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Prolog



Als sie den Raum betrat, herrschte Totenstille.
„Was ist los?“, fragte sie unsicher, bekam als Antwort jedoch nur ein paar mitleidige und traurige Blicke zugeworfen.
Langsam wurde sie wirklich unruhig
„Was ist passiert?“, wiederholte sie ihre Frage, doch diesmal lag schon ein leicht panischer Unterton in ihrer Stimme.
Er trat zu ihr und sah ihr prüfend in die Augen, bevor er ihr wortlos einen Umschlag reichte.
Mit einem unguten Gefühl öffnete sie diesen ungeduldig.
Darin waren mehrere Blätter, doch sie schaffte es nur, die Überschrift zu lesen.
Daraufhin weiteten sich entsetzt ihre Augen.
Nein,

schrie es in ihr.
Ruckartig sah sie auf, um auf seinem Gesicht irgendeine Spur davon zu finden, dass das alles hier nur ein schlechter, geschmackloser Scherz war.
Doch er blieb absolut ernst.
Das war kein Scherz, sondern Realität.
Kraftlos sank sie in sich zusammen.


Kapitel 1



Das sanfte Morgenlicht schien durch die Vorhänge in den Raum.
Von dem Bett konnte man ein leises Grummeln vernehmen, gefolgt von einem lauten Seufzen.
Mühsam rappelte Amaya sich hoch, welche bis eben noch geschlafen hatte.
Es war Zeit zum Aufstehen.
Während sie sich fertig machte, verfluchte sie die Schule.
Warum konnten die Lehrer nicht einfach jeden Tag die ersten drei Stunden ausfallen lassen?
Das würde allen besser tun.
Doch es half nichts, wie jeden Tag musste sie das Haus bereits früh am Morgen verlassen.
Vor der Schule angekommen blieb sie kurz stehen und sammelte ihre Kräfte für einen neuen, nervenaufreibenden Vormittag.
Sie machte sich nichts vor, ihre Schule war bei weitem die chaotischste Schule, von der sie je gehört hatte.
Doch genau deshalb besuchte sie sie ja.
Hier fielen Personen nicht so schnell auf, egal wie sonderbar sie sich benahmen.
Und eines Tages würde diese Eigenschaft sich hoffentlich einmal als nützlich erweisen.
Ein wenig teilnahmslos dreinblickend trottete sie durch das Eingangstor in die dahinter liegende Vorhalle.
Hier hatte sie sich mit ihrer Freundin, Menea, verabredet, aber bereits nach wenigen Minuten wurde ihr klar, dass das ein Fehler gewesen war.
Die gesamte Halle war überfüllt mit Schülern, die auf irgendjemanden warteten und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Freundin entdecken würde, war verschwindend gering.
Also begab sie sich mit einem Seufzer auf den Weg zu ihrem Klassenraum.
Menea und sie hatten ausgemacht, sollte einer von ihnen an einem Treffpunkt nicht zu entdecken sein, würden sie sich stattdessen im Klassenraum treffen.
Vermutlich wäre es sicherer gewesen, sich gleich dort zu treffen, doch wenn man erstmal in ihrem Klassenzimmer war, war eine richtige Unterhaltung quasi unmöglich.
Es waren noch knapp zehn Minuten, bis der Unterricht begann und trotzdem waren bereits fast alle Schüler im Klassenraum.
In ihrer Klasse hatte es sich eingebürgert, lieber früher zu kommen, um dann noch genügend Zeit zum Reden zu haben.
Natürlich unterbrachen die Meisten ihre Unterhaltungen bei Unterrichtsbeginn nicht, aber je früher man mit dem Reden begann, desto mehr konnte man sich erzählen.
Den Blick gesenkt bahnte Amaya sich den Weg zu ihrem Platz. Zu ihrer Freude erblickte sie dort bereits ihre Freundin.
„Hey, Menea.“, begrüßte sie sie. „Gott sei Dank bist du schon hier. Ich glaube, beim nächsten Mal sollten wir uns lieber woanders treffen.“, schlug sie vor, während sie ihre Tasche abnahm und die Jacke auszog.
Menea nickte. „Eine gute Idee. Ich weiß sowieso nicht, wie wir darauf kommen konnten, uns in der Eingangshalle zu treffen. Eigentlich müssten wir inzwischen wissen, was dort morgens los ist.“
Amaya lachte kurz auf. „Stimmt, das hätten wir ahnen müssen. Aber na ja, jetzt wissen wir es besser.“
Menea brummte nur zustimmend und sah sich in der Klasse um.
Ihr Blick fiel auf einen jungen Mann mit blonden Haaren und einer Brille, der gerade den Raum betrat.
„Ist das nicht.....?“, fragte sie Amaya, die auf Meneas Frage hin ebenfalls den Blick in Richtung des Neuankömmlings wandte.
„Stimmt, das ist Ko, aber was um alles in der Welt macht der hier?“
Fragend sah sie Menea an. Diese zuckte jedoch nur mit den Achseln.
Beide hätten Ko gerne gefragt, warum er hier war, aber es klingelte bereits und so bekamen sie keine Zeit mehr, sich mit dem jungen Mann zu unterhalten.
Als alle sich auf ihrem Platz niedergelassen hatten, begann Ko zu sprechen: „Guten Morgen, liebe Schüler. Ihr wundert euch sicher, wer ich bin und warum euer Lehrer nicht da ist.
Ich muss euch mitteilen, dass dieser heute leider zu einer Weiterbildung aufbrechen musste und daher nicht kommen kann. Deshalb werde ich ihn vertreten und bei euch Biologie unterrichten. Mein Name ist Professor Kruz.“
Mit diesen Worten drehte er sich zur Tafel um und schrieb mit sauberer Schrift seinen Namen an.
Amaya bemerkte vermutlich als eine der Einzigen, wie sehr er sich dabei konzentrieren musste. Er ist es nicht gewöhnt, deutlich zu schreiben. Sonst ist seine Schrift genauso einfach zu lesen, wie uralte Runen.

dachte sie leicht amüsiert.
Nachdem sein Name an der Tafel stand, wandte Ko sich wieder der Klasse zu.
„Noch irgendwelche Fragen?“, fragte er mit fröhlicher Stimme.
Eine Menge,

antwortete Amaya in Gedanken, Doch ich glaube nicht, dass du willst, dass ich sie hier und jetzt stelle.

Und so schwieg sie, wie ausnahmsweise auch einmal der Rest der Klasse.
„Gut“, fuhr Ko fort. „Dann wollen wir mal mit dem Unterricht beginnen.“
Den Rest der Stunde war Amaya nur bedingt konzentriert.
Es war ein seltsames Gefühl, Ko vor ihrer Klasse stehen zu sehen. Sie war es gewöhnt, von ihm unterrichtet zu werden, aber das geschah dann immer am Nachmittag, und vor allem nicht in ihrer Schule.
Sie warf einen flüchtigen Blick auf Menea.
Wie Amaya bereits gedacht hatte, war diese genauso unkonzentriert.
Es war unmöglich, dass Ko ihre Nervosität nicht bemerkte, doch er ließ sich nichts anmerken und beachtete sie nur so viel, wie nötig war.
Als endlich die Glocke ertönte, musste Amaya sich zusammen reißen, um nicht zu Ko zugehen und ihn anzusprechen.
Es wäre besser, wenn ihre Mitschüler nicht wüssten, welche Beziehung sie und Menea mit Ko verband.
Es wäre schwierig auf die Schnelle eine geeignete Ausrede zu erfinden.
Sie würde bis zum Nachmittag warten müssen, bevor sie ihn mit Fragen bestürmte.
Vorne an der Tafel wurde Ko bereits von einer Schar Mädchen umringt, die allesamt behaupteten, irgendwelche Fragen zu haben.
Mit einem tiefen Seufzer drehte Amaya sich zu Menea um.
„Es ist echt unglaublich, was seine Art immer für Auswirkungen auf Menschen hat.
Na, geht es dir jetzt auch so, das du am liebsten gleich auf ihn zustürmen und ihn mit Fragen durchlöchern willst?“, fragte Amaya Menea leicht genervt.
Diese grinste. „Darauf kannst du Gift nehmen. Vermutlich würde ich aber sowieso nicht bis zu ihm durchkommen.“, fügte sie hinzu.
Amaya lachte auf. Menea hatte vollkommen recht.
Es war wahrscheinlich das größere Hindernis, Ko erstmal zu erreichen, bevor sie ihm überhaupt die Fragen stellen konnte, die ihr auf der Seele brannten.
„Dann müssen wir wohl bis heute Nachmittag warten.“, meinte sie.
Menea nickte zur Antwort nur nachdenklich mit dem Kopf.

