>Nein, liebes Tagebüchlein, es ist jetzt nicht so als sei ich Tod-traurig.- Aber was und wem will ich hier eigentlich was vormachen? Immerwieder erwische ich mich selber wie ich zusammenbreche wenn ich alleine bin und Tränen vergieße. Frag mich nicht weshalb so etwas immer mich trifft. Ich selbst hab damit vor langer, langer Zeit aufgehört.
Ich weiß, ich habe mit meinen 17 Jahren schon einiges im Leben falsch gemacht, es war nicht so, als sei ich die Unschuld in Person. Ich war bloß so erschüttert über mein ganzes Leben und wie tief ich gesunken war- Sorry, ich kann das einfach nicht, einem Buch meine Probleme und Alles anvertrauen. Das ist mir einfach noch zu neu.<
Mit einem Seuftzen klappte ich das grüne flauschige Buch in meinen Händen zu. Ich saß im Flugzeug und war auf dem Weg zu meinem neuen zu Hause. Leider.
Und weshalb das Ganze? Meine Eltern waren vor einigen Tagen gestorben. Ein dummer Autounfall.
Ich nannte sie Eltern, dabei war John nicht mein leiblicher Vater gewesen, noch war er mit meiner Mutter verheiratet gewesen.
Mein eigener Vater war bei meiner Geburt abgehauen. Oder kurz: Ich war das Ergebnis eines One-Night-Stands. Meine Mutter hatte mich nicht ausstehen können und wollte nicht einmal, dass ich sie als meine Mutter bezeichnete. Sie war eine Schlampe gewesen und ging andauernd fremd, weshalb ich keine Ahnung hatte, warum John mit ihr zusammen gewesen war. Doch irgendwie hatte sie es wirklich geschafft, ihn mit ihren falschen Nägeln und den falschen Monsterbusen um den Finger zu wickeln.
Er war ein so herzensguter Mensch gewesen und auch der einzige, der sah, in welch einem Tief ich mich befunden hatte und immer mehr auf die falsche Bahn geriet. Ihm hatte ich wahrscheinlich zu verdanken, dass ich noch lebte...
Meinen Vater hatte man nach ihrem Tod nicht ausfindig machen können, weshalb ich nun zu meinem 18-Jährigen Stiefbruder nach LA musste, immerhin war ich minderjährig.
So gerne würde ich lieber aus einer offenen Flugzeugluke springen, als mit ihm unter einem Dach leben zu müssen.
Eigentlich hätte alles ganz anders kommen können. Wir waren damals 12 und 13 Jahre alt gewesen, als sich sein Vater und meine ach-so-liebenswerte Mutter fanden ... Man konnte sogar meinen, dass ich ihn anfangs mochte, eigentlich ... Aber meine Mutter hatte es zerstören müssen. Immerwieder hatte sie mir gesagt wie gutaussehend er war und welch ein perfektes Kind er war, mit zwei so perfekten Freunden.
Ich solle so sein wie er.
Doch egal wie sehr ich mir Mühe gab ihr alles Recht zu machen, es wollte nicht. Und die Tatsache, dass mein Stiefbruder mich ärgerte und deshalb Jahrelang nieder machte, hatte den aufkeimenden Hass in mir, der sich gegen ihn richtete, nicht beschwichtigt.
Hierbei müsste man vielleicht noch erwähnen, dass sein Vater ihm die Nachhilfe bezahlte, meiner Mutter jedoch ging ich an ihrem Allerwertesten vorbei.
Irgendwann fing sie an mich zu schlagen.
Und ab da stürzte ich. Tief.
>>Bitte schließen Sie nun Ihre Gurte. Schalten Sie alle elektronischen Geräte aus, bis wir die Flughöhe erreicht haben<<, schallte es durch die Lautsprecher im Flugzeug.
Ich konnte mich schonmal bereit machen, von niemandem abgeholt zu werden, obwohl sie mich erwarteten...
☽ ♕ ☾
Mit Tasche und Koffer vollbepackt, marschierte ich aus der großen Halle nach draußen. Tief holte ich Luft und ließ meine Gehirnzellen mit frischem Sauerstoff fluten. Mit meinem tiefgrauen Augen, wanderte ich mit einem Mal herum, sah mich um.
Dann jedoch blieb mein Blick an einem Schild hängen. 'Jade Bex' stand darauf und es wurde von einer rothaarigen Frau gehalten. Verwirrt runzelte ich die Stirn und ging auf sie zu. Sie kam mir so bekannt vor…
"Jade?", fragte sie mich. Ich nickte und schluckte kurz einmal.
"Ich bin Jennifer Knight. Erinnerst du dich? Du bist richtig groß geworden", lächelte sie mich an.
Ja, ich erinnerte mich und fand es angenehm, dass sie normal mit mir redete, obwohl sie wusste was damals vor sich gegangen war.
"Komm mit, ich fahre. Du wirst ab jetzt bei mir und den Jungs wohnen. Kendall und Katie kennst du ja schon …" Bei seinem Namen erstarrte ich kurz. Fasste mich dann aber wieder.
Und ja, ich kannte die beiden in der Tat. Katie war gerade einmal sieben Jahre alt gewesen, als Kendall und ich den Kontakt zueinander abgebrochen hatten. Damals war sie ungeheuer lieb gewesen -selbst zu mir- und wir hatten viel miteinander unternommen, wenn ich zuhause raus musste und keinen Nerv mehr auf meiner ach so tolle Mutter hatte. Sie war schon wie eine kleine Schwester für mich. Dies hatte sogar angehalten, als Kendall mich einfach so hatte sitzen lassen, Schluss gemacht hatte, weil ich "einfach unter seinem Niveau" sei und "es sowieso nie funktioniert hätte". Ich hatte ihm bis jetzt nicht und würde ihm auch in Zukunft nicht verzeihen, dass er mich ausgerechnet in dieser schweren Phase meines Lebens hängen gelassen hatte.
Ich atmete einmal tief durch, packte mir meine Sachen und folgte ihr zu ihrem Auto (einem alten, beigen Mercedes).
"Das, was mit John und Kimberleigh passiert ist, tut mir wirklich leid", versuchte Jennifer ein Gespräch aufzubauen.
"Das … ist schon in Ordnung", grummelte ich und setzte ein wenig leiser hinzu: "John fehlt mir…"
Daraufhin schwiegen wir beide und ich konzentrierte mich auf das Display meines Handys, während Jennifer konzentriert auf die Straße schaute. Bei dem Gedanken, circa eine halbe Stunde von einem solchen Schweigen umgeben zu sein, stellten sich bei mir alle Nackenhaare auf. Nach ein paar weiteren Versuchen, ein Gespräch, dass kein trauriges Thema hatte, aufzubauen, gab Mrs. Knight auf und schaltete das Radio ein, um die langanhaltende Stille, die jetzt herrschen würde, etwas mit Geräuschen zu füllen. Und wie erwartet traf die grausame Ruhe ein. Ich hatte schon das Gefühl, diese Fahrt würde nie enden, als wir auch schon vor dem 'Palm Woods' hielten.
Ich blickte erstaunt auf das Gebäude vor mir. Eigentlich hätte ich mir auch denken können, dass es so schön sein würde. Man würde zukünftige Stars nicht in einem heruntergekommen Hotel leben lassen.
Jennifer machte ihre Tür auf, woraufhin ich ebenfalls ausstieg.
"Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hast du nicht mit soetwas gerechnet", hörte ich sie sagen.
Ich zwang mich meinen Blick vom Hotel zu lösen, um stattdessen sie anzusehen.
"Nicht wirklich", gab ich wahrheitsgemäß zu und verzog meine Lippen zu einem schiefen Lächeln.
"Das kommt mir alles so unwirklich vor... Ich glaube, ich habe die Veränderung noch nicht ganz realisiert."
Sie sah mich mit einem undefinierbaren Ausdruck an und ich machte eine abwandelnde Handbewegung. "Das wird bestimmt noch alles kommen und ziemlich schrecklich auf mich einbrechen. "Als ich merke, wie sich das aus MEINEM Mund anhören musste, weiteten sich meine Augen und ich starrte in ihr entsetztes Gesicht. "Also, ich meine… nicht- das was du jetzt denkst", setzte ich dann gegen Ende immer trauriger hinzu.
Zögernd nickte sie mir zu. "Es ist auch alles sehr ungewohnt und neu für mich, uns alle. Das tut mir leid, Jade. Die Jungs sind auch schon ganz aufgeregt." Die Überraschung pflasterte sich in meine Gesichtszüge und ich zog meine Augenbrauen hoch. Als ich den Mund öffnete, um darauf etwas zu erwidern, kamen wir in diesem Augenblick allerdings an der Rezeption an.
"Palm Woods Tag, Mrs. Knight. Wie geht's Ihnen heute so?"
"Ganz gut, danke, Bitters..."
Und da begann das Gespräch langweilig zu werden und ich es auszublenden.
Ich fühlte wie die Atmosphäre sich schlagartig veränderte, als der fette Kerl hinter der Rezeption meinen Namen fallen ließ. "Das ist also Jade Bex", stellte er mehr fest als dass er fragte und betonte dabei ganz merkwürdig meinen Namen.
Plötzlich war es so fürchterlich still in der Lobby… Fast fand ich mich dabei, mich umzudrehen und einfach wegzugehen.
Doch ich riss mich stur zusammen, denn weggelaufen war ich bis jetzt immer. Irgendwie musste ich wieder richtig unter Menschen kommen, also nickte ich, dennoch nervös.
"Okay, du bist jetzt registriert. Habt einen Palm Woods Tag!"
Es kam mir fast schon so vor, als wollte er mich nicht in seiner Nähe haben... Das schmerzte.
Als Jen und ich Richtung Aufzug gingen, spürte ich wie mich die Blicke, diese zahlreichen Augen, musterten, sie brannten sich in meine Haut ein. Kurz erzitterte ich.
Horrorfilme hatte ich bisher nie gemocht, das hier erinnerte mich sehr an einen.
Ich wandte meinen Blick einer Truppe Teenagern zu, die am Eingang zu einem Pool standen. Sie standen eng beisammen, warfen mir undefinierbare Glimser zu und hier und da steckte man die Köpfe zusammen und tuschelte angeregt los.
Und ich wurde das pochende Gefühl nicht los, dass das Hauptthema darin ich war. Schnell sah ich weg von ihnen und wieder zu Jen, die nun stehen blieb und sich zu mir umdrehte.
