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Schwarz wie Eibenholz




Apothecarius Frowin Bernheimer drückte den Handrücken gegen seine schweissnasse Stirn. Auch die salzige Seeluft auf dem Segelschiff konnte die Erinnerung an London nicht vertreiben. Vor sich sah er die lodernden Flammen, die das Haus ergriffen hatten und schon am Giebel leckten. Und Joanna, in ihrem versengten Nachtgewand, die gellend durch die dunkle Nacht nach ihrem Ziehvater schrie.
Frowin war an ihr vorbeigerannt und hatte nach dem Alten gesucht, ihn im letzten Moment vor einem stürzenden Hausbalken aus der brennenden Apotheca gerettet.
Am Morgen fanden sie nur noch Trümmer. Der Alte wühlte im Schutt und packte hier und da ein unversehrtes Utensil in seine Gewandfaltentasche. Frowin wollte ihn nicht daran hindern. Er sah das Leid seines Onkels und wie sein Verstand begann, sich aufzulösen.
Sie waren bei Nachbarn untergekommen. Und an einem der nächsten Abende hatte Frowin den Onkel leblos in der Gastkammer gefunden. Sein Kopf lag auf einem Tischchen inmitten seiner geretteten kargen Schätze aus der Apotheca. Frowin musterte die Fläschchen mit Kennerblick. Eines der Mittelchen, in zu hoher Dosis eingenommen, besorgte sogar einem Mann wie einem Baum einen Platz im Jenseits. Der Alte hatte es nicht verkraftet, sein Lebenswerk, dass er irgendwann an Frowin weitergeben wollte, vernichtet zu sehen.
Er wollte nicht mehr, ohne seinen Lebenssinn, welcher die Apotheca gewesen war.
Weder Joanna noch Frowin hatten die Mittel, das Haus wieder aufzubauen. Als der jüngste Nachbarssohn um Joanna freite, gestattete Frowin, an ihres Ziehvaters statt nun ihr Vormund, die Vermählung mit Ymbert.
Frowin wusste Joanna gut versorgt. Ymbert gehörte einer Londoner Gilde an und ging mit seinen Brüdern einem einträglichen Handwerk als Tuchmacher nach.


Ymberts Familie betrieb regen Handel mit dem Festland. Und hatte deshalb Frowin durch die Englandfahrergesellschaft, die in London ihre Handelschiffe bestückten, eine Passage auf einer Hansekogge vermittelt.
Selbst nach der Enthauptung Störtebekers und der Einnehmung des Hauptpiratenquartiers in Emden kam es hin und wieder zu Überfällen auf See.
Aber das Schiff erreichte unbeschadet die Elbe und Frowin atmete an Deck tief die Luft ein. Er war wieder auf dem Kontinent, den er vor vielen Monaten verlassen hatte. Aus dem Gehilfen war unter der Sachkenntnis des erfahrenen Onkels in London ein geprüfter Apothecarius geworden.
Während die angelieferte Fracht entladen wurde, trat Frowin an Land. Er besaß noch genug Münzen, um nach Ulm zu seinem Vater zu kommen. Und vielleicht fand er auf dem Weg eine Apotheca, in der er sich als Helfer verdingen konnte.
Er machte sich auf durch die Hamburger Straßen, um ein paar Vorräte zu besorgen. Nachdem er eine Kerze in St. Jacobi gestiftet hatte, riet ihm dort ein Pilger zu einer billigen Unterkunft am Jacobsweg. So wanderte Frowin zu einem der Stadttore hinaus, auf der Suche nach der Herberge. Von dort aus wollte er sich einer Reisegesellschaft anschließen.


Aber auf dem ausgetretenen Weg war ringsum nur Wald, durchsetzt mit wenigen Feldern. Frowins Blicke suchten nach einem Quartier, nach Wärme und einem Lager. Vielleicht konnte er auf einem Gehöft im Stall unterkommen. Irgendein Dach über dem Kopf, da es nach Regen aussah. Die Dämmerung wich langsam der Dunkelheit und Frowin überlegte, ob er sich für heute Nacht unter einen Baum legen sollte, als er den hellen Schein an einer Baumgruppe entdeckte.
Vielleicht das Licht einer Hütte, aber als er näher kam, war es das Feuer eines Lagers. Vielleicht eine Pilgergruppe, der man sich anschließen könnte, dachte Frowin.
Merkwürdig, dass niemand da war. Dabei ließen die vielen abgenagten Hühnerknochen auf mehrere Lagerer schließen.
Frowin sah die Burschen erst, als er gleichzeitig das Rascheln hörte. Dann schossen sie aus den Büschen hervor. Frowin registrierte die drei auf einen Blick. Der Dickste, sein hagerer Kumpan und ein Kleiner.
„Ihr habt es gesehen, Freunde.“, hechelte der Dicke. „Der Mann ist alleine. Keiner in der Nähe.“
Im Schein des Lagerfeuers wirkte das russige Gesicht des Mannes teuflisch. Sein Grinsen zeigte seinen einzigen Vorderzahn.
Wie dumm war ich, dachte Frowin erstarrt, sich an das Lagerfeuer von Fremden heranzuwagen.
„Heda, auch wenn das junge, schwächliche Goldlöckchen zerupft aussieht, der hat bestimmt mehr in den Taschen als wir.“, lachte der Hagere.
Frowin spürte augenblicklich den harten Faustschlag in der Magengrube. Während er einknickte, schlug ihm der Kleine mit einem Knüppel auf die linke Schulter und dann mit aller Gewalt die das Kerlchen hatte, vors Kinn. Frowin sah Sternchen.
Der Dicke zerrte ein langes Messer unter seinem verdreckten und verschwitzten Hemd hervor. „Und jetzt mache ich ihm den Garaus. Wozu ist der noch nütze, höchstens um uns an den Galgen zu bringen.“
So sieht es also aus, wenn das letzte Stündlein geschlagen hat, dachte Frowin. Hier konnte ihm niemand mehr helfen.
Während der Hagere und der Kleine ihn an den Armen festhielten, kam das Messer näher, immer näher. Die scharfe Spitze setzte an seiner Halsschlagader an.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Frowin plötzlich den dunklen Schatten, der auf den Dicken zusprang und ihn mit seinem Schwung auf den Boden riss. Das lange Messer traf klirrend gegen einen Baumstamm.
„Harmlose Reisende am Wegesrand überfallen. Das hab ich gerne.“, brüllte der Fremde.
Während Frowin sein Blut auf der Lippe schmeckte, sah er staunend, wie der „Schatten“ Fausthiebe und Knüppelschläge verteilte. Und er traf immer. Den Dicken unters Kinn, seinen Kumpan auf die Nase, so dass sofort Blut heraus schoss.
Und der Kleine erntete noch einen Tritt in den Hintern. Dann rannten die drei wie von Furien gehetzt den Weg entlang. Bevor die Dunkelheit sie vollends einsaugen konnte, sprangen sie wie auf ein Kommando ins Gebüsch.
Frowin blinzelte den Fremden an, dessen lockiges schwarzes Haar bis auf die Schultern fiel.
Der Fremde hieb Frowin auf die lädierte Schulter. „Kommt, laßt uns unsere Bekanntschaft mit einem kühlen Trunk besiegeln. Ich kenne einen Platz, da könnt Ihr sicherer übernachten.“
Frowin hatte durch den Kampf die Orientierung verloren und wollte in die falsche Richtung gehen.
Der Schwarzhaarige griff sanft an seinen Kragen. „Nicht da lang. Wir könnten erneut auf solche Gesellen treffen. Ihr kennt Euch hier nicht aus?“
„Ich war noch nie in dieser Gegend. Zudem, ich bin gerade mit dem Segelschiff aus London gekommen.“ Frowin hatte das Gefühl sich vorstellen zu müssen. „Frowin Bernheimer, Apothecarius, gebürtig aus Ulm.“
Der Schwarzhaarige lachte laut. „Ein Apothecarius. Nun denn, Ihr kennt wohl die Welt Eurer Kräuter. Wahrscheinlich habt Ihr zuviel mit dem Weibsvolk zu tun. Frauenleiden kurieren. In der Verteidigung aber seid Ihr eine Niete.“
„Ihr dafür umso besser.“, röchelte Frowin.

Das Schild über dem Eingang des Wirtshauses zeigte einen Schwan, obwohl es von drinnen eher nach betrunkenen Ebern klang.
„Ich kenne die Spelunke.“, sagte der Schwarzhaarige. „Auch wenn es raue Gesellen sind. Keine Sorge, die kennen meine gezielten Faustschläge nur zu genau.“
Er bugsierte den verwirrten Frowin hinein in die Wärme und schob ihn auf eine Bank am Tisch. Dann setzte er sich daneben.
Der Wirt kam sofort mit einer Kanne Bier, Brot und Käse.
„Wolff Anram, machst du hier wieder die Gegend unsicher?“
„Im Gegenteil, sicherer.“, lachte der Schwarzhaarige.
Im flackernden Licht der Kienspäne betrachtete Frowin seinen Retter genauer. Er mochte einige Jahre älter sein als Frowin, war kräftig, hatte breite Schultern und sehnige Hände. Er ist natürlich kein Schreiber, dachte Frowin, vielleicht ein Waffenschmied. Warum ihm ausgerechnet Waffen zu diesem Mann einfielen, war auf den ersten Moment ihrer Bekanntschaft zurückzuführen.
„Wo geht es diesmal hin?“, fragte der Wirt.
Wolff Anram kaute nachdenklich. „Gen Süden. Wo man mich braucht, gehe ich zur Hand. Schließlich biete ich meine Dienste an.“
„Als Soldknecht?“, rutschte es Frowin heraus. Er konnte es nicht verhindern, dass ihn der Fremde an Kampffelder erinnerte.
Wolff machte eine unwirsche Handbewegung. „Das ist mir nicht mehr einträglich genug. Aber, laßt uns bei meinen neuen Geschäften zusammentun, was habt Ihr zu verlieren?“
Wozu ihn der Fremde brauchen konnte, war fraglich. Frowin lachte verdrossen. „Wir sind ein feines Pärchen. Ich ein Apothecarius ohne Apotheca, Ihr ein Soldknecht ohne Auftrag. Wo soll das noch enden?“
Wolff Anram hob seinen Becher. „Dort wo man tanzt, frisst und trinkt. Und Münzen für mich springen läßt. Und ohne Auftrag, da täuscht Ihr Euch, bin ich nicht. Mein Geleitdienst ist erforderlich. Die edle Dame reitet ihrem Glück entgegen. Es besteht aus einem gebrechlichen und zahnlosen Mann. Aber immerhin besitzt er eine Burg und reichlich Ländereien. Das Brautgeleit wird gut entlohnt. Der Alte möchte sie sicher wissen.“
„Warum wählt Ihr mich zur Begleitung aus? Ich kann Euch kaum zur Verteidigung nützen.“
Wolff seufzte. „Ich wüsste Euch nicht gerne wieder zusammengschlagen und zerschunden mitten im dunklen Wald. Auf so ein Bürschchen muss man aufpassen! Zudem, die edle Dame ist recht kränklich. Und falls sie ein Zipperkein plagt, könnt Ihr sie kurieren.“
Das klang einleuchtend für Frowin. „Wann soll es losgehen?“
„Ihr habt Glück, Apothecarius.“, sagte Wolff. „Einen Tag später und Ihr hättet das Nachsehen. Wollt Ihr Euch uns anschließen, so trefft mich Morgen in aller Frühe wieder hier vor dieser noblen Herberge.“


Wie es weitergeht, ist demnächst in meinem Sampler
"Apothecarius Frowin Bernheimer" zu lesen


Impressum

Texte: Cover, Illustrationen & TextCopyright: Gabriele Seewald
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

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