Cover

Intro

Ohne Rücksicht

 

Lucas Timm

 

ISBN-978-1985231771

ISBN-10: 1985231778

 

 

  1. Auflage, März 2018

 

©Lucas Timm 2018

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www.lucastimm.de

 

Covergestaltung: Thomas Juch

Homepage: facebook.com/ThomasJuchHH

Kontaktmöglichkeit: tjuch@web.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet.

 

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.

Prolog

Juans Murmeln und das unregelmäßige Atmen direkt neben meinem Ohr, zauberten mir ein Grinsen ins Gesicht. Vorsichtig drehte ich mich um und drückte  mein nacktes Hinterteil an seine leichte Erektion. Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht durch gezielte, sanfte Berührungen Einfluss auf seine Träume nehmen könnte.

Dank meines ausgeprägten Einfühlungsvermögens, das natürlich in erster Linie eigennützig zum Einsatz kam, verwandelte sich mein Vorhaben von Hilfestellung allerdings schnell ins Gegenteil.

„Was machen wir denn da, Pups?“, flüsterte mein Freund leicht verwirrt und schob seine blaue Schlafmaske einen Stück nach oben, sodass man im abgedunkelten Zimmer nur seine kleinen Augen erahnen konnte.

„Wir? Ist schon in Ordnung. Mach die Augen zu. Ich erledige den Rest allein“, klärte ich die Situation und legte für einen Moment vorsichtig meine Hand auf sein Gesicht, um anschließend mit dem Kopf unter die Bettdecke zu rutschen, wo ich schließlich hingehörte.

Reine Routine, die nach fünfzehn Jahren Fernbeziehung nicht weniger Spaß machte als zuvor.

Wir waren in eigentlich allen Lebenslagen ein eingespieltes Team. Auch in den Wochen und Monaten, die wir getrennt waren. Juan „begleitete“ mich durch den Alltag. Allen Freunden war längst bewusst, dass ich seine Art zu reden und auch einige seiner Rituale, fest in mein tägliches Leben übernommen hatte.

„Sowas nennt man dann wohl Liebe“, erwähnte mein Traummann irgendwann einmal. Damit hatte er sicherlich Recht.

Überhaupt war es schwer, mein Glück zu fassen Dass Juan und ich uns vor so vielen Jahren in Hamburg begegnet waren. Dass gerade ich im richtigen Moment seine Wartenummer gedrückt und ihn damals  jung und sexy zu mir an den Tisch gerufen hatte. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick. Das unverhoffte Wiedersehen im Pit Club und die Tatsache, dass er für mich sogar seinen Freund verließ. All das war Schicksal. Und mir war bewusst, dass irgendwer es wirklich gut  mit meinen Leben meinte.

Es fiel mir nach der kurzen Entspannungsübung mit Juan und dem daraus resultierenden, angenehm nassen T-Shirt auf meinem Bauch nicht leicht, wieder einzuschlafen.

Zu viele Gedanken spukten durch meinen Kopf. Die Überraschungsreise nach London und der geplante Musicalbesuch als der perfekte Rahmen für den großen Moment. Das Grundgerüst stand, aber wie und wo genau sollte es passieren?

Noch zwei Tage, also genauer gesagt nur noch neununddreißig Stunden und ich bin verlobt - also wenn alles glatt läuft. Aber das tut es in meinem Leben ja letztendlich immer. Darauf war Verlass.

 

Kapitel 1

 

Der Regen prasselte am übernächsten Morgen bedrohlich an das Schlafzimmerfenster. Hatte ich mich getäuscht oder war in der Ferne wirklich ein leichtes Grummeln zu hören? Irgendwie gemütlich – wenn man nichts geplant und den ganzen Tag zu zweit im Bett verbringen wollte.

Die Meteorologen versprachen doch gestern noch Frühnebel und anschließend Sonnenschein satt. Genauso, wie man es von einem Julitag auch erwarten sollte. Wie konnte das nur angehen?

Hatte ich die Wetteranzeige meiner Google Startseite in meiner Vorfreude vielleicht schon versehentlich auf London umgeswitcht? Eine solch grobe Fahrlässigkeit wäre dumm, aber auch nicht gerade untypisch für mich.

Immerhin checkte Juan, den ich mit dieser bedeutungsschweren Reise überraschen wollte, seit dem Wochenende mehrmals täglich seine Mails an meinem Computer und würde sicherlich Verdacht schöpfen, wenn da die Temperatur aus der britischen Hauptstadt aufblinken würde.

„Scheiße Wetter Flink! Mach mir nochmal Popomassage vor aufzustehen“, grinste mich der Spanier erwartungsvoll an und  warf die Decke gekonnt beiseite, sodass man seinem durchtrainierten Körper kaum widerstehen konnte. Es sei denn, man steht unter Zeitdruck und in freudiger Erwartung, genau diesen Kerl ganz offiziell und dauerhaft an sich zu binden, was nur planmäßig über die Bühne ging, wenn wir pünktlich um 12 Uhr am Check in des Hamburger Flughafen stehen.

Die spanische Gemütlichkeit war mir nicht neu – dennoch eine Herausforderung, der man sich täglich aufs Neue stellen musste. Ob man nun wollte oder nicht!

„Hoch den Arsch und raus aus dem Bett“, versuchte ich es gleich autoritär und erntete dafür einen skeptischen Blick.

„Hoch bin ich schon, du Blöd“, konterte Juan und drehte sich auf den Rücken, um zu untermauern, was genau er damit meinte.

Der Situation konnte man nur durch direkte Flucht ins Badezimmer entkommen. Ein kalte Dusche und vor allem der straffe Zeitplan rundeten die Motivation ab. Juan sollte sich mal ruhig für die kommende Nacht aufsparen. Als Sahnehäubchen sozusagen.

„Nun aber raus aus dem Bett, du Schlafsack. Wir haben nicht so viel Zeit, wie sonst. Ich hole auch keine Brötchen, denn gefrühstückt wird nachher am Flughafen.“, ließ ich die Bombe platzen.

„Woooos? Keine Brötchen?“, reagierte Juan etwas ernüchternd, wenn man bedenkt, was eigentlich für eine Botschaft dahinterstand.

Erst jetzt bemerkte, ich,  die gelben Ohrstöpsel, die noch links und rechts aus seinen Gehörgängen herausguckten.

„Wir fliegen in vier Stunden nach London! Überraschung! Und es muss noch gepackt werden!“, klärte ich das Missverständnis auf, während mein Freund verdutzt aus der Wäsche guckte.

„Yes mate! Du bist sowas von verruckt“, sprang er splitternackt aus dem Bett, küsste mich im Vorbeigehen und hüpfte aufgeregt aus dem Zimmer.

„Verruckt, verruckt, verruckt du“, hörte ich aus immer weiterer Entfernung. Wobei er gekonnt das R in Gedenken an Marika Rökk rollte.

Vielleicht sollte man es immer so mit ihm machen.  Juan benötige zum Kofferpacken für gewöhnlich mindestens zwei bis drei Tage, in denen er die Dinge von links nach rechts und wieder zurücklegte. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass er sonst immer auf das Mindestgewicht achten musste, was im Regelfall durch meine liebevollen Geschenke und massenhaften Schnäppchenkäufe bei Kik und Rossmann sowieso überschritten war. Zwanzig Kilo für drei Tage London pro Person waren daher die leichteste Übung.

Keine sechs Stunden später rollten wir unsere Koffer aus dem alten Fahrstuhl der Underground Station Covent Garden.

Es ist immer wieder wie das Eintauchen in eine komplett andere Welt, wenn man in London ankommt. Mit einem Mal ist man Teil der verrücktesten Videoclips von MTV, denkt alle fünf Meter darüber nach, ob man nicht einfach stehenbleiben und lustige Fotos machen soll oder einfach dem nächsten Typen im sexy Anzug an den Po packt.

Überhaupt ist das Sitzen in der U-Bahn in London um einiges aufregender, als in Hamburg. Ist der Waggon nicht überfüllt, sitzt man sich genauso gegenüber, dass man mindestens fünf Leuten direkt zwischen die Beine gucken kann. Ist es überfüllt, schätzt man sich gleich noch glücklicher, wenn man nicht stehen muss, denn so baumeln die Früchte des Verlangens nur wenige Zentimeter vor den Augen und man kann sich ungeniert seiner Fantasie hingeben. Bestenfalls ist es so voll, dass einem die Beulen fast ins Gesicht gepresst werden.

Was ich eigentlich sagen will:  Es ist auch schön, von Zeit zu Zeit allein nach London zu fahren, also ohne Juan. Doch hätte ich die Wahl, ich würde seine Gesellschaft trotz dieser überwältigenden Inspiration jederzeit vorziehen. Wie er so vor mir seinen Koffer zieht und mit begeisterten Augen die alten Gebäude und kleinen Püppchen an einem Straßenstand angrinst, macht mir klar, wie sehr er mir eigentlich fehlt, wenn wir nicht zusammen sind. In seiner Gegenwart fühle ich mich vollkommen. Alles andere ist sozusagen eigentlich nur ein Kompromiss mit Benefits.

Das Strand Palace Hotel liegt in unmittelbarer Nähe zum Covent Garden. Es ist eigentlich nicht so ganz meine Preisklasse. Früher hat mein Vater mich des Öfteren mit dorthin genommen, wenn wir zusammen in der britischen Hauptstadt waren. Die Urlaube waren allerdings für gewöhnlich recht anstrengend.

Nun, wo er unheilbar an Prostatakrebs erkrankt ist, war ein gemeinsamer Urlaub dann eher mit Nostalgie zu beschreiben.

Ein Portier öffnete uns die Tür. In der Lobby herrschte großer Andrang vor den sechs Fahrstühlen. Während ich unsere Buchung aus der Tasche kramte, bemerkte ich plötzlich, dass Juan gar nicht mehr zu sehen war. Was war denn passiert? Eben stand er doch noch an der Ampel neben mir.  Er wird doch nicht verloren gegangen sein?

Gekonnt schlängelte ich mich durch die Menge zurück auf die Straße. Siehe da, da stand mein Freund mit seiner Kamera und fotografierte begeistert die alte Fassade des wirklich schönen Gebäudes.

„Guck mal da oben die Flaggen unter den Dach: Sogar Spanien hab ich gefunden und Island. Ist das nicht schön? Da fahren wir auch mal bald hin…“, gluckste er begeistert und drückte mich.

„Jetzt aber mal rein, du Deutschermann“, zog er mich zurück in Richtung Eingang. Anscheinend hatte er gar nicht bemerkt, dass ich gerade erst wieder rausgekommen war.

„Herr Timm ist aber erwachsen geworden, ne? Keine blöde Backpackers-Kakerlake-Unterkunft diesmal. Aber bestimmt viel zu teuer und wir mussen demnächst unter der Brücke schlafen, du crazy Cow“, stellte er treffend fest.

Meinen Kontostand verdrängte ich lieber schnell wieder, denn egal was ich für diese Reise ausgegeben hatte, es sollte schließlich etwas ganz Besonderes werden. Etwas Unvergessliches, was unsere Liebe noch weiter festigen sollte – sofern dies überhaupt noch möglich war.

Im Zimmer folgte dann die große Ernüchterung. Was war denn das? Unser Doppelzimmer gestaltete sich so, dass zwei Einzelzimmer mit jeweils einem Single-Bett durch eine Verbindungstür miteinander verbunden waren. 

„Das kann ich nicht glauben. Wie sollen wir denn da Löffelchen schlafen?“, fiel dem Spanier die Kinnlade runter und auch bei mir ging die Laune in den Keller. Ich wurde richtig sauer und sah mein Vorhaben in Gefahr.

„Geh ich nochmal runter zu den Antonio-Schwuchtel von die Rezeption. Der ist ja auch ein Spanier und wir müssen zusammenhalten. Wird´s geklärt“, nahm Juan die Zügel in die Hand, wo ich selbst wahrscheinlich zu schüchtern gewesen wäre, die Sache gut zu regeln.

Die Diskussion mit dem Landsmann gestaltete sich nicht besonders einfach da ich anscheinend bei der Buchung mit den Begriffen „Kingsize-“ und „Queensize Bett“ nicht viel anfangen konnte. Was mir allerdings klar war: Zwei Singlebetten mit getrennten Badezimmern standen nicht in meiner Buchung.

Zwanzig Minuten später bezogen wir dennoch eine neue Bleibe im sechsten Stockwerk des gehobenen Mittelklassehotels. Ziemlich dunkel und klein mit Blick zum Innenhof. Außer dem Bett, was wirklich königlich groß war, passten nur noch der Teekocher, zwei Nachttische und der Kleiderschrank in den edelpuffig wirkenden Raum. 

Juan flitze erst einmal ins Bad. Ich setzte Wasser auf und genoss das gemütliche Bollern, während ich anfing, meinen Koffer auszupacken.

„Kückemann, Kückemann!“ Die Tür des Klos wurde einen Spalt geöffnet.

„Was ist denn los?“

„Es gibt gar keine Brüste hier ans Klo!“

„Wie bitte? Was sollen die denn da?

„Für Saubermachen. Ich hab alles dreckig gemacht und hier ist keine Brüste.“

„Du meinst wohl Bürste, oder?“ lachte ich, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Schließlich war der Typ auf der Toilette doch auch Deutschlehrer. Was das wohl für Auswirkungen auf das spanische Volk hatte.

„Lach du mal. Brüste oder Bürste egal. Dreck muss weg“, lachte Juan nun auch.