"Du solltest wissen, dass man mit den Treppen viel schneller vorankommt. Der Aufzug ist hauptsächlich nur Show." Ich zog brav ihre Worte in mir auf und nickte eifrig, bevor wir einstiegen.
Mein Herz pochte wild. Ich spürte es eindringlich geben meine Rippen hämmern, denn es wollte mich davon abhalten durch diese Tür zu gehen. Meine Hand lag schon an der Klinke, Jen sah mich geduldig an.
Hinter dieser Apartmenttür zu 2J, hörte man lautes Gerümpel und viele durcheinanderredende Stimmen.
Dann gab ich mir einen Ruck.
Mit einem angestrengtem Schlucken, drücke ich die Klinke nach unten und schubste die Tür sanft auf.
Schlagartig wurde es mucksmäuschenstill.
Mit einem unwohlen Gefühl trat ich in den Raum, der ganz offensichtlich das Wohnzimmer darstellte.
Und dann trafen meine Augen auf drei junge 'Männer', die in der Mitte des Raumes standen.
Zweien konnte ich keine konkreten Namen zuordnen. Dennoch sah ich, wie sie auf ihren Plätzen nervös rumzappelten und mich dabei versuchten nicht anzustarren.
Der Andere, war groß.
Ich konnte mich nicht dran erinnern, dass er so lang gewesen war. Aber es sind immerhin schon JAHRE vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wenn wir damals ungefähr gleichgroß waren, so hatte er mich nun fast umzwei Köpfe überholt.
Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, doch das Haar war unverwechselbar.
Noch immer hatte er dieses helle, lange Haar.
Langsam drehte er sich um.
Wollte der eine auf Zeitlupe machen? Er war schon immer so eine Drama-Queen gewesen und und musste alles immer ÜBER machen.
Nebelgraue Iriden trafen auf Kalte.
Innerlich zuckte ich zusammen, ließ mir jedoch nichts anmerken. Anscheinend waren sie auf schlechter Linie aufgeregt.
Keine Schwäche zeigen.
Er schritt lansam auf mich zu und beugte sein Gesicht gefährlich nah an meines, verschränkte dabei gleichgültig die Arme vor der Brust.
"Bex."
Ich tat es ihm gleich.
"Diamond."
Es entstand ein Battle zwischen unseren Augen. Wer nachgab hatte verloren. Im Hintergrund hörte ich, wie eine Tür geöffnet wurde, und nur nebenbei registrierte ich, wie sich Jen mit der Ausrede, Katie suchen zu müssen, aus dem Apartment verdrückte.
„Was macht die denn hier?“, fragte eine mir vertraute Stimme voller Verachtung.
Mein Körper erfror. Wegen diesem Augenblick, diesem einen, endlos wirkendem Moment war ich am unsichersten gewesen. Ja, ich hatte sogar schon eine leichte Angst verspürt, denn der Person, der ich am allerwenigsten wieder hatte begegnen wollen, war Kendall gewesen. In mir kamen Bilder auf. Bilder aus unserer gemeinsamen Vergangenheit, bis letztendlich hin zu seinen plötzlichen Verschwinden, das nicht nur damit zu tun gehabt hatte, dass er nach L.A. gezogen war.
„Sie wohnt jetzt hier“, erwiderte James für mich. Er klang genauso abweisend wie mein herzallerliebster Ex, welcher jetzt zu uns herüberkam, allerdings unauffällig versuchte, den Abstand zu mir zu bewahren. Das reizte meine sowieso schon angespannten Nerven noch mehr und brachte das Fass zum überlaufen.
„Ich habe mir sicher nicht ausgesucht, hierher zu kommen, okay?!“, fuhr ich Kendall an, der sich jetzt gemütlich auf die Couch gesetzt hatte und mich immer noch keines Blickes würdigte.
„Wenn du meinst.“
Gerade als ich Luft holte, um ihm mal so richtig die Meinung zu sagen, mischten sich die zwei Jungs, die auch im Apartment waren, ein. Bisher hatten sie sich aus dem Gespräch rausgehalten. Jetzt meldete sich der breit gebaute und kleinere von beiden zu Wort.
"Okay, was ist hier gerade los?"
Er blickte zwischen James, Kendall und mir hin und her. Der andere, schlaksigere tat es ihm gleich. Da weder James, noch Kendall eine Antwort gaben, suchte ich nach den passenden Worten.
"Meine Mum ist vor einer Woche bei einem Autounfall gestorben. Weil James und ich quasi Stiefgeschwister sind und ich noch nicht volljährig bin, hat sich Jen dazu bereit erklärt, mich hier aufzunehmen, damit ich nicht in irgendeinem Heim lande."
Für diese Erklärung erntete ich von den beiden für mich noch namenlosen Jungs erstaunte Blicke, während Kendall und James nur mit den Schultern zuckten und James zustimmend, aber ganz und garnicht begeistert nickte.
"Jen?", hakte der schlaksige nach.
"Meine Mum", erwiderte Kendall. Dann fügte er als Antwort auf die immernoch fragenden Blicke seiner Freunde hinzu: "Sie kennt Jade noch aus Minnesota. Wir waren... befreundet, bevor ich euch kennen gelernt habe."
Es war nicht überraschend, dass Kendall mich verleugnete. Damit hatte ich natürlich gerechnet, aber es wunderte mich, dass er von sich aus erzählt hatte, dass wir uns 'von früher' kannten, wo es ihm doch so unheimlich peinlich war, wie oder besser gesagt WER ich zu der Zeit gewesen war. Wenn ich daran zurückdachte, war ich selber geschockt.
"Okay, gut. Aber wieso hast du nie was von ihr erzählt?"
Der Atem stockte mir und gleichzeitig musste ich mich dazu bringen, nicht loszulachen. Wie wollte Kendall sich jetzt da rausreden, ohne zu erzählen, mit was für Leuten er befreundet gewesen war? Andererseits hatte ich auch Angst davor, dass Kendall es wirklich erzählen wollte. Ich ergriff das Wort, bevor er irgendetwas dazu sagen konnte.
"Wir hatten einen Streit und haben einander dann ... gemieden. Deswegen wird er euch nichts erzählt haben."
Schnell zauberte ich ein Lächeln in mein Gesicht, das hoffentlich aufrichtig aussah. Anscheinend tat es das, denn niemand stellte weitere Fragen, worum ich sehr froh war. Mit dem Vorwand, mich im PalmWoods umsehen zu wollen, verschwand ich so schnell wie nur möglich aus dieser unangenehmen Situation.
Ich kam nach einer Viertelstunde des Suchens endlich am Haupteingang an, als mir Jen mit einem jungen Mädchen von vielleicht elf oder zwölf Jahren im Schlepptau entgegenkam. Erst nach einem zweiten Blick erkannte ich, dass dieses Mädchen Katie war. Sie hatte sich wahrhaftig stark verändert in den letzten Jahren. Als sie mich jetzt sah, kam sie breit grinsend auf mich zugestürmt und drückte mich.
"Jade! Ich hab dich so vermisst! Wo warst du nur all die Jahre?"
All die Jahre hatte ich sie so sehr vermisst. Sie war meine einzige richtige Freundin gewesen... Neben einem gewissen anderen.
"Hey Katie", flüsterte ich in ihr Haar, als ich mein Gesicht darin vergrub. "Ich hab dich auch vermisst... Aber ich war nicht diejenige die weggegangen ist."
Augenblicklich Lie sie von mir an und sah mich mit aufgerissenen Augen an. Da wurde mir klar, wie sich das für sie anhören musste.
"Nein, nein, so ist das nicht, ich gebe dir keine Schuld", lächelte ich ihr aufmunternd zu. "Wr waren alle so jung und du musstest deiner Familie folgen, das verstehe ich natürlich"
Beruhigt grinste sie mich nun wieder an. "Danke."
"Katie."
Die Stimme klang hart und gefühllos. Ich schloss meine Augen. In mir baute sich ein Gefühl des Entsetzens auf und ich verfiel in eine Art des Schockzustandes.
"Ich bin dann weg", sagte Katie hektisch, wirbelte herum und lief an mir vorbei. Wahrscheinlich in Richtung des Apartments. "War schön dich wieder zu sehen", setzte sie noch hinzu, bevor sie gänzlich verschwand.
"Leider auch nicht das letzte Mal", grummelte er und ging um mich herum, woraufhin er vor mir zu stehen kam und die Arme vor der Brust verschränkte. Ich schluckte.
"Wieso bist du gekommen?", fragte ich Kendall. Dieser schaute mich nur arrogant und abschätzend an. "Hast du jetzt etwa schon etwas dagegen, dass ich mit Katie rede?"
Ich fragte in einem ironischen Tonfall und rechnete damit, dass er verneinen würde, doch das tat er natürlich nicht. Ganz im Gegenteil.
"Ja, genau das ist mein Problem. Meine Schwester soll nun wirklich nicht mit asozialen Leuten zu tun haben."
Ich runzelte die Stirn. "Was?! Du hast mich seit Jahren nicht mehr gesehen und kennst mich quasi überhaupt nicht mehr, also beschuldige mich nicht und stemple mich erst recht nicht als irgend so eine Asi-Tussi ab, okay?"
Diese Worte schienen Kendall überraschen. Er begann zu zwinkern und für einen kurzen Moment sah er mich an, als habe ich ihn eingeschüchtert. Aber nach dem Bruchteil einer Sekunde schon kriegte er sich auch schon wieder ein und sein Blick wurde wieder abweisend.
"Ich bitte dich! Ein Mensch kann sich nicht innerhalb von vier Jahren nicht so krass um 360 Grad drehen. Du bist vielleicht nicht mehr so schlimm mit deinen Drogen und dem ganzen anderen Scheiß, aber trotzdem kannst du nicht-"
Ich unterbrach Kendall mitten im Satz. Mir platzte der Kragen.
"Okay, warte mal 'ne halbe Sekunde", sagte ich in Rage. "Du
bist doch daran Schuld, dass es so gekommen ist! Weißt du wie scheiße das ist, von die einzige Stütze, die dem eigenen Leben noch einen Sinn gibt, einfach so und ohne ein Wort der Erklärung abhaut und einen ignoriert, als wär man ein Haufen Pferdescheiße?! - Oh, nein, warte, du weißt es nicht, weil ich das nie getan habe!"
"Ich hatte meine Gründe dafür. Denkst du wirklich, ich würde mich gerne und freiwillig mit einer drogenabhängigen, depressiven und manchmal sogar aggressiven Partyschlampe sehen lassen?!"
"Ach ja, und du warst ja so viel besser? Du hast auch nicht gerade jeden Tag im Altenheim ausgeholfen und gespendet! Hast du etwa vergessen, dass du mal-"
"Halt die Fresse Jade!"
"Wieso sollte ich? Weil sonst jeder von dem ach so tollen Big-Time-Rush-Bandmitglied Kendall Knight wüsste, wie scheiße er eine Zeit lang war? Weil sonst jeder wüsste, dass-"
"Ich hab' gesagt: HALT - DEINE - VERDAMMTE - FRESSE!"
Ich hob eine Augenbraue und nun war es an mir, die Arme vor der Brust zu verschränken. Meine Stimme, als ich jetzt wieder anfing zu sprechen, war ruhig und siegessicher. Jeder im Eingangsbereich schaute uns zu und das ganze PalmWoods konnte uns hören, aber das war mir in diesem Moment egal. Obwohl... So hatte nun jeder gehört und gesehen, wie Kendall wirklich war. Er war nicht der liebe, nette Kerl aus Hollywood. Er war der respektlose, asoziale Arsch von nebenan. Ich konnte mich kaum noch an die Zeit erinnern, in der Kendall noch zuvorkommend und freundlich zu mir gewesen war. Mir stellte sich die Frage, woher der ganze Hass kam, den er mich spüren ließ.
"Hast du Angst, jeder könnte erfahren, wer du wirklich bist?"
Energisch erwiderte Kendall nur: "Nein!" Er sprach laut und aggressiv, woran ich sofort erkannte, dass ich Recht hatte.
"Weißt du ... Wenn du mich fertig machst vor all den Leuten, dann ist das okay. Wenn du Lügen über mich verbreitest, hier vor all den Leuten, dann ist das okay. Sobald ich meinen Mund öffne, bekomme ich dann aber von dir sofort gesagt, ich soll meine 'Fresse halten'."
"Halt die Klappe."
"Wieso willst du nicht, dass jeder weiß, wie du warst oder vielleicht immer noch bist? Hast du Angst, wieder zurück nach Minnesota zu müssen? Zurück dahin, wo du noch du selbst sein konntest, ohne von Paparazzi und angeblichen Fans fertig gemacht zu werden."
"Das war damals."
Kendalls Blick war emotionslos und gleichgültig. Er sah mir direkt in die Augen. Krampfhaft versuchte ich seinem Blick standzuhalten, doch letztendlich musste ich nachgeben und hinab auf meine Füße blicken. Dennoch blieb ich standhaft und konterte, indem ich Kendall selbst zitierte.
"Ja, aber ein Mensch kann sich nicht innerhalb von vier Jahren so krass um 360 Grad drehen..."
Kendall verdrehte die Augen. Bisher war es um uns herum still gewesen, doch jetzt begannen einige im Eingangsbereich zu tuscheln, allerdings blendete ich diese Nebengeräusche aus. Kendall schien vollkommen vergessen zu haben, dass wir nicht alleine waren.
"Was versuchst du gerade? Mich mit meinen eigenen Worten zu korben?"
"Nein, ich mache dich nur darauf aufmerksam, was für einen Scheiß du erzählst, wenn du mich fertig machen willst."
"Ich erzähle keinen Scheiß, klar?!"
"Ach nein, warum-"
Ich wurde von hinten grob am Arm gepackt und als ich mich umdrehte, blickte ich in James wütende Augen. Er schien außer sich und zerrte mich weg von Kendall und der neugierigen Masse in der Eingangshalle. Ich versuchte mich dagegen zu wehren, doch James war einfach zu stark. Wir landeten in einer kleinen Kammer, die von einem der vielen Gänge abging. Ich hatte nicht einmal den Hauch einer Chance. Als ich noch flüchtig einen Blick über meine Schulter warf, sah ich wie ein blondes Mädchen in Kendall's Arme lief, ihm einen Kuss aufdrückte und besorgt auf ihn einredete.
Natürlich, um ihn wurde sich jetzt gekümmert. Ich dagegen war alleine. Hier hatte ich einfach niemanden, der für mich hätte da sein können. Wenn ich jetzt so darüber nachdachte, musste ich mir eingestehen, dass ich auch in Minnesota niemanden so wirklich gehabt hatte. Nur so ein oder zwei Leutchen, die ich meine Freunde nennen konnte.
"Was sollte das?"
Verwirrt sah ich James an. Ich verstand nicht, was er vor mir mit dieser Frage in Erfahrung bringen wollte.
"Was soll was?"
"Die Aktion grade in der Lobby. Wieso erzählst du so eine Scheiße über Kendall? Ich kenne ihn schon seit Jahren, das weißt du, und er ist nicht so. Wieso willst du solche Lügen verbreiten?!"
Entsetzt, wie ich war, erwiderte ich laut: "Ich habe-! Nein, weißt du was? Du kannst mich mal kreuzweise am Hintern kratzen."
Mit diesen Worten wandte ich mich zum gehen. So etwas musste ich mir nun wirklich nicht bieten lassen. Nicht jetzt, wo es mir wegen dem Tod meiner Mutter - nein, meines 'Dads' - sowieso schon schlecht genug ging.
"Ja, hau doch ab! Als ob du etwas anderes könntest!"
Als James mir das hinterherrief, hielt ich inne und atmete tief durch. Innerlich führte ich einen Zweikampf durch. Einerseits wollte ich zu ihm zurück und ihn zur Rede stellen, doch andererseits hatte ich auch keinen Nerv, ihn mir weiter anzutun. Meine Füße machten sich selbstständig und so kehrte ich zu James zurück. Er grinste nur siegessicher.
"Wer von uns beiden hatte keine Eier in der Hose und ist nicht zu der Beerdigung seines eigenen Vaters gekommen?!"
"Ich konnte hier nicht weg, okay? Ich hatte Besseres zu tun."
"Ja, habe ich gesehen. Du hast gepostet, dass der Pool heute außerordentlich warm ist..."
Ich wusste, dass ich eine empfindliche Stelle getroffen hatte. Eigentlich hatte ich John da rauslassen wollen, aber in meiner Wut griff ich instinktiv darauf zurück. Und ich behielt Recht, denn James wirkte tief getroffen.
"Das... Das ist nicht der Grund gewesen! Ich musste an dem Tag sehr viel arbeiten. Außerdem ist es doch allein deine
Schuld, dass deine Mum und John gestorben sind!"
Mein Gehirn hörte auf zu arbeiten. Die Gedanken, überhaupt die Fähigkeit, zu denken, schien wie weggefegt. Ich merkte, wie mein Körper sich selbstständig machte und ich mich James langsam immer weiter näherte. Er dagegen blieb ruhig stehen und schaute mich nur voller Hass an. Dann hörte ich vage, weit entfernt wieder seine Stimme.
"Deine Mutter war eine Schlampe, die John überhaupt nicht verdient hat. Und der Apfel fällt nicht weit vom Baum, wie man sieht."
Jetzt schalteten meine Sinne vollkommen ab. Die letzten Geräusche, die ich noch wahrnahm, war das knallen einer schallenden Ohrfeige, die ich James anscheinend gab, da dieser mich mit einigen Schimpfworten benannte.
Die Tür wurde aufgemacht.
Und dann, bevor alles um mich herum zu einer endlosen Schwärze wurde, nahm ich einen Schmerz in Rücken und Hinterkopf wahr.
"James! Was hast du gemacht!"
☽ ♕ ☾
Als ich die Augen aufschlug, schien mir grelles Sonnenlicht entgegen. Sofort musste ich sie wieder zukneifen.
Sekunde... Wo bin ich eigentlich?!
Ich sah mich nun ein wenig aufmerksamer im Raum um und bemerkte, dass ich in meinem neuen Zimmer auf dem schmalen Bett lag. Ich merke, wie sich jemand ans Fußende meines Bettes setzte und schlug die Augen wieder auf. Es war Logan, der dort saß und mich aufmerksam musterte.
"Hey, Jade, du bist ja wieder wach..."
Logan klang ein wenig gekünstelt und das Lächeln, zu dem sich seine Lippen nun formten, schien aufgesetzt.
"W-Warum bist du hier?", fragte ich, im nächsten Moment stöhnte ich jedoch vor Schmerzen auf und packte mir an den Hinterkopf.
"Genau deswegen bin ich hier, fass es besser nicht an", sagte Logan, kam auf mich zu und zog meine Hand von meinem Kopf weg, nur um selbst nachzuschauen. "Was ist denn da? Und vor allem... Was ist passiert?"
Kurz versteifte er sich.
"Du erinnerst dich nicht?", fragte er dann merkwürdig ernst und langsam.
Ich wurde nervös. "N-nur, dass ich mich mit James gestritten habe... Aber es ist... Verschleiert."
Logan holte tief Luft und sah mir dann in die Augen. "An was kannst du dich noch erinnern?"
Ich überlegte kurz angestrengt, wirklich erinnern konnte ich mich nicht. "Ich hatte ein Streit mit Kendall, James hat mich dann von ihm weggezogen... Und in irgendeiner Kammer... haben wir uns gestritten. Und dann... war's das."
Ich packte mir trotz Logans Verbot an den Kopf und betastete ihn vorsichtig. Ich spürte eine Kruste und aus Gewohnheit begann ich daran zu kratzen. Logan gefiel das garnicht.
"Hör auf! - Na toll, jetzt blutet es wieder!"
Entsetzt sah ich auf meine Hand, die jetzt blutverschmiert war. Logan stürmte aus dem Zimmer.
"Ich hol' dir einen Verband", informierte er mich über seine Schulter hinweg, als er den Raum verließ. "Und lass ja die Finger davon!!"
Logan zog die Tür hinter sich zu. Allerdings fiel sie nicht ins Schloss, sondern blieb nur angelegt.
Eine Zeit lang blieb ich einfach nur sitzen und versuchte, einen Zusammenhang zwischen meinen Erinnerungsfetzen zu bilden. Es war still - naja, fast. Irgendwo kam so ein Wimmern her.
Ich lauschte diesem Geräusch und versuchte herauszufinden, von wem es kommen könnte. Als ich es herausfand, war ich überrascht. Das hätte ich niemals erwartet. Ich ging zur Tür und schaute vorsichtig durch den Schlitz und sah, wie James schluchzend in Jen's Schoß weinte.
Wieso weinte James? Diese Frage wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Andauernd versuchte ich eine Antwort darauf zu finden, doch ich Wüsste einfach keine. Natürlich, John Diamond war vor wenigen Tagen verstorben, aber ich wüsste nicht, warum er jetzt so plötzlich anfangen sollte zu weinen, wo er doch seit meiner Ankunft hier den Harten makierte.
In diesem Moment hörte ich, wie jemand lauthals durch die Balkontür in mein Zimmer stürmte. Ich wandte mich erschrocken um und konnte Carlos, der auf mich zugestürmt kam, im letzten Moment noch ausweichen. Er stürmte gegen die Tür. Dann schaute er mich an.
"Was hast du gemacht?!", rief er, als er meine anscheinend große Wunde am Hinterkopf sah. "Dein ... halber Kopf ist weg!"
"WAS?!"
Ich kreischte, fasste mir wieder an den Kopf und an die Stelle, wo die Wunde sein musste, und stürmte aus meinen Zimmer raus und ins Badezimmer. Ich nahm nur aus dem Augenwinkel wahr, wie James sich sofort kerzengerade aufsetzte und dabei von mir abwandte. Im Vorbeilaufen ignorierte ich ihn einfach.
"Jade!"
Logan kam mir aus dem Badezimmer entgegen und wirkte geschockt. Einerseits, weil ich nicht auf ihn gehört hatte, mich schnell bewegte und aufregte, was den Blutdruck erhöhte und so die Blutung schlimmer wurde, aber das war mir egal. Im Badezimmer angekommen, blickte ich voller Angst in den Spiegel, stellte dann allerdings fest, dass mein Kopf noch komplett war. 'Nur' eine riesige Platzwunde prankte dort. Sie reichte von der linken Mitte meines Kopfes bis fast hinunter zu dem Übergang zwischen Haar und Nacken.
Bei diesem Anblick wurde mir übel. Ich vertrug den Anblick meines vom Blut vollkommen verklebtem Haar einfach nicht. Es sah furchtbar aus. Mein Magen begann zu rebellieren und mir stieg Magensäure in den Mund, der meine Übelkeit noch verstärkte. Durch die Entdeckung der Wunde begann ich es nun auch zu riechen. Ein Würgreiz machte sich in mir breit und ich musste ihn mit aller Kraft unterdrücken und stürmte zur Toilette - für den Fall, dass mein Magen sich ausleeren wollte.
"Komm", versuchte Logan, mich wieder ein wenig aufzubauen. "Steh auf. Ich muss dir den Kopf verbinden."
Das Gefühl der Übelkeit ließ langsam nach. Ich erhob mich langsam, um meinen Magen nicht zu überfordern. Es funktionierte und so schaffte ich mit Logans Unterstützung zurück in mein Zimmer, wo ich mich erst einmal auf meinen Schreibtischstuhl niederließ.
"Okaaay... Zum Glück musste die Wunde nicht genäht werden!"
Logan begann, langsam und vorsichtig einen schier endlos wirkenden Verband um meinen Kopf zu wickeln. Es brannte ein wenig, als das erste Stück Stoff meine Wunde berührte, doch ich hielt dem Schmerz stand. Er war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die ich gestern gehabt haben musste, als ich mir irgendwie diese Wunde zugezogen hatte. Als Logan dann endlich fertig war, wollte ich schon aufstehen und aus dem Zimmer gehen, doch er hielt mich auf.
"Du gehst jetzt erst mal für ein paar Tage nirgendwo hin", stellte er fest. "Deine Wunde muss heilen und wenn du dich überanstrengst, wird dein Blutdruck höher und deine Wunde blutet wieder. Außerdem musst du dich auch erst mal wieder auskurieren. Durch die Platzwunde hast du viel Blut verloren."
"Wie kommt es, dass du so gut Bescheid weißt?", fragte ich ein wenig erstaunt.
"Ich wollte Arzt werden."
Widerwillig ließ ich mich von Logan auf das Bett drücken.
"Logan?", fragte ich. Er lehnte sich zurück um mich besser ansehen zu können. "Danke, Logan."
Es herrschte Stille, in der er mich bloß mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht anblickte. Es machte mich nervös.
"Bedank dich nicht." Ich war verwirrt. Eine solche Antwort hatte ich von ihm nicht erwartet. "Warum nicht?"
Er zog seine Augenbrauen zusammen. "Du weißt warum. Ich stehe nur hinter James und will nicht, dass er Ärger bekommt, nur weil du meintest ihn provozieren zu müssen."
"Provozieren?" Ich verstand nicht, woher die plötzliche Kälte gegenüber mir herkam. Eigentlich hatte ich ihn als netten Jungen eingestuft. Soviel ich von vorher wusste, war er immer schon der schüchterne, nette und überdurchschnittlich intelligente von den Vieren gewesen. Wir hatten uns damals bloß keine wirkliche Aufmerksamkeit geschenkt, da James nicht wollte, dass ich etwas mit seinen ach so tollen Freunden anfing. Wüsste er bloß was zwischen Kendall und mir gelaufen war... Ein weiterer Grund weshalb ich schon freiwillig nicht in deren Nähe sein wollte.
Aber das erklärte trotzdem nicht die Tatsache, dass er mich damit beschuldigte ich hätte James provoziert. Was war nur passiert?
Aaahhrr, mein Kopf!
"Tu nicht auf Unwissend. Dein ganzes Leben bestand nur aus Schauspielerei, oder? Und nun versuchst du mit Lügen unsere harte Arbeit zusammenzustampfen, hab ich recht?" Ich riss geschockt die Auge auf.
"Was? Nein! Das versuche ich nicht! Ich war doch nicht derjenige, der in der Lobby auf mich zugekommen ist um sich vor aller Augen mit mir zu streiten?"
"Du hast es drauf angelegt." Seine Gesichtszüge verdunkelten sich. "Hör auf zu Lügen. Du versuchst nur die Aufmerksamkeit der Medien auf dich zu lenken." Das wurde mir jetzt zu doof. Etwas Absurderes hatte ich bisher noch nicht gehört. Und da wollte man meinen er sei die Leuchte. "Das versuche ich sowas von nicht, Logan. Fast mein ganzes Leben war ich immer an etwas angekettet und war zurückgezogen. Meinst du ich bin ausgerechnet jetzt heiß drauf in den Medien zu erscheinen? Überhaupt daran gewöhnt bin von so vielen Menschen umzingelt zu sein, die jede meiner Bewegungen beobachten?"
"Ich denke es ist generell besser, wenn du nicht in die Öffentlichkeit gehst." Er stand auf und stand mit dem Rücken zu mir. "Für dich... Und besonders für uns." Ich erstarrte und ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Hatte er mir gerade eigentlich zugehört?
"Du solltest einfach nochmal wissen, dass wir uns nichts kaputt machen lassen. Lass dich nicht davon täuschen, dass ich mich um dich gekümmert habe. Eine Tote will niemand und wir stehen alle hinter James und Kendall", sagte er mit kühler Stimme, die mir das pochende Blut in den Adern anhalten ließ. Und bevor er durch die Tür verschwand bemerkte er noch "Ach, und ist es nicht besser, dass man alle deine Aktionen beobachtet? Man weiß ja nicht, was du so treiben könntest."
Konnte es sein?
Konnte es sein, dass er es wusste? Hatte James es ihm erzählt? - Hatte KENDALL es ihm erzählt?
Anscheinend, denn es sah ganz danach aus, als könnte er mich nicht ausstehen.
Plötzlich schoss ein so gemeiner Schmerz durch meinen Kopf, dass ich die Augen zukneifen musste und kurz mit einem Keuchen aufstöhnte. Was war nur geschehen, dass ich diese Platzwunde bekommen habe? Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war, dass ich mit James in einem engen Raum gewesen war und wir uns gestritten hatten.
Mich überkam eine neue Welle der Übelkeit und ich öffnete die Tür, die auf den Balkon führte, um frische Luft in den Raum zu lassen. Das allein reichte allerdings nicht, weshalb ich nach draußen trat. Es war frisch draußen, doch ich war nicht sonderlich kälteempfindlich, weshalb ich die Kälte einfach ausblendete. Der Balkon lag leicht versetzt über dem Haupteingang des PalmWoods. Ich stellte mich an das Geländer, um auf die Straße blicken zu können. Wenn ich schon nicht raus durfte, dann wollte ich wenigstens so etwas von der Außenwelt mitbekommen können.
Nach einem Momenten wandte ich meinen Kopf nach Links. Unten standen Kendall und das Mädchen, das ich bereits 'kennengelernt' hatte und feststellen musste, dass sie Kendalls neue Freundin ist, die sich gegenseitig fest im Arm hielten und küssten. Mein Magen verkrampfte sich und mir wurde erneut übel.
Es war nicht so, als sei ich eifersüchtig - nein, definitiv nicht, doch ich verstand dieses Mädchen einfach nicht. Wie konnte sie sich von einem Jungen wie KENDALL küssen - es war schon eher auffressen zu nennen - lassen.
Mit verzerrtem Gesicht wandte ich mich von der Szene ab, als plötzlich wie aus dem nichts eine Stimme die Straße erhellte.
"Schaut! Da ist sie!"
Ich verstand garnicht was plötzlich um mich herum geschah. Helle, blitzende Lichter blendeten meine übermüdeten Augen und auf einmal packte mich eine so schwere Lähmung, ein Schwindelgefühl, dass ich nur noch schwarze Punkte vor Augen sah und versuchte davor zu flüchten, durch die Tür in Richtung Wohnzimmer.
"Was-? Jade!"
"Wer bist du denn?"
Ich war zehn Jahre alt gewesen, als meine Mutter, Kimberleigh, angefangen hatte mich zu schlagen. Angefangen hatte es, als ich in dem Alter ein Glas hatte runterfallen lassen, was normal war, für jeden Menschen, so etwas konnte ja mal passieren, und Eltern sahen darüber hinweg könnte man meinen. Nicht so bei meiner Mutter, denn bei der war es der Auslöser, mich meiner Schande zu lehren. Dafür kassierte ich eine Ohrfeige.
Über die Jahre hinweg verschlimmerte sich meine Mutter. Mit zwölf Jahren, hatte James den Füller meiner Mutter benutzt und die Spitze verbogen. Das wusste diese allerdings nicht, und als Kimberleigh Bex den Deckel abnahm, war sie außer sich vor Wut. "JADE IDONY BEX!", hatte sie gebrüllt, woraufhin ich ängstlich zu ihr gelaufen kam. Ich brauchte nicht einmal etwas gemacht zu haben, um Ärger zu kriegen. In der Nähe meiner Mutter war ich immer ängstlich, und wenn diese auch noch meinen vollen Namen brüllte, ließ es sich nichts Gutes verheißen.
"Wieso hast du das kaputt gemacht, heh! Kannst du nicht einmal aufhören dich wie ein Fehler zu verhalten und so sein wie James!" Mit diesen Worten hatte sie mich, die kleine Jade, mit der einen manikürten Hand grob an den Haaren gepackt und mit der anderen mir das Gesicht zerkratzt. Als ihr dabei auch noch ein Nagel abbrach, hatte sie mir mit dem Satz "Das ist alles deine Schuld!" in den Magen getreten.
Später, als ich endlich dazu kam, vor ihr zu flüchten, saß ich in irgendeinem Ghetto. Dabei regnete es, das Haar klebte mir im Gesicht, das Salzwasser, welches vom Himmel auf mich hinabsickerte, vermischte sich mit dem meiner Augen. Dort saß ich also, im Dunkeln, auf einer Treppenstufe in einer verlassenen gespenstischen Straße. Welche nur durch eine flackernde Laterne erleuchtet wurde, und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte, was das Leben für mich für einen Sinn hatte. Es war zu schwer.
Zu kompliziert.
Unfair.
Und dann kam diese Frage. Wer bin ich? Ich drehte mich um, um den Fremden anzusehen. Die Stimme klang jung, und es war eindeutig eine Jungenstimme gewesen. Mitte Stimmbruch.
Bevor ich ihm antwortete, blickte ich an mir runter und nahm mein Erscheinungsbild in mir auf.
Barfuß. Mein weißes Top war verdreckt, der eine Träger hing an meiner Schulter runter. Meine Hose hatte ein Loch im Kniebereich. Und dazu war ich pitschnass.
Ich zuckte mit den Schultern.
Dann sah ich ihn an. Er hatte langes blondes Haar, kürzer als schulterlang. Eine markante Nase und seine Augenbrauen waren dicht und schön geformt. Seine Teichgrünen Augen funkelten in dem schwachen Licht der Straßenlaterne.
"Komm mit, ich kenne einen tollen Ort." Irritiert starrte ich ihn an. Ich hatte nie jemanden gehabt, der mir sagte, ich solle mich von Fremden fern halten, die mir etwas antun könnten, sowas wusste ich jedoch selbst. Aber dieser Junge sah so alt aus wie ich und zu Hause erging es mir eh nicht besser. Außerdem lächelte er. Kein Lächeln, das etwas verhieß. Einfach nur ein zartes nettes Lächeln. Etwas, das ich nur selten zu spüren bekam.
Er führte mich aus dem Ghetto heraus und in eine Wohnhausgemeinschaft, wo er mich weiter in einen großen Garten führte, in dessen Mitte ein großer alter Baum prankte, auf dessen dicken Ästen ein Baumhaus gebaut war. Der Garten, gehörte einem beigefarbenen niedlichen Haus und ich fragte mich, ob er hier wohnte. Und wenn ja, was er wohl in diesem Ghettoviertel zu suchen hatte, wenn er doch eindeutig wohlhabend war. Ein Blick auf seine Kleidung genügte schon, eine dunkle Ray Bans Jeans, rotes offenes Karohemd, darunter ein schwarzes Top. Um das alles auszuschmücken, hatte er auf seiner blonden sauberen Mähne, einen grauen Beanie.
Und dann dachte ich an mich. Wie ich aussah, und wie es uns eigentlich ging. Auch wohlhabend. Nur nicht mir.
Im Baumhaus setzte ich mich in eine dunkle Ecke, zog die Knie an mich und legte meinen Kinn auf sie.
Was wollte ich hier?
"Hierher komme ich immer, wenn mir alles zu viel wird", sagte er unerwartet und sah mich von der gegenüberliegenden Wand her an. Er hatte sich daran runterschleifen lassen und saß locker dagegen gelehnt.
"Mein Vater. Er hat mich und Mum bis vor einer Woche immer geschlagen. Ist immer betrunken. Dann ist er verschwunden. Gestern war er wieder da und hat versucht, meine kleine Schwester mitzunehmen, aber ich habe es verhindert. Mum war nicht da und weiß es noch gar nicht. Sie war arbeiten. Dafür hab ich jetzt aber ein unschönes Feilchen am rechten Auge."
Ich schluckte einmal. Ihm ging es genauso wie mir. Wenn nicht sogar schlechter. Seine Offenheit überraschte mich und ich hatte das Gefühl, als sei ich ihm ebenfalls Worte schuldig.
Als ich sein Auge absuchte und die Stirn runzelte, lächelte er nur wieder wehleidig und verzog sein Gesicht. "Ich hab es mit dem Make-Up meiner Mutter abgedeckt. Sie macht ohnehin schon genug durch."
Wieder war es für einige Sekunden still.
"Mein Name ist Jade", murmelte ich schließlich. "Meine Mutter misshandelt mich. Ihr neuer Freund weiß davon nichts und sein Sohn, der hasst mich und macht mir das Leben zur Hölle. Ich bin ein Fehler, eine Mistgeburt, talentlos und hässlich."
Jetzt war es an ihm die Stirn zu runzeln und mich fast schon unglaubwürdig anzuschauen. "Das stimmt nicht", sagte er dann.
"Du kennst mich doch nicht", gab ich zurück. Doch er schüttelte nur den Kopf. "Ich meine, du bis nicht hässlich. Und talentlos bestimmt auch nicht. Jeder hat irgendwo ein Talent. Und wie eine Mistgeburt siehst du auch nicht aus. Wenn du ein Fehler bist, dann nur ein Fehler, deiner Mutter, aber nicht du selbst. Dafür kannst du nichts, sondern alleine sie und ihre Dummheit. Und ich bin übrigens Kendall." Er zwinkerte mir mit dem linken Auge zu und ich musste unwillkürlich zurücklächeln. So etwas Süßes hatte nie jemand zu mir gesagt.
"Weißt du was gegen all die Probleme hilft?", fragte er mich aus der heißen Luft heraus worauf ich neugierig den Kopf schüttelte.
Wie gerne würde ich dagegen ein Heilmittel haben, womit sich meine Probleme in Luft auflösen konnten.
"Hier, komm her. Das hab ich mir gerade besorgt. Schon paar mal benutzt. Aber wenn man es nimmt, geht es einem besser. Zumindest vergisst man alles um einen herum für eine Weile." Kendall hielt mir eine durchsichtige FolienPackung hin, in der ca. ein Dutzend Pillen waren. "Die hier sind noch nicht so stark, aber ein Kumpel will mir demnächst noch etwas anderes, Besseres, besorgen. Hier nimm."
Ich nahm zwei Pillen entgegen und sah ihn ratlos an. Er schien meine Ratlosigkeit zu erkennen und erklärte: "Zwei haben eine bessere Wirkung, du wirst schon sehen. Schluck sie einfach runter."
Und ich tat es.
Danach, wurde alles nurnoch kunterbunt. Und ich vergaß.
Ein paar Mal blinzelte ich irritiert. Ich fand mich auf dem Boden wieder, Carlos, der seinen Kontroller gerade vor Schreck fallen gelassen hatte, kam auf mich zugerannt. "Was war das gerade?", fragte er mich verwirrt und auf eine Weise total unschuldig wie ein Kind es nur konnte.
Ich wusste selbst nicht genau woran es lag, denn ich hatte weder getrunken, denn dass ich mal einfach so umkippte war damals sehr oft vorgekommen, noch war ich in einer Schlägerei verwickelt gewesen- Sekunde. Ich hab' eine Platzwunde am Hinterkopf.
Eigentlich sollte ich gegen so etwas abgehärtet sein, könnte man meinen, in so viel Ärger wie ich mich damals verwickelt hatte durch falsche Freunde. Innerlich schnaufte ich. Ich war einsam gewesen und brauchte jemanden und deshalb gab ich auf eine Weise Kendall die Schuld daran.
"Ganz ehrlich? Ich hab keinen blassen Schimmer."
Plötzlich riss man die Tür auf und der Rest der Jungs kam hereingestolpert, sie sahen verärgert aus, was nichts Gutes für mich hieß.
"Bex, du Spatzenhirn-", fing James an, wurde jedoch dann von Logan unterbrochen. Kaum zu fassen, dass dieser Brünette vorher geweint hatte.
"Jade, hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht raus?!", fing dann der blasse Dunkelhaarige an, welcher gerade Mr. Diamond unterbrochen hatte.
"Ich darf jetzt also auch nicht auf den Balkon?", fragte ich ungläubig.
Kendall, der sich bis jetzt eher im Hintergrund gehalten hatte, packte die beiden an den Schultern und zog sie hinter sich. Er war ganz klar der "Anführer" dieser Gruppe, was nichts Neues für mich war. Schon damals war er es schon gewesen...
"Es war ja klar, dass du es nicht verstehen würdest. Hast du dir mal angesehen, wie du aussiehst? Was meinst du, was jetzt alles in den Medien spekuliert wird!" Oh, stimmt, daran hatte ich nicht gedacht... Was mir ganz ehrlich irgendwie Schnuppe war.
Ich sah ihn gleichgültig an. Worauf er, James und Logan untereinander Blicke austauschten, und sich zu verstehen gaben, dass es mir offensichtlich egal war, was die Medien über sie schrieben. Immerhin war ich hier das Opfer. Ich wollte nicht hierher. Und nun wurde ich schlecht behandelt. Das nur, weil ich eine nicht so kunterbunte Vergangenheit wie mein "Stiefbruder" hatte.
"Okay, wie du willst, Jade", begann Kendall. "Wenn [i]das[/i] dir egal ist, wird es dir wohl auch egal sein, wenn wir dich das nächste mal, wenn so etwas noch einmal passiert, vor die Tür setzen."
Fast wollte ich in sein Gesicht lachen und ihm mein vollstes Einverständnis mit dieser Idee geben, als plötzlich die Stimme meines Richters in meinen Ohren klingelte.
"Jade, du wirst zu deinem Stiefbruder geschickt.", hatte er gesagt, als wir alleine im Besprechungsraum waren. "Mach es dir nicht kaputt, denn woanders hast du nicht... Die nächste Möglichkeit wär die Straße."
Ich schluckte mein Lachen herunter und sah die Jungen vor mir mit großen Augen an, schüttelte dabei verschreckt minimal den Kopf.
Auf Kendalls Lippen breitete sich ein selbstgefälliges Lächeln aus. "Wie ich es mir dachte."
"Jungs, ich werde mit Katie nach Minnesota fliegen-"
"Was?!", riefen die Jungs entsetzt aus. "Liebst du uns nicht mehr, Mama Knight? Warum willst uns verlassen?" Die anderen nickten Carlos zustimmend zu und sahen Jen abwartend an.
"Ganz ruhig", begann diese. "Natürlich verlasse ich euch nicht. Es wird nur wieder Zeit, ein paar Verwandte und alte Freunde besuchen zu gehen. Das ist alles. Es wird nur einpaar Wochen dauern."
Jetzt tauschten die Jungs begeisterte Blicke untereinander. Ganz klar. Die freuten sich auf eine sturmfreie Bude. Gar nicht gut.
"Und wann fliegt ihr?", fragte nun Logan. Total nebenbei.
"Heute", sagte Jen flüchtig und nahm ihre Handtasche.
Kendall trat ein Schritt vor. "Mum!", protestierte er. "Wann wolltest du uns das sagen?!- Autsch! Jungs!" Die anderen hatten ihm die Ellenbogen in die Seiten gestoßen. Natürlich wollten die, dass Jen nicht blieb. Was er sagte könnte sie zum bleiben überreden.
"Und wann fährt ihr zum Flughafen?", seufzte Kendall nun ergeben und ließ die Schultern hängen.
"Wir können jetzt los, Mum!"
Alle Köpfe schossen zur Seite, wo Katie aus ihrem Zimmer herauskam, einen schwarzen Koffer hinter sich her ziehend.
Dann gingen sie wieder zurück zu Jen. Sie sah nervös zwischen Katie und uns hin und her. Dann zuckte sie mit den Schultern, setzte ein Lächeln auf und trat mit einem größeren Koffer hinter dem Tresen aus der Küche hervor. "Jetzt!", beantwortete sie die Frage, die in der Luft hängen geblieben war.
Seit dem Vorfall auf dem Balkon waren schon ein einhalb Wochen vergangen. Natürlich verbreiteten sich die Nachrichten über meine Verletzung wie im Sturm. Man wusste wer ich war. Und auf die Frage, wie ich mir die Verletzung zugezogen hatte, hatten die Jungs in einem Interview gesagt, dass ich mich an der Türrahmenkante gestoßen hatte. "Sie ist sehr tollpatschig.", hatte Kendall beantwortet. "Das war sie schon damals gewesen, als wir Kinder waren", hatte James hinzugefügt und gekichert, damit alles glaubwürdiger rüberkam. Das stimmte nicht. Ich war nie tollpatschig gewesen. Logan hatte hinzugefügt: "Sie ist über ihre eigenen Füße gestolpert und dann war da zufällig der Türrahmen. Wir hatten wie immer rumgetobt und sie war am flüchten." Sicher. Als hätten wir wie kleine Kinder fangen gespielt.
Doch nach Kendalls drohenden Worten hatte ich mich benommen. Ich hatte nicht vor auf der Straße zu landen. War nicht bereit dafür. Auch wenn sie mich schlecht behandelten. Wenn ich mich benahm war es erträglicher. Trotzdem konnte ich mir meine sarkastischen Kommentare hier und da nicht verkneifen.
Als sie sich nun alle von Jen verabschiedeten, trat sie auf mich zu und wollte mich ebenfalls zum Abschied umarmen. Bevor es soweit kam trat ich ein Schritt zurück und hielt ihr meine Hand hin. Verwirrt nahm sie und schüttelte. "Viel Spaß, Ms. Knight."
Katie sah uns geschockt an. Kein Wunder. Sonst nannte ich sie immer Jen und nicht Ms. Knight. Ihr Nachnahme verlieh der ganzen Situation eine gewisse Distanz. Genau wie sie es doch haben wollte, oder? Ich hatte es selbst gehört. Eines Nachts, zwei Tage nach meiner Verletzung. Ich wollte ein Glas Wasser trinken. Doch bevor ich aus dem Zimmer trat bemerkte ich dort in der offenen Küche Jen und Katie. Sie hatte Katie die Hände auf die Schultern gelegt und redete auf diese ein. "Halt dich fern von Jade, mein Liebling". "Aber wieso? Sie ist meine Freundin. Ich mag sie." "Glaub mir, es ist besser so. Sie ist... ein schlechter Umgang.", hatte Jen geseufzt. Auf das Glas Wasser hatte ich danach verzichtet. Überhaupt hatte ich eigentlich alle ignoriert. War jedem aus dem Weg gegangen. Jen hatte versucht mit mir zu reden. Tiefgründige Dinge und so. Ich wich ihr aus.
Jetzt hing Jens Mund fast offen. Ich verzog mein Lächeln zu einer schiefen Grimasse und zog meine Hand wieder aus ihrer. Dann nahm ich Katie in eine feste Umarmung. "Viel Spaß, Kit Kat", flüsterte ich ihr ins Ohr, woraufhin sie kicherte, sofort lockerten sich ihre Gesichtszüge.
"Pass du auch auf dich auf. Und lass dir nicht alles von diesen Bubis gefallen, Jade. Ich hab dich lieb."
"Mal schauen. Ich dich auch."
☽ ♕ ☾
"Bex!"
"Was ist's Knight? Findest du deine Pillen Speed nicht mehr? Soll ich dir welche besorgen?", fragte ich sarkastisch. Katie und Jen waren gerade mal einen Tag weg. Die Jungs nervten mich und nutzten mich wie ein Hausmädchen aus. Ich wusste nicht was dieser Trottel schon wieder wollte. Vielleicht bekam er seine dämlichen Socken nicht angezogen. Oder fand seine Gehirnzellen neben all dem Müll in seinem Kopf nicht mehr. Keine Ahnung. Die anderen Jungs waren gerade am Pool, ich würde auch mal gerne raus, hatte auch keine Wunde mehr am Kopf. Doch es war erstmal besser wenn ich mich eher verdeckt hielt. Und das Gestarre der anderen Leute machte mich verrückt. Jedoch könnten die anderen drei jeden Augenblick im Appartement aufkreuzen. Kendall behielt ein Auge auf mir. Die Vollpfosten wechselten sich untereinander ab. Bevor Jen gegangen war, hatte sie gesagt, dass die Jungs aufpassen sollen, dass nichts geschah. Dabei hatte sie unauffällig zu mir geblickt. Unauffällig schlecht.
Naja, ich hatte es mitgekriegt.
Kendall sah sich kurz panisch um, ob mich jemand gehört hatte. Dann funkelte er mich wütend an und schritt drohend auf mich zu. Seine Stirn berührte meine. Nicht auf eine liebliche Art.
"Pass auf, was du da von dir gibst", knurrte er.
"Was wenn nicht? Wirst du mich auch schlagen?", säuselte ich und steckte mein Haar hinter mein rechtes Ohr. Auf der Seite meiner Stirn war die sich formende Narbe zu erkennen. Mit der Zeit würde sie allerdings verblassen.
Er lächelte süffisant und flüsterte in mein Ohr.
"Wer weiß."
Ich schluckte, ließ mir meine Unruhe nicht anmerken.
Dann trat er ein paar Schritte zurück und sah mich hart an. "Du wirst heute mitkommen."
Ich zog verständnislos die linke Augenbraue hoch. "Du kannst dich einfach nicht von mir trennen, stimmt's Knight?" Er rollte die Augen darauf.
"Hör zu. Belass meine Vergangenheit in der Vergangenheit. Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich loswerden will."
"Doch weiß ich.", unterbrach ich ihn. Die Tür ins Appartement wurde geöffnet. Ich wusste, dass es die anderen drei waren. Ließ mich aber nicht unterbrechen.
"Du willst, dass deine Vergangenheit in der Vergangenheit bleibt, wo es hingehört. Doch ich bin deine Vergangenheit, Kendall. Das macht dir so viel aus. Und es macht dir Angst. Du hast Angst, das deine Vergangenheit, die plötzlich aufgetaucht ist, deine heile Gegenwart zerstören würde."
Die anderen glotzten sich verwirrt an. Ein kleiner Schimmer Verständnis war in Carlos' Blick zu sehen, er versuchte es nicht zu zeigen.
"Was hat Bex jetzt schon wieder angestellt, Kendall?", fragte James. Es war irgendwie komisch, dass wir uns alle beim Nachnamen ansprachen. So kamen wir uns wohl irgendwie cooler vor. Null Schimmer.
Der Angesprochene biss fest die Kiefern zusammen. Ich konnte fast sehen wie die billigen Maschinen in seinem Kopf arbeiteten, auf der Suche nach einer passenden Antwort. Ohne zu viel von sich zu verraten. Von seiner Vergangenheit. Niemand hier wusste darüber bescheid.
"Nichts."
Nur mit Widerwillen hatte er das gesagt. Nur damit er meine letzten Worte nicht erklären musste, die seine Kumpels mitbekommen hatten.
"Ich war ihr gerade am klarmachen, dass sie mit zum Studio kommen muss.", redete er sich raus.
Logan rollte die Augen. "Lass mich raten. Sie hat sich wie immer geweigert."
"Das war eine Feststellung.", meinte ich an den Klugscheißer gerichtet. Dabei war ich gerade nichts Besseres. Wieso ein höheres Niveau als die behalten. Ihr Niedriges war für sie hoch. Da konnte ich auf deren Niveau hinabsteigen und war auf demselben "Hohen" wie sie selbst.
"Hör zu, Jade. Wir scherzen nicht. Wir müssen dich im Auge behalten." Kendall hatte meinen Vornamen mit Absicht betont. Zeigte wie ernst er es damit meinte. So wie ich vorher. Jetzt lächelte er wieder. "Nur für den Fall, du könntest irgendwie etwas Verbotenes ins Appartement schmuggeln."
Ich sagte nichts. Ich blieb stumm und sagte nichts.
Wenn mich ein Thema traf, dann genau dieses. Klar, ich hatte es auch bei ihm gemacht. Es traf auch ihn. Aber bei ihm war es anders. Er sorgte sich nur um seinen Ruf. Aber ich... Ich war in diese ganze Geschichte durch ihn geraten.
"Jetzt hört auf!" Alle zuckten zusammen.
"Lasst Jade in Ruhe! Statt um das Eigentliche herumzureden und sie fertig zu machen, kommt zum Punkt! Ihr regt mich so auf, Gott! Ich bin mich umziehen!"
Alle sahen mit aufgerissenen Augen Carlos hinterher.
Sogar ich. In der letzten Woche hatten wir beide uns gut verstanden. Er war der einzige, dem ich von mir erzählte. Er verstand mich und stand hinter mir. Aber ich hätte nicht erwartet, dass er auch vor den anderen für mich einstehen würde. Das war eine Überraschung. Er war so lieb.
Hoffentlich bekam er keinen Ärger dafür.
James, Kendall und Logan sahen sich ratlos und geschockt an. Carlos' Ausraster hatten sie noch immer nicht verinnerlicht. Für die sonst so liebe Persönlichkeit war sowas auch ungewöhnlich. Selbst für die besten Freunde.
James war der erste, der anfing zu reden. Mit einem Seufzen.
"Du wirst in Rocque Records als Aushilfe arbeiten. Dann verdienst du auch nebenbei und kannst es bei uns abbezahlen. Nur weil wir dich bei uns aufgenommen haben, heißt das nicht, dass wir auch noch für dich Geld ausgeben."
"WAAAAS?!?!" Mein Haar war bei dem lauten Gebrüll des Fettkloses hinter dem Schreibtisch, der sich einen Mega-Produzenten nannte, zurückgeflogen. Er hatte vorher noch kein Wort gesagt, doch ich merkte jetzt schon, dass er anscheinend unter Wutausbrüchen litt, und öfters so aufbrausend war. "WAS SOLL DAS, IHR HUNDE, IHR, WOLLT MIR SAGEN, WEN ICH EINZUSTELLEN HABE?!?!"
Ich kicherte, als ich hörte, wie er die Jungs "Hunde" nannte. "Gustavo, komm runter, du hattest noch vor einen Liebessong zu schreiben. Wutausbrüche darfst du dir jetzt nicht erlauben", sagte die junge dunkelhäutige Frau neben ihm, und versuchte ihn mit einem sanften und vorsichtigen Ton runterzukriegen.
"NEIN, ich bin GUSTAVO ROCQUE und ich höre nicht auf HUNDE. Das sind MEINE Hunde, sie müssen auf MICH hören, aber leider tun sie dass nicht allzu oft!"
Gerade wo ich dachte und ich müsste vielleicht doch nicht bei ihnen arbeiten, mischte sich auch KEDNALL wieder ein. Innerlich stöhnte ich auf.
Der und seine große Klappe, GOTT, wie ich das NICHT vermisst hatte…
Wunderbar.
Ich konnte nicht glauben, dass sich dieser Möchtegern Produzent hat überreden lassen. Zunächst wollte er nicht, doch dann hat er sich doch erweichen lassen. Denn ich konnte ihm ja zu Essen bringen. Oder Kaffee. Oder einfach nur sein Büro putzen, in dem ich extrem auf die teuren Sachen aufpassen musste. Wer hätte dem schon widerstehen können? Und dann auch noch für ein niedrigen Lohn?
"Kendall", knurrte ich in mich rein. Am liebsten hätte ich mich auf irgendeine Weise bei ihm gerächt, aber ich durfte ja nicht. Oder eher KONNTE nicht. Denn immer wieder hallten die Worte meines Anwalts in meinen Gedanken wider.
'Das ist deine letzte Chance, Jade.'
Wütend klatsche ich den Putzlappen auf den Tisch und schnaufte. Das Leben war unfair. Ich verstand Kendall einfach nicht. Damals war er anders. Er war hilfsbereit und verständnisvoll, doch nun schien er mir ein Egomane geworden zu sein, ignorant und egoistisch. Es hatte doch alles mit ihm angefangen!
"Jade, Gustavo möchte ein Glas Wasser. Carlos hat seinen ausgetrunken", hörte ich die sanfte Stimme von Kelly aus dem Kopfhörer sprechen. So hieß die Sekretärin von Gustavo. Ich empfand sie als nett, und so behandelte sie mich auch; nett. Als ich ihre Worte hörte, konnte ich nicht anders als in mich zu kichern. Carlos war wirklich süß, und kam so unschuldig rüber. Alles um das er sich Gedanken machte war, jeden Tag mindestens zwei Corndogs zu essen. Er erinnerte mich an meinen Hund, Mick, den ich damals hatte, der so gerne Würstchen aß. Doch das tat er nicht mehr lange, nachdem meine Mutter die Leine aus Versehen losließ, weil der Wind ihr Haar zerzauste. So lief Mick auf die Straße und... Ich wollte gar nicht daran denken. Zumindest vermisste ich Mick danach sehr. Er war einer meiner treuesten Freunde gewesen. War an meiner Seite, wenn ich ihn brauchte. Weinte mit mir, wenn ich weinte. Schnell schmiss ich den Lappen in den Waschbecken der kleinen Abstellkammer. Anschließen machte ich mich auf den Weg in die kleine Küche, wenn man es so nennen konnte. Ich nahm ein Glas aus dem Regal und füllte es mit Wasser. Auf dem Weg in Gustavo's Büro hörte ich plötzlich Gesang, welches hinter einer Tür zu mir durchdrang, auf der "Studio 1" stand. Sie war einen spaltbreit auf, und als ich näher trat vernahm ich die Worte klarer. Es hörte sich schön an.
"Jade, wo bleibst du? Gustavo ist schon ganz rot angelaufen." Augen verrollend sagte ich: "Ist schon gut, ich bin unterwegs."
"But I just keep getting stuck, stuck
But I'm never giving up, up
In the middle of a perfect day
I'm tripping over words to say
'Cause I don't wanna keep you guessing
But I always end up getting stuck, stuck
But I'm never giving up, up…"
Ich sang den Text vor mich hin und fegte die letzten Paar Chips vom Boden auf. Die vier Jungs waren wie eine Horde Affen, bloß schlimmer. Ich konnte mittlerweile nachvollziehen, weshalb deren Produzent so sehr zu Wutausbrüchen neigte.
Der Part des Songtextes war in meinem Kopf hängen geblieben, und ich konnte nicht anders, als ihn zu singen, um ihn aus den Gedanken zu kriegen. Er passte so gut zu meiner Lage.
Gerade als ich die Scherben einer zerbrochenen Vase aufheben wollte, die die Jungs beim Ringen haben fallen lassen, wurde ich urplötzlich hochgerissen, herumgewirbelt, und sah einer geschockt und zugleich fasziniert aussehenden Kelly in die Augen. Ich begriff nicht und sah sie erst einmal etwas verwirrt an.
"Du- D-D-D-Duuuuu…", stotterte sie, woraufhin ich meine Augenbrauen zusammenzog.
"Iiiich?", fragte ich nach.
Es schien, als hätte sie sich nun wieder gefangen. „DU kommst jetzt erst Mal mit mir mit zum Tonstudio 2.“ Im nächsten Augenblick riss sie mich auch schon hinter sich her, durch eine Tür an der „Studio 2“ stand. Noch irritierter als zuvor blieb ich mitten im Raum stehen. „Kannst du mir jetzt mal erklären, was eigentlich los ist? Gustavo wird mich sonst sicherlich feuern, wenn ich den Flur nicht-„
„Vergiss den Flur, Jade. Das passiert bei uns alltäglich. Nimm diesen Song, stell dich dort an das Mikrofon und fang an zu singen.“
Sie zeigte hinter das Glas, in dem ein abgedichteter Raum war. Von hier aus konnte man sie Singenden perfekt beobachten. Ich zuckte nur mit den Schultern und machte, was sie mir sagte. Wenn ich versuchen würde Widerworte zu geben, wusste ich, dass es nicht funktionieren würde. In ihren Augen sah ich einen bestimmten Ehrgeiz, den man nicht bezwingen konnte.
Als ich vor dem Mikro stand, fing eine schöne Musik an. Ich merkte, dass ich wohl anfangen musste zu singen, und tat es.
Während des Singens blickte ich ab und zu unsicher zu Kelly auf, doch sie lächelte mich dann breit an und gab mir zweimal die Daumen hoch. Das ermutigte mich.
Als ich wieder zu ihr trat, blickte sie mich begeistert an. „Ich möchte dich unter Vertrag nehmen.“ Wenn ich nicht wüsste, dass es unmöglich ist, würde ich denken, dass mir in diesem Moment die Augen aus ihren Höhlen gefallen wären. Schockiert starrte ich sie an. Ich wollte etwas sagen, doch mein Mund öffnete und schloss sich nur wieder.
„Hör auf damit, du siehst aus wie ein Fisch“, sagte sie dann und sah mich anschließend ernst an. „ Das ist die Chance für einen Durchbruch für dich. Du singst wirklich großartig, Jade. Ich habe SO lange gesucht, aber alle waren hoffnungslos.“
Verloren blickte ich in ihr hoffnungsvolles Gesicht, welches mich abwartend ansah.
„Aber... ich habe nie daran gedacht, Sängerin zu werden. Ich wollte Lehrerin oder Ärztin werden. Den Menschen helfen...“, gab ich verunsichert von mir und sah, wie der Funken hinter ihren Iriden etwas erlosch.
„Okay. Trotzdem. Ich gebe dir meine E-Mail Adresse. Schreib mir, wenn du dich entschieden hast. Bitte überlege sehr gut, Jade. Schreib mir doch bitte auch deine auf. Dann kann ich dir Informationen senden.“
Ich nickte. Es ging mir alles so schnell. Wollte ich das denn wirklich? Sängerin werden? Bisher hatte ich immer aus Langeweile oder als Hobby gesungen. Aber immer zu mir selbst. Kelly war nun die erste, die mich gehört hatte.
Doch wenigstens meine E-Mail Adresse konnte ich ihr geben.
Ich gab ihr meine Neue, die ich vom Palm Woods bekommen hatte, so eine hatte jeder dort. >PalmWoodsGirl143@PalmWoods.com<
“Wow, diese Stimme.”
“Habt ihr das auch gehört?”
“Großartig.”
“Sie hat unseren Song gesungen.”
Dann zerbrach etwas.
“VERSCHWINDET HIER. IHR HABT NICHTS IM FLUR ZU SUCHEN”
Geschockt wirbelten Kelly und ich herum. Die Jungs. Ich hatte die Jungs ganz vergessen. Wenn sie das herausfinden würden, dann ware ich endgültig geliefert. Ich hoffte nur, dass sie meine Stimme nicht erkannt hatten.
Schnell drehte ich mich wieder zu Kelly herum. “Kelly, bitte. Sag ihnen nichts. Sonst bin ich geliefert.” Sie nickte bestimmend und ich traute ihr, als ich ihren verständnisvollen Blick sah. “Danke.”
“Ich werde aber mit Gustavo redden müssen. Aber keine Sorge, er wird begeistert sein. Ich habe dich auf Tonband aufgenommen. Er wird keinen Wort an die Jungs verlieren, versprochen. Jetzt geh schnell, bevor sie merken, dass du nicht da bist. Gustavo hat sie wahrscheinlich komplett weggescheucht.”
Ich nickte ebenfalls und ging auf die Tür zu. Ich öffnete sie, und tatsächlich war niemand mehr dort. Bevor ich hinaustrat, drehte ich mich erneut zu Kelly um und konnte nicht anders, als sie anzulächeln. “Danke nochmal, Kelly. Du bist voll in Ordnung.”
> Erlaub mir mal für einen Moment kitschig und klischeehaft zu sein, immerhin ist dies der Zeitpunkt, in dem sich mein Leben komplett veränderte. Ich könnte es jetzt sogar mit 'Es war einmal vor langer Zeit ...' beginnen lassen, denn so fangen doch alle Märchen an, oder? Derselbe Eröffnungsspruch, derselbe Mist. Und ja, ich werde verdammt nochmal fluchen, denn ich hasse mein Leben. Und jedes Mal, wenn ich an meine Vergangenheit zurückdenke, verfluche ich diesen Augenblick.
Aber das weißt du schon alles, ehrm ... Tagebuch-Ding. Ich komme mir immer noch doof dabei vor hier meine Gedanken aufzuschreiben, aber lass mich dir ein Kompliment machen. Ich mag dieses grüne, flauschige Cover, mit dem du umhüllt bist ... Jetzt ist es offiziell, ich sollte irgendwo eingewiesen werden ... Obwohl DIE diejenigen waren, die mir vorgeschlagen haben dich anzufangen.
Also gut, dann fange ich eben an: Es war einmal vor langer Zeit ein kleines, unschuldiges Mädchen mit Zielen und Träumen, wie jeder andere auch. Sie hatte eine Mutter, die sie hasste, und keinen Vater. Warum genau ihre Mutter sie so hasste, hatte sie nie verstanden und immer wenn sie nach ihrem Vater fragte, wurde ihr gesagt, er sei tot.
Aber damals war sie noch klein, sehr klein. Denn das Schlimmste fing erst an, als ihre Mutter ihren zukünftigen Stiefvater kennenlernte. Nein, es ist nicht so, wie jeder denken mag. Er hat dem kleinen Mädchen niemals etwas zuleide getan. Im Gegenteil, er hatte sie geliebt wie seine eigene Tochter. Er hatte einen jüngeren, scheinbar perfekten Sohn, James, den ihre Mutter liebte wie ihr eigenes Kind. Dies war der Zeitpunkt, wo sie nicht nur jedes Mal mit ihm verglichen wurde. Es war der Zeitpunkt, in denen ihre Qualen anfingen, Träume zerplatzten und sie wie der Dreck unter Schuhen behandelt wurde. <
Mit einem schweren Seufzen legte ich den Stift weg und blickte mit einem nachdenklichen Ausdruck auf die Worte, die ich soeben niedergeschrieben hatte. Es machte alles keinen Sinn, denn mein Kopf war momentan viel zu durcheinander. Seit Langem hatte ich wieder die Idee etwas in das grüne Buch reinzuschreiben. Und es war Kelly zu verdanken. Ich massierte mit meinem rechten Zeigefinger und Daumen die Stelle zwischen meinen Augenbrauen, um diese massiven Kopfschmerzen etwas zu dämmen.
Auf eine Weise fühlte ich mich wirklich wie Cinderella. Auf eine andere Weise, konnte ich mir das gar nicht vorstellen. Eine Cinderella hatte am Ende immer ein Happy End. Wo blieb also meines? Meine eigene Mutter hatte sich mir gegenüber wie eine gemeine Stiefmutter verhalten. James hatte mein Leben damals nicht viel leichter gemacht. Und Kendall war damals wie mein Prince Charming, der mich dieses Höllenloch für einige Zeit vergessen ließ.
Doch als er dann damals fortging ... Und wie er nun war ... Nein, ich hatte realisiert, dass ich nie ein Happy End haben würde.
Dies war kein Märchen, es war die Realität.
Es tat weh. Ich hatte ihn geliebt wie einen besten Freund. Nein, ich war und bin nicht in ihn verliebt. Nichtsdestotrotz änderte es nicht den Schmerz von einer Person verlassen zu werden, dem man so vieles anvertraut hatte.
Und noch weniger minderte es den Schmerz, wenn diese Person die gemeinsame Vergangenheit verleugnete.
Ich merkte wie sich meine Tränensäcke füllten und versuchte sie zurückzuhalten. Ich wollte nicht in der Öffentlichkeit weinen, besonders nicht, wenn die Jungs es sehen konnten. Wir saßen alle in einem kleinen Café nebenan von Rocque Records und machten eine kleine Pause. Die Jungs saßen einige Tische quer von mir entfernt, am Fenster, wo das warme Sonnenlicht hineinschien und den Raum erwärmte. Als ich reingekommen war, saßen sie schon da, doch ich hätte mich kaum zu ihnen setzen können. Wer wollte das von ihnen schon? Zumindest wollte ich es nicht. Danke vielmals.
Das Büchlein krempelte ich ebenfalls weg und nahm anschließend einen Schluck von der Fanta, die ich mir vorher gekauft hatte. Ich musste meine Nerven ein wenig herunterfahren. Meine Gedanken ordnen. Aber dafür brauchte ich Ruhe und einen stressfreien Ort, den ich aber nicht hatte.
Als ich wieder aufblickte, weil ich erneut einen Blick auf mir spürte, begegneten meine Augen Carlos'. Der Junge lächelte mich ein wenig zurückhaltend an, doch dann nahmen seine Augen auf einmal diesen ehrgeizigen Glanz an, den er bekam, wenn ihm einer seiner "tollen Ideen" einfiel. "Hey, Jade! Komm doch hier rüber und setz dich zu uns?"
Äh, was.
Ich merkte wie ihn die Jungs böse ansahen und James und Kendall ihm etwas zuzischten, woraufhin ich traurig zu ihm rüberlächelte und meinen Kopf schüttelte. Wieso machte er sowas? Wenn er sich mit mir blicken ließ, würde es nur ihm schaden. Diese kleine Einladung kratzte schon an deren Freundschaft, doch ich wusste sowie auch die anderen Jungs, dass Carlos einfach viel zu gutherzig war. Wahrscheinlich wollte er nur, dass sich alle endlich verstanden.
Mein Blick senkte sich auf meine Hände, die ich auf den Tisch vor mir gelegt hatte und nun hochinteressiert inspezierte. Natürlich war es gefaketes Interesse, da ich nur versuchte jeglichen Blickkontakt auszuweichen.
Konnte ich nicht einfach von irgendeinem Mafiaboss gekidnappt und ganz weit weggebrach werden? Mich würde ohnehin niemand vermissen. Ich würde mich auch nicht vermissen. Vielleicht würde diese Qual dann endlich enden. Bereitete die Mafia einem ein schnelles Ende?
"Jade."
Unerwartet aus meinen Gedanken gerissen blickte ich denjenigen an, der meinen Namen gesagt hatte. Zu meiner puren Verwirrung beitragend war es Logan gewesen, der mich mit einem kaum merklichen Lächeln ansah. Ich sah ihn fragend an, doch ich war nicht die Einzige.
"Setz dich zu uns." Vier Augenpaare weiteten sich, als er mich rüberbat. Ich schluckte, war das eine Falle?
Als ich versuchte seinen Blick zu deuten, misslang es mir kläglich. Er ignorierte die anderen und zuckte nur mit den Schultern, zeigte aber auf den Platz zwischen sich und Carlos.
Ich wusste wirklich nicht, wie ich darauf antworten sollte. Würde es unhöflich sein, wenn ich aufstehen und wegrennen würde, oder …?
Nein, nein. Dann würde ich später wieder etwas Ohrvolles zu hören bekommen.
Wie in einer Trance stand ich auf, griff nach meinem Getränk und meiner Tasche und setzte mich zu ihnen. Meine Tasche legte ich auf meinen Schoß, zwischen meinen Händen hielt ich krampfhaft mein Getränk und wagte es nicht in die Gesichter meiner beiden Gegenüber zu starren. Stattdessen starrte ich auf den Tisch zwischen uns. Die Sonne, die nun auf mein Gesicht schien brannte, doch dies war nicht der grund, weshalb ich plötzlich so erhitzte. Es war diese unaushaltbare Spannung in der Luft.
Wäre es nicht für Logan gewesen, hätte ich nicht gewusst, wie lange ich es noch ausgehalten hätte, als er die Spannung brach und so tat, als habe sich nichts geändert. "Also diese Stimme die wir gehört haben- ... "
"OH! Die war so toll!", unterbrach ihn Carlos. "Hast du sie auch gehört, Jade?"
Warum. Warum konnte er mich nicht auslassen?
Würde es nun sehr auffällig sein, wenn ich nickte? Ich sollte mich ignorant stellen und möglichen Fragen und Verdächtigungen ausweichen, die ich nicht beantworten könnte. Oder nicht wollte. Ich schüttelte also leicht mit meinem Kopf und murmelte ein "Nein".
Allen Anschein nach hatten James und Kendall sich entschieden mich zu ignorieren, denn jetzt wo das Thema eröffnet war, fingen auch sie an über dieses mysteriöse Mädchen mit der traumhaften Stimme zu reden.
Traumhaft, ernsthaft jetzt? Übertreibten die vier es nicht ein wenig? Doch ich entschloss mich vorerst meine spitzen Bemerkungen für mich zu behalten. Es war ungewohnt Leute von meiner Stimme schwärmen zu hören.
Ich erstarrte, als ich James nach all dem Schwärmen ehrgeizig sagen hörte: "Wisst ihr was? Ich werde sie finden! Und sie wird mir gehören. Freunde, James Diamond ist zurück!"
Oh shit.
Texte: Cover (c) Seliiia
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2012
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