen kann.


Seit der Geburt meines Bruders vor Zehn Jahren machten wir jedes Jahr in den Sommerferien den gleichen Urlaub, am gleichen Ort, im gleichen Haus, zur gleichen Zeit. Immer die dritte bis fünfte Woche der Sommerferien und immer auf La Palma. Diese Zwergen Insel kann ich nicht mehr sehen. Wenn man zehn Jahre lang immer denselben Flecke zu Gesicht bekommt nervt das noch mehr als der gemeinsame Urlaub. Man hat immer mit drei bis vier Stunden Flug zu rechnen und wenn man dann ankommt ist es unglaublich schwül, so dass nach ein paar Minuten die Kleidung am Körper klebt.


Der Tag von dem ich erzählen will war kurz vor unserer Abreise, wir hatten noch 3 Tage Urlaub. In den vergangenen Wochen hatten wir das selbe gemacht wie immer, wir waren an den Strand gegangen, waren an einem Tag um die Insel gefahren hatten Postkarten verschickt, Tintenfischringe gegessen, Katzen gefüttert und waren auf den Vulkan gestiegen, der direkt vor unserem Haus lag. Ich hatte fünf von fünf Büchern fertig gelesen und begann mich noch mehr zu langweilen als eh schon. Mein letztes Buch war Verblendung von Stieg Larsson gewesen. In den letzten Tagen hatte ich Lisbeth Salander imitiert, indem ich so unhöflich und verschlossen wie nur möglich war. Eine kleine Rache dafür, dass wir schon wieder auf La Palma waren. Hinzu kam, dass wir Pech mit dem Wetter hatten. Naja, ganz stimmt das nicht, wahrscheinlich hätte sich jeder normaler Mensch über das Wetter gefreut aber ich mag die Sonne nicht sondern den Regen. Es war unendlich heiß. 40° im Schatten (Was für ein Schatten?)


Es war Abend und ich tat mir keine weitere Runde Mensch-Ärger-Dich-Nicht an, sondern ging ins Bett. Ich legte mich mit Unterhose und Top ins Bett und selbst das war schon zu warm. Ich wälzte mich hin und her. Diese verfluchte Hitze. Bei Hitze konnte ich noch nie gut einschlafen, einer der Gründe warum ich Regen besser finde. Und wie immer, wenn ich nicht schlafen konnte machte ich mir Gedanken über Sachen, über die ich eigentlich nicht nachdenken wollte.
Liebt Dominik mich wirklich?
Wie wird es nach den Ferien in der Schule?
Sind meine Brüste zu groß?
Bin ich zu dick?
Ich muss abnehmen!
Was würde ich tun wenn es hier brennt?


Wenn es hier brennt? Als ob es hier brennen würde! Also bitte jetzt reiß dich doch mal zusammen, ja?! Es ist albern so zu denken. Und selbst wenn es hier brennen würde: Die Feuerwehr würde sofort da sein und nichts würde passieren. Du führst dich auf wie ein kleines Mädchen! Schon vergessen? Du bist Lisbeth Salander! Lisbeth hat keine Angst! Vor nichts! Sie wehrt sich und ist nicht so verweichlich wie du! Ich stand auf und ging ans Fenster. Ich schaute raus und vergewisserte mich, dass es nicht brannte.
Dummheit.


Es war gegen zwei Uhr Nachts als meine Mutter zu mir ins Zimmer kam und mich im Halbschlaf zu sich und Papa rüber trug. Meine Eltern hatten das einzige Zimmer mit Klimaanlage. Das Ding macht einen riesen Lärm und ich weiß nicht wie wir alle bei dem Krach schlafen konnten.


Als ich das nächste Mal geweckt wurde war es fünf Uhr Nachts.
Glauben Sie an das Übernatürliche?
An Zeichendeutung oder an Orakel?
Nun ich war die Letzte die an so etwas geglaubt hätte, ich habe auch nie an Gott geglaubt, bis zu jener Nacht im Sommer 2009 auf La Palma.
Vielleicht war es auch nur eine Fügung oder ein Verwandter des Schicksals aber ich wurde geweckt von dem was mich nicht hatte schlafen lassen.


Irgendetwas oder Irgendjemand hämmerte gegen unsere Tür und eine tiefe spanische Männerstimme rief etwas.
„Fuego!“ (Spanisch: Feuer) Normalerweise brauche ich eine Stunde, eine Dusche, zwei Tassen Milchkaffee und den Weg zur Schule um wach zu werden. Hier war ich innerhalb von zwei Sekunden hellwach. In der 6. Klasse waren meine Spanischkenntnisse nicht sehr hoch aber dieses Wort habe ich verstanden.
Ironie?
Vielleicht.


Ich weiß nicht was ich als Nächstes gemacht habe aber ich muss aufgestanden sein und mir etwas angezogen haben, denn meine Erinnerung setzt da wieder ein wo meine Mutter dabei ist das Nötigste einzupacken. Unser erster Impuls war: Weg hier! Runter zum Strand oder hoch in die Berge! Doch Santiago, der Mann der uns geweckt hatte und dem wir unser Leben verdanken, riet uns ab und bringt uns dazu an Ort und Stelle zu bleiben. Gemeinsam löschten wir mit den zwei Gartenschläuchen die Flammen die dem Haus am nächsten waren. In dieser Nacht habe ich das erste Mal gebetet und ich meinte es ernst und habe daran geglaubt, dass mich jemand hört und mir meinen Wunsch erfüllt.


Um sieben kam kein Wasser mehr aus den Schläuchen.
Um halb acht brannte der Eingangsbereich.
Um Acht die Terassenseite.
Um neun ging das Feuer wie durch Zauberei zuerst vom Eingang und dann von der Terrasse zurück.
Gegen Zehn brannte kaum noch etwas.
So schnell das Feuer gekommen war so schnell ging es auch wieder. Ich weiß bis heute nicht wie das alles geschehen ist. Wie konnte das Feuer ausgehen, denn es waren keine Feuerwehrleute in der Nähe die uns hätten retten können? Wahrscheinlich war da wirklich jemand der mein Gebet erhört hatt und wahrscheinlich gehört so etwas zu den Dingen die man einfach nicht erklären kann.


Um zwölf verließen wir das Haus um uns im Ort umzuschauen. Naja Ort ist zu viel gesagt, Dorf allerdings auch. Hier standen knapp sechs Häuser (unseres Inklusive). Ein Fleck mitten in den Weinbergen am Fuß des Vulkans. Die Einheimischen mit denen wir sprachen, erzählten uns, dass es die Schlimmste Katastrophe seit dem Ausbruch des Vulkans war.


Die nächsten Tage waren der pure Horror. Hatte ich mich davor über die Hitze beklagt? Harmlos. Eine Folge des Feuers war die trockene Luft voll mit Asche und Rauch. Das Thermometer zeigte eine Luftfeutigkeit von 5°. Können Sie sich das vorstellen? 5°? Haben Sie mal ganz lange mit Offenem Mund Luft eingeatmet? Hinterher ist der Gaumen, die Zunge, der Rachen, einfach alles komplett trocken. Wenn Sie das kennen haben Sie eine leichte Vorstellung davon was es heißt wenn die Luftfeutigkeit 5° beträgt.


Ich bin jedes Mal wenn ich daran zurück denke dankbar, dass wir auf La Palma nur zum Urlaub machen waren und nicht dort leben. Ich weiß nicht ob ich das überlebt hätte. Seit diesem Vorfall habe ich unglaubliche Angst vor Feuer. Sogar vor Kerzen. Eine lange Zeit bin ich im Winter nicht ins Wohnzimmer gegangen wenn der Ofen an war. Doch mittlerweile geht es wieder, ich kann damit leben.
Ich breche noch immer bei jedem Feueralarm in der Schule zusammen aber es wird besser. Ich werde die Bilder für immer in meinem Kopf haben und sie werden immer so schrecklich sein, wie sie damals waren aber ich habe überlebt und was bleibt sind nur die Grausamen Erinnerungen.


Am Tag unseres Abflugs schlage ich eine Seite im Focus auf und lese:

Feuerwehr bringt Waldbrand unter Kontrolle...



Die Feuerwehr hat den Waldbrand auf der kanarischen Insel La Palma unter Kontrolle gebracht. Vier Tage hielten die Brände die Feuerwehrmänner in Atem. Die Brandursache ist weiterhin unklar....


Als wir in Deutschland ankommen schmeiße ich den Focus in den ersten Mülleimer, doch das was ich dort gelesen habe bleibt mir im Gedächtnis.


Nachwort/Epilog




Dieser Tag hat mich verändert. In vielerlei Hinsicht. Ich werde immer wissen, was Todesangst ist. Ich werde immer wissen, was man als Familie alles durchstehen kann. Im Februar (am 25.02) habe ich mich taufen lassen und am 13. Mai diese Jahres wurde ich konfirmiert. Jetzt glaube ich an Gott.


In der Schule machen sich diverse Leute über meine Angst vor Feuer lustig. Sie lachen jedes Mal wenn ich bei einem Feueralarm in Tränen ausbreche. Für einen kurzen Moment bin ich immer versucht ihnen zu wünschen, sie mögen wissen wie sich das anfühlt angst zu haben, doch dann wünsche ich es ihnen nicht.
Das wünsche ich niemandem.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Santiago, der mir das Leben rettete. Für alle Betroffenen. Und für meine Familie.

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