Überraschenderweise war wirklich keine Klobürste vorhanden. Das war nicht schön, aber nun auch nicht so schlimm, denn wir hatten uns, ein großes Bett und wenn man sich gegenseitig den Po leckt, dann kann man auch mit ein paar Bremsspuren in der Toilette leben.  Das ist halt Liebe. Aber, wenn Juan nun Antonio anrufen und ihn nach Brüsten fragen will, soll er dies gern tun.

Wobei der ungewollte Witz in englischer Sprache leider nicht funktionieren würde. 

Frisch geduscht und voller Tatendrang machten wir uns eine Stunde später auf den Weg, um uns ins Weltstadtgetümmel zu stürzen.

Antonio von der Rezeption zwinkerte Juan freundlich zu, als wir an seinem prunkvollen Mahagonitresen neben den Fahrstühlen vorbeigingen. Was sollte ich denn bitte davon halten? Wie weit gingen deren Verhandlungen um ein Doppelbett wohl wirklich? Recht heiß sah der Südländer in seiner Hoteluniform ja aus. Aber hier waren wir zusammen und in den wenigen Wochen im Jahr, die wir zusammen verbringen konnten, war Treue natürlich auch nach all den Jahren oberstes Gebot.

Eifersucht gab es natürlich trotzdem ab und zu. Es war immer wieder ein Genuss, wie mein Freund unruhig und zickig wurde, wenn jemand Interesse an mir zeigte.

Vielleicht war es auch einfach nur eine freundliche Geste von Antonio, der sich die letzte Stunde kaum auf die Arbeit konzentrieren konnte, weil er sich ausmalte, was wohl oben auf unserem Bett für aufregende Sachen vor sich gingen. Vielleicht sollte man noch einmal schnell die Klobürste erwähnen, um ihn auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen.

Auf der Straße schien die Sonne vom Himmel. Vierundzwanzig Grad waren für Ende Juli nichts Ungewöhnliches. Schon gar nicht für den Kanaren neben mir, doch der freute sich einen Ast über das „Flip Flop-Wetter“, wie er es immer nannte.

Gerade wollte ich meine Sonnenbrille aufsetzen, als ein großes Plakat am Hotel Savoy auf der gegenüberliegenden Straßenseite mein Interesse weckte. Bei genauerem Hinsehen traf mich fast der Schlag: Legally Blonde – The Musical! Ein Blondchen in knallrosa Kostüm mit Büchern bepackt und einem kleinen Chihuahua an der Leine, ließ mein Herz rasen. War das die Wirklichkeit oder ein Traum? Wie oft hatte ich die Filme in den vergangenen Jahren angesehen?

„Juan, Juan! Guck mal. Es gibt ein Musical von „Natürlich blond“. Das müssen wir gucken!“

Skeptische Blicke musterten mich.

„Wie schwul kann der Mann eigentlich sein?“, meinte mein Freund entsetzt.

Ich ignorierte das einfach, denn der Kerl, der das zu mir sagte, war gerade beim letzten Karneval in Las Palmas im Esther Williams-Kostüm in Badeanzug mit Blümchenbadekappe durch die Clubs und Bars der Stadt gehuscht.

Im nächsten Moment standen wir auch schon an den Schaukästen des Theatereingangs. Der nächste Flash erfasste nun nicht nur mich sondern auch Juan. Die männliche Hauptrolle in einem meiner persönlichen Klassiker der letzten Jahre spielte Duncan James, der Muskel-Schönling der Boygroup Blue.

„Könnte man es mal angucken…“, leuchteten nun auch Juans Augen feurig. „Der sieht geil aus. Wo wird´s Tickets gekauft?“

An der Last Minute-Kasse am Leicester Square bekamen wir sehr günstige Karten.  Reihe zwölf. Zwar war es nicht ganz in der Mitte, doch war das Stück sicherlich linkslastig, vor allem, wo man ja nun wirklich auf vielen Fotos sehen konnte, in welche Richtung Duncans bestes Stück ragte.

Der Abend war gerettet und ich schwebte auf Wolke Sieben, als sich später der Vorhang hob und Elle Woods und Duncan James alias Sheridan Smith mich für fast drei Stunden verzauberten. Die Geschichte von der auf den ersten Blick, dummen Blondine, die dank ihres ausgeprägten Wissens in Sachen Kosmetik, Mode und zu guter Letzt auch Menschenkenntnis alle Neider und Skeptiker überrascht. Der Film startet mit einem erwarteten Heiratsantrag, der sich allerdings als Trennungsgespräch entpuppt. Wie unpassend eigentlich …

Als Elle Woods am Ende der Aufführung jedoch mit einem Abschluss in Jura Tränen in meine Augen treibt, waren mir Juans „Schwulerei“ und „albernes Hund“-Einwürfe egal. Er hatte ja Recht. Sein leidenschaftliches Grunzen, wenn Duncan seinen knackigen Körper, übrigens meist im linken Teil der Bühne, bewegte, konnte ich natürlich auch nachempfinden. Mit Standing Ovations feierte das Publikum die Aufführung! Am liebsten hätte ich mir die Show gleich noch einmal angesehen, doch das Programmheft und die gesammelten Eindrücke mussten vorerst reichen.

Und dann gab es ja auch noch das Foto mit Duncan James, das ich von Juan geschossen habe. Es ist in London so einfach große Stars nach ihren Auftritten abzufangen, Fotos zu machen und Autogramme zu bekommen. Juan konnte natürlich noch einen drauflegen:

„Hab ich Duncan an den Popo gefasst, als du die Fotos gemacht hast“, lechzte er anschließend triumphierend. „Wird´s die Hand heute nicht mehr gewaschen! Er schnupperte stolz an seinen Fingern und zog diese weg, als ich auch mal daran riechen wollte. „Meins!“

Es war in vielerlei Hinsicht ein erfolgreicher, lustiger und vor allem schwuler Abend!

Konnte das Musical „Liebe stirbt nie“ und mein Liebesbekenntnis dies eigentlich noch toppen? Für einen Moment überlegte ich, Juan schon heute zu fragen, so glücklich war ich.

Kapitel 2

 

„Soho ist auch nicht mehr das, was es einmal war“, stellte ich am nächsten Morgen enttäuscht fest.

Damit waren nicht die Prostituierten gemeint, die sonst in dem dunklen Gang hinter der Brewer Street standen.  Vielmehr war die Anzahl der Secondhand-Schallplattenläden in den vergangenen Jahren  auf ein Minimum geschrumpft.

Sogar die ersten CD-Läden von Virgin und HMV wurden eingestampft. Selbst das zentral am Piccadilly Circus gelegene Tower Records musste einem blöden T-Shirt-Shop weichen.

„Gibt´s immer Veränderungen im Leben, Kückemann“, versuchte mich Juan aufzumuntern.

„Ich will die 80er zurück. Da war alles toll. Da war die Carnaby Street noch voll mit Punks und schillernden Freaks. Na immerhin gibt es noch den Dunkin Donut Laden in der Nähe“, versuchte ich mir selbst vor Augen zu halten, wie gut wir es doch haben.

„Außerdem gab es dich da noch nicht. Also nicht in meinem Leben“, küsste ich Juan spontan auf offener Straße, was ihm ein wenig unangenehm war, denn er zuckte verschreckt zurück und guckte, ob es jemandem aufgefallen war.

Juan war nie der Mensch, der mit Liebesbekundungen um sich warf, und auch nicht der Typ, der diese wirklich annehmen konnte.

Die vielen kleinen Geschenke und Blödigkeiten, von denen ich geradezu überhäuft wurde, waren seine Art, Zuneigung zu zeigen. Es waren ebenso seine Blicke und das Begehren, die mir das Gefühl gaben, den Sinn des Lebens gefunden zu haben.

Bei  round and round it´s „Mr Pound“ und in diversen Souvenir-Läden war der Kanare in seinem Element. Auch der Besuch in seinem Lieblingsbuchladen nahm fast eine Stunde in Anspruch. 

Ich machte es mir derweil mit einem Coffe to go auf einer kleinen Treppe eines Hauseingangs auf der anderen Straßenseite gemütlich und beobachtete die netten Businessmänner und Touristen. Ob ich unter einem Vorwand kurz zur nahegelegenen öffentlichen Toilette gehen sollte, um ein paar Schwänze langzuziehen? Nein. Das wäre zwar eine nette Verlockung, aber nicht angemessen. Nicht an einem so wichtigen Tag, wie heute. Man kann ja schließlich auch mal einen Gang herunterschalten.

Überhaupt musste ich langsam mal auf die Uhr achten, denn in 3 Stunden würde das Musical beginnen: „Love never dies“ – wie passend der Titel doch war.

Am Himmel zogen vermehrt Wolken auf. Die Sonne verabschiedete sich langsam. Ein Sommergewitter war nun wirklich das letzte, was ich an diesem Abend gebrauchen konnte.

Juan stand plötzlich vor mir. In seinen Händen hatte er zwei weitere Einkaufstüten voll mit alten Comics. Dazu präsentierte er mir ein Buch, das ein großes Loch in der Mitte hatte.

„Da kann ich mein Pilli durchstecken, wie Hot Dog und Schlange“, freute er sich über seinen Kauf.

„Wieso du denn nur? Das kann ich ja wohl auch tun.“, konterte ich kreativ.

„Mit dein geschwitztes Pilli kommst du da nicht rein. Außerdem dein Pilz ist zu groß für das Loch.“

Also mit dem Eichel-Argument konnte ich ja leben, aber der Rest war selbstverständlich nur ein kleines Necken …. hoffte ich jedenfalls. Seitdem ich mich hauptsächlich seinetwegen von meiner Vorhaut getrennt hatte, dürften weder Smegmaspuren noch würzige Gerüche von meinem Schwanz ausgehen. Es sei denn, Juan hatte Mundgeruch, was eigentlich nur vorkam, wenn er Fisch gegessen hatte.  Somit wäre dann aber er für den Gestank verantwortlich. Also alles nur Blödsinn.

„Hopp,  hopp ins Hotel und Reinstecken, Kücky“, rannte mein Freund nun plötzlich entgegen seiner sonst so ausgeprägten, spanischen Lahmarschigkeit in Richtung U-Bahn Station.

Ich kannte ihn inzwischen so gut, dass ich mir denken konnte, dass er eigentlich dringend auf Toilette musste und deshalb schnurstracks zurück in unsere Nobelunterkunft eilte.

Juan schloss die Klotür immer wieder hinter sich, obwohl er genau wusste, dass es nur wenige Minuten dauert, bis ich sie wieder aufmache, um ihn zu stören.

„Dusch dich gleich mal. Wir haben heute noch etwas vor!“, war es nun an der Zeit, ihn über unser Abendprogramm aufzuklären.

„Ich will in Ruhe kacken. Lass mich mal. Danach Buch stecken und dann dich.“

Keine Chance. Den Sex hatte ich an einer anderen Stelle des Abends eingeplant. Schlimm genug, dass der Regen seit zehn Minuten an das Hotelfenster prasselte, ich keinen Schirm eingepackt und zudem auch noch mein Opernglas in Hamburg vergessen hatte.  In der 10. Reihe wird das aber sicherlich entbehrlich sein. Also alles nicht so wild. Und auch die Gewitterwolken werden sich bis halb acht noch verziehen können.

„Wir gehen heute ins Musical Phantom der Oper Teil 2. Deshalb habe ich die ganze Reise geplant. Ich will das unbedingt mit dir sehen“, ließ ich die Katze aus dem Sack.

„Love never dies. Love never dies“, begann der gerade aufgestandene Kanare opernlike zu singen und umarmte mich. Sogar einen dicken Kuss drückte er mir direkt auf den Mund.

„Ich kann es nicht glauben, Du Verruckter! Ich wusste nicht, dass es das schon gibt in London“, freute er sich und seine Augen leuchteten.

Anscheinend hatte er die Werbung an den langen Rolltreppen der U-Bahnen und auch die Plakate auf den Bussen nicht bemerkt. Sobald diese in Sichtweite auftauchten, versuchte ich allerdings auch mit aller Kraft, seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. Das hatte anscheinend gut funktioniert. Zudem lief das Musical erst seit vier Monaten. Umso überraschter war ich, dass Juan das Titellied schon so locker von den Lippen kam.

Wer mich gut kennt, der weiß ja, was Das Phantom der Oper damals in mir ausgelöst hat. Es hat mich dazu inspiriert, Gesangsunterricht zu nehmen und mich völlig in seinen Bann gezogen. An die zwanzig Mal hab ich es geguckt. Davon mindestens dreimal mit Juan.  Als klar war, dass es einen weiteren Teil geben wird, habe ich mich auf jede Neuigkeit, die ich dazu finden konnte, gestürzt.

Zuerst las ich ein Jahr zuvor Frederick Forsyth Romanvorlage „Das Phantom von Manhattan.“, die ich bei Amazon für zwei Euro gefunden hatte.

Begeistert malte ich mir die Inszenierung aus, die tollen Effekte und das dazugehörige Bühnenbild. Anschließend hörte ich mir die Doppel-CD tagelang an und studierte die Texte, damit ich auch alles verstehen würde. Und nun war es endlich soweit: Der große Tag, die Nacht der Nächte und die Frage aller Fragen sollten meinen eigenen Traum vom Leben  abrunden und wahrwerden lassen. Zwar wusste ich,  dass wir zumindest auf der Bühne kein Happy End erwarten konnten, doch die überwältigenden Emotionen und die dargebotene Dramatik bildeten den perfekten Rahmen, um sich im Anschluss ewige Liebe zu schwören.

Das Theater lag nur wenige hundert Meter von unserem Hotel entfernt. Wir mussten nicht einmal die Straße überqueren.

Mein Herz hüpfte, als Juan in seinem  dunkelroten Hemd und schwarzer Krawatte neben mir stand. Ich selbst war komplett in schwarz gekleidet.

 

Im Adelphi haben wir vor ein paar Jahren schon Ute Lemper als Velma Kelly in Chicago bewundert.  Sie und die stylische Show haben uns damals geradezu umgehauen. Auch mein Lieblingsmusical Sunset Boulevard habe ich dort zum ersten Mal gesehen. Die Messlatte für den heutigen Abend lag also hoch.

Das Licht ging aus, der Vorhang öffnete sich. Meine Hand krallte sich aufgeregt an Juans Oberschenkel, wo sie bis zur Pause ausharrte.

„Hm ….  also ich hab mir das irgendwie anders vorgestellt“, konnte ich meine unerfüllten Erwartungen in der Pause nicht so wirklich verstecken.

„Es wurde ja nicht einmal erwähnt, dass Raoul Eunuch ist und gar keine Kinder zeugen kann“, versuchte ich zu erklären, dass ich mit dem Inhalt der Romanvorlage doch einiges anders umgesetzt hätte.

„Ich liebe es. Ich finde das gut so, wie ist“, freute sich mein Freund. Na immerhin. Sicherlich würde die zweite Hälfte etwas besser und das Ende schön dramatisch und vor allem romantisch werden.

 

Vielleicht hätte ich mich im Vorfeld doch nicht so sehr in die Thematik einarbeiten sollen.  Aber es machte so wahnsinnig viel Spaß, sich Bühnenbilder  und Kostüme auszumalen, dass es sich schon allein dafür gelohnt hatte. Wenn man nicht alles selber macht. Kein Wunder, dass man sich für die Premiere ein für Londoner Verhältnisse recht kleines Theater ausgesucht hatte.

Ich gehöre ja nicht zu den Leuten, die immer ein Buch in der Tasche haben. Aber man hört ja oft, dass Leser von Büchern enttäuscht sind, wenn ihr Lieblingswerk verfilmt wird.

Alles in allem war es dennoch ein schöner Abend. Nichts Weltbewegendes, aber immerhin ein zweiter Teil meines geliebten Phantoms.

Juans Begeisterung war ungebrochen. Das war mir um einiges wichtiger, als mein eigenes Empfinden. Dank des Sektchens in der Pause war der Spanier geradezu aufgekratzt und sang immer wieder den Titelsong auf dem Nachhauseweg.

Im Fahrstuhl küssten wir uns noch einmal. Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Es war so weit.

Während Juan sich auszog, kramte ich die Papiertüte aus meinem Koffer, in der ich Kerzen, Streichhölzer und den Lautsprecher von meinem IPod versteckt hatte. Sogar eine kleine Flasche Sekt hatte ich heimlich in unserer Minibar deponiert. Juan war inzwischen ins Bad gegangen. So hatte ich  freie Bahn, auch dem Zimmer einen Hauch von Romantik zu verleihen.

 

„Forever love“ von Gary Barlow ist unser Lied.  Das Piano Intro ertönte, als Juan im Türrahmen erschien. Das warme Kerzenlicht ließ mich in meinem Theateroutfit sicherlich feierlich erscheinen.  Ich fing an zu zittern, als ich mich auf den Boden kniete und Juan irritiert vor mir stand.

Mit direktem Blick auf seine Unterhose kam es mir kurz so vor, als würde ich sein bestes Stück ansprechen. Erotik stand jetzt allerdings ganz und gar nicht im Vordergrund.

 

„Lieber Juan. Wir sind nun schon fünfzehn Jahre glücklich zusammen. Ich werde im kommenden Jahr vierzig Jahre und du sogar schon fünfzig. Ich bin sehr glücklich, wenn wir zusammen sind und…“, fing ich an.

„Was machst du nur?“ unterbrach Juan mich.

 

„Ich bin sehr glücklich mit dir“, setzte ich erneut an und Tränen sammelten sich in meinen Augen. Mir wurde heiß und kalt, denn es waren so viele Emotionen in mir, die ich nicht in Worte fassen konnte, während mein Spanier mich anstarrte.

 

„Jetzt, wo deine kleine Mutti nicht mehr da ist und du irgendwie allein bist, möchte ich deine Familie sein, für immer. Also wollte ich dich fragen, ob du mich heiraten möchtest, mein Kückemann“, vollendete ich die Worte, die einfach so aus meinem tiefen Inneren heraussprudelten, wie die Tränen, die inzwischen meine Wangen hinunterliefen.

Juan stand noch immer still mit aufgeknöpftem Hemd vor mir. Seine Augen waren weit aufgerissen. Es arbeitete unübersehbar in ihm und dann…. Dann kam die Antwort herausgeschossen:

„Willst du alles kaputtmachen?“

Das, was sich hinter seiner sonst so niedlichen Fassade zusammengebraut hatte war Panik. Pure Panik.

In der nächsten Sekunde drehte er sich um, ging zurück ins Bad und knallte die Tür zu.

Stille.

Kapitel 3

 

Stille. Die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen und den Atem angehalten. Es fühlte sich an, als hätte mich gerade eine Erdspalte verschluckt. Mir wurde schwindelig. Regungslos versuchte ich, noch immer auf Knien, das eben Erlebte zu realisieren.  Das konnte doch nicht wahr sein.

„When she leaves it get´s harder and harder to live life alone“, säuselte Gary Barlow.

Wie in Trance drückte ich meinen IPod aus.

 

Vielleicht war „Forever love“ doch nicht der richtige Song für diesen Anlass gewesen?

Ich stand unter Schock. Ganz langsam begann ich, mein Umfeld wieder wahrzunehmen. Der Regen prasselte erneut an das Fenster. Tat er das vor wenigen Minuten auch schon? Ich hatte es nicht bemerkt. Während aus dem Badezimmer kein Mucks zu hören war, löschte ich wie im Trance die Kerzen.

Der graue, angenehm riechende Ruß zog mir ins Gesicht. Ich inhalierte ihn. Juan hasste es, wenn man Kerzen ausblies und riss für gewöhnlich die Fenster auf.

Wie lange Juan wirklich im Badezimmer ausharrte und was er genau darin machte, weiß ich nicht. Jedenfalls kam es mir unendlich lange vor.

Was sollte ich anderes tun, als mich ausziehen und ins Bett zu legen? Mir war kalt.

 

Eine gefühlte Ewigkeit später fiel ein schmaler Lichtstrahl auf mein  Kissen. Ich vergrub das Gesicht unter der Decke. Auf keinen Fall wollte ich ihm nach dieser Demütigung in die Augen sehen.

Schweigen schnürte mir die Luft ab. Dennoch musste es raus: „ Das war dann wohl ein Nein, oder?“, kamen die Worte ganz leise und emotionslos aus meinem Mund.

Juan seufzte und wollte mich in den Arm nehmen, aber ich wich zurück.

„Es ist alles gut, wie es ist, oder? Warum muss man es ändern?“, antwortete er bemüht liebevoll.

Das war der Moment, wo die Emotionen aus mir herausbrachen. Dort, wo gerade noch die Spuren von Tränen der Rührung und Liebe getrocknet waren, spülte mir nun ein Meer aus Schmerz und Enttäuschung die Träume aus dem Kopf.

Mein Oberkörper begann zu zucken und schmerzerfülltes Schluchzen ließ sich nicht länger unterdrücken.  Diese Nacht sollte doch komplett anders enden.

Juan hatte sich schon mit Schlafmaske und Ohrstöpseln isoliert. Dennoch schien er mein Zittern wahrzunehmen. Nun ließ ich seine Umarmung zu. Schlafen konnte ich deshalb allerdings noch lange nicht.

Irgendwie musste ich die letzte Stunde sortieren, verarbeiten und das, was Juan mir eigentlich sagen wollte in meine Gedankengänge übertragen.

Die Aussage, es sei alles gut, ist doch eigentlich nicht so schlimm.

„Willst du alles kaputtmachen?“, war allerdings ein Hammer, den es erst einmal zu verdauen galt.

Was habe ich mit der Frage kaputtgemacht? Ist es nicht in der Natur des Menschen, den Partner fürs Leben zu finden und diesen an sich zu binden?

Hätte man mich als Kind gefragt, was mein größtes Ziel im Leben sei, wäre meine Antwort gewesen:

Ich möchte die Liebe meines Lebens finden und bis an mein Lebensende glücklich mit ihr werden.

Ein rauschendes Fest, Tränen und Emotionen wären der Höhepunkt meines Lebens. Der Tag, den ich nie vergessen werde. Und nun? Dieser Abend wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben und die erhofften Tränen gab es auch – wenngleich anders als geplant.

Hätte sich nicht jeder normal denkende Mensch über ein so romantisches Liebesbekenntnis gefreut? Was genau meinte Juan mit Kaputtmachen? Haben meine Worte jetzt unsere innige Beziehung zerstört? War alles zu spät?

Für einen Moment überlegte ich sogar, ob unser eigentliches Problem vielleicht mal wieder sein sprachliches Defizit war. Immer wieder ging ich das Gesagte durch, doch konnte ich mir seine Reaktion nicht schön reden.

Natürlich ist es keine neue Erkenntnis, dass der Spanier oft das wollte, was er gerade nicht hatte. War er in Deutschland, wollte er in Spanien sein. War er wiederum in Las Palmas, vermisste er Hamburg.  Machte man ihm zu viele Komplimente, wurde er schnell schroff und ging auf Abstand.

Hätte ich seine Reaktion nicht vielleicht voraussehen können? Die Anspannung  hielt an.

 

Wurde heute das Ende unserer Liebe eingeleitet?

Die Umarmung sprach jedenfalls eine andere Sprache. War das an meinem Hinterteil jetzt auch noch eine Erektion oder täuschte ich mich?

Der Typ war mir plötzlich total unheimlich. Was ging nur in dem Kerl vor?
Plötzlich fiel es mir leicht, seinen Ständer zu ignorieren. Dieses warme Stück Fleisch, dem ich zuvor noch nie widerstehen konnte, ärgerte mich sogar. Was fiel ihm nur ein, nachdem er mich so verletzt hatte.

War dies etwa der Beginn einer Veränderung? Der Beginn von „alles kaputt“?  All das, was wir uns in den vergangenen fünfzehn Jahren aufgebaut haben wurde nun in Frage gestellt.

„Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich liebe dich. Te quiero pollito“,  schreckte ich auf.

Es war nur ein Traum. Ich war doch noch eingeschlafen.

 

Juan hatte seine Liebe in all den Jahren nur ein einziges Mal so deutlich gesagt – auf meinem Anrufbeantworter. Er hatte damals von mir geträumt. Von meiner Badewanne, Schildkröten und den grünen Handtüchern in meiner ersten Wohnung.

Ein vorsichtiges  „Ich liebe dich“  beendete seine Nachricht. Wochenlang spielte ich diesen Anruf auf meiner Mailbox wieder und wieder ab.

Sein heutiges Bekenntnis war hingegen nur ein Traum. Mein Traum. Was für ein Hohn war doch der verpatzte Abend: 

 

Love never dies – Liebe stirbt nie

Kapitel 4

 

„Aufwachen Pupsi, Flip Flop-Wetter outisde“, wackelte Juan übermütig  an meinem Po, zog mir mein Kuschelkissen unter meinem Kopf weg und warf es mit einem - hoffentlich gespielt – angeekeltem „Ihhh“ in Richtung Fensterbank.

Draußen war es schon hell und tatsächlich schien die Sonne.

„Heute wird’s ein guter Tag“, bekam ich sogar noch einen Kuss auf die Wange.

„Kann ja nicht schlechter werden“, grummelte ich.

 

Was sollte ich von seiner Unbeschwertheit halten? Vielleicht war es das Beste, sich einfach darauf einzulassen und den letzten Tag in London zu genießen. Krisengespräche gehörten noch nie zu den Stärken meines Freundes. So einfach wird er mir nicht davonkommen.  Es gab noch eine große Portion Redebedarf. Aber nun…. nun baumelten seine dicken Eier und der wunderschöne Schwanz genau vor meinem Kopf. Also Augen zu und durch.

„Stell dich mal nicht so an, Lucas“, forderte meine innere Stimme und ließ mich zum gekonntesten und  besten Blowjob ever hinreißen.

Die Menge an Sperma, die sich nach höchstens zwei Minuten über meinen Oberkörper und das Gesicht ergoss bestätigte mich darin.

 

„Handtuch“, rief ich, weil ich die Augen nicht öffnen konnte, ohne dass mir die warme Flüssigkeit in die Augen lief, wo gestern noch Tränen ihren Weg suchten.

Dabei wollte ich in diesem Moment doch eigentlich in sein zufriedenes Gesicht  sehen.

„Ja, ja … aber erstmal mache ich Foto!“, triumphierte Juan. 

Es wirkte so auf mich, als wäre es ein guter Strategegiezug, der Liebe meines Lebens mit Sex nochmal zu demonstrieren, was uns alles verbindet. Nach all den Jahren war es für mich immer noch sehr aufregend mit ihm. Natürlich gab es eine Routine, aber kam die ja in erster Linie, weil beide wussten, was der andere mag und wie es ihm am besten gefällt: Also warum sollte Juan mir auf den Rücken spritzen, wenn es auch ins Gesicht geht.

 

Nach der kurzen Fotosession, trocknete ich mich ab und bemerkte, dass ich während der letzten Minuten selbst nicht für einen Moment eine Erektion gehabt hatte. Dabei kamen wir doch meistens gleichzeitig. Spätestens dann, wenn ich nass war. War vielleicht doch alles etwas viel und mein Schwanz ließ sich nicht belügen oder austricksen? Juan schien dies nicht bemerkt zu haben und war schon vor sich hin trällernd unter der Dusche zu hören.

