Cover

Intro

Der Hingucker

 

Lucas Timm

 

 

ISBN-13: 978-1503253650 

ISBN-10:1503253651 

 

 

 

1. Auflage, November 2014

 

© Lucas Timm 2014

Autorenblog/Homepage

www.facebook.com/lucastimmbuch

www.lucastimm.de

 

Covergestaltung: Thomas Juch

Homepage: www.thomas-juch.de

Kontaktmöglichkeit: tjuch@web.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Autors gestattet.

 

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei

erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sind rein zufällig und

unbeabsichtigt.

 

 

Für Thomas

 

Prolog

 

Willkommen in der Freiheit! Endlich konnte ich meiner Mutter wieder in die Augen sehen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Lügen und Ausreden hatten in den letzten Monaten immer stärker an meinen Nerven gezerrt. Der überraschend herzliche Empfang in meinen neuen Lebensabschnitt als geouteter Schwuler nahm mir eine große Last von den Schultern. Erst jetzt, wo fast alles geklärt war, bemerkte ich, wie schwer diese gewesen war. Mir war bewusst, dass ich großes Glück hatte und andere Jugendliche in meiner Situation es weitaus schwerer hatten, Verständnis für ihre Andersartigkeit im eigenen Elternhaus zu erfahren.

Dennoch hatte ich es noch nicht ganz geschafft. Die nächste Hürde, die es zu nehmen gab, war das Gespräch mit meinem Vater. Es war für mich nicht unbedeutend, wie er reagieren würde, dennoch hatte ich durch meine Mutter und Geschwister nun einen gewissen Rückhalt, der mir Kraft gab.

Dieses Mal hatte ich obendrein den Vorteil, mir im Vorfeld genau überlegen zu können, wie und wann ich die „gute Nachricht“ überbringen würde. Vorab ging ich in Gedanken mögliche Reaktionen durch, auf die ich gut vorbereitet reagieren konnte. Für den Fall eines erwarteten Wutausbruchs oder eines Heulanfalls meines Daddys, legte ich mir sogar einen kleinen Notizzettel neben den Telefonapparat, um gegebenenfalls schlagfertig reagieren zu können.

Nur wenige Tage nach meinem Geburtstag rief ich ihn an, um ihm meine sexuelle Erkenntnis

zu offenbaren. Wozu noch warten? Ich wollte es hinter mich bringen, um endlich frei zu sein.

Trotz perfekter Planung bemerkte ich eine unerträgliche Nervosität in mir aufsteigen, als mein meist schlecht gelaunter Erzeuger sich mit gewohnt monotoner Stimme meldete. Wie in den vergangenen Jahren machte es den Anschein, man hätte ihn gerade aus dem Mittagsschlaf gerissen, was im seltensten Fall zutraf.

  „Hallo Papa. Ich bin´s. Ich wollt dir schon seit längerem etwas Wichtiges erzählen. Es wird dich vielleicht etwas überraschen, aber es ist mir wichtig, dass du es weißt“, startete ich mein durchgeplantes Gespräch in leicht abgewandelter Form. Am anderen Ende der Leitung war es für kurze Zeit still. Ein kurzes Grunzen signalisierte mir im nächsten Moment, ich solle mal mit der Neuigkeit herausrücken.

 „Ich bin schwul. Ich möchte, dass du das weißt“, ließ ich die Katze aus dem Sack. Ein imaginärer Paukenschlag wurde im selben Augenblick durch ein überraschend aggressives „Das glaub ich dir nicht!“ meines Vaters verdrängt.

Seine Worte und das anschließende Klicken ließen mich zusammenzucken. Die Telefonleitung war tot. Er hatte tatsächlich den Hörer aufgelegt und unser Coming-Out-Gespräch nach zwanzig Sekunden beendet. Das war mal wieder typisch für ihn. Mein Dad war einfach nicht in der Lage, eine normale Unterhaltung zu führen. Wenn etwas anders lief, als erwartet, steckte er einfach seinen Kopf in den Sand.

Es war also auch nichts Ungewöhnliches, dass Telefonate einfach beendete wurden, wenn man erwähnte, es würde einem nicht gut gehen oder man bräuchte dringend Hilfe. Er hatte noch nie Interesse daran, sich mit Problemen anderer Leute auseinander zu setzen.

Kapitel 1

Ich blickte ein wenig verstört und irritiert auf den Hörer in meiner Hand und versuchte, dass eben Erlebte zu verarbeiten. Mit einem lauten Knall, legte ich auf und konnte mir ein „Blödes Arschloch“ nicht verkneifen. Wutentbrant griff ich nach dem Zettel mit meinen Notfallnotizen, knüllte ihn zusammen warf ihn in den Papierkorb. Diese Vorarbeit hätte ich mir genauso gut sparen können. Aber wer hätte auch mit so einer Reaktion rechnen können?

Etwas betrübt und vor den Kopf gestoßen gesellte ich mich zu meiner Mutter in der Küche. Sie war gerade damit beschäftigt unsere Brote für das Abendessen zu schmieren. Genau der richtige Moment, um ihr von meinem schief gelaufenen Vater-Sohn-Gespräch zu berichten.

 „Ich hab es eben Papa erzählt. Weißt Du, wie er reagiert hat? Er meinte, er glaube mir nicht, dass ich schwul sei, und hat dann aufgelegt“, stammelte ich noch ein wenig benommen.

Im selben Moment kam mir die ganze Situation so blöd und albern vor, dass ich ein Lachen nicht zurück halten konnte. Meine Mum schüttelte den Kopf und im nächsten Moment kicherten wir beide so laut, dass mein Bruder aus seinem Zimmer kam, um zu sehen, was los war.

 „Das ist ja völlig gestört“, grinste meine Mum, nachdem sie sich wieder ein wenig gefangen hatte. So schnell wendete sich das Blatt, denn war es nicht sie, die vor wenigen Tagen gar keine Reaktion auf meine Worte herausbekommen und Tränen vergossen hatte? Glücklich über die schnelle Einsicht, knuffte ich meiner Mutter in die Seite und setzte mich an den Esstisch, um nach all dem Durcheinander endlich etwas zwischen die Zähne zu bekommen.

 Nachdem ich zwei geschmierte, halbe Brötchen mit Nutella verschlungen hatte, setzte ich mich in mein Zimmer und zappte ein wenig durch die Fernsehprogramme. Immer wieder gingen mir die Worte meines Vaters durch den Kopf und ermunterten mich dazu, noch einmal in Ruhe über meine Beziehung zu meinem Erzeuger nachzudenken.

Seine Reaktion vereinte mal wieder all die Geschichten, die ich in der Vergangenheit mit ihm erlebt oder von anderer Seite über ihn gehört hatte.Doch wie mochte es nun in ihm aussehen? Wahrscheinlich musste er das Gehörte erst einmal verarbeiten und würde sich dann von allein melden, um das Gespräch zu suchen. Es hätte allerdings auch sein können, dass das Thema von nun an totgeschwiegen würde. Mir war es fast egal.

Immerhin konnte mir niemand vorwerfen, nicht ehrlich gewesen zu sein.Wie doch ein wenig erhofft, erhielt ich zwei Tage später einen Brief, in dem er mich ein wenig an seinen Gedanken und dem Durcheinander seiner Gefühlswelt teilhaben ließ.

Auf hellgelbem Briefpapier schrieb er in gewohnt krakeligen Buchstaben:

 

Mein lieber Sohn,

ich mache mir große Sorgen, dass du in deinem Leben gegen Widerstände ankämpfen musst, die du heute noch nicht abschätzen kannst. Ich gehe nicht davon aus, dass es eine Phase ist und du dir gut überlegt hast, welchen Weg du in Zukunft gehen wirst. Pass bitte auf dich auf!

Meine größte Angst ist es, dich zu verlieren. Versprich mir, dass du vorsichtig bist und dich vor einer AIDS-Infizierung schützt. Versprich mir bitte, dass du auf dich aufpasst.

Ich werde für dich beten und hoffen, dass Gott dich beschützen wird.

 Dein Papa

 

Obwohl ich mal wieder mit den Ohren schlackerte, fühlte ich mich in diesem Moment glücklich und geliebt. Es war angenehm zu wissen, dass Menschen aus meinem Umfeld sich wirklich mit mir und meiner Person auseinandersetzten und sich sogar um mich sorgten. Es stand nicht zur Debatte, mich einfach fallen zu lassen oder umpolen zu wollen.  Als ich Karin den Brief vor dem Zubettgehen unter die Nase hielt, meinte sie treffend:

 „Komisch, dass unsere Eltern gar nicht daran denken, dass es dabei in erster Linie um Liebe geht. Mama meinte gestern zu mir, sie hätte vorher nie darüber nachgedacht, dass es bei Schwulen um mehr als um Sex geht. Sie kenne nur die Geschichten über Männer in Leder und Uniformen, die an Autobahnraststätten durchs Gebüsch laufen und wilde Orgien feiern!“

 Ich hatte so etwas in der Art schon befürchtet und war froh, dass sie durch Timo und mich bemerkt hatte, dass es neben dem anonymen Sex auch noch andere Bereiche schwulen Lebens gab. Wobei ich bei Gelegenheit dennoch mal herausfinden wollte, um welchen interessanten Parkplatz es sich bei der Erzählung meiner Mum wohl handelte.

Trotz ihrer schnellen Erkenntnis darüber, dass es auch Liebe unter Männern gibt, hatte ich das Gefühl, sie brauche noch ein wenig Nachhilfeunterricht in Sachen „schwules Leben“.

Nach kurzen Überlegungen, wie ich dies am besten anstellen könnte, hatte ich  einen guten Einfall. Eine Einladung ins Schwulen- Café Gnosa! Sie war begeistert von der Idee und konnte es kaum abwarten, mich dorthin zu begleiten.

Kapitel 2

Ein wenig mulmig war mir schon zu Mute, als wir drei Tage später gemeinsam die dunkelbraune Schwingtür des Schwulentreffs öffneten. Vielleicht war das doch alles etwas zu viel für sie? Zum Glück wurden meine Bedenken gleich nach Betreten des Lokals im Keim erstickt. Bereits auf Höhe der Kuchentheke musterte sie fasziniert die Auslage und freute sich mit kindlicher Begeisterung über die vielen Leckereien.

„Bei der großen Auswahl weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll“, jauchzte sie. zufrieden und staunte über die bunten Verzierungen der zehn bis fünfzehn verschiedenen Sahnetorten und Trockenkuchen. Im nächsten Moment fiel mein Blick auf die originalgetreuen Marzipanpenisse auf der oberen Glasplatte der Vitrine, die in durchsichtigem Zellophanpapier und roter Schleife nicht nur den Appetit anregen sollten. Ob meine Mum die perfekt geformten Schwänze wohl schon bemerkt hatte? Normalerweise war sie doch genauso verrückt nach Marzipan, wie ich. Schnelles Handeln war gefordert. Nicht, dass unser Ausflug noch nach hinten losging. Ich packte sie kurzerhand am Ärmel und zog sie leicht errötet an einen der freien Tische im hinteren Teil der Cafés. Fernab der frivolen Leckereien für umgerechnet fünf Euro.

Zum Glück war an diesem Nachmittag nicht allzu viel los, sodass wir einen schönen Platz am Fenster ergatterten. Meine Begleitung entschied sich für ein Stück Käsesahnetorte. Ich selbst orderte ein Mandelhörnchen.

Die Penisnachbildungen hatten meine Lust auf Marzipan angeregt. Pfefferminztee für uns beide, ließ fürs Erste keinen Wunsch offen.

Der junge Kellner, der unsere Bestellung aufnahm, durchblickte die Situation natürlich sofort und zwinkerte mir aufmunternd zu, bevor er mit gekonntem Hüftschwung von dannen schritt. Hatte meine Mutter ihm tatsächlich gerade auf den Po geschaut? Sicherlich hatte ich mich getäuscht. Obwohl: Verwunderlich wäre dies nicht. Es war wirklich ein Prachtarsch, den er in seiner engen Jeans zur Schau stellte.

Am gegenüberliegenden Tisch entdeckte ich einen jungen, rothaarigen Mann, der sicherlich noch ein oder zwei Jahre jünger war als ich. Auch er war in Begleitung einer älteren Frau. Etwas ertappt nahm er meine Blicke wahr und grinste mich im nächsten Moment ein wenig verschämt an. So, wie es aussah, war er in selber Mission gekommen. Großer Coming-Out-Tag im Café Gnosa.

Die Zeit verging wie im Flug. Ich war richtig verzückt, wie meine Mum versuchte, möglichst unauffällig so viele Eindrücke wie möglich zu sammeln.

 „Das ist ja wirklich total nett hier. Und so attraktive Leute...“, schwärmte sie.

Auch die original Fünfziger Jahre Einrichtung hatte es ihr merklich angetan, sodass sie in Erinnerungen an ihre eigene Kindheit und Jugend schwelgte.

 Wir plauderten ein wenig über meine vergangenen Besuche im Gnosa und auch das Thema  „Timo“ wurde zwischen einem weiteren Stück Lübecker Nusstorte, dass wir uns teilten, angerissen.

Ganz plötzlich und überraschend bemerkte ich, dass sich auch zwischen ihr und mir eine Menge verändert hatte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir neben meiner Mutter nicht mehr wie ein Kind vorkam. Es war fast so, wie zwei erwachsene Freundinnen, die sich regelmäßig zum Kaffeetrinken trafen, um Sorgen und Gedanken auszutauschen. Niemals wäre ich in der Vergangenheit auf die Idee gekommen, mit meiner Mum über Mädchen zu sprechen, in die ich heimlich verliebt gewesen war. Im Gegenteil: Es war mir immer total peinlich, wenn meine Mutter den Verdacht äußerte, dass mein Interesse an Mitschülerinnen wohl etwas über gewöhnliche Kumpelei hinausging.

An diesem Tag war es anders. Unsere Unterhaltung hatte etwas angenehm Entspanntes, wie ich es nie zuvor mit ihr erlebt hatte. Als ich nach zwei Stunden den ersten Versuch startete, aufzubrechen, dachte meine Begleitung noch lange nicht daran, zu gehen.

 „Lass uns doch noch etwas bestellen. Das ist so interessant hier“, grinste sie verlegen.

 „Na gut. Der nächste Tee geht dann aber auf mich“, willigte ich erfreut ein.

Wir hatten einen wirklich schönen Nachmittag, an den ich gern zurückdenke. Dieses Erlebnis untermauerte noch einmal die Erkenntnis und Dankbarkeit, eine wirklich tolle Mutter zu haben, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.

 Die Ereignisse kamen geballt. In großen Schritten stand auch schon die nächste Veränderung in meinem Leben an, denn nur zwei Wochen nach unserem gemeinsamen Mutter-Sohn-Ausflug ins Café Gnosa, stand mein Umzug nach Hamburg an.

Der Tag, auf den ich so lange gewartet hatte, war endlich gekommen. Timo, der mir weiterhin hilfreich zur Seite stand, hatte inzwischen mit tatkräftiger Unterstützung von Nils und meiner freundlichen Pinsel-, Tapeten-, und Bohrmaschinen-Anreich-Hilfe alles renoviert und für den Transport der wenigen Möbel, sogar einen Kleinlaster organisiert. Das Verhältnis zu meinem Ex-Geliebten war recht locker und dennoch vertraut. Ich genoss es, einen so lieben Freund gewonnen zu haben.

Wie es Anfang der neunziger Jahre Mode war,  kaufte ich für mein erstes Zuhaue fast nur schwarze Möbel. Bei der Gestaltung der eigenen vier Wände war es mir wichtig, mich auf drei Farben zu beschränken: Schwarz, Weiß und Grün!

Ich kaufte mir von meinem Ersparten ein schwarzes, extra breites Bett von Ikea, in das zur Not auch zwei weitere Besucher passen würden. Darin würde ich in Zukunft entspannt einen Mann nach dem anderen vernaschen können, ohne dabei auf den Fahrplan der Bahn achten zu müssen oder meiner Familie Rechenschaft abzulegen, wo ich so lange gewesen sei.

Mein schwarzer Kleiderschrank hatte zwei Spiegeltüren, die, wenn man sie ein wenig öffnete sehr gut das Geschehen auf meiner Matratze einfingen. Anfangs spielte ich mit dem Gedanken, die Spiegel direkt vor meinem Fußende zu platzieren, doch wäre mir dies vor meiner Mutter peinlich. So ganz frei sollte ich mich anscheinend dann doch noch nicht fühlen. Außerdem besteht das Leben ja auch nicht nur aus Sex.

 

Ein übler Nebeneffekt wäre das Grauen am Morgen, dem ich mich aussetzen müsste, wenn ich beim Weckerklingeln direkt in mein verpenntes Knautschgesicht blicken müsste.

Im Flur hängte ich ein riesiges Plakat von The Cure auf, das ich bei meinem letzten Londonbesuch in der Carnaby Street erstanden hatte. Es war gar nicht so einfach, das zwei mal zwei Meter große Stück Papier unversehrt mit dem Reisebus nach Hamburg zu bekommen, ohne es zu zerknicken oder einzureißen.

Einige meiner Verwandten nutzten die einmalige Gelegenheit meines Umzugs, ihre alten Möbel loszuwerden. Ich bekam ein grauenhaftes, braunes Oma-Sofa von meiner Patentante, dass ich unter einem grünen Bettlaken versteckte. Es war meistens recht mühsam die Überwürfe wieder in die Ritzen zu stecken, da sie bei jeder Bewegung verrutschten und so der Blick auf den schrecklichen Stoff der Sitzpolster freigaben.

Als ich am ersten Abend allein in meiner eigenen Wohnung die schwarzen Jalousien herunterließ und bei Kerzenschein über mein herrliches Leben nachdachte, wusste ich noch nicht, dass dieses Gefühl noch bei weitem getoppt werden konnte.

 

Kapitel 3

 

 Kurz nach meinem Umzug nach Hamburg erfuhr ich, dass ich ab November die Ausländerabteilung verlassen konnte. All meine Bemühungen zurück ins Einwohnermeldeamt zu kommen, hatten sich in dem Moment ausgezahlt, in dem ich fast nicht mehr daran geglaubt hatte.

Der erlösende Anruf meines ehemaligen Chefs kam an einem Freitag kurz vor Feierabend. Ich hüpfte durchs Büro und teilte den Kolleginnen mit, dass ich nur noch zwei Wochen bei ihnen bleiben würde. Es war schön zu sehen, dass sie sich in diesem Moment nicht wirklich für mich freuten, sondern traurig waren, in Zukunft auf mich verzichten zu müssen.

Der Bezug meines alten Büros war wie ein Triumphzug. Als vollwertiger Sachbearbeiter kehrte der ehemalige Auszubildende aus der Schlacht mit Behördenbonzen und Ungerechtigkeiten zurück ins Paradies.

Nun konnte ich auch um meinen eigenen Schreibtisch herum, dem Zimmer meine eigene Note verpassen. Ein Cure Plakat, das das Cover von „Boys don´t cry“ zeigte, sowie zwei kleine Bilder von Edward Hopper wurden kunstvoll an die Naturfasertapete genagelt. Ich kaufte mir eine kleine Stereoanlage mit CD-Player und spielte von nun an den ganzen Tag nur noch die Musik, die ich mochte. Schnell fuchste ich mich wieder in die alte Tätigkeit ein und machte dort weiter, wo ich vor meiner Versetzung aufgehört hatte. Ich flirtete, was das Zeug hielt.

Mit dem Unterschied, dass ich bei Einladungen zum Kaffeetrinken von nun an auch meine eigene Wohnung mit ins Spiel bringen konnte.

Von Zeit zu Zeit wurde ich neuerdings auch neben meinem eigentlichen Job am Sachbearbeiterplatz in der Zahlstelle des Meldeamtes eingesetzt, wo unsere Bürger ihr Bares in kleine, bunte Gebührenmarken eintauschten. Ein ziemlich gewagter Einsatz, da meine Mathematikschwäche der Einstellungstests immer noch in meinem Kopf herum spukte. Mein Arbeitsplatz war ein großer Glaskasten, von dem aus ich jede Person abchecken konnte, die unsere Dienststelle betrat und verließ. Im Gegenzug war auch ich unter ständiger Beobachtung, was ich als äußerst angenehm empfand. Neben dem konzentrierten Geldwechseln und Hosegucken, hörte ich für gewöhnlich leise Radio Hamburg. So auch an diesem Tag.

Wir hatten gerade unsere Sprechzeit beendet, als der Moderator die neue Madonna-Single Erotica ankündigte. Mit einem Satz sprang ich zum Lautstärkeregler und drehte den Song auf volle Lautstärke. Mir war in diesem Moment vollkommen egal, was meine Kollegen von mir dachten.

Obwohl mich das Lied anfangs irritierte, da es völlig anders war, als erwartet, fing ich an ein wenig zu grooven, um mich weiter auf die Single einzulassen. Zu dieser Zeit war es  normal, dass mir bei jeder Veröffentlichung eines neuen Videoclips oder neuen Aufnahmen Tränen in den Augen standen. Völlig in Trance erreichte mich die tiefe Stimme des Moderators, der den heiligen Moment unterbrach:

 

 „ Soweit die kontroverse, neue Single der Queen of Pop! In zwei Wochen wird Madonna eine Stippvisite in unsere schöne Hansestadt machen, um das gleichnamige Album „Erotica“ zu promoten.“

Wie vom Donner gerührt erstarrte mein Körper. Hatte ich gerade richtig gehört? Madonna kommt nach Hamburg? Es hatte sie bisher doch noch nie nach Norddeutschland verschlagen. Und dann noch Hamburg? Ich liebte es, endlich in einer Weltstadt zu wohnen. Kreischend lief ich zu meiner Lieblingskollegin Sabine, um ihr die aktuellen Neuigkeiten zu erzählen. Etwas entgeistert blickte sie aufgrund meiner heftigen Reaktion schon drein, freute sich dann aber doch für mich.

Die nächsten Tage recherchierte ich in einem Internetcafé, wann und wo Madonna in Hamburg unterkommen sollte. Zu meiner Enttäuschung würde es weder ein Konzert, noch einen öffentlichen Auftritt geben. Allein eine Party für geladene Gäste im Alsterpavillion stand auf dem Plan. Über die Zeitungsredaktion meines Vaters versuchte ich, an Presse-Karten für den Event des Jahres zu gelangen. Per Telefon bettelte ich einen seiner Kollegen nach dem anderen an, mir behilflich zu sein, da mein Dad selbst mal wieder kein Interesse zeigte, mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Es war trotz aller Versuche nichts zu machen.

Kapitel 3

 

Kurz nach meinem Umzug nach Hamburg erfuhr ich, dass ich ab November die Ausländerabteilung verlassen konnte. All meine Bemühungen zurück ins Einwohnermeldeamt zu kommen, hatten sich in dem Moment ausgezahlt, in dem ich fast nicht mehr daran geglaubt hatte.

Der erlösende Anruf meines ehemaligen Chefs kam an einem Freitag kurz vor Feierabend. Ich hüpfte durchs Büro und teilte den Kolleginnen mit, dass ich nur noch zwei Wochen bei ihnen bleiben würde. Es war schön zu sehen, dass sie sich in diesem Moment nicht wirklich für mich freuten, sondern traurig waren, in Zukunft auf mich verzichten zu müssen.

Der Bezug meines alten Büros war wie ein Triumphzug. Als vollwertiger Sachbearbeiter kehrte der ehemalige Auszubildende aus der Schlacht mit Behördenbonzen und Ungerechtigkeiten zurück ins Paradies.

Nun konnte ich auch um meinen eigenen Schreibtisch herum, dem Zimmer meine eigene Note verpassen. Ein Cure Plakat, das das Cover von „Boys don´t cry“ zeigte, sowie zwei kleine Bilder von Edward Hopper wurden kunstvoll an die Naturfasertapete genagelt. Ich kaufte mir eine kleine Stereo-Anlage mit CD-Player und spielte von nun an den ganzen Tag nur noch die Musik, die ich mochte. Schnell fuchste ich mich wieder in die alte Tätigkeit ein und machte dort weiter, wo ich vor meiner Versetzung aufgehört hatte. Ich flirtete, was das Zeug hielt.

Mit dem Unterschied, dass ich bei Einladungen zum Kaffeetrinken von nun an auch meine eigene Wohnung mit ins Spiel bringen konnte.

Von Zeit zu Zeit wurde ich neuerdings auch neben meinem eigentlichen Job am Sachbearbeiterplatz in der Zahlstelle des Meldeamtes eingesetzt, wo unsere Bürger ihr Bares in kleine, bunte Gebührenmarken eintauschten. Ein ziemlich gewagter Einsatz, da meine Mathematikschwäche der Einstellungstests immer noch in meinem Kopf herum spukte. Mein Arbeitsplatz war ein großer Glaskasten, von dem aus ich jede Person abchecken konnte, die unsere Dienststelle betrat und verließ. Im Gegenzug war auch ich unter ständiger Beobachtung, was ich als äußerst angenehm empfand. Neben dem konzentrierten Geldwechseln und Hosegucken, hörte ich für gewöhnlich leise Radio Hamburg. So auch an diesem Tag.

Wir hatten gerade unsere Sprechzeit beendet, als der Moderator die neue Madonna-Single Erotica ankündigte. Mit einem Satz sprang ich zum Lautstärkeregler und drehte den Song auf volle Lautstärke. Mir war in diesem Moment vollkommen egal, was meine Kollegen von mir dachten.

Obwohl mich das Lied anfangs irritierte, da es völlig anders war, als erwartet, fing ich an ein wenig zu grooven, um mich weiter auf die Single einzulassen. Zu dieser Zeit war es  normal, dass mir bei jeder Veröffentlichung eines neuen Videoclips oder neuen Aufnahmen Tränen in den Augen standen. Völlig in Trance erreichte mich die tiefe Stimme des Moderators, der den heiligen Moment unterbrach:

 

 „ Soweit die kontroverse, neue Single der Queen of Pop! In zwei Wochen wird Madonna eine Stippvisite in unsere schöne Hansestadt machen, um das gleichnamige Album „Erotica“ zu promoten.“

Wie vom Donner gerührt erstarrte mein Körper. Hatte ich gerade richtig gehört? Madonna kommt nach Hamburg? Es hatte sie bisher doch noch nie nach Norddeutschland verschlagen. Und dann noch Hamburg? Ich liebte es, endlich in einer Weltstadt zu wohnen. Kreischend lief ich zu meiner Lieblingskollegin Sabine, um ihr die aktuellen Neuigkeiten zu erzählen. Etwas entgeistert blickte sie aufgrund meiner heftigen Reaktion schon drein, freute sich dann aber doch für mich.

Die nächsten Tage recherchierte ich in einem Internet-Café, wann und wo Madonna in Hamburg unterkommen sollte. Zu meiner Enttäuschung würde es weder ein Konzert, noch einen öffentlichen Auftritt geben. Allein eine Party für geladene Gäste im Alsterpavillion stand auf dem Plan. Über die Zeitungsredaktion meines Vaters versuchte ich, an Presse-Karten für den Event des Jahres zu gelangen. Per Telefon bettelte ich einen seiner Kollegen nach dem anderen an, mir behilflich zu sein, da mein Dad selbst mal wieder kein Interesse zeigte, mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Es war trotz aller Versuche nichts zu machen.

Kapitel 4

Für die beiden Tage, an denen Madonna in Hamburg war, reichte ich selbstverständlich Urlaub ein. Ich platzierte mich, nach einem einstimmenden Frühstück auf meinem Sperrmüllsofa, direkt vor dem Atlantik Hotel, in dem sie sich und ihren Hofstaat einquartiert hatte. Gemeinsam mit zwanzig bis dreißig anderen Fans genoss ich die Spannung, die an diesem Tag in der Luft lag. Große, dunkle Limousinen parkten vor dem Eingang und Fotografen und Fans lauerten darauf, den Megastar vor die Linse zu bekommen.

Ein paar vorwitzige Fanatiker versuchten gar, durch den Eingang ins Hotel zu kommen, doch sie wurden unter Protestschreien unsanft vom aufgestockten Wachpersonal abgewiesen. „Dummköpfe“, dachte ich, während mir im selben Moment ein toller Einfall kam. Ich packte meine Tasche mit Madonna-Berichten und verabschiedete mich von zwei dänischen Mädchen, die ich gerade kennen gelernt hatte, um meinem Plan umzusetzen.

 „Bis gleich. Haltet Eure Augen offen“, lachte ich und verschwand in Richtung Hauptbahnhof.

Auf der U-Bahn-Fahrt nach Hause dachte ich über Madonna nach, die mit ihrem skandalösen Sex-Buch und derzeit schrecklichen Outfits für Schlagzeilen sorgte. Es war das erste Mal, dass ich meine Lieblingssängerin nicht so attraktiv fand, wie sie in Dirndl mit einem aufgesteckten Goldzahn durch die Welt reiste und um Aufmerksamkeit buhlte.

„Das geht auch wieder vorbei“, beruhigte ich mich.

Zu Hause angekommen, schnappte ich mir meinen schwarzen Anzug, den ich mir beim letzten Dänemarkurlaub mit meiner Familie gekauft hatte und suchte einen bunten Schlips von meinem schicken Krawattenständer aus. Auch die Nikon Kamera, die ich von meinem Vater zum Geburtstag bekommen hatte, kramte ich aus der Fototasche. Die Batterien waren fast leer, doch das war für meine Aktion eh egal. Da es draußen trotz Sonnenschein recht kalt war, warf ich mir einen langen, grauen Mantel über. Ich fand mich richtig toll, wie ich vor meinem Spiegel auf meinem roten Teppich im Flur auf und ab ging. „ Das wird schon klappen“, machte ich mir selbst ein wenig Mut.

 Bereits fünfzehn Minuten später erreichte ich den Hauptbahnhof und steuerte direkt in Richtung Vorplatz, auf dem mehr als zwanzig Taxis auf Kundschaft warteten. Ich öffnete die Tür des nächsten und setzte mich auf den Beifahrersitz eines Südländers. Freundlich fragte er mich, wo ich denn hin wollte.

 „Atlantik Hotel“, antwortete ich mit einer gespielten Wichtigkeit in meiner Stimme, was dem Chauffeur die Gesichtszüge entgleiten ließ.

 „Wollen Sie mich verarschen? Das Atlantik ist in drei Minuten zu Fuß zu erreichen. Da vorne können Sie schon fast das Dach des Gebäudes sehen. Raus hier!“

Ich zuckte zusammen. Mit einer solchen Reaktion hatte ich nicht gerechnet.

 „Los raus. Da können Sie laufen. Ich stehe hier schon über eine Stunde und hab keine Lust eine Zwei-Minuten-Tour zu machen. Ist das klar?“

Langsam tickte der Typ richtig aus, wurde immer lauter und hob in seiner Wut sogar die Faust. Wäre ich nicht schnell ausgestiegen, hätte ich sicherlich ordentlich was auf die Fresse bekommen. So, wie es aussah, fing mein Plan an ins Stocken zu geraten.

Gut, dann musste ich also ein wenig laufen. Jedoch nicht zum Hotel, sondern in die andere Richtung. Zehn Minuten später versuchte ich mein Glück bei einer freundlichen Taxi-Fahrerin an der Mönckebergstraße.

 „Einmal zum Atlantik Hotel, bitte“, sagte ich nun deutlich freundlicher als vorhin.

 „Aber gern, der Herr“, lächelte sie und setzte das Fahrzeug in Bewegung.

Erleichtert lehnte ich mich zurück und atmete tief durch, während mein großer Auftritt immer näher rückte. Mir wurde ein wenig unwohl zu Mute, als wir in den Holzdamm einbogen und der noble Eingang der Promi-Absteige immer näher kam. Vielleicht würde mein Plan nicht aufgehen, sodass ich in wenigen Sekunden wie ein Idiot dastand?

Es war schon ein tolles und erleichterndes Gefühl, als  das Taxi vor dem Hotel vorfuhr, der Portier mir die Beifahrertür öffnete und ich durch die abgeschirmten Fanmassen zur Drehtür schritt und in die Welt der Reichen eintauchte. Schnell schaute ich mich noch einmal um, um zu sehen, ob die beiden Däninnen, die ich vorhin kennengelernt hatte, mich bemerkt hatten. Laut schreiend winkten sie mir zu. Das wäre geschafft!

Im Inneren des Millionärsschuppen marschierte ich zielstrebig auf einen der vielen Sessel in der Eingangshalle zu und setzte mich, um mir erst einmal ein Bild zu verschaffen. Die biedere Einrichtung der Nobelherberge enttäuschte mich ein wenig. Was hatte bitte ein Weltstar gerade hier zu suchen, wo er doch in den durch und durch designten und modernen Palästen residieren kann.

Da saß ich nun in der Lobby des Hotels und wusste nicht, was ich nun tun sollte.

Ich bestellte mir fürs erste ein teures Glas Mineralwasser an der Bar und fing an, die fremde Umgebung ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein paar Frauen in edlen Kostümen gesellten sich auf ein Sofa an der gegenüberliegenden Wand der Rezeption. Zwei übergewichtige, alte Herren mit schütterem Haar und dicken Ringen an den Fingern schienen die Begleitung zu sein, auf die die Damen gewartet hatten.

Jedes Mal, wenn der Fahrstuhl sich öffnete, zuckte ich innerlich zusammen und wartete darauf, einen Kollaps zu bekommen. Würde ich ohnmächtig umfallen, wenn Madonna plötzlich vor mir auftauchte?

Es war ein tolles Gefühl, zu wissen, wie nah man seinem Lieblingsstar in diesem Moment war. Vielleicht saß sie gerade direkt über meinem Kopf auf der Toilette ihrer Suite im ersten Stock und verrichtete ihr Geschäft, während ihre traumhaften Lippen den nächsten Welthit vor sich hin pfiffen? Schon allein ihre Anwesenheit im selben Gebäude ließ mein Herz doppelt bis dreifach so schnell pochen.

Von einem Moment auf den nächsten breitete sich eine merkliche Unruhe in der Eingangshalle aus. Eine hellblonde Frau in dunkelblauem Businesskostüm war aus dem Nichts aufgetaucht und gesellte sich zu einer Gruppe wartender Journalisten, die in einer Sitzgruppe in unmittelbarer Nähe darauf warteten, einen Schnappschuss zu machen oder gar ein Interview zu bekommen. Ich verstand akustisch nicht, worum es bei der Ansage ging, setzte mich aber ebenfalls in Bewegung, als meine „Pressekollegen“ der kleinen englisch sprechenden Dame folgten.

Unterwegs durch

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.11.2014
ISBN: 978-3-7368-5727-8

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /