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Das Abteil



Leises Gemurmel dringt aus dem Abteil, welches jedoch von dem Rattern des Zuges fast übertönt wird. Zwei Männer sitzen dort, gekleidet in Nadelstreifenanzüge, die Melonen auf die Haken gehängt. Drei große, lederne Koffer mit silbernen Schnallen liegen in der Gepäckablage, dazu kommt noch ein abgenutzter Geigenkoffer. Auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen steht ein Flasche Wein, welche die beiden bereits zur Hälfte geleert haben. Langsam öffnet sich die Schiebetür und ein hochroter und verschwitzter Kopf taucht auf. „Fahrkartenkontrol...,“ setzt der Schaffner an, doch als er die beiden erblickt, verschwindet er ohne ein weiteres Wort. Das leise Gespräch geht weiter, vielleicht so fünfzehn Minuten, als sich die Tür erneut öffnet. Zwei junge Männer in abgetragenen, wattierten Jacken betreten das Abteil und schauen sich kurz um. „Ähh, entschuldigen Sie, aber können wir uns hier reinsetzen? Der restliche Zug ist schon voll.“ Kurze Zeit sagt niemand etwas, die beiden jungen Männer werden langsam nervös und wollen gerade gehen, als der eine seine Jacke von dem Platz nimmt und mit einer knappen Geste auf den Sitz zeigt. Die beiden Neulinge nehmen zögernd Platz und unterhalten sich ein wenig, doch am Ende verstummen auch sie. Eine drückende Stille liegt über dem Abteil nur ab und zu hört man Kinder lachen oder die Stimme des Schaffners, der die nächste Station ankündigt. Bremsen quietschen, mit einem letzten Ruck bleibt der Zug stehen. In dem Moment fällt der Geigenkoffer von der Ablage und springt auf. Ein kurzer Gewehrlauf kommt zum Vorschein, ein altes Model, doch noch immer tödlich. Schnell stößt der eine mit dem Fuß gegen den Deckel, der Koffer schließt sich mit einem lauten Schnappen, das die Stille durchbricht. Erst jetzt bemerken die Jungen Männer, das der Zug wieder angefahren ist. Die Stimme des Zugführers ertönt wie durch eine dicke Watteschicht: „Nächster Halt Zwetnoi bulwar!“ Die beiden Männer in Nadelstreifen klemmen sich ihre Koffer unter den Arm, die Melone wandert auf den Kopf und zum Schluss noch den Geigenkoffer in die Hand genommen. So verlassen sie den Zug und lassen zwei verängstigte, junge Männer zurück.
Eine gute halbe Stunde später erreicht der Zug den Moskauer Bahnhof. Die beiden verlassen den Zug und ohne sich noch mal umzudrehen halten sie ein Auto an und lassen sich wegfahren.

Hätten die beiden sich an diesem düsteren Oktobertag zu dem Bahnhof umgedreht, hätten sie das große Plakat gesehen. Darauf sind zwei Männer in Nadelstreifenanzügen zu sehen, die Melone auf dem Kopf, in der einen Hand das Gewehr, in der anderen den Geigenkoffer. Und darunter, in kleinerer Schrift, den Namen eines berühmten Regisseurs. Doch sie drehten sich nicht noch einmal um...

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Tag der Veröffentlichung: 18.09.2009

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