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Sehnsucht nach gestern




Was ist das Wichtigste in deinem Leben?
Was tust du, wenn es dir vom einen auf den anderen Moment genommen wird?
Was fühlst du, wenn dein eigenes Kind sich in diesem Moment gegen dich stellt?
Wie erträgst du es, wenn du selbst nicht mehr weißt, wer du eigentlich bist…


„Was ist passiert?“ Mona zog den Hausschlüssel aus der Eingangstür ihres gemeinsamen Hauses, schmiss die Tür hinter sich zu und lief aufgeregt ins Wohnzimmer, wo ihr Mann mit ihrer achtjährigen Tochter Lizzy auf dem Arm bereits auf sie wartete. Lizzy hatte ihr kleines Gesicht tief in den Pullover ihres Vaters vergraben, der sichtlich um Fassung rang und seine Tochter zu beruhigen versuchte. Als er Mona sah, sprang er auf.
„Lizzy Schatz, was ist los?“, fragte Mona, verrückt vor Sorge um ihre beiden Kinder. Ihre beiden? Wo war Max? War ihm etwas zugestoßen? Lag er womöglich im Krankenhaus? Mona küsste Lizzy kurz auf die Stirn und wandte sich sofort wieder ihrem Mann zu. „Markus, rede mit mir, verdammt noch mal! Wo ist Max?“
„Schatz, es fällt mir nicht leicht…“
„Wo ist Max?“, unterbrach ihn Mona unsanft.
„Schatz, bitte, du musst jetzt stark sein.“
Ein kalter Schauer lief Mona den Rücken herunter, als sie Markus bei seinen Worten tief in seine Augen sah. Stark sein? Was hatte das zu bedeuten? So hatte er noch nie geredet. So redet man doch nur wenn…wenn…
„Es war ein Unfall.“, sprach Markus weiter. „Er hat es nicht überlebt.“
Mona brauchte ein paar Sekunden, um die Worte tatsächlich an sich heran zu lassen. Dann zog sich ein schwarzer Schleier vor ihre Augen.


~EINS~

„Ich glaube das wird ein guter Tag.“
„Ich liebe es, wenn du das sagst, mein Schatz“, entgegnete Markus.
„Das liegt am Wetter.“ Mona öffnete eines der vielen Wohnzimmerfenster.
„Strahlender Sonnenschein. Ich glaube, der Frühling ist endgültig angekommen. Was macht ihr heute?“ Mona sah ihre beiden Kinder an. Beide wirkten noch etwas verschlafen, aber das würde sich sicher bald ändern. Max und Lizzy waren schon immer sehr aufgeweckte Kinder, es gab kaum einen Tag am Wochenende, an dem sie nicht draußen zusammen oder mit ihren Freunden spielten.
„Ich hoffe, diese Geschwisterliebe ist nicht nur von kurzer Dauer“, hatte Mona schon so oft gedacht. Aber sie war guter Hoffnung. Immerhin verstanden sich beide schon seit Jahren wunderbar, unterstützten sich gegenseitig, wenn es um ihre Hausaufgaben ging. Auch wenn Lizzy ihrem älteren Bruder meist nicht großartig dabei helfen konnte. Sie versuchte es zumindest. Natürlich gab es auch den ein oder anderen Streit, aber das kommt ja bekanntlich unter den meisten Geschwistern vor, dachte Mona. Lizzy war gerade erst acht Jahre alt geworden, Max war bereits elf.
„Ein großer Bruder, wie er im Bilderbuch steht“. Das dachte jeder, der die beiden zusammen sah. Lizzy liebte ihren Bruder über alles. Sie vertraute ihm Geheimnisse an, die ihre Eltern nicht wissen durften, sie kam zu ihm, wenn sie geärgert worden war oder sie einen geschwisterlichen Rat brauchte. Und Max genoss das. Er liebte die Rolle als großer Bruder und füllte diese tadellos aus. Sein Beschützerinstinkt war schon vor vielen Jahren geweckt worden, sie passten beide perfekt zueinander. Dennoch war Max es, der in seiner frühpubertären Phase den ein oder anderen Streich ausheckte. Immer wieder kam es daher zum Streit mit ihm und seiner Mutter. Markus war eher zurückhaltend, er überließ den Großteil der Erziehung seiner Frau und versuchte meist, wenn es zu Streitigkeiten kam, den Schlichter zu geben. Mona machte keinen Hehl daraus, dass Max ihr mitunter große Probleme machte.
„Euer Verhältnis war auch schon mal besser, oder?“, hatte ihr Markus erst kürzlich gesagt. Dieser Satz traf Mona mitten ins Herz. Wahrscheinlich weil Markus recht hatte. In den letzten Monaten, eigentlich schon in den letzten beiden Jahren, hatte sie fast ständig Probleme mit Max. Streit gehörte zur Tagesordnung. Das Schlimmste, was in der letzten Zeit passiert war, war die Prügelei zwischen Max und einem seiner Mitschüler. Beide kamen mit blauen Flecken nach Hause und Mona hatte einen Gesprächstermin beim Schulleiter. Max war kein Kind der Traurigkeit, und doch liebte sie ihn genau wie Lizzy. Nur konnte sie es ihm schon lange nicht mehr richtig zeigen. Und das machte Mona am meisten fertig. Sie wollte niemanden von beiden bevorzugen, das war schon immer ihre größte Angst gewesen. Und doch tat sie es unbewusst. Was der Geschwisterliebe jedoch keinen Abbruch tat.

Max antwortete für beide, Mona schien noch sehr müde zu sein an diesem Samstagmorgen.
„Wir wollen zu Kai und Tanja, die haben ne neue Indianerhütte im Garten.“
„Oh schön, und wann seid ihr verabredet?“
„Um zwölf“, entgegnete Lizzy. Es war überhaupt das erste Mal, dass Lizzy an diesem Morgen etwas sagte.
„Ach, guten Morgen, Madame, auch ausgeschlafen?“, fragte Mona.
„Haha, du hast mich ja noch nix gefragt.“
Mona lächelte ihre Tochter an und diese sah verschlafen zurück. Sie beide wussten, wie dieser morgendliche Dialog einzustufen war.
„Ihr wisst ja, dass ich nochmal kurz in die Redaktion muss, vielleicht ein, zwei Stunden, um den Artikel fertig zu kriegen“, erinnerte Mona ihre Familie daran, dass sie gleich aufbrechen musste.
„Ja, wie oft noch?“, entgegnete Max.
„Setz dich gerade hin!“ Max erschrak ob der Worte seiner Mutter und nahm die Hände von seinem Kinn. Er hatte keine Lust auf Stress, davon hatte es in letzter Zeit so viel gegeben zwischen ihnen beiden. „Und vor allem einen anderen Ton bitte!“
Max antwortete nicht. Mona nahm ihren Teller, stellte ihn in den Geschirrspüler und zog ihre Schuhe an. „Viel Erfolg, Schatz. Und bis nachher“, rief Markus. Nach einem Luftkuss in Richtung ihrer Familie verabschiedete sich Mona und ging aus dem Haus. Das Auto stand wie immer vor ihrer Garage auf dem Grundstück. Mona kramte wie wild in ihren Taschen. Wo war der verdammte Autoschlüssel? Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie ihn überhaupt eingesteckt hatte. Da der Bus gleich gegenüber hielt und ihre Arbeitsstelle nur einen Katzensprung weit entfernt war, entschloss sich Mona, auf die andere Straßenseite zu rennen und die paar Cent zu investieren. „Ist eh nicht so gut für den Motor, so ne kurze Strecke“, dachte Mona.
Eine dreiviertel Stunde später war sie bereits vertieft in ihrem Artikel, den sie bis Montag fertigstellen musste, als das Telefon klingelte. Markus war am Apparat, das erkannte Mona auf dem Display.
„Mona nahm den Hörer ab. „Hallo Hase.“, begrüßte sie ihn. „Schatz? Bitte komm ganz schnell her. Es ist etwas Schlimmes passiert.“


~ZWEI~

Keine Sekunde hatte Mona gezögert, war nach Hause gerannt, nachdem ihr Mann ihr am Telefon nicht sagen wollte, was los war. Er bestand darauf, dass sie sofort nach Hause kam. Im Hintergrund hatte Mona die ganze Zeit über ein lautes Schluchzen gehört. Nervös steckte sie den Hausschlüssel in die Tür und betrat den Flur. Im Wohnzimmer hörte sie Lizzy weinen.


Als Mona wieder zu sich kam, blickte sie in das Gesicht ihres besorgten Mannes.
„Schatz, oh Gott, bist du wieder da?“ Mona öffnete langsam die Augen und sofort schossen ihr die Worte ihres Mannes wie Speerspitzen durch den Kopf.
„Er hat es nicht überlebt?“ Markus war nicht in der Lage zu antworten. Er nahm Mona, die immer noch auf dem Boden lag, fest in seine Arme. Mona sah vollkommen schockiert und überfordert in Richtung der Tür zum Flur, aus welchem sie gerade hereingestürmt war. Dort stand Lizzy und sah sie mit bösen Blicken an. Ihre Arme hingen irgendwie starr herab, überhaupt sah sie ein wenig anders aus. Ihr ganzer Körper schien angespannt zu sein.
„Lizzy, Mäuschen, komm her“, sagte Mona weinend. Ihre Tochter tat ihr unglaublich Leid, es musste für sie ebenfalls eine Welt zusammenbrechen. Sie wollte Lizzy da nicht so alleine stehen sehen. Lizzy verfinsterte ihre Mine, drehte sich um und rannte mit einem Mal aus dem Zimmer.
„Lass sie“, sagte Markus, während er Mona langsam wieder losließ.
„Renn ihr nicht hinterher. Ich glaube, sie steht unter Schock. Ich rufe Dr. Hogan an.“ Mona war einverstanden. Sie zitterte von Kopf bis Fuß. Wie konnte so etwas passieren? Ihr kleiner Max sollte plötzlich nicht mehr leben? War das alles vielleicht nur ein beschissener Traum? Das konnte doch nicht gehen. So viele Gedanken schossen ihr plötzlich durch den Kopf. Was genau war passiert? Wo war Max jetzt? Und warum um Himmels Willen hatte sie nur das Gefühl gehabt, Lizzy hätte sie eben voller Hass angeguckt?
„Was geht hier vor sich?“, dachte Mona, als sie sich kurze Zeit später wie in Trance neben ihren Mann ins Bett legte, um sich ein wenig zu beruhigen.

Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. „Das muss die Polizei sein“, sagte Markus.
„ Die waren vorhin schon mal da, wollten sofort wiederkommen. Ich gehe runter, bleib hier, Liebling!“. Mona starrte regungslos an die kahle, weiße Decke des Schlafzimmers. Markus hatte ihr alles erzählt in den letzten zehn Minuten. Alles, was er zu diesem Zeitpunkt wusste. Wie konnte das sein? Wer tat so etwas? Und warum hatte sie nicht auf ihn aufgepasst, warum musste sie unbedingt heute nochmal in die Redaktion? Aber vor allem…wo waren ihre Autoschlüssel, wer hatte ihr Auto benutzt? Monas Gedanken waren unkontrollierbar. Sie dachte an Max, ihren geliebten Sohn, an die letzten Stunden, an die Tat. Die Tat? Ob es Absicht war? Aber was sollte es sonst gewesen sein? „Jemand hat ihn überfahren. Vor unserer Haustür. Max lag auf der Straße und hat sich nicht mehr bewegt. Ich hab nur Reifen quietschen gehört. Dann bin ich raus.“
Die Worte von Markus spukten Mona immer und immer wieder durch den Kopf. Bis sie urplötzlich aus ihren Gedanken gerissen wurde. Lizzy stand in der Tür zum Schlafzimmer und sah sie an. Mit bitterböser Miene. Ihre Hände ballten sich zu kleinen Fäusten. Mona erschrak.
„Lizzy, was ist los, komm zu mir, komm her, meine Süße.“ Lizzy öffnete langsam ihren Mund. Die folgenden Worte erschauderten Mona bis ins Mark. Noch nie zuvor hatte Lizzy so mit ihr gesprochen. Ihre kleine Lizzy. Ihr kleiner Schatz. Wie konnte sie nur?
„Du Schlange“, begann Lizzy. „Du hast Max getötet!“


~DREI~

„Schatz, die Polizei ist hier, die haben ein paar Fragen an dich, soll ich sie wieder wegschicken?“
„Nicht nötig, Herr Fischer. Ihre Frau kann uns sicher alles plausibel erklären“, hakte einer der beiden Polizisten ein.
„Kriminalhauptkommissar Meier, Mordkommission. Guten Tag, Frau Fischer. Das ist mein Kollege Hein.“ Der Polizist zeigte auf seinen Kollegen, der etwa halb so groß, aber dafür doppelt so breit war wie er und mindestens genauso unfreundlich guckte. Zumindest machte es diesen Eindruck auf Mona, als die beiden ins Schlafzimmer platzten. Mona stand komplett neben sich nach den Worten ihrer Tochter. Das letzte, was sie jetzt brauchte, waren irgendwelche fremden Leute in ihrem Schlafzimmer. Unfähig, sich dagegen zu wehren, wollte Mona die Fragen schnell über sich ergehen lassen und gestand den beiden Polizisten zu, näher zu kommen.
„Frau Fischer, wo waren Sie heute morgen zwischen zehn und elf?“
„Auf Arbeit. Ich war auf Arbeit.“ Mona sah die beiden teilnahmslos an und versuchte, sich auf die Fragen zu konzentrieren.
„Es gibt bereits jetzt mehrere Nachbarn, die uns bestätigen, dass sie Sie hinter dem Steuer des Fahrzeugs gesehen haben, mit dem Sie auf Ihren Sohn zufuhren, der er über die Straße rannte und ihn dann…“
„Wie bitte?“, hakte Mona ein. „Wollen Sie mir unterstellen, ich hätte meinen eigenen Sohn getötet? Was wird das hier?“ Mona rang abermals um Fassung. Tränen schossen ihr in die Augen bei dem Gedanken daran, ihren Sohn für immer verloren zu haben. Warum wurde sie beschuldigt, ihrem geliebten Sohn so etwas angetan zu haben? Und warum warf sogar ihre eigene Tochter ihr solche Dinge an den Kopf? War der Stress der letzten Monate zu groß gewesen? Konnte es tatsächlich sein, dass sie nicht mehr Herrin ihrer Sinne war und womöglich gar nicht auf Arbeit war, sich alles nur eingebildet hatte und…Nein! So etwas durfte sie nicht denken. Sie war nicht verrückt. Auf keinen Fall.
„Andere Frage, Frau Fischer. Passanten und Nachbarn haben Sie sogar in Ihrem eigenen Auto erkannt, mit dem Sie Ihren Sohn überfahren haben sollen.“
„Stop!“, unterbrach Mona den Beamten. „Das kann gar nicht sein. Ich habe den Wagen stehen lassen, bin mit Bus zur Arbeit gefahren.“
„Der Wagen muss vor der Garage stehen, schauen Sie nach“, mischte Markus sich nun ein, immer noch aufgeregt hinter den Beamten an der Tür des Schlafzimmers stehend.
„Das brauchen wir nicht. Das Auto ist nicht da. Womit wir auch bei meiner nächsten Frage wären. Wo ist Ihr Auto, Frau Fischer?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Mona. „Ich habe es nicht benutzt, weil ich den Schlüssel hier vergessen habe.“ Monas Herz raste. Was hatte das alles zu bedeuten? War sie verrückt geworden? Wusste sie nicht mehr, was sie tat?
„Was haben Sie dort für eine Schramme auf der Stirn?“, mischte der dicke Beamte sich ein. „Was?““Ach das“, entgegnete Mona und erinnerte sich daran, dass sie im Büro während ihrer Arbeit gegen die metallene Schreibtischlampe gestoßen war. „Das ist von meiner Schreibtischlampe, nichts weiter.“
„Oder kann es sein, dass ein Aufprall Ihren Kopf nach vorne schnellen ließ und sie deshalb eine kleine Schramme davon getragen haben?“
„Also jetzt reichts!“, sagte Markus echauffiert.
„Es tut mir Leid, Herr und Frau Fischer. Die Personenbeschreibungen der Zeugen sind eindeutig, und das ist nicht das Einzige. Frau Fischer, Sie sind Beschuldigte einer Straftat. Sie müssen sich dazu nicht äußern und haben außerdem das Recht…“ Die Worte des Beamten verhallten wie in einer dunklen Wolke. Mona sackte in sich zusammen und brach in Tränen aus. Hatte sich nun alle Welt gegen sie verschworen? Oder war das alles nur ein böser Traum? Ein Traum, der einfach nur erschreckend real wirkte?