Amaya atmete tief durch, als es zum Ende der letzten Stunde klingelte.
Wieder ein Schultag geschafft. Und doch war ihr Tag für heute noch lange nicht vorbei.
Sie hatte noch einiges zu erledigen.
Mit Menea verabredete sie sich zu 16.00h am großen Springbrunnen, der auf dem Hauptplatz stand. Meistens trafen sie sich dort, denn man konnte den Springbrunnen kaum verfehlen und zudem war er nur wenige Minuten Fußweg von ihrem Zuhause entfernt.
Nachdem sie sich von Menea verabschiedet hatte, beeilte sie sich, nach Hause zu kommen.
Um vier musste sie bereits am Treffpunkt sein. Das bedeutete, sie hatte nur gute anderthalb Stunden zu Hause, in denen sie essen und Hausaufgaben machen musste.
Ihre Mutter hatte heute ihren freien Tag und das Essen war daher zum Glück bereits fertig, als sie zu Hause ankam.
Es freute Amaya jedes Mal wieder, wie gelassen ihre Mutter es hinnahm, dass ihre Tochter beinahe den ganzen Tag außer Haus war. Vormittags ging sie in die Schule, kam für wenige Stunden nach Hause, verschwand dann schon wieder den ganzen Nachmittag und kehrte abends meist erst um ca. 21.00h zurück.
Auch heute begrüßte ihre Mutter sie mit einem Lächeln, gab ihr zu Essen und fragte sie, wie ihr Schultag bis jetzt gewesen war.
Amaya berichtete, während sie sich den Magen vollschlug. Die Sache mit Ko verschwieg sie lieber. Es wäre zu kompliziert gewesen, ihrer Mutter alle Einzelheiten zu erklären und wenn sie nur von irgendeinem Vertretungslehrer erzählte, würde ihre Mutter sicherlich an ihrem Tonfall erkennen, dass es mit diesem Lehrer mehr auf sich hatte, als sie erzählte.
Da war es einfacher, das Ereignis zu übergehen.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie sich lieber beeilen sollte, wenn sie noch ihre Hausaufgaben machen wollte.
Mit einer kurzen Entschuldigung sprang sie auf und verschwand in ihrem Zimmer.
Dort kramte sie im Eiltempo ihre Schulsachen hervor.
Dabei fiel ihr Blick auf ein kleines, grünes Notizbuch mit einem seltsamen Muster auf der Vorderseite.
„Da bist du also!“, bemerkte sie leise, während sie das Notizbuch in die Hände nahm.
Vorsichtig strich sie mit den Fingern über das eingekerbte Muster und schlug das Buch schließlich auf.
Die Seiten waren mit ihrer Schrift beschrieben. Sie besaß es erst seit knapp fünf Wochen.
Seit sie ihren Abschluss in der Organisation gemacht hatte.
Eigentlich hätte sie es hüten müssen, wie einen Augapfel, doch vor einer Woche hatte sie plötzlich nicht mehr gewusst, wo sie es hingelegt hatte.
Gott sei Dank war es nun wieder da.
Sie hätte vermutlich einigen Ärger bekommen, wenn sie nach einem Neuen gefragt hätte und sich herausgestellt hätte, dass sie kein Notizbuch mehr besaß.
Plötzlich fuhr sie aus ihren Gedanken hoch. Ein leises Fluchen drang über ihre Lippen. Sie hatte keine Zeit, um in Gedanken zu sein.
Die Hausaufgaben warteten darauf, von ihr gemacht zu werden.
Es war ein Glück für sie, dass sie allesamt nicht schwer waren. Das einzige Problem war eigentlich die Menge. Häufig saß sie vor der, dem Gefühl nach, hundertsten Aufgabe und verflucht sämtliche Lehrer, die es gewagt hatten, ihnen Hausaufgaben zu geben.
Auch heute war sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Alle zwei Minuten sah sie auf die Uhr, was nicht gerade hilfreich war, wenn man schnell fertig werden wollte.
Und so hatte sie auch noch nicht alles erledigt, als sie beschloss, einfach loszugehen.
Den Rest konnte sie zur Not später fertig machen.
Es war ihr wichtiger, so schnell wie möglich zur Organisation zu kommen, um endlich herauszufinden, warum Ko ihren Lehrer vertreten hatte.
Die letzten paar Meter zum Springbrunnen legte sie rennend zurück.
Wie erwartet war Menea bereits am Treffpunkt und blickte suchend in der Gegend umher. Als sie Amaya sah, hellte sich ihre Miene auf und sie winkte ihr zu.
Gemeinsam machten sie sich zügigen Schrittes auf zum Gebäude der Black Sun.
Das Gebäude an sich war nicht sehr spektakulär. Wer wusste, was die Black Sun in Wirklichkeit tat, hätte sicherlich etwas Protzigeres erwartet. Doch es war nun mal das Ziel der Organisation, möglichst unentdeckt zu bleiben.
Und da passte das Gebäude wirklich gut zu.
Über der Einganstür stand mit großen, dunklen Buchstaben „Black Sun“, die Wände waren in einem hellen beige gestrichen und auf jeder Etage versperrten dieselben, weißblauen Vorhänge neugierigen Blicken die Sicht ins Innere des Hauses, bzw. verwehrten jeglichen Sonnenstrahlen den Zutritt. Und das war auch dringend nötig.
Fröhlich redend durchquerten Amaya und Menea die Eingangstür, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Für sie war es das Normalste der Welt, immerhin war dieses Gebäude soviel wie ihr zweites Zuhause.
Die meisten Menschen jedoch machten einen großen Bogen um es. Sie fürchteten sich davor, obwohl keiner von ihnen wusste, warum. Es war wie eine böse Vorahnung, wie Urinstinkte, die sie vor Gefahr warnten. Und das war auch besser so, denn hätten sie herausgefunden, was, oder genauer wer, sich im Inneren befand, hätten viele von ihnen ihre Kinder vermutlich nicht mehr alleine herausgelassen.
Und wenn es sich eine Gruppe Teenager zum Ziel einer Mutprobe gesetzt hatte, das Gebäude zu erkunden, fanden sie meist nur eine freundlich Dame am Empfang vor, die sie lächelnd nach ihrem Ziel fragte. Es war in solchen Fällen egal, was die, häufig von der Freundlichkeit verwirrten, Teenager antworteten, sie wurden jedes Mal mit ruhigen, aber bestimmten Worten vor die Tür gesetzt.
Eben vor dieser Dame blieben nun auch Amaya und Menea stehen.
„Guten Tag, Eliora.“, begrüßte Amaya sie.
Eliora hob den Kopf und lächelte beide an.
„Guten Tag, Miss Cole und Miss Dwight. Ich hoffe es geht ihnen beiden gut.
Ich habe die Anweisung, sie in den zweiten Stock zu schicken. Dort wird sie jemand abholen und ihnen ihre weiteren Aufgaben des Tages erläutern.“, berichtete sie ihnen.
Beide bedankten sich und machten sich dann auf den Weg in den zweiten Stock.

Als erstes dachten Amaya und Menea, sie hätten das Stockwerk verfehlt. Nirgends war auch nur die Spur von einem Mitarbeiter.
Sie warfen sich gegenseitig fragende Blicke zu. Sollten sie umdrehen und noch einmal nachfragen gehen?
Bevor sie sich allerdings entscheiden konnten, tauchte urplötzlich direkt vor ihnen eine Frau auf. Sie hatte schulterlange, braune Haare und trug einen weißen Kittel, der ihr das Aussehen einer Ärztin verlieh. Wenn man sie so betrachtete, wirkte sie eigentlich normal, bis auf ihre Augen, welche von einem tiefen violett waren.
„Tut mir Leid.“, entschuldigte sich die Frau, „Ich hatte noch kurz was zu erledigen.
Bitte folgt mir.“
Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging mit schnellen Schritten den Flur herunter.
Amaya und Menea beeilten sich, ihr hinterher zu kommen.
Sie bogen zahlreiche Male ab und beide verloren langsam, aber sicher die Orientierung. Das Haus war bei weitem größer, als es von außen aussah.
Daher brauchten sie auch dringend ihre Führerin.
Vor einer großen Doppeltür blieben sie abrupt stehen.
Die Frau drehte sich zu ihnen um und musterte sie mit einem durchdringenden Blick.
„Gut. Wir werden nun durch diese Tür gehen. Ihr müsst ganz ruhig bleiben.
In diesem Raum sind Lebewesen. Welche, werdet ihr schon noch früh genug erfahren.
Wichtig ist, dass ihr euch auf keinen Fall von ihnen beißen lasst. Eigentlich sind sie zwar schon gezähmt, aber sie kennen euch nicht und wir wissen daher nicht, wie sie auf euch reagieren werden. Auch wurde bisher noch nicht erforscht, ob ihr Biss für solche wie euch, tödlich ist. Habt ihr das verstanden?“, fragte sie mit Nachdruck.
Beide nickten. Amaya merkte, wie Aufregung sie durchflutete.
Ihre Führerin hatte sich inzwischen wieder zur Tür umgedreht.
„Bereit?“, vergewisserte sie sich und beide Mädchen antworteten mit einem weiteren Nicken.
„Na dann los!“
Mit diesen Worten stieß sie die Türen auf und trat, gefolgt von Amaya und Menea, hindurch.

