Zwei weiße Haie zogen gemächlich durch das fast unbewegliche Meer. Die Wasseroberfläche glitzerte in der Sonne und die oberen Schichten des Meeres hatten sich bereits erwärmt. Die Haimutter und ihr Sohn hatten am Vortag einige fette Delfine gefressen, ihre Lieblingsspeise. Die Delfine, die ihnen entgegenschwammen, interessierte sie nicht. Die Haie waren zufrieden.
Die Delfine, denen es ebenfalls gutging, spielten in der Sonne. Ihre Kinder tobten im Wasser und versuchten sich im Springen zu überbieten. Der kleine Hai kannte so etwas nicht, er und seine Mutter waren Einzelgänger.
»Mama kann ich mitspielen?«
Der kleine Hai war fasziniert von den freundlichen Tieren.
Die Haimutter hatte nichts dagegen, auch sie fand die gutgelaunten Wesen regelrecht attraktiv.
Inzwischen hatte der kleine Hai bereits einen Freund gefunden. Ein Delfinjunge in seinem Alter, mit dem er sich im Springen messen wollte. Die Delfine konnten das natürlich besser und lachten ihn anfangs aus. Aber dem Hai machte es trotzdem Spaß und mit der Zeit wurden sie immer vertrauter miteinander.
Am nächsten Morgen mussten beide wieder auf Jagd gehen, die Haie und die Delfine. Es war ihre Natur, sie ernährten sich nun einmal von Fisch.
Der kleine Hai wollte natürlich erst wieder mit seinem Freund spielen, doch seine Mutter ermahnte ihn, dass die Futtersuche lebensnotwendig sei und er noch viel zu lernen habe.
»Genug gespielt, wir holen uns jetzt unser Frühstück!«
»Aber keinen Delfin, bitte Mama!«
»Und was willst Du essen? Auch du hattest Delfine zum Fressen gern.«
Hai-Sohn überlegte, was fressen eigentlich die Delfine?
Na, jedenfalls keine Haie. Die Haimutter konnte ihren Sohn verstehen, den Spielkameraden zu fressen war unmöglich und dessen Familie war in diesem Fall auch tabu.
»Schwimm rüber, frag sie, was sie zum Frühstück nehmen, vielleicht können wir uns anschließen.«
Die Delfine ihrerseits waren froh, dass die Haie nicht angriffen, und erzählten den beiden von riesigen Heringsschwärmen, die sie mit ihrem Sonar erfasst hatten.
»Kommt mit, die schwimmen uns dort direkt ins Maul.«
Und so kam es, dass die beiden Haie kurze Zeit später genauso satt wie die Delfine waren.
Die Haimutter hatte eine Idee. Wenn das so ist, konnten sie die Delfine auch weiterhin verschonen. Sie erzählten den anderen Haifamilien von ihrer Idee, mit den Delfinen einen Friedensvertrag abzuschließen. Diese intelligenten Fische würden die Haie dann zu den Heringsschwärmen mitnehmen und die Kinder könnten auch von ihnen lernen.
Die Delfine waren nicht abgeneigt und so wurde kurzerhand ein Nichtangriffspakt zwischen allen Delfinen und Haifischen geschlossen. Beide Seiten hielten das für eine super Idee ...
Es war ein Jahr vergangen, als den Menschen auffiel, dass sich die Delfinpopulation erfreulich vermehrt hatte. Auch gab es wenig Badeunfälle durch Haie, sie schienen an den Menschen noch weniger Interesse zu haben. Die Haie, die von den Meeresbiologen untersucht wurden, waren gut genährt.
Was ihnen Sorgen bereitete, waren die Schwärme der kleinen Fische, die abnahmen. Und die Wale, die ohnedies die Sorgenkinder der Wissenschaftler waren, sahen nicht gut aus.
Wieder ein Jahr später wurde die Lage dramatisch. Die Anzahl der Haie und Delfine nahm stetig zu, allerdings kamen immer mehr Delfine an die Badestrände, nicht um zu spielen, sondern um zu betteln. Denn nun ging auch ihnen das Futter aus. Und unter den Haien entstand Unfriede. Sie taten sich zu fressgierigen Rudeln zusammen, die sich nun an die seltenen, aber ungeheuer großen Wale wagten.
Die Haie, die sich anfangs noch an den Vertrag, den sie mit den Delfinen geschlossen hatten, hielten, verputzten jetzt alles, was im Meer schwamm und nicht Delfin hieß. Doch die Delfine mussten Hungers sterben, da sie weder kleine Fische fanden, noch mit den massigen Walen fertig werden konnten.
Später gab es keine Wale mehr, keine Meeresschildkröten, keine Kalmare und auch keine Delfine - keine Meerestiere gab es, außer den Haien.
Da wachte der Mensch auf und vernichtete auch diese.
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2020
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