Eine Weihnachtsgeschichte zum ersten Advent
Heute war der 23. Dezember. Ein Tag vor Heilig Abend. Und ich, ich hatte mal wieder schrecklich viel zu tun. Ich musste noch die restlichen 50 Geschenke abholen, meinen weißen Bart kämmen und die rote Zipfelmütze zum Trocknen aufhängen, damit ich sie morgen aufsetzen konnte.
Du fragst dich jetzt wahrscheinlich, ob ich der Weihnachtsmann bin. Naja, eigentlich nicht, aber ich bin mehr oder weniger einer seiner Helfer.
Ich heiße Mark, bin 23 Jahre alt und von Beruf, naja eigentlich noch gar nichts, denn ich studiere. Informatik. Aber am Heiligen Abend vertrete ich den Weihnachtsmann. Die Eltern von Kindern angagieren mich, damit ich ihren Kindern die Geschenke bringe. Ich liebe das Leuchten in ihren Augen, wenn sie ihre Geschenke auspacken.
Nun gut, so viel zu mir, aber zurück zur Geschichte.
Ich hatte also noch einiges zu tun. Allerdings blieb mir noch genug Zeit, mich über das Christkind zu ärgern. Wieso? Es stand einfach vor der Tür. Mit seinem weißen Gewand, den blonden Haaren und den glitzernden Flügeln. Ich muss ehrlich sagen, es war hübsch. Aber:
Als es in der Tür stand und ich es fragte, was es von mir wolle, antwortete es mit bezaubernder Stimme: „Ich bin das Christkind!“ Das sehe ich auch, dachte ich mir. „Ich wurde von einem netten Menschen darum gebeten, auch dich mal glücklich zu machen!“, meinte es weiter. Es hielt mir ein kleines Paket hin, ich nahm es und das Christuskind verschwand die Treppe hinunter. Ich schaute ihm noch kurz nach und schlug dann die Tür zu.
Mein erster Gedanke war: Konkurrenz!
Doch ich wischte das Erlebte zur Seite und dachte nicht mehr daran. Das Geschenk legte ich auf den Küchentisch und setzte meine Arbeit fort.
Am 24. am Nachmittag hatte ich meinen letzten Einsatz. Ich trat, samt Verkleidung und Geschenkesack, aus meiner Wohnung auf den Flur. Ich schloss die Türe ab und steckte unten in jeden Briefkasten eine „Frohe-Weihnachten“-Karte. Dann verließ ich das Haus. Ich setzte mich in mein Auto, das ich vorhin am Straßenrand abgestellt hatte.
Als ich mich und den Sack sicher verstaut hatte und durch die Windschutzscheibe nach draußen sah, traf mich fast der Schlag.
Vor mir über die Straße lief schon wieder dieses Christkind von gestern, ich hatte es eigentlich schon vergessen gehabt. Doch plötzlich sah es mich an und kam zu meinem Wagen. Es öffnete die Tür und begrüßte mich: „Hallo Weihnachtsmann! Wie geht es dir?“ „Noch gut!“, brummte ich durch meinen Bart, „was willst du?“ „Könntest du mich vielleicht ein Stück mitnehmen?“, fragte es freundlich. Ich zog mir meinen Bart vom Gesicht, was bei ihr ein „Oh“ auslöste. Ich fragte: „Wo soll’s den hingehen?“ Vor lauter Überraschung bekam sie erst gar kein Wort heraus, doch dann meinte sie: „ich muss zur Fürstenrieder Straße! Ziemlich ans Ende.“ „Steig ein!“, meinte ich, „Ich muss auch in die Gegend!“
Das Christkind zog den Kopf aus der Beifahrertüröffnung und ich dachte erst, sie hätte es sich anders überlegt, doch dann zog sie die hintere Türe auf, stellte ihre Flügel ab und setzte sich kurz darauf neben mich.
Es doch alles bloß Schein! Wir fuhren los.
Nach einige Zeit fragte sie: „Wie heißt du eigentlich?“ „Mark, und du?“, fragte ich zurück. „Christin“, meinte das Chriskind und ich musste grinsen. „Brauchst gar nicht so blöd zu grinsen, ich konnte mir meinen Namen nicht aussuchen!“, sagte sie ärgerlich. Mein Grinsen verschwand und ich entschuldigte mich schuldbewusst.
Kurz Zeit darauf waren wir dann im Münchner Südwesten und Christin bat mich, sie hier rauszulassen. Sie stieg aus, holte ihre Flügel von hinten und öffnete noch einmal die Autotür. „Vergiss nicht dich wieder zu maskieren, wenn du zu deinem Termin gehst!““, neckte sie mich grinsend. Sie machte die Tür zu und ich grinste sie noch durch die Scheibe an, bevor ich meinen Bart nach oben zog.
Ein paar Minuten später war auch ich bei der Familie, die ich bescheren sollte, angekommen und sang mit den drei Kindern, zwei Jungs und ein Mädchen, „Oh Tannenbaum“ und überreichte ihnen ihre Geschenke. Dann verabschiedete ich mich von den Kindern und ihren Eltern. Als ich gerade zur Tür hinaus wollte, kam das kleine Mädchen, sie hieß Manuela, durch die Wohnzimmertür. „Weihnachtsmann?“, fragte sie, „Darf ich dich noch was fragen?“ Ich bejahte. „Bekommst du eigentlich auch Geschenke?“, wollte sie wissen. „Zwar nicht von mir, aber von meinen Engelchen und das Christkind hat mich gestern besucht und mir ein Geschenk dagelassen!“, erklärte ich ihr freundlich. „Und warum begleiten dich die Engelchen nicht?“, hinterfragte sie. Aha, ein kritischer Kopf, dieses Mädchen. „Weißt du, meine Engel sind schrecklich schüchtern. Aber das darfst du niemandem verraten!“, flüsterte ich ihr mit dem Finger auf dem Mund zu und verschwand durch die Wohnungstür.
Wieder im Auto dachte ich mir, der Weihnachtszauber wird bei dem kleinen Mädchen bald verschwunden sein. Schade!
Ich fuhr zurück und kam an die Stelle, wo ich Christin abgesetzt hatte, sie kam gerade um die Ecke. Ich bremste und lenkte mein Auto in ihre Richtung. Vielleicht ging ja was bei ihr!
Ich hielt und machte die Beifahrertür von innen auf. Sie stieg ein und sagte Danke!
Darf ich dich noch auf was einladen oder musst du noch woanders hin?“, fragte ich sie. Christin grinste. „Was ist?“, wollte ich wissen. „Die neue Schlagzeile: Das Christkind und der Weihnachtsmann! Haben sie einen Affäre?“, meinte sie theatralisch, „Meinst du nicht, die Kinder würden sich wundern?“ Sie lachte mit ihrer hellen Stimme. Ich schaute sie an. „Also gut, aber nur weil du wie ein kleiner Welpe schaust!“, sie grinste, „Ein Welpe mit Bart und Zipfelmütze!“
„Hast du das Geschenk eigentlich schon aufgemacht?“, fragte Christin mich als wir in einem Café am Westpark saßen. Ich schaute sie verwundert an: „Welches Geschenk?“ Doch ich hatte mir die Frage soeben selbst beantwortet. „Nein, ich habe es noch nicht aufgemacht, so wie es sich gehört, warte ich bis heut’ Abend!“, meinte ich keck. Ich bemerkte, dass ich den Bart und die rote Mütze noch an hatte, deshalb legte ich sie ab und beiseite. „Oh schade! Jetzt siehst du wieder wie jeder andere aus!“, meinte Christin vorwurfsvoll. „Sorry, aber mir ist es hier zu warm drin!“, rechtfertigte ich meine Tat mit einem Grinsen.
Die Bedienung kam und wir gaben unsere Bestellung auf. Als sie weg war, fragte ich Christin, warum sie Weihnachten nicht mit ihrem Freund oder der Familie feiert. Sie würde betrübt und senkte den Kopf. „Ich habe weder das eine noch das andere!“, entgegnete sie leise und eine Träne rann ihr die Wange hinab. Ich rutschte auf der Bank ums Eck’, legte ihr einen Arm um die Schulter und wischte die Träne weg. Doch sofort kam eine neue und ich ließ sie ihr.
Wir sagte lange Zeit nichts, dann kam die Bedienung mit dem Kaffee. Sie stellte die Tassen ab und schenkte Christin ein aufmunterndes Lächeln, diese lächelte zurück. Ich hatte das Trösten einfach nicht drauf! Und das sagte ich auch. Christin sah mich an und ich sie. Dann küsste sie mich plötzlich. Einfach so, ohne Vorwarnung! Ich war erst so überrascht, dass ich mich nur küssen ließ, dann küsste ich sie. Ich küsste sie, wie ich noch nie jemanden geküsst hatte.
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2009
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