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Adios Deutschland




An einem Tag im September 2011



Einfach sagenhaft, super, geil! Probezeit bestanden, endlich bin ich vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, mal ganz korrekt ausgedrückt.
Alles war toll gelaufen, heute. Wir machten Party, meine Eltern und Freunde gratulierten mir, nur Falk, na ja, er meinte, ich sollte langsam mal an andere Dinge als meinen Job denken. Versteht er mich nicht? Er ist schließlich auch erfolgreich, Ingenieur, verdient gut.
Ich bin nun unabhängig, das ist es, was ich will, kann über mein Leben selbst bestimmen und mein Geld - noch etwas bescheiden, das Gehalt - ausgeben, für was und warum ich will. Und, ich kann durch meine Arbeit anderen eine Freude bereiten, ist doch auch was, oder nicht?
Nun gehe ich schlafen und morgen auf Wohnungssuche, habe nachgerechnet, für eine klitzekleine eigene Bude reicht es. Ach es ist schön.
Gute Nacht, mein Leben …


Weihnachten 2011



Meine Wohnung sieht toll aus, sogar ein kleiner Weihnachtsbaum ist drin, will nur schnell meine Gefühle aufschreiben, ich glaube, so etwas kommt im Leben nie wieder vor. Also, ich habe eingekauft, von meinem eigenen Geld, meine Eltern werden Augen machen, mein kleiner Bruder auch. Gigi, er bekommt die Karte fürs Endspiel. War nicht einfach die zu bekommen, zusammen mit dem Fan-Zubehör. Jetzt muss ich das Abendessen vorbereiten, Falk kommt leider nicht. Gut, ich kann ihn verstehen, seine Mutter ist alleine und ich habe das Gefühl, ich bin nicht gerade ihre Traumschwiegertochter.
So haben wir beschlossen, dass er Heiligabend bei ihr bleibt. Wir können noch so viel Zeit miteinander verbringen, ich sehe es locker.
Oh, es riecht gut, das hatte ich vergessen zu schreiben, eine super Küche habe ich auch. Aber noch mal zum Mitschreiben - ich werde keine Hausfrau!



An einem Tag im Januar 2012



„Und du fühlst dich wohl, so alleine in deinen vier Wänden?“ Mutter dachte wieder mal an ihre Jugend zurück, auch sie hatte gearbeitet, als Verkäuferin in einem großen Modegeschäft. Auch sie hatte viel Spaß an ihrer Arbeit, aber als dann der „Richtige“ kam, hatte der Job keine Bedeutung mehr für sie. Eine eigene Wohnung als junge Frau war damals undenkbar. Ich kann mir so ein Leben nicht vorstellen.
Jedenfalls, Vater konnte sich nicht genug freuen, dass seine Tochter einen so gut bezahlten Job bekommen hat und alleine so gut zurecht kommt.
Weihnachten war toll gewesen, alle hatten sich über die Geschenke gefreut, nur das von Falk liegt noch hier. Ein Buch über Architektur in Spanien, was er sich immer wieder im Internet angesehen hatte. Aber wir haben uns seit Weihnachten nicht mehr gesehen, ich musste zwischen den Feiertagen arbeiten und Sylvesterfotos für meine Zeitung schießen.
Das war der Hit, überall kam ich mit meinem Presseausweis rein, meine Fotos waren schnell gemacht, ich tanzte und lernte viele neue Leute kennen. Jetzt merke ich erst, wofür ich mich die letzten Jahre geschunden habe.
Falk hat gerade angerufen, er möchte mit mir endlich über unsere Zukunft sprechen. Aber erst, wenn ich mal mehr als drei Stunden Zeit für ihn habe.
Ja, ich weiß, die Kehrseite der Medaille …


Ende Januar 2012



Der Alltag zieht ein, ich bin verzweifelt, die Bilder von Sylvester, na, ja, sie haben einige genommen, aber der Hit war’s nicht. Ich habe mich auf gut deutsch ausgedrückt, blamiert. Und das, nachdem man uns gesagt hat, dass die Mittel für unsere Zeitung gegen Null gehen und wir uns alle um Kunden kümmern sollten. Ja, soll ich nun Klingel putzen gehen? Ich möchte meine Scharte auswetzen, und zwar mit guten, nein, supergeilen Bildern. Aber doch nicht in diesem Nest hier. Wenn ich die Nachrichten höre wird mir schlecht. Wie zu Teufel soll ich bei diesem Job zu einer Familie kommen. All das, was ich in letzter Zeit von Falk und meiner Mutter so unterschwellig vermittelt bekam, höre ich täglich zunehmend in den Medien. Familie, Kinder und vor allem, der Job. Der Staat steckt sich die Hälfte meiner Arbeitsleistung in die Tasche und mit dem Rest soll ich noch Kinder groß ziehen. Bei Falk und mir kriselt es zunehmend, nee, vielleicht noch alleinerziehende Mutter? Nicht mit mir. Ich möchte erst noch was von der Welt sehen. Mit meinen einunddreißig Jahren war ich gerade mal auf Malle und in Griechenland. Zu mehr hat’s nie gereicht. Ich geb mir weiter Mühe in meinem Job, was mir an Erfahrung fehlt, versuche ich mit Überstunden wett zumachen. Meine Wohnung sehe ich kaum noch, die Küche ist verdreckt …



März 2012



Die Krise hat voll zugeschlagen, ich bin arbeitslos.
Von Falk habe ich mich getrennt.
Meine Eltern haben mir angeboten, wieder nach Hause zu ziehen und einen anderen Job anzunehmen, so in der Richtung Verkäuferin oder ähnliches.
Auf dem Arbeitsamt, ich konnte es nicht fassen, zum Teufel, ich denke, die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen? Die Schlange nahm kein Ende und als ich dran war, wurde ich nur mit Allgemeinplätzen abgespeist. Ich sollte mich bemühen, hätte ja eine gute Ausbildung und Abitur, ach, das wird schon, ich soll mich nach den Angeboten vom Arbeitamt erkundigen.
Hab ich, für mich gibt es keine. Das war’s.
Meine Wohnung habe ich behalten, lieber esse ich nichts mehr …


Ende Mai 2012



Kein Job in Sicht, ich versuche Bilder übers Internet zu verkaufen, meine Eltern haben mir einen Kredit für die Miete gegeben und Falk ist auch wieder da. Wieder das alte Thema. Heiraten und Familie gründen. Und ich bin nicht weiter als vorher. Ich denke, ich liebe Falk. Er liebt mich auch, ich fühle es, aber er ist ein Spießer. Er denkt, wenn er genug verdient und wir uns einschränken, können wir es schaffen. Ja, was schaffen, Kinder, aber kein Geld für die Ausbildung. Keine Urlaubsreise, ich in Harz 4? Und wenn alles schief geht, sitze ich mit den Kindern alleine da. Nein! Draußen scheint die Sonne, ich ziehe die Vorhänge zu und hole meine Bücher aus dem Regal, von wegen Harz 4, ihr könnt mich mal …



Ende 2012



Meine Aufzeichnungen sind lückenhaft, ich weiß, ich hatte keine Lust den allgemeinen Wahnsinn aufzuschreiben.
Aber:
1. Ich bin ein guter Staatsbürger – ich bin flexibel, lernfähig und nicht faul, habe in dieser Zeit die dänische Sprache gelernt.
2. Ich habe mich von Falk endgültig getrennt, er hätte ja mit nach Dänemark kommen können, dort gibt es Arbeit noch und nöcher und da geht es auch mit Kindern.
3. Meine lieben Eltern, tut mir leid, aber für’s Nichtstun bin ich nicht geboren und als Hausfrau zu schlecht. Dafür sind meine Bilder jetzt top und in Dänemark wird so etwas honoriert. Wenn ich mich dort eingelebt habe, will ich meinen kleinen Bruder unterstützen, er steht hinter mir und lernt jetzt schon die dritte Fremdsprache, Spanisch. Er möchte gerne nach Südamerika. Er meint, da gibt’s genug zu tun und das Land ist eine Herausforderung. Und wenn auch das Geld dort nicht auf der Straße liegt, für die Hilfe gibt es wenigsten Anerkennung.
4. Meine liebe „noch-Regierung“, schaut euch mal um, wäre es nicht an der Zeit, einen Rettungsschirm für die eigene Jugend aufzuspannen? Sonst habt ihr nämlich keine mehr!
Adios, Deutschland!

Zurück zum Leben


Alles größer, schneller, höher.
Die Zeit ist knapp, du musst alles erreichen, in einem Leben.
Mit fünfzehn solltest du mindestens dein eigenes Haus mit großem Grundstück besitzen, als Grundstock für weitreichende Unternehmungen.
Du musst unabhängig von anderen sein.
Spätestens mit achtzehn solltest du nicht mehr selbst arbeiten, du darfst schließlich den Überblick über deine Konten, Immobilien und Unternehmen nicht verlieren. Du musst deine ganze Energie aufbringen, dass, was du dir geschaffen hast auch festzuhalten. Flexibel sein, unkonventionell.
Mit zwanzig brauchst du Zeit für deinen persönlichen Psychiater und mit fünfundzwanzig fragst du dich, was der ganze Scheiß soll …

Also packst du deine Sachen und zwar die, die du noch nie im Leben gebraucht hast, stellst deinen Ferrari in einer Facebookparty zum Verschenken auf die überdimensionale Theke und schaust das Ergebnis in der dunkelsten Kneipe auf einem Röhrenfernseher in s/w an.
Dann begleichst du die Rechnung von Polizei und Feuerwehr, vermachst einer dunkelroten Partei dein Vermögen und deine Immobilien (mit Sicherheit wirst du kurz danach nichts mehr von ihnen hören) und trampst irgendwohin. Wohin ist egal, es sollte jedenfalls keine größere Stadt in der Nähe sein. Vorzugsweise nach Bayern, da kannst du erst mal in einem Heustadel übernachten.
Such dir einen Job, den bekommst du dort allemal. Zu blöd solltest du dich nicht anstellen, das mögen die nicht. Sollte es dir gelungen sein, zum Beispiel in einer Kneipe einen akzeptablen Wurtsalat in angemessener Zeit hinzukriegen oder einen Obatzter und dir als eingefleischtem konfessionslosen Antichrist beim Stammtisch einer der „CDSU Parteien“ einen Platz am Ofen zu ergattern, ist dir ein lebenswertes Dasein gesichert. Du legst dir einen Hund zu und verbringst deine Freizeit an der frischen Alpenluft.
Wohne am besten in einem umgebauten Stall, wo du dein Schei…haus an die örtliche Biogasanlage anschließen kannst. Damit schlägst du Gazprom, Putin und auch den Grünen gleich ein Schnippchen.

Und kümmere dich ja nicht um den Rest der Welt, sie kümmert sich schließlich auch nicht um dich.

Impressum

Texte: jutta_s
Bildmaterialien: Johan van Nieulande
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2012

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