Frankreich, 1749: Als die junge Louise zustimmt, den viel älteren Duc de Bergerac zu heiraten, verspricht sie sich ein Leben, das sie der Bildung und der Natur widmen kann. Doch als das Paar an den Hof von Versailles gerufen wird, begegnet sie einer anderen Welt aus Falschheit und Pomp. Nur der als Herzensbrecher verrufene Comte de Fontenay-Valois scheint anders und löst in ihr Gefühle aus, die sie nicht kannte.
Über den beiden liegt jedoch nicht nur der Schatten des Ehebruchs: Der Comte hat Umsturzpläne. Er ist der Spross einer Dynastie, die Ansprüche auf den Thron Frankreichs erhebt. Wenn er scheitert, soll Louise mit ihm nach Kanada flüchten. Doch die neue Welt ist so verheißungsvoll wie gefährlich.
Jacqueline Marinier du Val ist ein Pseudonym. Die Autorin verfasst als Nadine Roux zeitgenössische Urlaubsromane rund um den Schauplatz Frankreich und wagt sich nun erstmals in historisches Gebiet vor.
Tu me fis jurer l‘autre jour,
Que la mort ne perdra l‘amour
Qu‘au cœur je te porte, m‘amie,
Et afin de t‘asseurer mieux,
Je feis un serment par mes yeux (…).
Du hast mich neulich schwören lassen,
dass der Tod die Liebe nicht verlieren wird,
dass ich dich im Herzen trage, Geliebte,
und um es dir besser zu zeigen,
leistete ich einen Schwur mit meinen Blicken.
Ronsard, 24. Chanson
Zu meinen liebsten Kindheitserinnerungen gehört jene eines jungen Mädchens, das am Ufer der Dordogne sitzt und Kirschblüten auf der zarten Oberfläche des Wassers schwimmen lässt. Zusieht, wie der Strom sie mit sich nimmt. Dieses Mädchen war ich. Ein ungestümes Wesen mit wilden, blonden Locken, dessen Nase Abenteuerlust umwehte. Ich, Louise de Montcaudeau. Jetzt, aus der Distanz vieler Jahrzehnte betrachtet, erscheint mir dieser Name wie der einer Fremden. Dennoch blicke ich zurück und lächle. Niemand hat damals gewusst, was aus mir werden würde. Niemand hat geahnt, wohin mich das Leben spülen würde wie der Fluss die Kirschblüten. Am wenigsten ich selber.
Meine liebste Freundin hieß Annabelle, wie ich eine junge Adlige und entfernt mit mir verwandt, auch wenn ich nie verstand, auf welche Art und Weise. In den Jahren meiner Kindheit wimmelte es in unserem Château von Vettern und Basen. Sie alle hielten es für angebracht, mir gute Ratschläge zu geben, stets mit dem Hauch Mitleid für ein mutterloses Kind in der Stimme. Ich erinnere mich an besorgte Blicke, die sich in meinen Haaren verfingen, da ich sie nur kämmen ließ, wenn es mir nicht gelang, der Kammerzofe zu entwischen. Ich erinnere mich auch an die vielen Ausrufe, die mich mahnten.
»Kind! Du wirst dir den Hals brechen, wenn du auf den Baum kletterst. Das ist doch nichts für Mädchen.« Ich glaube, es war Tante Marceline. Ich fragte sie immer, warum, aber sie antwortete nur äußerst unbefriedigend. »Weil du eine Dame wirst.«
Eine Dame. Ich beobachtete hingebungsvoll die Natur und wusste, dass manche Insekten sich verpuppten und dann zu Faltern oder Schmetterlingen wurden, und ich fragte mich, ob mir das auch geschehen würde. Madame de Marquenpierre, meine Lehrerin, aber lachte mich aus. Schnell gewöhnte ich mich daran, weniger zu fragen und mehr selber herauszufinden.
Louise de Montcaudeau. Ich muss diesen Namen erneut schreiben, ungläubig, wer ich einst war und wer ich später wurde. Meine Mutter starb bei meiner Geburt, mein Vater hat sein gebrochenes Herz nie überwunden und heiratete nicht mehr. Ich sah ihn selten, er verbrachte viel Zeit in der Bibliothek, die größer war als jeder andere Raum im Schloss. Ich rede von Schloss, doch erscheint mir dieses Wort unangebracht in Anbetracht der vielen prächtigen Schlösser, die ich später sah und in denen ich wohnte. Das Château meines Vaters lag in den Hügeln des Périgord. Nachts, wenn sich der Wind des Tages gelegt hatte, konnte man das Rauschen der Dordogne hören. Vater sprach selten mit mir, ich habe ihn als gedankenverlorenen Mann in Erinnerung, den man aus der Ferne seines Geistes zu sich rufen musste, wenn man mit ihm sprechen wollte. Es gab für mich nur einen Weg, in sein Herz zu gelangen und sichtbar zu werden. Ich musste lesen.
Und ich las. Frühmorgens, bevor mein Vater aufstand, schlich ich mich in die Bibliothek und borgte heimlich die Bücher aus, an die ich herankam. Erst jene unten in den Regalen: Atlanten, Bücher über Botanik, Sternenkarten. Später jene weiter oben. Chrétien de Troyes, Horaz, Ovid. Ich nahm sie mit an den Fluss, baute mir ein Lager aus Gras und Blumen und versank in fremden Welten. Erfolgreich, denn je mehr ich las, desto öfter sprach Vater mit mir. Er hatte ein gütiges, wenn auch trauriges Lächeln und klang immer ein wenig heiser. Ich malte mir aus, dass es der Staub der Bücher war, der sich auf seine Stimme legte.
Wenn er sprach, dann meistens nur mit meinen älteren Brüdern, die längst erwachsen waren und darauf warteten, die Geschäfte im Schloss zu übernehmen. Uns gehörten Ländereien im Umland, es gab einige Gehöfte, die einen bescheidenen Ertrag abwarfen. Ich wollte mitreden, wollte nicht das kleine Mädchen sein, das nur stickte und blasse Aquarell-Blumen malte. Also fragte ich ihn einmal, was er von Jacques Cartier hielt, dem Entdecker Neufrankreichs, das er Kanada nannte. Er sah mich verblüfft an.
»Und Mademoiselle hat all das von ihrer Gesellschaftsdame gelernt?«, neckte er mich. Ich errötete, denn das war es, was Madame de Marquenpierre mir eigentlich beibrachte. Höflichkeit, Bescheidenheit, Schweigen. Ich lernte nähen und malen, nachdem meine Lehrerin beschlossen hatte, dass es ein Fehler gewesen war, mir das Lesen beizubringen. Sie sagte, eine Dame müsse anmutig und zurückhaltend sein, wenn sie einen Ehemann finden und ihm gefallen wollte.
»Warum hast du keinen Ehemann?«, fragte ich sie einmal. Nur einmal, denn ihre Antwort war eine Ohrfeige. In diesem Moment lernte ich, dass Fragen zu stellen gefährlich war und sehr viel später, dass die Schönheit einer Frau ihr größtes und einziges Kapital war, wenn die Gesellschaft ihnen jene Nischen zuwies, in die sie sich zu fügen hatten.
Ich wollte die Welt entdecken und später Seefahrerin werden. Mein Vater lachte, aber er meinte es gut. Als er an dem Abend, an dem wir über Cartier sprachen, herausfand, dass ich seine Bücher stahl, legte er mir manchmal einen Ledereinband heraus. Ich las alles, was er mir gab. Dass ich niemals Seefahrerin werden würde, begann ich zu verstehen, als mein Körper zu der einen jungen Frau wurde.
Es war ein prächtiger Kirschsommer, die Bäume im Schlossgarten hingen voll mit köstlichen Früchten. Annabelle stand unruhig unten im Garten, während ich mich in den Baum schwang und ihr gelegentlich Kirschen hinunterwarf, die sie nur ungeschickt fing.
»Du machst mein Kleid ganz schmutzig«, protestierte sie.
»Seit wann ist dir dein Kleid wichtiger als das süße Vergnügen, Kirschen zu essen?« Ich fasste wieder zwei und steckte sie in den Mund. »Achtung«, rief ich und spuckte die Kerne in hohem Bogen über die Baumkrone hinweg und lauschte, wie sie mit einem feinen Geräusch neben Annabelle im Kies landeten.
»Wenn Madame de Marquenpierre dich erwischt, wirst du Ärger bekommen.«
»In diesem Fall werde ich sie daran erinnern, wer ihren Lohn bezahlt.«
»Dein Vater wird dich auch ausschimpfen. Es gehört sich nicht für eine Dame.«
Ich seufzte. Wie oft hatte ich diesen Satz in meinem Leben gehört. Ich hatte nicht das Gefühl, eine Dame zu sein und auch Annabelle war keine Dame. Doch nicht mit sechzehn Sommern. Ich wollte niemals eine Dame werden, aber auch wenn es sich wohl nicht vermeiden ließe, sechzehn war in jedem Fall zu jung. Zu jung für eines dieser fürchterlichen Korsetts, zu jung für blasse Haut und vor allem zu jung, um verheiratet zu werden.
Ich lehnte mich gegen einen Ast und sah zu Annabelle hinunter. Das erste Mal fiel mir auf, dass sie ein Korsett trug, ihre Taille war vornehm schmal. Deswegen kletterten Damen nicht auf Bäume, das Fischbein machte es ihnen unmöglich. Sie hatte schon vor einigen Monaten begonnen, ihre Haare hochzustecken, während meine immer noch ungezähmt waren und sich gerne in den Ästen verfingen.
Annabelle war die einzige Freundin, die ich hatte. Das erste Mal wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns voneinander entfernten. Alle Reisen unserer Kindheit hatten wir zusammen gemacht. Ich hatte ihr das Schwimmen beigebracht. Das Einzige, was mein Vater mir beigebracht hatte, als ich noch klein gewesen war, an einem heißen Sommertag des Jahres 1735. Annabelle und ich hatten uns oft ein Pony geteilt und wir waren damit durch die Wälder geritten wie Banditen, obwohl ihre Mutter und Madame de Marquenpierre es uns verboten hatte. Und nun stand sie vor mir und versuchte mir zu erklären, dass ich anders war, als es sich gehörte.
Ich kletterte hinunter und sprang die letzten Meter vom Baum.
»Dein Mund ist mit Kirschsaft verschmiert.« Sie klang vorwurfsvoll.
Ich wischte mit dem Ärmel darüber. »Kommst du mit zum Fluss?« Mit langen Schritten ging ich voraus und achtete nicht darauf, dass Annabelle befürchtete, sich ihr Kleid zu ruinieren. Ich setzte mich auf einen Baumstamm, der halb ins Wasser ragte und betrachtete mein Spiegelbild. Lachte. Und reinigte mein Gesicht mit dem klaren Wasser der Dordogne. Annabelle wagte sich nur vorsichtig zu mir, obwohl sie diesen Ort in- und auswendig kannte. Es war unser Paradies und sie war diejenige, die sich daraus selber vertrieb.
»Was ist mit dir?«, fragte ich geradeheraus, so wie ich damals war. Ließ die Beine baumeln, während unter uns der Strom wie ein schwarzer Spiegel dahinfloss. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mir ehrlich antworten würde, aber sie tat es.
»Warst du jemals verliebt?« Sie sah mich nicht an.
»In Kirschen und den Himmel, mehr brauche ich nicht.« Ich entdeckte ein Blatt, das sich in meinen Locken verfangen hatte, und ließ es in den Fluss fallen.
»Ich meine richtig. In einen Mann.«
Ich fand, dass wir zu jung waren, um uns in richtige Männer zu verlieben wie die Damen in der Stadt, die hinter ihren Fächern tuschelten und den Herren zu Pferde sehnsuchtsvolle Blicke zuwarfen. Diese Frauen kletterten nicht auf Bäume. Diese Frauen aßen nicht einmal Kirschen.
»Niemals«, sagte ich aus vollstem Herzen. »Ich will nicht heiraten.«
Annabelle sah mich entsetzt an. »Aber du musst! Du bist die einzige Tochter deines Vaters, du wirst vielleicht sogar einen Comte heiraten, oder einen Duc, und in einem herrlichen Schloss wohnen.«
»Mir gefällt unser Schloss.«
»Du kannst da nicht ewig bleiben. Hat man dir denn nicht gesagt, wie das ist, wenn man eine Dame wird?«
Ich seufzte. Natürlich hatte man. Zur Genüge, doch nichts davon hatte sich in meinem Gedächtnis so festgesetzt, dass es all die schönen Dinge verdrängen konnte, die darin weilten. Die Berichte der Seefahrer oder die römischen Dichter. Alles schien mir interessanter als das Wissen über die Gepflogenheiten einer Dame.
»Ich werde ja eine Dame. Aber noch nicht jetzt.«
»Louise.« Sie klang so tadelnd wie eine meiner Basen. »Merkst du nicht, dass man bereits über dich redet? Du trägst noch immer kein Korsett. Und dein Haar!«
Ich sah verkniffen drein. Annabelle hatte sich nie um die Taillen anderer gekümmert und erst recht nicht um ihre eigene. Von ihrem Haar ganz zu schweigen.
»Wie heißt er?«
Sie schwieg eine Weile, bevor sie antwortete. »Es ist Marcel de Pierron. Mein Vater hat ihn als meinen Ehemann ausgesucht.«
Marcel de Pierron. Ich kannte ihn gut, er gehörte zu den Gästen, die mein Vater regelmäßig empfing. Er hatte eine große Nase und eine steile Falte zwischen den Augen. Er war noch jung, aber er lächelte niemals, selbst nicht, wenn unsere Hündin Chouchou um seine Beine herumschlich und ihn zum Spielen aufforderte.
Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Marcel de Pierron! Monsieur Griesgram. Hast du deine Eltern gefragt, ob sie sich einen Scherz erlaubt haben?« Der Gedanke, ihn und Annabelle zusammen zu sehen, amüsierte mich, ich lachte so sehr, dass der Baum unter uns schaukelte.
Annabelle rückte ab. Ich hatte sie verletzt. Sie war rot angelaufen und alles an ihr sprach von Ablehnung. »Ich finde ihn gutaussehend. Und er hat ein gutes Herz.«
»Annabelle! Er spricht nicht in Gegenwart von Damen. Er wartet immer, bis unser Mädchen und ich den Raum verlassen haben, weil er findet, dass Männergespräche nichts für die Ohren einer Dame sind.«
»Er hat doch recht!«, schleuderte sie mir ins Gesicht. »Damen sollten nicht lesen, Louise. Das verdirbt ihren Charakter.« Sie rückte von mir ab und sprang ungeschickt zurück an Land. Ich war wie versteinert. Annabelle war die, mit der ich immer jedes Buch geteilt hatte. Wir beide hatten davon geträumt, einmal nach Neufrankreich zu reisen und mit einem indianischen Kanu die Flüsse der Wildnis zu entdecken. Sie war eine hervorragende Leserin und liebte Bücher genau wie ich. Davon war nun nichts mehr übrig. Wegen Marcel de Pierron. Eines Mannes.
Ich sah Annabelle das letzte Mal auf ihrer Hochzeit. Sie war eine strahlende Braut, ihre Eltern konnten stolz auf sie sein. Ich überbrachte ihr meine herzlichen Glückwünsche, doch sie lächelte nicht einmal, als sie sich bei mir bedankte. Nach diesem Tag habe ich nie wieder etwas von ihr gehört.
An diesem Nachmittag am Fluss mit Annabelle wurde ich erwachsen. Das Licht meiner Kindheit wurde durch die gefahrvolle Dunkelheit des Erwachsenseins verdrängt. Es war unvermeidlich. Annabelles Schicksal hatte seinen Schatten auf das meine voraus geworfen. Einen Monat nach ihrer Hochzeit schnürte Tante Marceline mir das erste Mal ein Korsett um und meine Zofe wurde angewiesen, meine Haare zu bändigen und festzustecken. Ein letztes Mal kletterte ich im Herbst auf den Kirschbaum. Als ich oben war, stach mir das Korsett in die Seite und ich war kurzatmig geworden. Ich ließ meinen Blick über die Dordogne schweifen, die im Abendlicht glitzerte wie flüssiges Silber. Gegen das Seufzen, das sich aus meiner Kehle befreite, konnte ich nichts unternehmen. Ich war dagegen so machtlos wie gegen die Tatsache, eine Dame werden zu müssen. Am Ende verpuppen sich Menschenmädchen doch und wenn sie erwachen, sind sie Schmetterlinge. Wunderschön, zerbrechlich und nutzlos.
Ich entdeckte die Trennung von Körper von Geist und schwor mir, dass ich im Inneren immer nur ich selber sein wollte. Mich nicht verbiegen lassen würde. So erschien mir die Möglichkeit, die sich mir zwei Jahre später bot, wie ein Geschenk des Himmels. Dieses Geschenk war der Duc de Bergerac.
Seit ich sechzehn war, hatte mein Vater einen geeigneten Ehemann für mich gesucht. Zwei Jahre lang vergeblich. Eine lästige Aufgabe, die ihn vom Lesen abhielt und die außerdem Veränderung bedeutete. Er hasste Veränderungen. Nicht, dass mein Vater mich nicht lieb gehabt hätte. Es fiel ihm schwer, mich in treusorgende und geeignete Hände zu geben, wie er es gerne formulierte. Eines Nachmittags, als wir vom Château de Bergerac zurück nach Montcaudeau fuhren, eröffnete er mir, dass der Duc um meine Hand angehalten hätte und dass es ihn freue, wenn ich diesen Antrag annehmen würde. Es war die einfache Lösung, denn mein Vater kannte sich gut mit Büchern aus, aber nicht mit Menschen. Es quälte ihn, an gesellschaftlichen Dingen teilhaben zu müssen und er wünschte es zu beenden, sobald das möglich war. Das war nun der Fall.
Der Duc war ein stattlicher Mann, auch wenn man ihm ansah, dass er gerne und reichlich aß. Er hatte noch fast alle seine Zähne und es gab nichts an ihm, was mich abstieß. Immerhin ließ er mich in seiner Bibliothek lesen, was mir auch für die Zukunft gute Aussichten zu sein schienen. Annabelle kam mir in den Sinn und ich konnte mich glücklich mit meinem Los schätzen.
Ich war achtzehn Jahre alt und hatte keinerlei Pläne. Ich machte mir nichts aus den Tuscheleien und den Wünschen der anderen Mädchen meines Alters, ich wartete nicht auf einen Prinzen auf einem weißen Pferd, ich träumte nicht von leidenschaftlichen Küssen und geheimnisvollen Nächten unter dem Baldachin, von denen jene Mädchen wohl noch weniger wussten als ich, denn immerhin kannte ich das Decamerone von Boccaccio.
»Wenn Ihr es wünscht, nehme ich den Antrag des Duc mit Freude an«, sagte ich und der Satz klang gut für mich und erleichternd für meinen Vater. Er sicherte mir zu, dass der Duc ein ehrenwerter Mann mit guten Absichten sei, der mir ein würdevolles Leben in Reichtümern ermöglichen würde, und damit meinte er nicht die Bibliothek. Ich jedoch dachte nur daran.
Ich begleitete meinen Vater zu seinen Besuchen dort, denn der Duc de Bergerac verfügte über eine ansehnliche Sammlung, in der Werke der großen römischen Dichter standen, die mein Vater nicht hatte. Der Duc war bereits verwitwet, hatte fünfzig Lebensjahre knapp überschritten und sich aus der Gesellschaft zurückgezogen, so weit das als Duc möglich war. Der Tuschelei der Damen wurde Tür und Tor geöffnet.
Es wurde ein gediegenes Fest, das man mir zugestand. Mir, der zweiten Frau eines Mannes, der nur wieder heiratete, um nicht einsam zu sein und der seinem Freund einen Gefallen tat. Der bereits einen Erben hatte und mit seinen politischen Geschäften einen Zeitvertreib, der ihn ausfüllte. Ich war nur die Zierde. Eine Rolle, die mich erleichterte. Man erwartete nichts von mir, was ich als Freiheit empfand. Freiheit, so weit diese eine Dame leben konnte, die nicht mehr auf Kirschbäume klettern durfte.
Ich kann nicht sagen, dass mein Herz besonders klopfte, als der Duc und ich uns am Abend unter jenen Baldachin zurückzogen, der für die Mädchen solche Magie ausstrahlte.
»Fürchtet Euch nicht, Madame. Ich werde nichts tun, was Ihr nicht wünscht«, sagte er und sah mich hoffnungsvoll an. Ein Mann von zweiundfünfzig Jahren, der mit Flehen im Blick vor einer jungen Frau saß und darauf wartete, dass sie ihm gab, was ihm bereits gehörte. Es rührte mich und mir gefiel, wie er meine Haare ansah, nur darauf wartend, dass ich sie befreite, so wie ich mich selber am liebsten mochte. Immer wieder sah er meine Lippen an, die an diesem Abend rosafarben geschminkt waren. Auf seine unausgesprochene Frage hin entgegnete ich nichts. Stattdessen rückte ich ein wenig näher, aus Neugierde, aus Hunger nach Neuem. Keinen Moment dachte ich damals daran, dass ich eigentlich ein Kind war und der Duc älter als mein eigener Vater. Es war in unseren Kreisen üblich, dass Männer sehr viel jüngere Frauen heirateten. Der Duc war ein Mann, der vollkommen aus der Mode fiel. Er trug noch einen kleinen Kinnbart wie Henri IV und ein Schlafgewand, das zwar aus gutem Stoff war, jedoch auch das eines Bauern hätte sein können. Dichtes Haar wuchs ihm oben heraus, das bereits halb grau war.
»Ich glaube nicht, dass Ihr etwas tun könntet, was ich nicht wünschen könnte«, sagte ich und hatte nicht damit gerechnet, dass mich der Duc keinen Augenblick später mit feuchten Küssen überwältigen würde, die ungewohnt, aber nicht so abstoßend waren. Er löschte nicht einmal die Kerze, als er zuerst begann, sich sein Hemd über die Schultern zu ziehen und so einen Blick auf seinen Körper freigab, der beim besten Willen nicht als schön bezeichnet werden konnte. Als er begann die Schleifen meines Nachthemdes aufzubinden und sich dabei als äußerst ungeschickt erwies, kümmerte es ihn nicht, dass ich vor allem jene Stelle fixierte, aus der aus einem schwarzen Nest jenes Glied wuchs, um das die Männer immer ein solches Aufheben machen.
Es war rascher vorbei war als gedacht und in der dichten Haarpracht des Ducs befanden sich mehr Schweißtropfen als in dem Fell eines Pferdes nach einem Galoppritt. Ich hätte lachen mögen. War es das, wofür Mädchen zu Damen heranwuchsen, ihre feinen Manieren lernten und sich die Taille einschnürten?
»Danke, Madame«, flüsterte er, streichelte mir die Wange und rollte sich herum. Wenig später schon schnarchte er auf unwürdigste Weise, die ich mir vorstellen konnte. Damals ahnte ich noch nicht, dass der Beginn meiner Ehe auch der Beginn meines eigenen Endes sein würde. Ich hatte es nicht kommen sehen.
Wir blieben noch zwei Jahre in Bergerac, ehe der Duc an den Hof nach Versailles gerufen wurde. Versailles, ein Name, der Pracht ausstrahlt, selbst für jemanden, der das Schloss noch nie gesehen hat. Jemanden wie mich.
Ich war zwanzig Jahre alt und hatte mehr Bücher gelesen als mein Mann sich hatte vorstellen können. Er nannte mich oft ma petite savante, meine kleine Gelehrte, wenn ich bis spät in die Nacht las, bis die Kerze ganz heruntergebrannt war. Ich las lieber, als dass ich mich mit Menschen unterhielt und jedes dümmliche Gespräch mit meinen Geschlechtsgenossinnen bestätigte mich darin. Man führte viele dieser Konversationen, wenn man wie ich reich geheiratet hatte und Zeit hatte, sich um die Belanglosigkeiten des Lebens zu kümmern. Sich zu amüsieren, zu tratschen und vor allem Haltung zu bewahren. Der Besitz meines Mannes in Bergerac war im Vergleich zu Versailles klein. Man kannte sich und lief sich oft über den Weg, die Leute redeten.
Und die Leute redeten gern. Als ich vor zwei Jahren zustimmte, den Duc de Bergerac zu heiraten, tuschelte man darüber, ich hätte ihn verführt und erwarte ein Kind von ihm. Es überraschte mich nicht, denn man hatte sich angewöhnt, über mich zu sprechen wie über ein fremdes Wesen, das sich nicht an Regeln hielt. Ich, die Tochter eines Barons im ländlichen Frankreich.
Unser Tross war eine Woche unterwegs, wir verloren zwei Pferde und einen Kutscher, als wir bei Tours durch sumpfiges Gelände mussten, das der Winterregen aufgeweicht hatte. Das tagelange Gerüttel der Kutsche hatte mich übellaunig gemacht, mein Rücken schmerzte und wenn ich in das Gesicht des Ducs sah, erging es ihm kaum besser. Seit einem Jahr benötigte er einen Gehstock, nachdem er sich bei einem Jagdausflug das Bein gebrochen hatte. Seitdem war er ein anderer Mann, er grämte sich oft und fluchte, wenn ihm etwas nicht gelang. Er hatte das Gefühl, alt zu werden und ich sah eine gewisse Traurigkeit in seinen Augen, wenn er mich ansah. Ich konnte fühlen, was er dachte.
Zwei Kinder hatte ich zu frühen Zeitpunkten der Schwangerschaften verloren und ihn ängstigte dies mehr als mich, sodass er mich nachts nicht mehr aufsuchte. Es war mir recht, wieder eine Pflicht, von der ich entbunden war. Ich verbrachte viel Zeit in der Bibliothek und gelegentlich in der Küche des Schlosses, wo ich Freundschaft mit unserer Köchin geschlossen hatte, die wir nun in Bergerac zurücklassen mussten.
Der Duc wurde nervöser, je näher wir Versailles kamen. König Louis XV hatte ihn zum Minister berufen und mein Mann wusste nicht, was ihn dort erwartete. Es hieß, dass der Wohlstand Frankreichs auf wackligen Füßen stand und wichtige Einnahmequellen am Versiegen waren. Ich machte mir nichts aus Politik und fürchtete, mich in Versailles zu langweilen. Immerhin galt das Schloss als der Mittelpunkt Frankreichs. Kein Schloss hatte einen größeren Hofstaat als Versailles und kein Schloss war prächtiger. Jeder wollte nach Versailles, um dem König zu dienen, selbst wenn sie ihn kaum zu Gesicht bekamen. In Versailles gab es keine Dordogne. Keinen Kirschbaum. Die Natur: Ein gezähmtes Tier. Und was sollte aus mir werden?
Als wir in den Hof einfuhren, stockte mir der Atem. Das Schloss war riesig und das Land so flach, dass man bis zum Horizont sehen konnte. Alles war Garten, der den Herrschaften zum Flanieren diente. Versailles machte den Eindruck einer Stadt. Ich hatte noch nie so viele Kutschen gesehen, noch nie so prächtige Farben in der Kleidung der Frauen, nie so viele Federn an ihren Hüten. Wahrlich, Versailles war das Zentrum von allem und ich ein Mädchen aus der Provinz. Ich sah an mir herab. Das Kleid, das mir all die Jahre wie das einer Dame erschienen war, mit dem steifen Korsett darunter und der Spitze an den Ärmeln, die keine Kirschflecken verzeihen würde, war nun kaum mehr als eines Dienstmädchens würdig.
Man brachte uns in dunklen, zugigen Räumen unter, die so sehr anders waren als das Château von Bergerac, das ich recht lieb gewonnen hatte. Es war zwar größer als Montcaudeau, aber die selbe Luft strömte durch die offenen Fenster. Schwer im Herbst, süßlich im Frühling. Ich liebte sie sehr. Dort waren wir Herrscher, hier nur Diener und man versuchte uns weis zu machen, dass es eine Ehre war, in der Nähe des König zu residieren.
»Ich bin froh, dass Ihr eine so praktisch denkende junge Dame seid, Madame«, sagte der Duc, als ich ihm mitteilte, dass die Unterkunft vollkommen in Ordnung für mich war. Es gab zwar keinen Prunk, aber wir hatten alles, was wir brauchten. Die Sache mit der fehlenden Luft des Périgord verkniff ich mir. Es standen uns Kammermädchen und eine Köchin zur Verfügung und in direkter Nachbarschaft residierten der Comte und die Comtesse de Fontenay-Valois.
Ich schlief unruhig, denn Versailles schlief niemals. In der Ferne wurde gelacht, in den Appartements um uns herum bis spät in die Nacht gelacht und getanzt. An meinem ersten Morgen war ich müde und träge.
»Haltet Euch an die Comtesse«, raunte mir die vorlaute Zofe mit den roten Bäckchen zu. Ich mochte sie sofort. »Die ist eine ehrgeizige Frau und kennt hier jeden. Es heißt, Le Bel hat sie im Blick.«
»Le Bel?«, fragte ich und erntete einen erschrockenen Blick des Mädchens, das sich als Anne vorstellte.