~VIER~

„Was hälst du von ihr?“, fragte Hauptkommissar Meier seinen Kollegen.
„Ich weiß nicht. Auf mich wirkt sie einerseits total schockiert und überrascht. Auf der anderen Seite scheint sie auch sehr labil zu sein.“
„Das denk ich auch. Ich werde nachher noch einmal mit ihr sprechen. Vielleicht kommt sie in U-Haft ja auch zur Besinnung und sagt uns, wieso sie das getan hat.“
„Du bist dir sicher, dass sie das war?“
„Die Zeugenaussagen…“
„Ja ich weiß. Aber du weißt selber, dass das nichts heißen muss. Frag mich nicht warum, aber mein Bauch sagt, dass an dem Fall irgendwas faul ist.“
„Möglich“, entgegnete Meier seinem Kollegen. Wenn sie es war, muss das Auto jedenfalls noch irgendwo in Tatortnähe sein.“
„Es sei denn, sie hat es nicht allein getan“, sprach Hein aus, was Meier schon lange dachte.
„Wir müssen unbedingt nochmal mit ihr sprechen“.
„Ja, lass uns gleich zu ihr hin. Ich meine, angeblich kam sie mit ihrem Sohn nicht besonders gut klar. Laut Aussagen der Nachbarn direkt von nebenan gab es sogar oft lautstarken Streit“, ließ Hein Resümee passieren. „ Aber deswegen gleich den eigenen Sohn töten? Sorry, aber da sträubt sich bei mir irgendwie alles gegen. Zeugenaussagen hin oder her“.
„Ja, wer weiß. Wobei die Beschreibung zu hundert Prozent auf sie passt, das weißt du.“
„Hm. Lass uns zu ihr fahren.“


~FÜNF~

Mona stand am Fenster ihrer kleinen Zelle und strich mit ihrer Hand über die kalten Gitter. Was war nur passiert in den letzten vierundzwanzig Stunden? Der Vollmond hing über den Dächern am sonst schwarzen und traurig wirkenden Himmel. Mona erkannte den kleinen Wagen und fragte sich, ob Max nun auch einer der vielen Sterne am Himmel sei. Bei dem Gedanken daran schossen ihr blitzartig wieder Tränen in die Augen. Wer konnte so etwas nur tun? Sie empfand keine Wut, keinen Hass. Nur Trauer. Verzweiflung. Machtlosigkeit. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Die Turmuhr auf der gegenüberliegenden Seite der Straße schlug ein Uhr. Jede Stunde gab sie hässliche Töne von sich. Töne, die Max nie hören würde, von denen sie ihm niemals erzählen konnte. Angeblich war sie es gewesen, die ihren einzigen Sohn getötet haben soll. Ein helles, kurzes Lachen kam aus ihrem Mund. Es hörte sich fremd an, unwirklich, irgendwie verrückt. „Nicht den Verstand verlieren, Mona“, sagte sie zu sich selbst. „Es wird sich schon alles aufklären“. Doch auch davon würde sie ihren Jungen nicht wiederbekommen. War es möglich, dass sie schon längst verrückt geworden war? Dass sie es tatsächlich war, die…Nein! Weg mit solchen Gedanken! Sie hatte keine gestörte Persönlichkeit, sie war zu dieser Zeit in ihrem Büro! Nichts anderes wollte sie sich einreden lassen, von niemandem. Auch wenn sie langsam selbst zu zweifeln begann.

Monas Gedanken kreisten immer wieder um Max, um ihre ganze Familie, die schrecklichen Ereignisse. Wie sehr sehnte sie sich nach dem gestrigen Tag, der eine Ewigkeit weg schien und so nie mehr wiederkommen würde.
„Lizzy wollte mit Max über die Straße, sie ist hinter ihm gelaufen und hat alles mit angesehen“, hatte Markus ihr bei seinem Besuch vorhin erzählt. Sie musste den Schock ihres Lebens bekommen haben. Markus war schon mit ihr beim Arzt, Lizzy sollte die Nacht über im Krankenhaus beobachtet werden. Zum Glück war wenigstens er jetzt bei ihr, dachte Mona. Lizzy wollte sie bestimmt nicht sehen. Sie hatte alles genau beobachtet. Und ihre Mutter hinter dem Steuer erkannt. Genau wie alle anderen, die das gesehen hatten. Mona ließ die Gitterstäbe los und legte sich auf ihr viel zu kleines Bett. Hatte es ihr als Kind vielleicht doch zu sehr zu schaffen gemacht, von der eigenen Mutter verstoßen worden zu sein? Als Säugling in eine andere Familie zu kommen? Eigentlich hatte sie nie das Gefühl gehabt, dass sie das groß beeinflussen würde. Immerhin hatte sie ihre leibliche Mutter nie kennengelernt. Und schon lange nicht mehr den Drang verspürt, dieses nachzuholen. Trotzdem. War es möglich, dass ihr Unterbewusstsein damit nie fertig geworden war? Dass sie eine multiple Persönlichkeit hatte? „Quatsch“, schoss es Mona durch den Kopf. Es musste eine andere Erklärung geben für das alles. Den beiden Polizisten, die vorhin nochmal vorbeigekommen waren, hatte sie von dem Busfahrer erzählt, der gesehen haben musste, dass sie eingestiegen war und nicht mit dem Auto zur Arbeit fuhr. Ein kleiner Strohhalm. Aber was genau sollte das beweisen? Monas Herz pochte mit jedem Atemzug schneller. Ihre Hände wurden nass, ihr Atem laut und schnell. Was, wenn das hier ihr neues Zuhause war? Wenn sie ihre geliebte, kleine Familie nie mehr wieder sehen würde? Was, wenn sie es tatsächlich gewesen ist, die ihren Sohn getötet hat, ohne dass sie es mitbekam? „Nicht den Verstand verlieren. Nur nicht den Verstand verlieren…“


~SECHS~

„Denkst du, was ich denke, Günther?“, fragte Hauptkommissar Meier seinen Kollegen Hein, während sie am nächsten Tag gemeinsam im Auto saßen.
„Was denkst du?“
„Dass es immer enger wird für Frau Fischer. Der Busfahrer hat sie eindeutig gesehen, als sie eingestiegen ist. Eine halbe Stunde später wurde sie von mehreren Leuten hinterm Steuer gesehen.“
„Klingt, als wollte sie sich mit der Fahrt zur Arbeit ein kleines Alibi verschaffen.“, entgegnete Hein.
„Ja, andererseits – wieso so offensichtlich? Warum kehrt sie um, steigt in ihr eigenes Auto, von dem sie angeblich die Schlüssel vergessen oder verloren hat und fährt auf offener Straße ihren Sohn um?“
„Ich weiß was du meinst. Mein Bauch hat mich bisher selten betrogen. Und er sagt, wir kriegen heute entscheidende Antworten.“
„Ich hoffe es. Die warten alle auf Ergebnisse. Wenn nicht, dürfte das unser letzter gemeinsamer Fall sein, Günther.“
„Bleib locker. Wir werden sicher gleich einen Schritt weiter sein, das hab ich im Gefühl.“

Meier und Hein bogen mit ihrem schwarzen Mercedes in die Eiswaldstraße ein, etwa acht Kilometer entfernt vom Haus von Mona und Markus. Hier sollten nun also entscheidende Antworten folgen. Sie erkannten schnell, dass in der Hausnummer sieben Licht brannte. Sie schien da zu sein. Monas leibliche Mutter war tatsächlich zuhause.


