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Irgendwie haben sie ja Recht. Ich bin zu dick, zu dick und zu fett. Mit meinen 57 kg habe ich übergewicht. Ich hasse mich selbst, ich hasse mich dafür, dass ich Hunger habe. Wieso kann ich nicht so dünn wie Julia sein, Julia, die schöne, die von jedem Jungen vergöttert wird. Und sie ist dünn. Sie wirkt zerbrechlich, durchsichtig, leicht. Sie hat bestimmt keinen Hunger, so wie ich. Sie ist so wunderschön. Ich möchte auch so dünn sein. Ab morgen werde ich eine Diät machen! Ich werde wenig essen, und Sport machen, bis ich 52 kg wiege. Und dann bin ich auch schön, dann werde ich vielleicht nicht mehr gemobbt. Dann wird Julia schon sehen: auch ich kann dünn sein!



Kapitel 1

Ich öffne die Augen. Mein Kopf dröhnt. Wie viel Uhr es wohl ist? Ich drehe mich um und schaue auf den Display meines Handys. 10 vor 6. Noch 10 minuten, dann muss ich aufstehen. In die Schule. Wie jeden Tag. Doch heute ist es anders, heute werde ich abnehmen! Ich werde frühs nur 1 Apfel essen und Mittags mein Mittagessen, Abends ein Brot mit Käse. Und 3 Liter Wasser werde ich trinken. Dann eine halbe stunde joggen, und das dann so weiter, Tag für Tag bis ich mein Ziel erreicht habe.
Ich stehe auf, und laufe langsam ins Badezimmer. Ich wasche mir mein Gesicht mit kaltem Wasser. Schon besser, dachte ich mir. Ich zog mich aus und stellte mich auf die Waage. 57,2 kg. Na toll, achtung, die fette kuh kommt! Aber ab heute wird es anders sein. Ich grinste. Ich hatte leichte Augenringe, und meine Haut war blass. Ich sprang unter die Dusche, und duschte kalt. Ich föhnte mir die Haare, zog mir meinen grünen Lieblingspulli an und schminkte mir mein Gesicht. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Schon besser. ''Lisa, essen ist fertig!'', rief mir meine Mutter aus der Küche zu. ''Ich komme'', antwortete ich. Mein Bauch knurrte. Ich spürte, dass ich hungrig war. Ich rannte die Treppe hinunter, in die kleine Küche, die ich so mochte, weil sie mich an meine Kindheit erinnerte. Auf dem Tisch lagen frische, warme Brötchen. Daneben stand eine Dose mit Wurst und Käse. Und Marmelade. Ich entschied mich für die Erdbeermarmelade, da ich die besonders mochte. Ich biss hinein, einmal, zweimal. Und schon war ein Brötchen weg. Scheiße, dachte ich mir. ich wollte doch nur einen Apfel essen. Na toll, so nehme ich sicher nicht ab. Ich schnappte mir meine Tasche und machte die Tür auf. ''Tschüß, Mama!'', rief ich. ''Halt, warte. du hast dein Essen vergessen'', rief meine Mutter mir nach, aber das wollte ich nicht mehr hören. Ich hatte genug gegessen, ermahnte ich mich, und knallte die Tür zu.

Kapitel 2

Die Schulstunden vergingen wie im Flug, und schon klingelte es zur großen Pause. WIr hatten heute Nachmittag, Sport. Ich hasste Sport, Julia war immer die beste. Und ich die schlechteste. Sobald es klingelte, raschelten Alufolien und Brotboxen wurden geöffnet. Auch ich wollte mir mein Pausenbrot holen, doch ich hatte ja keins dabei. Super. Ich muss dringend an die frische Luft, bemerkte ich und ging raus. Ich saß auf einer Bank, als Julia mit ihren Freundinnen kam. Das hat gerade noch gefehlt. Sie kamen genau auf mich zu, als Julia mich angrinste und rief: ''Schaut mal, die Fette Kuh hat nichts zum essen, will sie wohl abnehmen?'' Ihre Freundinnen lachten, und Julia lachte mit. Ich könnte heulen. Aber bloß nicht vor Julia! ''Ja, will ich, was dagegen? Und weißt du was? Ich werde es dir zeigen! Ich werde dünner sein als du!'', hätte ich gerne gesagt. Aber ich brachte nur ein ''Lasst mich inruhe!'' heraus. Wie jämmerlich ich doch war. Aber sie würde schon noch sehen. Und dann werde ich dünner sein als sie, mich würden die Jungs lieben, ich hätte viele Freunde und sie wäre die fette Kuh! ''Lisa, komm, wir haben jetzt Sport''. Isabella stand vor mir, und lächelte. ''Jaja, ich komme schon'' erwiederte ich und zack, ich war wieder in der Realität.

Kapitel 3

Mittlerweile war es der 4 Tag meiner Diät und man konnte Ergebnisse sehen. Mittlerweile wog ich 55,4 kg, und ich war stolz so schnell abgenommen zu haben! Mittlerweile aß ich frühs garnichts mehr und machte 2 Stunden Sport. Meiner Mutter fiel es auch schon auf. ''Wow, Lisa, hast du abgenommen? Du siehst toll aus.'', hörte ich oft. Meine alte Hose war mir zu groß, ich passte mittlerweile in eine kleinere Größe rein. Und ich war mächtig stolz wenn Julia mich musterte, und dabei neidisch aussah, Ohja, du siehst richtig, ich habe abgenommen, dachte ich mir jedesmal und es motivierte mich. Nach einer Woche stand 53,7 kg auf der Waage. Ich komme meinem Ziel immer näher. Ich hatte auch etwas weniger Hunger, so kam es mir zumindestens vor. Tja, diese Diät wirkt wahre Wunder, und wer weiß, vielleicht werde ich ja doch mal schön werden, dachte ich mir als ich vor dem Spiegel stand und mich betrachtete.
Mir war langweilig, also beschloss ich, ein wenig Computer zu spielen. Ich schaltete ihn an und öffnete das Internet. Doch dann kam mir eine Idee, und ich gab ''Abnehmen'' in das Suchfeld ein. Ich klickte auf Suchen, und schon waren Ergebnisse da. Ich klickte auf die Erste seite. ''Pro Ana Seite''. Was ist denn pro Ana? davon habe ich noch nie gehört. Auf der Seite wurde es erklärt, in einer Art Brief. Anorexia Nervosa, Ana ist die abkürzung. Magersucht. Da waren auch Bilder. Von dünnen Mädchen, noch dünner als Julia es war. Wow, die sehen alle so wunderschön aus, bestaunte ich die Bilder. So möchte ich auch aussehen. Also erstellte ich mir einen Account auf dieser Seite. ''She wants to be thin'' nannte ich mich. Ich war zufrieden, schaltete den PC aus und ging schlafen.

Kapitel 4

Schule aus. Endlich! Ich nahm mein Fahrrad, mit dem ich mittlerweile zur Schule fuhr, um Kalorien zu verbrennen, und fuhr so schnell wie möglich nach Hause. Als ich dort angekommen war warf ich meinen Rucksack in eine Ecke und startete den Computer. Ich öffnete das Internet, und schon kam meine neue Startseite, Pro ana. Ich loggte mich ein. 4 Freundschaftseinladungen! Eine von ''Hunger''. Komischer Name, aber egal. Ich bestätigte, und klickte auf: Nachricht schreiben. ''Hey, du :) Wie kommst du denn auf den Namen Hunger? Willst du auch abnehmen? Ich schon! Wie heißt du denn? Danke für die Freundschaftseinladung. Tolle Seite, was? Würde mich freuen, wenn du antwortest. Liebe Grüße, Lisa.'' schrieb ich und drückte auf absenden. Geschafft! Ich bestätigte noch die anderen 3 Freundschaftseinladungen und schaute mir die Bilder an. So dünn wollte ich werden. So wunderschön. Die eine dünner als die andere. Es gefiel mir. Und es motivierte mich, noch mehr abzunehmen! Schon nach 2,5 Wochen wog ich 52 kg. Mein Ziel war erreicht. Doch als ich mich im Spiegel betrachtete, war mir klar: Ich wollte dünner sein! Mein Bauch schwabbelte immer noch, und meine Beine waren immer noch dick. Also setzte ich mir ein neues Ziel: 48 kg! dann würde ich schon dünn sein, das würde gehen. Jeden Tag schaute ich auf der Internetseite, und eine Antwort von ''Hunger'' hatte ich auch schon erhalten. ''Hallo, Lisa! Ja ich will auch abnehmen, ich will dünn sein. Ich heiße Sabrina. Und ja, die seite ist wunderbar, ich liebe sie! Allerliebste Grüße zurück. Deine Sabrina''. Wir verstanden uns super, und schrieben uns manchmal 3,4 Nachrichten am Tag! Ich war immer öfter auf dieser Seite, manchmal 3 Stunden am Stück um diese dünnen Mädchen anzuschauen. Doch jedesmal wenn ich mich mit ihnen vergleichte, wusste ich: Ich war fett! Einfach Nur Fett, Fett, FETT!

Kapitel 5

''Lisa? Ich muss mal mit dir reden'', sagte meine Mutter besorgt, als sie in mein Zimmer kam. Ich drehte meine Musik leiser, und schaute sie an. ''Um was gehts denn?'', fragte ich sie, und hatte ein bisschen Angst. Weil ich die Antwort schon wusste. ''Es geht um .. dich. Du hast so viel abgenommen, ich mach mir sorgen um dich. Dass du eine Esstörung hast, oderso..'' meinte sie, und runzelte die Stirn. Esstörung. Magersucht. Ana. Das war doch gut, oder? Dann würde ich dünn werden, dünn und schön. Wie die ganzen Mädchen auf den Bildern. ''Ach Mama, ich pass schon auf mich auf. Ich habe keine Esstörung, ich esse ganz normal'' log ich sie an. ''Na gut. Aber bitte, nimm nicht noch weiter ab''. Dann ging sie. Und ich wusste: Ich würde abnehmen, egal was sie mir sagen würde. Sabrina war die Einzige die mich wirklich verstanden hat.
Sie war sowas wie meine Beste Freundin. Gemeinsam waren wir stark, stark genug um gegen den Hunger anzukämpfen. Meine Freunde waren sauer, weil ich sie vernachlässigt habe. Ich wog mittlerweile 47,6 kg weil ich mir sicher war, dass 48 immer noch zu viel war! 5 Wochen waren vergangen, vor 5 Wochen habe ich angefangen, abzunehmen. Meine Mutter musste ich anlügen, weil sie sich sonst Sorgen machte. ''Ich habe schon gegessen'', ''mir gehts nicht gut, mama'' oder '' ich esse später mit einer Freundin'' gehörten zur Tagesordnung. Dünn sein hat eben seinen Preis, aber ich war bereit ihn zu zahlen. Denn dünn sein, das ist mir am wichtigsten!

Kapitel 6

46,4! ENDLICH! Ich könnte heulen vor Freude. Ich hatte nämlich wieder zugenommen, 1,3 kg. Kein wunder, nach dem ganzen Zeug, dass ich gegessen hatte. Aber egal, jetzt wog ich 46,4 kg, und man konnte deutlich eine Lücke zwischen meinen Beinen sehen. Und meine Rippen sah man auch, das gefiel mir, bei den Mädchen im Internet konnte man die Rippen auch sehen. Magersucht, ich? Nein, ich will doch nur abnehmen, und schön sein. Mittlerweile war ich so dünn wie Julia, und sie hasste mich deswegen, das wusste ich. Ich sah es an ihren Blicken. Und bei jedem Kilo dass ich verlor, fühlte ich mich schöner. Aber ich war immer noch zu dick, alles schwabbelt, alles. Ich werde doch nie zu dünn sein, Niemals.

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Tag der Veröffentlichung: 06.11.2010

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