»Ihr müsst noch viel lernen, Madame. Le Bel ist der erste Kammerdiener des Königs und wählt jene Damen aus, die dem König nahe kommen dürfen, wenn Ihr wisst, was ich meine«, kicherte sie. Ich verstand. So lief das also bei Hofe. Wie überall, nur mit schönem Schein und perfekter Organisation. »Ihr habt schönes Haar«, seufzte sie dann. Ich begann ihre Direktheit zu schätzen, wenigstens verbarg sie nichts. »Seht Euch vor, das könnte dem König gefallen.«
Ich hatte nicht die Absicht, eine Mätresse des Königs zu werden, wie so viele andere adlige Damen, die nach Versailles kamen und nach Höherem strebten, als nur mit einem Comte oder Duc verheiratet zu sein. Es hieß, Le Bel organisierte Damenrunden, die der König durch ein Loch in der Wand beobachtete und sich jene aussuchte, die ihm am besten gefiel.
Der Winter reichte bis weit in den Frühling hinein, Eis und Schnee bedeckten die prächtigen Schlossgärten. Ich gewöhnte mich daran, regelmäßig Konversationen zu machen und die Damen der Nachbarschaft zu treffen, deren Ehemänner ebenfalls Minister waren. Es waren steife Runden, in denen wir im Salon Tee tranken und Biscuits aßen, die nirgends luftiger zu sein schienen als in Versailles, wenn man dem Geschwätz der Damen Glauben schenken durfte. Die Comtesse de Fontenay-Valois war nie unter den Gästen. Ich lernte sie bei einem Bankett kennen, aber sie lud mich niemals zu einer Gesellschaft ein, was die Voraussetzung dafür war, dass ich sie hätte einladen können. Versailles war voller Regeln, die meine geliebten Bücher nicht kannten. Ihre Abwesenheit eröffnete den Damen die Möglichkeit, sich ganz ungeniert und offen über sie das Maul zu zerreißen.
»Diese Federn! Keine Dame, die etwas auf sich hält, schmückt sich auf so vulgäre Art und Weise mit Federn«, rümpfte eine die Nase, deren Name mir immer entfiel.
»Habt Ihr ihr Dekolleté gesehen? Man sagt, sie fülle ihr Kleid mit Sandkissen aus, sodass es größer erscheint.«
»Na wenn es dem König gefällt«, höhnte die Baronesse von Artois, die verwitwet war. Eine ältere Dame mit klugen, spöttischen Augen, die ich ganz gerne hatte. Sie nahm sich selber nicht zu ernst und liebte den Wortwitz, den andere Damen gar nicht verstanden. Es stellte sich heraus, dass sie in Literatursalons junge Schriftsteller förderte, was sie mir gleich ans Herz wachsen ließ. »Ich habe einen Gedichtband von Ronsard, den er einst Katharina de Medici persönlich gewidmet hat, könnt Ihr Euch das vorstellen?«, flüsterte sie mir zu. Das war in der Tat unvorstellbar, hieß es doch, niemand hätte der Giftmischerin unter den Königinnen Frankreich irgendetwas widmen können.
»Ich würde ihn mir gerne ansehen«, sagte ich. Ronsard war immer eine Lesestunde wert, vor allem, weil sein Werk voll mit Metaphern war, die viele nicht verstanden.
»Übrigens«, sagte die Baronesse. »Wusstet Ihr, dass der Comte von Fontenay-Valois ein Sprössling von Heinrich II ist? Er entstammt einer illegitimen Linie, aber seine Familie versucht seit Jahrzehnten, wieder Anerkennung zu erlangen. So erzählt man es sich hier.«
Die Valois hatten über dreihundert Jahre die Könige Frankreichs gestellt, bis ihre direkte Linie mit Heinrich III, einem der Söhne von Heinrich II und Katharina de Medici, erloschen war und die Bourbonen an die Macht gebracht hatten. Immer wieder gab es Gerüchte, dass Nachkommen der Valois den Thron zurückerobern wollten, aber stets gab man sie der Lächerlichkeit preis. Ein Valois gehörte zum alten Frankreich, dem der Religionskriege. Mit ihnen wollte niemand mehr etwas zu tun haben.
»Tatsächlich?«, sagte ich beiläufig. Von Politik verstand ich leider wenig und der Comte de Fontenay-Valois war mir genauso wenig wie seine Gattin persönlich bekannt. Ich hatte ihn nur einmal im Rahmen jenes Banketts gesehen, bei dem die Comtesse in diesem Federkleid erschienen war, das ihr das Gespött des Hofs eingebracht hatte.
»Ihr werdet ihm sicher bald vorgestellt werden, er ist nicht minder ehrgeizig als seine Gattin. Ein schlauer Bursche heißt es, der ein Ministeramt anstrebt. Dabei ist er kaum fünfundzwanzig, wesentlich jünger als die Comtesse.« Sie rückte näher an mich heran und sah mich verschwörerisch an. »Seid auf der Hut, meine Liebe«, raunte sie mir zu. Es war nicht das erste Mal, dass ich diesen Satz hörte. »Es heißt, er breche die Herzen der Damen. Aber ich bin mir sicher, Ihr habt nichts von der Verblendung der dummen Hühner hier.«
Ich lachte. Es war der Abend, bevor ich diese schicksalshafte Begegnung machte, die mein Leben für immer veränderte.
Ich liebe die Natur. Das Leben in Bergerac hat mir sehr gefallen, man hatte immer einen Blick auf die grünen Wogen der Landschaft und gelegentlich unternahmen der Duc und ich einen Ausflug. Ich mochte die Bootsfahrten auf der Dore, wo man Eisvögel und Seidenreiher beobachten konnte, und unsere Fahrt nach Padirac: Ein gewaltiger Schlund tut sich hier auf, man glaubt in die Unterwelt sehen zu können, in der sich das Licht verliert. Der Duc war ein belesener Mann, der mir die Legende von Saint-Pierre und seinem Esel erzählte, die dort von Satan herausgefordert wurden.
»Ma petite savante, die Welt ist voller Geschichten und Abenteuer. Man muss nicht alles glauben, aber man darf alles erleben«, sagte der Duc. Ich habe diesen Tag nie vergessen.
Versailles war frei von Abenteuern, aber voller Geschichten, die aus der Ödnis entsprangen und dort auch versickerten. Das Vergnügen stand an erster Stelle, erst an zweiter das Regieren. Es gab jedes divertissement, das man sich für Körper und Geist vorstellen mochte. Reichlich kulinarische Spezialitäten, Bälle, Tänze, Theater, Musik. Wasserspiele im Garten, Bootsfahrten auf dem Kanal, Jagdausflüge und vor allem Skandale. Der Skandal gehörte zum guten Ton in dieser Musik des Amüsements und nur die Hälfte davon trug einen wahren Kern.
An dem Morgen nach dem Teekränzchen mit den langweiligen Damen berichtete mir der Duc, dass wir zu einem Jagdausflug in die Wälder eingeladen waren, an dem auch der König teilnehmen würde. Der Frühling stand in voller Blüte und ich hatte das Erwachen der Natur herbeigesehnt.
»Ob Ihr es glaubt oder nicht, aber ich bin dem König bisher weder begegnet noch vorgestellt worden«, sagte der Duc mit einem Kopfschütteln. Minister waren wichtige Vertrauensleute, die an den Regierungsgeschäften beteiligt waren und sie seit der Thronbesteigung von Louis XV sogar wesentlich übernommen hatten. Der König machte sich nichts aus Politik und gab sich lieber dem Amüsement bei Hofe hin, während mein Duc den ganzen Tag über seinen Akten saß und sich manchmal bis spät in die Nacht hinein mit den anderen beriet.
»Vielleicht bietet sich heute eine Gelegenheit«, versuchte ich ihn aufzumuntern.
»Ich bin nicht gerade darauf erpicht, die Bekanntschaft des Königs zu machen, wenn er mit einer Flinte in der Hand Rebhühner jagt.«
»Ein Glück, dass eifrige Minister keine gute Beute abgeben«, lachte ich und winkte das Kammermädchen heran, um uns Tee nachgießen zu lassen. Wie viel Zeit vergangen war, seit ich atemlos in Kirschbäumen herumgeklettert war. Nun ziemte es sich nicht einmal, sich selber ein Getränk einzuschenken.
Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich den Kopf über Kleider zerbrechen, heute noch viel weniger als damals. Ich habe immer praktische Schnitte bevorzugt und Farben, die mich nicht wie eine überzüchtete Rose aussehen ließen. Für diesen Jagdausflug wählte ich ein schlichtes, blaues Kattunkleid und praktische Stiefel, denn es hatte in der Nacht geregnet, der Wald würde sicher sumpfig sein.
»Ist dies wirklich das Kleid, das Ihr für diese Gelegenheit tragen wollt?«, fragte mich Anne skeptisch. Tiefe Falten bildeten sich auf ihrer Stirn.
»Sehe ich zweifelnd aus?«
»Nein, natürlich nicht. Es ist nur… Ach nichts, Madame. Ihr seht in allem fabelhaft aus.« Mit diesen Worten ging sie aus dem Raum, nicht ohne mir noch einen Blick zuzuwerfen, den ich erst deuten konnte, als ich wenig später mit dem Duc zu der Gesellschaft stieß, die sich für diesen Jagdausflug versammelt hatte.
Ich wähnte mich auf einem Ball. Die Damen trugen ihre prächtigsten Perücken und die feinsten Schuhe aus Seide. Gepuderte Dekolletés drückten sich aus bunten Seidenkleidern, Lippen waren rot geschminkt, Ohren mit Perlenohrringen geschmückt.
»Seid Ihr sicher, dass es sich um einen Jagdausflug handelt?«, flüsterte ich. Der Duc tätschelte meine Hand.
»Man mag sich täuschen, aber ich bin mir sicher, wir sind hier richtig, Madame.« Immerhin war er angemessen gekleidet, die Herren konnten nie etwas falsch machen. Außer altmodisch zu sein, so wie er.
Wir erfuhren, dass der König bereits voraus geritten war, während die Hofgesellschaft in einigem Abstand zu Fuß folgen sollte. Wir waren eine wandelnde Glocke aus zweifelhaften Düften. Ich hatte schon bemerkt, dass Herren und Damen in Versailles dem Parfumflakon näher zugeneigt waren als der Seife, sodass versucht wurde, sämtliche Gerüche mit Veilchen- und Rosenduft zu übertünchen. Das gelingt nur für die eigene Nase, so viel ist sicher.
Der Ausflug erwies sich als Ausbund der Langeweile. Während der Duc sich mit seinen Ministerkollegen über Geschäftliches unterhielt, blieb ich mit den Damen und einigen Herren zurück, die Konversationen über das Wetter und die neuesten kulinarischen Trümpfe des Hofes machten. Einige Damen kicherten, wenn die Herren ihnen zu nahe kamen und hinter vorgehaltener Hand anzügliche Komplimente machten. Ich hingegen sah nur die mit Puder bedeckten Flohbisse in den Nacken und auf den bloßen Armen. Vielleicht sollten sie mehr von den römischen Dichtern lesen und die Kultur des Bades wieder in Erwägung ziehen, dachte ich spöttisch und amüsierte mich immerhin, ihre feinen Schühchen im durchnässten Boden versinken zu sehen.
Ich ließ mich etwas zurückfallen und setzte mich in einigem Abstand zu den anderen auf einen großen Baumstumpf. Niemand hier genoss die Natur, sie waren alle zu sehr mit dem Geplänkel des Hofes beschäftigt. Damit, eine gute Figur zu machen und sich den Liebhaber der nächsten Nacht auszusuchen. Als die kichernde und sich Luft zufächelnde Menge langsam außer Hörweite geriet, lauschte ich der Einsamkeit des Waldes. Nur in weiter Ferne hörte man das Gewehrfeuer und ich dachte an den letzten Lebensmoment des erschossenen Wilds, spürte eine seltsame Verbundenheit zu diesem wilden Tier, um welches auch immer es sich handelte. Ich glaubte sein schlagendes Herz unter meinen Händen zu spüren und in Gedanken sagte ich ihm, dass es gleich vorbei sei, noch ein, zwei Atemzüge, und dann war es erlöst.
Die Natur ist um ein Vielfaches besser als der Mensch, gleich wie viel er an Kultur und Literatur zustande gebracht hatte, am Denken, an Bauwerken: Der Mensch bleibt ein seltsames Wesen mit runzeliger, bleicher Haut, ein Zweibeiner, der wie ein Fremdkörper in dieser Welt wirkt und dessen Kopf im Verhältnis zum Körper zu groß und im Verhältnis zur universellen Weisheit zu leer ist.
Doch zwischen dem Flüstern der Blätter nahm ich ein Rascheln wahr, das mir unnatürlich erschien, ja geradezu menschlich. Es wurde gewiss, als ich Stimmen hörte, eine männliche, eine weibliche. Nicht identifizierbare Worte, die im Grunde keine waren. Nur Geräusche.
Ich sah den Saum eines roten Rocks im Dickicht vor einer stattlichen Eiche. Es zog mich an, es machte mich neugierig zu sehen, wer hier im Wald von Versailles ein solches Vergnügen suchte, während der ganze Hof den Verlockungen der Jagd erlegen war und Freude am Töten von Tieren hatte. Es kam mir wie ein Affront gegen das Morden vor, ein Manifest gegen diesen seltsamen Auswuchs der höfischen Freude.
Meine Schuhe versanken im weichen Moos, als ich hinter einem Blaubeerstrauch innehielt und zwischen den Zweigen hindurch ein Paar sah, das halb kniend, halb liegend an der Eiche lehnte. Die Dame war wesentlich älter als der Herr, ihr aufgestecktes Haar war mit grauen Strähnen durchzogen. Ihr Kleid hing wie ein verirrtes Stück Stoff um ihre Körpermitte, ihre Beine und Brüste waren entblößt. Der Mann trug einen Anzug aus Silberbrokat, das rosafarben schimmerte. Seine Haare waren tiefschwarz, die Nase griechisch. Er durfte kaum älter gewesen sein als ich. Mit einer Hand stützte er sich an der bemoosten Eiche ab, die andere Hand lag im Nacken der Dame, während sie ihm ihre Hüfte entgegen reckte. Graubraune Strähnen klebten auf roten Wangen, ihr Blick war seltsam entrückt, ihre Brust ging auf und ab wie die eines sterbenden Tieres. Doch ich wollte den Herren sehen, es drängte mich, die Äste ein wenig beiseite zu schieben. Ich bemerkte, wie meine Hände zitterten und schweißnass waren. Auch wenn Versailles ohne Abenteuer sein mochte, so war es doch nicht ohne überraschende Entdeckungen. Meine Neugierde war unzähmbar.