~SIEBEN~

Was machte er sich nur für große Sorgen um Lizzy. Und Mona. Um seine ganze Familie. Alles schien mit einem Mal kaputt. Der Arzt hatte gesagt, sie brauche jetzt absolute Ruhe und Fürsorge. Das sei das allerwichtigste. Am besten zuhause. Vor ein paar Minuten hatte Markus seine Tochter in ihr Bett gebracht. Sie war gleich eingeschlafen. „Meine arme kleine Prinzessin“, hatte er ihr ins Ohr geflüstert.
„Alles wird wieder gut. Papa ist bei dir.“ Dann hatte es an der Tür geklingelt. Markus ging die Treppe herunter in den Flur. Seine Tochter brauchte Ruhe. Und nicht alle halbe Minute Besuch von irgendjemandem, selbst wenn es wieder die Polizei war. Total geschafft und leicht gereizt griff Markus nach der Türklinke. Die Haustür ließ sich nicht öffnen. Er musste in seiner Sorge von innen abgeschlossen haben. Schnell drehte er den Schlüssel zweimal nach rechts und drückte die Klinke herunter. Blitzartig wurde die Tür von außen aufgeschoben, sodass Markus Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Ihm stockte der Atem. Sein Blut pulsierte in seinen Adern, sodass er jeden Herzschlag laut und deutlich wahrnahm. Was er vor sich sah, ließ ihn für einen kurzen Moment dastehen wie ein kleines Kind vor einem Monster oder etwas, das es noch nie zuvor gesehen hat. Hilflos. Hilflos? Das durfte er nicht sein, nicht jetzt, wo seine Tochter all seinen Schutz und seine Fürsorge brauchte. Schnell riss sich Markus wieder zusammen und versuchte, der Situation Herr zu werden. Vor ihm stand Mona. Doch nicht nur das. Langsam hob sie ihre rechte Hand und richtete eine Waffe auf seinen Kopf. Markus erkannte sofort, dass Mona nicht dieselbe wie sonst zu sein schien. Merkwürdig zerzaust waren ihre Haare, diese Jeans hatte er noch nie an ihr gesehen und dieser bitterböse Blick passte überhaupt nicht zu ihr. „Was um Himmels…“ weiter kam Markus nicht. „Schnauze, Arschloch!“, unterbrach sie ihn. Markus erschauderte. Das war nicht ihre Stimme. Niemals. Oder etwa doch?


~ACHT~

„Was ist passiert?“
„Das erklären wir Ihnen später in Ruhe, Frau Mahl, dürfen wir reinkommen?“, fragte Hein freundlich, aber bestimmt.
Sie gingen ins Wohnzimmer, einer kleinen Stube mit altem Fernseher, braunen Möbeln und eingerichtet mit dem Nötigsten. „Setzen Sie sich. Ich bringe Ihnen noch einen Kaffee, es ist zufällig gerade eine Kanne fertig.“
Meier und Hein warteten ungeduldig, bis sie mit zwei Tassen Kaffee zurück ins Wohnzimmer kam.
„Frau Mahl, es ist dringend. Wie wir wissen, sind Sie die leibliche Mutter von Mona Fischer, ist das richtig?“
Sie erschrak. Schon lange hatte niemand sie mehr auf Mona angesprochen. Abgesehen davon, dass sie nicht einmal wusste, dass sie nun Fischer mit Nachnamen hieß. Meier merkte, wie Frau Mahls Gesichtsausdruck sich schlagartig veränderte. Sie schien überrascht zu sein. Und traurig.
„Ja, Mona ist…also war…meine Tochter. Ist was mit ihr?“
„Ihr geht es gut. Sagen wir den Umständen entsprechend. Warum haben Sie Mona nicht behalten wollen, was ist da los in Ihrer Familie, Frau Mahl? Bitte, es ist wirklich wichtig.“
„Also…was soll ich groß dazu sagen? Wissen Sie, ich war noch so jung, ich hatte Alkoholprobleme, der Vater wollte sich nicht um sie kümmern. Das kam alles zusammen. Ich habe mich früh entschieden, sie gleich nach der Geburt abzugeben, ich konnte einfach nicht für sie sorgen. Aber abtreiben lassen kam für mich genau so wenig in Frage. Ich denke heute noch jeden Tag daran, was sie wohl aus ihrem Leben gemacht haben, wie sie leben, wo sie leben. Aber ich glaube, dass sie keinen Kontakt zu mir wollen. Deshalb habe ich mich auch bis heute nicht…“
„…gemacht haben? Keinen Kontakt zu Ihnen wollen? Frau Mahl, sprechen sie in der Mehrzahl?“
„Ja, wieso? Ich liebe sie beide gleich viel, glauben Sie mir. Mona und Nancy sind nie aus meinem Herzen verschwunden. Nur aus meinem Leben. Ich habe sie beide gleichzeitig abgegeben, an unterschiedliche Familien. Sie sollten ein sorgenfreies Leben vor sich haben. Und ich dachte, das geht am besten, wenn ich sie gleich nach der Geburt abgebe. Auch wenn mir das damals wirklich schwer fiel. Immerhin waren es ja doch meine beiden Töchter. Nicht jede Mutter hat das Glück, Zwillinge zur Welt bringen zu können, verstehen Sie? Wollen sie noch etwas trinken?“
Meier und Hein schienen für einen Moment sprachlos.
„Wir wussten nichts von Nancy, Frau Mahl. Ich glaube, Sie haben uns gerade entscheidend weitergeholfen. Das heißt, die beiden sind Zwillinge und wissen gar nichts voneinander? Oder kann es sein, dass nur eine von beiden von der Existenz der anderen weiß? Halten Sie das für möglich?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie Nachforschungen angestellt. Aber wie gesagt, ich habe keinen Kontakt zu ihnen.“
„Das reicht uns. Vielen Dank, Frau Mahl. Wir müssen los. Und Danke für den Kaffee. Sie haben uns wirklich geholfen.“
„Moment! Was ist denn passiert? Geht es meinen Töchtern gut?“
„Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden in den nächsten Tagen noch einmal Kontakt zu Ihnen aufnehmen und Ihnen alles erklären. Alles ok“, rief Hein ihr auf dem Weg nach draußen zu. Beide wollten nur noch eins. So schnell wie möglich zum Haus der Fischers. Wenn es tatsächlich so war, dass Nancy ihrer Schwester bis aufs Haar ähnelte, änderte das alles. Womöglich war nun auch ihre Tochter in Gefahr.


~NEUN~

Nancy drängte Markus langsam weiter in Richtung des Flures und schloss die Haustür hinter sich. Dabei achtete sie darauf, ihn keine Sekunde aus den Augen zu verlieren. Sie drückte ihm die Waffe fest gegen seine Stirn. „Findest du das nicht auch ungerecht?“, fing Nancy an, nachdem einen Augenblick lang ein eisiges Schweigen zwischen ihnen lag. „Mona und ich sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Ich habe immer gewusst, dass ich nicht alleine bin. Und dann hab ich euch gefunden.“
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, versuchte Markus seine Nervosität zu überspielen.
„Ach nein? Bei einer verschissenen Säuferfamilie durfte ich leben. Während Mona alles in ihren Arsch geschoben bekommen hat. Ich hab das selbst gesehen. Ich war ihr näher, als sie glaubt. Wenn sie überhaupt weiß, dass es mich gibt. Ich hab sie all die Jahre beobachtet, seitdem ich rausbekommen habe, wer sie ist. Eine nette kleine Familie habt ihr hier. Bilderbuchfamile, was? Dass ich nicht lache. Wer sagt, dass Mona sowas verdient hat? Hab ich das nicht auch?“
„Wie bitte?“, sprudelte es aus Markus heraus. Mit einem Mal wurde ihm klar, was hier vor sich ging. Er hatte gleich gemerkt, dass etwas mit dieser Frau nicht stimmte, sie Mona nur zum Verwechseln ähnlich sah. Und doch gab es entscheidende Unterschiede. Hatte sie seinen Sohn umgebracht? Aus Eifersucht auf Mona, die ein besseres Schicksal erwischt hatte, als diese Frau? Was konnte seine Familie dafür? Markus konnte seine Wut nicht mehr unterdrücken. Er hatte das Gefühl, sein Herz könnte jederzeit aus seinem Brustkorb herausspringen und ihn zerreißen.
„Jetzt seid ihr eine gebrochene Familie“, redete sie unaufhörlich weiter. Ihr finsteres Lachen durchzuckte Markus‘ Körper. „Bye Bye, Bilderbuch!“Nancy erhob bei diesen Worten bedrohlich ihre Stimme und legte ihren Zeigefinger noch fester auf den Abzug der Pistole.
Markus wurde rasend vor Zorn auf dieses Monster. Komplett außer sich griff er schlagartig mit der rechten Hand nach ihrem Arm, stellte seinen Körper zwischen sich und dieser Frau und schaffte es im Bruchteil einer Sekunde, sie mit einer Drehung zu Boden zu bringen. Dabei riss er ihr die Waffe aus ihrer Hand, sodass ihre Finger kurzzeitig eingeklemmt wurden und ein lautes Knacken zu vernehmen war. Nancy schrie auf, doch Markus schob die Waffe beiseite und setzte sich gekonnt mit den Knien auf ihren Oberkörper, sodass sie keine Chance hatte, sich zu befreien. Seine Fähigkeiten als ehemaliger Kampfsport-Trainer hatten sich also tatsächlich bezahlt gemacht. Etwas erleichterter, aber immer noch rasend vor Wut, schlug Markus mit der Faust gegen ihren Kopf, bis ihre Schreie langsam verstummten und sie ohnmächtig da lag.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall sprang die Haustür auf. Meier und Hein standen mit gezogenen Waffen im Flur und sahen hinunter zu Markus.
„Herr Fischer, hören Sie auf!“, schrien beide fast gleichzeitig. „Es ist vorbei.“, sagte Hein. „Beruhigen Sie sich.“
Sie steckten ihre Waffen weg, halfen Markus, der in Tränen aufgelöst auf der Frau hockte, zu sich hoch und versuchten, ihn weiter zu beruhigen. „Sie ist ohnmächtig“, sagte Hein, der sich zu Nancy heruntergebeugt und vorsichtig ihren Puls abgehört hatte. Er stellte die Schusswaffe sicher, welche sich in der Mitte des Flures befand. „Wir haben Ihr Auto vor der Tür gesehen und den Krach gehört. Wir wussten sofort, was los ist. Beruhigen Sie sich. Sie sind nicht allein.“


~ZEHN~

Zwei Wochen später

„Ich kann mir kaum vorstellen, nächste Woche schon wieder zu arbeiten. Als wäre nichts gewesen“, sagte Mona zu ihrem Mann, als sie alle drei gemeinsam am Frühstückstisch saßen.
„Schatz, ich finde auch, dass du dir zu viel zumutest. Soll ich noch mal mit deiner Chefin…“
„Nein! Du weißt wie viel zu tun ist und ich kann nicht nur rumhocken…“
Mona machte immer noch einen recht verwirrten Eindruck. Die Ereignisse der vergangenen Wochen hatten sie regelrecht aufgefressen. Dennoch versuchte sie sich so wenig wie möglich anmerken zu lassen. Vor allem für ihre Tochter wollte sie jetzt da sein. Lizzy war ihr unter Tränen in die Arme gerannt, als Mona aus der Untersuchungshaft entlassen wurde und nach Hause zurück durfte. Markus hatte versucht, Lizzy alles so schonend wie möglich zu erklären. Und doch wollte er dabei ehrlich sein. Es waren gar nicht viele Worte nötig. Mona sah sofort, wie Leid es ihrer kleinen Tochter tat und sie hatte Verständnis für alles, was Lizzy gesagt oder gedacht hatte. Was musste das für ein Grauen sein für ihre kleine Tochter, den geliebten Bruder vor ihren eigenen Augen sterben zu sehen. Und dann der Schock, die eigene Mutter hinter dem Steuer zu erkennen. Mona machte sich selbst ungeheure Vorwürfe, dass sie nicht früher hinter die Geheimnisse ihrer Familie gekommen war. Dass sie nie wirklich Nachforschungen angestellt hatte. Interesse war schon da, vor allem als Jugendliche. Aber irgendwie hatte sie immer ein wenig Angst, ihre leiblichen Eltern kennenzulernen. Mona wollte den perfekten Schein ihrer glücklichen Kindheit in der Pflegefamilie wahren und auf keinen Fall in Gefahr bringen. Immerhin hatte sie ihre leiblichen Eltern ja auch nie kennengelernt und keinerlei großartige Bindung zu ihnen. Dennoch ging Mona das immer wieder durch den Kopf. Hätte sie es verhindern können? Vielleicht hätte sie sich mit ihrer Schwester anfreunden können, ihr helfen können bei ihrer schwierigen Kindheit. Vielleicht. Aber es kam nun mal anders und es war müßig, jetzt darüber zu spekulieren, was eventuell passiert wäre oder verhindert hätte werden können
.
Lizzy, Markus und Mona hatten in den vergangenen Tagen Zeit, um miteinander das Erlebte zu besprechen, zu trauern und alles halbwegs zu verarbeiten. Wenngleich es kaum gelang. Dennoch spürten sie alle, dass sie von nun an noch mehr zusammenhalten würden. An jedem Morgen nach dem Aufstehen nahmen sie sich alle drei am Frühstückstisch an die Hand und beteten für Max. Sie würden ihn nicht verleugnen, nur um mit dem Schmerz dann besser klar zu kommen. Er würde immer Teil ihrer kleinen Familie bleiben. Ihre Zwillingsschwester, das „Monster“, wie Mona in den vergangenen Tagen immer wieder schluchzend sagte, hatte es zwar geschafft, ihr Max aus den Händen zu reißen. „Doch niemals aus dem Herzen“, das wiederholte Mona so oft sie konnte. Und es tat unbeschreiblich weh.
„Lizzy Schatz, möchtest du noch etwas Cornflakes?“, fragte Mona ihre Tochter liebevoll.
„Ja, gerne.“
Mona schenkte ihr Schokoflakes ein und gab gerade so viel Milch dazu, dass die unteren Cornflakes darin getunkt waren. Ganz wie Lizzy es liebte. Sie dankte es ihrer Mutter mit einem Kuss auf die Wange. Dann ging Mona zurück in die Küche, holte eine Schüssel, einen Löffel und einen Untersetzer aus dem Regal und deckte den Tisch an dem Platz, an dem Max immer gesessen hatte.
„Was machst du da, Mama?“, fragte Lizzy und auch Markus sah Mona erwartungsvoll an.
„Ich decke den Tisch zu Ende. Wir haben vergessen, für Max zu decken. Ist er noch im Bad?“

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Tag der Veröffentlichung: 09.03.2013

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