 

Wenig später saßen wir beim Frühstücksbuffet und planten unseren letzten Urlaubstag. Es war eigentlich wie immer. Der Liebe und Begeisterung tat sein dummes Verhalten keinen Abbruch. Meine Blicke wichen seinen etwas aus, oder war es umgekehrt?

Das Handy piepste: Eine Nachricht von Undine erschien: Kann man gratulieren? Ich freue mich so für euch. Du hast so ein Glück!

Fürs Erste schob ich das Telefon zurück in die Hosentasche. Sicherlich bemerkte mein gegenüber, wie mir das Blut in den Adern gefror. Er sagte jedoch nichts und machte sich auf, den Teller ein weiteres Mal mit Lachsbrötchen und Käsescheiben zu beladen.

 

Daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht: Vielleicht hätte ich die Verlobung doch besser nicht groß in meinem Freundeskreis ankündigen sollen. Aber wozu hat man Freunde, wenn nicht dazu, sie an seinem Leben teilhaben zu lassen. Krisen und Niederlagen gehören dazu.

Insgeheim hatte ich nur Angst, dass sie Juans Verhalten ebenso wenig verstehen würden, wie ich. 

Für einen Moment überkam mich die Besorgnis, sie könnten mir zu einer Trennung raten, weil ich etwas Besseres als meinen Kückemann verdient hätte.  Dass man sich nicht auf ihn verlassen und bei der großen Distanz lieber nach jemand anderem suchen sollte. Jemanden, der  es wirklich ernst mit mir meint und sich nicht nur die Rosinen rauspickt, wenn wir eine gemeinsame Zeit verbringen.

Hatte ich vor allem die Befürchtung, sie würden genau das aussprechen, was vielleicht  in mir selbst schlummerte?

Ach hätte ich doch nicht alle über meinen Antrag informiert.  Noch immer hoffte ich, dass die letzten zwölf  Stunden nur ein Alptraum waren, aus dem ich jeden Moment wieder erwachen würde.

Stattdessen fand ich mich kurz darauf in der Realität, genauer gesagt auf der Oxford Street wieder, wo ich anscheinend das erste Mal in meinem Leben feststellte, wie befreiend Frustkäufe doch sind.

Allein bei „Top Man“ gab ich ein Vermögen aus. Die restlichen Pounds investierte ich in CDs bei HMV.

 

Beinahe reichte mein Geld nicht mehr für den English Breakfast Tea, den ich meiner Schwester immer aus London mitbringe.

 

Fast war es so, als wäre die Schwere in meinem Herzen nun auf fünf Plastiktüten in meinen Händen aufgeteilt. Mir ging es gut. Zumindest in diesem Moment. Juan sowieso. Der hatte sich nämlich allein drei der T-Shirts gekauft, die ich auch für mich ausgesucht hatte. Partnerlook war also noch immer Thema.

Was sollte ich mich weiter verrückt machen? Es war doch alles wie immer. Alles ist gut. Oder nicht?

Kapitel 5

 

Gibt es eigentlich so etwas wie Alltag in einer Fernbeziehung? Ist der Alltag das Zusammensein oder die Zeit, in der man allein auf dem Sofa sitzt, einen Film guckt und denkt, wie schön es doch wäre, wenn der Partner in Löffelchenposition hinter einem läge.

Ich zog den gemeinsamen Tagesablauf auf jeden Fall vor: Die zischende Espressomaschine, der Geruch von Kaffee in der Küche. Nur noch ein paar Handgriffe und fertig war das Frühstück.

Juan lag derweil noch im Bett und wartete verkuschelt darauf, dass ich ihm die Decke wegzog.

 

Das konnte er haben. Heute etwas entschlossener und ohne lange Diskussion. Es brodelte mal wieder in mir. Er war mir doch langsam noch einmal eine Erklärung schuldig. Wie sonst sollte ich die letzten Tage verarbeiten. Auf Dauer so tun, als sei alles in Ordnung? Das kann ich nicht.

Zwischen Nutellabrötchen und Schokomüsli setzte ich vorsichtig an: „So einfach kommst du mir nicht davon“, startete ich.

„Schon wieder Pili lutschen?“

„Nein. Das meine ich nicht. Sei doch mal ernst….“, versuchte ich deutlich zu machen, dass es mir wichtig war und fuhr fort: „Warum willst du mich nicht heiraten? Du solltest mich nicht einfach so stehenlassen und langsam mal erklären, was los ist. Fand ich total scheiße von dir“, stammelte ich

 

etwas, weil ich merkte, dass es nicht unwahrscheinlich war, dass ich gleich wieder zu weinen anfangen würde.

„Hab ich doch gesagt. Alles ist gut, wie ist. Außerdem ich fühle mich wohl in Las Palmas und möchte nicht hier leben.“

„Wer redet denn von Zusammenleben. Also nicht, dass ich das nicht gut finden würde, aber es geht doch um Liebe und Verantwortung. Darum, dass man sich immer auf seinen Mann verlassen kann und zeigt, dass man zusammen gehört. Für immer.“

 

Hatte er wirklich gedacht, man müsse zwangsweise zusammenziehen, wenn man heiratet? Kann man so dumm sein? Also gab es vielleicht doch noch Hoffnung?

„Forever love? Du bist der romantische Kückemann. Das bin ich nicht so.  Weiß du doch und ich brauche mein Freiheit auch. Alles ist gut, wie ist hab ich gesagt“, klang Juan nun fast etwas genervt.

Dabei ist er doch der von uns, der sogar im Urlaub zig Kerzen aus dem Koffer zaubert, damit wir gemütlich zusammen baden und unsere Liebe zelebrieren können.

Ok. Zugegeben…. Sex hat bei Juan einen sehr viel höheren Stellenwert. Wenn er das Wort „romantisch“ benutzt, dann geht es in erster Linie um Wälder, idyllische Dörfer oder Filme, die ihn nicht sonderlich interessieren.

 

Es gibt auch nach all den Jahren immer wieder Momente, in denen man sich nicht so nah fühlt, wie ursprünglich gedacht. Man wundert sich, was eigentlich los ist. Wo war plötzlich der Mensch, den man dachte, so gut zu kennen. Man wird negativ überrascht und ist davon völlig perplex. Das sind Situationen, in denen man merkt, dass man Probleme völlig ausgeblendet hat.

Dies alles waren natürlich keine neuen Erkenntnisse: Immer wenn es zu eng wurde, machte Juan einen Schritt zurück: War er in Deutschland, wollte er auf Gran Canaria sein. Hatte er gerade einen Job, wollte er lieber arbeitslos sein und den ganzen Tag am Strand liegen.

Ohne Arbeit war das Gejammer groß, dass er lieber unterrichten würde. Ein typischer Zwilling-Geborener. Genauso wie mein Vater. Der hatte meine Mutter immerhin geheiratet, als sie achtzehnjährig mit meiner Schwester schwanger war.  Seine Affären bis hin zur Scheidung nach zwölf Jahren Ehe waren dann aber auch ein Indiz dafür, dass er sich seiner Entscheidung nicht so sicher war. Brauchen also alle Mai und Juni-Geborenen ihre bedingungslose Freiheit oder war das nur ein  Zufall?

„Pass bloß auf mit Zwillingen. Das ist so typisch. Die können sich einfach nicht festlegen“, warnte meine Mutter mich regelmäßig, sämtliche  Erwartungen etwas zu zügeln und mich so vor Enttäuschungen zu schützen.

Es war schon fast ein Running Gag, aber es entsprach leider der puren Wahrheit.  Jedenfalls musste ich gerade jetzt wieder an ihre weisen Worte denken.

 

„Mehr Freiheit, als ich sie dir gebe, kannst du von niemandem bekommen. Ich liebe dich und will, dass du so sein kannst, wie du bist“, beendete ich das Thema. Wir drehten uns im Kreis und anstatt mir als Wiedergutmachung für sein herzloses Verhalten etwas mehr Sicherheit zu geben, wurde ich weiter gedemütigt.

Dabei brauchte ich gerade in diesem Moment eine innige Umarmung oder eine klare Ansage, wie „Es hat nichts mit meiner Liebe zu tun. Du bist der Mann, mit dem ich trotzdem mein Leben verbringen möchte.“

Fehlanzeige. Es wurde kein Versuch unternommen, mir meine Ängste und das ungute Gefühl zu nehmen.

 

„Man ist, wie man ist. Kann man nicht dagegen, ne?“, schob Juan nach.

 

Verärgert über seine Worte stand ich auf und legte einen Film ein, den ich schon sehr lange mit ihm sehen wollte. Ein schwules Drama mit dem passenden Titel „Between love and Goodbye“.

Kapitel 6

 

Für das kommende Wochenende stand das „MS Dockville Festival“ in Hamburg auf dem Plan. Bis auf Wir sind Helden und der Balkan-Pop-Act Shantel mit seinem Bucovina Club waren eher wenige Bands am Start, die ich kannte.

„Kann man aber viele neue Musik kennenlernen, der Herr“, freute sich Juan auf zwei mit Konzerten vollgestopfte Tage.

 

Ein absolutes Highlight gab es allerdings für mich:

Eine Band aus England, die hier in Deutschland bisher niemand wahrgenommen hatte.

„Ou est le Swimming Pool“ war musikalisch eine Synthi-Retro-Band, deren Album ich in den vergangenen Wochen rauf und runter gespielt hatte.  Drei junge Männer für die ich glatt nach London geflogen wäre, wenn sie nicht den Weg nach Hamburg gefunden hätten.

                           

Mit vollen Rucksäcken und knapp bekleidet enterten wir das Festivalgelände direkt an der Elbe.

Schon im bunten Doppeldecker-Shuttle-Bus von der S-Bahn-Station Wilhelmsburg packte uns die Stimmung. Die Leute waren  gut drauf, um einiges jünger als wir – aber nicht weniger attraktiv.

Es gab eine Menge zu sehen. Zwei Männer, die uns schon vorher in der S-Bahn aufgefallen waren, grinsten in immer kürzeren Abständen zu uns herüber.

 

„Geile Schweden-Boys“, kommentierte Juan in Dauerschleife, sodass ich fast anfing, eifersüchtig zu werden.
Das Getümmel am Einlass riss uns dann aber auch glücklicherweise irgendwie auseinander. Wer weiß, ob wir die Blondschöpfe so einfach hätten loswerden können.

Ein Kückemann ist schließlich mehr als genug für den braungebrannten Spanier, oder nicht?

Flirten ist nach wie vor erlaubt. Man sollte es jedoch nicht übertreiben und Juan war kurz davor.

 

Orientierungsschwierigkeiten führten uns zunächst erst einmal an eine abgelegene Bühne und einem eher schwerfälligen Auftritt einer amerikanischen R & B Sängerin.

„Blöde amerikanische Schreierin“, brachte Juan das alberne Arschgewackel der völlig übertriebenen Performance auf den Punkt.

Wir beschäftigten uns anderweitig:

Der Spanier musste dringend auf Toilette und posierte an der ziemlich offenen Pinkelrinne, die inmitten der feiernden Massen völlig einsehbar neben der Getränkebude stand.

Ein Bier in der einen und seinem Pillermann in der anderen Hand, strahlte mein Traummann fast so  intensiv, wie die Sonne vom Himmel.

 

„Hier können wir dann doch gleich stehenbleiben. So kann ich gut Schwänze gucken, wenn sonst nichts zu gucken ist“, freute ich mich.

„Nö, nö, nö … Du Voyeur! Jetzt wird´s weitergegangen!“, zog Juan mich zur Hauptbühne, auf der Agnes Obel soeben vor einer Handvoll Leute Songs ihrer ersten EP vorstellte.

Wunderschöne, romantische Klaviermusik und eine superschöne Stimme, die mich gleich in ihren Bann zog.  Meinem Freund ging es ähnlich. Immer weiter rutschten wir zusammen.  Ganz selbstverständlich umarmten wir uns und machten bis zum nächsten Act eine lange Pause auf einem dicken Sitzsack, tranken Bier und beobachteten die Leute.

Ohne Sonnencreme wären wir aufgeschmissen gewesen. Allen voran Juan, der nun auch seinen durchtrainieren Oberkörper ohne Shirt zur Schau stellte.

 

Die perfekte Stimmung zog sich durch das gesamte Wochenende. Nie zuvor waren wir auf einem Musikfestival gewesen. Wer so etwas noch nicht bei Temperaturen um die dreißig Grad erlebt hat, wird schwer nachvollziehen können,  wie frei und glücklich man sich doch fühlen kann.

 

Da war es auch gar nicht so schlimm, dass sich meine Favoriten „Ou est le Swimming Pool“ als eher unprofessionelle Live-Musiker herausstellten.

Der Musik und unserer Stimmung taten die jungen

Teenies auf der Bühne keinen Abbruch. Sie fanden sich cool und hatten Spaß an ihrer Show.

Das große Zelt füllte sich immer mehr und die Massen waren begeistert.

Der Beat von „Dance the way I feel“ war auch live einfach unglaublich.  In der ersten Reihe sprangen wir auf und ab, filmten vor allem den Hauptsänger, der immer wieder das Mikro in unsere Richtung hielt.  Selbst Juan, der die Jungs eben noch als „Proletas“ betitelt hatte, verlor sich im  Jubel der Zugaben, schrie und Pfiff vor Begeisterung.

„ Wie hieß noch der Dicklein-Sänger?“ fragte der Kanare.

„Charles Haddon“

„Ganz schön verrücktes Dicklein“, lachte Juan und kniff mir gleichzeitig in die Seite.

„… also das auf der Bühne meine ich“

 

Was für ein Abschluss des

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5868-8

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
FÜR KERSTIN

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