Licht flutete Amaya entgegen und sie wurde kurzzeitig geblendet. Ihre Augen gewöhnten sich jedoch schnell an die veränderten Lichtverhältnisse.
Der Raum, in dem sie stand, war eigentlich gar kein richtiger Raum. Er wirkte eher wie ein übergroßes Gewächshaus. Überall wuchsen Pflanzen.
Sie wusste nicht wirklich, warum ihre Führerin sie so ausdrücklich gewarnt hatte, denn sie konnte keine Lebewesen entdecken.
Auf einmal vernahm sie hinter sich ein Rascheln, fuhr herum, und blickte direkt in die Augen eines riesigen Wolfes.
Nun verstand sie, was die Frau mit Vorsicht gemeint hatte. Mit diesen Tieren war sicher nicht zu spaßen, doch der Wolf vor ihr betrachtete sie nur neugierig, nicht aggressiv.
Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück.
Der Wolf beobachtete sie weiterhin aufmerksam, machte allerdings keine Anstalten, ihr zu folgen.
Den Blick immer auf den Wolf gerichtet, drehte sie ihren Kopf in Richtung Menea.
Auch diese wurde bereits von einem Wolf in Augenschein genommen.
Seltsamerweise konnte Amaya ihre Führerin nirgends entdecken.
Wo steckte sie bloß? Hatte sie nicht gesagt, sie würden gemeinsam hier rein gehen?
Plötzlich hörte sie die Stimme ihrer Führerin, konnte diese jedoch nirgends erblicken: „Es wird gleich jemand kommen. Bleibt einfach ruhig und wartet. Ich werde mich nun zurückziehen. Auf Wiedersehen.“
Ohne das Amaya die Zeit gehabt hätte, zu antworten, war ihre Führerin auch schon verschwunden.
Misstrauisch wandte sie sich wieder dem Wolf zu. Dieser hatte sich nicht von der Stelle bewegt, seit sie ihn zuletzt angesehen hatte. Er beobachtete sie nur aus seinen klugen Augen, die nicht wie die von einem normalen Wolf wirkten.
Jetzt erst wurde ihr bewusst, was sie an diesen Augen gestört hatte. Mit einem schnellen Blick auf den anderen Wolf bestätigte sich ihr Verdacht.
Außer der Größe unterschied sie noch etwas von normalen Wölfen: Ihre Augen! Sie waren Gold! Ein sanftes, warmes Gold, so dass man das Gefühl hatte, man würde unter den wärmenden Strahlen der Sonne stehen.
Wahrlich hatte Amaya noch nicht viele Wölfe in natura gesehen, doch sie war sich sicher, dass diese Augenfarbe unter wilden Wölfen nicht üblich war.
Eine laute Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
„Zhao! Haru! Kommt sofort her!“, befahl die Stimme.
Die Wölfe drehten die Ohren in Richtung der Stimme, warfen einen letzten prüfenden Blick auf die Mädchen und rannten dann zu der Frau, die gerade hinter einer der Pflanzen aufgetaucht war. Sie hatte lange, rote Haare und ihre Sachen wirkten ein wenig abgenutzt.
„Ihr sollt Gäste doch nicht so erschrecken.“, meinte sie in gespielt strafenden Tonfall, während sie beiden Wölfen über die Köpfe strich. Mit einem letzten „Geht jetzt.“ schickte sie die Wölfe in den Wald zurück und wandte sich den Mädchen zu.
„Hey ihr Beiden. Tut mir Leid, wenn Zhao und Haru euch erschreckt haben. Sie sind nun mal die Alphawölfe und müssen jede Situation und jeden Gast als Erste in Augenschein nehmen. Aber sie tun ja nichts.“
Inzwischen war sie bei Amaya und Menea angekommen.
„Freut mich, euch kennen zu lernen. Mein Name ist Jorinde Minesh, aber nennt mich ruhig Jori. Ich bin hier die Abteilungsleiterin.“
Sie hielt Amaya die Hand hin, welche diese bereitwillig ergriff.
„Danke gleichfalls. Ich heiße Amaya Cole und habe gerade erst meine Ausbildung abgeschlossen.“
„Und ich bin Menea Dwight und auch erst vor kurzer Zeit mit meiner Ausbildung fertig geworden.“, stellte Menea sich vor, nachdem auch sie Jori die Hand geschüttelt hatte.
„Gut. Da wir uns jetzt alle miteinander bekannt gemacht haben, folgt mir bitte.“, wies Jori sie an.
Während sie gingen, fing Jori an, ihnen Fragen zu stellen: „Und, habt ihr irgendeine Ahnung, wo ihr hier seid?“
„In einem Gewächshaus?“, vermutete Amaya.
Jori lachte auf. „Ja, das auch. Aber habt ihr eine Ahnung, wozu dieses Gewächshaus da ist?“
Auf diese Frage wussten sowohl Amaya, als auch Menea keine Antwort.
„Na dann werde ich es euch mal kurz und bündig erklären. Also, eigentlich ist es dazu da, um die Wölfe zu beherbergen. Zhao und Haru sind natürlich nicht die einzigen ihrer Art, die hier leben, sonst wären sie wohl kaum Alphatiere. Unser Rudel hat vermutlich um die zehn bis zwölf Tiere.
Außerdem „züchten“ wir hier und ziehen die Jungen groß.“, erklärte Jori mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht.
„Aber es sind doch keine normalen Wölfe, oder?“, fragte Menea.
Verwundert blickte Jori sie an. Sie schien durch Meneas Frage aus ihren Gedanken gerissen worden zu sein, fing sich jedoch schnell wieder.
„Stimmt, es sind keine normalen Wölfe. Das ist nicht schwer zu erkennen. Was für Wölfe es allerdings sind, erkläre ich euch gleich. Wir sind nämlich schon fast an unserem Ziel angekommen.“
Gemeinsam bogen die drei um eine letzte Ecke und ihr Blick fiel auf eine künstliche Lichtung. Der Boden war von dichtem Gras bewachsen.
Am Rande der Lichtung lag eine Tür, die Jori nun anvisierte.
Kurz bevor Amaya durch die Tür trat, brachte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, zum anhalten. Sie konnte sich jedoch nicht nach Beobachtern umsehen, denn Joris drängende Stimme zwang sie sofort zum weitergehen.