So vorsichtig wie möglich bog ich zwei Äste um und hatte freien Blick.
Das Paar war von seltsamer, geradezu klassischer Schönheit, wie in einem Gemälde. Endlich sah ich das ganze Gesicht des Mannes. Dunkle, tiefliegende Augen unter markanten Brauen. Unter der Haut arbeiteten Muskeln wie die eines Tieres. Die Frau versuchte ihre Fingernägel in ihm festzukrallen, doch der Mann riss ihre Arme nach oben, erst den einen, dann den anderen. Mit einem Ruck riss er der Dame das Band aus den Haaren und band ihre Handgelenke an den Baum. Sie schrie und stöhnte zugleich, während er ihr zuzischte, sie möge leise sein. Er hielt ihr den Mund zu und drückte ihren Kopf gegen die Eiche, nur um sie gleich darauf mit unübertrefflicher Sanftheit und Hingabe zu küssen.
Es waren meine eigenen Lippen, die wie Feuer brannten. Der Wunsch, so geküsst zu werden traf mich wie unerwartet wie ein Schlag. Er war neu, fremd. Ich hatte nie zuvor verlangt. Nie.
Mein Herzschlag beschleunigte, ich konnte nichts dagegen tun. Was ich hier sah, war genau jenes Schauspiel, das sich die Mädchen heimlich erträumten und das mir so befremdlich erschienen war. Dieser Kontrollverlust, den sie nur zu sehnlichst wünschten. Diese Wonne, die einen von der Welt entrückte und in den Himmel schoss. Das Spiel, das alle mit Vergnügen verloren, um gewinnen zu können. Das ich nie erlebt hatte.
Ohne dass ich es merkte, schlossen sich meine Hände fester um die Äste und einer brach ab, ich hielt ihn in der Hand. In diesem Moment fuhr der schwarze Schopf des Mannes zu mir herum, nicht suchend, nicht erschreckt. Denn er fand mich sofort, wir standen uns Auge in Auge gegenüber, ich ungut versteckt hinter einem Blaubeerstrauch, er mit dem Kinn auf die Schulter der Frau gestützt.
Feurige schwarze Augen schauten mich an, tauchten in meine, während die Fremde unter ihm weich wurde wie Wachs.
Ich sah nicht weg. Ich konnte nicht wegsehen, er zog mich an. Anders als die meisten Männer bei Hofe trug er keine Perücke, sein Haar war glänzend schwarz und fiel ihm ins Gesicht. Es war, als sei ich diese Frau in seinen Armen, deren Brüste er knetete und über deren Hals er mit der Zunge fuhr, bevor er mir aufreizend zulächelte. Ich schluckte schwer und spürte Wärme, die vom Herzen in meine empfindlichste Region floss. Meine Knie zitterten. Es war, als läge mir Blei auf der Lunge und verhinderte, dass ich tief atmen konnte. Ich krallte mich in den Strauch, um nicht zu fallen, und noch immer sah mich der Mann an. Seine Lippen bewegten sich als rede er mit mir, aber ich konnte nicht lesen, was er sagte. Ich erschrak, als die Dame in meine Richtung sah, fuhr ertappt zusammen und ließ die Zweige los. Ein Vorhang, der fiel.
»Was war das?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Ein Vogel«, sagte der Herr. Eine tiefe Stimme, die es gewohnt war, zu verführen.
Ich rannte beinahe, als ich zurück zum Weg ging. Ich wusste, dass meine Wangen gerötet waren und ich fühlte mich so, als habe ich dort im Moos gelegen, dachte, ich müsse meinen Rock zurechtrücken, meine Haare hochstecken, mein Korsett zurück an seinen Platz bringen.
Am Abend versuchte ich mich auf eine Rede Caesars zu konzentrieren, die ich gerade las. Der Himmel hatte sich eingetrübt und mit ihm meine Laune. Ich dachte an die tuschelnden Mädchen und jene Frauen, deren ganzes Leben sich darum drehte, dass ihr Haar prächtig frisiert war und der Ausschnitt ihres Kleides gerade so hoch, dass man ihre Brustwarzen nicht sah, jedoch einen guten Blick auf die Rundungen werfen konnte. Ich begann zu verstehen, dass sie das alles für jenen kurzen Moment der vollständigen Entzückung in den Armen eines starken Mannes taten. Ihre Tage drehten sich um lange Nächte, in denen nicht nur der Schweiß eines Partners das Laken nässt und in denen das schwache Licht einer Kerze goldene Haut aus der Dunkelheit hebt. Wahrlich, ich begann zu verstehen.
Und ich wollte das auch.
»Wurdet Ihr dem König vorgestellt?«, fragte ich den Duc in dem Versuch, an etwas anderes zu denken als an das Paar im Wald.
»Nein, mir scheint, er zeigt mehr Interesse für Fasane als für die Herren, die seine Gesetze schreiben«, seufzte er und legte sich ein großes Stück Butter auf eine Scheibe Brot. Er hing seinen Gedanken nach und saß ganz eingesunken dar, während ich ihn heimlich musterte. Seine Augenbrauen waren struppig und in der Form nicht der Rede wert. Das Kinn fliehend, die Augen stumpf. Der Duc de Bergerac mochte mein Ehemann sein, aber als Mann erschien er mir nicht, im Vergleich zu dem, den ich heute gesehen hatte. Er war kraftlos trotz seiner hochgewachsenen Statur, er war alt und hatte keine Pläne mehr für das Leben. Bis heute war ich ihm so ähnlich gewesen, hatte mich in meine Bücher zurückgezogen und das ruhige Leben an seiner Seite so gut wie möglich genossen. Er war mein Gefährte, ein Freund, mit dem ich durch das Leben ging und den ich nach Tatkraft in seinen Plänen unterstützte. Dem ich nach Versailles gefolgt war und indem ich hinnahm, weit weg von dem beschaulichen Périgord zu sein und stattdessen hier in einer Gesellschaft festsaß, die mehr Schein als Sein war und die nur das Vergnügen suchte. Die das Vergnügen verführte.
So, wie es heute mich verführt hatte.
Ich wollte nicht sein wie sie, aber ich wollte diesen Teil der Unbändigkeit spüren, deren Zeugin ich heute geworden war. Ich war jung, mein Fleisch war fest und wartete nur darauf, in Flammen gesetzt zu werden. Wie hatte ich das verkennen können? Sollte ich mich für meine Gedanken schämen? Sollte ich erröten wie Annabelle bei dem Gedanken an ihren künftigen Ehemann?
»Nächste Woche findet der erste Frühlingsball statt«, sagte der Duc schließlich. »Wenn es Euch Freude bereitet, können wir teilnehmen.« Er lächelte mich an und da war es doch: Ich schämte mich meiner Gedanken nur einen Moment zuvor. Es war nicht der Duc, den ich begehrte. Nicht mein Ehemann.
»Mit Vergnügen«, quälte ich mich zu sagen. »Wenn man meinen Aufzug nicht als anstößig empfindet.« Ich deutete an mir herab. »Vielleicht lassen mich ein paar Federn dazugehören?«
Das Großartige an diesen Bällen war, dass die gesellschaftlichen Regeln für einen Abend außer Kraft gesetzt waren. Der König war nur ein Mann, die Königin eine Dame wie wir anderen. Soldaten waren keine Soldaten und die Hierarchie der Ducs, Comtes und Barone fortgewischt von einer warmen Frühlingsnacht. Das Grand Trianon war ein Ort des zügellosen Vergnügens, sofern das in Versailles noch möglich war, wo das divertissement bereits den größtmöglichen Stellenwert inne hatte. In der Galerie des Cotelles spielte man Vivaldi, die Damen erwählten die Herren zum Tanze und Wein schwappte aus seinen Gläsern heraus.
»Madame, ich darf Euch Monsieur le Duc de la Delacourt vorstellen«, sagte mein Mann und ich knickste vor einem Herren in seinem Alter, der ebenfalls ein Amt bekleidete, das mir nichts sagte. Sein Name jedoch belustigte mich und ich konnte ein Lachen nur knapp unterdrücken. Hier arbeitete jeder für den König, ganz gleich um was es sich handelte. »Amüsiert Euch nur«, fuhr der Duc fort, »wir müssen ein wenig über die Steuerpläne für das kommende Jahr sprechen.«
Er hätte mich nicht fortschicken müssen, ich wäre freiwillig gegangen. Rasch fand ich die Baronesse von Artois, die ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit in der Hand hielt. Sie war sichtlich angetrunken.
»Duchesse, wie schön Euch zu sehen! Ich denke, dieser Rahmen ist angemessen, um...« brach sie ab. Ein unflätiges Geräusch entfuhr aus ihrer Kehle. »… um Euren werten Namen zu erfahren.«
»Louise«, sagte ich und konnte mich nicht erinnern, wann ich diesen Namen zuletzt gehörte hatte. Mein Mann sprach ihn nicht aus, hatte ihn auch in unseren intimsten Momenten nicht benutzt.
»Ein sehr schöner Name«, lallte die Baronesse. »Nennt mich doch Marguerite.« Sie winkte einen der Diener heran, die große Flaschen Champagner durch den Raum balancierten.
»Louise«, hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir. »Kein Name könnte passender für eine edle Madame mit wilden blonden Locken sein.« Heftig drehte ich mich um, es war geradezu unverschämt, eine fremde Frau auf diese Weise anzusprechen, selbst in diesem lockeren gesellschaftlichen Rahmen.
Dieses Gesicht. Dunkle, lebendige Augen. Das schwarze Haar, das an diesem Abend mit einer samtenen Schleife im Nacken zusammengebunden war und das doch so unbändig erschien. Ich zuckte ob des Wiedererkennens zusammen. Der Wald. Das Paar.
»Baronesse«, wandte er sich mit einem strahlenden Lächeln an Marguerite. Es ist unnötig zu erwähnen, dass er noch alle Zähne hatte, die weißer waren als jede Haut es jemals sein könnte. »Stellt Ihr uns einander vor?«
»Mit Vergnügen, mein Lieber! Louise, ich mache Euch mit Henri Comte de Fontenay-Valois bekannt. Monsieur le Comte, Louise Duchesse de Bergerac.«
»Duchesse«, sagte der Comte und verbeugte sich, während er meine Hand küsste. Seine Lippen berührten meinen Handschuh kaum mehr als die Flügel eines Schmetterlings es könnten. »Hocherfreut, Madame. Ich höre, Ihr seid seit diesem Winter in Versailles. Ein Jammer, dass wir bislang nicht das Vergnügen hatten, einander zu begegnen.« Er log mir ins Gesicht und hatte noch Freude daran. Auf der anderen Seite war dies kaum der richtige Rahmen, um über unsere unziemliche Begegnung im Wald zu sprechen, ganz zu schweigen davon, dass es einen solchen Rahmen gar nicht geben könnte.
»Nun, der Hof ist groß, man kann nicht jeden kennen.« Meine Gedanken waren mit etwas anderem beschäftigt. Ich hatte nicht gewusst, um wen es sich handelte. Namen waren mir zweitrangig erschienen, es gab nur diese Augen, diesen Körper, den ich hatte besitzen wollen. Dass all das zu diesem Namen gehörte, vor dem ich mich hatte hüten sollen, war mir nicht bewusst gewesen.
Und es machte alles nur reizvoller.
»Begleitet Ihr mich auf einem kleinen Spaziergang durch den Garten? Ich habe gehört, dass die ersten Glühwürmchen uns heute Nacht Gesellschaft leisten«, sagte er und mein Herz schlug schneller, als habe es einen Knopf, an dem er drehte.
Die Baronesse hatte sich diskret zurückgezogen und beobachtete uns amüsiert aus der Ferne des Raumes. Es heißt, er breche die Herzen der Damen, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf. Der Comte war ganz nah an mich herangetreten und ich stellte fest, dass er nicht nach Rosenwasser und Veilchen roch, sondern nach Lavendel. Lavendelseife. Er überragte mich um einen Kopf und als ich aufsah, fielen mir seine wohlgeformten Lippen auf, die ein halb spöttisches Lächeln umspielte, auf einer Seite leicht schief, in ein feines Grübchen mündend. Ich wollte es berühren. Ich schlang beide Hände hinter meinem Rücken fest ineinander, ich kettete sie an.
»Ich denke nicht«, sagte ich mit fester Stimme und wusste, dass ich überheblich klang. Ich spürte, wie er mir nachsah, während ich durch den Saal schritt, zurück zu meinem Ehemann. Ich wollte gehen, dieses Fest verlassen, flüchten. Hier war zu viel Leben, zu viel Verführung, zu viel von dem, was ich wollte und was sich nicht schickte zu haben. Ich wollte es, aber ich war nicht bereit das zu tun, was alle taten: Sich zu nehmen, was einem gefiel. Sich zu nehmen, wer einem gefiel. Ich war das Mädchen aus dem Kirschbaum, das sich geschworen hatte, sich niemals zu verlieben.
Ich träumte wild, tagelang. Ich wachte mit pulsierendem Unterleib erschrocken auf und wähnte mich erleichtert in Sicherheit, dass der Duc seit unserer Ankunft in Versailles nur noch in seinen eigenen Gemächern nächtigte.
Dieses Mal war es mitten in der Nacht, der Hof schlief, draußen stand Dunkelheit über dem Land. Ich ließ mich zurück ins Bett sinken, doch es gelang mir nicht, wieder einzuschlafen. Zu stark kreisten meine Gedanken um alles. Um den Comte. Um den Duc. Um mich. Mein Nachtgewand war schweißnass, es klebte an meinem Rücken. Also zog ich es aus und wickelte mich bloß wie ich war in meine Decke. Ich hing meinen Gedanken nach, als die Wärme zurückkam. Nach und nach blätterte ich meinen Körper aus der Decke heraus. Erst die Arme, deren Härchen im feinen Kerzenlicht golden erschienen.
Ich war jung und mir dessen nicht bewusst gewesen. Als ich meinen Oberkörper aus der Umklammerung der Decke löste, warfen die Rundungen meiner Brüste Schatten auf meinen flachen Bauch. Ich nahm eine von ihnen in die Hand. Sie passte genau hinein, fühlte sich weich und schwer an. War sie das auch für einen Mann? Spürte er, was ich spürte? Ich stieß die Decke von mir
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2020
ISBN: 978-3-7487-3217-4
Alle Rechte vorbehalten