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In diesem Buch werden wechselweise
meine makaberen Kurzgeschichten vorgestellt,
die für einen Sampler vorgesehen sind.
Die Mission der kleinen Bratwurst
Da lag sie nun, die kleine Bratwurst, eingepfercht, zwischen all den anderen Würsten. Es war dunkel in dem Behälter und das Tuscheln um sie herum wurde lauter. Ganz unten lagen einige Schinken, die sehr vornehm miteinander taten. Schließlich waren sie schon älter als alle anderen hier und wußten viel von der Welt da draußen zu erzählen.
Der Behälter rumpelte auf dem Pferdekarren. Wo die Reise hingehen sollte, hatte die kleine Bratwurst noch nicht erfahren. Obwohl sie noch sehr jung war, war sie sehr wissbegierig und schnappte alles auf, was um sie herum geredet wurde.
Und so war sie stolz auf ihre Bildung. Zudem, sie hatte, wie sie längst wußte in einer der besten Fleischereien am Ort, eben das Licht dieser Stadt erblickt.
Sie war mit größter Sorgfalt zubereitet und die feinsten und kostbarsten Gewürze aus exotischen Ländern tummelten sich unter ihrer Haut. Und selbst diese war zart und edel.
Vor Spannung reckte die kleine Bratwurst eines ihrer Enden, aber sie konnte noch nichts erkennen, hörte nur das Gemurmel der ehrwürdigen Schinken.
Dabei hielt sie es kaum aus, hier in diesem engen Käfig und sie fragte sich schon die ganze Zeit, auf wessen Tisch sie wohl landen würde.
Sie fühlte sie zu einer hohen Aufgabe berufen, da war es wichtig wem man diente.
Vielleicht einem Pilger, dem sie Kraft geben konnte, wenn er in ferne Lande zog. Oder einer armen Frau, die gerade unter schlimmen Schmerzen ein Kind geboren hatte, vielleicht sogar Zwillinge und die erschöpft in ihren Laken lag. Ihr guter Mann würde seiner Frau die beste aller Bratwürste reichen und somit kam die Frau schnell wieder auf die Beine.
Aber während die Bratwurst so überlegte, fiel ihr ein, da sie doch selber aus hohem Hause stammte, sich im innersten ihres Herzens sogar blaublütig wähnte, und ihre Herstellung eine langwierige und teure Prozedur bedeutete, lag es näher in einem gut betuchten Haus den kurzen Lebensabend zu verbringen.
Aber wo mochte das sein? Vielleicht bei einem der reichen Patrizier? Oh, vielleicht sogar bei den vornehmen Overstolzens. Die waren in der ganzen Stadt bekannt und die kleine Bratwurst malte sich aus, wie sie zwischen silbernen Kerzenleuchtern und auf edler Tischwäsche kredenzt würde.
Da kam ihr plötzlich in den Sinn, vielleicht landete sie ja sogar beim Klerus, wenn nicht gar bei Konrad von Hochstaden selber, dem Erzbischof von Köln. Davor graute ihr, da der Erzbischof doch als fieser Möpp bekannt war, der auch nicht davor zurückschreckte, seine Gegner einzukerken oder ihnen sogar den Garaus zu machen.
Der Erzbischof war allerdings mit den vornehmen Patrizierfamilen verfeindet, da er sie vor langer Zeit schon ihrer Schöffenämter beraubte hatte. Nun ersetzten Schöffen aus den Handwerkerzünften diese Plätze. Ja, dachte die Bratwurst, ein Handwerker wäre auch nicht schlecht, alles gerne, nur nicht dieser Konrad von Hochstaden.
Schließlich sollte ihr Amt eine hochwichtige Sache werden.
Das Rumpeln des Pferdekarrens hörte plötzlich auf. Waren sie schon am Ziel?
Das Gefäß mit den Würsten und Schinken wurde geöffnet und die Leckereien auf einem Tisch verteilt.
Die kleine Bratwurst blinzelte in die Sonne, dann sah sie sich um. Viele Menschen rannten geschäftig umher, von überall her dröhnten Geräusche, hämmern, sägen und poltern.
Ein unverschämtes Lachen drang plötzlich zu ihr. Da hockte sie, die kleine Gruppe mit roten Wangen dicht beeinander, in einem hübschen Weidenkorb. Und sie kicherten. „Wo kommen die denn her?“
Der größte der Schinken schüttelte sich pikiert. „Was reißt ihr eure Mäuler so auf. Wir kommen aus einer der besten Schlachtereien aus Köln. Da brauchen wir uns nicht zu schämen. Ihr unverschämtes, arrogantes Äpfelpack.“
Ein paar Nussküchlein, die auf einer silbernen Platte lagen, freuten sich hämisch über den beginnenden Streit.
„Dämliche Schinken und dämliches Brät.“, sagte der größte der Äpfel. „aus dummen Schweinen gemacht, die auf der Erde herumschnüffeln, und im Dreck wühlen.“
Die kleine Bratwurst lauschte empört, schließlich fühlte sie sich zu etwas ganz großem berufen. Den frechen Äpfeln wollte sie es noch zeigen, bald schon, sehr bald.
Die anderen Äpfel lachten laut. „Ja sie sie dir an, die armseligen Schinken und Würstchen. Wir hingegen sind hoch auf den Bäumen gewachsen, dem Himmel so nah.“
„Nichts als Bauertrampel seid ihr.“, erwiderte der Schinken.
„Ja,“, entfuhr es der kleinen Bratwurst verärgert. „Und die Äpfel wachsen so hoch, dass sie den ganzen Tag nur ihresgleichen zu hören kriegen und nur ihresgleichen kennen. Sie haben ja keine Ahnung von den großen Dingen, die so auf der Welt geschehen.“
„Altkluges Würstchen.“, sagte der große Apfel. „noch so jung, und schon solche Reden schwingen. Aber Hochmut kommt vor dem Fall.“
„Bei euch bestimmt.“, mischte sich der Schinken wieder ein. „Ihr mit euren roten Backen, seht so verheißungsvoll aus. Und wenn man in euch hineinbeißt, zieht sich einem schon beim ersten Bissen der Gaumen zusammen. So sauer seid ihr, und ihr knirscht bestimmt wenn man euch kaut. Wahrscheinlich liegt ihr einem noch tagelang schwer im Magen.“
Der große Apfel grollte. „Passt nur auf, dass ihr nicht bitter schmeckt. Sonst wirft man euch nachher noch den Hunden vor.“
Die anderen Äpfel lachten hämisch. „Am besten dem Hund von Erzbischof.“
Was, dachte die kleine Bratwurst erschrocken, sind wir etwa direkt vor dessen Füße gerollt? Aber, als sie die geschäftige Baustelle näher betrachtete, dämmerte es ihr langsam. Fassungslos starrte sie auf die schon hochgezogenen Mauern.
Dem Himmel so nah, dachte die kleine Bratwurst. Hier wird ein Dom gebaut, der wirklich in den Himmel reichen soll. Dagegen sind diese eingebildeten Äpfel die kleinen Würstchen.
Sie entsann sich genau, Konrad von Hochstaden hatte die Absicht ein Werk bauen zu lassen, dass alles bisher dagewesene verblassen lassen sollte. Der alte Dom sollte durch einen neuen ersetzt werden. Deshalb waren hier die vielen Steinmetze, Schmiede und Zimmerleute. So sollte der Dom in dem neuen Stil der nordfranzösichen Königskathedralen erbaut werden. Aber noch impoanter, noch höher und noch eleganter. Ja, das hier war bei weitem der beste und vornehmste Platz in Köln, wenn nicht gar im ganzen Lande.
„Da ist er, da ist er!“, riefen ein paar der Handwerker.
Die kleine Bratwurst lauschte genauer hin, was der Steimmetz, dicht vor ihrem Tisch gerade seinem Lehrjungen zuflüsterte. „Welch Unglück, der Dombaumeister befindet sich in einer Schaffenscrisis. So wird der Teufel wohl doch noch seine Wette gewinnen.“
Alle sahen plötzlich in die Höhe. Und da stand er, hoch oben auf dem Baugerüst, Meister Gerhard. Er war ein stattlicher Mann und sein Haar wehte im Wind. Die kleine Bratwurst seufzte und war sofort in Liebe entbrannt. Sie verfolgte jede Bewegung des Meisters. Er machte einige Schritte zu der neuen Mauer hin, sein Fuß verfing sich in den dort liegenden Gerätschaften.
Oh, seid vorsichtig, bei eurem Tritt, dachte die kleine Bratwurst, ihr wurde Angst und bange als er weiterwanderte.
Oh Meister Gerhard, dachte sie, wenn ich euch nur helfen könnte. Auch wenn der Meister an bedeutenden französischen Bauten beteiligt gewesen war, und viel von der großen Welt gesehen hatte, ob dem Teufel damit beizukommen war?
Die kleine Bratwurst wurde traurig, als sie an das Gerücht über die unselige Wette dachte, dass sie schon in der Schlachterei gehört hatte. Der Teufel wolle eine Wasserleitung von Trier nach Köln schneller bauen, als Meister Gerhard den Dom fertigbrächte.
Und da des Meisters Gemütszustand im Moment auf einem Tiefpunkt war, sah es nicht gut für ihn aus.
Nein, der Teufel durfte nicht gewinnen, auch wenn ich nur eine kleine Bratwurst bin, muss ich etwas tun, nun kenne ich mein Amt, meine Aufgabe, meine Mission!
Ja, sie wollte dabei sein, mitten in Meister Gerhards Körper, dieses wundervolle Werk mitverfolgen in seinen Blutbahnen, seine Arme und Hände kräftigen, sein Hirn mit Nahrung versorgen und durch seine Augen sehen können.
Dann kam ihr eine tollkühne Idee. Sie müsste dem Meister zugeführt werden, mit etwas ganz besonderem dabei. Exotische Feigen aus dem Orient, es klang ihr zu banal. Auch der kostbare syrische Zucker passte nicht so ganz in ihre Vorstellungen. Es musste etwas sein, das die Sinne schärfte, belebte und einen wahren Schaffenstaumel hervorrief.
Die kleine Bratwurst grübelte um eine Idee, aber alleine konnte sie es nicht bewerkstelligen, es musste ein Wunder geschehen.
Zu dumm, dass sie keine Hände besaß, um eine Kerze anzuzünden. So blieb ihr nur das stille Gebet. Oh Herr daoben, lass ein Wunder geschehen, betete sie inbrünstig.
„Beste Qualität.“, hörte sie plötzlich eine Stimme. “Beste Qualitär.“
Sie konnte einen fahrenden Händler ausmachen, der etwas weiter entfernt seine Ware auf einem kleinen Karren feilbot.
„Kleine Kostprobe gefällig?“, fragte der Händler in die Runde. Die Handwerker hielten inne, ganz froh über die kleine Pause und umringten den Fremden.
Der Lehrjunge langte kräftig zu. „Oh, ist das scharf.“, keuchte er. Ihm schossen die Tränen aus den Augen.
Ja ...., dachte die kleine Bratwurst begeistert, dass muss ein feines Zeug sein, nicht süßlich, nicht verwässert, oder in die Länge gestreckt. Purer Genuss und wohl scharf wie das Schwert eines Kreuzritters. Und genau das würde Meister Gerhards Sinne beleben, damit der Dom zu Köln noch schöner wurde.
„Wo kommt das Zeug her?“, fragte der Lehrjunge.
Der Händler grinste breit. „Aus den Landen, die man hier nicht ausspricht.“
Wie exotisch, dachte die kleine Bratwurst, das muss etwas ganz besonderes sein und es muss von ganz weit her kommen, aus einer Gegend, die für die Kölner so gut wie unerreichbar ist.
Mein Gebet wurde erhört, dachte sie dankbar. Und mit genau dieser exquisiten Sauce wollte sie sich vereinen, um Meister Gerhard einen Hochgenuss zu bescheren und ihn zu grandiosen Leistungen zu beflügeln. Und sie betete wieder, dass, das Unmögliche möglich wurde.
Tatsächlich, der Steinmetz hieb dem fahrenden Händler auf die Schulter. „Wohlan, gebe er uns ein paar seiner Tiegelchen, die Rechnung zahlt der Kölner Klerus.“
Der Händler zog misstrauisch eine Augenbraue in die Höhe. „Kann man dem trauen? Besser nicht. Zahlt sofort, oder es wird nichts aus unserem Geschäft.“
Der Steinmetz wackelte mit dem Kopf. „So sei es drum. Da eure Ware eine ganze besondere ist, strecke ich die Münzen vor. Meister Gerhard wird begeistert sein. Und es wird ihm vortrefflich munden.“
„Bringt die Äpfel zum Erzbischof.“, rief jemand. Die kleine Bratwurst grinste, während sie sich auf dem Rost suhlte und meinte bald platzen zu müssen, so heiß war es. Danach bestrich der Lehrjunge sie mit der exquistiten Paste und sie spürte das Kribbeln am ganzen Körper.
Und dann erschien Meister Gerhard auf der Baustelle, direkt am Tisch.
Die kleine Bratwurst seufzte und versuchte, besonders hell zu strahlen. Und ja, er ergriff sie mit seinen feinfühligen Fingern, die zu solch wunderbaren Kunstwerken fähig waren und er nahm den ersten Bissen.
Seine Augen verdrehten sich, dann blickte er den Händler verwundert an. „Was ist das für eine Köstlichkeit? Besseres habe ich nie probiert.“
Der Händler grinste wieder. Dann flüsterte er dem Meister zu. „Die Tunke ist wohl etwas besser als man sie hiererorts macht.“
Meister Gerhard nickte. „Um Klassen besser. Zu unserem hiesigen Brät vortrefflich. Ich rate mal, zerriebene Körner, einige Gewürze dazu. Es inspiriert mich geradezu zu großer Schaffenskraft. Schon beim ersten Bissen kam mir jetzt eine hervorragende Idee zu ......“
Während die kleine Bratwurst Stück für Stück in des Meisters Magen verschwand, packte der Händler seine mittlerweile prall gefüllte Geldkatze ein. „Meister Gerhard ich wünsche euch all das beste für diesen geplanten Dom zu Köln. Ich habe das Gefühl, es wird einer der herrlichsten Bauten auf der ganzen Welt.“
Meister Gerhard lächelte glücklich. „Wozu mich die kräftige Bratwurst und eure vortreffliche Tunke noch beflügelt. Sagt, wo kommt diese geheimnisvolle Tunke her?“
Der Händler ergriff seinen Karren. „Wie ihr wohl schon festgestellt habt, es ist ein ganz besonderer Mostard. Und dieser Senf, ....... kommt aus Düsseldorf.“
Texte: Makabere KurzgeschichtenCover & TexteGabriele Seewald
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2010
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