Der Raum, in dem die Drei jetzt standen, unterschied sich so stark von der Lichtung, dass er schon fast grotesk wirkte. Er war weiß gestrichen und hell erleuchtet. An der einen Seite stand eine ebenfalls weiße Schrankwand, an der Anderen war eine weitere Tür angebracht.
Jori machte sich bereits am Schrank zu schaffen. Nach wenigen Minuten drehte sie sich wieder zu Amaya und Menea um. In den Armen hielt sie etwas, das wie Schutzkleidung aussah, nur das sie schwarz war und glänzte.
Ohne große Worte wies sie die Mädchen an, diese Anzüge anzuziehen und auf keinen Fall die Handschuhe zu vergessen.
Amaya kam sich ziemlich blöd vor, in diesem schwarzen Anzug und mit den Handschuhen.
Wozu um alles in der Welt brauchten sie diese Sachen?
Wie, als hätte Jori ihre Frage gehört, begann sie zu erklären: „Gut. Da ihr euch umgezogen habt, werde ich lieber mal verraten, was wir jetzt machen. Also, wie ihr eventuell schon vermutet, werden wir gleich in einen weiteren Raum gehen. Dort wird es ähnlich aussehen, wie im Gewächshaus, aber es gibt keine Büsche, Bäume oder Sonstiges, was euch die Sicht versperren könnte.
In diesem Raum sind ebenfalls Wölfe. Diese sind jedoch noch nicht ausgewachsen. Es ist quasi so etwas wie ein Kindergarten.
Aus diesem Grund müssen wir auch diese Schutzkleidung tragen. Die Welpen da drinnen sind zwar eigentlich nicht bissig, doch sie sind ebenso wenig gezähmt. Wir können nie wissen, wie sie reagieren bzw. welche Auswirkungen ihr Biss auf uns haben würde. Und ich bin ehrlich gesagt nicht wild darauf, es herauszufinden.
Wenn wir den Raum betreten haben, werde ich euch etwas über diese Wölfe erklären.
Noch kurz zu eurer Sicherheit: Ihr solltet euch nicht schnell bewegen, das könnte den Kleinen Angst einjagen. Sie sind noch jung und werden wahrscheinlich mit euch spielen wollen, also erschreckt euch nicht, wenn sie auf euch zu kommen oder an euch schnuppern.
Und das Wichtigste: Bewahrt die Ruhe. Die Wesen da drinnen sind nicht gefährlich und euch kann wegen der Schutzkleidung absolut gar nichts passieren. Mit eurer Panik würdet ihr nur die Welpen anstecken und das würde euch auch nicht weiterbringen.
Habt ihr alles verstanden?“, beendete sie ihre Ansage.
Sowohl Amaya, als auch Menea waren zu aufgeregt, um ein Wort herauszubekommen, also nickten sie bloß stumm.
Jori nickte ihnen ebenfalls zu, dann öffnete sie die Tür, ließ erst Amaya, dann Menea eintreten und folgte den Beiden schließlich in den Raum, der dahinter lag.

Amaya musste zugeben, dass sie sich den Raum kleiner vorgestellt hatte.
Vermutlich war das Gewächshaus an sich genauso groß, wenn nicht sogar größer, doch da die Sicht dort von den Pflanzen behindert wurde, wirkte es kleiner.
Staunend bewunderte sie die Wände und die Decke. Alles war so gestrichen, dass man wirklich das Gefühl hatte, auf einer gigantischen Lichtung zu stehen. Von der Decke strahlte eine Lampe, die man leicht für die Sonne halten konnte.
Selbst Wasser hörte man über ein Tonband rauschen.
Bei genauerem Hinsehen erkannte sie hinten in der einen Ecke die Wolfswelpen, die nun neugierig auf die Gäste zukamen. Ingesamt waren es sechs Tiere.
Als sie sich näherten, erkannte Amaya, dass sie bereits die Größe von normalen Wölfen hatten, doch man merkte an der Tollpatschigkeit, mit der sie sich bewegten, dass sie noch nicht ausgewachsen waren.
Neben sich sah sie, dass Menea sich hingekniet hatte, um die Wölfe zu empfangen.
„Darf ich sie streicheln?“, fragte sie Jori mit leiser Stimme.
Diese lächelte. „Natürlich.“
Schon waren die ersten Welpen angekommen. Einer der Kleineren kam mit vorsichtigen Schritten zu Menea. Diese streckte ihm die Hand hin, damit er daran schnuppern konnte.
Als sie sich langsam vorbeugte, um ihm sanft mit der Hand durchs Fell zu fahren, blieb er ruhig stehen und neigte sich ihrer Hand entgegen.
Menea begann den Wolf vor ihr zu kraulen, was dieser augenscheinlich genoss.
Amaya lächelte still in sich hinein. Menea hatte schon immer eine Schwäche für Tiere gehabt.
„Sieht aus, als würde der Wolf dich mögen, Menea.“, bemerkte Amaya, die sich inzwischen ebenfalls hingehockt hatte.
Menea drehte den Kopf in Amayas Richtung. „Sind sie nicht süß?“
Amaya lachte. „Stimmt.“
Inzwischen hatten sich auch um Amaya mehrere Wölfe geschart und verlangten nach Streicheleinheiten.
Bei Einem fielen ihr besonders die Augen auf, die sie mit neugierigem Blick musterten.
Verwundert blickte sie zu Jori auf. „Hatten die Wölfe nicht goldene Augen? Diese hier haben schwarze.“, meinte sie.
„Gut beobachtet.“, antwortete Jori und ließ sich zwischen Amaya und Menea nieder.
„Das liegt bei ihnen in der Familie. Die Welpen haben noch schwarze Augen, während die Erwachsenen goldene haben. Das ist ganz normal. Es hat etwas mit ihrer Rasse zu tun.“
„Und was für eine Rasse sind sie?“, fragte Amaya nach. Sie wollte nun endlich wissen, was es mit diesen Wölfen auf sich hatte.
„Dann will ich es euch mal erklären. Also, wir haben es hier mit einer Rasse zu tun, die es in der Wildnis nicht gibt. Um genau zu sein haben sie eigentlich nicht viel mit normalen Wölfen gemein, außer vielleicht das Aussehen.
Es sind Sonnenwölfe.“, erklärte Jori, wurde jedoch von Amaya unterbrochen.
„Sonnenwölfe?“, fragte sie mit misstrauischer Miene.
„Ja, Sonnenwölfe. Ich weiß, der Name hört sich blöd an, aber er beschreibt sie einfach am Besten. Und das bezieht sich nicht nur auf ihre Augenfarbe, sondern vielmehr auf ihren ganzen Organismus. Man könnte sagen, sie sind jeder für sich eine einzelne, kleine Sonne, denn sie bestehen quasi nur aus Sonnenenergie bzw. Sonnenessenzen. Da ihr eure Ausbildung bereits abgeschlossen habt, müsstet ihr doch eigentlich auch schon die Essensätze gehabt haben, oder?“
„Ja, Ko hat uns in den Essensätzen unterrichtet. Wir haben auch schon von den Wesen gehört, die ausschließlich aus Sonnenessenzen bestehen, aber uns wurde nicht erzählt, wie sie aussehen oder das sie Sonnenwölfe heißen.“, beantwortete Menea Joris Frage.
„Das wundert mich nicht. Die Sonnenwölfe sind noch nicht das Thema der einfachen Ausbildung.
Aber zurück zum eigentlichen Thema: Sonnenwölfe können in der freien Wildbahn gar nicht entstehen, denn sie werden erst durch unsere Beihilfe geschaffen.
Ich bin die oberste Pflegerin, doch es gibt noch einige Andere, die sich mit mir zusammen um die Wölfe kümmern. Unsere Aufgabe ist es, den Wölfen die Sonnenessenzen zuzufügen.
Außerdem erziehen wir die Welpen.“, schloss Jori.
Während des ganzen Vortrags hatten Amaya und Menea die Welpen gestreichelt, welche sich inzwischen abgelegt hatten. Nun blickte Amaya wieder auf den Wolf vor ihr. Endlich verstand sie, warum diese Wölfe so eine ungewöhnliche Augefarbe hatten. Ihre Augen zeigten die Sonnenessenzen.
Sie hätte ewig so sitzen bleiben können, inmitten der Wölfe, doch natürlich ging das nicht.
„Oh, so spät ist es schon!“, meinte Jori, nachdem sie einen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte.
„Ihr müsst jetzt gehen, es ist Fütterungszeit.“
Widerwillig löste Amaya sich von den Welpen und verabschiedete sich von ihnen. Sie sah, das Menea der Abschied genauso schwer viel.
Mit schnellen Schritten durchquerte Jori den Raum in Richtung Tür, gefolgt von Amaya und Menea.
Die Drei hatten schon fast den Ausgang des Gewächshauses erreicht, als Amaya eine Frage in den Kopf schoss. „Warum sollten wir heute eigentlich hier her kommen?“, fragte sie Jori.
Diese drehte Amaya den Kopf zu und sah sie etwas verwirrt an. „Na um die Wölfe kennen zu lernen. Ist doch logisch.“, antwortete sie und man konnte hören, dass sie nicht verstand, warum Amaya das fragte.
„Ja, warum sollten wir die Wölfe kennenlernen?“, konkretisierte Amaya ihre Frage.
„Ah, das meinst du. Es kann sein, das ihr unter Umständen später noch mit ihnen zu tun habt. Da ist es besser sie zu früh als zu spät kennen gelernt zu haben.“, meinte Jori daraufhin lächelnd.
Amaya wollte gerade zur nächsten Frage ansetzen, als sie an der Doppeltür ankamen.
Jori hatte sich bereits verabschiedet und war wieder hinter den Pflanzen verschwunden, bevor Amaya auch nur den Mund öffnen konnte.
Sie stieß einen Seufzer aus, dann wandte sie sich Menea zu.
„Sollen wir?“ Mit dem Kopf wies sie auf die Tür.
Menea nickte. „Warum hast du ihr eigentlich diese Fragen gestellt?“, wollte Menea wissen.
„Ich bin halt neugierig. Aber das ist nicht der Grund, warum ich so genau wissen wollte, warum wir die Sonnenwölfe kennenlernen sollten. Vielmehr habe ich irgendwie das Gefühl, dass Kos Besuch in der Schule und unser Besuch hier einen Zusammenhang haben. Welchen, weiß leider auch nicht.“, erklärte Amaya.
Menea blickte sie nachdenklich an. „Meinst du nicht, du interpretierst da zuviel hinein?
Aber apropos Ko, wir sollten ihn langsam mal suchen, damit wir ihn zur Rede stellen können.“
Amaya stimmte zu und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück ins Foyer.
Dort angekommen fragten sie Eliora, ob sie wüsste, wo Ko sich gerade aufhielte.
„Natürlich. Mister Kruz müsste eigentlich gerade in seinem Klassenzimmer sein. Der Unterricht geht in einer halben Stunde los und er meinte, er müsse noch ein Experiment aufbauen.“, antwortete diese, schon fast ein wenig beleidigt.
Eliora behauptete von sich selbst immer, dass sie über alle Aktivitäten im Haus Bescheid wusste. Und das stimmte auch meistens.
Heute jedoch nahm sich Amaya nicht die Zeit, ihr das zu erzählen, sondern eilte zusammen mit Menea zum Klassenzimmer. Beide kannten den Weg im Schlaf, immerhin waren sie in den letzten Jahren auch hier unterrichtet worden.
Gott sei Dank war noch kein Schüler da, so konnten Amaya und Menea ungestört mit Ko reden.
Dieser huschte gerade geschäftig durch den Raum, als die Mädchen eintraten.
Er sah auf und begrüßte sie freundlich. Auch tat er überrascht über ihren Besuch, obwohl Amaya sich hundertprozentig sicher war, dass er genau wusste, was der Anlass ihres Besuches war.
„Was führt euch beide hier her? Sehnsucht nach eurem alten Klassenraum?“, fragte er übertrieben unschuldig.
„Natürlich. Außerdem hatten wir Sehnsucht nach unserem alten Lehrer.“, tat sie so, als würde sie mitspielen. „Ach nein, du bist ja gar nicht unser alter Lehrer. Du bist ja unser neuer Lehrer.“, fügte sie bissig hinzu.
Kos Lächeln gefror und wurde schließlich durch ein Seufzen ersetzt. „Und jetzt wollt ihr wissen, warum ich da war, oder wie?“
„Ja.“
Ko wandte sich bereits wieder seinen Apparaturen zu, doch er antwortete: „Also, ihr fragt euch, warum ich euren Biologielehrer vertreten habe? Na ja, er war auf Weiterbildung und Bio ist mein Spezialgebiet.
Außerdem, ich habe eine Ausbildung als Lehrer. Ist es da nicht normal, dass ich auch an richtigen Schulen unterrichte?“
Bei den letzten Worten hatte er den Kopf gehoben und sah sie nun mit einem strahlenden Lächeln an.
„Nein, ist es nicht.“
„Warum?“, fragte Ko scheinheilig.
Langsam verlor Amaya die Geduld. Es war offensichtlich, was sie und Menea an seinem Besuch in der Schule gestört hatte.
„Weil du ein Vampir bist!“


Kapitel 2



Abends lag Amaya im Bett und starrte Löcher in die Decke. Ihre Gedanken waren unruhig, da sie die ganze Zeit versuchte, zwischen den seltsamen heutigen Ereignissen einen Zusammenhang zu finden. Jedoch wollte sich partout keiner zeigen.
Aus Ko hatten sie und Menea auch nicht mehr herausbekommen und so hatten sie sich letztendlich mit seiner Ausrede zufrieden geben müssen.
Unruhig drehte sie sich auf die Seite. Sie wusste, dass es nichts brachte, sich verrückt zu machen. Doch es wurmte sie, nicht zu wissen, was dort vor sich ging.
Seufzend schloss sie die Augen und beschloss, jetzt erst einmal zu schlafen.
Ausgeruht ließ es sich bestimmt besser nachdenken.
Sie warf sich ein paar Mal hin und her, doch es brachte alles nichts.
Also fasste sie einen Entschluss.
Vorsichtig stieg sie aus dem Bett und schlich zu ihrem Schreibtisch. So leise wie möglich knipste sie ihre Lampe an, sie wollte ihre Eltern schließlich nicht wecken.
Das Notizbuch lag zu ihrem Glück immer noch auf dem Schreibtisch. Da musste sie es nicht erst suchen.
Bedächtig nahm sie einen Stift in die Hand und klappte ihr Notizbuch auf. Es war noch nicht weit beschrieben. Sie war nicht gerade die fleißigste Schreiberin und ihrer Meinung gab es nicht viele Ereignisse, die es wert waren, festgehalten zu werden.
Aber jetzt half es ihr vermutlich, ihre Gedanken aufzuschreiben. Dadurch würde in ihrem Kopf hoffentlich endlich Ruhe herrschen.
Nachdem sie wirklich alles, was ihr in den Sinn gekommen war, notiert hatte, blätterte sie mit einem Lächeln auf den Lippen die anderen Einträge durch.
Es war immer interessant, zu lesen, was sie vor so wenigen Wochen gedacht hatte.
Plötzlich entfuhr ihr ein Gähnen und sie merkte, wie müde sie war.
Bevor sie sich allerdings zurück ins Bett legte, ging sie kurz zu ihrem Fenster, welches mit Vorhängen verdeckt war. Diese schob sie beiseite und stellte zu ihrer Freude fest, dass das Mondlicht genau durch ihr Fenster auf ihr Bett schien.
Als sie wieder im Bett lag, schloss sie abermals die Augen, schlief nun aber mit ruhigem Kopf und im bläulichen Mondlicht innerhalb von wenigen Minuten ein.

Die nächsten Wochen verliefen vergleichsweise normal.
Amaya war sich inzwischen auch nicht mehr sicher, ob Menea eventuell recht gehabt hatte und sie einfach nur zuviel in das Ereignis hereininterpretiert hatte.
Eines Nachmittags jedoch, war sie alleine in der Organisation unterwegs. Sie und Menea waren verschiedenen Bereichen zugeteilt worden.
Sie hatte zur Aufgabe bekommen, einige Formulare in ein bestimmtes Büro zu bringen.
Auf dem Weg dorthin kam sie an einem weiteren Büro vorbei.
Die Tür war nur angelehnt und so konnte sie Kos Stimme erkennen.
~Was macht Ko denn hier?~, fragte sie sich und automatisch verlangsamten sich ihre Schritte, damit sie möglichst viel von dem Gespräch hören konnte.
Nun sprach eine weibliche Stimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam.
Kurz darauf fiel ihr ein, dass die Stimme zu Jori gehörte, der Pflegerin der Sonnenwölfe.
Augenblicklich war ihre eigentliche Arbeit vergessen. Wieder befiel sie das Gefühl, endlich einen Zusammenhang finden zu können.
Leise schlich sie näher an den Türspalt, um verstehen zu können, was da drin besprochen wurde.
Obwohl die Personen leise sprachen, konnte sie die dumpfen Stimmen verstehen.
„Ja, ich bin der Meinung, das würde so am Besten passen.“, meinte Ko.
„Das glaub ich auch. Sie haben einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht.
Die Wölfe sind inzwischen ebenfalls groß genug.“, antwortete Joris Stimme.
Daraufhin herrschte Stille.
Diese wurde schließlich durch eine ihr unbekannte, männliche Stimme durchbrochen: „Gut. Ihr Beide besitzt ein gutes Urteilsvermögen, dem ich vertrauen kann.
Ich werde den jeweiligen Erzeugern Bescheid geben.
Wann meint ihr, können wir beginnen?“
„Ich würde in drei Wochen vorschlagen. Dann ist eine Woche Winterferien. Da können sie sich gegenseitig besser kennenlernen und danach beginnt ein neues Semester.“, schlug Ko vor.
Amaya konnte keine Antwort hören, also ging sie davon aus, dass derjenige, dem die unbekannte Stimme gehörte, genickt hatte.
„Vielen Dank, dass ihr heute zu mir gekommen seid. Euer Urteil hat mir sehr weitergeholfen.
Sollten noch Fragen bestehen, werde ich es euch mitteilen.“, sprach die unbekannte Stimme unmissverständlich Abschiedsworte, sodass Amaya ihre derzeitige Situation wieder einfiel.
Sofort entfernte sie sich so schnell wie möglich von der Tür und setzte ihren ursprünglichen Weg wieder fort.
Weit kam sie allerdings nicht, denn schon nach wenigen Metern riss ein Piepen an ihrer Hüfte sie aus ihren Gedanken.
Hastig zog sie ihr Handy aus der Hosentasche. Gespannt schaute sie auf den Bildschirm.
Dieser zeigte an, dass sie eine SMS bekommen hatte.
Neugierig öffnete sie sie und überflog ihren Inhalt.
~Von Menea. Ich soll Trakt für Neuzugänge kommen? Haben wir etwa einen Neuzugang?~, fragte Amaya sich verwirrt.
Immer noch etwas irritiert befolgte sie Meneas Anweisung.
Auf dem Weg zum Neuzugangstrakt ging sie noch kurz die Formulare abgeben.
Als sie schließlich in besagten Trakt einbog, sah sie bereits auf den ersten Blick Menea bei einer Gruppe von Leuten stehen. Aus der Entfernung konnte sie nicht erkennen, ob es Kathalysatoren oder Vampire waren.
Menea drehte den Kopf und kam zu ihr geeilt.
„Gerade hat die Sicherheitstruppe einen Neuzugang gebracht.“, erklärte sie, „Ein Mädchen, in etwa in unser Alter. Sie soll von einem flüchtigen Vampir angefallen worden sein. Dass sie lebt, hat sie wohl einzig dem Zufall zu verdanken, dass die Schutztruppe ankam, bevor der Vampir sie töten konnte. Sie soll in einer Art Schockzustand sein.
Die Leute, die sie aufgegriffen haben, meinen, sie würde bisher noch kein Wort gesagt haben, sondern starrt die ganze Zeit nur in die Gegend.
Daher haben sie uns hergerufen. Wir sind fast gleich alt, da wird sie eventuell schneller Vertrauen fassen. Außerdem sind wir von derselben Art, zu der sie jetzt geworden ist.
Daher wird sie ein Treffen mit uns nicht so sehr verwirren, wie ein Treffen mit einem Menschen oder gar einem Vampir.“
Amaya sah Menea kurz an, dann blickte sie nachdenklich zur Tür, vor der sich die Personen tummelten. Dahinter war also ein junges, wahrscheinlich verängstigtes Mädchen, das sie und Menea beruhigen sollten.
~Na ja, immerhin passiert mal wieder was.~, dachte sie sich ein wenig ironisch.
Zu Menea gewandt meinte sie schließlich: „Na dann wollen wir uns doch mal mit ihr bekannt machen.“
Mit diesen Worten schritt sie auf die Gruppe zu, die sie und Menea noch schnell in die wichtigsten Grundlagen einwies und ihnen die groben Umstände der Verwandlung des Mädchens erläuterte.
Amaya hörte eher halbherzig zu.
Vielmehr waren ihre Gedanken schon bei der Person, die gerade in diesem Raum saß.
Wie mochte das Mädchen darauf reagieren, wenn man ihr die Welt erklärte, in die sie nun hereingeraten war?
Amaya verspürte Mitleid für sie. Es war immer schwer, feststellen zu müssen, dass die Welt, wie man sie sich vorgestellt hatte, nicht der Wirklichkeit entsprach. Sondern das es im realen Leben Wesen gab, von denen man dachte, sie wären nur ein Bestandteil der Gruselgeschichten.
Amaya hatte es noch vergleichsweise leicht gehabt. Sie war bereits mit sieben Jahren verwandelt worden. Damals war es leicht gewesen, sich in eine neue Welt einzufinden. Kinder haben eine größere Vorstellungskraft, sodass es sie nicht wundert, festzustellen, dass es Wesen gibt, von denen ihre Eltern ihnen nichts erzählt haben.
Das einzige Problem ist, dass viele nicht so schnell begreifen, dass sie niemandem davon erzählen dürfen, was ihnen passiert ist.
Aus diesem Grund, und auch, weil viele Kinder daraufhin eine unglaubliche Angst vor „dem Monster unter ihrem Bett“ entwickeln, bleiben Kinder, die gebissen wurden, erstmal für ein paar Jahre in der Organisation, wo sie rund um die Uhr betreut werden.
Auch bei den Älteren wird diese Methode angewandt, dauert jedoch dann meistens nur einige Monate.
Bevor Amaya noch weiter in Gedanken absinken konnte, holte sie das Geräusch einer sich öffnenden Tür in die Realität zurück.
Es war soweit. Sie und Menea sollten den Raum betreten.
Und obwohl sie aufgeregt war, konnte sie sich soweit beherrschen, dass sie mit ruhigen und langsamen Schritten in den Raum ging. Aufregung war das Letzte, was das Mädchen jetzt brauchte.

Amaya war noch nie wirklich in einem der Räume gewesen, die in der Organisation als „Auffangräume“ bezeichnet wurden.
Sie musste zugeben, sich immer einen weißen Raum, mit nur einer Pritsche in der einen und einem Schreibtisch mit Stuhl in der anderen Ecke vorgestellt zu haben, doch das traf nicht mal annähernd zu.
Im Gegenteil, der Raum war in einem warmen sandfarben gestrichen.
Weinrote Vorhänge verdeckten das Fenster. Auf der einen Seite stand ein gemütlich aussehendes Bett, daneben ein Schrank und ein Regal, das vollgestopft mit Büchern war.
Unter dem Fenster stand ein einfacher Tisch, mit einem Stuhl davor.
Allgemein ließ es sich hier bestimmt gut wohnen.
Ein Rascheln lenkte Amayas Aufmerksamkeit auf einen Sessel, der etwas versteckter lag.
Darauf saß ein Mädchen. Sie war vermutlich so um die 16 Jahre alt.
Ihre Haare waren lang, blond und einzeln mit lila Strähnen durchzogen.
Allgemein wirkte sie wie eine normale Teenagerin, doch etwas an ihr wies eindeutig daraufhin, was ihr gerade passiert war: Ihr T-Shirt, ebenso wie ihre Haarspitzen waren rot von ihrem Blut. Allem Anschein nach hatte sie sich nach dem Angriff noch nicht gewaschen.
Langsam, um sie nicht zu verschrecken, ging Amaya auf sie zu, während Menea sich wieder umdrehte und den Raum verließ. Amaya wusste, dass sie beide denselben Gedanken gehabt hatten und Menea nun warmes Wasser und einen Tuch besorgte, damit das Mädchen sich ein wenig von dem getrockneten Blut befreien konnte.
„Hey.“, meinte Amaya vorsichtig zu dem Mädchen. Dieses hob daraufhin den Kopf und sah sie an. Kurz wirkten ihre Augen seltsam leer, doch schnell verschwand dieser Ausdruck wieder. Stattdessen wurde er von einem verwirrten ersetzt.
„Wo...Wo bin ich hier?“, fragte sie mit leiser, brüchiger Stimme.
Mitleidig betrachtete Amaya das Mädchen. Für sie musste alles unglaublich unheimlich, beängstigend und verwirrend sein.
Bedächtig nahm Amaya sich den Stuhl und setzte sich dem Mädchen gegenüber.
„Du bist in Sicherheit.“, beantwortete sie die gestellte Frage. „Sag mir doch erstmal, wie du heißt.“
Das Mädchen hob den Kopf, sodass sie Amaya direkt in die Augen sehen konnte.
Prüfend sah sie sie an.
„Miley.“, antwortete sie schließlich, „Miley Levaine.“
„Gut, Miley. Ich bin mir sicher, dass du eine Menge Fragen hast. Alles werde ich dir jetzt nicht erklären können. Also stell am besten erst die Fragen, die dir am wichtigsten sind.“, meinte Amaya.
Ein wenig nachdenklich schaute Miley an die Decke. Dann begann sie, die Fragen, die ihr auf der Seele brannten, zu äußern: „Wo bin ich?“, wiederholte sie ihre erste Frage abermals.
Mit einem Seufzen lehnte Amaya sich zurück. ~Ausgerechnet eine der komplexesten Fragen.~, fluchte sie innerlich, doch sie verstand, warum Miley genau das fragte.
„Also.“, begann sie, „Wie ich bereits sagte, du bist hier in Sicherheit. Dir kann und wird nichts passieren. Doch um deine Frage wörtlich zu nehmen: Wir sind hier in einem Gebäude der Black Sun. Die Black Sun an sich ist eine Organisation, die gegründet wurde, um Vampiren zu helfen.“, erklärte sie, wurde jedoch von Miley unterbrochen.
„Vampire?“, fragte diese leicht ängstlich.
Amaya nickte sanft mit dem Kopf. „Ja, Vampire. Es fällt dir vielleicht schwer, dass zu glauben, aber die blutsaugenden Wesen, die häufig in Gruselgeschichten auftauchen, sind weniger Märchenfiguren, als manche Menschen eventuell glauben.“
Dass Miley nun selbst kein Mensch mehr war, verschwieg sie lieber erstmal.
„Vampire.“, murmelte Miley fassungslos.
Dann hob sie abermals den Kopf.
„Bist du...?“, begann sie.
Lächelnd schüttelte Amaya den Kopf. „Nein, ich bin kein Vampir.“
~Du würdest erkennen, wenn ich einer wäre.~, fügte sie in Gedanken hinzu.
Miley atmete einmal tief durch, um das gerade gehörte zu verdauen.
„Vampire.“, wiederholte sie abermals, diesmal nur an sich gerichtet.
Amaya betrachtete sie, ein wenig besorgt darüber, ob sie versuchen würde, zu leugnen, was ihr passiert war.
Doch Miley hob den Kopf und sah Amaya in die Augen.
~Instinktiv sucht sie Augenkontakt. Eine gute Eigenschaft, um in unserer Welt zurecht zu kommen.~, bemerkte sie anerkennend.
Mileys Hand hob sich zu ihrem Hals und sie fuhr vorsichtig über die verkrusteten Blutspuren und die darunter liegende Wunde.
„Dann war das ein Vampir, der mich gebissen hat?“, fragte sie, doch es wirkte eher wie eine Feststellung.
Unsicher, ob Miley überhaupt eine Antwort erwartete, nickte Amaya.
Eine betretene Stille legte sich über die Beiden.
Miley war immer noch in ihren Gedanken versunken, während Amaya nicht wusste, was sie sagen sollte.
So saßen sie sich schweigend gegenüber, bis plötzlich die Tür geöffnet wurde.
Menea betrat den Raum mit einer Schüssel auf dem Arm.
~Gott sei Dank~, dachte Amaya sich, ~Genau im richtigen Moment.~
„Miley?“, wandte Amaya sich wieder Miley zu.
Diese hob den Kopf.
„Wir haben etwas Wasser. Damit kannst du ein wenig von dem Blut loswerden.“, erklärte Amaya behutsam.
Nun sah Miley auch Menea an.
Dann nickte sie kurz.
Menea kam zu ihr herüber und stellte die Schüssel vor neben Miley auf den kleinen Beistelltisch.
„Danke.“, meinte Miley kurz, dann nahm sie den Lappen und tauchte ihn in das Wasser.
Menea kam währenddessen zu mir rüber und hockte sich neben mich auf den Boden.
„Wie geht es ihr?“, fragte sie mich so leise, dass nur ich es verstand.
„Relativ gut, glaube ich. Sie hat die Tatsache mit den Vampiren verhältnismäßig gut aufgenommen.“, berichtete ich.
„Von Kathalysatoren hast du ihr noch nichts erzählt?“
„Nein.“, erwiderte ich, „Das wäre auf die Schnelle zu viel gewesen, glaube ich.
Immerhin hätte sie dann unweigerlich auch herausgefunden, dass sie kein Mensch mehr ist.“
„Wie heißt ihr eigentlich?“, unterbrach Mileys Stimme die Unterhaltung.
Amaya hob den Kopf. „Hast du was gesagt?“
„Ich hab gefragt, wie ihr heißt.“, antwortete Miley. „Ihr wisst immerhin auch meinen Namen. Da ist es doch nur gerecht, wenn ich eure auch erfahre.“
Kurz lachte Amaya auf.
„Natürlich. Ich hätte mich gleich vorstellen sollen. Ich bin Amaya und das ist Menea.“
Bei den letzten Worten zeigte sie auf ihre Freundin.
„Freut mich dich kennenzulernen.“, sagte Menea.
„Mich auch.“, erwiderte Miley mit einem Lächeln.
Das Wasser in der Schüssel war inzwischen blutrot.
Mileys Hals hingegen wirkte wieder fast sauber.
Um eine Dusche würde sie allerdings wohl oder übel nicht drum herum kommen.
„Brauchst du vielleicht neue, saubere Klamotten?“, erkundigte Menea sich.
Miley sah an sich herunter.
„Über kurz oder lang vermutlich schon, aber jetzt fühle ich mich noch ganz wohl in diesen.
Vielmehr frage ich mich, was ihr hier macht.“, meinte sie.
Amaya und Menea sahen sich gegenseitig an.
„Wir?“, fraget Amaya nach.
„Na ja, du bist kein Vampir, und Menea vermutlich auch nicht, oder?“
Menea nickte.
Auch sie war kein Vampir.
„Warum seid ihr also hier? In einer Organisation von Vampiren?“, wollte Miley wissen.
~Mist. Sie scheint einen scharfen Verstand zu haben. Genau auf dieses Thema wollte ich eigentlich nicht so schnell zu sprechen kommen.~, ärgerte Amaya sich, versuchte jedoch so wenig wie möglich von dieser Emotion zu zeigen.
„Weißt du Miley, wir haben durch Zufall mit den Vampiren zu tun bekommen.“, versuchte Amaya die Frage zu beantworten, ohne zu viel zu verraten.
Und das war auch nicht gelogen. In der Tat hatten sie und Menea durch Zufall von Vampiren erfahren.
Doch Miley schien sich nicht mit dieser Antwort zufrieden geben zu wollen.
Sie sah Amaya auffordernd an.
Diese seufzte.
„Gut. Es ist alles sehr kompliziert.“, sagte sie und sah Miley dabei in die Augen, „Zu kompliziert, als dass wir es dir hier, jetzt und gleich erklären könnten.
Aber wir werden dir alles verraten. Wenn es dir nichts ausmacht, kommen wir morgen wieder. Dann werden wir versuchen, dir auf alle deine Fragen eine Antwort zu geben.
Jetzt solltest du aber erstmal schlafen.
Schlaf hilft am Besten gegen die Verwirrung.“
„Ist das in Ordnung?“, fragte Menea.
Miley sah beide Mädchen nacheinander an, dann nickte sie. „Ich schätze ja.“
Amaya setzte ein Lächeln auf.
„Das ist schön. Wir werden auf jeden Fall morgen wieder kommen.“, versicherte sie.
Menea und sie erhoben sich, um zu gehen.
„Dann bis morgen.“, verabschiedete Menea sich.
„Bis morgen.“, erwiderte Miley den Gruß.
Kurz vor der Tür drehte Amaya sich noch einmal um.
„Und vergiss nicht.
Du bist hier in Sicherheit. Niemand wird dir hier etwas tun.“

„Ich mag sie.“, bemerkte Menea, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten.
Überrascht sah Amaya sie an. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Doch schnell legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Ich auch. Sie scheint sehr entspannt zu sein. Dafür, dass sie gerade von einem Vampir angegriffen wurde, meine ich.“
Menea nickte nur.
„Und, wie ist ihr Zustand?“, erkundigte sich einer der Leute, die vor dem Raum gewartet hatten.
„Erstaunlich stabil.“, berichtete Amaya. „Ihr braucht sie erstmal nicht zu untersuchen. Am Besten lasst ihr ihr ein wenig Zeit und bringt ihr ganz normal etwas zu essen.
Auf den ersten Blick scheint sie keine Angst vor Vampiren zu haben, aber ich würde vorschlagen, sie erstmal nur mit Kathalysatoren in Verbindung zu bringen.
Wir kommen morgen wieder und kümmern uns um sie.“
Der Mann nickte kurz als Zeichen, dass er verstanden hatte.
„Werden wir sonst noch gebraucht?“, wollte Menea wissen.
„Nicht das ich wüsste.“, meinte eine Frau, die ein Klemmbrett in der Hand hielt und darauf einige Notizen machte.
„Dann können wir ja gehen.“, bemerkte Menea und wandte sich an Amaya, „Oder musst du noch deine Arbeit beenden?“
Doch Amaya schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nein, ich bin fertig für heute.“

In der Eingangshalle meldeten sie sich bei Eliora ab, dann machten sie sich auf den Weg nach Hause.
„Schon viertel vor Neun.“, bemerkte Amaya nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.
„Wir haben haute lange gebraucht.“, kommentierte Menea.
„Wundert mich nicht. Immerhin haben wir uns um einen Neuzugang gekümmert.“
„Auch wieder wahr.“, stimmte Menea zu.
Daraufhin herrschte erstmal Stille.
Die Straßen waren nur erleuchtet von den Straßenlaternen, die alle paar Meter aufgestellt waren.
Diese tauchten den Asphalt in ein orangenes Licht.
Die Sonne war schon vor einigen Stunden untergegangen.
Schließlich war es Winter.
Nur Schnee lag keiner. Es schneite selten vor den Winterferien.
Und selbst dann lag der Schnee nur für wenige Tage.
Gerne hätte Amaya mal ein „weißes Weihnachten“ erlebt, wie die vielen Geschichten es immer beschrieben.
Aber so etwas war hier unmöglich.
Außer ihr und Menea war kein Mensch auf der Straße.
Es war ein Wochentag und sie waren nicht in der Downtown.
Dementsprechend waren hier in der Gegend schon alle Menschen zu Hause.
Über herumstreunende Vampire konnte sie allerdings keine Aussage treffen.
Es war wahrscheinlich, dass sich einige jetzt „die Beine vertraten“. Tagsüber waren sie dazu schließlich nicht in der Lage.
Zwar konnte sie Vampire besser wahrnehmen als ein normaler Mensch, aber auch ihr Wahrnehmungsvermögen hatte seine Grenzen.
Am Springbrunnen trennten sich ihre und Meneas Wege.
Sie verabschiedeten sich voneinander und setzten sich dann wieder in Bewegung.
Von dort aus war es nicht weit.
Vor ihrem Haus angekommen, sah Amaya nach oben. Im Wohnzimmer brannte noch Licht.
Es war schließlich auch erst 21.15h.
Allerdings hatte es auch schon Tage gegeben, da waren ihre Eltern um diese Uhrzeit bereits im Bett gewesen.
Die Dunkelheit ließ einen schon früh müde werden.
Aber heute hatten sie wie so oft auf ihre Rückkehr gewartet.
Obwohl sie nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, was da draußen wirklich an Bösem lauerte, machten sie sich Sorgen, wenn Amaya unterwegs war, sobald es dunkel war.
Ebenfalls wussten sie nicht, dass Amaya sich bestens verteidigen konnte.
Eine der Sachen, die man bei Black Sun als Erstes lernte, sei man nun Mensch oder Kathalysator.
Nur Vampiren wurde das Kämpfen nicht extra beigebracht.
Sie waren sowieso stark genug und beherrschten das Meiste instinktiv.
Schnell zückte sie ihren Schlüssel und verschaffte sich Zutritt zum Haus.
Wie erwartet saßen ihre Eltern im Wohnzimmer und sahen sich einen Film an.
Als sie den Raum betrat sahen beide auf.
„Da bin ich wieder.“, begrüßte sie sie lächelnd.
„Willkommen zurück mein Schatz.“, meinte ihre Mutter, „im Backofen ist noch ein bisschen Nudelauflauf für dich. Ich hoffe er ist noch warm.“
„Danke. Hört sich gut an.“, erwiderte Amaya.
Der Auflauf war wirklich noch warm.
Amaya schaufelte ihn auf einen Teller und setzte sich dann zu ihren Eltern ins Wohnzimmer, um mit diesen den Film zu sehen.
Gerade weil sie sich nur bei solchen Gelegenheiten wirklich sahen, genoss Amaya Fernsehabende.
Meist saßen sie während des Films schweigend da und erzählten in den Pausen von ihrem Tag.
Amaya hatte eigentlich nie etwas zu erzählen.
Ihre Eltern durften nicht wissen, was sie wirklich tat.
Sie dachten sie wurde ehrenamtlich in einer Organisation für Bedürftige arbeiten.
Allerdings wussten sie nicht, dass diese „Bedürftigen“ größtenteils Vampire waren.
Also beschränkte Amaya sich beim Erzählen meistens auf unverfängliche Sachen, wie: „Ist nichts Spannendes passiert.“ oder „Alles wie immer heute.“.
Zu ihrem Glück nahmen ihre Eltern das ohne weitere Erklärung an.

Am nächsten Nachmittag konnte Amaya es kaum erwarten zur Black Sun zu kommen.
Heute würden sie und Menea anfangen, Miley ihre neue Welt zu erklären.
Und da gab es eine Menge, was sie erklärt bekommen musste.
„Hey Eliora.“, rief Amaya, als sie und Menea durch die Eingangstüren traten.
„Sollen wir gleich zu Miley?“
„Ganz genau.“, bestätigte Eliora mit ihrem gewohnten Dauerlächeln und der vor Freundlichkeit tropfenden Stimme.
Manchmal machte sie einem mehr Angst als ein Vampir, der die Zähne fletschte und sich auf den Angriff vorbereitete.
„Im selben Raum wie gestern.“, verkündete sie noch, doch Amaya und Menea waren schon an ihr vorbei zum Treppenhaus gegangen.
Diesmal stand vor Mileys Raum keine Personenschar.
Nur ein einziger Mann saß auf einem Stuhl neben der Tür.
Er hatte seinen Kopf auf seinen Ellbogen gestützt und schien zu schlafen.
„Hallo?“, fragte Menea vorsichtig. „Sind sie wach?“
Prüfend wedelte sie mit ihrer Hand vor seinem Gesicht.
Dann drehte sie sich zu Amaya um.
„Scheint heute Nacht nicht viel geschlafen zu haben.“, bemerkte sie mit einem Achselzucken,
„Sollen wir ihn wecken? Oder sollen wir einfach an ihm vorbei in den Raum?“
Kurz überlegte Amaya.
Doch die Antwort fiel ihr nicht sonderlich schwer: „Wir wecken ihn. Schlafend bei der Arbeit erwischt zu werden ist bestimmt nicht gerade hilfreich für eine Beförderung.“
Also drehte sie sich zu dem Mann.
„Hey.“, meinte sie, doch er reagierte nicht. „Hey!“, wiederholte sie, diesmal eindeutig lauter.
„Wie? Wo? Was?“, rief der Mann, als er verwirrt hoch schoss.
Dann sah er Amaya.
„Du bist eingeschlafen.“, erklärte diese.
„Was? Oh, das tut mir schrecklich Leid! Ich weiß, ich sollte nicht so lange aufbleiben, aber dann kommt noch dies und das und dann...“, fing er an.
Plötzlich straffte er seine Haltung und sah Amaya und Menea an.
„Sind sie Miss Cole und Miss Dwight?“
Beide sahen sich fragend an, dann nickten sie etwas unsicher.
„Gut, ich habe hier auf sie gewartet.
Ich soll ihnen das hier aushändigen.“
Mit diesen Worten gab er beiden jeweils ein Klemmbrett, auf das einige Zettel geheftet waren.
„Sie sollen sich diese Informationen durchlesen, bevor sie zu dem Neuzugang gehen.
Auf den Zetteln finden sie Informationen über die Verwandlungssituation, die Verwandten und das frühere Umfeld des Neuzugangs. Zusätzlich sind einige Fakten aufgelistet, die ihnen bei der Beantwortung verschiedener Fragen behilflich sein dürften.“, rasselte er seinen vermutlich auswendig gelernten Text runter.
„Danke.“, murmelte Amaya kurz, bevor sie begann, die Blätter zu überfliegen.
„Gern geschehen.“, bemerkte der Mann, der inzwischen wieder eine entspanntere Haltung eingenommen hatte. „Gibt es sonst noch Fragen?“
Amaya löste den Blick von ihrem Klemmbrett.
„Nein. Wir kommen ab jetzt alleine zurecht.“, verkündete sie.
„Gut. Dann viel Glück.“
Mit diesen Worten stand der Mann auf und ging.
Fragend sah Amaya Menea an. „Wollen wir?“
Diese sah nun auch endlich auf.
„Meinst du, es wird Miley nicht seltsam vorkommen, wenn wir mit Klemmbrettern rein kommen?“, bemerkte sie.
„Ich glaube nicht. Wenn wir ihr einfach sagen, wozu die Zettel sind, wird das bestimmt kein Problem sein.“, erwiderte Amaya.
„Gut, wenn du meinst. Dann bin ich bereit.“, verkündete Menea.
„Na dann los.“

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Tag der Veröffentlichung: 15.05.2009

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