Cover

Kapitel 1: Eine E-Mail mit Folgen

Betreff: Beschwerde über Ihre Mitarbeiterin Frau Lindemann

 

Sehr geehrter Herr Marcus,

 

bei der Besichtigung eines Ihrer Objekte am gestrigen Abend kam es zu einem sehr unschönen Vorfall. Bitte fassen Sie diese E-Mail als Beschwerde über Ihre Mitarbeiterin Frau Lindemann auf. Folgendes hat sich zugetragen: Als meine Frau und ich durch die Wohnung in Hamburg-Eppendorf geführt wurden, die Sie persönlich uns zuvor ans Herz gelegt hatten, wurden wir auf das Übelste vorgeführt und beleidigt. Frau Lindemann zeigte uns die Einbauküche und behauptete, wir würden sie sowieso nicht nutzen, da man Salatblätter auch in der Badewanne waschen könne. Sie scheuchte uns aus der Küche heraus, stellen Sie sich das einmal vor! Sie sah permanent an meiner Frau herauf und herunter und biss sich dabei auf die Lippe!!! Das ist mir nicht entgangen. Die Höhe war aber, als sie uns die Kinderzimmer zeigte und uns riet, die Fenster im Sommer zu verdunkeln, da die Südlage Sonne mit sich bringe, die unseren – Zitat: „blassen Vegetarier-Kindern“ nicht wohl bekäme. Ich möchte darauf hinweisen, dass meine Kinder sich genau wie wir der VEGANEN Lebensweise verschrieben haben, nicht dem Vegetarismus. Ich muss auf diesen Unterschied bestehen und stelle anheim, für die Bildung Ihrer Mitarbeiterin zu sorgen. Veganer verzichten auch auf Fortpflanzungsprodukte von Hühnern, Milchdrüsensekret von Rindern und Speichel von Bienen, im Volksmund: Eier, Milch, Honig.

Das Blut zum Kochen brachte auch die Besichtigung des Esszimmers. Frau Lindemann besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit zu sagen: „Es handelt sich um einen schönen großen Raum mit Energiesparbeleuchtung für das richtige Ungemütlichkeitsgefühl und viel Platz für Masern-Partys.“ Das ist die Höhe! Erstens haben Energiesparlampen einen Sinn, zweitens entsteht ehrliche Gemütlichkeit im Herzen, und drittens benötigen Masern-Partys nicht so viel Platz wie sie vielleicht denken mag. Es geht ja eben um den engen Austausch menschlicher Wärme und die Abhärtung der Kinder für ihr weiteres Leben. Ich fürchte, Impfbefürwortern kann dies nicht oft genug bewusst gemacht werden.

Alles in allem sind wir entsetzt über Ihre Geschäftsgebaren, auch wenn ich Sie persönlich für einen feinen Kerl halte. Jedoch sehe ich keine Möglichkeit mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und entziehe Ihnen den Auftrag zur Wohnungssuche für unsere kleine Familie.

 

Mit zornigen Grüßen

Jofrit Hansen

Vorsitzender des Hansischen Veganismus- und Ökologie-Verbands

 

Peter Marcus rückte die Brille so weit nach vorne auf die Nase, dass er Laura Lindemann über deren Rand hinweg streng ansehen konnte.

„Laura. Sie wissen, was ich denke?“

Nicht viel, dachte Laura, aber sie sagte: „Sagen Sie‘s mir.“ Sie verschränkte die Arme. Keinen Zentimeter würde sie abweichen von ihrer Meinung über diese Art Kunden, die in den letzten Jahren in Hamburg so zugenommen hatten. Die Quinoa zum Frühstück aßen und ihren Kindern die Muttermilch verwehrten. Die versuchten Erbsen und Bohnen in der Küche zu ziehen und wenn man ihnen riet, die doch nach draußen zu stellen, fragten sie verblüfft: „Ja kann man das denn?“

„Ich denke, dass Sie eine Auszeit brauchen.“

Laura verdrehte die Augen. „Peter – nicht dein Ernst!“ In Momenten wie diesen kam sie nicht umhin, aus lauter Empörung seinen Vornamen zu benutzen. Nicht ohne Wirkung. Sein Ton wurde sofort vertraulicher. Er senkte die Stimme.

„Laura, bitte. Wann warst du das letzte Mal im Urlaub?“

„Daran müsstest du dich besser erinnern als ich. Stichwort Mauritius.“

Nervös nestelte Peter Marcus an seiner Brille herum. Nur ungern wurde er von Laura an ihre Affäre vor fünf Jahren erinnert. Er hatte den großen Verführer geben wollen und hatte seine beste Mitarbeiterin großzügig nach Mauritius eingeladen. Aber nach zwei Wochen hatte Laura nur noch gelacht, wenn er seinen feurigen Blick aufgesetzt hatte. Dabei hatte er immer gedacht, dass die Frauen auf ihn flogen und seinen Kuschelbauch sexy fanden, die Geheimratsecken ihn klug aussehen ließen und die Krähenfüße unter seinen Augen Charakter ausstrahlten.

„Ähäm...“, räusperte er sich und bemühte sich um Autorität in seiner Stimme, wobei er wusste, dass dieser Versuch vergebens war, wenn Laura ihm gegenüber saß. „Also ich als dein Chef bin verpflichtet, dich auf deine Rechte hinzuweisen. Und auf deine Pflichten gleichermaßen! Einen solchen Vorfall wie diesen kann ich nicht mehr dulden. Andernfalls müsste ich über arbeitsrechtliche Konsequenzen nachdenken.“

Laura lachte. Sie hatte ein lautes, raues Lachen, das so anders war als ihre sanfte Stimme. Es versetzte ihm einen Stich, ihre ebenmäßigen Zähne zu sehen und ihre Jugend, die sie unbeschwert den Kopf in den Nacken werfen ließ, damit das Lachen mehr Platz hatte. Ihre naturblonden Haare, das amüsierte Blitzen in den grünen Augen. Er hätte diese Affäre niemals anfangen sollen. Sie verdiente mehr, viel mehr. Und jetzt war es zu spät.

„Laura, bitte“, zischte er verzweifelt. „Das ganze Büro kann dich hören.“

„Ich und Urlaub? Das ist als würdest du mich bitten, durch einen Feuerring zu springen oder einen Elefanten durch ein Nadelöhr zu treiben, Peter. Ich kann Urlaub nicht ausstehen. Ich muss etwas zu tun haben, mein Job bedeutet mir alles. Ich wünsche mir nur mal normale Kunden. Ehrliche, normale Kunden. Hast du nicht was in Harburg oder Bergedorf für mich?“

„Du weißt, dass wir nur exklusive Immobilien anbieten. Du arrangierst dich besser. Ich kenne dich gar nicht zynisch gegenüber Kunden.“

„Irgendwann platzt jedem mal der Kragen. Ich mache es wieder gut und vermittle diesen Monat noch mindestens drei Objekte.“

Er wusste, dass sie dieses Versprechen locker halten konnte. Sie war ein Naturtalent, was das Verkaufen anging. Allein schon dieses umwerfende Lächeln. Peter Marcus lehnte sich zurück und faltete die Hände zu einer Raute. Denkerpose.

„Ich weiß etwas für dich.“ Er kramte in einer Schublade und holte einen Schmierzettel hervor, auf dem in unlesbarem Gekritzel etwas stand, das Laura überzeugen sollte. „Hier habe ich den exklusiven Hinweis eines Freundes in der Provence auf eine bevorstehende Zwangsversteigerung. Lavendelfarm in hervorragender Lage, im Luberon. Unsere Kunden würden sich um das Objekt reißen, wir können mit der Courtage ein halbes Jahr den kompletten Betrieb hier finanzieren. Wir müssen es uns nur unter den Nagel reißen, bevor es wirklich zur Zwangsversteigerung kommt. Du kennst das Prozedere ja, das ist deine Spezialdisziplin.“

„Schleimer!“ Laura war heute wirklich gnadenlos. Sie brauchte dringend Urlaub. Oder grundsätzlich Ablenkung. Einen Freund vielleicht… Er verdrängte den Gedanken so gut es ging.

„Ich finde, du solltest dir ein paar Tage Urlaub gönnen und wenn du trotzdem arbeiten möchtest, dann fährst du eben zu dieser Farm und überredest den Eigentümer zu einem Verkauf, bevor das Insolvenzverfahren in Sicht ist. Monsieur Clément wird es dir danken. Wickle ihn um den Finger, das beherrschst du ja.“

„Eine Frage: Was heißt ‚ein paar Tage‘?“

„So… zwei Wochen?“

„Zwei Wochen! Willst du mich umbringen?“

Er überging ihre Frage. „Hier ist der Zettel. Meine Sekretärin bucht dir die Flüge und ein Hotel, wenn du willst.“

„Ich hasse Hotels, ich hasse Flüge.“

„Oh Laura, warum musst du so anstrengend sein?“, seufzte er. „Was willst du denn? Eine Ferienvilla? Einen Wohnwagen? Ein Zelt?“

Laura setzte ein breites Lächeln auf. „Ein Zelt wäre genau nach meinem Geschmack.“ Es kam völlig ironiefrei. Er kannte sie wirklich nicht besonders gut, auch wenn er das immer geglaubt hatte.

„Ein Zelt?“

„Ja, ein Zelt. Für das Rad sorge ich.“

Kapitel 2: Tief im Glas

 „Hé, Benjamin! Du bist mal wieder zu spät.“ André begrüßte seinen besten Freund mit einem erschöpft wirkenden Lächeln. In seinem Glas war schon zweimal der Pastis nachgefüllt worden und jetzt leerte er erneut die trübe Flüssigkeit in einem Zug. Er dünstete Alkohol- und Anisgeruch aus.

„Oh Mann, du siehst echt nicht gut aus“, sagte Benjamin und ließ sich auf dem Barhocker nieder.

„Ich sehe aus wie immer. Wie ein gescheiterter Mann, dem Mitleid oder Spott gebührt. Ich bin mir gerade nicht sicher, wie ich deine Bemerkung einordnen soll.“

„Als Spott!“

„Schade. Es klang wie Mitleid.“

Benjamin senkte seine Stimme und zischte: „André, reiß dich mal zusammen! Du bist nicht der Einzige, der finanzielle Probleme hat.“

„Aber der Einzige, der zudem noch von seiner Frau verlassen wurde.“

„Das ist zwei Jahre her. Du musst nach vorne schauen.“

„Och bitte, Ben! Diese ewigen Floskeln. Schaue ich nach vorne, sehe ich einen Berg Schulden und einen Haufen stinkenden Lavendel. Alles an mir stinkt nach Lavendel. Ich kriege den Geruch gar nicht mehr weg. Es ist zum Kotzen.“

Benjamin verzog seine Mundwinkel zu einem süffisanten Lächeln. „Also zur Zeit riechst du eher nach Alkohol und Schweiß, mein Lieber. Soll ich dir einen Eimer kalten Wasser über den Kopf gießen, damit du nüchtern bist, wenn wir auf den Markt gehen?“

André seufzte und ließ seinen Kopf auf die Theke fallen. „Lass nur, ich spritze mir gleich ein bisschen was ins Gesicht und dann bringen wir es hinter uns.“

André hasste den Markt. Und er hasste den Lavendel, den er dort verkaufte, im Sommer fast ausschließlich an Touristen. Er konnte ihre Gesichter nicht mehr sehen, immer dieselben schweißnassen roten Fratzen, die seinen Lavendel an die sonnenverbrannten Nasen hielten und ihm dann Münzen in die Hand zählten. Manchmal gaben sie ihm großzügig ein paar Cent Trinkgeld, vor allem die Damen. Dabei sollte er Geld dafür verlangen, dass er ihnen allen ein Lächeln gab, denn lächeln konnte er. Das war eines dieser Talente, auf die er gerne verzichtet hätte. Es war nur gefährlich, den Frauen zu gefallen, denn falsche Fuffziger waren sie am Ende alle. An den heißen Sommermorgen wie diesem, an dem die Sonne schon um sieben Uhr morgens vom Himmel brannte und die Zikaden kreischen ließ, wollte er sich am liebsten in seinem Farmhaus verkriechen und fernsehen. Dummerweise war es Juli und es lief auf fast allen Sendern Tour de France. Radrennen hasste er auch. Und noch viel mehr die Touristen, die sich in enge Lycra-Shorts quetschten und dann irgendwann vor seiner Tür standen: „Kann ich bei Ihnen meine Wasserflasche auffüllen?“

„Natürlich. Heute zum Sonderpreis von zwei Euro, weil Sie es sind.“ Ein Zahnpastalächeln. Verwirrung bei den Möchtegernsportlern, die dann eine Münze aus ihrem Trikot fischten. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und am Ende trug er die Metallscheiben doch nur in die Bar.

Als er aus dem WC wankte, stützte Benjamin ihn. Ein bisschen schämte er sich. Sein bester Freund opferte sich für ihn auf, seit sie beide Kinder waren und er konnte ihm nichts zurückgeben. Die Farm dominierte alles. Die verdammte Farm. Seine Mutter, die es sich erlaubt hatte zu sterben und sie ihm zu vererben, verbunden mit dem letzten Willen, sie auf keinen Fall zu verkaufen. Lavendelträume, das waren ihre. Albträume, das waren seine.

Mechanisch packten Benjamin und André Lavendelsträußchen in Papiertüten, schoben Ölfläschchen und Seifenstücke über den Tapeziertisch, die dann in die schweren Taschen der Urlauber wanderten. Früher hatte er sich vorgestellt, wie die Produkte der Farm in aller Welt landeten. Damals, als er ein kleiner Junge war und seine Mutter die Bäuerin mit Herz, die energisch das blaue Gold

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Natalie Rusch
Cover: Umschlaggestaltung: N. Rusch unter Verwendung zweier Bilder von Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 25.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7595-1

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /